Waldmeyers Länderanalyse (Teil IV)

Oder: Könnte der Body Mass Index ein Entscheidungs-Parameter für die Wahl des zweiten Wohnsitzes werden?

Waldmeyer wollte Charlotte schon früher erklären, dass er eigentlich am liebsten in ein Land mit einem möglichst niedrigen Body-Mass-Index (BMI) ziehen würde. Es wäre ja nicht sehr erbauend, wenn sich durch die hübschen Einkaufsstrassen und an den schönen Boulevards und Stränden nur übergewichtige Leute schleppen würden. Waldmeyers ketzerische Frage also: Sollte der BMI bei der Auswahl des „Second Homes“, also für den besten zweiten Lebensmittelpunkt (2.LMP) ein eigener Parameter darstellen? 

Tatsache ist, dass die Welt zusehends verfettet. Ein Länder-Ranking würde Fürchterliches zutage bringen, selbst bei der Beschränkung dieser Beobachtung auf ein paar reduzierte Länderoptionen: Die USA, Neuseeland und Australien liegen weit vorne, sie sind die Adipositas-Anführer. Sie buhlen zusammen mit Kuwait und Samoa um die höchsten Werte. Weiter vorne liegen nur noch ein paar ganz kleine pazifische Inseln.

Waldmeyer forschte nach den Ursachen. So verglich er die BMI-Rangliste mit dem Zivilisationsindex der Länder – was aber keinerlei Korrelation ergab. Auch das Prokopfeinkommen schien kaum ein massgebender Faktor zu sein, welcher die Essgewohnheiten – und damit den BMI –  stringent beeinflusst. 

Eine gesunde und ausgeglichene Ernährung sei eine Frage des Bildungsstandes, meinte Charlotte, und er solle doch bitte ablassen von diesen erniedrigenden Betrachtungen in Sachen BMI. Aber das mit dem Bildungsstand stimmt eben nur bedingt, denn warum verfügt Deutschland in Europa über den höchsten BMI, die Schweiz und die Niederlande über den niedrigsten? Studien kamen zum Schluss, dass es wohl „sozioökonomische Faktoren“ seien, welche den BMI eines Landes beeinflussen. Das hilft allerdings auch nicht weiter, um die handfesten Ursachen zu erkennen, welche Waldmeyers Länderbewertung bestimmen würden.

Waldmeyer entging es nicht, dass die Bevölkerung Italiens und Frankreichs über einen sehr tiefen BMI verfügt, übrigens auch Vietnam und Thailand (vielleicht genetisch bedingt?). Portugal, Spanien, Griechenland und Zypern dagegen verzeichnen nur mittlere Werte; das ging nicht nur aus den Statistiken hervor, sondern deckte sich durchaus mit Waldmeyers Beobachtungen an den verschiedenen Strandabschnitten in diesen Ländern. 

Plötzlich fiel es Waldmeyer wie Schuppen von den Augen: Es ist die Gastronomie!

Richtig, hier gibt es eine klare Korrelation, denn Länder mit einem tiefen gastronomischen Level haben einen hohen BMI, Länder mit einer guten Wertung in Sachen Food & Beverage haben eine schlankere Bevölkerung. Und dieser F&B-Index wiederum, so hatten wir in früheren Beiträgen bereits erfahren, liess sich auf die unterschiedliche Kolonialisierung der Welt zurückführen. Die Briten hinterliessen, historisch gesehen, nämlich weltweit diese gastronomische Blutspur, die Franzosen hingegen kolonialisierten (rein gastronomisch gesehen) sehr intelligent.

Waldmeyer war beruhigt. Es braucht also keinen neuen Parameter für seine Länderbewertungen, die BMI-Betrachtung war in seinen Analysen bereits berücksichtigt, sozusagen „eskomptiert“, wie Waldmeyers früherer Anlageberater, Pierino Caduff, es formulieren würde. Man könnte nun ganz einfach die Gastronomie-Wertung zu Rate ziehen, dann würden automatisch Länder in der Gesamtbewertung nach vorne rücken, welche über ansprechende Strassen- und Strandbilder verfügten.

Waldmeyer war sich dieser sozial heiklen Erkenntnisse durchaus bewusst. Er meinte deshalb gegenüber Charlotte, er wolle das BMI-Thema nicht weiter verfolgen – im geheimen Wissen darum, dass die ausgewählten Länder mit guten Küchen eben gleichzeitig auch über weniger optische Defizite verfügen. „Es hat sich erledigt, Charlotte, wir konzentrieren uns besser auf die F&B-Wertungen!“

Ist Max Waldmeyer paranoid? (Teil II)

Oder: Waldmeyer veröffentlicht seine 13 Theoreme in Sachen Katastrophen-Vorsorge

Katastrophen haben es nun einmal in sich, dass sie sich leider selten ankündigen. Sie sind etwa mit der gleichen Genauigkeit vorauszusehen, wie Bankanalytiker den Verlauf der UBS Aktie prognostizieren. Also gilt es, bestmöglichst Vorsichtsmassnahmen zu treffen. Von einem Katastrophenfall kann man z.B. auch während einer Reise erfasst werden. Frei nach Murphy’s Law könnte beispielsweise der Vesuv genau dann ausbrechen, wenn sich Waldmeyer in Neapel befindet. Wenn wir uns nur etwas weiter von zu Hause entfernen, laufen wir in vielen Fällen eher Gefahr, wenn nicht von Katastrophen, so doch zumindest von Infrastrukturdefiziten heimgesucht zu werden. Wir müssen uns also vorsehen. Waldmeyer hat dafür eine Checkliste ausgearbeitet, welche fairerweise nichts mit Paranoia, sondern einzig mit intelligenter Umsicht zu tun hat. 

Seit dem 8. Januar 2021 wissen wir, wie nahe wir an einem Blackout vorbeigeschrammt sind. Der Bundesrat hatte schon vor Jahren definiert, welche möglichen Krisen die höchsten Wahrscheinlichkeiten aufweisen. An erster Stelle steht dabei gerade eine Strommangellage. An zweiter Stelle eine Pandemie. Hohe Wahrscheinlichkeiten weisen beispielsweise auch Cyberattacken auf. Andererseits fehlen auf dieser Krisenliste klassische militärische Kriegsszenarien – so etwa die Gefahr, dass die Russen den Rhein überschreiten. Waldmeyer amüsierte sich, dass wir in der Schweiz jährlich sechs Milliarden für die Armee ausgeben – für ein Szenario also, dass der Bundesrat selbst gar nicht mehr als solches aufführt. Und das Peinliche nun: Für ein echtes Krisenszenario mit einer selbst deklarierten hohen Wahrscheinlichkeit – so einer Pandemie – waren wir nicht vorbereitet.

Waldmeyer ist überzeugt, dass wir auch auf eine Strommangellage nicht vorbereitet wären. Der Bundesrat würde dann wieder vor die Presse treten und wahrscheinlich erneut lügen. So wie bei den Masken. Er würde erklären, dass es Strom gar nicht braucht. Strom würde generell überschätzt, und der Bundesrat würde die Lage ausserdem studieren. Vermutlich würde man auf Bundesrat Bersets bewährte Formulierungen zurückgreifen: „Wir müssen jetzt einfach schauen, dass wir gut studieren können, wie wir dann entscheiden sollen…“ Oder ähnlich. Leider würde es im Falle eines Blackouts beispielsweise, einfach departementbedingt, insbesondere Simonetta Sommaruga treffen; sie wird als ausgebildete Pianistin vielleicht keine Traumbesetzung für die oberste Infrastruktur-Krisenchefin sein, aber sie wird bestimmt wieder dazu beitragen, dass ein Ruck durch die Bevölkerung geht. Nur wird damit das Licht nicht wieder angehen.

Genau deshalb meint Waldmeyer: „Selbst ist der Mann“ und hat dafür die 13 Waldmeyer’schen Theoreme entworfen (die sog. WM-Theoreme 1 bis 13). Im Wissen darum im Übrigen, dass die meisten künftigen Krisen wohl strombedingt sein werden.  

WM-Theorem Nummer 1: Der Mensch muss immer genügend Wasserreserven halten. (Wasser kann verseucht sein, die Versorgung gekappt oder lokal aufgrund von Stromunterbrüchen nicht hochgepumpt werden.)

WM-Theorem Nummer 2: Der Mensch darf die Reserven an haltbaren Lebensmitteln nie ganz ausgehen lassen (ebenso wenig die Reserven an Hygienemitteln, wir erinnern uns an die Geschichte mit dem Toilettenpapier).

WM-Theorem Nummer 3: Fahrzeuge sollten nie ohne mindestens eine halbe Tankfüllung stehen gelassen werden (Fahrzeuge müssen auch als Fluchtmittel betrachtet werden).

WM-Theorem Nummer 4: Der Mensch soll vom Netz unabhängige Leuchtmittel immer an den strategisch richtigen Orten bereithalten.

