Waldmeyer und die Luftschutzkeller

Krieg mitten in Europa: Ein Szenario, dass bis vor Kurzem undenkbar war. Aber wir sind vorbereitet in der Schweiz. Die Sturmgewehre warten im Schrank, man rückt regelmässig zur Übung in den WK ein. In mehreren Jahren kommen auch die neuen Flieger, etwas später die neue Flugabwehr. Aber vor allem: Wir haben Bunker. 

Deutschland zählt seit Monaten seine Luftschutzbunker. Schon Christine Lamprecht, die vormalige Verteidigungsministerin, Typ Handarbeitslehrerin, hatte mit diesem wichtigen Projekt begonnen. Der Neue, Pistorius, etwas forscher, zählt weiter. Man wird vielleicht Ende Jahr wissen, wo man steht. Das ist wichtig, denn verteidigen kann sich Deutschland kaum mehr selbst. Die einigermassen einsatzbereiten Geräte und Waffen wurden in die Ukraine geliefert und werden nun dort verheizt. Etwas neue Ausrüstung ist bestellt, ist aber noch nicht eingetroffen. Der Iron Dome zum Beispiel, die neue Luftabwehr aus Israel. Sie soll 2025 kommen. Das ist wichtig, denn eine Rakete aus dem russischen Kaliningrad braucht nur fünf Minuten, um beim Scholz in Berlin einzuschlagen. Deutschland wusste das schon immer, aber erst mit dem Ukrainekrieg fiel es unseren Nachbarn wie Schuppen von den Augen, dass hier plötzlich eine nicht unrealistische Bedrohung besteht. In der Not setzt Deutschland nun einfach auf die Nato. Und die Bunker. Wenn man sie denn findet und einen Überblick kriegt.

In der Schweiz sieht es nicht viel besser aus in Sachen Gesamtverteidigung. Wir setzen auf die Gamellenpolitik: Unsere Wehrkraft ist, wenn wir ehrlich sind, mehr oder weniger nur Nostalgie. Unsere Sturmgewehre und die Gefechtspackungen liegen zwar bereit (inklusive der Gamelle), wir wissen auch genau, wohin wir bei einer Mobilmachung einrücken müssen, in der Regel zu einem Gehöft auf dem Land oder in eine Turnhalle, von wo aus wir dann in der nahen Kaserne das 50-jährige Kriegsgerät holen. Dem Marschbefehl wird ein SBB-Billet beiliegen. So hat alles seine Ordnung.

Leider finden Kriege heute jedoch kaum mehr an der Grenze statt, sondern mit kontinentalen und interkontinentalen ballistischen Mitteln, mit Cyber-Waffen, Trolls und politischer Unterminierung. Rein numerisch verfügen wir zwar über eine der grössten Armeen in Europa. Unglücklicherweise zum Teil indessen ausgerüstet mit Uraltgerät, worüber sich ein Ukrainer heute totlachen würde. Über eine brauchbare Luftwaffe werden wir leider erst 2030 verfügen, etwas später dann über eine einigermassen wirksame Luftabwehr. Ein „Iron Dome“ ist nicht geplant. Im Notfall könnte aber unser Bundespräsident mit dem Scholz telefonieren, der würde dann vielleicht helfen. Der Anruf müsste indessen rasch erfolgen, die Rakete braucht zwar etwas länger zum Bundeshaus in Bern anstatt nach Berlin, aber es werden auch nicht mehr als neun Minuten sein. Tatsache ist: Heute und auch auf absehbare Zeit könnten wir uns tatsächlich nur beschränkt verteidigen. Deshalb hegen und pflegen wir unsere Neutralität, dann passiert uns nichts.

Es war ein ganz normaler Samstagmorgen, als sich Waldmeyer für den Rest des Tages verabschiedete: „Charlotte, ich bin dann mal im Luftschutzkeller“. Endlich wird da mal aufgeräumt, dachte Charlotte. Die Pritschen stehen seit Jahren in der Ecke, noch in der Originalverpackung und nicht zusammengebaut. Ebenso das Trocken-WC. Und die Vorräte liegen irgendwo dazwischen. Höchste Zeit also, den Luftschutzkeller neu einzurichten.

Die Schweiz ist wohl der einzige Staat auf der Welt, der bei den meisten Bauvorhaben zwingend die Erstellung von Luftschutzkellern vorschreibt. Das Land ist in der Folge flächendeckend mit Atombunkern überzogen. Vor einigen Jahren wurde eine Lockerung dieses vermeintlichen Anachronismus verworfen. Nicht zuletzt war es die Bauindustrie, die hervorragend lobbyiert hatte, um die teuren Einbauten weiter vorzuschreiben. Wie dem auch sei: Wir Schweizer können uns nun sicher fühlen. 

Deutsche haben immerhin U-Bahnen, in deren Stollen man Zuflucht suchen kann. In Kiew hat sich eine halbe Stadt dort mehr oder weniger häuslich eingerichtet – so gut es eben geht.

Die minuziöse teutonische Zählung der Bunker in unserem Nachbarland macht also Sinn. Vermutlich wird man auch die U-Bahn-Stollen dazurechnen, das hilft bei der Zählung, braucht aber wohl nochmals etwas mehr Zeit. Viele deutsche Städte haben U-Bahnen. Dieses horrende Tempo der Schutzplatz-Erfassung kann uns indessen gleich sein. Denn was Deutsche nicht wissen: Wir Schweizer müssen gar nicht erst zählen. Wir haben unsere Plätze. Fast jedes Haus verfügt über einen Luftschutzkeller. Wirklich, fast jede Immobilie. Im Notfall nehmen wir die Tunnels dazu – davon gibt es viele, denn das Mittelland und die Alpen sehen heute, verkehrstechnisch, wie Emmentalerkäse aus: nur noch Löcher. Aber das sind Tunnels, in denen wir überleben können. Allerdings sind wir Schweizer nicht sehr kollektiv denkende Menschen, wir sind eher Individualisten. Deshalb schätzt jeder seinen eigenen Luftschutzbunker. Der Tunnel wäre nur ein Notfall-Zufluchtsort. Für Ausländer, Asylanten vielleicht, oder grüne Hausbesetzer. Der „normale“ Schweizer verfügt über einen persönlichen Ort des Schutzes, mit Proviant, Notschlafstelle und Trocken-WC. Jeder. Tatsächlich, und das wissen wir eben bereits (im Vergleich zu den Deutschen), verfügen wir über neun Millionen Schutzplätze – etwas mehr also, als die Bevölkerung zählt. Im Notfall hätte es so noch etwas Platz für ein paar versprengte und gut zahlende Touristen.

Wandmeier kam, pünktlich zur Apérozeit, abgekämpft wieder aus dem Keller hoch. „Alles erledigt, alles neu eingerichtet!“

„Was hast du denn so alles gemacht, Max?“, fragte Charlotte skeptisch – im Wissen darum, dass sie selbst inzwischen Einkaufen war, das Dinner vorbereitet, zwei Ladungen Wäsche erledigt, die Garageneinfahrt gekehrt, Zahlungen gemacht und einem Kunden die Offerte über das neue Interior Design für die Büros in Zürich-West geschickt hatte (inklusive Gym-, Still- und gendergerechtem Begegnungsraum).

„Also“, erklärte Waldmeyer, „alles ist neu eingerichtet. Die Bordeaux sind an der Wand ganz hinten, sortiert nach Trinkreife. Die Riservas aus der Toscana alle links, die Chilenen und Argentinier für die Gäste hinten rechts, aber Achtung, nur die unteren Regale für die Gäste. Die Spanier sind vorne rechts. Der Terre Brune ist gleich beim Eingang links auf Griffhöhe.“ 

Charlotte erwiderte nichts. Immerhin hatte Max einen realistischen Überlebensplan entworfen.

Waldmeyer, der Städtebau und der Organhandel

Die Lage spitzt sich zu in der Schweiz: Wir haben zu wenig Wohnraum – und dieser ist erst noch zu teuer. Der grosse Wurf fehlt eben, wir blockieren uns selbst. Waldmeyer stellt einen Zusammenhang her mit der längsten Stadt der Welt und dem Organhandel.

Es war wieder einmal eines dieser Sonntagmorgengespräche, am späten Frühstückstisch. Waldmeyers Sohn Noa brachte die Augen kaum auf, offensichtlich war er intensiv daran, den Restalkohol vom gestrigen Abend zu verarbeiten. Lara sah auch nicht viel fitter aus. Trotzdem schnitten sie ein Problem an: Wohnraum.

Tatsächlich ist die Misere mit Händen zu greifen, denn ohne etwas «Old Money» werden junge Generationen kaum je ein Eigenheim besitzen können. Selbst für ordentlich verdienende und gut ausgebildete junge Menschen wird die herangesparte Eigenkapitalbasis nicht ausreichen, binnen nützlicher Frist die Finanzierung für eine eigene Immobilie sicherzustellen. Ohne eine Anschubleistung von aussen wird das zur Makulatur. Auch zehn Jahre lang netto jährlich CHF 20’000.- zu sparen, also CHF 200’000 auf die Seite zu legen, wird in unseren Ballungsräumen kaum für ein adäquates eigenes Zuhause reichen.

Noa meinte, mit Sparen würde man nur alt werden, aber kaum je eine eigene Hütte besitzen. Da müsste man schon gescheit in Kryptowährungen investieren, Zuhälter werden oder in den Drogenhandel einsteigen. Vor allem mit synthetischen Drogen. Noa empfahl Flakka. Das bringt Marge.

Lara (sie studiert neu Ethnologie in Basel) meinte, Human Trafficking bringe auch was ein. Besser noch der internationale Organhandel. Da könne man echt Kohle verdienen.

