Ist Max Waldmeyer paranoid? (Teil1)

Oder wie Waldmeyer seine Strom-Autarkie plant

Der Normalzustand einer Gesellschaft war noch nie ein Zustand ohne Katastrophen. Im Gegenteil: Gerade die Abfolge von Katastrophen hat ihren Verlauf bestimmt! Gleich einer Perlenschnur haben sich Zufälle und unvorhersehbare Ereignisse aneinandergereiht und einen quasi schicksalshaften Verlauf ergeben. Das galt auch für Waldmeyers CV: Eine Verkettung von unendlich vielen Zufällen und Einzelentscheiden führte letztlich dazu, dass er gerade jetzt mit Charlotte in seiner Villa in Meisterschwanden sass und ins Kaminfeuer starrte. Den Pfad Waldmeyers Vergangenheit säumten zwar nicht so viele Katastrophen. Hervorzuheben wäre eventuell noch sein Tsunami-Erlebnis 2004 auf den Malediven (vgl. den Waldmeyer-Bericht vom 27.12.2020). Oder dieser Junkie mit dem Messer in Windhoek (Namibia 2015). Oder eben diese blöde Pandemie jetzt. Fast schlimmer noch hätte kürzlich erst der 8. Januar 2021 sein können. Doch dazu später.

Katastrophen haben bestimmte Eintretens-Wahrscheinlichkeiten. Sie reichen von fast nie (z.B. einem Meteoriteneinschlag) zu ziemlich sicher (z.B. eine Flut oder ein Sturm). Man kann die Verteilung dieser Eintretens-Wahrscheinlichkeiten als Gauss’sche Verteilung sehen: links der Glocke fast nie, in der Mitte die vermutlichen, rechts die ziemlich sicher eintretenden Ereignisse. Die links können wir quasi ausser Acht lassen, die rechts kriegen wir einigermassen in den Griff (ein Hochwasser beispielsweise). Die in der Mitte sind die gemeinen: Wir wissen nicht wie sie eintreten, geschweige denn wo und wann. Das sind die echten Katastrophen. Vor allem das Wann bleibt Willkür.

Es handelt sich äusserst selten um die „Black Swans“, wie sie Nassim Taleb beschreibt, die unvorhersehbaren, überfallmässig und plötzlich eintretenden Ereignisse mit eruptiver Wirkung. Die Finanzkrise 2007/2008 beispielsweise war in diesem Ausmass von niemandem vorausgesehen worden. Die meisten grossen Katastrophen sind allerdings keine Black Swans – das war auch die Pandemie nicht. Weil sie nämlich vorauszusehen war und man sich vorbereiten konnte. Oder besser gesagt: Man sich hätte vorbereiten können.

Waldmeyer möchte gerne festhalten, dass der kein „Prepper“ ist. Er hält ja keine Notvorräte in Bunkern, hat kein geheimes Treibstofflager und auch keine umfassende Waffenausrüstung. Wenn die Welt nach einer Katastrophe wie bei „Mad Max“ aussehen würde, müsste man sich natürlich dennoch selber zu helfen wissen. Aber dazu man muss ja nicht gerade ein Prepper werden, sondern einfach nur in Szenarien denken und sich vorsehen.

Natürlich gibt es da eine beachtliche Anzahl von möglichen künftigen Katastrophen: Covid-27 beispielsweise, oder der Vesuv könnte ausbrechen. Ein Erdbeben ist auch nicht auszuschliessen, ebenso wenig eine böse Cyberattacke, der Ausfall des Internets, eine grosse Flut, eine Atomkatastrophe, ein Blackout, der Zusammenbruch des Finanzsystems. Oder gar ein Umsturz?