WM-Theorem Nummer 5: Der Mensch sollte immer genügend Bargeld in passender Währung im Safe und in der Brieftasche halten – in nicht zu grossen Noten.

WM-Theorem Nummer 6: Insbesondere der Digitale Mensch sollte unterschiedliche Provider für Mobiltelefone, Laptops und/oder Tablets wählen (nicht alle Anschlüsse über den gleichen Netzanbieter!).

WM-Theorem Nummer 7: Der kluge Mensch notiert alle Notfallnummern nicht nur in seinem Smartphone, sondern steckt zusätzlich einen ganz analogen „Notfallzettel“ mit den lebensrettenden und wichtigen Nummern in die Brieftasche (Aufführen der Blutgruppe nicht vergessen).

WM-Theorem Nummer 8: Der moderne Mensch soll die örtliche Bankverbindung auf zwei unabhängige Banken ausweiten (gilt auch für das Ferienhaus, wo immer sich dieses befindet).

WM-Theorem Nummer 9: Der Mensch muss die Notapotheke immer ausreichend bestückt halten (diese muss auch Schmerz- und Desinfektionsmittel sowie neu auch Masken, Schutzüberzüge und Handschuhe enthalten). 

WM-Theorem Nummer 10: Der umsichtige Mensch muss seine Versicherungsleistungen so anpassen, dass er sich von jedem Ort aus weltweit und jederzeit ins richtige Krankenhaus begeben oder ausgeflogen werden kann.

WM-Theorem Nummer 11: Der kluge Mensch unterhält im Haushalt so wenig wie möglich digitale Systeme: Schliesssysteme und Klospülungen beispielsweise dürfen nur analog vorgesehen werden („smart home“ Lösungen sind i.d.R. alle nicht krisentauglich).

WM Theorem Nummer 12: Der clevere Mensch deponiert Wertsachen, Schlüssel, Pass und wichtige Dokumente (Impfpass, in Papierform, nicht vergessen) zusammen an einem definierten Ort, damit diese jederzeit rasch und komplett greifbar bleiben.

WM-Theorem Nummer 13: Der moderne Mensch hält sich einen Generator. Bei jeder unabhängigen und/oder grösseren Immobilie gehört ein solches Gerät zur zwingenden Grundausstattung. Diese Regel gilt für fast alle Länder, von Florida über alle mediterranen Länder bis Bali. Und seit dem 8. Januar 2021 auch für die Schweiz. Ein Stromunterbruch über mehrere Stunden oder Tage zerstört nicht nur den kostbaren Inhalt des Kühlschrankes oder des Weinkellers, er kappt den Menschen ganz einfach von seiner Aussenwelt. Sogar die Klospülung könnte so lahmgelegt werden, da die Wasserpumpe nicht mehr funktioniert. Und Mobiltelefone und Laptops müssen selbstverständlich immer aufgeladen werden können. Ein paar Kanister Treibstoff gehören ebenso zur Grundausrüstung. Bei der Wahl des Generators gelten zwei Regeln: erstens eher etwas stärker und zweitens das Modell so auswählen, dass der Treibstoff kompatibel mit dem Fluchtfahrzeug ist (also entweder Benzin oder Diesel). 

Das 13. Theorem betrachtet Waldmeyer übrigens als fast das wichtigste, auch wenn er damit in der Nachbarschaft in Meisterschwanden nur Spott erntet. Waldmeyer lächelte und dachte dabei an seine Nachbarin Bettina Honegger (die mit den Verschwörungstheorien), wie sie im Dunkeln angekrochen käme und um zehn Minuten Aufladezeit für ihr Handy betteln würde. Waldmeyer würde die Hilfe vielleicht verweigern und sie daran erinnern, dass so eine Auszeit doch auch der Gesundheit zuträglich sein könnte. Waldmeyer würde Bettina auch daran erinnern, dass es doch 5G-Antennen waren, die (mithilfe Bill Gates) die Pandemie ausgelöst hatten!

Zu seinen 13 Theoremen meint Waldmeyer generell: kleine Vorsichtsmassnahme, grosse Wirkung. Er orientierte Charlotte mittels einer abschliessenden Konklusion: „Und diese Denke gilt auch als Vorbeugung für die nächste Pandemie, so zum Beispiel Covid-27.“

Wieder einmal unterbrach Charlotte dieses singuläre Brainstorming Waldmeyers und erinnerte ihn an die Ferienplanung: „Was ist jetzt mit Italien im September, Schatz?“ Waldmeyer blickte entgeistert zurück: „Aber nicht bis Neapel runter, ja!“

Max Waldmeyer im Gespräch in Sachen weltweiter Gastronomie

Ein Interview mit Daniel Füglister, CEO Hotelfactory AG

Daniel Füglister ist CEO der Gastronomie- und Hotelberatungsfirma Hotelfactory AG. Er versucht, Max Waldmeyer ein paar Statements zu entlocken in Sachen weltweiter Gastronomiegeschichte. Waldmeyer kocht gerne auch einmal selbst – aber er lässt vor allem kochen und kann dabei auf seine polyglotten Erfahrungen zurückblicken. Daniel Füglister versucht, ihn in die Zange zu nehmen.

Daniel Füglister (DF): Max, du erklärst immer, die weltweit unterschiedliche Gastronomie sei einfach „gesellschaftsbedingt“. Die Aussage erscheint mir doch etwas dürftig. Wie meinst du das?

Max Waldmeyer (WM): Nun, schau dir nur mal Europa an. Der Deutsche sieht sich als Kunde des Staates. Der Schweizer als Teil von ihm. Den Briten andererseits ist der Staat völlig egal, solange dieser ihn in Ruhe lässt. Der Franzose sieht den Staat als Gegner, der Spanier ebenso (er hat Angst vor dem Staat). Der Italiener ist frei vom Staat, er hat den Glauben an ihn schon lange verloren und richtet sich autark ein (alternativ glaubt er an die Familie und an die Mafia). 

DF: Schön und gut, aber was, bitteschön, hat das nun mit Gastronomie zu tun?

WM: Gar nichts. Es zeigt nur auf, wie sich die Gesellschaften unterschiedlich entwickelt haben. Genauso wie die Geschichte der Staaten – und entsprechend eben deren Gastronomie.
Und wenn wir schon über Geschichte sprechen: Absolut prägend beispielsweise war die unterschiedliche Kolonialisierung der Welt.

DF: Kannst du das ein bisschen erläutern?

WM: Schau dir mal die Briten an: Ihre kulinarische Basis war, historisch gesehen, immer schon sehr bescheiden. Dann zogen sie los und eroberten die Welt – und verbreiteten dabei in ihren Kolonien die schlechte Küche. Überall dort, wo sie ihre Überseegebiete errichteten, zogen sie eine gastronomische Blutspur hinter sich her: in den USA, Australien, Neuseeland, sogar in der Karibik, im Atlantik und im Pazifik. Die Spanier und die Portugiesen machten es übrigens auch nicht besser. Rein kulinarisch gesehen war da die französische Kolonialisierung geradezu ein Segen. Überall dort, wo sie ihre Kolonien bildeten, isst man auch heute noch hervorragend! 

DF: Du erklärst allerdings die italienische und nicht die französische Küche zur besten der Welt. Da bin ich einverstanden, das Statement könnte auch von mir kommen. Aber warum ist das so…?

WM: Schau dir doch nur mal die merkwürdige Geografie des Landes an. Dieser Stiefel hat es in sich, denn insgesamt verfügt das Land über eine Küstenlänge von 7‘600 km. Zur Römerzeit war es natürlich bedeutend mehr. Aber noch heute ist das rekordverdächtig, denn so grenzt Italien mit 7‘600 km an das Mittelmeer. Italien ist also das mediterranste Land der Welt. Geht man nur etwas ins Landesinnere, z.B. in der Toscana, landet man gleich wieder auf der anderen Seite am gleichen mediterranen Meer. Dazwischen liegen nur Weinberge und bestenfalls ein paar Trüffel. Italien ist also durchtränkt mit „mediterran“, mit Olivenöl, Früchten des Meeres, guten Weinen. Kein Wunder, liegt Italien so auf dem 1. Platz.

DF: Mir fehlt nun aber der gesellschaftliche Link.

WM: Anstelle an den Staat glaubt der Italiener wie gesagt an seine Familie, er glaubt an die Kirche und die Mafia. Aber eben vor allem an seine Küche. Die Italiener haben hier einfach einen bemerkenswerten kollektiven Wettbewerbsvorteil – gerade aufgrund dieses fundamentalen Ersatzglaubens. Schade, hatte Italien früher nicht mehr Kolonien.

DF: Italien kolonialisiert die Welt heute vielleicht einfach mittels Export seiner Küche, auch weltweit! Nun, gehen wir nochmals zurück zur französischen Küche. Sie gilt ja als die raffinierteste weltweit. Wie siehst du hier den gesellschaftlichen Hintergrund?