Charlotte sagte nichts. Waldmeyer rollte nur die Augen und verkniff sich die Bemerkung, dass man mit Ethnologie bestenfalls mal ein Asylantenheim führen, aber nie eine Wohnung kaufen könnte.

Aber die Kids hatten schon recht: Es gibt zu wenig erschwinglicher Wohnraum. Die linksgerichteten Stadtregierungen in der Schweiz suchen die Lösung daher in der Förderung von sozialem Wohnungsbau. Städte wie Basel oder Genf beginnen, die Mieten zu plafonieren, Berlin plant gar die Enteignung von Wohnraum in grossem Stil. Investoren treten bei all diesen Massnahmen die Flucht an und die Probleme verstärken sich noch.

Gründe für die Misere kennen wir: Zwar wächst die Bevölkerung leicht (nämlich um rund 1% pro Jahr) und der individuelle Bedarf an Wohnquadratmeter steigt kontinuierlich. Doch der wahre Grund des Mankos an Wohnraum liegt bei der mangelnden Produktion. Die Auflagen und Behinderungen mit einem Dickicht an Gesetzen und Verordnungen verhindern rascheres Bauen. Die teure Bauweise in der Schweiz, diverse Abschottungen und Kartelle, plus das bereits bestehende Missverhältnis von Angebot und Nachfrage treiben die Preise in die Höhe – kein Wunder. 

Kommt hinzu, dass viele Industriebrachen unberührt in den Agglomerationen liegen, aber nicht umgezont werden dürfen. Und ein immenses Überangebot an Büroflächen ziert die meisten grossen Städte. Aber dort ist Wohnen nicht vorgesehen, Umnutzungen dauern oft Dezennien.

Waldmeyer überlegte weiter: Auch in der Gegend um Payerne oder Porrentruy, oder auch im Thurgau, wäre noch viel Platz zum Bauen vorhanden. Man müsste einfach auf ein bisschen Landwirtschaft verzichten (welche eh nur defizitär und nicht nachhaltig ist).

«Wir sind einfach zu langsam», warf Charlotte ein. Stimmt. Für ein neues Schulhaus braucht es 20 Jahre. Der Ausbau des Gubrist brauchte länger. Waldmeyer wird auch kaum mehr durch die neuen Gotthardröhren rauschen können. Bis der neue Tunnel fertig und der alte renoviert ist, wird er über 80 Jahre alt sein. Vielleicht darf er dann eh nur noch mit dem Lastenrad rumkurven. Mit dem Timing von grossen Wohnsiedlungen ist es genau gleich, alles geht eine Ewigkeit.

Ja, Politik und Regierung sollten mal ihre Komfortzone verlassen und grössere Würfe wagen!

Wie sagte doch Churchill: Never waste a good crisis. Man sollte also über den Tellerrand hinausschauen und studieren, was andere Länder so machen. China beispielsweise realisierte ganz grosse Würfe, komplett neue, riesige Städte wurden ins Land gestellt. Auch Despotenstaaten lancieren oft Grossprojekte; sie bauen z.B. eine neue Hauptstadt in den Dschungel. Oder auch Athen, um ein realistischeres Bespiel zu nennen: Athens Riviera ist ein ganz neuer, riesiger Stadtteil, er wurde in den letzten Jahren richtiggehend aus dem Boden gestampft. Und das in einem EU-Land mit einer demokratisch legitimierten Regierung. Es geht also doch?

„Kennt ihr Neom?“ warf Waldmeyer in die sonntägliche Runde, um etwas vom Lamentieren über den Schweizer Wohnraum abzulenken. In der Tat ist es interessant, was Saudi-Arabien so plant: nämlich eine komplett neue Stadt in der Wüste. Neom soll sie heissen, auch The LINE genannt. Sie soll vom Ort Neom aus am Roten Meer quer durch die Wüste führen, 170 Kilometer lang und 200 Meter breit. Da soll Wohn- und Arbeitsraum für neun Millionen Menschen entstehen. Und dies alles mit einer Ausdehnung von nur 34 Quadratkilometern – was ungefähr der bescheidenen Fläche des Zugersees entspricht. Drei unterirdische Ebenen für den motorisierten Verkehr, für eine U-Bahn und für die Fussgänger sind geplant. Ein begrüntes Atrium über der Siedlung dient als Naherholungsraum und sorgt für angenehme Kühlung. Energetisch soll die Stadt eh CO2-frei sein. Wasserstoff, produziert aus Sonnenergie, wird die nötige Energie liefern. Alles nur eine Vision? Nein. Denn Tausende von Bauarbeitern buddeln bereits den Sand auf. Der Spass wird bis zu 500 Millarden kosten, allein für den ersten Abschnitt. Aber diese Zahl muss relativiert werden, denn die Credit Suisse war alleine einmal 100 Milliarden wert. 

„Ja, wir sollten uns mal eine Scheibe von den saudischen Projekten abschneiden», meinte Waldmeyer zum Frühstückstisch.

„Wir haben in der Schweiz bereits eine längere Stadt als die Saudis“, warf Charlotte ein. „Unsere Stadt beginnt in St. Margrethen und führt bis Genf. Entlang der Autobahn ist alles bebaut, wir haben vielleicht die längste Wurmstadt der Welt. Es sind genau 384 Kilometer. Wir schlagen die Saudis bei weitem.“

Stimmt. Aber leider ist unsere Wurmstadt nicht so gelungen. Linke Aktivisten werden zum Beispiel bemängeln, dass sie nicht verkehrsfrei ist. Es können auch nur beschränkt Lastenräder zirkulieren. Der Wurm wird vorab mit elektrischer Energie betrieben, die zu einem Gutteil aus deutschen Kohlekraftwerken stammt. Und vielleicht ist diese helvetische LINE auch nicht gendergerecht. Öffentliche Bauten sollten künftig nämlich gendergerecht geplant werden, so die politischen Vorstösse in der Stadt Zürich. Noch ist nicht klar, was das genau bedeuten soll, die Initianten waren auch noch nicht imstande, es zu formulieren.

„Diese Wurmstadt zählt nicht, Charlotte“, warf Waldmeyer ein, „die ist nicht genderkonform.“ Damit war die Diskussion betreffend eine bessere Stadtplanung vorerst beendet. Waldmeyer musste auch eingestehen, dass Neom nur dank sprudelnder Erdölquellen gebaut werden kann und der Bevölkerung stark subventioniert hingestellt wird. Rahmenbedingungen, von denen die Schweiz nur träumen kann. Die Saudis müssen sich auch nicht gegen die Fallstricke der direkten Demokratie wehren und eine Unzahl von bürokratischen Hindernissen überwinden. Und ob es in Neom dann Alkohol gibt, steht in den Sternen.

Neom dient also nicht als Vorzeigemodell für die Schweiz, stellte Waldmeyer ernüchtert fest. Wir müssten das Problem selbst lösen oder eben individuelle Strategien festlegen, um an ein Eigenheim zu kommen. «Ich hätte Verständnis dafür, wenn Lara in den Organhandel einsteigt», meinte Waldmeyer zu Charlotte. Charlotte antwortete nicht. Lara auch nicht, zumal sie den Tisch schon ab der Sequenz Neom verlassen hatte.

Waldmeyer im Urlaub: Die Yachten und das Unglück

Max Waldmeyer hatte beschlossen, seinen Sommerurlaub bei schönstem Wetter am See zu verbringen, in sicherer Umgebung, mit hervorragender Gastronomie und mit Zugriff auf einen gut bestückten Weinkeller: nämlich zu Hause, in Meisterschwanden. Gleichzeitig konnte er sich so bestens philosophischen Tagträumen hingeben.

Waldmeyer blickte von seiner Terrasse zum Hallwilersee runter und überlegte, dass Schiffe in der Regel nur Unglück bringen.

«Abramovichs Yacht würde hier nicht reinpassen», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber, die anstatt in der brütenden Hitze jetzt lieber in Grönland sitzen wollte. Sie antwortete nicht. 

«Wenn du viel Geld hättest, Charlotte, ich meine wirklich sehr, sehr viel Geld, was würdest du dir kaufen…?» Bei diesen grundsätzlichen, fast philosophischen Fragen pflegte Charlotte in der Regel zu antworten, deshalb legte Waldmeyer nun so auch seine Fragefallen aus.

«Ich würde einen Fonds errichten und etwas Gescheites damit anfangen. Vielleicht etwas Soziales». 

«Wenn du aber keinen Fonds errichten könntest und du gezwungen wärst, das Geld auszugeben, ich meine, im grossen Stil, was würdest du dir kaufen?», bohrte Waldmeyer nun weiter.

«Zeit. Vielleicht auch Zeit ohne dich», antwortete Charlotte. Waldmeyer kannte diese provokativen Antworten und liess sich nicht beirren.

«Was würdest du zum Beispiel mit einer fetten Rolex machen?»

«Ich würde Sie sofort verkaufen.»

«Was mit einem Lamborghini?»

«Hätte ich gar nie gekauft.»

«Ich kauf dir ein Schloss!»

«Brauch ich nicht.»

«Einen Privatjet?» 

«Würde ich sofort grounden».

«Eine Yacht?»

«Bringt nur Unglück.»

Waldmeyer gab auf. Zumal Charlotte recht hatte. Yachten sind zwar das ultimative Aushängeschild von Luxus, es ist die perfekteste aller Visitenkarten der Arriviertheit. Der Yachtbesitz ist das ultimative Statement. Über Yachten spricht man. Pro forma versuchen Superreiche, die Besitzstruktur einer Yacht zu verschleiern, indessen nur in der Hoffnung, dass der Besitzer entdeckt und in den Medien breitgeschlagen wird.

Man weiss, dass Yachten ein Vermögen kosten, bei grösseren Yachten rechnet man um eine Million pro Meter Länge. Bei ganz grossen Schiffen darf es durchaus auch mehr sein. Privatjets und/oder Schlösser verblassen daneben in einer Aussenwirkung, die fast den Insignien des Mittelstandes entspricht. 

