Waldmeyers Länderanalysen (Fortsetzung)

Oder das Geheimnis, wie man sich ein persönliches bedingungsloses Grundeinkommen sichert und gratis zum zweiten Wohnsitz kommt

Max Waldmeyer war schon immer von der Idee fasziniert, einen zweiten Lebensmittelpunkt zu errichten (2.LMP). Gleichzeitig faszinierte ihn auch die Idee des BGE (des bedingungslosen Grundeinkommens) – zumal z.B. im Zürcher Kantonsparlament diesbezüglich immer wieder heftig diskutiert wird. Pointiert links regierte Länder haben es auch schon eingeführt. Waldmeyer überlegte also, ob sich die beiden Themen, das heisst 2.LMP und BGE, eventuell elegant verbinden liessen: Könnte man den Ort eines Second Homes nämlich so wählen, dass dieser ihm gleichzeitig ein bedingungsloses Grundeinkommen sichern würde…? Die Lösung dieser Frage sah nach einer typischen Management-Aufgabe aus.

Waldmeyer hatte Charlotte versprochen, das mit der Suche nach einem Second Home nun systematisch an die Hand zu nehmen. Schon seit einiger Zeit spielten sie mit dem Gedanken, die Ferienwohnung im Tessin gegen ein richtiges zweites Zuhause – wo auch immer auf der Welt – einzutauschen. Allenfalls sogar mit einer Verlegung des formellen Wohnsitzes. Die Suche war anspruchsvoll. Doch Charlotte war gleichzeitig froh, Waldmeyer dergestalt beschäftigt zu wissen. Denn seit seinem Ausstieg aus der Firma neigte er zuweilen etwas zur Unterbeschäftigung.

Die Bedenken Charlottes waren indessen umsonst. Waldmeyer war äusserst absorbiert von allerlei Analysen. Die grosse finanzielle Bandbreite der Lebenshaltungskosten in den verschiedenen Ländern führte Waldmeyer beispielsweise zu einer zusätzlichen Idee: Sollte der zweite Lebensmittelpunkt in einem Niedrigkostenland definiert werden, so entstünde eine Ersparnis an Lebenshaltungskosten (ein „Agio“ sozusagen), welches im Kopf als plötzlich erlangtes Grundeinkommen definiert werden könnte. Natürlich als „persönliches bedingungsloses Grundeinkommen“, da selbstfinanziert. Immer mehr Leute kokettieren ja damit, von einem bedingungslosen Grundeinkommen zu leben – das ihnen selbstredend der Staat verschafft. Waldmeyer ging hingegen einen Schritt weiter, indem er sich dieses selber erschaffen wollte.

Ja, so könnte ein Second Home sozusagen zu einem „Arbitrage-Ort“ werden. Es ergab sich also dieser neue Aspekt, dass die am kostengünstigen neuen Ort mittels Ersparnissen virtuell „verdienten“ neuen Mittel mit den Mehrkosten für den doppelten Wohnsitz gegengerechnet werden könnten. Andererseits dürften allfällige Steuerersparnisse aufgrund des neuen, klug gewählten Domizils wieder subtrahiert werden. Und falls in der neuen Heimat nur einigermassen intelligent und langfristig in eine Immobilie investiert würde, könnte mit dem so gewonnenen Mehrwert die Bilanz nochmals zusätzlich aufgebessert werden. Alles klar?

Quintessenz: Ein zweiter Lebensmittelpunkt könnte durchaus gratis sein! Oder Waldmeyer könnte, anders ausgedrückt, mit einiger Raffinesse sein PBGE (persönliches bedingungsloses Grundeinkommen) erzielen, ganz individuell, ohne staatliche Beihilfe, indem er einen zweiten Wohnsitz wählt.

„Charlotte, wir sollten uns ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffen!“, rief Waldmeyer ins Gym rüber.

„Max, konzentrier dich jetzt bitte auf die Länderanalysen, ja“, entgegnete Charlotte. „Wir kommen so nicht weiter!“ 

Axel Waldmeyer flieht aus Deutschland

Diesen Herbst stehen Wahlen an in Deutschland. Es gibt die nicht ganz unrealistisch Variante, dass die derzeitige flügellahme Koalition abgewählt und tatsächlich eine Grün-Rot-Rote Mehrheit ans Ruder kommt.

Die Linke (also die Dunkelroten) sieht in ihrem Programm gar vor, erst einmal richtig bei den Vermögenssteuern anzusetzen. Laut Plan sollen 10% auf höheren Vermögen einmalig abgeliefert werden, anschliessend sollen es nochmals 5% Vermögenssteuern sein – jährlich. Kapital soll also, indirekt via Staat, neu verteilt werden. Karl Marx würde aufwiehern for Freude im Grab! Droht hier demnächst eine gesellschaftspolitische Zeitbombe zu explodieren?

Waldmeyer überlegte sich, was er tun würde, wenn er jetzt Deutscher wäre und in Deutschland leben würde.

Max Waldmeyer wäre also z.B. Axel Waldmeyer. Axel wäre ebenso Mitte 50, ein nicht mehr operativer Unternehmer, lebte an der Elbe in Hamburg, in einem schönen Haus. Er wäre quasi ein Klon des Schweizer Waldmeyers aus Meisterschwanden. Axel Waldmeyers Frau heisst übrigens Heike, und auch sie ist, wie Charlotte, Interior Designerin. 

Die Aldi-Kassiererin in Lörrach verdient ziemlich genau die Hälfte ihrer Kollegin in Basel. Sie bezahlt jedoch kaum Steuern. 50% der deutschen Bürger (also der BürgerInnen oder Bürger*innen, oder vielleicht der Bürgerern?), bezahlt nämlich keine. Die andern müssen demzufolge etwas mehr abliefern. Auch Axel. Bald die Hälfte des BIP wird via Staat realisiert, und die Staatsverschuldung steigt rasant. Dennoch kann es sich das „reiche“ Deutschland leisten, so die Grün-Rot-Rote Politik-Phalanx, welche zurzeit zum Sprung in die deutsche Regierung ansetzt, jetzt noch einmal so richtig in die Staats-Schatulle zu greifen und Geld zu verteilen. Wegen Corona, und überhaupt. Bezahlt werden soll es ganz einfach mit neuen Schulden, aber auch mit einem weiteren Griff ins Portemonnaie der Vermögenden und Gutverdienenden.

Die Maximale Progression bei den Einkommenssteuern greift in Deutschland bereits bei 54‘000 Euro. Axel und auch Heike hatten nun während Jahren über die Hälfte ihrer Einkommen brav abgeliefert. Das war natürlich nie motivierend. Und dann dieser frivole Umgang der deutschen Regierung mit den Steuergeldern! Doch Axel Waldmeyer war nicht erst jetzt verstimmt. Ihn bedrückten seit einiger Zeit auch die deutschen Erbschaftssteuern von 19% (sogar für direkte Familienangehörige). Zwar gibt es einen Freibetrag vor 400‘000 Euro, aber wenn die Weitergabe eines KMUs ansteht, wird’s brenzlig. Wer soll denn die Erbschaftssteuer, und mit welchen Cashmitteln, bezahlen?

Sollten da Jürgen und Jutta (die Klons Max Waldmeyers Kinder Noa und Lara) nicht besser heute schon alternative Strategien schmieden? Bevor dieser neue brachiale Etatismus mit den bekannten Umverteilungstricks greift? Wenn sie Deutschland verlassen würden, wäre das quasi Mainstream: 200‘000 Deutsche pro Jahr tun es ebenso. Dabei handelt es sich selbstredend nicht um abgewiesene Asylbewerber, sondern um stinknormale Deutsche.

Axel Waldmeyer wusste: Reichtum macht nicht glücklich, Armut aber auch nicht. Es war nun einfach Zeit, vorzusorgen. Bevor die neue Politik ansetzt und die „Gesellschaft grundsätzlich umgekrempelt“ wird – so in etwa die Aussagen von Annalena, der Grünen, die mit dem Kanzleramt kokettiert. Diese hat allerdings noch nie ein richtiges Exekutivamt bekleidet. Sie müsste sich dann halt etwas einarbeiten, das Kanzleramt und die Bundesministerien beschäftigen indessen immerhin 18’000 Mitarbeiter. Das sind Konzernmassstäbe und etwa so viel wie bei der Swisscom, also auch etwas zu viel und zu ineffizient. Ob das nur gut geht…?

Deshalb fasste Axel nun einen Plan: die Flucht. 