WM: Böse Zungen behaupten, die Italiener hätten ihre Küche nach Frankreich gebracht. Es war jedoch eher so, dass die Haute Cuisine mit ihrer endlosen Menüabfolge einfach aus Langeweile am französischen Hof entstand. Dieser war zudem gesellschaftlich bestimmend in ganz Europa. Ja, und dann haben die Franzosen die Restaurants erfunden. In ihrer monarchischen Denke sind sie heute nicht weiter, und nur schon der Glaube an die Grande Nation hilft ihnen, dauernd an die herausragende Küche zu denken. Paul Bocuse mit seiner marketingmässig exzellent lancierten Nouvelle Cuisine trug dann das Ihre zum Mythos bei. Bocuse war übrigens ein lustiger Kerl, er mischte auch schon mal etwas Kuhmist in ein Gericht.

DF: Ansonsten nehmen die Franzosen ihre Küche natürlich sehr ernst.

WM (seufzt): Todernst. Hier hört der Spass auf. Ich selbst wurde im Restaurant nicht nur einmal von Kellnern zurechtgewiesen.

DF: Hier ein paar Stichworte: Was fällt dir zu Sauce Hollandaise ein?

WM: Ja, diese ist wohl ein Ärgernis für die Franzosen, weil sie nicht Sauce Française heisst. Aber die Holländer verfügten damals wohl einfach über die bessere Butter.

DF: Und Tournedos Rossini?

WM: Dieser Rossini konnte gar nicht kochen; er war nur Komponist.

DF: Und Filet Wellington?

WM: Wir kennen diesen Typ, den Wellington, gar nicht richtig. Er war sicher auch kein Koch. Wohl eher ein zweitklassiger General, der sein totes Pferd aufgegessen hat – zumindest das Filet davon.

Gehen wir besser nochmals zurück zur Kolonialisierung: Während die Briten nur etwas Chutney und Pfeffer nach Hause trugen, brachten die Franzosen viel mehr an Ideen aus der ganzen Welt an den heimischen Herd. Ich meine damit nicht den Couscous, der heute in den Banlieus von Paris gekocht wird. Sondern z.B. die Gewürze und Rezepte, die aus Indochina und Afrika stammen. Das führte sicher zu den Höchstleistungen.

DF: Solche Höchstleistungen gab und gibt es auch immer noch in Fernost!

WM: Einverstanden, die japanische Küche beispielsweise ist hervorragend; die Japaner essen aber einfach viel zu schnell. Ist auch kein lustiges Volk, auch beim Essen nicht. Ebenso hervorragend ist die thailändische Gastronomie – oder die vietnamesische, die notabene gerade dank der französischen Kolonialisierung weiter verfeinert wurde. Auch dürfen wir die Peruaner nicht vergessen, zumal sie die spanischen Konquistadoren zumindest kulinarisch überlebt hatten. Die Peruaner, bzw. die Inkas, kennen „Ceviche“ seit tausend Jahren. Die Spanier klauten den Inkas jedoch nur ihr Silber, nicht aber die Rezepte. Das war ziemlich dumm. Die Spanier frittieren auch heute immer noch alles, ein Jammer.

DF: In vielen Ländern ist der Stellenwert der Küche natürlich eine Frage der Zivilisation.

WM (überlegt kurz): Der neue Internationale Brutvögelatlas hat 1‘000 Seiten. Und Finnwale können bis zu 150 Jahre alt werden.

DF: Max, konzentrier dich bitte aufs Interview!

WM: Was ich damit sagen möchte: Viele Gesellschaften und viele Menschen interessieren sich einfach für ganz andere Dinge, nicht für die Gastronomie. Das ist schade. Beispielsweise die Amerikaner. Sie könnten sich eine anspruchsvollere Küche leisten, tun es aber nicht.

DF: Du meinst, das geht über die historische Schuld der Briten hinaus?

WM: Betreffend der britischen Verantwortung, so denke ich, können sich die Amerikaner heute auf die Gnade der späten Geburt berufen. Nicht aber betreffend der aktuellen Vergehen. Die USA trifft eine kollektive Schuld, nämlich durch die weltweite Verbreitung des Fast Food. Sie sind u.a. verantwortlich für den in vielen Ländern explodierenden BMI (Anmerkung Red.: Body Mass Index).

DF: Danke für das Interview, Max. Genau hier werden wir das nächste Mal unser Gespräch fortsetzen: Wir werden über die schlechtesten Küchen der Welt sprechen!

WM: Gerne, das wird allerdings ziemlich unappetitlich werden!

Waldmeyers Länderanalysen (Fortsetzung)

Oder das Geheimnis, wie man sich ein persönliches bedingungsloses Grundeinkommen sichert und gratis zum zweiten Wohnsitz kommt

Max Waldmeyer war schon immer von der Idee fasziniert, einen zweiten Lebensmittelpunkt zu errichten (2.LMP). Gleichzeitig faszinierte ihn auch die Idee des BGE (des bedingungslosen Grundeinkommens) – zumal z.B. im Zürcher Kantonsparlament diesbezüglich immer wieder heftig diskutiert wird. Pointiert links regierte Länder haben es auch schon eingeführt. Waldmeyer überlegte also, ob sich die beiden Themen, das heisst 2.LMP und BGE, eventuell elegant verbinden liessen: Könnte man den Ort eines Second Homes nämlich so wählen, dass dieser ihm gleichzeitig ein bedingungsloses Grundeinkommen sichern würde…? Die Lösung dieser Frage sah nach einer typischen Management-Aufgabe aus.

Waldmeyer hatte Charlotte versprochen, das mit der Suche nach einem Second Home nun systematisch an die Hand zu nehmen. Schon seit einiger Zeit spielten sie mit dem Gedanken, die Ferienwohnung im Tessin gegen ein richtiges zweites Zuhause – wo auch immer auf der Welt – einzutauschen. Allenfalls sogar mit einer Verlegung des formellen Wohnsitzes. Die Suche war anspruchsvoll. Doch Charlotte war gleichzeitig froh, Waldmeyer dergestalt beschäftigt zu wissen. Denn seit seinem Ausstieg aus der Firma neigte er zuweilen etwas zur Unterbeschäftigung.

Die Bedenken Charlottes waren indessen umsonst. Waldmeyer war äusserst absorbiert von allerlei Analysen. Die grosse finanzielle Bandbreite der Lebenshaltungskosten in den verschiedenen Ländern führte Waldmeyer beispielsweise zu einer zusätzlichen Idee: Sollte der zweite Lebensmittelpunkt in einem Niedrigkostenland definiert werden, so entstünde eine Ersparnis an Lebenshaltungskosten (ein „Agio“ sozusagen), welches im Kopf als plötzlich erlangtes Grundeinkommen definiert werden könnte. Natürlich als „persönliches bedingungsloses Grundeinkommen“, da selbstfinanziert. Immer mehr Leute kokettieren ja damit, von einem bedingungslosen Grundeinkommen zu leben – das ihnen selbstredend der Staat verschafft. Waldmeyer ging hingegen einen Schritt weiter, indem er sich dieses selber erschaffen wollte.

Ja, so könnte ein Second Home sozusagen zu einem „Arbitrage-Ort“ werden. Es ergab sich also dieser neue Aspekt, dass die am kostengünstigen neuen Ort mittels Ersparnissen virtuell „verdienten“ neuen Mittel mit den Mehrkosten für den doppelten Wohnsitz gegengerechnet werden könnten. Andererseits dürften allfällige Steuerersparnisse aufgrund des neuen, klug gewählten Domizils wieder subtrahiert werden. Und falls in der neuen Heimat nur einigermassen intelligent und langfristig in eine Immobilie investiert würde, könnte mit dem so gewonnenen Mehrwert die Bilanz nochmals zusätzlich aufgebessert werden. Alles klar?

Quintessenz: Ein zweiter Lebensmittelpunkt könnte durchaus gratis sein! Oder Waldmeyer könnte, anders ausgedrückt, mit einiger Raffinesse sein PBGE (persönliches bedingungsloses Grundeinkommen) erzielen, ganz individuell, ohne staatliche Beihilfe, indem er einen zweiten Wohnsitz wählt.

„Charlotte, wir sollten uns ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffen!“, rief Waldmeyer ins Gym rüber.

„Max, konzentrier dich jetzt bitte auf die Länderanalysen, ja“, entgegnete Charlotte. „Wir kommen so nicht weiter!“ 

Axel Waldmeyer flieht aus Deutschland

Diesen Herbst stehen Wahlen an in Deutschland. Es gibt die nicht ganz unrealistisch Variante, dass die derzeitige flügellahme Koalition abgewählt und tatsächlich eine Grün-Rot-Rote Mehrheit ans Ruder kommt.

