Waldmeyer und die lange Leitung

Waldmeyer versuchte, wie so oft – und hier stellvertretend für den Bundesrat – über den Tellerrand hinauszublicken. Es gibt nämlich genügend positive Beispiele auf der Welt, wie man Krisen-Management in Sachen Corona effizienter betreiben könnte. Lassen wir mal das unverzeihlich autoritäre China auf der Seite. Aber hervorzuheben sind z.B. Taiwan, Südkorea, Singapur, Uruguay oder gar Vietnam: Frühzeitige konsequente Maskenpflicht, sofort funktionierende Warn-Apps, breit angelegte Tests und zielgerichtete (nicht politisch austarierte) Shutdowns führten zu wirtschaftlichen Kollateralschäden, die im Vergleich zu Europa quasi nur wie ein dünnes Rezessiönchen wirken. Offenbar erweist sich der helvetische Föderalismus als das Gegenteil von Schwarmintelligenz. Aber dazu später.

Auch Israel konnte rasche Erfolge verbuchen – zumindest während der vorbildlich gemanagten ersten Welle, aktuell aber auch mit den Impferfolgen. Selbst das südamerikanische Uruguay führt elegant durch die Krise. 

Die Vereinigten Arabischen Emirate, um ein Beispiel etwas detaillierter herauszupicken, ebenso: Eine rigorose Maskenpflicht und strenge Desinfektionsmassnahmen führten zu raschen Erfolgen zu Beginn der Pandemie. Zu wenig Masken? Die Regierung verschickte sofort Schnittmuster, um aus Stoff eben kurzfristig selber Masken zu schneidern; Verstösse gegen die Maskentragpflicht wurden drakonisch bestraft (Busse: rund CHF 750.-). Und unverzüglich wurden grossflächig Drive-in-Testcenter angelegt, im ganzen Land. Überall und immer kann gratis getestet werden, sodass man die Kontaminierten blitzartig rauspflücken und in Quarantäne stecken kann. Eine Covid-Warn-App funktionierte schon im Frühjahr 2020, auch das Tracing. Und per heute sind gut 30% der Gesamtbevölkerung von rund zehn Millionen zum ersten Mal geimpft, ein zunehmender Teil davon bereits zum zweiten Mal. Insgesamt sind bis dato nur rund 800 Tote zu verzeichnen – verhältnismässig zwölfmal weniger als in der Schweiz.

Natürlich, die Bevölkerung ist z.T. wesentlich jünger in diesen Ländern, und in einem relativ autokratisch regierten Staat ist es einfacher, top-down und  rasch zu handeln.Was Waldmeyer in der Privatwirtschaft gelernt hatte: Man überlebt nur mit frühzeitigem und raschem Reagieren. Das gilt indessen, leider, offenbar nicht für die Politik. Nicht einmal in einer Krise.

Bescheidene Bewertung des Corona-Managements: Andere Staaten machen es besser

Wenn die wirtschaftlichen und persönlichen Freiheiten mittel- und langfristig geschützt werden sollen, braucht es kurzfristig rasche und zielgerichtete Massnahmen. Eben Management.

Mit dem vordergründigen Schutz von persönlichen Freiheiten wurde bei uns in der Schweiz – und in den meisten Orten in Europa – jetzt wohl Unfreiheit mit episch langen sozialen Einschränkungen eingetauscht: Wir erinnern uns an die frühen Diskussionen betreffend der Zumutbarkeit des Maskentragens, den Vorbehalten und Verzögerungen in Sachen Warn-App, der Schonung der Bevölkerung vor einem breit angelegten Testen. Und das übergrosse Verständnis für Impfgegner – in der falschen Interpretation, dass es nur um eigene Entscheidungsfreiheit geht und nicht auch um eine Frage der „Haftpflicht“ (aufgrund der flächendeckenden Übertragbarkeit einer Krankheit und damit eines Risikos). Das Resultat ist bekannt: ein Auf und Ab an Einschränkungsmassnahmen, irrlichternde Politiker, kein Plan.