Vorerst beriet er sich noch mit Jochen Rubinstein, Axel Waldmeyers Freund und Steuerberater (Ende 50, gross und schlank, grüner Cord-Veston, Pferdeleder-Schuhe, randlose Brille). Rubinstein warnte: „Waldmeyer, so geht das nicht. Es ist nicht so einfach, den Wohnsitz ruckzuck ins Ausland zu verlegen. Als einigermassen gut verdienender Deutscher Bürger ist man leider ein bedauernswertes Opfer des fiskalischen Imperativs. In Deutschland gilt der Ansatz des „gewöhnlichen Aufenthaltes“, welcher die Betrachtung des Lebensmittelpunktes sogar übersteigt und die 182-Tage-Regel sofort aushebeln kann. Ausserdem kommen hier noch Aspekte einer ziemlich perfiden “Wegzugssteuer“ hinzu: So kann ein Deutscher Staatsbürger noch während den folgenden zehn Jahren nach seinem Wegzug in ein „Niedrigsteuerland“ für alle Einkünfte aus Deutschland zur Kasse gebeten werden. Als Niedrigsteuerland gilt eigentlich fast alles, denn es sind natürlich nicht nur die Bahamas gemeint. Die Behörden gehen von einem effektiv bezahlten Steuersatz von 22% und weniger aus, um als „niedrig“ zu gelten. Damit sind nicht nur die klassischen „Steueroasen“ betroffen, sondern auch einige Länder Europas, wie z.B. Zypern oder Bulgarien, Ungarn oder je nach Kanton auch die Schweiz.“

Ausserdem, was die Schweiz betrifft, meinte Rubinstein noch: „Willst du von der Steuerhölle ins Steuer-Fegefeuer?“

„Ich gehe sicher nicht nach Bulgarien“, seufzte Waldmeyer. „Ich melde mich einfach ab und versuche nichts mehr zu verdienen, so muss ich auch keine Steuern bezahlen.“

Rubinstein führte weiter aus, und Waldmeyer fasste für sich zusammen: Er müsste alle Brücken abbrechen, ansonsten der deutsche Fiskus ihn nie gehen lassen würde. Er müsste sein Unternehmen verkaufen und dabei eine Kapitalgewinnsteuer von 25% entrichten. Er müsste auch sein schönes Haus an der Spree verkaufen. Überschreibung an die Kinder zählt nicht, auch eine Vermietung an Dritte nicht. 

Axel hatte nun verstanden: Er stand, nur schon kraft seines Seins, unter Generalverdacht, und die Lage wird sich nun noch zuspitzen. Die Gesellschaft, so die neue Politik, sollte nämlich grundsätzlich verändert werden. Das neue Modell würde (tatsächlich eine Idee einer ganzen Reihe von Linksaussen) einer „DDR, aber mit Internet“ entsprechen. Es sollen alle Verhältnisse umgeworfen werden. Das Primat des Staates sollte gelten, welcher eben nimmt und gibt. Aber dies würde nun, so Axel Waldmeyers Entscheid, ohne ihn stattfinden.

Rubinstein meinte noch, dass nun ein minutiöser Wegzugsplan her müsse. Er zitierte dabei Benjamin Franklin: If you fail to plan, you are planning to fail. Und er nuschelte noch etwas von „erweiterter beschränkter Steuerpflicht nach dem Wegzug“, von „Hinzurechnungssteuern“, „Oasenerlassen“ und „Fluchtsteuer“. Und die Jagdhütte müsse er, Axel, auch verkaufen.

Aber Waldmeyer wäre nicht Waldmeyer, oder Axel nicht Axel oder Max nicht Max oder Axel nicht Max, wenn er nicht einen Plan hätte: nämlich Malta! Axel könnte zum Digitalen Nomaden werden. Er würde heute schon alles liquidieren in Deutschland und sich offiziell in Malta anmelden. Dort eine nette Wohnung kaufen, eine steueroptimierte Firma errichten, über welche er ein bisschen financial engineering betreiben könnte. Ansonsten würde er aufs Meer schauen oder etwas reisen. Ganz vorsichtig würde er im Sommer ein paar Tage im Allgäu verbringen. Vielleicht unter einem falschen Namen in Hamburg ein paar Freunde besuchen. Ein ganz raffinierter Plan B also, nur jetzt schon umgesetzt. 

Max Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter, obwohl er vor seinem wärmenden Cheminée in Meisterschwanden sass und er Max und nicht Axel war. Das alles waren schlechte Aussichten. Aber eben: besser heute als morgen handeln.

Waldmeyer schaute traurig zu Charlotte rüber: „Heike, wie weit bist du mit dem Kofferpacken?“ Charlotte schaute Waldmeyer entgeistert an und verdrehte nur die Augen.

Waldmeyer studiert die Aussteigerorte

Waldmeyer ist kein „Aussteiger“. Aber dennoch, man könnte ja damit kokettieren, einer zu sein. Er überlegte sich nämlich, ob extrem niedrige Lebenshaltungskosten vielleicht doch noch zu einem cleveren Entwurf eines Aussteiger-Konzeptes verleiten könnten. 

Der Gedankengang, nicht mit Charlotte abgesprochen, sieht Waldmeyer einfach als Notfallplanung. Zum Beispiel, wenn er sein ganzes Vermögen an der Börse verspielt hätte. Aber es sollte dann nicht irgendein Land sein – bei der Auswahl der Orte müsste nämlich eine gewisse Systematik mitspielen.

Das mit dem Albanien-Tipp kürzlich für seinen Sohn Noa war natürlich ein Flopp. Noa würde nie nach Albanien ziehen, nicht einmal wegen seiner albanischen Freundin Bekime (zumal Bekime offenbar doch eher als friend with benefit klassifiziert wurde). 

Die Gedankengänge betreffend „Auswandern“ hatten aber einen gewissen Reiz und brachten Waldmeyer auf die Idee, das nun ein bisschen für sich selbst durchzuspielen. Als vorbehaltene Entschlüsse quasi, als contingency plan –so, wie er das früher als CEO immer gemacht hatte. Waldmeyer könnte also so tun, als ob er „austeigen“ möchte, obwohl er gar nicht richtig wollte, um so, nur virtuell, Optionen zu prüfen.

In der sozialen Aussenwahrnehmung ist es heute ohnehin nicht mehr cool, Unternehmer zu sein. Schon gar nicht Ex-Unternehmer. Da stehen andere Berufs- und Lebensentwürfe viel höher im Kurs. So wäre es sicher angesehener, sich als Influencer oder Blogger an einem angesagten Ort zu betätigen (in Chang Mai beispielsweise?), oder sich als Digitaler Nomade zu profilieren (vorübergehend beispielsweise in Bogotá). Man könnte auch  Philanthrop werden oder Schauspieler – oder sich als Gründer einer Kryptowährung profilieren (siehe Waldmeyer lanciert seine Kryptowährung, 20.12.2020). Oder, ein brandaktueller Ansatz und letztlich ganz simpel: normal aussteigen und ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen. Immer noch besser, als einfach zuhause zu bleiben, sich den Körper tätowieren zu lassen und sich verbissen eine coolere Identität zuzulegen. 

„Aussteigen“, so Waldmeyers Wahrnehmung, verbindet man mit „richtig weg“, „günstig leben“ und „nichts tun“. Dies einmal abgesehen von merkwürdigen Selbstfindungsansätzen. Also müssten die möglichen Zielländer unter diesen Prämissen analysiert werden. Das Wichtigste dabei: Lower the Cost of Living. Denn richtig Aussteigen geht nicht, ohne die Lebenshaltungskosten drastisch runterzubringen.

Nun zur Systematik: Wenn wir Zürich als Benchmark nehmen (Lebenshaltungskosten in USD Index 100, also 100 Punkte) sollten wir demzufolge untersuchen, in welchen Ländern diese Punktzahlen richtig runterkommen. Hier eignen sich, ganz in der Nähe, eindeutig Kroatien (Index 39, also 39 Punkte) oder Griechenland (45 Punkte), notfalls die Türkei (30 Punkte) – vor allem im Wissen darum, dass an peripheren Orten in diesen Ländern, also nicht in den Citys, das Leben nochmals deutlich günstiger sein wird. 

Oder doch etwas weiter weg? Mauritius (40 Punkte) sowie viele Länder in Südamerika oder Fernost könnten sich hervorragend eignen. Die Statistik der Lebenshaltungskosten könnte Waldmeyer automatisch zu den richtigen Zielen führen. Man müsste die Zahlen nur mit Zürich vergleichen, dann würde es einem wie Schuppen von den Augen fallen.

Vereinfachend kommt nämlich hinzu, dass es eigentlich an allen Orten weltweit günstiger ist als in der Schweiz! In der Tat: Sogar in Singapur oder in Miami wären die normalen Lebenshaltungskosten tiefer als in Zürich! Zum Aussteigen eignen sich allerdings nur Orte, die wirklich günstig sind. Südspanien (39 Punkte) bietet sich tatsächlich als eine der naheliegendsten Destinationen an. Oder irgendeine griechische Insel (die günstigsten liegen bei 37 Punkten), für Mutigere dann Bali (36 Punkte) oder Thailand (ebenso 36 Punkte). Sensationell günstig wären, wenn auch etwas peripher gelegen, die Azoren (36 Punkte).