Die Linke (also die Dunkelroten) sieht in ihrem Programm gar vor, erst einmal richtig bei den Vermögenssteuern anzusetzen. Laut Plan sollen 10% auf höheren Vermögen einmalig abgeliefert werden, anschliessend sollen es nochmals 5% Vermögenssteuern sein – jährlich. Kapital soll also, indirekt via Staat, neu verteilt werden. Karl Marx würde aufwiehern for Freude im Grab! Droht hier demnächst eine gesellschaftspolitische Zeitbombe zu explodieren?

Waldmeyer überlegte sich, was er tun würde, wenn er jetzt Deutscher wäre und in Deutschland leben würde.

Max Waldmeyer wäre also z.B. Axel Waldmeyer. Axel wäre ebenso Mitte 50, ein nicht mehr operativer Unternehmer, lebte an der Elbe in Hamburg, in einem schönen Haus. Er wäre quasi ein Klon des Schweizer Waldmeyers aus Meisterschwanden. Axel Waldmeyers Frau heisst übrigens Heike, und auch sie ist, wie Charlotte, Interior Designerin. 

Die Aldi-Kassiererin in Lörrach verdient ziemlich genau die Hälfte ihrer Kollegin in Basel. Sie bezahlt jedoch kaum Steuern. 50% der deutschen Bürger (also der BürgerInnen oder Bürger*innen, oder vielleicht der Bürgerern?), bezahlt nämlich keine. Die andern müssen demzufolge etwas mehr abliefern. Auch Axel. Bald die Hälfte des BIP wird via Staat realisiert, und die Staatsverschuldung steigt rasant. Dennoch kann es sich das „reiche“ Deutschland leisten, so die Grün-Rot-Rote Politik-Phalanx, welche zurzeit zum Sprung in die deutsche Regierung ansetzt, jetzt noch einmal so richtig in die Staats-Schatulle zu greifen und Geld zu verteilen. Wegen Corona, und überhaupt. Bezahlt werden soll es ganz einfach mit neuen Schulden, aber auch mit einem weiteren Griff ins Portemonnaie der Vermögenden und Gutverdienenden.

Die Maximale Progression bei den Einkommenssteuern greift in Deutschland bereits bei 54‘000 Euro. Axel und auch Heike hatten nun während Jahren über die Hälfte ihrer Einkommen brav abgeliefert. Das war natürlich nie motivierend. Und dann dieser frivole Umgang der deutschen Regierung mit den Steuergeldern! Doch Axel Waldmeyer war nicht erst jetzt verstimmt. Ihn bedrückten seit einiger Zeit auch die deutschen Erbschaftssteuern von 19% (sogar für direkte Familienangehörige). Zwar gibt es einen Freibetrag vor 400‘000 Euro, aber wenn die Weitergabe eines KMUs ansteht, wird’s brenzlig. Wer soll denn die Erbschaftssteuer, und mit welchen Cashmitteln, bezahlen?

Sollten da Jürgen und Jutta (die Klons Max Waldmeyers Kinder Noa und Lara) nicht besser heute schon alternative Strategien schmieden? Bevor dieser neue brachiale Etatismus mit den bekannten Umverteilungstricks greift? Wenn sie Deutschland verlassen würden, wäre das quasi Mainstream: 200‘000 Deutsche pro Jahr tun es ebenso. Dabei handelt es sich selbstredend nicht um abgewiesene Asylbewerber, sondern um stinknormale Deutsche.

Axel Waldmeyer wusste: Reichtum macht nicht glücklich, Armut aber auch nicht. Es war nun einfach Zeit, vorzusorgen. Bevor die neue Politik ansetzt und die „Gesellschaft grundsätzlich umgekrempelt“ wird – so in etwa die Aussagen von Annalena, der Grünen, die mit dem Kanzleramt kokettiert. Diese hat allerdings noch nie ein richtiges Exekutivamt bekleidet. Sie müsste sich dann halt etwas einarbeiten, das Kanzleramt und die Bundesministerien beschäftigen indessen immerhin 18’000 Mitarbeiter. Das sind Konzernmassstäbe und etwa so viel wie bei der Swisscom, also auch etwas zu viel und zu ineffizient. Ob das nur gut geht…?

Deshalb fasste Axel nun einen Plan: die Flucht. 

Vorerst beriet er sich noch mit Jochen Rubinstein, Axel Waldmeyers Freund und Steuerberater (Ende 50, gross und schlank, grüner Cord-Veston, Pferdeleder-Schuhe, randlose Brille). Rubinstein warnte: „Waldmeyer, so geht das nicht. Es ist nicht so einfach, den Wohnsitz ruckzuck ins Ausland zu verlegen. Als einigermassen gut verdienender Deutscher Bürger ist man leider ein bedauernswertes Opfer des fiskalischen Imperativs. In Deutschland gilt der Ansatz des „gewöhnlichen Aufenthaltes“, welcher die Betrachtung des Lebensmittelpunktes sogar übersteigt und die 182-Tage-Regel sofort aushebeln kann. Ausserdem kommen hier noch Aspekte einer ziemlich perfiden “Wegzugssteuer“ hinzu: So kann ein Deutscher Staatsbürger noch während den folgenden zehn Jahren nach seinem Wegzug in ein „Niedrigsteuerland“ für alle Einkünfte aus Deutschland zur Kasse gebeten werden. Als Niedrigsteuerland gilt eigentlich fast alles, denn es sind natürlich nicht nur die Bahamas gemeint. Die Behörden gehen von einem effektiv bezahlten Steuersatz von 22% und weniger aus, um als „niedrig“ zu gelten. Damit sind nicht nur die klassischen „Steueroasen“ betroffen, sondern auch einige Länder Europas, wie z.B. Zypern oder Bulgarien, Ungarn oder je nach Kanton auch die Schweiz.“

Ausserdem, was die Schweiz betrifft, meinte Rubinstein noch: „Willst du von der Steuerhölle ins Steuer-Fegefeuer?“

„Ich gehe sicher nicht nach Bulgarien“, seufzte Waldmeyer. „Ich melde mich einfach ab und versuche nichts mehr zu verdienen, so muss ich auch keine Steuern bezahlen.“

Rubinstein führte weiter aus, und Waldmeyer fasste für sich zusammen: Er müsste alle Brücken abbrechen, ansonsten der deutsche Fiskus ihn nie gehen lassen würde. Er müsste sein Unternehmen verkaufen und dabei eine Kapitalgewinnsteuer von 25% entrichten. Er müsste auch sein schönes Haus an der Spree verkaufen. Überschreibung an die Kinder zählt nicht, auch eine Vermietung an Dritte nicht. 

Axel hatte nun verstanden: Er stand, nur schon kraft seines Seins, unter Generalverdacht, und die Lage wird sich nun noch zuspitzen. Die Gesellschaft, so die neue Politik, sollte nämlich grundsätzlich verändert werden. Das neue Modell würde (tatsächlich eine Idee einer ganzen Reihe von Linksaussen) einer „DDR, aber mit Internet“ entsprechen. Es sollen alle Verhältnisse umgeworfen werden. Das Primat des Staates sollte gelten, welcher eben nimmt und gibt. Aber dies würde nun, so Axel Waldmeyers Entscheid, ohne ihn stattfinden.

Rubinstein meinte noch, dass nun ein minutiöser Wegzugsplan her müsse. Er zitierte dabei Benjamin Franklin: If you fail to plan, you are planning to fail. Und er nuschelte noch etwas von „erweiterter beschränkter Steuerpflicht nach dem Wegzug“, von „Hinzurechnungssteuern“, „Oasenerlassen“ und „Fluchtsteuer“. Und die Jagdhütte müsse er, Axel, auch verkaufen.

Aber Waldmeyer wäre nicht Waldmeyer, oder Axel nicht Axel oder Max nicht Max oder Axel nicht Max, wenn er nicht einen Plan hätte: nämlich Malta! Axel könnte zum Digitalen Nomaden werden. Er würde heute schon alles liquidieren in Deutschland und sich offiziell in Malta anmelden. Dort eine nette Wohnung kaufen, eine steueroptimierte Firma errichten, über welche er ein bisschen financial engineering betreiben könnte. Ansonsten würde er aufs Meer schauen oder etwas reisen. Ganz vorsichtig würde er im Sommer ein paar Tage im Allgäu verbringen. Vielleicht unter einem falschen Namen in Hamburg ein paar Freunde besuchen. Ein ganz raffinierter Plan B also, nur jetzt schon umgesetzt. 

Max Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter, obwohl er vor seinem wärmenden Cheminée in Meisterschwanden sass und er Max und nicht Axel war. Das alles waren schlechte Aussichten. Aber eben: besser heute als morgen handeln.

Waldmeyer schaute traurig zu Charlotte rüber: „Heike, wie weit bist du mit dem Kofferpacken?“ Charlotte schaute Waldmeyer entgeistert an und verdrehte nur die Augen.