Darf man, so fragte sich Waldmeyer, Demokratie und Föderalismus kurzfristig – für ein einzelnes Problem, wie Corona – reduzieren? Ja, man darf. Man muss sogar. Ein demokratisch sauber aufgestellter Staat darf es, weil die Bevölkerung das Vertrauen hat, dass nach einer Krisenbewältigung die alten Regeln wieder gelten. 

Wie wäre es denn in einer Krise wie einer Strom-Mangellage? Was dürfte man da…? Einem verheerenden Terroranschlag? Einem Cyberkrieg, ausgelöst von Bösewichten oder einem verdeckt operierenden Staat? Dürfte man da auch? Man dürfte. Wieso denn nicht bei einer Pandemie, welche an unseren wirtschaftlichen Grundfesten rüttelt?

Nun bahnt sich das siebte Versagen an: „Long Covid“. Die Langzeitschäden der Krankheit können mindestens 10% der Erkrankten befallen. Damit schwebt das Damoklesschwert einer weiteren ökonomischen Belastung des Gesundheitswesens über uns. In einigen fortschrittlichen Ländern wurde das erkannt, und es werden Prophylaxen- und Medikamentenplanungen ausgearbeitet. Offenbar ist es allerdings auch hier der helvetischen Langsamkeit geboten, vorerst auf Beobachtung zu schalten. (Diese Langsamkeit ist üblicherweise sehr wohltuend, denn dann begeht die Politik weniger Fehler. Allerdings gilt das leider nicht in der Krise, denn hier ist rasches und kompetentes Management gefragt.)

Waldmeyer versuchte sich aus seinem ökonomischen Tagestraum zu lösen, seufzte und dachte an den Winzer Parmelin, die Konzertpianistin Sommaruga und den Schmalspur-Juristen Berset. Die Überforderung schien mit Händen zu greifen: Da sind überdurchschnittliche Führungsarmut, Organisationsversagen und ziemlich mangelhaftes Krisen-Management auszumachen, befeuert durch falsch verstandenen Föderalismus, mangelnde Visionen und die gänzliche Absenz von Mut. Oder glauben die Bundesverwalter eventuell allen Ernstes, dass man eine Pandemie – per se nun mal etwas ziemlich Internationales – auf kantonaler Ebene bekämpfen kann? Soll Appenzell Innerrhoden (16’000 Einwohner) also tatsächlich mit einem eigenen kantonalen Konzept dieses Pandemie-Fegefeuer bekämpfen?

Waldmeyer war trotz diesem eidgenössischen Staatsversagen zufrieden: Das Eingeständnis, dass das eigene Land im besten Fall nur Mittelmass bietet in der Causa Covid, zeugt auch von einer gewissen Grandezza. Die jüngste, gut abgestützte Untersuchung bringt es zutage: Platz 52 nur für Helvetien – von total 98 untersuchten Ländern. Man muss sich ja nicht mit Staaten messen wie Brasilien oder den USA, welche von irrlichternden Politikern gelenkt werden (und welche die allerletzten Plätze in dieser internationalen Rangliste belegen). Aber es ist immer erlaubt, sich an den besten Beispielen zu messen!

Ja, wir müssen auch mal zu unserem Versagen stehen. Diese Erkenntnis kann zudem durchaus befreiend wirken. Waldmeyer schenkte sich etwas kühles Bier nach. Er sass in einem Strandrestaurant in Dubai und blinzelte zum Meereshorizont. Genau, hierher sollte man mal den Berset in die Schule schicken. Aber vielleicht leidet dieser ja nicht an „Long Covid“, sondern an „Long Pipe Disease“: dieser heimtückischen, kaum kurierbaren Krankheit. Auf Deutsch nennt man sie wohl ganz einfach Langeleitung-Krankheit.

Waldmeyer for President?

Oder wie müsste ein CV ausschauen für eine Politikkarriere?