Die Credit Suisse hatte sich auf die Finanzierung von Yachten spezialisiert, ein Milliardengeschäft. An sich ist es rätselhaft, wieso Milliardäre ihre Superyachten nicht selbst finanzieren wollen. Die grössten Schiffe sind über 150 Meter lang und kosten über 500 Millionen Dollar. Aber wenn man mehrere Milliarden besitzt, so sollte man doch meinen, könnte so ein Kahn doch aus der Portokasse bezahlt werden. Offenbar nutzen Milliardäre ihr Cash jedoch, um clever alternativ zu investieren und damit noch mehr Rendite zu erzielen; also «hypotheziert» man eben eine Yacht. Der Credit Suisse hatte dieses Spezialgeschäft indessen kein Glück eingebracht. Erstens zeigte sich, dass Oligarchen, Scheichs und auch ganz normale Despoten die Zinsen auf diesen Yachthypotheken nur unregelmässig entrichten. Dem Geld anschliessend in Saudi-Arabien oder in Russland nachzurennen, erwies sich indessen als ziemlich tricky. Zweitens implodierte der Markt für Superyachten aufgrund der Sanktionen gegen russische Oligarchen seit dem Beginn des Ukrainekrieges. Die Kredite für Yachten lagen plötzlich höher als ihr Wert. Und jetzt wirft man der Pleitebank auch noch vor, in Sachen Yachtfinanzierung Sanktionen umgangen zu haben. Nichts als Unglück also für die Credit Suisse. Wie die UBS nun damit wohl umgehen wird…?

Insbesondere die Superyachten der Russen bescheren wohl auch den Russen immer weniger Glück. Aufgrund der Sanktionen gibt es kaum mehr attraktive Häfen, wo man seine Yacht zeigen kann. In Dubai ist das Anlegen für die Oligarchen zwar noch möglich, allerdings mit reduzierter Aussenwirkung, denn dort liegen inzwischen so viele Yachten, dass die eigene meistens im Schatten der allergrössten liegt. Und à propos Schatten: Abramovich lässt seine Yachten (er besitzt tatsächlich mehrere dieser grossen) im Sommer natürlich nicht in Dubai anlegen – bei gegen 50 Grad Hitze. Er wählt Bodrum in der Türkei oder Montenegro. Aber dann ist Schluss mit der Hafen-Auswahl. Ausser er würde Anker werfen vor Novosibirsk (der eisfreie Hafen in Sibirien), was indessen jeglicher Attraktivität und Imagegewinnung entbehrt. Nichts als Sorgen also mit den Superyachten.

Sorgen bereiten auch die Unterhaltskosten. Yachten kosten, so die Faustregel, pro Jahr rund 10% des Kaufpreises. Für die Crew, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen, etc. etc. 

Die intrinsischen Gewinne einer Yacht, also das Zurschaustellen von Reichtum und das Geniessen dieser Einzigartigkeit in den Schaufenstern der obersten Liga, haben sich heute also sozusagen sublimiert.

Waldmeyer freute sich, Yachten zu «konsumieren», indem er diese auf «MyShipTracking» studierte. Er stellte zwar fest, dass auf dem Hallwilersee keine von diesen Yachten auszumachen war. Aber weltweit eben schon. Diese geniale App kann alle Schiffe global tracken, sie meldet die Standorte, die Bewegungen, die Eckdaten jedes grösseren Kahns. Ja, so können Yachten – und sogar Superyachten – auch glücklich machen: Indem man sie nicht besitzt.

Mit Entsetzen entnahm nun Waldmeyer der Zeitung, dass die UBS entschieden hatte, das inkriminierte Yachtfinanzierungsgeschäft der Credit Suisse fortzuführen. Ob das der UBS wohl Glück bringen wird? Waldmeyer meldete zu Charlotte rüber: «Willst du nicht deine UBS-Aktien verkaufen? Die Yachten bringen kein Glück.». Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer cancelt die Sozialen Medien

Waldmeyer stellte sich vor, wie es wäre, wenn er sich von all den Sozialen Medien fernhalten würde. Stattdessen würde er wieder vermehrt die klassische Kommunikation wählen: also Briefe schreiben, telefonieren. Allenfalls das persönliche Gespräch suchen. Man könnte alle wichtigen Sachen, die man ins Netz stellt, persönlich rüberbringen.

Nicht alles wollte Waldmeyer canceln. Im Laufe der medialen Entwicklung hatten sich auch ein paar ganz praktische Dinge entwickelt. So wurde der Brief durch E-Mail ersetzt und das Faxgerät, beispielsweise, durch WhatsApp. Heute verfügen bedeutend mehr Leute über ein WhatsApp Account als über ein Faxgerät. Ausser in Alain Bersets Krankheitsdepartement.

Waldmeyers Fazit nun: Briefpost ist heute nicht mehr lebensnotwendig, E-Mail aber schon. Und WhatsApp auch.

Nachrichten via sms indessen verschickt heute niemand mehr, ausser Banken und Kreditkartenfirmen in Form von Pins. Und ausser Waldmeyers Freund Ruedi Arnold aus der Innerschweiz.

Waldmeyer überlegte nun, wie eine lebensnotwendige Triage aussehen könnte und beschloss, vorerst auf alle Sozialen Medien wie Facebook, Instagramm, TikTok, Pinterest oder gar LinkedIn zu verzichten. LinkedIn war für Waldmeyer ohnedies nicht mehr relevant, weil er sich als aussteigender Unternehmer nie mehr bewerben wollte oder müsste. Die restlichen genannten Sozialen Medien könnte er einfach als unnötig qualifizieren – denn es geht auch ohne sie. Auf die geposteten unwichtigen Inhalte an eine nicht zu kontrollierende Zahl von Empfängern könnte er versuchsweise verzichten.

Zudem hatte es ihn schon länger gestört, bei Facebook so etwas wie eine freiwillige persönliche Stasiakte anzulegen, transparent für die ganze Öffentlichkeit. 

Man könnte gar, so Waldmeyers singuläres Brainstorming weiter, der öffentlichen Kommunikation komplett entsagen und sich die neue virtuelle Brille von Apple zulegen. Er könnte durch Meisterschwanden wandeln mit dieser läppischen Skibrille auf dem Kopf, für ebenso läppische 3‘500 US-Dollar erstanden, und die Welt nur noch virtuell und animiert, auf Bestellung sozusagen, wahrnehmen. Aber dieser Plan kommt zu früh, das merkwürdige Ding gibt es erst in einem Jahr. 

Damit zurück zu den heute verfügbaren Optionen, um frei zu kommunizieren, ohne die Sozialen Medien zu nutzen:

Es müssten echte Alternativen her. Also beschloss Waldmeyer, ab sofort alle wichtigen Informationen, mit denen er bisher sein Umfeld quälte, persönlich mitzuteilen. Einerseits telefonisch, andererseits auch im öffentlichen Raum. So nicht nur an der Bushaltestelle in Meisterschwanden, sondern auch an der Bahnhofstrasse in Zürich, in der Freie Strasse in Basel, an der Hertensteinstrasse in Luzern oder in der Multergasse in St. Gallen. An den Schweizer Hotspots sozusagen, um eine maximale Anzahl von Adressaten zu finden, welche sich gar nicht für seine Mitteilungen interessierten. Heureka! Das war eine Übungsanlage, die genau dem analogen Pendant zu den Sozialen Medien entsprach. Die meisten Leute wären unbekannt, man würde ein qualitativ ähnliches Informationsziel erreichen.

Und dann wollte er eben die telefonischen Kontakte wieder mehr pflegen. Diese waren immer schon wertvoller, denn das Gegenüber kann den Auslassungen kaum entrinnen, ohne unanständig zu wirken. Es herrscht, so im Marketing-Jargon, eine Situation der „Captive Audience“. Waldmeyer könnte also aus seinen über 2‘000 Kontakten auf dem Handy jede halbe Stunde random-mässig eine Nummer wählen und dann etwas Wichtiges mitteilen. Z.B. eine Schilderung der gelungenen Geburtstagsparty seiner Tochter Lara, das Umrechnungsverhältnis von CS in UBS-Aktien oder einfach „My Way“ von Franky Sinatra ins Handy flöten. 

Effizienter allerdings ist schon die Strasse. Die lässt sich am ehesten mit Facebook vergleichen. Waldmeyer wollte aber auch nicht mehr auf TikTok sein. Weniger, weil Xi Jinping täglich die TikTok Meldungen weltweit überprüft (und so mit Sicherheit auch Waldmeyers Account), sondern weil die Beiträge in der Regel ausgesprochen infantil und unnütz sind. Wirklich selten lustig. 

Ohne Facebook, Instagram, Linkedin und ohne TikTok wäre Waldmeyer digital befreit. Charlotte würde sich um die täglich notwendigen Logins kümmern, welche ihm beinahe schon den digitalen Nahtod beschert hatten. Er würde sich auf die Strasse konzentrieren und die Leute würden ihn cool finden. Er könnte wildfremden Leuten über seine Katze berichten, ein Foto mit der eingebundenen verletzten Pfote von Felix zeigen und zustimmende verbale Likes erhalten. Er würde Charlottes neuen Lippenstift vorführen (sie wechselte kürzlich von YSL auf Chanel, wirklich!), er würde zeigen, wie man ein Fahrrad aufpumpt. Und anstatt allen ein Foto von sich mit seinem neuen Fahrradhelm zu verschicken, würde er diesen Helm einfach tragen. In der Fussgängerzone. Er könnte auch Winnetou spielen und mit Federschmuck die Bahnhofstrasse runtertanzen, als Antiperformance zum gehypten Thema der kulturellen Aneignung – und beobachten, ob er Likes in Form von direkter Zustimmung vor Ort oder in Form von Stinkefingern erhält.