Waldmeyer studiert die Aussteigerorte

Waldmeyer ist kein „Aussteiger“. Aber dennoch, man könnte ja damit kokettieren, einer zu sein. Er überlegte sich nämlich, ob extrem niedrige Lebenshaltungskosten vielleicht doch noch zu einem cleveren Entwurf eines Aussteiger-Konzeptes verleiten könnten. 

Der Gedankengang, nicht mit Charlotte abgesprochen, sieht Waldmeyer einfach als Notfallplanung. Zum Beispiel, wenn er sein ganzes Vermögen an der Börse verspielt hätte. Aber es sollte dann nicht irgendein Land sein – bei der Auswahl der Orte müsste nämlich eine gewisse Systematik mitspielen.

Das mit dem Albanien-Tipp kürzlich für seinen Sohn Noa war natürlich ein Flopp. Noa würde nie nach Albanien ziehen, nicht einmal wegen seiner albanischen Freundin Bekime (zumal Bekime offenbar doch eher als friend with benefit klassifiziert wurde). 

Die Gedankengänge betreffend „Auswandern“ hatten aber einen gewissen Reiz und brachten Waldmeyer auf die Idee, das nun ein bisschen für sich selbst durchzuspielen. Als vorbehaltene Entschlüsse quasi, als contingency plan –so, wie er das früher als CEO immer gemacht hatte. Waldmeyer könnte also so tun, als ob er „austeigen“ möchte, obwohl er gar nicht richtig wollte, um so, nur virtuell, Optionen zu prüfen.

In der sozialen Aussenwahrnehmung ist es heute ohnehin nicht mehr cool, Unternehmer zu sein. Schon gar nicht Ex-Unternehmer. Da stehen andere Berufs- und Lebensentwürfe viel höher im Kurs. So wäre es sicher angesehener, sich als Influencer oder Blogger an einem angesagten Ort zu betätigen (in Chang Mai beispielsweise?), oder sich als Digitaler Nomade zu profilieren (vorübergehend beispielsweise in Bogotá). Man könnte auch  Philanthrop werden oder Schauspieler – oder sich als Gründer einer Kryptowährung profilieren (siehe Waldmeyer lanciert seine Kryptowährung, 20.12.2020). Oder, ein brandaktueller Ansatz und letztlich ganz simpel: normal aussteigen und ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen. Immer noch besser, als einfach zuhause zu bleiben, sich den Körper tätowieren zu lassen und sich verbissen eine coolere Identität zuzulegen. 

„Aussteigen“, so Waldmeyers Wahrnehmung, verbindet man mit „richtig weg“, „günstig leben“ und „nichts tun“. Dies einmal abgesehen von merkwürdigen Selbstfindungsansätzen. Also müssten die möglichen Zielländer unter diesen Prämissen analysiert werden. Das Wichtigste dabei: Lower the Cost of Living. Denn richtig Aussteigen geht nicht, ohne die Lebenshaltungskosten drastisch runterzubringen.

Nun zur Systematik: Wenn wir Zürich als Benchmark nehmen (Lebenshaltungskosten in USD Index 100, also 100 Punkte) sollten wir demzufolge untersuchen, in welchen Ländern diese Punktzahlen richtig runterkommen. Hier eignen sich, ganz in der Nähe, eindeutig Kroatien (Index 39, also 39 Punkte) oder Griechenland (45 Punkte), notfalls die Türkei (30 Punkte) – vor allem im Wissen darum, dass an peripheren Orten in diesen Ländern, also nicht in den Citys, das Leben nochmals deutlich günstiger sein wird. 

Oder doch etwas weiter weg? Mauritius (40 Punkte) sowie viele Länder in Südamerika oder Fernost könnten sich hervorragend eignen. Die Statistik der Lebenshaltungskosten könnte Waldmeyer automatisch zu den richtigen Zielen führen. Man müsste die Zahlen nur mit Zürich vergleichen, dann würde es einem wie Schuppen von den Augen fallen.

Vereinfachend kommt nämlich hinzu, dass es eigentlich an allen Orten weltweit günstiger ist als in der Schweiz! In der Tat: Sogar in Singapur oder in Miami wären die normalen Lebenshaltungskosten tiefer als in Zürich! Zum Aussteigen eignen sich allerdings nur Orte, die wirklich günstig sind. Südspanien (39 Punkte) bietet sich tatsächlich als eine der naheliegendsten Destinationen an. Oder irgendeine griechische Insel (die günstigsten liegen bei 37 Punkten), für Mutigere dann Bali (36 Punkte) oder Thailand (ebenso 36 Punkte). Sensationell günstig wären, wenn auch etwas peripher gelegen, die Azoren (36 Punkte).

Zum Aussteigen gehört indessen auch ein gutes Klima, denn sonst lässt sich das Rumfläzen nur unbefriedigend umsetzen. Gewisse Länder fallen deshalb sicher gleich weg. Bolivien zum Beispiel (28 Punkte), oder Kasachstan (obwohl wirklich sehr günstig mit 26 Punkten). Dann doch lieber noch Casablanca (34 Punkte). Humphrey Bogart wusste wahrscheinlich sehr genau, warum. Damals.

Für die zweite Stufe einer Notfallplanung müsste Waldmeyer wohl die Liste mit den angenehmen Orten verlassen. Es wäre sozusagen die „Nuklearoption“, sollte er wirklich völlig abgebrannt dastehen und es nochmals einen Quantensprung günstiger sein müsste. Waldmeyer könnte vorerst nach Albanien ziehen (nur 18 Punkte!). Also doch wieder dieses seltsame Albanien? Der Sache müsste man vielleicht trotzdem nochmals nachgehen.

Für ein Worst-Case-Szenario müsste allerdings Rawalpindi in Pakistan gewählt werden (11.5 Punkte); Waldmeyers Kosten würden sich auf einem rekordverdächtigen, vernachlässigbaren Bruchteil seiner heutigen Ausgaben bewegen. Selbst mit der minimalen staatlichen Schweizer Rente, der AHV, liesse sich hier – vor allem im Vergleich zum lokalen Umfeld – in Saus und Braus leben.

Bruno Spirig, Waldmeyers etwas windiger Cousin, hatte sich aus diesen Gründen ja nach El Hierro verzogen, auf diese kanarische Mini-Insel, mitsamt seinen erschlichenen Corona-Krediten (vgl. Waldmeyer-Rapport vom 11. Mai 2020). El Hierro hat nur 33 Punkte. Bruno war schon immer ein cleverer Kerl.

„Also Rawalpindi kommt trotzdem nicht in Frage“, murmelte Waldmeyer gedankenversunken zum anderen Ende des Livings, zu Charlotte, rüber. Charlotte antwortete so, wie sie oft zu antworten pflegt: einfach gar nicht.

Waldmeyer und der Geheimtipp Albanien

Oder: Wohin man auswandern könnte, oder auch nicht

Waldmeyer war seinem Sohn Noa (24, studiert Betriebswirtschaft in Zürich, Freundin: Bekime, albanisch) eine Antwort schuldig. Er wollte ihm einen Auswanderungs-Ort präsentieren, der klimatisch attraktiv ist, wo das Leben günstig ist, und es sollte sich überdies lohnen, dort Geld zu verdienen und zu investieren. Aufgrund der drohenden 99%-Initiative galt es in der Tat, langsam nach Alternativen zur Schweiz Ausschau zu halten. Also warum nicht Albanien? Nur schon wegen Bekime.

Es hätte auch Goa sein können, der Hippieort der Siebziger, die hübsche portugiesische Ex-Kolonie an der indischen Westküste. Oder Nimbin, das Kiffermekka in Australien, nahe dem bekannten Urlaubsort Byron Bay. Oder einfach die USA – mit einer Tellerwäscher-Karriere oder so, wie früher. Waldmeyer wäre indessen nicht Waldmeyer, wenn er nicht out of the box denken würde. Mit einer Prise Provokation natürlich.

Also präsentierte er am nächsten Sonntagvormittag am Frühstückstisch (Noa schien noch etwas eingeknickt, was wohl am Restalkohol lag) seine Albanien-Idee. Albanien ist nämlich ein Geheimtipp: Es ist der verlorene Riviera-Staat am Mittelmeer!

Die drei Millionen Einwohner in dem kleinen Land an der Adria verfügen über ein für Europa rekordverdächtig tiefes Prokopfeinkommen, dreimal kleiner als dasjenige im eh schon gebeutelten Griechenland. Eine Aufnahme in Waldmeyers persönliche Liste der „zivilisierten Länder“ bleibt dem rückständigen und etwas merkwürdigen Nato-Staat damit verwehrt. Beeindruckend ist auch, dass Albanien, pro Kopf gemessen, die stärkste Umweltverschmutzung Europas produziert. Aber Waldmeyer ging es eher um die Faszination des Gedankens, dass Albanien, und das mitten in Europa und am schönen Mittelmeer gelegen, schlichtweg vergessen ging.