Waldmeyer staunte, als er das CV von Ursula von der Leyen genauer studierte. Seit er sich vom aktiven Unternehmerleben zurückgezogen hatte, vermisste er es, Leute anstellen zu können – und vorab eben CVs zu lesen. Nicht, dass er nun von der Leyen eine Position offerieren wollte. Er googelte ihren Lebenslauf nur so aus Neugierde.

Also erfuhr er: Von der Leyen hatte einen prominenten Vater, Ernst Albrecht, den bekannten niedersächsischen Ministerpräsidenten. Auch ihre Vorfahren zeugten bereits von Status, denn da waren auch schon mal Plantagenbesitzer aus den USA dabei. Also old money, analysierte Waldmeier. Von der Leyen studierte während 11 Jahren Archäologie, Politologie und Medizin. 2001 beendete sie ihre Ausbildungskarriere mit einem Master of Public Health  – nur 25 Jahre nach Studienbeginn. Sie arbeitete allerdings nie richtig in allen diesen Disziplinen (ausser einmal kurz als Assistenz-Kinderärztin), gebar jedoch sieben Kinder und ging in die Politik (wo sie es sich heute nicht nehmen lässt, auch mal über Digitalwährungen zu sprechen).

Waldmeyer beeindruckte vor allem diese beachtliche Kinderschar: 7 (sieben!). Er erinnerte sich noch an die Schmerzen, die er bei Laras Geburt durchstand und versuchte diese Folter mit sieben zu multiplizieren. 

Aber zurück zum CV Ursulas: Sie war sogar kurz einmal deutsche Verteidigungsministerin. Allerdings verliess sie das Schlachtfeld mit Fliegern, die nicht fliegen konnten, Panzern, die kaputt brach lagen und Gewehren, deren Läufe nach ein paar Schuss runterhingen. Trotzdem schaffte sie es anschliessend, Präsidentin der Europäischen Kommission zu werden. Nun orchestriert sie Euroverschuldungen in Billionenhöhe und verhandelt zum Beispiel auch komplexe Brexitverträge. Ein Übermensch? Ein Universalgenie? Intelligent ist sie ja, zweifelsohne – und ehrgeizig auch. Aber kann man denn auf so vielen Gebieten beschlagen sein? Waldmeyer war überzeugt, dass sie auch virtuos Harfe spielen und eine Medaille in Synchronschwimmen holen könnte.

Waldmeyer seinerseits kann immerhin auf ein profundes Ökonomiestudium, eine bescheidene Offizierskarriere, ein paar Sprachaufenthalte und eine einigermassen erfolgreiche Laufbahn als Unternehmer zurückblicken. Was sich allerdings, im Vergleich zu unserer ewigen Studentin und heutigem Politcrack, ziemlich unspektakulär anhört. Aber sein CV erschien ihm nicht weniger zielführend, was die Voraussetzungen für eine Topposition in der Politik anbelangen könnte. Wenn man es mit einem doch etwas zerfledderten Lebenslauf wie dem von der Leyens in solche Spitzenpositionen schafft, warum nicht auch mit Waldmeyers CV…?

„Charlotte, sollte ich nicht auch in die Politik gehen?“, fragte Waldmeier seine Frau.

Nur, man müsste eben sofort oben reinkommen. Zum Beispiel gleich Bundesrat Berset ersetzen und echte Krisenführung betreiben. Und dann diesen BAG-Laden aufmischen. Dort vielleicht erst mal die Faxgeräte rauswerfen. Mit andern Worten: Management-Methoden einführen.

Charlotte antwortete immer noch nicht, sodass Waldmeyer sein Reflektieren jetzt abschloss, sich nochmals ein Glas Terre Brune einschenkte und beschloss, nichts zu beschliessen. Ganz staatsmännisch eben – als Politiker bereits.