Nur: Die Leute würden ihn vielleicht verfolgen. Till Eulenspiegel würde vor Neid erblassen. Unter den Followern wären allerdings auch ein paar Psychiater, Sozialhelfer, Randständige oder wütende, bildungsferne Anhänger der jungen SVP, welche das konservative Leben gestört sähen. 

Also verwarf Waldmeyer den Gedanken wieder. Neugierig schaute er auf sein Handy, was inzwischen reingekommen war.

Waldmeyer, die junge Generation und die Wirtschaft

Die junge Generation, so Waldmeyer, scheint eine von Pessimismus durchtränkte Stimmung zu verbreiten, der Zukunftsglauben ist verloren gegangen. Krieg in Europa, Pandemien, Energieknappheit, Ressourcen weg, Klima kaputt, Welt kaputt. Waldmeyer ringt nach Erklärungen.

Charlotte hatte Waldmeyer verboten, den Satz „früher war alles besser“ weiter auszusprechen. Aber tatsächlich vermeinte Waldmeyer wahrzunehmen, dass die heutige Generation, auch Generation Z genannt, sich vor allem, wenn nicht im Konsum, denn in Problemen suhlt. Die Digitalisierung nimmt sie dabei gelassen hin, die damit einhergehende Überwachung und der Verlust an Privatsphäre ist ihnen ziemlich egal. 

Kein Wunder, meinte Waldmeyer, wird uns China so überholen! Asien so oder so. In China läuft zwar manchmal etwas aus dem Ruder, beispielsweise in Sachen Menschenrechte oder Demokratie. Aber die Menschen dort haben Drive (oder werden zum Drive angehalten), sie sind zukunftsgläubig und money-minded. Ob das so gut ist? Egal, die Wirtschaft wird dergestalt gepuscht. Viele machen die berühmte „extra mile“. Natürlich kommt man so weiter als Staat. Schon des öfter hatte Waldmeyer seinen Sohn Noa gewarnt, dass die Chinesen dereinst in unseren Villen hocken werden und wir (also auch Noa) diese putzen würden. 

Wenn man wirklich frei sein möchte, dann muss man denken – und nicht arbeiten. Die Idee geht auf Aristoteles zurück. Was die Protagonisten der jungen Generation allerdings gar nicht wissen, denn sie schöpfen ihr Bedürfnis aus dem Moment – welcher ihnen diese verzweifelte Suche nach der optimalen Work-Life-Balance diktiert.

Weniger arbeiten und dafür die Welt verändern, aber trotzdem tüchtig konsumieren, geht indessen nur, wenn entweder Old Money da ist oder zumindest laufend ausreichend Kohle reinkommt. Womit wir beim deutschen Philosophen Hegel sind, welcher, in der Waldmeyer’schen Verkürzung, die wahre Freiheit nur bei einem Stand von einem gewissen Reichtum sah. Aber in dieser Klarheit hat das die berühmte Generation Z (Jahrgang 1995 bis 2010) natürlich ebenso wenig auf dem Schirm. Sie ist einfach anders.

Sie lechzt nach ihrer eigenen Interpretation von Freiheit. Und der Nanny-Staat trägt das seine dazu bei, mit seinen sozialen Hängematten und Rundumversicherungen. Frankreich, beispielsweise, hat es diesbezüglich besonders weit gebracht, aber auch Deutschland. So kann man sich, in der Adoleszenz, aufs Wesentliche konzentrieren, so zum Beispiel Klimakleber werden. 

In der Schweiz führt Zürich den grossen Generationen-Wandel an. Der Kanton, aber insbesondere die Stadt, ist die Speerspitze des Pessimismus und der falschen Problembewältigung: Die rot-grüne Regierung kümmert sich um die Abschaffung des Individualverkehrs, mit dem Ziel, das Weltklima zu retten. Baucontainer sollen künftig begrünt werden, um die Biodiversität der Stadt zu verbessern. Nicht bewilligte Demos sind immer erlaubt. Der Stadtrat plant die 35-Stunden-Woche für seine hoffnungslos überforderten Beamten. Und für die ganze Bevölkerung, zumindest (gendergerecht formuliert) für die „menstruierende Bevölkerung“, so gewisse Vorstösse, soll es künftig Gratis-Tampons und -Binden geben. Kurzum: Die Gesellschaft scheint, im Bestreben, eine bessere Welt zu schaffen, im Mikro-Management zu degenerieren.

Plötzlich schrammte auch Waldmeyer knapp an einem depressiven Moment vorbei. Bahnt sich da also der Niedergang der westlichen Gesellschaft an? Oder besser: Wo befinden wir uns auf diesem heiklen Pfad des Verfalls? In Italien beispielsweise ist dieser Abstieg schon sehr augenfällig. Im klassischen Theater findet der Höhepunkt bekanntlich am Ende des dritten Aktes statt, Italien befindet sich indessen mit Sicherheit schon im vierten Akt. Die Staatsgläubigkeit ging verloren, es herrscht eine Selbstbedienungsmentalität der Staatsdiener, die jungen Leute verlassen das Land, die Italiener sind lendenlahm geworden und zeugen keine Kinder mehr, und das schöne Land ist eigentlich schlichtweg unregierbar geworden. 

So viel zu den „westlichen Werten“, die in Europa zurzeit sehr oft angeführt werden, beispielsweise, wenn es darum geht, unseren kleinen Kontinent vom Rest der Welt abzugrenzen.

Lara, Waldmeyers Tochter, studiert Kunst in Basel. „Wann ist Lara endlich fertig mit dem Studium, Charlotte?“, fragte Waldmeyer. „Sie bleibt einfach dran, Schatz, mach dir keine Sorgen“, antwortete Charlotte. Waldmeyer antwortete nicht, denn er wusste, dass Charlotte noch hundert Gründe finden würde, warum Lara noch mehrere Semester anhängen müsste. Das waren ganz normale Schutzinstinkte einer Mutter, welche ihre Tochter verteidigt. 

Sohn Noa (welcher künftig vielleicht diese chinesischen Villen putzen muss) studiert immer noch Betriebswirtschaft. Sein Ziel ist es, einmal so richtig Geld zu verdienen – allerdings, und das zeichnet sich heute schon ab, möglichst ohne zu liefern. Das hatte sich schon früher gezeigt, als Noa während der Pandemie in die Homeoffice-RS einrücken sollte. Und er – Waldmeyer – an seiner Stelle einrückte.

„Ja, diese Schneeflocken-Generation“, seufzte Waldmeyer. „Die Jungen sind nicht mehr belastbar“, meldete er zu Charlotte rüber. Waldmeyer erinnerte sich an seine eigene Jugend: Auch da nahm man Weltprobleme wahr. Man sprach von Ressourcenknappheit, man lauschte den Ideen des Clubs of Rome. Oder man stellte Berechnungen an, ob Russlands Volkswirtschaft die USA überrunden könnte. War die kommunistische Planwirtschaft etwa gar nicht so falsch? Zumindest während gewissen Perioden lagen die jährlichen Zuwachsraten der Sowjetunion über denjenigen der USA; daraus resultierte eben diese Hochrechnung, wann denn die Russen die Amis überholen könnten. Im gleichen Zeitraum, damals, hängte das Damoklesschwert eines Atomkrieges über der Zukunft der Gesellschaft. 

Ein Teil der jungen Gesellschaft ab 1968 probierte es mit Make Love, not War und Drogen. Der andere Teil der jungen Gesellschaft indessen plante seine Karriere. Von Pessimismus keine Spur, bei beiden Teilen. Der erste Teil wechselte dann alsbald ins zweite Lager, und alles ging munter weiter aufwärts. 

Und heute eben diese Schneeflocken-Generation. Ein Jammer. „Quiet quitting“, nur noch Dienst nach Vorschrift. Zum Glück sind Waldmeyers Kinder da ganz anders. Wenn auch, bedauerlicherweise, nicht so wie er früher.

Waldmeyer fasste zusammen: Die westliche Welt befindet sich definitiv im Niedergang. Beschleunigt wird diese Degeneration durch eine Jugend, die keine Leistung mehr erbringen möchte. Sie erwartet indessen ein Maximum vom Staat.

Er stellte indessen ebenso fest: Wenn er seine Restlebenszeit klug plant und nicht zu alt wird, könnte er um die negativen Auswirkungen der Pessimismus-Generation vielleicht noch rumkommen. Zumindest seine Generation! 

Waldmeyer wird also weiter seinen Weinkeller pflegen, sich auf den Urlaub in der Toscana freuen (Italien ist nämlich gar nicht so schlecht!), seinen Tisch morgen Abend bei Luigi buchen und seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) bewegen. Er wird auch in den kommenden Jahren brav seine Steuern bezahlen, damit dieses falsche Mikro-Management der Gesellschaft, die diese Endzeitstimmung verbreitet, noch ein bisschen weiter gepflegt werden kann. Gleichzeitig wird er das Weltgeschehen auch in Zukunft aufmerksam beobachten – allerdings ohne Pessimismus. Als Voyeur quasi.

„Früher war alles besser“, meinte Waldmeyer jetzt doch noch zu Charlotte rüber und nippte an einem Glas Terre Brune. Charlotte antwortete nicht. Aber etwas später dann doch: „Lara wird übrigens die Studienrichtung wechseln. Ethnologie.“

Waldmeyer verschluckte sich kurz. „Womit habe ich das verdient …?“

Waldmeyer und die Shitcoins

Bereits früher hatte Max Waldmeyer überlegt, ob er nicht seine eigene digitale Währung schaffen sollte. Allerdings sind noch einige Fragen offen. Waldmeyer versucht, erst mal eine Auslegeordnung zu erstellen.