An der albanischen Riviera ist das Winterklima mit Griechenland oder Sardinien vergleichbar – nur aus dieser, etwas verkürzten Perspektive müsste man diesen Landstrich also z.B. der Côte d’Azur vorziehen! Und es gäbe hier schon eine absolut stattliche Villa für rund 200‘000 Euro, mit unverbaubarem Meerblick gegen Westen… Überhaupt ist das Leben in diesem vergessenen Land lächerlich günstig, Waldmeyers Index der Lebenshaltungskosten, inkl. Wohnkosten, liegt bei 18% (Zürich: 100%). Selbst die Einkommenssteuern sind gering, zurzeit wird eine Flat Tax von nur 10% erhoben. Und keine Vermögens- und/oder Kapitalgewinnsteuer. Verglichen mit den Zielen der 99%-Initiative also paradiesische Fiskalzustände.

Das Land pflegt eine mediterrane Küche, es verfügt ja auch über 360 km Küste. Die Kriminalität liegt tief, und Gästen im Land wird ausnehmend freundlich und mit Respekt begegnet. Man verständigt sich hervorragend in Italienisch, das Englische ist im Vormarsch. Es gibt auch verschiedene Universitäten, Einkaufen lässt sich problemlos in der Hauptstadt Tirana. Auf dem Markt im Dorf könnte Bekime übersetzen.

Wirtschaftlich liegt das Land aber auf einem traurig tiefen Niveau, hervorragend läuft eigentlich nur der Marihuana-Anbau, v.a. im Süden. Das alles muss jedoch, investitionsmässig, kein Nachteil sein.

Waldmeyer ist nämlich überzeugt: Albanien ist der ungeschliffene Diamant an der Riviera der Adria! In 20 Jahren vielleicht könnte das Land einmal ein Touristen- und Zweitwohnsitz-Hotspot sein. 

Waldmeyer fasste auch die History kurz zusammen: Die grosse Wende 1989 ging an Albanien erst spurlos vorüber; unbeirrt verfolgte es seinen stalinistischen Kurs. Es sollte noch bis tief in die 90er Jahre dauern, bis das Land die wirtschaftliche und gesellschaftliche Isolation aufgab. Als Folge davon finden wir nun an dem Küstenstreifen der Adria, gleich gegenüber dem Belpaese, diesen völlig rückständigen Flecken, welcher das Tourismuspotenzial noch kaum erkannt hat.

Noa hatte sich schon längst seinem Smartphone zugewandt, Waldmeyer dozierte weiter:  Internet und Mobilfunk seien erstaunlicherweise hervorragend in Albanien. Direktflüge gibt es ab Deutschland und Österreich, von Zürich aus dauert es zurzeit noch 3-4 Stunden, mit Umstieg in Mailand, Zagreb oder Ljubljana. Aber man kann auch hinfahren: In zwei Tagen ist man spielend dort.

Erstaunlicherweise sind auch Zara und H&M – zumindest in Tirana – vertreten. Also ist alles hier.

Der kommunistische Groove wurde noch nicht überall vertrieben, das Land leidet immer noch unter krasser Misswirtschaft und Korruption – könnte sich also noch entwickeln! Albanien macht allerdings nur Sinn, wenn eine persönliche familiäre Bande mit Bezug zum Land besteht. Und genau hier kommt eben die Rolle von Bekime zum Tragen! Denn genau dies könnte nun die logische Motivation sein, das Land fundierter zu prüfen. „Bekime“ bedeutet übrigens „die Gesegnete“. Das passt doch. Ein Segen als Puzzleteil im Gesamtkonzept Albanien. So könnten auch die lästigen Zivilisationsdefizite ausgeblendet und etwas längerfristig geplant werden. Sich frühzeitig nun etwas Eigentum an der albanischen Riviera zu sichern, könnte so zum intelligenten Schachzug werden. Ein kleiner Strandabschnitt gar – für einen Apfel und ein Ei erstanden, notabene – könnte den Grundstein für ein Immobilienimperium am Mittelmeer legen. 

Für Waldmeyer selbst kommt das natürlich nicht in Frage – er ist schlichtweg zu alt, der Anlagehorizont übersteigt seine noch angenehm verwertbare Restlebenszeit. Aber Noa könnte das stemmen, er verfügt locker über einen Anlagehorizont von mindestens 30 Jahren. „Das ist natürlich ein sehr langfristiger Anlagetipp!“, schloss Waldmeyer seine umfassende Länderpräsentation.

„Dad, Bekime ist doch nur friend with benefit. Einen Teufel werde ich tun und mich nach Albanien verkriechen! Zudem möchte Bekime nie mehr nach Albanien zurück. Dann noch eher nach Nimbin!“

Damit war diese Perle am Mittelmeer wohl vom Tisch. Aber das mit Nimbin machte Waldmeyer nun doch etwas Sorgen.

Waldmeyer und die 99%-Initiative

Oder das Geheimnis des Soziokommunismus

Waldmeyer hatte sich in letzter Zeit schon mehrmals gewundert: In Zürich sollen private Dachgärten der Allgemeinheit zugänglich gemacht, Baucontainer zwangs-begrünt werden, und schon seit längerem wird ein bedingungsloses Grundeinkommen angedacht. Aber nun diese 99%-Initiative der Jusos: Einkommen und Vermögen sollen also vermehrt kollektiviert werden. Soll die Schweiz ein heiteres Kibbuz werden, natürlich mit nur glücklichen Menschen, welche hochmotiviert für die andern arbeiten? Waldmeyer ist verwirrt. Es geht unter anderem auch um seinen Van Gogh. Aber dazu später.

Die schon vor einiger Zeit lancierte 99%-Initiative verlangt, dass Kapitaleinkommen (Zinsen, Dividenden etc.) mit 150% besteuert werden. Es gilt ein Freibetrag von beispielsweise 100‘000 Franken pro Jahr. Erträge, die darüber sind, werden quasi über-konfisziert, also mehr abgeschöpft, als sie es sind. Das betrifft zwar nur etwa 1% der Leute, deshalb die „99%-Initiative“. 

Der mit der neuen Steuer erzielte Mehrertrag soll dazu verwendet werden, um die Einkommenssteuern für Personen mit tiefen und mittleren Arbeitseinkommen zu senken. Ein schöner Gedanke – doch nicht mal Karl Marx wäre so weit gegangen. 

Waldmeyer dachte schon, dass es sich dabei wieder um einen üblichen Juso-Furz handelt – also nur um eine provokative Idee, um sich wichtig zu machen. Doch weit gefehlt: 13 von 46 Ständeräten stimmten dafür. Heute unterstützt ebenso eine ganze Phalanx der Grünen die Initiative, auch die SP hat die Ja-Parole ausgegeben. Am 26. September soll abgestimmt werden. Das Brisante daran: Könnten sich etwa 99% der Bevölkerung für diese absurde Idee erwärmen? Sie wären ja nicht davon betroffen.

Doch hatten es die Jusos vielleicht nur gut gemeint? Im Sinne von Gutmenschen, welche die Arbeit höher gewichten als das Kapital? Womit wir wieder bei den Grundgedanken von Marx‘ Das Kapital wären.

Waldmeyer – und wohl allen andern auch – war noch nicht ganz klar, was denn alles als  „Kapitaleinkommen“ klassifiziert werden könnte: Dividenden? Zinsen? Eigenmietwerte? Oder einfach allgemein Kapitalgewinne? Oder auch intrinsische Gewinne, zum Beispiel der Genusswert einer kostbaren Mingvase oder eines Van Goghs? Oder gar Waldmeyers Ausblick in Meisterschwanden auf den Hallwilersee?

Waldmeyer taten die grossen Unternehmer etwas leid: Sie sind darauf angewiesen, Dividenden zu beziehen, nur schon um die Vermögenssteuern zu bezahlen, die sich aufgrund der steuerlichen Firmenbewertung ergeben. Eine Über-Steuer auf den Dividenden, also auf klassischen Kapitaleinkommen (genau so, wie es die Jusos definieren), könnte ihnen das Genick brechen. Die Unternehmer würden entweder die Landesflucht antreten (ohne ihre Firma), die Firma einfach ins Ausland verlagern, Harakiri begehen oder in ein Kloster eintreten. Eine solche Krisensituation wäre einfach unlösbar.

Eigentlich sassen Waldmeyer, Charlotte und die beiden noch knapp adoleszenten Kinder an diesem Sonntagmorgen nur friedlich am Frühstückstisch. Doch nun wurde diskutiert.