Zum Aussteigen gehört indessen auch ein gutes Klima, denn sonst lässt sich das Rumfläzen nur unbefriedigend umsetzen. Gewisse Länder fallen deshalb sicher gleich weg. Bolivien zum Beispiel (28 Punkte), oder Kasachstan (obwohl wirklich sehr günstig mit 26 Punkten). Dann doch lieber noch Casablanca (34 Punkte). Humphrey Bogart wusste wahrscheinlich sehr genau, warum. Damals.

Für die zweite Stufe einer Notfallplanung müsste Waldmeyer wohl die Liste mit den angenehmen Orten verlassen. Es wäre sozusagen die „Nuklearoption“, sollte er wirklich völlig abgebrannt dastehen und es nochmals einen Quantensprung günstiger sein müsste. Waldmeyer könnte vorerst nach Albanien ziehen (nur 18 Punkte!). Also doch wieder dieses seltsame Albanien? Der Sache müsste man vielleicht trotzdem nochmals nachgehen.

Für ein Worst-Case-Szenario müsste allerdings Rawalpindi in Pakistan gewählt werden (11.5 Punkte); Waldmeyers Kosten würden sich auf einem rekordverdächtigen, vernachlässigbaren Bruchteil seiner heutigen Ausgaben bewegen. Selbst mit der minimalen staatlichen Schweizer Rente, der AHV, liesse sich hier – vor allem im Vergleich zum lokalen Umfeld – in Saus und Braus leben.

Bruno Spirig, Waldmeyers etwas windiger Cousin, hatte sich aus diesen Gründen ja nach El Hierro verzogen, auf diese kanarische Mini-Insel, mitsamt seinen erschlichenen Corona-Krediten (vgl. Waldmeyer-Rapport vom 11. Mai 2020). El Hierro hat nur 33 Punkte. Bruno war schon immer ein cleverer Kerl.

„Also Rawalpindi kommt trotzdem nicht in Frage“, murmelte Waldmeyer gedankenversunken zum anderen Ende des Livings, zu Charlotte, rüber. Charlotte antwortete so, wie sie oft zu antworten pflegt: einfach gar nicht.

Waldmeyer und der Geheimtipp Albanien

Oder: Wohin man auswandern könnte, oder auch nicht

Waldmeyer war seinem Sohn Noa (24, studiert Betriebswirtschaft in Zürich, Freundin: Bekime, albanisch) eine Antwort schuldig. Er wollte ihm einen Auswanderungs-Ort präsentieren, der klimatisch attraktiv ist, wo das Leben günstig ist, und es sollte sich überdies lohnen, dort Geld zu verdienen und zu investieren. Aufgrund der drohenden 99%-Initiative galt es in der Tat, langsam nach Alternativen zur Schweiz Ausschau zu halten. Also warum nicht Albanien? Nur schon wegen Bekime.

Es hätte auch Goa sein können, der Hippieort der Siebziger, die hübsche portugiesische Ex-Kolonie an der indischen Westküste. Oder Nimbin, das Kiffermekka in Australien, nahe dem bekannten Urlaubsort Byron Bay. Oder einfach die USA – mit einer Tellerwäscher-Karriere oder so, wie früher. Waldmeyer wäre indessen nicht Waldmeyer, wenn er nicht out of the box denken würde. Mit einer Prise Provokation natürlich.

Also präsentierte er am nächsten Sonntagvormittag am Frühstückstisch (Noa schien noch etwas eingeknickt, was wohl am Restalkohol lag) seine Albanien-Idee. Albanien ist nämlich ein Geheimtipp: Es ist der verlorene Riviera-Staat am Mittelmeer!

Die drei Millionen Einwohner in dem kleinen Land an der Adria verfügen über ein für Europa rekordverdächtig tiefes Prokopfeinkommen, dreimal kleiner als dasjenige im eh schon gebeutelten Griechenland. Eine Aufnahme in Waldmeyers persönliche Liste der „zivilisierten Länder“ bleibt dem rückständigen und etwas merkwürdigen Nato-Staat damit verwehrt. Beeindruckend ist auch, dass Albanien, pro Kopf gemessen, die stärkste Umweltverschmutzung Europas produziert. Aber Waldmeyer ging es eher um die Faszination des Gedankens, dass Albanien, und das mitten in Europa und am schönen Mittelmeer gelegen, schlichtweg vergessen ging.

An der albanischen Riviera ist das Winterklima mit Griechenland oder Sardinien vergleichbar – nur aus dieser, etwas verkürzten Perspektive müsste man diesen Landstrich also z.B. der Côte d’Azur vorziehen! Und es gäbe hier schon eine absolut stattliche Villa für rund 200‘000 Euro, mit unverbaubarem Meerblick gegen Westen… Überhaupt ist das Leben in diesem vergessenen Land lächerlich günstig, Waldmeyers Index der Lebenshaltungskosten, inkl. Wohnkosten, liegt bei 18% (Zürich: 100%). Selbst die Einkommenssteuern sind gering, zurzeit wird eine Flat Tax von nur 10% erhoben. Und keine Vermögens- und/oder Kapitalgewinnsteuer. Verglichen mit den Zielen der 99%-Initiative also paradiesische Fiskalzustände.

Das Land pflegt eine mediterrane Küche, es verfügt ja auch über 360 km Küste. Die Kriminalität liegt tief, und Gästen im Land wird ausnehmend freundlich und mit Respekt begegnet. Man verständigt sich hervorragend in Italienisch, das Englische ist im Vormarsch. Es gibt auch verschiedene Universitäten, Einkaufen lässt sich problemlos in der Hauptstadt Tirana. Auf dem Markt im Dorf könnte Bekime übersetzen.

Wirtschaftlich liegt das Land aber auf einem traurig tiefen Niveau, hervorragend läuft eigentlich nur der Marihuana-Anbau, v.a. im Süden. Das alles muss jedoch, investitionsmässig, kein Nachteil sein.

Waldmeyer ist nämlich überzeugt: Albanien ist der ungeschliffene Diamant an der Riviera der Adria! In 20 Jahren vielleicht könnte das Land einmal ein Touristen- und Zweitwohnsitz-Hotspot sein. 

Waldmeyer fasste auch die History kurz zusammen: Die grosse Wende 1989 ging an Albanien erst spurlos vorüber; unbeirrt verfolgte es seinen stalinistischen Kurs. Es sollte noch bis tief in die 90er Jahre dauern, bis das Land die wirtschaftliche und gesellschaftliche Isolation aufgab. Als Folge davon finden wir nun an dem Küstenstreifen der Adria, gleich gegenüber dem Belpaese, diesen völlig rückständigen Flecken, welcher das Tourismuspotenzial noch kaum erkannt hat.

Noa hatte sich schon längst seinem Smartphone zugewandt, Waldmeyer dozierte weiter:  Internet und Mobilfunk seien erstaunlicherweise hervorragend in Albanien. Direktflüge gibt es ab Deutschland und Österreich, von Zürich aus dauert es zurzeit noch 3-4 Stunden, mit Umstieg in Mailand, Zagreb oder Ljubljana. Aber man kann auch hinfahren: In zwei Tagen ist man spielend dort.

Erstaunlicherweise sind auch Zara und H&M – zumindest in Tirana – vertreten. Also ist alles hier.

Der kommunistische Groove wurde noch nicht überall vertrieben, das Land leidet immer noch unter krasser Misswirtschaft und Korruption – könnte sich also noch entwickeln! Albanien macht allerdings nur Sinn, wenn eine persönliche familiäre Bande mit Bezug zum Land besteht. Und genau hier kommt eben die Rolle von Bekime zum Tragen! Denn genau dies könnte nun die logische Motivation sein, das Land fundierter zu prüfen. „Bekime“ bedeutet übrigens „die Gesegnete“. Das passt doch. Ein Segen als Puzzleteil im Gesamtkonzept Albanien. So könnten auch die lästigen Zivilisationsdefizite ausgeblendet und etwas längerfristig geplant werden. Sich frühzeitig nun etwas Eigentum an der albanischen Riviera zu sichern, könnte so zum intelligenten Schachzug werden. Ein kleiner Strandabschnitt gar – für einen Apfel und ein Ei erstanden, notabene – könnte den Grundstein für ein Immobilienimperium am Mittelmeer legen. 

Für Waldmeyer selbst kommt das natürlich nicht in Frage – er ist schlichtweg zu alt, der Anlagehorizont übersteigt seine noch angenehm verwertbare Restlebenszeit. Aber Noa könnte das stemmen, er verfügt locker über einen Anlagehorizont von mindestens 30 Jahren. „Das ist natürlich ein sehr langfristiger Anlagetipp!“, schloss Waldmeyer seine umfassende Länderpräsentation.

„Dad, Bekime ist doch nur friend with benefit. Einen Teufel werde ich tun und mich nach Albanien verkriechen! Zudem möchte Bekime nie mehr nach Albanien zurück. Dann noch eher nach Nimbin!“

Damit war diese Perle am Mittelmeer wohl vom Tisch. Aber das mit Nimbin machte Waldmeyer nun doch etwas Sorgen.