Charlotte war letztes Jahr schon ein bisschen beeindruckt, als Max die Rechnung im Tre Fratelli mit „Waldmeyer“ bezahlte – seiner eigenen Währung. Luigi kritzelte dafür lediglich etwas auf einen kleinen Zettel. Nun, das war natürlich erst der Beginn der Idee einer digitalen Währung; Luigi hätte den Betrag auch in sein altes Nokia eingeben können, dann wäre der „Waldmeyer“ wohl etwas digitaler hinterlegt worden.

Das Lustige an den digitalen Währungen (oder Kryptowährungen) ist, dass sie eigentlich jeder produzieren kann.Nebst ein bisschen Informatik brauchte es dazu offenbar nur ein gesundes Mass an Unverfrorenheit und genügend Überzeugungskraft. Die digitale Währung muss auch nicht mit irgendeiner Reservewährung hinterlegt oder abgesichert werden – man schafft sie einfach. Aus dem Nichts.

Befeuert wird dieser Hype durch die starken Kryptowährungen, die zum Teil durch die Decke gingen. Wie Bitcoin, Tether oder Ethereum. Im Umfeld Waldmeyers gab es plötzlich Leute, die damit unanständig viel Geld verdienten. Ungefähr die gleichen Leute verloren allerdings später ebenso viel Geld damit. Zur Erinnerung: Bitcoin startete einmal bei fast null, stieg dann 2021 bis auf über 60’000 USD, fiel dann 2022 wieder dramatisch, rappelte sich nun wieder etwas auf und dümpelt nun bei gut 20’000 dahin. Je nach Expertenmeinung wird es wieder steil nach oben gehen – oder auf null runter. „Da kannst du ja gleich ins Casino nach Baden gehen“, meinte Charlotte. Stimmt. Aber trotzdem, das Thema sollte einmal richtig zerlegt werden.

Nun also zu Waldmeyers Auslegeordnung, die die Zukunft dieser Währungen doch etwas in Frage stellt:

  • Kryptowährungen werden zu einem hohen Prozentsatz für kriminelle Zwecke verwendet. Sie weisen damit alle einen Seriositäts-Malus auf.
  • Deren „Geldmenge“ kann jederzeit manipuliert werden. Wird zu viel produziert, sinkt der Wert. Eine Kontrolle diesbezüglich besteht nicht.
  • Digitale Währungen basieren in der Regel auf nichts. Auf keinem Eigenkapital, keiner Reservewährung, keinem Währungskorb, keinem Rohstoffbasket, auch nicht auf Gold.
  • Die Entwicklung der digitalen Währungen gefällt den Notenbanken nicht, denn die systemischen Risiken sind augenfällig. Notenbanken könnten künftig Verbote in die Wege leiten. Nur schon, um alternativ eigene, digitale Währungen zu lancieren. China wartet nur darauf – in der Hoffnung, den US-Dollar als Leitwährung einmal ablösen zu können.
  • Die Volatilität der digitalen Währungen ist sehr hoch. Deren Werte befinden sich seit Jahren auf einer Achterbahn. Starke Währungen sind indessen stabil. So musste auch Elon Musk das Projekt aufgeben, seine Elektroschlitten mit Bitcoins kaufen zu lassen. Auch die Globus Delicatessa, so Waldmeyers Überlegung, würde sich davor hüten, sein Tunatatar mit Bitcoins bezahlen zu lassen. Zu unsicher.
  • Jede fünfte digitale Währung streckte bereits die Waffen. Die Wahrscheinlichkeit von Totalverlusten ist nicht unerheblich.
  • Es besteht einfach zu wenig Vertrauen in die Währungen. Selbst bei Bitcoin weiss man nicht, wer tatsächlich dahintersteckt. Während Waldmeyers Konto bei der ZKB (früher bei CS) dauernd durchleuchtet wird, hat man keine Ahnung, wer bei Bitcoin das Sagen hat. Ob man etwa mal irgendwo irgendjemanden anrufen könnte?

Es wird kolportiert, dass zwei clevere Österreicher hinter Bitcoin stecken. Sie klopfen sich wohl täglich auf die Schenkel. 

  • Falls es sich um „echte“ Kryptowährungen handelt, mit end-to-end Verschlüsselung und auf der Blockchain-Technologie basierend, verbrauchen deren Transaktionssysteme heute bereits so viel Elektrizität wie ganz Spanien. Eine weltweite Ausweitung dieser Währungen (zur Kompensation bisheriger Währungen) wird damit zum Scheitern verurteilt sein.

Und nun das Fazit Waldmeyers: Eigentlich handelt es sich bei den Digitalwährungen um „Shitcoins“.

Zusammenfassend: Die Kryptowährungen – oder die digitalen Währungen generell – sind ihm nicht geheuer. Und sicher sind sie so oder so auch nicht.

Aber trotzdem, eine eigene digitale Währung zu lancieren, ist etwas anderes, das hat durchaus seinen Reiz. Denn dann sind die Risiken ausgelagert. Also was soll das Lamentieren über digitale Währungen, wenn man – proaktiv – selbst eine schaffen und von der Gier oder der etwas vernebelten Zukunftsvision Dritter profitieren könnte!

Waldmeyer beschloss, das Projekt nun nicht nur auf dem Stand einer lustigen Idee zu belassen, sondern tatsächlich eine eigene digitale Währung zu lancieren. Kein Shitcoin, sondern etwas Beständiges: Den „Waldmeyer“.

Zu Beginn sollte ein „Waldmeyer“ einem Franken entsprechen. Nachher würde er natürlich viel teurer werden. Und einen „Waldmeyer“ würde er in Hundert „Rohnerli“ unterteilen. Ein „Rohnerli“ ist also nicht viel wert. Dies quasi als Hommage an den früheren CS-Präsidenten, welcher in seinem Unvermögen und seiner Ignoranz den Wert der CS-Aktie über Jahre quasi vernichtet hatte.

„Und wer soll denn „Waldmeyer“ kaufen?“, fragte Charlotte. 

„Nun, jeder, der rasch viel Geld verdienen möchte“, antwortete Waldmeyer. „Zum Beispiel ganz normale Leute, die eben auch ins Casino in Baden gehen. Es sind wohl einfach Spieler.“

„Oder komische Leute, die CS-Aktien gekauft hatten“, warf Charlotte ein. Etwas betreten senkte Waldmeyer den Blick und antwortete nicht.

Waldmeyer und die Menstruation

In Europa herrscht Krieg, die Inflation klopft an die Türe, es drohen Energieengpässe, das Klima muss gerettet werden, und unsere Behörden versenken den Schweizer Finanzplatz. Inmitten dieses Sturms gibt es glücklicherweise besonnene Politiker, welche sich um Menstruationsprobleme kümmern.

Die Stadtparlamente in den grösseren Schweizer Städten nehmen sich immer wieder den ganz grossen Problemen an. So auch in Zürich. Es behandelte jüngst die Menstruationskosten. Hintergrund der Debatte war einmal mehr die Gleichstellung der Geschlechter. SP und Grüne forderten nichts weniger als Gratis-Tampons und Binden für Frauen. Gendergerecht wurde allerdings nicht von „Frauen“ gesprochen, sondern von „menstruierenden Personen“. Diese erfahren eine wirklich ungerechte Benachteiligung, da sie während ihres gesamten menstruierenden Lebens offenbar rund 2‘200 Franken für Hygieneartikel ausgeben müssen. Diese sollten in Zürich künftig nun gratis abgegeben werden.

Waldmeyer dachte sofort an einen alternativen Vorstoss für eine Gratisabgabe von Rasierklingen an Männer. Allerdings müsste der Kreis der Begünstigten korrekter definiert werden. Transpersonen zumindest müssten ebenso profitieren können. Oder allgemein einfach Personen, welche eine Haarentfernung wünschen – wobei wir hier wieder bei einer schwierigen, geschlechterübergreifenden Definition landen würden. „Haarentfernungsträchtige Personen“? 

Waldmeyer verwarf die Idee und überlegte weiter, was mit Zürich jetzt passieren wird: Ob nun wohl ein reger Menstruations-Tourismus in die Stadt einsetzen wird …?

Die Menstruationsdebatte kommt nicht von ungefähr. Kürzlich gab ein Vorstoss zu reden, welcher die Sprechdauer von Männern und Frauen kontrollieren sollte. Es bestand die verstörende Vorstellung, dass Männer im Gemeinderat länger sprechen könnten als Frauen. Nur schon aufgrund des Frauenanteils von 39% lag das zwar auf der Hand – aber offenbar strebte man eine gerechtere Verteilung der Voten mit 50/50 an. Dabei ging offenbar ganz vergessen, wie der Sprechanteil der LGBTQ-Fraktion garantiert werden sollte. Auch könnten Gemeinderäte mit Migrationshintergrund benachteiligt sein – man müsste dieser Gruppe konsequenterweise ebenso die ihnen zustehende Sprechquote sichern. Oder gewissen Berufsgruppen. Oder eben auch menstruierenden Personen. Waldmeyer stellte fest: Es wird noch ein langer Weg sein, bis alle Gesellschaftsgruppen gerecht berücksichtigt werden.

Und noch etwas verwirrte Waldmeyer: Die Eingabe im Gemeinderat, dass für Zürcher Hallenbäder künftig eine genderneutrale Badebekleidungsordnung gelten soll. Übersetzt bedeutet dies, dass Frauen auch oben ohne schwimmen dürfen. Allerdings nicht nur Frauen, sondern, wie es gendergerecht formuliert wurde, „Menschen mit einer weiblich gelesenen Brust“.