Lara (22, studiert Kunst in Basel) fragte: „Diese Initiative, ist das nun Kommunismus oder Sozialismus?“ Waldmeyer überlegte: Kommunismus ist es nicht. Denn dann würde man gar nie dazu kommen, ein Vermögen aufzubauen, das der Staat stehlen kann. Vermögen im Kommunismus haben nur die Staatsführer. Sozialismus trifft schon eher zu: Du musst dann zwangs-teilen. „Im Kommunismus gehört dein E-Bike bereits von Anfang an dem Staat, in Sozialismus musst du dein zweites E-Bike der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Du gibst dein E-Bike an den Staat ab, sparst auf ein neues oder nimmst einen Kredit auf, damit du ein neues kaufen kannst, das du dann wieder an den Staat abgibst“. Soweit Waldmeyers spontane Erklärung.

„Aber da müsste einer ja schön blöd sein!“, warf nun Noa (24, studiert Betriebswirtschaft in Zürich) ein.

„Stimmt, blöd ist es eben, wenn du bereits 12 E-Bikes besitzt, diese ausmietest und dann den ganzen Mietertrag plus 50% abliefern musst. Nach ein paar Jahren hast du dann nichts mehr.“

„Vielleicht sollte man den Jusos gleich von Anfang an die E-Bikes wegnehmen?!“

„Schwierig“, entgegnete Waldmeyer. „Die arbeiten nur halbtags, sind z.B. Lehrer oder städtische Angestellte (Kulturpflege) und nutzen gratis die E-Bikes der Stadtverwaltung. Da ist nichts zu holen. Und so lösen wir das Problem nicht.“

Aber: Handelte es sich nun um Kommunismus oder Sozialismus? Es handelt sich auf jeden Fall um Enteignung. Aber auch um Umverteilung. Also ist diese 99%-Initiative vielleicht ein klarer Fall von Soziokommunismus.

Noa warf noch die provokative Idee ein, einfach auszuwandern. Er würde künftig nicht in einem Land wohnen wollen, wo der Staat die persönlichen Errungenschaften klaut. Aber wohin…? Es müsste ein Ort sein, wo es so oder ein bisschen wärmer ist, das Leben jedoch günstiger, sich das Arbeiten lohne, und überhaupt. Er studiere ja nicht vergeblich Betriebswirtschaft! 

Die angespannte Frühstücks-Debatte wurde nun unterbrochen, da Noa dringend gehen musste. Er hatte sich mit Bekime verabredet (seine neue Freundin, albanisch).

Waldmeyer rief ihm nach: „Ich überlege mir was. Wir diskutieren das am nächsten Sonntag.“

Zurück in seinem Büro, eigentlich in seinem Newsroom, blickte Waldmeyer an seinen Van Gogh an der Wand: Ob dieser auch der 99%-Initiative zum Opfer fallen könnte? Zum Glück war es eine Kopie.

Er wollte sich nun Gedanken machen betreffend einem Auswanderungsland. Bekime hatte ihn gleich auf eine seltsame Idee gebracht: Albanien! Zumal Albanien eine stock-kommunistische Vergangenheit hat.

Aber dazu erst nächsten Sonntag.

Waldmeyer wechselte 2023 zur Digitalbank

Oder die Grenzen der Smart Society, Teil III

Waldmeyer hatte gefühlt schon mehrmals ein digitales Nahtod-Erlebnis. Es stellte sich genau dann ein, wenn er mit den Logins nicht weiterkam, die QR-Codes nicht funktionierten, er nach Passwörtern suchte und Stunden am PC verlor, um die einfachsten Dinge des täglichen Lebens zu verrichten. Oder mit der Robo-Tante am Telefon nicht weiterkam und in irgendeiner Schlaufe verkümmerte. Es war dann, wenn er jeweils schreiend in den Garten hinausstürzte und sich am liebsten im Hallwilersee ertränkt hätte. Aber jetzt zeigte sich ein Lichtblick: Die neue Digitalbank schien personalisiert zu sein!

Die Digitalisierung von allerlei nützen und unnützen Tätigkeiten wird sich beschleunigen, ohne Frage. Sie wird leider auch vor Waldmeyer nicht haltmachen. Gewisse Dinge sind heute ja ganz praktisch. Im Tre Fratelli z.B. konnte Waldmeyer so seinen Lieblingstisch mit ein paar wenigen Wischs über sein Smartphone reservieren – bisher musste er oft minutenlang am Telefon warten, bis Luigis Frau endlich den Hörer abnahm und ihm dann nicht genau sagen konnte, ob sein Tisch dann wirklich frei sein würde (tavola no. 11).

Allerdings war die Entpersonalisierung von all diesen digitalisierten Tätigkeiten mit Händen zu greifen. Man war oft lost in space, zusehends entseelt, ein alleine gelassener Mensch mit der Maschine.  

Die Banken hatten das durchaus erkannt und versuchten nun seit 2022 Gegensteuer zu geben. Man schlug den Kunden vor, zu einer aktiven Digitalbank zu wechseln. Dort ist dann eben das ganze Banking digitalisiert, aber – und das war der Trick – man holte den Kunden trotzdem persönlich ab. „Personal Communication Modem“ lautete das interne geheime  Programm. Für viele neue Mitarbeiter ganz neu und ungewöhnlich: einem echten Kunden tatsächlich in Fleisch und Blut gegenüberzustehen. Die biederen oder pseudo-modernen Schalterhallen wurden dafür kurzerhand, und zwar flächendeckend, in diese coolen Cyber-Begegnungsstätten umgebaut. Das neue Konzept funktionierte natürlich nicht richtig.

Waldmeyer wusste das jedoch noch nicht und entschied sich etwas blauäugig, zu dieser neuen komischen Form des Bankwesens zu wechseln. Er entschied so, zumal er gar keine andere Wahl hatte, denn seine Bank zwangswechselte ihn quasi zu dieser seltsamen Digitalbank, weil sie sich selber dieser komplett digitalen Mutation unterzogen hatte.

Das Exotische an den neuen Digitalbanken war nun, dass man sich eben trotz allem physisch mit Bankangestellten treffen konnte. Das war selbstredend ein ganz raffinierter psychologischer Marketing-Schachzug.

Max Waldmeyer trat also, es war Dienstag, der 14. März 2023 um 10:45, in diesen coolen „Schalterraum“ ein, der eigentlich so eine Mischung zwischen Cyberraum und einer Bar war. „Schön, dich wieder mal zu sehen, Max!“, flötete Svetlana ihm entgegen. Sie sass mit ihrem kurzen Rock und den braun gebrannten Beinen in der an die Bar grenzenden Lounge, warf gekonnt ihr blondes Haar nach hinten, sodass ihr nicht unvorteilhaftes Décolleté ziemlich plakativ zur Geltung kam und wartete offenbar nur auf Waldmeyer. Natürlich war es nicht so, dass Svetlana den Waldmeyer erkannt hätte – aber beim Passieren der elektronischen Tür hatte das System „Max Waldmeyer 1965“  sofort gescannt. Und Waldmeyer hatte sich natürlich vorher schon eingeloggt, er hatte einen elektronischen Slot erhalten und war nun pünktlich 10:45 zur Stelle.

Waldmeyer war etwas verwirrt. Er hatte erwartet, dass man ihn zu einer Chesterfield-Lounge führt und ein gepflegter Banker würde ihm einen Single Malt offerieren. So hätte er sich gerne in der Zielgruppe gesehen. Offenbar definierte die neue Bank Waldmeyer nun neu?

Rodrigo war auch da. Früher hätte man ihn Schalterbeamten genannt. Aber seit dem flächenweiten Umbau der Schalterhallen in Cyber-Begegnungstätten war Rodrigo ein Banking Communicator. Es war wohl ein neuer Beruf. Rodrigo trug einen ziemlich engen hellblauen Anzug, die Hosenbeine reichten bis zur Wade und betonten so die weissen Sneakers, in denen seine nackten Füsse steckten. Unter dem knappen Veston trug er ein geschmackvolles Rippenleibchen, über welchem ein ebenso geschmackvolles Tattoo auf der Brust rausblitzte. Rodrigo lachte ihm entgegen: „Tschau Max, schön dich wieder zu sehen! Deine UBS-Aktien bewegen sich ein bisschen, super!“ Waldmeyer staunte, denn er hatte Rodrigo noch nie gesehen! Aber Rodrigo hatte offenbar gute Vorarbeit geleistet und sein Portfolio bereits studiert.

Das DU, das man Max entgegenschleuderte, war im ersten Moment etwas komisch, aber in der digitalen Welt ist das durchaus Standard. Wir sind ja eine Familie. Und Svetlana sah ausserdem blendend aus. Das Piercing in der Augenbraue störte etwas, aber Waldmeyer versuchte, darüber hinwegzusehen. „Du magst den Espresso doppelt, ja?“, lispelte sie ihm entgegen. Erstaunlich, genau vor 12 Monaten hatte er hier, genau an dieser Stelle, einen doppelten Espresso erhalten. Damals hatte ihn noch Pierino Caduff empfangen, sein langjähriger Mann aus dem Private Banking, zusammen mit seiner ebenso langjährigen Assistentin. Damals schon stand die Bank an der Schwelle zur Digitalisierung. Vermutlich wurde Caduff jetzt weg-digitalisiert und eben durch Svetlanas und Rodrigos ersetzt?