Waldmeyer und die kollektivierten Dachgärten

Waldmeyer staunte nicht schlecht: Das Zürcher Stadtparlament, fest in grün-roter Hand, plant doch tatsächlich, künftig private Grünflächen und Dachterrassen öffentlich zugänglich zu machen. Das war jetzt doch mal was: mehr teilen, mehr gemeinsam, gelebte Sharing Economy quasi. Durchaus etwas marxistisch. Das Gemeinsame soll im Vordergrund stehen. Wird Zürich nun zu einem riesigen Kibbuz?

Waldmeyer dachte an seine ältere Schwester Claudia (früh-pensionierte Lehrerin, Otelfingen, SP, Kurzhaarfrisur, lustige farbige Brille): Diese verbrachte in den Siebziger Jahren tatsächlich ein paar Wochen in einem israelischen Kibbuz – wohl eine Vorstufe des Zürcherischen Gesellschaftsmodells, wie es heute ein paar versprengte, aber nichtsdestoweniger einflussreiche alt-sozialistische Grüne andenken. 

Waldmeyer dachte auch an seine jüngere Schwester Gabi (Zürich, ledig, Mobility, Co-Working-Space, Grün-Liberal, weisse Sneakers, viele Apps): Diese wohnt in einer coolen Altbauwohnung mit Zugang zu einem kleinen Dachgarten – welchen sich die Bewohner der Liegenschaft allerdings teilen müssen, ganz im Sinne dieser gelebten Sharing Economy, welcher seine Schwester generell huldigt. Waldmeyer freute sich darauf, Gabi danach zu fragen, ob sie es lustig fände, wenn sich künftig ein paar zusätzliche Zürcher (oder auch Sans-papiers) auf dem Dachgarten breit machen würden. Nicht nur im Sinne der Sharing Economy, sondern auf einer höheren Stufe, der Sharing Societyeben. 

Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter: Eigentum soll nun kollektiviert werden? Verkommt unser schönes Land zu einer sozialistisch verbrämten Bananenrepublik? Kommt es gar zu Kollektiven, wie sie in unserem nördlichen Nachbarland (der ehemaligen DDR) bis vor gut 30 Jahren praktiziert wurden? (Wobei derlei „Kollektiven“ natürlich streng geführt wurden und das Kollektive sich darin erschöpfte, dass kollektiv alle nichts an der Kollektive besassen.) Eine Vorahnung liefert uns im Moment Berlin: Dort werden Mieten per Dekret runtergesetzt, man denkt an Verstaatlichung eines grossen Teils der Immobilien – und die Immobilien-Investoren ziehen sich, konsequenterweise, in corpere aus dem Bundesland zurück.

Doch zurück zu Zürich: Bahnt sich hier vielleicht nur ein Zürcher Modell venezolanischer Prägung an, also ein Prozess ganz normaler Verstaatlichung?

Acht Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner sind künftig in Zürich geplant, fünf Quadratmeter für jeden Arbeitnehmer. Das ist die definierte Norm, um Glück und Lebensqualität in einer Stadt zu garantieren. Und, so die Idee, diese Grünverteilung sollte innerhalb der Stadt erfolgen, denn es kann ja nicht jeder über Mittag gleich auf den Üetliberg – das wäre nicht zumutbar. Zudem zählen die Grünflächen rund um Zürich nicht zu den geplanten Erholungsflächen. Sie liegen zu weit weg von der Innenstadt, oft abgetrennt durch eine Strasse, und ihr Erholungswert, so meinen die visionären Politiker, sinke damit rechnerisch auf null.

Die planungsgetriebenen Zürcher Politiker machen nun einen Bedarf von einer Million Quadratmeter an zusätzlich benötigten Erholungsflächen aus. Waldmeyer überlegte: Müsste für pöbelnde und Redbull-trinkende Halbstarke nun künftig die öffentliche Zugänglichkeit zum privaten grünen Innenhof durch die ebenso private Küche gewährleistet werden? Dürfen Zürcher Junkies künftig durchs Wohnzimmer schlurfen, um zum Kiffen in die Dachgärten zu steigen? 