Waldmeyer und die 99%-Initiative

Oder das Geheimnis des Soziokommunismus

Waldmeyer hatte sich in letzter Zeit schon mehrmals gewundert: In Zürich sollen private Dachgärten der Allgemeinheit zugänglich gemacht, Baucontainer zwangs-begrünt werden, und schon seit längerem wird ein bedingungsloses Grundeinkommen angedacht. Aber nun diese 99%-Initiative der Jusos: Einkommen und Vermögen sollen also vermehrt kollektiviert werden. Soll die Schweiz ein heiteres Kibbuz werden, natürlich mit nur glücklichen Menschen, welche hochmotiviert für die andern arbeiten? Waldmeyer ist verwirrt. Es geht unter anderem auch um seinen Van Gogh. Aber dazu später.

Die schon vor einiger Zeit lancierte 99%-Initiative verlangt, dass Kapitaleinkommen (Zinsen, Dividenden etc.) mit 150% besteuert werden. Es gilt ein Freibetrag von beispielsweise 100‘000 Franken pro Jahr. Erträge, die darüber sind, werden quasi über-konfisziert, also mehr abgeschöpft, als sie es sind. Das betrifft zwar nur etwa 1% der Leute, deshalb die „99%-Initiative“. 

Der mit der neuen Steuer erzielte Mehrertrag soll dazu verwendet werden, um die Einkommenssteuern für Personen mit tiefen und mittleren Arbeitseinkommen zu senken. Ein schöner Gedanke – doch nicht mal Karl Marx wäre so weit gegangen. 

Waldmeyer dachte schon, dass es sich dabei wieder um einen üblichen Juso-Furz handelt – also nur um eine provokative Idee, um sich wichtig zu machen. Doch weit gefehlt: 13 von 46 Ständeräten stimmten dafür. Heute unterstützt ebenso eine ganze Phalanx der Grünen die Initiative, auch die SP hat die Ja-Parole ausgegeben. Am 26. September soll abgestimmt werden. Das Brisante daran: Könnten sich etwa 99% der Bevölkerung für diese absurde Idee erwärmen? Sie wären ja nicht davon betroffen.

Doch hatten es die Jusos vielleicht nur gut gemeint? Im Sinne von Gutmenschen, welche die Arbeit höher gewichten als das Kapital? Womit wir wieder bei den Grundgedanken von Marx‘ Das Kapital wären.

Waldmeyer – und wohl allen andern auch – war noch nicht ganz klar, was denn alles als  „Kapitaleinkommen“ klassifiziert werden könnte: Dividenden? Zinsen? Eigenmietwerte? Oder einfach allgemein Kapitalgewinne? Oder auch intrinsische Gewinne, zum Beispiel der Genusswert einer kostbaren Mingvase oder eines Van Goghs? Oder gar Waldmeyers Ausblick in Meisterschwanden auf den Hallwilersee?

Waldmeyer taten die grossen Unternehmer etwas leid: Sie sind darauf angewiesen, Dividenden zu beziehen, nur schon um die Vermögenssteuern zu bezahlen, die sich aufgrund der steuerlichen Firmenbewertung ergeben. Eine Über-Steuer auf den Dividenden, also auf klassischen Kapitaleinkommen (genau so, wie es die Jusos definieren), könnte ihnen das Genick brechen. Die Unternehmer würden entweder die Landesflucht antreten (ohne ihre Firma), die Firma einfach ins Ausland verlagern, Harakiri begehen oder in ein Kloster eintreten. Eine solche Krisensituation wäre einfach unlösbar.

Eigentlich sassen Waldmeyer, Charlotte und die beiden noch knapp adoleszenten Kinder an diesem Sonntagmorgen nur friedlich am Frühstückstisch. Doch nun wurde diskutiert.

Lara (22, studiert Kunst in Basel) fragte: „Diese Initiative, ist das nun Kommunismus oder Sozialismus?“ Waldmeyer überlegte: Kommunismus ist es nicht. Denn dann würde man gar nie dazu kommen, ein Vermögen aufzubauen, das der Staat stehlen kann. Vermögen im Kommunismus haben nur die Staatsführer. Sozialismus trifft schon eher zu: Du musst dann zwangs-teilen. „Im Kommunismus gehört dein E-Bike bereits von Anfang an dem Staat, in Sozialismus musst du dein zweites E-Bike der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Du gibst dein E-Bike an den Staat ab, sparst auf ein neues oder nimmst einen Kredit auf, damit du ein neues kaufen kannst, das du dann wieder an den Staat abgibst“. Soweit Waldmeyers spontane Erklärung.

„Aber da müsste einer ja schön blöd sein!“, warf nun Noa (24, studiert Betriebswirtschaft in Zürich) ein.

„Stimmt, blöd ist es eben, wenn du bereits 12 E-Bikes besitzt, diese ausmietest und dann den ganzen Mietertrag plus 50% abliefern musst. Nach ein paar Jahren hast du dann nichts mehr.“

„Vielleicht sollte man den Jusos gleich von Anfang an die E-Bikes wegnehmen?!“

„Schwierig“, entgegnete Waldmeyer. „Die arbeiten nur halbtags, sind z.B. Lehrer oder städtische Angestellte (Kulturpflege) und nutzen gratis die E-Bikes der Stadtverwaltung. Da ist nichts zu holen. Und so lösen wir das Problem nicht.“

Aber: Handelte es sich nun um Kommunismus oder Sozialismus? Es handelt sich auf jeden Fall um Enteignung. Aber auch um Umverteilung. Also ist diese 99%-Initiative vielleicht ein klarer Fall von Soziokommunismus.

Noa warf noch die provokative Idee ein, einfach auszuwandern. Er würde künftig nicht in einem Land wohnen wollen, wo der Staat die persönlichen Errungenschaften klaut. Aber wohin…? Es müsste ein Ort sein, wo es so oder ein bisschen wärmer ist, das Leben jedoch günstiger, sich das Arbeiten lohne, und überhaupt. Er studiere ja nicht vergeblich Betriebswirtschaft! 

Die angespannte Frühstücks-Debatte wurde nun unterbrochen, da Noa dringend gehen musste. Er hatte sich mit Bekime verabredet (seine neue Freundin, albanisch).

Waldmeyer rief ihm nach: „Ich überlege mir was. Wir diskutieren das am nächsten Sonntag.“

Zurück in seinem Büro, eigentlich in seinem Newsroom, blickte Waldmeyer an seinen Van Gogh an der Wand: Ob dieser auch der 99%-Initiative zum Opfer fallen könnte? Zum Glück war es eine Kopie.

Er wollte sich nun Gedanken machen betreffend einem Auswanderungsland. Bekime hatte ihn gleich auf eine seltsame Idee gebracht: Albanien! Zumal Albanien eine stock-kommunistische Vergangenheit hat.

Aber dazu erst nächsten Sonntag.

Waldmeyer wechselte 2023 zur Digitalbank

Oder die Grenzen der Smart Society, Teil III

Waldmeyer hatte gefühlt schon mehrmals ein digitales Nahtod-Erlebnis. Es stellte sich genau dann ein, wenn er mit den Logins nicht weiterkam, die QR-Codes nicht funktionierten, er nach Passwörtern suchte und Stunden am PC verlor, um die einfachsten Dinge des täglichen Lebens zu verrichten. Oder mit der Robo-Tante am Telefon nicht weiterkam und in irgendeiner Schlaufe verkümmerte. Es war dann, wenn er jeweils schreiend in den Garten hinausstürzte und sich am liebsten im Hallwilersee ertränkt hätte. Aber jetzt zeigte sich ein Lichtblick: Die neue Digitalbank schien personalisiert zu sein!

Die Digitalisierung von allerlei nützen und unnützen Tätigkeiten wird sich beschleunigen, ohne Frage. Sie wird leider auch vor Waldmeyer nicht haltmachen. Gewisse Dinge sind heute ja ganz praktisch. Im Tre Fratelli z.B. konnte Waldmeyer so seinen Lieblingstisch mit ein paar wenigen Wischs über sein Smartphone reservieren – bisher musste er oft minutenlang am Telefon warten, bis Luigis Frau endlich den Hörer abnahm und ihm dann nicht genau sagen konnte, ob sein Tisch dann wirklich frei sein würde (tavola no. 11).

Allerdings war die Entpersonalisierung von all diesen digitalisierten Tätigkeiten mit Händen zu greifen. Man war oft lost in space, zusehends entseelt, ein alleine gelassener Mensch mit der Maschine.  

Die Banken hatten das durchaus erkannt und versuchten nun seit 2022 Gegensteuer zu geben. Man schlug den Kunden vor, zu einer aktiven Digitalbank zu wechseln. Dort ist dann eben das ganze Banking digitalisiert, aber – und das war der Trick – man holte den Kunden trotzdem persönlich ab. „Personal Communication Modem“ lautete das interne geheime  Programm. Für viele neue Mitarbeiter ganz neu und ungewöhnlich: einem echten Kunden tatsächlich in Fleisch und Blut gegenüberzustehen. Die biederen oder pseudo-modernen Schalterhallen wurden dafür kurzerhand, und zwar flächendeckend, in diese coolen Cyber-Begegnungsstätten umgebaut. Das neue Konzept funktionierte natürlich nicht richtig.