Die Faceerkennung vom März 2022 wurde offenbar gespeichert, und jetzt erkannte man den Waldmeyer sofort, wenn er die Bank betrat. Auf dem Prompter bei Svetlana leuchteten online alle Details zu seiner Person auf, und Rodrigo konnte gleich ins Portfolio reinschauen. So geht das heute. Waldmeyer war beeindruckt – aber auch entsetzt. Svetlana wusste vermutlich alles über ihn. Aber sie sah unbestritten gut aus, diese Marketingleute der „neuen“ Bank hatten ganze Arbeit geleistet: Man digitalisiert, das heisst, man sourced die ganze Bankarbeit an den Kunden selber aus, und damit er trotzdem nicht ganz unzufrieden ist, holt man ihn ab und zu persönlich ab, mit ein paar jungen „Freunden“. 

Waldmeyer war natürlich klug genug, die Décolleté-Falle zu durchschauen. Er erkannte sofort, dass die Svetlanas wohl für die männlichen Kunden, die Rodrigos für die weiblichen gedacht waren. Charlotte z.B. würde also den Espresso von Rodrigo erhalten, dafür würde dann Svetlana in ihr Portfolio reingucken. 

„Cooler Ort hier“, meinte Waldmeyer. „Soll ich nun jede Woche hier reinschauen?“

Svetlana wurde plötzlich ernst und lispelte nicht mehr. „Es gibt eigentlich nur eine solche Einladung pro Jahr. Du hast ja den Slot jetzt erhalten, das war für 2023. Wir möchten einfach den Kontakt nicht verlieren und ein gutes Verhältnis mit dem Kunden bewahren. Die Kunden sind uns sehr wichtig, weisch. Alles ok bei dir…?“ 

Svetlana hielt ihm auf einem Tablet die neue Datenschutzerklärung entgegen. Datenschutzerklärungen haben es ja so an sich, dass man mit einem Ok auf den Schutz der persönlichen Daten verzichtet. Svetlana legte ihm das Tablet auf die Knie. Der Text entsprach gefühlt etwa der Länge von Goethes Faust. „Es geht darum, dass wir das alles so weitermachen und dich unterstützen dürfen, Max, du kannst hier mit dem Daumen unterschreiben!“

Max lachte gequält, sprang auf und verliess den Cyber-Schalterraum mitsamt seinem ungenutzten Daumen. Er überlegte sich, zuhause in Meisterschwanden in Ruhe  seinen Tresor mit dem Bargeld zu plündern und ab sofort alles nur noch bar zu bezahlen.

Das war natürlich keine Lösung, aber die Überlegung tat wohl. Er nahm sich vor, demnächst ein Bier mit Caduff zu trinken. Das wäre tatsächlich interessanter als der Espresso bei Svetlana.

Waldmeyer und die Grenzen der Smart Society

Die Digitalisierung ist nichts anderes als die grösste Industrialisierung seit Menschengedenken. Die Dampfmaschine, die Elektrifizierung, die Automatisierung etc. – alles ein Klacks. Denn nun werden wir Zeitzeuge eines Vorgangs, der in Sachen Geschwindigkeit und Wandel alles Bisherige in den Schatten stellt. Es ist ein Umbruch, welcher die ganze Gesellschaft erfasst. Und nun steht die letzte Ausprägung dieses Vorganges an: Das Ganze macht nämlich auch vor Max Waldmeyer nicht halt. War früher doch alles besser? Aber dazu später.

Waldmeyer hatte mit Charlotte soeben im Trois Couronnes eingecheckt und studierte die digitalen Gadgets im Zimmer. Es gab sogar ein Gas-Cheminée, welches elektronisch kontrolliert werden konnte. Licht, Musik, Verdunkelung – alles smart. 

Die erste Hürde war das W-LAN: Das Passwort war extra so konzipiert, dass es möglichst kompliziert war und – wie so oft – vorsätzlich gemeine Stolpersteine aufwies. Es waren beispielsweise Nullen und „O“s eingebaut, damit man diese verwechselt. „Herr Waldmeyer, ich kann Ihnen leider keine Auskunft geben, ich schicke Ihnen den IT“, säuselte die Stimme von der Reception. Der IT kam rasch, es dauerte genau 22 Minuten und klärte auf: „Das sieht man ja ganz klar, die drei „O“s sind Zahlen“. Ganz klar. 

Während Charlotte im Bad nun versuchte, mit der Beleuchtung klarzukommen, wollte Waldmeyer kurz in diese Segel-Regatta reinschauen. Es gab drei Fernbedienungen für den Fernseher. Alle lagen sauber und parallel ausgerichtet neben dem X-Large Bildschirm. Waldmeyer probierte alle – auch in Kombination. Er schaffte es nicht.

Wieder gut 22 Minuten später – Charlotte suchte immer noch nach der besten Lichtkombination im Bad – musste der IT (auf seinem Namensschild stand IT – Krasnowskyschiri), ein sichtlich entnervter Nerd mit einem Tablet, nochmals antreten und die drei Fernbedienungen erklären. Es war ganz einfach. Klar.

Die restlichen Funktionen im Hotelzimmer entdeckte Waldmeyer in der folgenden Stunde. Nach einigem Suchen fand er auch das Tablet im Zimmer, mit dem er – nach kurzem Login – in einem Unterprogramm die Funktion für die elektrischen Vorhänge entdeckte. Es war jedoch Charlotte, welche die Funktion der Sonnenmarkisen aufstöberte – nicht in einem Unterprogramm, sondern in der Szenarien-Funktion „Terace Living“. Ja, ein „r“ fehlte bei Terrace, schade. Waldmeyer gelang es auch, im Nu die Minibar zu öffnen, man musste nur den dafür vorgesehenen Login und eine Handvoll persönliche Daten eingeben und die Datenschutzvereinbarung akzeptieren. Mit den 12 Kissen auf dem Bett kam Waldmeyer indessen nicht ganz klar, obwohl hier für einmal eine ganz analoge Aufgabe anstand. Aber das war ihm eh einerlei.

Nach dem Diner (bis auf die Weinkarte verlief alles ganz angenehm analog), um genau 23:35, musste Waldmeyer leider zum dritten Mal den IT rufen. Diesmal den Nacht-IT, denn Lichterlöschen stand an. Die ganze Zimmerbeleuchtung war nämlich in Szenarien und Ambiancen strukturiert, Waldmeyer fand aber die Schlaf-Funktion nicht (früher: dunkel – oder einfach Licht aus); verschiedene indirekte Dimm-Beleuchtungen liessen sich nämlich nicht ausschalten. IT Nummer drei redete mit Waldmeyer wie mit einem Kind:  „So, das hätten wir jetzt auch, Herr Waldmeyer, jetzt können Sie ruhig schlafen. Ich muss jetzt weiter, es warten noch andere Gäste, im Fall!“ Klar.

Waldmeyer fand dies alles soweit ganz amüsant, vor allem, als er die Kosten der drei ITs für den 24-Stunden-Service kurz überschlug. Er überlegte sich, wie sich der General Manager vor dem Verwaltungsrat wegen den explodierenden IT-Kosten wohl rechtfertigen würde. Zum Beispiel so: „Die Digitalisierung macht auch vor der Hotellerie nicht halt; um diese Ausgaben kommen wir nicht herum, es sind Investitionen in die Zukunft. Und der neue Gästetyp verlangt das einfach.“ Oder ähnlich. Würde er, Waldmeyer, also nicht mehr zur Kernzielgruppe eines Fünf-Sterne-Hotels gehören? Offenbar nicht.

War früher alles besser? Die Einführung des Farbfernsehers zum Beispiel: Diese Revolution war nämlich überblickbar. Dann kam die Fernbedienung: in der Regel lernbar. Aber jetzt die Zäsur, dieser Quantensprung: Das ganze Leben findet eigentlich in sequenziellen Logins statt. Anstatt Schalter zu drehen, zu kommunizieren oder die NZZ in Papierform zu geniessen, machen wir nun stundenlang Logins. Brave, new world.

Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter, er dachte ans nächste Wochenende. Denn dann stand nämlich Büroarbeit an. Eigentlich Login-Arbeit. Büroarbeit besteht heute zu 90% aus Logins. Waldmeyer wusste schon jetzt, dass es ein Fiasko werden wird. Aber dazu eben später, in einem nächsten Beitrag.

Die Cheminée-Funktion brachte Waldmeyer im Übrigen nicht zum Funktionieren. Die drei Fernbedienungen liess er ebenso liegen. Doch Waldmeyer ist eine lösungsorientierte Spezies. „Selbst ist der Mann“, dachte er sich und schaute mit Charlotte die 99. Folge von 24 hours auf dem Laptop an. Es funktionierte einwandfrei. 

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