Aber zurück zur Menstruation. Wie so oft, lohnt sich ein Blick ins Ausland. Nach Schottland beispielsweise. Hier müssen per Gesetz seit 2021 Hygieneartikel für Frauen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz wurde als „Leuchtfeuer zum Wohle der Menschheit“ bezeichnet. Allerdings: Das mit der genauen Definition der „Frauen“ ging etwas verloren. Das war aber auch erst 2021. Im Jahr 2023 ist man da weiter, zumindest bereits in Zürich, denn die richtige Bezeichnung für die Verwender*innen von solchen Hygieneartikeln ist nicht „Frauen“, sondern „menstruierende Personen“. In Neuseeland und Kenia werden die inkriminierten Hygieneartikel an Schulen gratis verteilt. Waldmeyer nahm sich vor, der Sache nicht weiter nachzugehen.

Das delikate Thema darf indessen nicht auf diese Gratisabgaben reduziert werden. Es geht selbstredend auch um freie Menstruationstage. In Spanien dürfen Frauen deshalb einfach zuhause bleiben. Sie bestimmen mehr oder weniger selbst, wie lange eine Menstruation dauert. Das neue Gesetz war ein willkommenes Zückerchen der sozialistischen Regierung für die Frauen – damit sie die künftigen Stimmzettel auch „richtig“ auszufüllen wissen.

Der aktuelle politische Menstruations-Vorstoss in der Schweiz liegt also durchaus nicht quer in der Landschaft. In den grossen Schweizer Städten – mit der Speerspitze Zürich – sehen weitere Vorstösse künftig freie Periodentage vor.  Ein bis fünf Tage sollen künftig pro Monat als Freitage bei Periodenschmerzen gelten. In Zürich soll dies zumindest für städtische Angestellte gelten, finden zwei grüne Protagonistinnen im Gemeinderat. Das leuchtete Waldmeyer ein: Städtische Angestellt_innen leiden offenbar überdurchschnittlich stark während ihren Tagen.

Waldmeyer machte sich nun Sorgen: Bei all diesen Vorstössen könnten nicht-binäre Personen vergessen gehen. Doch auch daran hatten die Zürcher Grünen gedacht, denn laut ihrem Vorstoss kommen die freien Tage auch „binären und Trans-Personen“ zugute. Waldmeyer atmete auf: Ja, so sieht Gerechtigkeit aus!

Max Waldmeyer, Meisterschwanden, überlegte also, was wäre, wenn er sich jetzt plötzlich als nicht-binär erklären würde. Er könnte damit alle Vorteile von Mann und Frau vereinen. 

Charlotte unterbrach jäh Waldmeyers singuläres Brainstorming: „Max, wolltest du dieses Wochenende nicht die Garage aufräumen…?“

„Das geht nicht, Schatz, ich habe meine Tage“, antwortete Waldmeyer. „Es sind nur Phantomschmerzen, aber ich muss nun mal etwas aussetzen.“

Waldmeyer und das Pensionsalter 75

Wir werden immer älter, und die Kasse der staatlichen Altersversicherung wird immer leerer. Seit Dezennien wird nach Lösungen gerungen, aber keine passt. Waldmeyer beschloss, eine offene Auslegeordnung mit allen Optionen zu erstellen. Er machte insgesamt sieben Lösungen aus.

Um es gleich vorwegzunehmen: Fast alle Lösungen sind gar nicht sozialverträglich. Zum Beispiel die Option Nummer eins, die AHV-Einzahlungen substanziell zu erhöhen. Wer möchte das schon? Der Bürger? Die Firmen?

Aber alles der Reihe nach.

Seit 1948 liegt das AHV-Alter bei 65 Jahren. Damals betrug die Lebenserwartung der Männer 66 Jahre, das der Frauen 71, im Schnitt knapp 69. Heute liegen die entsprechenden Werte bei 82, bzw. 86 Jahren, im Schnitt bei 84.

Insbesondere die Männer waren 1948 also, AHV-technisch gesehen, sehr günstig, denn durchschnittlich traten sie bereits nach einem guten Jahr Pension ab. Heute erst nach 17 teuren AHV-Jahren (Frauen nach 21, im Schnitt sind es 19 Jahre). Die Restlebenserwartung hat sich also fast verfünffacht!

Wenn Waldmeyer nun todesfrei die 65er-Hürde schafft, beträgt seine statistische Lebenserwartung sogar fast 20 Jahre. Waldmeyer nahm sich vor, diesen Wert zu übertreffen, schliesslich hatte er noch einiges vor. Charlotte meinte nur, dass er damit das ganze Problem noch zusätzlich verschärfe. Man solle vielleicht mal einen Blick ins Ausland werfen, wie die denn das Problem so lösen.

Stimmt. Beispielsweise Russland. Die Russen sind nämlich sehr vernünftig: Die Frauen werden 76, die Männer nur 65. In Sibirien gar nur 58. Kriminalität und Suff raffen sie einfach früher dahin. Der Blutzoll in der Ukraine wird das Durchschnittsalter der russischen Männer nun noch weiter senken – mit dem Vorteil eben, dass sie später dann nicht mehr durchgefüttert werden müssen.

Diese zweite Option allerdings, nämlich die Lebenserwartung generell zu senken, entfiel selbstredend ebenso.

Damit müsste die nächste Option geprüft werden, die Senkung der Renten. Waldmeyer war indessen sofort klar: Ein politisch unmögliches Unterfangen.

Nun also zur vierten Option: mehr Kinder kriegen. Mehr Kinder verbessern das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Beitragsnehmern. Eine patente Lösung. Aber, aus staatlicher Sicht, schwierig durchzusetzen. Der Prozess wäre auch zu langsam. Lösung müssen jetzt her.

Damit zur fünften Option: Mehr Einwanderung zulassen. Als Alternative einfach zur Option vier. Aber: Wer möchte sich heute noch die Finger verbrennen an diesem Thema?

Waldmeyer steuerte also die Option sechs an, die mehr oder weniger logischste: Erhöhung des Rentenalters.Sicher sollte man zuallererst mit diesen schädlichen Frühpensionierungen aufhören. Und die freiwillige Weiterarbeit nach 65 sollte attraktiver gestaltet werden. Diese Leute weisen nämlich den Vorteil auf, dass man sie gar nicht erst teuer ausbilden muss. Ein frühzeitiger Rückzug aus dem Erwerbsleben kommt einer grossen Verschwendung gleich. Wieso erhalten diese älteren Semester, gerade die Fachkräfte, nicht die doppelte AHV für die geleisteten Überjahre? Sie bezahlen ja auch noch weiter ein, ohne je davon zu profitieren. Die AHV wird so zur Steuer. Waldmeyer ist überzeugt, dass mit einem Systemwechsel der Return on Investment (mit zusätzlichen Steuererträgen beispielsweise und einer Verminderung des Fachkräftemangels) ganz interessant wäre. Der Staat sollte das mal durchrechnen. Oder die „Manager“ des Staates. In diesem Fall wäre Herr Berset betroffen – aber unser Bundesrat ist wohl immer noch mit dem Ausmisten im Bundesamt für Gesundheit beschäftigt, mit dem Entfernen der letzten Faxgeräte, beispielsweise.

Ja, wir müssen künftig wohl einfach ein paar Jahre länger arbeiten. So viele Ukrainer können wir nämlich gar nicht ins Land lassen, um die Pensionen der Alten zu finanzieren.

Wie meinte doch Charlotte: Man sollte einfach ins Ausland schauen und dort allfällige intelligente Lösungen abkupfern. Oder abschreckende Beispiele anschauen, um es dann gerade nicht so zu machen. Zum Beispiel wie die Franzosen, wo nicht einmal eine Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre mehrheitsfähig ist. Die Misere begann allerdings schon viel früher, so etwa als Präsident Mitterand 1982 das Rentenalter von 65 auf 60 Jahre senkte, eine Uraltforderung der Arbeiterschaft. Im Jahre 2000 folgte dann die 35-Stunden-Woche. Beide Massnahmen strapazieren die Staatskasse noch heute. Ein Lokomotivführer darf mit 52 in Rente, ein Zugbegleiter immerhin mit 57. Bei der französischen Bahn gibt es dann eine satte Rente, welche fast dem doppelten der Durchschnittsrente entspricht. Und weil bei der Berechnung der Rentenhöhe die letzten sechs Monate zählen, werden aus lauter Gefälligkeit für diese Periode noch allerlei Lohnerhöhungen und Beförderungen ausgesprochen. Frankreich ist also ein abschreckendes Beispiel, wie man es genau nicht machen sollte. 

Also zu den positiven Beispielen: Die Neuseeländer etwa kennen schon länger ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren, die Japaner gar von 67.5 Jahren. Die Dänen beschlossen, klugerweise bereits 1956, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu knüpfen. Heute liegt das Pensionsalter in Dänemark bei 67 Jahren, 2040 vermutlich bei 70. Waldmeyer extrapolierte kurz: Im Jahre 2051 könnte es, bei weiter steigernder Lebenserwartung, gar bei 75 Jahren liegen. Vielleicht doch nicht eine so gute Aussicht?

Es bliebe nun noch die Option Nummer sieben, die ganz persönliche Option, nämlich das Auswandern. Es wäre sozusagen die Nuklearoption – allerdings hätte sie Waldmeyer schon viel früher wahrnehmen sollen. Einfach ein Land wählen mit einer sehr attraktiven Pensionsform. Saudi-Arabien könnte einer genaueren Prüfung unterzogen werden, hier wird man bereits mit 47 pensioniert. Allerdings ohne Alkohol.

Waldmeyer hätte auch Kampfpilot in der deutschen Bundeswehr werden können. Pension mit 40! Zusätzlich finanziert der Staat anschliessend noch ein Studium. Aber Waldmeyer legte den Plan wieder auf die Seite, er ist nicht ganz schwindelfrei.

Also warf er nochmals einen Blick nach Frankreich. Heureka! Waldmeyer hätte Tänzer werden sollen an der Pariser Oper. Pension mit 42!