Ausklammern könnte Waldmeyer das Szenario eines Studienabbruchs seiner Tochter Lara (sie studiert Kunst in Basel). Die Eintretens-Wahrscheinlichkeit ist zwar hoch, aber es wäre eigentlich keine Katastrophe. Ausklammern könnte Waldmeyer auch eher unwahrscheinliche Vorgänge, eine grosse Feuersbrunst beispielsweise in Meisterschwanden. Oder einen Atomkrieg, zu dessen Anlass er in seinem Luftschutzbunker, welcher aufgeklärte Schweizer in der Regel schon längst zu einem Weinkeller umfunktioniert hatten, bis auf weiteres verharren müsste.

Was Waldmeyer jedoch aus seiner Auslegeordnung mit den vielen wahrscheinlichen Katastrophenszenarien lernt: Er muss nicht nur mental auf der Hut sein, sondern sich auch adäquat vorbereiten. (Waldmeyer hatte dazu speziell 13 Theoreme entworfen, die er nächstens zu veröffentlichen gedenkt – aber mehr dazu in einem andern Beitrag).

Vorab ging es Waldmeyer nun um das Durchdenken ganz praktischer Dinge. Waldmeyer unterteilt Katastrophen in solche, die entweder von etwas zu viel oder von etwas zu wenig mit sich bringen. Also beispielsweise zu viel Wasser. Oder zu wenig Treibstoff. Oder von irgendetwas zu wenig. Das „Zuwenige“, soweit es sich um Dinge mit Feststoffen handelt, könnte man natürlich elegant mit einem 3D-Drucker kompensieren: Man stellt einfach her, was fehlt. Doch das mit dem 3D-Drucker hatte ihm Charlotte bereits ausgeredet. „Weil Du es nie schaffen würdest, ihn zu bedienen“. Vielleicht hatte sie recht – allerdings hat die Idee eines 3D-Druckers ohne Zweifel seinen Reiz, denn im Krisenfall könnte man genau das herstellen, was es dann eben nicht mehr gibt, und Waldmeyer könnte so vielleicht ein neues Geschäftsmodell entwickeln.

Am 8. Januar 2021 schrammte Europa an einer Strommangellage mit einer hohen Blackout-Wahrscheinlichkeit vorbei. Wenn die Windräder stillstehen, die Sonne nicht scheint, die Atomkraftwerke in Frankreich etwas gar runtergefahren wurden und gleichzeitig irgendwo im Osten ein klassischer Versorgungsmangel oder ein grösserer Spannungsfehler auftritt, kann das europaweit vernetzte Stromnetz instabil werden. Dann sind die Blackouts da. Um ein Haar wäre es am 8. Januar dazu gekommen. Ein Krisenszenario, das der Bund tatsächlich noch grösser einschätzt als eine Pandemie – seit Jahren. „Aber wir wären ja autark, zumindest für ein paar Tage“, meinte Waldmeyer triumphierend zu Charlotte, „wir haben für fast alle Katastrophenarten vorgesorgt“.

„Und was machst du, wenn plötzlich ein Einbrecher im Schlafzimmer steht?“, meinte Charlotte. Stimmt, daran hatte Waldmeyer nicht gedacht. Das wäre vielleicht ein Vorgang, der sogar wahrscheinlicher wäre als ein Tsunami im Hallwilersee. Oder immerhin so wahrscheinlich wie eine Cyberattacke auf Waldmeyers PC. Oder eben eine Strommangellage.

„Stimmt, Charlotte, wir sollten unser Sicherheits-Dispositiv überarbeiten. Vielleicht müssen wir doch an Waffen denken. Gehen wir doch einmal alle Szenarien durch.“ „Ja, klar, Max. Aber bitte nicht mehr heute Abend, ja!“

Also richtete Waldmeyer seine Gedanken wieder in Richtung Blackout und analysierte die Idee einer eigenen Strom-Autarkie. Ein Blackout wird nämlich kommen, das schien Waldmeyer nun so sicher wie das Amen in der Kirche. Also soll er nur kommen! Nun müsste folgerichtig eine zünftige Solaranlage aufs Dach, auch ein starker Generator müsste her, plus ein grosser Stromspeicher. Vielleicht müsste Charlotte dann ihren Audi aus der Garage rausstellen. Die Batteriespeicher, welche wirklich ein paar Tage oder gar Wochen Autonomie garantieren, sind nämlich auch heute noch so gross wie ein Fahrzeug – und würden so einen Garagenplatz benötigen. Das Problem mit der Batteriegrösse hat selbst der Elon Musk noch nicht in den Griff bekommen, vielleicht auch, weil er sich etwas gar verzettelt mit seinen Plänen (so der Bevölkerung des Mars).