Aber Waldmeyer dachte weiter, er begab sich quasi in einen Wartesaal des Konjunktivs: Was wäre z.B., wenn noch viel mehr verkollektiviert wird? Die Transportmittel etwa (inklusive die E-Bikes der grünen Politiker), seine IWC, das Bankkonto? Sein Schwimmbad an dem ansehnlichen Anwesen in Meisterschwanden? Oder schlimmer: seine Organe?

Aber das wäre vielleicht gar nicht so abwegig: Seine (Terre Brune gesättigte) Leber z.B. wäre nämlich nur bedingt transplantationsfähig. Also müsste man vielleicht gerade diese dem Kollektiv anbieten, als Pfand sozusagen, um nicht andere Dinge abgeben zu müssen!

Damit stand nun der politische Deal: ein Stillhalteabkommen. Eine Organspende – im Todesfall natürlich nur – gegen, beispielsweise, den persönlichen Dachgarten. Es handelte sich sozusagen um eine Situation wie mit den Klimazertifikaten, also um einen Ablass-Handel, ohne überhaupt handeln zu müssen.

Waldmeyer freute sich über diese Hypothese. In der künftigen kollektiven Gesellschaft könnte es vielleicht doch noch Verhandlungsspielraum und gesunder Geschäftssinn geben.

Soll Waldmeyer in weisse Trüffel investieren?

Waldmeyer war schon ein bisschen perplex: Da gibt es Zürcher Restaurants, welche elf  CHF (ja, 11.00 Franken!) pro Gramm Trüffel verlangen. Die edle Knolle wird natürlich nur in homöopathischen Dosen über die Pasta gehobelt. Ein Kilo käme nämlich hochgerechnet auf CHF 11‘000.- zu stehen.

Etwas jedoch konnte nicht stimmen. Waldmeyer ergoogelte, dass ein Kilo Trüffel auf dem Markt im Piemont oder in der Provence rund 1‘000.- Euro kostet. Im Internet im Schnitt 2‘000.-, im Grosshandel jedoch nur 250.-. Der „Spread“ ist damit enorm, unglaubliche Multiplikator-Gewinne scheinen sich aufzutun. Also in Trüffel investieren? Mit Trüffel handeln? Trüffel als Anlage-Währung nutzen?

Die Sache ist anspruchsvoll. Gold zum Beispiel ist Gold, Trüffel aber ist nicht gleich Trüffel. Weisser Trüffel beispielsweise ist wesentlich teurer als schwarzer, da intensiver. Der tatsächliche Preis von durchschnittlich 2‘000 Euro oszilliert nämlich zwischen 500.- bis 3‘500.- Euro. Im Schnitt immerhin 25-mal günstiger als Gold. Aber in gewissen Zürcher Restaurants sublimiert sich dann das Preis-Verhältnis Trüffel/Gold offenbar auf den Faktor fünf. Also nur noch fünfmal günstiger als Gold.

Was Waldmeyer mit einiger Konsternation ebenso zur Kenntnis nehmen musste: Mit zunehmender Menge steigt der Preis! Tatsächlich, der Trüffel straft sämtliche makroökonomische Regeln Lügen, denn je schwerer und grösser ein einzelner Trüffel ist, desto höher liegt sein Preis – nicht tiefer. Eine inverse Preis-Mengenkurve also. Das hatten wir doch schon bei Louis Vuitton: Wäre der Preis für das Plastik-Täschchen tiefer, würde die Nachfrage zurückgehen. Das Trüffel-Phänomen scheint sich jedoch nicht aufgrund einer marketing-psychologischen Veräppelung zu ergeben, sondern aus dem Verhältnis Trüffelrinde zu Trüffelfleisch, welches sich mit zunehmender Trüffelgrösse verbessert. Die kleinen Trüffel bestehen offenbar vor allem aus Rinde.