„Charlotte, wärst du mit mir, damals, nach Paris gezogen …?“

Waldmeyer, die Arbeitszeit und der Konsumverzicht

Das grüne und linke Lager fordert mantramässig eine Reduktion der Arbeitszeiten. Um die Finanzierung dieser Spässchen sorgen sie sich nicht. Waldmeyer überlegte sich, wie er selber einen Beitrag zur Finanzierung leisten könnte.

Protagonisten der Jungen Grünen forderten kürzlich die 24-Stunden-Woche. Und die SP schwadroniert schon seit geraumer Zeit von der 35-Stunden-Woche. Auch die Unia, die stärkste und militanteste Gewerkschaft der Schweiz, nie um weltfremde und klassenkämpferische Forderungen verlegen, fordert mantramässig Ähnliches. 

Was allen Forderungen gemeinsam ist: Die Arbeitszeitverkürzung soll bei gleichbleibendem Lohn erfolgen. Brave new world.

Je nach Tagesaktualität werden dazu die Argumente gereicht: Die Arbeit muss einerseits besser verteilt werden, damit alle auch Arbeit haben (angesichts des Personalmangels überall und der rekordtiefen Arbeitslosenrate wird dieser Ansatz zurzeit weniger berücksichtigt). Andererseits braucht es mehr Zeit „zum Leben“ – die Arbeitsbelastung ist einfach zu hoch. Auch ist die Erde zu klein, die Ressourcen sind begrenzt und wir müssen vom Konsum wegkommen. Natürlich geht es, wenn nach der Finanzierbarkeit der schönen Pläne geforscht wird, immer auch um Umverteilung: Von Kapital zu Arbeit. Ohne Klassenkampf ist da nichts zu machen.

In Frankreich beispielsweise wird ja sehr überzeugt und flächendeckend wenig gearbeitet, seit Jahren kennt man die 35-Stunden-Woche. Die Deutschen arbeiten 37.5 bis 40 Stunden pro Woche, bei den Italienern und Spaniern weiss man es nicht so genau. In der Schweiz sind es im Schnitt knapp 42 Stunden. Belgien versucht es derzeit mit einer 38-Stunden-Woche, verteilt auf vier Tage.

Soll unsere helvetische Überproduktivität nun reduziert werden? Insbesondere die Vertreter von völlig überarbeiteten Angestellten des Staates, der Kantone oder der Gemeinden sind offenbar dieser Meinung. Die SP in Baselstadt brachte jüngst eine Motion in den Grossen Rat, die gebeutelten Beamten nur noch 38, anstatt 42 Stunden arbeiten zu lassen. Unter anderem „wegen dem Fachkräftemangel“, weil man „konkurrenzfähig bleiben müsse“. Nun, vielleicht müssen die vier Stunden gar nicht durch neue, nicht zu findende Fachkräfte kompensiert werden – weil es diese gar nicht braucht.

Auch die Zürcher AL und die SP bleiben nicht untätig, denn mittels gleich zwei Vorstössen lancieren sie für städtische Angestellte einen Pilotversuch für die 35-Stunden-Woche. Flankiert wird der Test mit einer Viertageswoche.

Den Versuch mit der Viertageswoche hatte VW in Deutschland übrigens schon vor Jahren wieder abgebrochen. Plötzlich fehlte es an nämlich an Fachkräften, um die Produktion am Laufen zu halten. 

Aber zurück in die Schweiz. Waldmeyer überlegte sich, wo denn die unterste Benchmark für die Arbeitszeit liegen könnte: vielleicht bei einer Zweitageswoche? Die Erosion der Arbeitsmotivation könnte so allerdings schon im Laufe des Dienstags stattfinden und die Erholungsphase dann bis Montagmorgen dauern.

Selbst wenn es gelänge, die Industrieproduktion mit so viel Raffinesse zu planen, dass fast nur noch Roboter an der Arbeit sind und die Gesellschaft vorab zu Hause hocken dürfte: Bei vielen politischen Weltverbesserern geht offenbar vergessen, dass wir heute eine Dienstleistungsgesellschaft sind. Waldmeyer beispielsweise möchte keinen Roboter als Zahnarzt. Es reicht ihm schon, wenn er im Baumarkt dazu gedrängt wird, seine Einkäufe selbst zu scannen.

In der Schweiz arbeiten 75% der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Und in vielen Bereichen findet Dienstleistung nun mal an sieben Tagen in der Woche statt:  in der Hotellerie und der Restauration, im öffentlichen Dienst, bei vielen digitalen Supportleistungen, im Spital, etc., etc. Am Donnerstagabend kann also nicht Schluss gemacht werden. Da ist einiges an Koordination nötig, was sich mit einer Reduktion der Arbeitszeit schon logistisch nur mühsam regeln lässt.

Nun zurück zur Unia und der 35-Stunden-Woche. Mit immer wieder den gleichen Argumenten wird diese lanciert – so der Reduktion der hohen Belastung, der Verbesserung der Work-Life-Balance, der gerechteren Verteilung der Arbeit.

Was Waldmeyer allerdings nachdenklich stimmt: 80% der Schweizer arbeiten „eher gerne“, 20% „eher nicht gerne“. Ähnliche Untersuchungen in Deutschland oder Frankreich zeigen leider ein anderes Bild: 80% geben an, eigentlich nicht so gerne zu arbeiten. 

Waldmeyer seufzte. Arbeitet man also lieber, wenn man mehr arbeitet? Oder arbeitet man mehr, weil man gerne arbeitet? Verfliegt die Lust an der Arbeit eventuell mit abnehmender Arbeitsbelastung? Seltsam. Zumindest eine Beobachtung hatte Waldmeyer schon gemacht: Unterbeschäftigte Beamte beispielsweise neigen dazu, plötzlich aufkommende Arbeit als zu viel zu betrachten.

Ein Lieblingsthema Waldmeyers sind die vielen „sozialen Hängematten“ in europäischen Ländern. Nebst der Rundumversorgung durch den Staat kommen hohe Absenzen dazu, viele Frei- und Urlaubstage, ausgedehnte Elternurlaube, etc. Spanierinnen erfreuen sich an regelmässigen freien Menstruationstagen und Italienerinnen im gebärfähigen Alter müssen, bei intelligenter Kinderplanung, eigentlich während Jahren gar nie arbeiten – sie profitieren aber trotzdem von Lohnfortzahlungen. Der Franzose andererseits lässt sich gerne schon mit Mitte 50 pensionieren. 

Das kostet natürlich alles. Den Staat, die Gesellschaft, die Firmen. Frankreich, nun auch nur wieder beispielsweise, hat sich inzwischen quasi de-industrialisiert. La Grande Nation ist in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig. Das liegt nicht nur an der verlorenen Innovationskraft, sondern auch an den zu teuren und zu wenigen Arbeitsstunden. 

Der Staat hat den Bürgern in vielen Ländern täglich suggeriert, dass er für alles verantwortlich ist und Arbeit eben nur eine lästige Nebenerscheinung der modernen Wohlfahrtsgesellschaft ist.

Waldmeyer erkennt: Wir haben also Nachholbedarf in der Schweiz. Wir arbeiten zu viel. Wir haben zu wenig Ferien. Auch keinen richtigen Elternurlaub. Wir sind zu wenig krank. Wir müssen uns trotz Menstruation ins Büro schleppen. Und das Schlimmste: Wir arbeiten zu allem noch ganz gerne!

Waldmeyer nahm sich vor, die Psyche der Forderungsprotagonisten aus gewissen grünen und linken Ecken genauer zu studieren: Arbeiten diese vielleicht selbst nicht gerne? Oder ist es tatsächlich nur ihr politisches Spiel, um wiedergewählt zu werden? Oder handelt es sich doch um zwar weltfremde, aber gutmeinende Fundis, die ehrlich an ihre abenteuerlichen Programme glauben? 

Waldmeyer dachte dabei auch an seine ältere Schwester Claudia (frühpensionierte Lehrerin, SP, praktischer Kurzhaarschnitt, lustige farbige Brille, altes Nokia). Tatsächlich ist sie der Meinung, mit ihrem heutigen Konsumverzicht, allerdings mit einer komfortablen staatlichen Rente, der Welt Gutes zu tun.

Aber auch Waldmeyer selbst, so stellte er fest, hat schon viel Gutes für die anderen getan: Er hat jahrelang gemalocht, eine Firma aufgebaut, Arbeitsplätze geschaffen und viel Steuern bezahlt. Auch hat er immer tüchtig ausgegeben, der Gesellschaft also das Geld zurückgegeben. Mittels Multiplikatoreffekt hat er tatsächlich die Wirtschaft, wenn auch nur im Nanobereich, angekurbelt.

Wenn die Arbeitskosten zu hoch sind, sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Das schlägt auf das BIP und letztlich auf das verfügbare Einkommen des Bürgers. Die unteren Schichten trifft dies dann bekanntlich überdurchschnittlich. Auch ein flächendeckender Kosumverzicht, das weiss jeder Ökonom heute, würde unsere Gesellschaft in ein Desaster stürzen. 

Waldmeyer fasste nun einen Management-Entscheid: Da er nicht mehr voll im Berufsleben steht, möchte er trotzdem weiter etwas für die Gesellschaft tun. Das Beste, was ihm im Moment einfiel, war, seinen Konsum nicht einzuschränken. Ja, der Motor der Wirtschaft muss weiterlaufen, damit die Gesellschaft ihren Bedarf, mit allerlei Spässchen und Forderungen, finanzieren kann. Und Waldmeyer, als winziges Rädchen in diesem Getriebe, wollte dabei sicher nicht als Spassbremse auftreten! 

„Charlotte, wir sollten mehr Geld ausgeben“, meldete Waldmeyer zu seiner Frau in ihr Arbeitszimmer rüber.

“Ich hätte eigentlich lieber etwas mehr freie Zeit, Schatz!“, kam es sofort zurück.