Als weitere Massnahme müsste selbstredend jemand Verdunkelungsvorhänge nähen. Für jeden Raum, wegen den Plünderern. Man stelle sich vor, wie nach ein paar Tagen Blackout brandschatzende Horden durch die Strassen ziehen und in der Nacht plötzlich irgendwo ein Licht sehen. Waldmeyers Licht, Gartenstrasse 4, Meisterschwanden. Das wäre eine zu offensichtliche Einladung. Waldmeyer nahm sich betreffend der Vorhänge vor, Alain anzurufen, den Dekorateur. 

Charlotte antwortet normalerweise nicht auf Waldmeyers seltsame Pläne. Doch diesmal machte sie eine Ausnahme, sie rollte nur die Augen und meinte, allerdings eher spöttisch: „Das Briefing mit Alain übernehme ich. Die Sache ist natürlich hoch-geheim, er darf absolut nichts erfahren. Ich werde ihm erklären, dass wir alle Räume so dunkel wollen, weil wir abwechselnd in allen Räumen schlafen wollen. Alain wird damit als Plünderer schon mal wegfallen.“

Zum Glück hatte Waldmeyer das mit der Garage und dem Audi nicht erwähnt.

Waldmeyer und die Grenzen der Smart Society (Fortsetzung)

Oder der digitale Nahtod

Waldmeyer amüsierte sich nochmals über seine Erlebnisse am letzten Sonntag in Sachen Smart Home (oder Smart Hotel) im Trois Couronnes: Diesen „IT“ musste er doch tatsächlich dreimal rufen, bis nur schon die Basics im Hotelzimmer funktionierten. Bzw. für ihn verständlich waren.

Nun, dieses Wochenende stand weniger Lustiges an: Waldmeyer musste allerlei privaten Büro- und Infrastrukturkram erledigen – was heute in der Regel bedeutet, sich auf einen hoffnungslosen Zweikampf mit Logins, kryptischen Passwörtern und anderen gemeinen digitalen Stolpersteinen einzulassen. Stundenlang. Leider oft ohne Erfolg. 

Wie erwähnt nun also wieder zuhause, gestaltete sich dieser Sonntag weniger amüsant. Es war schon eher zum Verzweifeln. Wobei am Anfang noch alles recht gut lief.

Bei Amazon beispielsweise kam Waldmeyer easy rein. „Charlotte, wie heisst unser Passwort schon wieder?“ Und schon konnte er ordern.

Die neue SRG Sat-Access-Karte fürs Ferienhaus war schon eher tricky. Er schaffte die Aktivierung nicht und beschloss, die blöde Karte einfach unauffällig mit allen Login-Fresszetteln auf Charlottes Arbeitstisch hinzulegen. 

Das Online-Banking wiederum lief besser. Das heisst, das Inland-Banking. Aber dann später, mit der ausländischen Bank, war es komplexer: Dreimal hatte er schon alle Details eingeben, und beim Abschicken dann immer error. Waldmeyer traf einen Management-Entscheid: Das konnte bis Montag warten.

Waldmeyer machte weiter. Mit Schwung hantierte er mit QR-Codes, OT-Passwörtern und anderen kryptischen Codes. Das Abo für den Tennisclub wurde erneuert, die Rotary-Einladung für Dienstag bestätigt. Die neue Nespresso-Maschine online registriert, mit allerlei persönlichen Daten (denn nur so konnte man die Gratiskapseln bestellen).