Waldmeyer wusste das jedoch noch nicht und entschied sich etwas blauäugig, zu dieser neuen komischen Form des Bankwesens zu wechseln. Er entschied so, zumal er gar keine andere Wahl hatte, denn seine Bank zwangswechselte ihn quasi zu dieser seltsamen Digitalbank, weil sie sich selber dieser komplett digitalen Mutation unterzogen hatte.

Das Exotische an den neuen Digitalbanken war nun, dass man sich eben trotz allem physisch mit Bankangestellten treffen konnte. Das war selbstredend ein ganz raffinierter psychologischer Marketing-Schachzug.

Max Waldmeyer trat also, es war Dienstag, der 14. März 2023 um 10:45, in diesen coolen „Schalterraum“ ein, der eigentlich so eine Mischung zwischen Cyberraum und einer Bar war. „Schön, dich wieder mal zu sehen, Max!“, flötete Svetlana ihm entgegen. Sie sass mit ihrem kurzen Rock und den braun gebrannten Beinen in der an die Bar grenzenden Lounge, warf gekonnt ihr blondes Haar nach hinten, sodass ihr nicht unvorteilhaftes Décolleté ziemlich plakativ zur Geltung kam und wartete offenbar nur auf Waldmeyer. Natürlich war es nicht so, dass Svetlana den Waldmeyer erkannt hätte – aber beim Passieren der elektronischen Tür hatte das System „Max Waldmeyer 1965“  sofort gescannt. Und Waldmeyer hatte sich natürlich vorher schon eingeloggt, er hatte einen elektronischen Slot erhalten und war nun pünktlich 10:45 zur Stelle.

Waldmeyer war etwas verwirrt. Er hatte erwartet, dass man ihn zu einer Chesterfield-Lounge führt und ein gepflegter Banker würde ihm einen Single Malt offerieren. So hätte er sich gerne in der Zielgruppe gesehen. Offenbar definierte die neue Bank Waldmeyer nun neu?

Rodrigo war auch da. Früher hätte man ihn Schalterbeamten genannt. Aber seit dem flächenweiten Umbau der Schalterhallen in Cyber-Begegnungstätten war Rodrigo ein Banking Communicator. Es war wohl ein neuer Beruf. Rodrigo trug einen ziemlich engen hellblauen Anzug, die Hosenbeine reichten bis zur Wade und betonten so die weissen Sneakers, in denen seine nackten Füsse steckten. Unter dem knappen Veston trug er ein geschmackvolles Rippenleibchen, über welchem ein ebenso geschmackvolles Tattoo auf der Brust rausblitzte. Rodrigo lachte ihm entgegen: „Tschau Max, schön dich wieder zu sehen! Deine UBS-Aktien bewegen sich ein bisschen, super!“ Waldmeyer staunte, denn er hatte Rodrigo noch nie gesehen! Aber Rodrigo hatte offenbar gute Vorarbeit geleistet und sein Portfolio bereits studiert.

Das DU, das man Max entgegenschleuderte, war im ersten Moment etwas komisch, aber in der digitalen Welt ist das durchaus Standard. Wir sind ja eine Familie. Und Svetlana sah ausserdem blendend aus. Das Piercing in der Augenbraue störte etwas, aber Waldmeyer versuchte, darüber hinwegzusehen. „Du magst den Espresso doppelt, ja?“, lispelte sie ihm entgegen. Erstaunlich, genau vor 12 Monaten hatte er hier, genau an dieser Stelle, einen doppelten Espresso erhalten. Damals hatte ihn noch Pierino Caduff empfangen, sein langjähriger Mann aus dem Private Banking, zusammen mit seiner ebenso langjährigen Assistentin. Damals schon stand die Bank an der Schwelle zur Digitalisierung. Vermutlich wurde Caduff jetzt weg-digitalisiert und eben durch Svetlanas und Rodrigos ersetzt?

Die Faceerkennung vom März 2022 wurde offenbar gespeichert, und jetzt erkannte man den Waldmeyer sofort, wenn er die Bank betrat. Auf dem Prompter bei Svetlana leuchteten online alle Details zu seiner Person auf, und Rodrigo konnte gleich ins Portfolio reinschauen. So geht das heute. Waldmeyer war beeindruckt – aber auch entsetzt. Svetlana wusste vermutlich alles über ihn. Aber sie sah unbestritten gut aus, diese Marketingleute der „neuen“ Bank hatten ganze Arbeit geleistet: Man digitalisiert, das heisst, man sourced die ganze Bankarbeit an den Kunden selber aus, und damit er trotzdem nicht ganz unzufrieden ist, holt man ihn ab und zu persönlich ab, mit ein paar jungen „Freunden“. 

Waldmeyer war natürlich klug genug, die Décolleté-Falle zu durchschauen. Er erkannte sofort, dass die Svetlanas wohl für die männlichen Kunden, die Rodrigos für die weiblichen gedacht waren. Charlotte z.B. würde also den Espresso von Rodrigo erhalten, dafür würde dann Svetlana in ihr Portfolio reingucken. 

„Cooler Ort hier“, meinte Waldmeyer. „Soll ich nun jede Woche hier reinschauen?“

Svetlana wurde plötzlich ernst und lispelte nicht mehr. „Es gibt eigentlich nur eine solche Einladung pro Jahr. Du hast ja den Slot jetzt erhalten, das war für 2023. Wir möchten einfach den Kontakt nicht verlieren und ein gutes Verhältnis mit dem Kunden bewahren. Die Kunden sind uns sehr wichtig, weisch. Alles ok bei dir…?“ 

Svetlana hielt ihm auf einem Tablet die neue Datenschutzerklärung entgegen. Datenschutzerklärungen haben es ja so an sich, dass man mit einem Ok auf den Schutz der persönlichen Daten verzichtet. Svetlana legte ihm das Tablet auf die Knie. Der Text entsprach gefühlt etwa der Länge von Goethes Faust. „Es geht darum, dass wir das alles so weitermachen und dich unterstützen dürfen, Max, du kannst hier mit dem Daumen unterschreiben!“

Max lachte gequält, sprang auf und verliess den Cyber-Schalterraum mitsamt seinem ungenutzten Daumen. Er überlegte sich, zuhause in Meisterschwanden in Ruhe  seinen Tresor mit dem Bargeld zu plündern und ab sofort alles nur noch bar zu bezahlen.

Das war natürlich keine Lösung, aber die Überlegung tat wohl. Er nahm sich vor, demnächst ein Bier mit Caduff zu trinken. Das wäre tatsächlich interessanter als der Espresso bei Svetlana.

Waldmeyer und die Grenzen der Smart Society

Die Digitalisierung ist nichts anderes als die grösste Industrialisierung seit Menschengedenken. Die Dampfmaschine, die Elektrifizierung, die Automatisierung etc. – alles ein Klacks. Denn nun werden wir Zeitzeuge eines Vorgangs, der in Sachen Geschwindigkeit und Wandel alles Bisherige in den Schatten stellt. Es ist ein Umbruch, welcher die ganze Gesellschaft erfasst. Und nun steht die letzte Ausprägung dieses Vorganges an: Das Ganze macht nämlich auch vor Max Waldmeyer nicht halt. War früher doch alles besser? Aber dazu später.

Waldmeyer hatte mit Charlotte soeben im Trois Couronnes eingecheckt und studierte die digitalen Gadgets im Zimmer. Es gab sogar ein Gas-Cheminée, welches elektronisch kontrolliert werden konnte. Licht, Musik, Verdunkelung – alles smart. 

Die erste Hürde war das W-LAN: Das Passwort war extra so konzipiert, dass es möglichst kompliziert war und – wie so oft – vorsätzlich gemeine Stolpersteine aufwies. Es waren beispielsweise Nullen und „O“s eingebaut, damit man diese verwechselt. „Herr Waldmeyer, ich kann Ihnen leider keine Auskunft geben, ich schicke Ihnen den IT“, säuselte die Stimme von der Reception. Der IT kam rasch, es dauerte genau 22 Minuten und klärte auf: „Das sieht man ja ganz klar, die drei „O“s sind Zahlen“. Ganz klar. 

Während Charlotte im Bad nun versuchte, mit der Beleuchtung klarzukommen, wollte Waldmeyer kurz in diese Segel-Regatta reinschauen. Es gab drei Fernbedienungen für den Fernseher. Alle lagen sauber und parallel ausgerichtet neben dem X-Large Bildschirm. Waldmeyer probierte alle – auch in Kombination. Er schaffte es nicht.

Wieder gut 22 Minuten später – Charlotte suchte immer noch nach der besten Lichtkombination im Bad – musste der IT (auf seinem Namensschild stand IT – Krasnowskyschiri), ein sichtlich entnervter Nerd mit einem Tablet, nochmals antreten und die drei Fernbedienungen erklären. Es war ganz einfach. Klar.