Ein weiteres Handicap, so analysierte Waldmeyer weiter: die Haltbarkeit von nur 14 Tagen. Ausser man verbuddelt die Trüffel wieder mühsam in der Erde.

Das alles erschwert selbstredend den Entwurf eines attraktiven Businessplans, reflektierte Waldmeyer – folglich müssten Alternativen her.

Also doch lieber Gold? Oder besser die Vorstufe von Gold, Anteile an Goldminen? Oder noch raffinierter: Lizenzen für Goldminen? Diese könnten von sehr viel bis gar nichts wert sein, also müsste eine entsprechende Investition über einen unglaublichen Hebel verfügen – sofern man natürlich den richtigen Einstiegszeitpunkt erwischt.

Die Glühlampe, die Waldmeyers Garagist kürzlich an seinem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) auswechseln musste, verfügte über einen ebenso beachtlichen Hebel: 28 Franken auf der Rechnung, versus wohl ein paar bescheidene Cents für die Produktion. Ähnlich wie das Ladekabel für Waldmeyers iPhone. In solche Dinge müsste man also investieren! Besonders heute, wo wir über unglaublichen Informationszugang verfügen und der ganze Globus auf Vorgarten-Grösse geschrumpft ist.

Es geht also um den Hebel. Den erhält man in der Tat oft mit Investitionen in die Vorstufe. Man ist also nicht so blöd und kauft und verkauft Öl, sondern man handelt mit Öl-Kontrakten, oder mit Öl-Optionen. Man kauft besser etwas, das man gar noch nicht kriegt, und verkauft es, bevor man es hat. Banken machen es ja auch so: Sie versuchen Zinsen einzunehmen, bevor sie die eigenen Zinsen bezahlen müssen – allein schon mit diesem Time-Gap, nicht mit der Zinsdifferenz, lassen sich dann die Boni zwischendurch finanzieren. Clevere Onlinehändler machen das auch: den Umsatz einsacken, bevor die Ware bezahlt ist. Kein Wunder, hat dieser Jeff Bezos so viel Vermögen angehäuft.

Waldmeyer hatte inzwischen den Faden zu den Trüffeln verloren. Er überlegte noch einmal, wie man hier trotzdem Geld verdienen könnte, die Marge ist ja phänomenal. Allerdings: Die Lagerung bereitete ihm etwas Kopfzerbrechen. Charlotte hätte wohl keine Freude, wenn er den Keller in der schönen Villa in Meisterschwanden mit diesen olfaktorisch intensiven Knollen belegen würde. Ein paar Apfelhurden voller Trüffel könnten allerdings locker ein paar Hunderttausender wert sein. Intelligenterweise müsste man jedoch auch im Trüffelgeschäft besser in die Vorstufe investieren. In Trüffelschweine etwa? Oder angenehmer: in Trüffelhunde? Aber, wenn schon, dann gleich in eine Trüffelhundezucht? Oder noch besser: in Trüffelhundezucht-Lizenzen? Nein, gewitzter: in den Handel mit solchen Zucht-Lizenzen, falls denn tatsächlich eine solche Plattform bestünde!? Und dann den Trüffelhundzuchtlizenzhandel hedgen – das wäre quasi agronomische Fintech.

Nein – es war alles zu kompliziert. Vielleicht ist der profane Konsum doch besser als die Anlage? Das ist bei vielen Dingen so; Waldmeyer dachte dabei an seinen Weinkeller – die dort gelagerten Terre Brunes, zum Beispiel nur, waren nie als Anlage gedacht, sondern für den  persönlichen Konsum, exklusiv nur für ihn. Und sie machen trotzdem Freude. 

„Charlotte, gehen wir heute ins Tre Fratelli? Luigi soll inzwischen die neuen Trüffel aus dem Piemont erhalten haben!“

„Ja, das wäre eine gute Option“, erwiderte Charlotte.

Waldmeyer blickte Charlotte entgeistert an: „Option…? Handelst du etwa mit Trüffeloptionen?“