Auch das Login mittels QR-Code und die Registrierung des neuen Dusch-WCs spulte Waldmeyer ziemlich elegant ab. Nun waren künftige Garantieleistungen bei Geberit sichergestellt. Fäkalien werden also auch digitalisiert. Sei’s drum.

Es lief ganz gut. Bis zum Schraubbohrer von Bosch. Die Garantie musste nämlich, auch mittels QR-Code, jedoch mit einer Geheimzahl angereichert, eingegeben werden – auch hier mit allerlei persönlichen Daten, für welche selbstredend die Datenschutzerklärung, welche die Daten dann nicht schützt, akzeptiert werden musste. Doch bei der Postleitzahl scheiterte Waldmeyer. Es lief nichts mehr. Und bei jedem Versuch musste er alles wieder neu eingeben. Aber wie meistens hatte Charlotte auch hier eine Lösung: „Bosch ist deutsch. Also häng doch einfach eine Zahl ran, ist fünfstellig, weisch!“ Es funktionierte: Meisterschwanden hatte ab sofort die PLZ 56160.

Es war ein wunderschöner Frühlingstag, aber inzwischen senkte sich die Sonne langsam. Also noch schnell upc. Seit Monaten stimmten die Abrechnungen nicht. Waldmeyer drückte sich behende durch das roboterisierte Telefonprogramm durch, zog ein paar Schleifen, wartete (lange), begann nochmals, dann, endlich, gelangte er an den richtigen Ort, musste allerdings nochmals warten. Waldmeyer erinnerte sich an seine Multitasking-Fähigkeiten als früherer CEO und überbrückte die Wartezeit elegant, indem er zwei subjektiv ziemlich wichtige Emails erledigte, gleichzeitig an den Aperitif dachte und noch kurz aufs Klo schlich – in der Hoffnung natürlich, dass sich upc noch nicht meldet. Aber noch auf dem stillen Örtchen kam die Erlösung: „Unsere Bürozeiten….“. Nun gut, es war Sonntag. Aber warum konnte die Robo-Tante das nicht früher mitteilen? Waldmeyer blieb nachsichtig und verspürte so etwas wie Mitleid für die Sprecherin. Also auch verschieben auf Montag.

Dann wollte Waldmeyer noch schnell die Fahrkarte bei der SBB buchen. Es war ein Primeur, denn Waldmeyer fuhr eigentlich nie mit der Bahn. Aber die VR-Sitzung morgen Abend sollte etwas länger dauern, denn Hansruedi wollte noch die neuen Weine zur Degustation mitbringen. Also besser die Bahn. Bucht man zum ersten Mal online bei der SBB, braucht es mindestens einen Bachelor in IT. Waldmeyer hatte sogar einen Master – aber eben nicht in IT. Er schaffte es nicht. Die Frage der Streckenführung (über Orte, die Waldmeyer gar nicht kannte) war nicht klar, und überhaupt. Entnervt beschloss er, morgen doch besser den Cayenne zu nehmen (schwarz, innen auch).

„Diese Scheiss-Logins“, fluchte Waldmeyer und stürzte hinaus zu Charlotte auf die Terrasse. „Jetzt habe ich endgültig genug. Wann gibt es Aperitif…?“

Charlotte räkelte sich im Bikini auf der Liege und flötete: „Hast du denn einen Login für den Aperitif?“Waldmeyer rannte schreiend in den Garten hinaus. Am liebsten hätte er sich in den Hallwilersee gestürzt. Einzig die Aussicht auf den Aperitif hielt ihn davon ab. Und er verspürte so etwas wie ein digitales Nahtod-Erlebnis.