Die restlichen Funktionen im Hotelzimmer entdeckte Waldmeyer in der folgenden Stunde. Nach einigem Suchen fand er auch das Tablet im Zimmer, mit dem er – nach kurzem Login – in einem Unterprogramm die Funktion für die elektrischen Vorhänge entdeckte. Es war jedoch Charlotte, welche die Funktion der Sonnenmarkisen aufstöberte – nicht in einem Unterprogramm, sondern in der Szenarien-Funktion „Terace Living“. Ja, ein „r“ fehlte bei Terrace, schade. Waldmeyer gelang es auch, im Nu die Minibar zu öffnen, man musste nur den dafür vorgesehenen Login und eine Handvoll persönliche Daten eingeben und die Datenschutzvereinbarung akzeptieren. Mit den 12 Kissen auf dem Bett kam Waldmeyer indessen nicht ganz klar, obwohl hier für einmal eine ganz analoge Aufgabe anstand. Aber das war ihm eh einerlei.

Nach dem Diner (bis auf die Weinkarte verlief alles ganz angenehm analog), um genau 23:35, musste Waldmeyer leider zum dritten Mal den IT rufen. Diesmal den Nacht-IT, denn Lichterlöschen stand an. Die ganze Zimmerbeleuchtung war nämlich in Szenarien und Ambiancen strukturiert, Waldmeyer fand aber die Schlaf-Funktion nicht (früher: dunkel – oder einfach Licht aus); verschiedene indirekte Dimm-Beleuchtungen liessen sich nämlich nicht ausschalten. IT Nummer drei redete mit Waldmeyer wie mit einem Kind:  „So, das hätten wir jetzt auch, Herr Waldmeyer, jetzt können Sie ruhig schlafen. Ich muss jetzt weiter, es warten noch andere Gäste, im Fall!“ Klar.

Waldmeyer fand dies alles soweit ganz amüsant, vor allem, als er die Kosten der drei ITs für den 24-Stunden-Service kurz überschlug. Er überlegte sich, wie sich der General Manager vor dem Verwaltungsrat wegen den explodierenden IT-Kosten wohl rechtfertigen würde. Zum Beispiel so: „Die Digitalisierung macht auch vor der Hotellerie nicht halt; um diese Ausgaben kommen wir nicht herum, es sind Investitionen in die Zukunft. Und der neue Gästetyp verlangt das einfach.“ Oder ähnlich. Würde er, Waldmeyer, also nicht mehr zur Kernzielgruppe eines Fünf-Sterne-Hotels gehören? Offenbar nicht.

War früher alles besser? Die Einführung des Farbfernsehers zum Beispiel: Diese Revolution war nämlich überblickbar. Dann kam die Fernbedienung: in der Regel lernbar. Aber jetzt die Zäsur, dieser Quantensprung: Das ganze Leben findet eigentlich in sequenziellen Logins statt. Anstatt Schalter zu drehen, zu kommunizieren oder die NZZ in Papierform zu geniessen, machen wir nun stundenlang Logins. Brave, new world.

Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter, er dachte ans nächste Wochenende. Denn dann stand nämlich Büroarbeit an. Eigentlich Login-Arbeit. Büroarbeit besteht heute zu 90% aus Logins. Waldmeyer wusste schon jetzt, dass es ein Fiasko werden wird. Aber dazu eben später, in einem nächsten Beitrag.

Die Cheminée-Funktion brachte Waldmeyer im Übrigen nicht zum Funktionieren. Die drei Fernbedienungen liess er ebenso liegen. Doch Waldmeyer ist eine lösungsorientierte Spezies. „Selbst ist der Mann“, dachte er sich und schaute mit Charlotte die 99. Folge von 24 hours auf dem Laptop an. Es funktionierte einwandfrei. 

Waldmeyers wirres Energieszenario

Waldmeyer suchten in letzter Zeit nicht nur Albträume heim. Er hatte neuerdings auch ein Problem mit den Tagträumen. Genauer genommen handelte es sich um Gedankengänge, die ihm während seiner geliebten Siesta entglitten. (Die Siesta ist übrigens die einzige herausragende Erfindung der südlichen Länder, befand Waldmeyer.) Gestern zum Beispiel beschäftigte ihn ein neues Schreckensszenario: Wann würde man ihm das Autofahren verbieten…?

Schon heute ist es den Politikern eigentlich egal, dass eine Kuh pro Jahr ebenso viel CO2 ausstösst wie ein durchschnittliches Fahrzeug mit einer jährlichen Fahrleistung von 18‘000 Kilometern. Waldmeyer begann zu rechnen: Schweizer Rindviehbestand 1.5 Millionen, Personenfahrzeugbestand rund dreimal mehr. Also verdreckt allein das gehörnte Schweizer Vieh die Luft so stark wie ein Drittel der Fahrzeuge. Jetzt kommen aber noch 1.5 Millionen Schweine dazu, plus weitere Tiere, welche die Luft ebenso kontaminieren. Wieso dürfen die das…? 

Aber nicht genug: Korrekterweise muss man die CO2-Belastung hinzurechnen, welche die ganze ausländische Viehzucht verursacht, die durch die Fleisch-Belieferung in die Schweiz entsteht (Waldmeyer dachte z.B. an die Vorstufe des feinen Stücks Black Angus, das er manchmal auswählt). Waldmeyer schätzte, dass sich die CO2-Belastung des gesamten Schweizer Pkw-Bestandes mit dem CO2-Ausstoss der Viehbestände die Waage hält (inklusive dieses „grauen Viehbestandes“ im Ausland).

Nur: Rindviecher müssen keine Treibstoff- und andere -steuern abliefern, kriegen keine Bussen, finden immer Parkplätze – und dürfen eben unbehelligt Abgase produzieren. 

Es hätte nur eine Siesta werden sollen, aber Waldmeyer dämmerte nun in den tiefen Schlaf hinein, nahm seine letzten Gedanken jedoch mit in den Traum. Diese entwickelten sich zu einem Schreckensszenario in die Zukunft:

2023 wurde nämlich der Diesel gekillt. Wegen den Stickstoffwerten. Es half nichts, dass die modernen neuen Fahrzeuge nur noch einen Bruchteil an schädlichen Abgasen ausstiessen. Die Politik wollte es so. Oder die Demokratie. Oder beides.

Dann, 2024, wurden auch die klassischen Benziner massiv attackiert. Die vorgegebenen CO2-Werte wurden von den Behörden so tief angesetzt, dass diese unmöglich eingehalten werden konnten: Es waren nämlich Negativ-Werte. Das heisst, ein Fahrzeug müsste CO2 absorbieren, um noch eine Fahrbewilligung zu erhalten – ein rollender Wald quasi.

Inzwischen durfte man auch nicht mehr in die Stadt Zürich reinfahren. Alle Strassen waren bereits in Grünflächen konvertiert worden; sogar die Oberflächen von Baucontainern mussten begrünt, und die privaten Dachgärten mussten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zürich war ein grosses, fröhliches und autofreies Kibbuz geworden.

2026 dann der Sturm auf die Hybridfahrzeuge. Die sind im normalen Fahrbetrieb ja auch nicht sauber. Und ihr produzierter Feinstaub entspricht dem der konventionellen Fahrzeuge. Sie wurden verboten. Notgedrungen stellten alle auf Elektrofahrzeuge um. Die Tragik hielt sich allerdings in Grenzen, da seit Covid-25 eh alle im Homeoffice sassen.

2029, August: Dunkelgrüne Kreise formierten plötzlich eine massive Opposition gegen Elektrofahrzeuge. Deren Strombezug, so entdeckten sie plötzlich, stamme ja noch zu einem grossen Teil aus dreckigen Kohle- und Atomkraftwerken aus dem Ausland. Das war nicht mehr vertretbar. Und  der Feinstaub ist auch sau-gefährlich. Und die seltenen Erden, die in den Vehikeln stecken, werden ziemlich schmutzig abgebaut. Und die Fahrzeuge sind schwierig zu entsorgen. Und überhaupt. Also wurden alle Elektrofahrzeuge mit ganz hohen Steuern belegt – als integrierender Teil des Programms „Energiewende 3.0“.

2031: Alle Oldtimer wurden von der Strasse genommen. Zwar waren die rund 60‘000 rollenden Kulturgüter in der Schweiz seit 2020 durchschnittlich nur je 790 km pro Jahr bewegt worden, und die ganze Oldtimerbranche erzielte eine jährliche Wirtschaftsleistung von fast einer Milliarde CHF p.a. Aber diese Argumente zählten nicht. Waldmeyer erschien im Traum kurz der Museumsdirektor des Schlosses Hallwyl: „Kein Problem, Waldmeyer, Sie dürfen Ihren Jaguar E bei uns ins Museum stellen! Bitte von Hand reinstossen und vorher alle Kraftstoffe ablassen.“ 

Die weiteren Ereignisse überschlugen sich. 2033: Der Individualverkehr wurde nun generell als schädlich betrachtet und weitgehend eingestellt. Der ÖV war dafür ab sofort für alle gratis. Waldmeyer ärgerte sich im Schlaf – doch, das geht –, dass Charlotte dies gar nicht so schlimm fand.