Waldmeyer war verwirrt. Die Sache ist offenbar komplizierter. Er nahm sich vor, seinen Ansatz nochmals zu überdenken.

Waldmeyer und wie man verhandelt

Oder: Was Aschenputtel mit dem CS-Deal zu tun hat

Die Schweiz verfügt neu über ein Schulbeispiel, wie man nicht verhandeln sollte. Oder wie man eben verhandeln sollte – je nachdem, auf welcher Seite man steht. So konnte die UBS den fettesten Fisch ever an Land ziehen, während unsere Behörden mit ihrem dilettantischen Handeln eine neue negative Benchmark setzten.

Das Psychogramm eines Schweizers weist Züge auf wie „langweilig“, „zuverlässig“, „risikoscheu“, „vorsichtig“ – oder tendenziell gar eher „rückwärts orientiert“. Wir sind keine Dealmaker. Wir können nicht pokern. Wir können zwar opportunistisch sein, auch egoistisch. Wir sonnen uns auch in einer heilen Scheinwelt, wir schotten beispielsweise unsere Märkte ab, weil wir der hehren Überzeugung sind, dass wir alles besser machen und können als alle andern.

Der UBS/CS-Deal wird in die Geschichtsbücher eingehen. Ein ausgebuffter Banker (der UBS VR-Präsident, der Ire Colm Kelleher) konnte einen kompletten Bundesrat, inklusive Finma und unseren Notenbanker, über den Tisch ziehen. 

Waldmeyer versuchte nun zu analysieren. Die Ursache dieses peinlichen Ablaufs des Verhandlungspokers lag vermutlich nicht nur in der Überlegenheit des cleveren Iren, welcher sich wohl die berühmte Spieltheorie zu eigen machte. Bei der Spieltheorie werden künftige Entscheidungsschritte in Szenarien antizipiert – eine wissenschaftlich untermauerte Disziplin, welche Waldmeyer schon in Sachen Toilettenpapier während der Coronazeit analysierte.

Die Ursache des jüngsten CS-Verhandlungsdesasters lag in der Unbedarftheit unserer Bundesratstruppe, welche nicht einen einzigen richtigen Ökonomen in ihren Reihen hat. Keines der Mitglieder hat auch nur einen Hauch von Finanzwissen, Erfahrung im Geldmanagement oder aus dem normalen Leben der Wirtschaft. Wie wir wissen, besteht unser Bundesrat u.a. aus Winzern, Ärzten, DolmetscherInnen oder Sozialarbeiter:innen. 

Eine andere Ursache liegt in der falschen Annahme, dass schweizerische Lösungen immer besser sind. Es geht also nicht nur um schieres Unvermögen, sondern auch um beharrliche Rückwärtsorientierung, eine erschreckend weltfremde kognitive Wahrnehmung des globalen Geschehens, auch um mangelnde strategische Finesse.

Das Resultat des grössten Finanzdeals aller Zeiten liegt nun vor: Es ist ziemlich kontraproduktiv, weil ein zu grosser Finanzkoloss entsteht und die Überschneidung der kombinierten Bank zu einem viel grösseren Abbau von Arbeitsplätzen führen wird. Deutsche Bank, HSBC, etc., als Alternative zur UBS, wären zwar Topkandidaten gewesen, die den Wettbewerb in Helvetien wohl munter aufgemischt hätten – sie waren indessen nicht genehm. Weil eben ausländisch. Ein Glück für die UBS, der einzigen Gewinnerin in diesem Trauerspiel.

Die Variante, dass die Nationalbank vorübergehend den kontaminierten CS-Haufen hätte übernehmen können, ihn dann elegant filetieren und wieder geschickt hätte platzieren können, wurde mit Inbrunst verworfen. Aufgrund der „Risiken“. Jordan, unser Notenbanker, hatte wohl kalte Füsse, hatte er im letzten Jahr doch bereits schwindelerregende 132 Milliarden Franken verbraten, mehr als der gesamte Schuldenberg der Eidgenossenschaft. Jordan wollte nicht. Damit war auch das illustre Grüppchen mit den sieben Bundesräten und der Finma sofort der gleichen Meinung. Heute hat die Staatsführung einem Deal zugestimmt, welcher der UBS insgesamt erschreckende 209 Milliarden Risikogarantien gibt. Waldmeyer googelte gleich nach einem sinnvollen Vergleich: Die Summe entsprach ungefähr dem BIP Griechenlands. Oder zweihundert Mal dem BIP des Kantons Appenzell Innerrhoden. Der Kauf der CS dagegen hätte nur eine lächerliche Fraktion davon gekostet, und die Risiken dabei wären überschaubar geblieben. „Da hätten wir doch gleich Griechenland kaufen können“, meinte Waldmeyer zu Charlotte. Charlotte antwortete nicht.

Die dritte Ursache dieser Malaise liegt im offensichtlichen Unvermögen, zu verhandeln. Damit kam Waldmeyer nun zu dem Lehrstück, das eben in die Geschichte eingehen wird: wie dieser raffinierte Ire das Fähnlein der sieben Aufrechten um den Finger wickeln konnte, mitsamt ihren Finanz-Adlaten und den Geldverbrennern der Notenbank.

Nummer eins in diesem Lehrstück: Kein Interesse zeigen. Obwohl die UBS natürlich gierig nach der CS trachtete, vor allem nach deren Filetstücken, zeigte der kluge Ire kein Interesse. Also erst mal mürrische Ablehnung vortäuschen. „Nein, kein Interesse“, liess der Banker verlauten.

Nummer zwei: Entnervt eine provokativ tiefe Offerte vorlegen. Kelleher warf also, während eines Restaurantaufenthaltes offenbar, salopp mal telefonisch eine Milliarde für den Kauf der ganzen CS in den Ring. Angesichts der vermutlichen Bilanzwerte von 20 bis 40 Milliarden eine lächerliche Summe. Damit konnte man Entsetzen produzieren – bei der CS und bei unseren Staatsdienern. Der Schock war offenbar derart gross, dass man nicht mal prüfte, zu welchem Wert denn der Bund selber eine Kaufofferte hätte machen können.

Nummer drei: Die Offerte leaken. Die Presse nahm die Information betreffend der Ein-Milliarden-Offerte dankend auf. Sofort entstand der Eindruck, dass die gebeutelte CS vielleicht tatsächlich nichts mehr wert war.

Nummer vier: Den Wert des Kaufgegenstandes erhöhen. Der Ire, nun immer noch Leiden vermittelnd angesichts des Damoklesschwerts einer „Forced Marriage“, schlug offenbar vor, die AT1-Anleihe der CS von 16 Milliarden einfach als wertlos zu erklären. Damit verbesserte sich die Bilanz der CS-Braut auf einen Schlag. 

Nummer fünf: Offerte kurz vor Ablauf des Zeitfensters etwas verbessern. Kelleher wusste, dass die Schweizer Truppe unbedingt den Deal mit der UBS wollte – und möglichst keinen andern. Und es war klar, dass dieser Deal unbedingt rechtzeitig vor der Börseneröffnung am Montagmorgen stehen musste. Kelleher warf also, in einem Anflug von Grosszügigkeit sozusagen, nun erst mal zwei, dann ganze drei Milliarden in den Ring. Er tat dies, indem er immer noch wenig Interesse mimte, sozusagen aus reiner Pietät. Und so wurde der Sack zugemacht und der Deal stand.

Dabei ging ganz vergessen, dass die Besitzer der CS kalt enteignet wurden. Aber bei einem solchen Deal darf das keine Rolle spielen. Kelleher ging es einzig um ein maximales Verhandlungsresultat, welches er tatsächlich brillant erzielen konnte. Nun darf nicht der Bund oder die Notenbank die CS filetieren, sondern die UBS. Im Sinne einer Umkehr des Aschenputtel-Systems: die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen.

Waldmeyer überlegte, was wir in der Schweiz daraus lernen könnten. Bessere Leute wählen in unsere Staatsführung und -verwaltung? Wir sind nun mal, leider, ein ausgeprägter Schönwetterstaat. Unsere Bedächtigkeit hatte dabei, immerhin, über Jahrhunderte Fehler verhindert. Das Gute an Politikern ist doch, dass sie oft nicht entscheiden – und damit nicht falsch entscheiden. Aber wenn’s brennt, funktioniert das nicht mehr. Unser System ist damit nicht krisenresistent. Sei es in einer Pandemie, einer Strommangellage, dem Umgang mit einem Krieg mitten in Europa, der notwendigen Auslegung unserer Neutralität – oder eben einer plötzlichen Finanzkrise. Desillusioniert stellte Waldmeyer fest, dass wir kaum lernfähig sind und es künftig auch kaum sein werden. 

Alternativ reflektierte Waldmeyer nun, was er denn selbst lernen könnte aus diesem Lehrstück. Er könnte zum Beispiel zum Steuerkommissär in Meisterschwanden gehen, bluffen und sagen, er sei bankrott. Er hätte zum Beispiel eine amerikanische Sammelklage am Hals und könnte so die Steuern für das laufende Jahr nicht bezahlen. Aber er könne einen Deal anbieten: 20% der Steuersumme bezahlen, und das sofort. 80% Nachlass.

Charlotte war nicht überzeugt von dem Deal: „Du musst bessere Argumente finden, Max. Sag doch einfach, du seiest enteignet worden, durch den Bundesrat. Er war es ja, der dir den Aktienkurs der CS in den Keller geschickt hatte. Dein Vermögen hat sich damit drastisch reduziert.“

Charlotte hatte recht: Man sollte mehr und bessere Deals machen. In der Hoffnung einfach, dass die Gegenseite unbedarft ist. Er dachte an diesen Herrn Vonlanthen, den Steuerkommissär von Meisterschwanden. Er beschloss, einen Versuch zu wagen.

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