Waldmeyer überprüft seine Mortalität

Waldmeyer sass in einem weissen Schutzanzug und mit Maske und Handschuhen auf dem Sofa. Er wartete auf seinen Sohn Noa (23). Waldmeyer vertrieb sich die Wartezeit mit allerlei Gedanken betreffend Mortalität. Was war wirklich gefährlich? Wie gestaltete sich seine subjektive Gefährdung? Wie könnte er seine persönliche Mortalität runterbringen? Haushaltsunfälle könnte Waldmeyer schon mal ausklammern. Aber die Sache ist viel komplexer.

Die Corona-Sterblichkeit – die sog. case fatality rate liegt in der Schweiz bei rund 2% – falls man sich denn infizieren sollte. Bei den Jungen liegt sie beinahe bei null, bei den über 80-Jährigen bei rund 16%. Waldmeyer bewegte sich unglücklicherweise schon deutlich über dem Mittelalter, also lag die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, leider wohl nicht mehr bei null. 

Diese Statistik war vergleichbar mit dem Motorradfahren: Mit höherem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall zu sterben – falls man denn Motorrad fahren würde. Bei einem Alter von über 90 zum Beispiel könnte die Wahrscheinlichkeit fast 100% betragen. Überhaupt ist Motorradfahren sau-gefährlich, googelte Waldmeyer weiter: Pro gefahrenen Kilometer rund 20-mal tödlicher als Autofahren. Dafür müsste man nicht mal 90 werden. 

Waldmeyer zog ein vorzeitiges Fazit: Sowohl Covid-19 als auch Motorradfahren weisen eine mit dem Alter exponentiell steigende Mortalität auf. Also sollte man vielleicht beides lassen. Waldmeyer legte diesen Gedankenstrang jedoch wieder zur Seite, denn er schwang sich überhaupt nie auf ein Motorrad; also lag – in seinem spezifischen Fall – die Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen Unfall bei null.

Das Googeln mit den Schutzhandschuhen erforderte einiges an Geschick. Trotzdem gelang es Waldmeyer zu eruieren, dass die Schweiz 2019 genau 187 Verkehrstote zählte (Astra, das zuständige Bundesamt, hat für 2020 noch nicht fertig gezählt, denn dieses Amt verfügt über eine ähnliche Management-Struktur wie das BAG). 1970 waren es noch 1‘773 Tote – also fast 10-mal mehr. Kam dazu: Im gleichen Zeitraum hatte sich der Bestand an Motorfahrzeugen mehr als verdreifacht. Damit hat sich das Risiko, heute in einem Verkehrsunfall zu sterben, um das Dreissigfache verringert. Ob die gefährliche „Verrohung des Verkehrs“ tatsächlich stattfindet, wie das Astra regelmässig meldet? Rein datenbasiert müssten die Autobahnen heute eigentlich „geöffnet“ werden, mit freier Fahrt. Aus Sicherheitsgründen wäre das zu verantworten, denn es würde die Zahl der Verkehrstoten vermutlich nur marginal raufbringen – würde jedoch das raffinierte staatliche Geschäftsmodell mit den drakonischen Geldbussen untergraben.

An Covid-19 starben nun binnen eines Jahres rund 10‘000 Personen („an“ oder „mit“ Covid, wobei merkwürdigerweise niemand weiss, wieviel der „an“- oder der „mit“-Anteil beträgt).

Tatsächlich liegt damit die Wahrscheinlichkeit, an diesem gemeinen Virus zu erliegen offenbar über 50-mal höher, als in einem Verkehrsunfall das Zeitliche zu segnen. Genau das wollte Waldmeyer seinem Sohn Noa vermitteln. Allerdings bestand bei der Erklärung dieses Vergleichs („Verkehr vs. Corona“) die Gefahr, dass Noa künftig die Verkehrsrisiken als noch unerheblicher einschätzt und seinen alten Occasions-BMW noch schneller durchs Knonaueramt prügelt. Waldmeyer legte seine ursprünglich sorgfältig vorbereiteten Argumente also auf die Seite und konzentrierte sich nochmals auf seine eigenen Mortalitäts-Überlegungen. 