2035: Endlich funktionierte autonomes Fahren – einigermassen. Allerdings waren die dafür genutzten Fahrzeuge nicht mehr in privatem Besitz. Und es funktionierte nach wie vor nicht im Winter, wenn Schnee auf der Strasse lag. Wegen den Markierungen, die eben unter dem Schnee lagen. Aber endlich wurde die Sharing Economy nun auch zur Sharing Society.

2048 war das Ziel erreicht: Es gab überhaupt keinen privaten Individualverkehr mehr. Normale, mit fossiler Energie betriebene Fahrzeuge gab es nicht einmal mehr für kommunale Zwecke. Und alle Verkehrsmittel durften nur noch mit digitalen und in Bern im Büro von Sommarugas Nachfolger überwachten Spezialbewilligungen verkehren.

Die Speicherung von Energie war allerdings nach wie vor nicht gelöst: Während der Nacht und an sonnenarmen und windfreien Tagen, der „Dunkelflaute“ also, musste der Stromverbrauch drastisch rationiert werden. Die letzten Atomkraftwerke wurden bereits Mitte der 2040-Jahre abgeschaltet. Fossile Kraftwerke waren eh verboten, und individuelle Blockkraftwerke wurden schon viel früher nicht mehr erlaubt. Das private Verbrennen von Holz, Öl, Gas oder anderen Energieträgern wurde unter Strafe gestellt; mehrere Tausend Bürger verbüssten sogar hohe Gefängnisstrafen, viele sassen in Untersuchungshaft. Auch Waldmeyers Nachbar Freddy Honegger. Man hatte ihn beim Rasenmähen erwischt. Mit dem Elektrorasenmäher zwar, aber er konnte nicht nachweisen, dass der verbrauchte Strom auch gänzlich aus erneuerbarer Energie produziert wurde.

Waldmeyer liess seinen Blick – im Traum natürlich – über die Dächer schweifen: Eigentlich sah er gar keine Dächer mehr, sondern nur noch Sonnenkollektoren, welche allerdings nicht nur die Hausdächer, sondern alle gegen einigermassen gegen die Sonne gerichteten Flächen überzogen. Also auch Fassaden, auch brache Flächen. Und auch eine Fahrspur der Kantonsstrasse (die andere Fahrspur war bereits seit 2039 Grünfläche).

Teure und in der Produktion energieaufwendige Batteriespeicher standen in vielen Kellern. Private, gewerbliche und öffentliche Haushalte durften nur noch auf max. 19 Grad geheizt werden, das Kühlen von Räumen war nur noch Spitälern, Lagerhäusern und für Lebensmittel-Transporte erlaubt. Blasenentzündungen häuften sich.

Kann man im Traum philosophisch sein? Waldmeyer konnte. Er stellte fest, dass das Leben mit der staatlich verwalteten Energie zu einer neuen Sozialisierung und Ent-Individualisierung der Gesellschaft führte… Gleichzeitig entwickelte sich die Wirtschaft seit Jahren jedoch nur noch negativ und befeuerte soziale Probleme. Viele vermögende Personen hatten Europa und insbesondere die Schweiz verlassen, meistens nach Übersee.

Die Entwicklung liess sich nicht mehr stoppen. Die Viehhaltung übrigens wurde ab 2050 zur Gänze verboten; das BAG lieferte dafür unnütze Tofu-Rezepte. Aber es war zu spät: In dem viel gepriesenen Abendland war das Licht schon ausgegangen. Und Waldmeyer lag schon unter der Erde.Waldmeyer schrak plötzlich aus seinem Schlaf auf. Er torkelte zum Sideboard beim Hauseingang: Der Porsche-Schlüssel lag noch an seinem gewohnten Platz. Hallelujah, die Welt war doch noch in Ordnung.

Waldmeyer, die Swiss und der Werteverfall, auch önologisch

Waldmeyer sass in einem unbequemen und engen Sessel in der Swiss, ärgerte sich über die Auflösung des Mickymaus-Bildschirms, den unbrauchbaren Kopfhörer, die ungehobelten Nachbarn und dachte voraus, nämlich an das Ende der Swiss: Zum Beispiel 2022, nach dem endgültigen Grounding des maroden Carriers. Dann würde er vielleicht mit seinem Grossneffen Tim nach Basel Mulhouse fahren und dort die Flugzeuge anschauen. Der Bundesrat hätte, nach dem Niedergang der nationalen Airline (die allerdings schon lange den Deutschen gehörte), der Bevölkerung versprechen können, wenigstens auf einem Easyjet-Flieger ein kleines Schweizer Kreuz anzubringen. Deshalb auch, so stellte sich Waldmeyer weiter vor, diese Nostalgie-Reise mit Tim nach Mulhouse. Doch noch sind wir nicht soweit.

Waldmeyer beobachtete die Swiss-Misere schon länger. Bereits im Frühling 2020 las er bei True Economics, dass die Lage eigentlich hoffnungslos werden würde; die von der Swiss in Aussicht gestellten Erholungszahlen konnten nie und nimmer erreicht werden. Der damals von True Economics als äusserst pessimistisch prognostizierte Chart mit den Auslastungen für 2020 bis 2022 war im Nachhinein betrachtet sogar zu optimistisch. Der Bundesrat beging einen ordnungspolitischen Sündenfall und schickte eine Milliarde nach Berlin – de facto dem deutschen Staat, denn die Swiss gehört ja schon lange nicht mehr uns. Merkel und Scholz werden künftig als Copiloten bei der Muttergesellschaft Lufthansa im Cockpit sitzen. Die Eidgenossen subventionieren damit den deutschen Staat – eine hehre Haltung. Ähnliches passierte einzig 150 Jahre zuvor, als Helvetien aus purem Mitleid die französische Bourbaki-Armee unterstützte und ihr Asyl bot.

Waldmeyer ahnte nun, wie es demnach kommen würde: Die Auslastungszahlen der Swiss können sich nicht erholen, es wird kaum mehr Business und auch kaum mehr Langstrecke geflogen – und zwar längerfristig. Die stolze Airline mit dem Schweizer Kreuz, die gar nicht den Schweizern gehört, droht endgültig abzustürzen. Oder müsste sinnvollerweise eben vorher gegroundet werden.

Es könnte zuvor weiteres Ungemach drohen, so reflektierte Waldmeyer weiter in seinem unbequemen Gestühl im A330-300 der Swiss: Der digitale internationale Impfpass wird kommen. Aber das Schweizer Parlament und der Bundesrat werden der Swiss verbieten, Impfungen und digitale Impfpässe als Bedingungen für einen Flug festzulegen. Das werden zwar alle Airlines weltweit tun, könnte aber nicht für Flüge mit der Swiss gelten. Eine solche Diskriminierung wäre nämlich unhelvetisch, und ein digitaler Pass könnte die Persönlichkeitsrechte tangieren, und überhaupt. In der Folge würde selbstredend weitergeflogen, aber eben nicht mehr mit der Swiss.

Kann man überhaupt in die Zukunft „reflektieren“? Waldmeyer kann es. Er stellte sich vor, dass die Piloten, seit einem Jahr in Kurzarbeit, einfach weiter in Kurzarbeit bleiben würden, bis sie mindestens 60 sind. Sie könnten auch gar nicht fliegen, denn die Airline würde zum Beispiel am 2. Oktober 2021 endgültig grounden. Es wäre ein schönes Datum, nämlich haargenau 20 Jahre nach dem Swissair-Grounding. Die kranke Lufthansatochter wäre am Schluss nur noch ein fliegendes marodes Geldinstitut gewesen, und alle wären erlöst, wenn dieser Agonie ein Ende bereitet worden wäre. Der Bundesrat würde dann ab Oktober 2021 sofort mit Easy Jet verhandeln, damit wenigstens auf den paar wenigen Fliegern, die Basel anfliegen, das Schweizerkreuz angebracht werden könnte. Ja, und deshalb dann der Ausflug Waldmeyers mit Tim nach Basel-Mulhouse!

Waldmeyer überlegte weiter: Eine alternative Rettung des maroden Carriers könnte nur erfolgen, wenn die ganze Schweizer Bevölkerung – also wirklich alle, auch Kleinkinder und Corona-Geschädigte – sich mindestens zweimal pro Jahr ins Flugzeug setzen würden (weil die Ausländer zum Beispiel nicht mehr können oder dürfen oder wollen). Und dann, ja dann könnte das Ziel vielleicht erreicht werden. Das Ganze müsste 16 Millionen Mal stattfinden, so viel wie 2019 mit der Swiss geflogen wurde. Aber es dürfte nicht nur Mallorca angeflogen werden, sondern es müsste auch mal Singapur oder Sydney drin liegen. Und natürlich auch Business und First. Fazit: Ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Flug ins sehr gewisse Ungewisse.