Da sind zum Beispiel noch die Haushaltunfälle: Daran sterben in der Schweiz jährlich 2‘400 Personen – also mehr als 10-mal mehr als bei Verkehrsunfällen. Wäre es also angezeigt, Haushalte zu verbieten? Zumindest Haushaltsarbeiten. Insoweit gestaltete sich das Leben Waldmeyers bereits extrem vorsichtig, er mied dieses Sicherheitsrisiko wie der Teufel das Weihwasser.

Beim Sport verhält es sich ähnlich: Die jährlich 135 gemeldeten tödlichen Sportunfälle sind jedoch untertrieben, Sport ist in Tat und Wahrheit viel gefährlicher. In die vorangegangene Statistik mit den 187 Verkehrstoten haben sich nämlich viele Fussgänger und Velofahrer reingeschlichen, welche fairerweise eigentlich nicht den Verkehrs-, sondern den Sportunfällen zugerechnet werden müssten. Sport ist also gefährlicher als Autofahren. Das Risiko eines Sportunfalles betraf Waldmeyer allerdings ebenso nur am Rande, denn er trieb nur äusserst vorsichtig Sport, eigentlich selten, und er betrachtete sich zudem eher als Autofahrer denn als Fussgänger. Waldmeyers subjektive Mortalitätswahrscheinlichkeit (Abteilung Haushalt und Sport) tendierte also gegen null.

Schon grössere Sorgen bereitete ihm eine mögliche Krebs- oder Kreislauferkrankung. Es ging einerseits um die Wahrscheinlichkeit, eine solche Krankheit überhaupt zu kriegen, andererseits um die Sterbewahrscheinlichkeit in einem solchen Fall. In der Schweiz sterben jährlich immerhin fast 40‘000 an Krebs – aber die meisten einfach im hohen Alter, was quasi einer natürlichen Todesursache gleichkommt. An Herzversagen sterben rund 8‘000 p.a. Interessant fand Waldmeyer, dass nur rund 400 p.a. an Leberzirrhose sterben. 

Waldmeyer rauchte nicht, was seine Krebserwartung schon mal deutlich runterdrückte. Und sein BMI von rund 25 (etwas grosszügig ausgelegt) liess das Risiko, vorzeitig an einer Kreislauferkrankung zu sterben, ebenso vernachlässigen. Sein Alkoholkonsum mochte in der Tat, zumindest subjektiv von aussen betrachtet, etwas überdurchschnittlich sein. Aber erstens hatte er gar keine Leberzirrhose eingeplant und zweitens, so reflektierte Waldmeyer, könnte man z.B. an Terre Brune unmöglich sterben.

Fazit: Für Waldmeyer gab es überhaupt keine ausserordentliche Todeschancen, vielleicht würde er einfach 100 werden und dann an Alter sterben?

Und eigentlich gaben alle diese Mortalitäts-Überlegungen gar nicht viel her. Nur etwas beeindruckte Waldmeyer: Wenn die bisher klassischen Mortalitäts-Wahrscheinlichkeiten nun alle fast gegen null tendieren, dann liegt der Risikofaktor von Covid-19 in der Tat um ein Mehrfaches höher. Was Waldmeyer deshalb nun vorhatte mit seinem Sohn Noa: Er wollte ihn in eine Risiko-Besprechung in Sachen Corona einbinden. Der etwas sorglose Umgang der Jugend in Sachen Covid-19 sollte besprochen werden. Und Waldmeyer fand es angemessen, sich für diese Besprechung situationsgerecht zu kleiden. Deshalb der Schutzanzug. Aber Noa hatte offenbar Verspätung.

Charlotte kam gerade von ihrer Tennisstunde zurück und entdeckte Waldmeyer in seiner weissen Montur. „Um Himmels Willen, was hast du denn vor? Was ist passiert?“, entfuhr es ihr. Waldmeyer murmelte etwas unverständlich durch seine FFP-2-Maske hindurch: „Schatz, es ist nicht so, wie es aussieht – ich kann dir alles erklären!“

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