Waldmeyer flog heute auf seinem Trip in den Mittleren Osten nicht Business, sondern, aus ökonomischen Optimierungsgründen, nur Economy. Mit Schrecken musste er feststellen, dass sich die Rotweinauswahl auf einen Billigstwein aus Frankreich, mit sagenhaft tiefen 12.5 Volumenprozenten beschränkte. Das dünne Getränk unterbot damit sogar die Werte von ungeniessbaren Schweizer Landweinen, qualitätsmässig drängte sich ein Vergleich mit Weinen aus dem Tetrapack (für 99 Cent) aus französischen Supermärkten auf. Beschafft („sélectionné“) wird diese önologische Pfütze, laut Etikette, durch Coop. Offenbar gelingt es der international aufgestellten Airline nicht, ihre weltweite Weinbeschaffung direkt sicherzustellen. Das Plastikfläschchen mit 1,87 Deziliter wird von der Swiss wohl für unter einem Franken bei Herrn Loosli bei Coop eingekauft, und Coop wird den Fusel in Hektolitern für eine Fraktion des Preises organisiert haben.

Kurzum: Der Wein war ungeniessbar. Soweit jedoch keine Tragik. Tragisch indessen betrachtete Waldmeyer den Werteverfall bei der Airline. Also nicht nur den Kurszerfall der Aktie der Lufthansa, sondern auch die falsche Wertestrategie der Swiss, als selbsternannte „Premium Airline“. Dieser toxische Wein, ein „Mythique Pay d’oc“, der in einem Blindtest wohl kaum als Rebensaft erkannt würde, widerspiegelt leider diese Agonie des flügellahmen Kranichs mit dem Schweizerkreuz. Der Fusel wird quasi zur flüssigen Metapher, die uns nun nicht nur finanziell mit Direktzahlungen aus der Schweizer Bundeskasse quält, sondern neu auch önologisch.

„Wir müssen Goethe umschreiben, Charlotte“, meinte Waldmeyer zu seiner Frau auf dem engen Nebensitz. „Richtig sollte es heissen: Der Flug ist zu lange, um schlechten Wein zu trinken!“ „Goethe konnte noch nicht fliegen, Schatz“, erwiderte Charlotte wie immer schlagfertig. 

„Wer wohl den Fusel ausgesucht hat? Ich meine nicht bei Coop, den würde der Loosli nicht mal probieren. Sondern wer von den Verantwortlichen bei der Swiss?“ Charlotte hatte auch hier eine Antwort: „Das war wohl der Scholz, Max.“ 

Wir alle sind Waldmeyer

Oder warum sich Waldmeyer über die begrünten Container und andere absurde Sachen ärgert

Waldmeyer brauchte mehrere Wochen, um sich vom Ärger zu erholen und sich einen Reim auf die neuesten Pläne der rot-grünen Zürcher Stadtregierung zu machen. Diese verqueren Pläne sehen nämlich vor, bei öffentlichen Bauvorhaben die Oberseite der Container begrünen zu lassen. Also zwangszubegrünen. Vordergründig ganz amüsant, aber letztlich gar nicht so lustig, findet Waldmeyer.

Vor kurzem nur mussten wir den merkwürdigen Vorstoss des Zürcher Stadtparlaments zur Kenntnis nehmen: Private Dachgärten sollten künftig für die Öffentlichkeit geöffnet werden. Ein paar Wochen später nahmen wir mit Verwunderung den Initiativtext der Jusos zur Kenntnis, welche mit ihrer 99%-Initiative Kapitalertragssteuern von 150% vorsehen. Beides ziemlich bizarre Idee. Und, richtig: Beides sind Enteignungs-Vorstösse, und nicht einmal Karl Marx hätte sich solch schöne Umverteilungsideen des Kapitals erhofft. 

Und nun also die Container. Aber auch dies nur zum Allgemeinwohl: Die individuellen Luftsäulen über jedem Container (im Durchschnitt auf einer Fläche von 15 m2), welche den C02-Ausstoss, global gesehen, bestimmt markant reduzieren werden, sind eben ein positiver Beitrag gegen die Klimaerwärmung. Zudem soll so die lokale Biodiversität zu spürbar besserer Lebensqualität vor Ort führen. 

Allerdings, so die Vermutung Waldmeyers: Dieser raffinierte Containerplan könnte nur der Anfang sein. Was kommt als nächstes? Die Begrünung der Gehwege? Künftig müssten die Zürcher Banker also besseres Schuhwerk bereithalten, wenn sie durch die Sumpfwiesen die Bahnhofstrasse runterschlendern. Innert Kürze könnten auch die Strassen fallen: nur noch Acker,  geplegt durch neue Staatsdiener vielleicht in einer Dreifelder-Wirtschaft? Offroadfans hätten sich zu früh gefreut, denn das ginge natürlich mit einem kompletten Fahrverbot in der Innenstadt einher.

Auch Waldmeyers Porsche Cayenne (früher schwarz, innen auch) müsste in einer ersten Phase wohl mit einem begrünten Dach leben, in der zweiten dann aber ganz einfach stillgelegt werden. Anschliessend wären alle Hausdächer dran, dann die Menschen.

Die totale Begrünung also. Und deren Finanzierung? Kein Problem: Diese 99%-Initiative der Jusos wird es richten; deren Initiative sieht ja vor, das oberste Prozent nun massiv zu schröpfen, mit dieser 150% Kapitalertragssteuer. Vergessen dabei bleibt, dass dieses eine reiche Prozent der Bevölkerung blitzartig die Flucht antreten würde, und das Steuersubstrat des Staates würde implodieren. Das oberste Prozent schultert übrigens fast 25% des gesamten Steueraufkommens.

Zurück aber zu den begrünten Containern. Es ist schon bemerkenswert, mit welchen Problemen wir uns auseinandersetzen dürfen. In einer hochentwickelten Welt sublimieren sich quasi die echten Probleme, und es werden dann ziemlich einfältige oder sonst weltfremde und absurde Themen gewälzt.

Aber das mit den Containern könnte Waldmeyer vielleicht so was von egal sein. Er wohnt ja in Meisterschwanden! Waldmeyer blickte von seiner grossen Terrasse aus ins Grün Richtung See runter. Alles war grün, der Garten, die Gärten der Nachbarn, die Wiesen, manchmal auch der See. Das gegenüberliegende Ufer, zum Teil bewaldet, ebenso. Die Waldbestände erhöhen sich in der Schweiz übrigens jährlich um Dutzende von Quadratkilometer. Schön, dass sich die Zürcher Exekutivpolitiker mit dem nicht zufrieden geben und ein paar Dutzend Quadratmeter Grün zusätzlich vorschreiben. Waldmeyer überschug kurz: 1 Quadratkilometer hat 1 Million Quadratmeter; es gälte also rund 67‘000 Container zu begrünen, um das Schweizer Grüntotal nur um einen einzigen Quadratkilometer zu erhöhen. Es müssten also eine Menge Bauvorhaben in Zürich anstehen.

Die Rechnung war ja ganz amüsant, aber Waldmeyer ging es eigentlich um dieses Vorschreiben, um diese zunehmende und wenig zielführende Regeldichte, welche Ihm den Atem stockte. Und das mit den Containern, fiel ihm deshalb ein, dürfte ihm deshalb trotzdem nicht egal sein: Es besass nämlich UBS-Aktien. Es war kein guter Entscheid, vor 20 Jahren, als er sie bei CHF 40 als sichere Langfristanlage gekauft hatte (heute dümpeln sie bei jämmerlichen CHF 15 dahin). Und jetzt der Zusammenhang: Diese glücklose Begrünungs-Schlacht in Zürich verteuert nämlich die Ausschreibungen der Stadt, die Ausschreibungen verteuern die Ausgaben, was tendenziell zu schlechten Abschlüssen der Gemeinde führt – welche wiederum Einfluss auf die Steuerlast nehmen. Die UBS versteuert einen Teil ihrer Gewinne nämlich in der Stadt Zürich; damit reduzieren sich – wenn auch im Nanobereich – deren Gewinne, folglich behindert dies eine gute Kursentwicklung der UBS-Aktie. Mit jedem Container Begrünung verliert Waldmeyer also Geld!

Waldmeyer reflektierte weiter: Es hängt also alles zusammen. Es kann uns nicht gleich sein, wenn jeder Junkie künftig auf die privaten Dachgärten raufsteigen darf, weil diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Es darf uns nicht gleich sein, dass vermögende Bürger aufgrund absurder Steuerpläne die Flucht antreten oder wenn – ziemlich sinnlos – teure Begrünungsorgien gefeiert werden. Irgendwie kommt alles auf uns zurück. We all are family. Nein: We all are Waldmeyer.

„Wir sind alle Waldmeyer“, fasste Waldmeyer das Thema zusammen und platzierte so ein Statement gegenüber seiner Frau Charlotte. „Natürlich, ich musste damals deinen Namen annehmen“, antwortete Charlotte etwas mürrisch.

„Nun, es kommen jetzt noch 8.6 Millionen Schweizer hinzu“.

„Also einer reicht mir schon“, seufzte Charlotte.

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