Waldmeyer und der Kollaps der UBS

 Es reichte ja schon, dass die CS den Bach runterging. Aber nun auch noch die UBS? Waldmeyers Tagtraum wirkt ziemlich beklemmend, aber er ist doch eindrücklich. Wir zählen das Jahr 2026.

Waldmeyer hatte sich bei seinem letzten runden Geburtstag vorgenommen, möglichst jeden Tag eine Siesta einzulegen. Siestas sind nicht nur die wohl bemerkenswerteste Erfindung einiger südlicher Länder in Europa, sie haben auch den Vorteil, dass man sich, im Halbschlaf de facto, Tagträumen hingeben kann. Tagträume gehen über Selbstgespräche hinaus, welche Waldmeyer zuweilen auch gerne pflegt (er meint, damit ab und zu eine wertvolle Expertenmeinung einzuholen). Tagträume gehen weiter. Man kann deren Inhalte, kurz vor dem Einnicken, zum Beispiel bei der Lektüre der Rezension einer Theatervorstellung, etwas beeinflussen. Zumindest die Richtung vorgeben.

Eine Warnung vorab

Das folgende düstere Szenario kann vielleicht verstörend wirken. Bitte nur weiterlesen, wer glaubt, über starke Nerven zu verfügen. Und noch was: Waldmeyer denkt überhaupt nicht, dass sich die UBS-Zukunft tatsächlich so entwickeln wird. Es ist wirklich nur ein Traum.

Waldmeyer blendet zurück

Waldmeyer wählte für seinen Tagtraum den Monat März im Jahr 2026 nicht zufällig. Die UBS-Geschichte begann im März 2023 ja blendend. Wie wir wissen, verscherbelte Karin Keller-Sutter damals übers Wochenende, mit stummem Sukkurs des Gesamtbundesrates und des Notenbankchefs, die serbelnde Credit Suisse für peinliche drei Milliarden Franken an die UBS. Alle anderen Optionen wurden in den Wind geschlagen. Vor allem durfte keine ausländische Bank zum Zug kommen, nicht mal für Teile der CS. Der Verwaltungsratspräsident der UBS, Colm Kelleher, ein ausgebuffter Verhandlungsprofi, rieb sich die Hände, und sein Buddy Sergio Ermotti klopfte sich an jenem Sonntagabend auf die Schenkel – sollte er doch nur Wochen später als künftiger CEO vordergründig überraschend aus dem Hut gezogen werden. Grosse Finanzinstitute (wie J.P. Morgan oder Goldman Sachs) hatten den tatsächlichen Wert der CS auf 40 bis 80 Milliarden geschätzt. Wir kennen den traurigen zweiten Teil der Geschichte: Die CS-Aktionäre erlitten fast einen Totalverlust, und Tausende von Arbeitsplätzen der CS sollten im Rahmen der Fusion mit der UBS verloren gehen. Die einzige Gewinnerin bei diesem traurigen Schwank war die UBS – und deren Topmanagement, natürlich.

 

Die Schweiz unter grossem Druck

Aber zurück zu Waldmeyers Tagtraum betreffend März 2026: Die Schweiz geriet zu jenem Zeitpunkt unter massiven politischen Druck. Die vorgespielte «Neutralität» der Schweiz in Sachen Ukraine löste in der ganzen westlichen Welt immer mehr Unverständnis aus. Die Hamas wurde von der Schweiz immer noch nicht als Terrororganisation bezeichnet, die Schweiz schickte immer noch Geld nach Palästina, mit welchem unter anderem Schulbücher finanziert wurden, welche die Vernichtung Israels propagierten. Und es gab gleich drei neue Bankenskandale in den USA, in welche die UBS seit Jahren verwickelt war. Als dann noch ein grosser internationaler Schmuggel mit von Russland gestohlenem Getreide aufflog, der seit Jahren über die Schweiz abgewickelt wurde, geriet das Fass zum Überlaufen.

Präsident Trump kümmerte sich inzwischen nicht nur um den autokratischen Umbau des Politsystems in den USA – er hatte sich nun auch auf die Schweiz eingeschossen: Er verbot unter Sanktionsandrohungen allen Firmen die Zusammenarbeit mit der Schweizer Wirtschaft. Worauf unser Onkologe aus dem Tessin (Aussenminister Cassis) in jenem März mit dem kleinen Bundesratsjet sehr viel in der Welt herumreiste und das Feuer zu löschen versuchte. Vergeblich.

Zu allem noch die Vogelgrippe

Zu allem grassierte ja ab Herbst 2025 die Vogelgrippe. Impfgegner skandierten auf dem Bundesplatz. Diesmal gab es Masken, aber die SVP stellte deren Wirkung in Frage, und die Leute hatten einfach keine Lust, die Covid-Spiele von früher nochmals durchzuspielen. Das sind natürlich, sozial gesehen, schwierige Situationen, zumal Elisabeth Baume-Schneider diesmal im BAG am Drücker war. Sie hatte sich allerdings schon frühzeitig ins Homeoffice in den Jura zu ihren Schwarznasenschafen abgesetzt und korrespondierte mit ihren MitarbeiterInnen im BAG per Fax. Ansonsten war sie nicht erreichbar.

Die SNB hatte sich verspekuliert

Zu allem Übel hatte sich nun auch noch die SNB, die Schweizerische Nationalbank, inzwischen gendergerecht geführt, verspekuliert, und plötzlich verlor der Schweizerfranken massiv an Wert. Das bescherte der SNB zwar fette Buchgewinne, hatte sie doch über die letzten Jahre weiter wild USD, Euro und Pfund gekauft, auch Yen, Renminbi und einen besonders grossen Stock an Indischen Rupien.

Die Implosion des CHF führte nun zu einer galoppierenden Inflation in der Schweiz. Wir müssen ja eigentlich alle Güter importieren – ausser Uhren und etwas Chemie, welche vor allem in den Export gelangen. Zur Erntezeit können wir zwar die Aprikosen aus dem Wallis kaufen (dann werden Importe verhindert), auch den Féchy, nur beispielsweise, können wir direkt aus der Waadt ordern – mithin alles kein Import. Aber in der Regel führen wir die meisten lebenswichtigen Güter ein. Mit einem Schweizerfranken, dessen Wert nun plötzlich gegen den Erdmittelpunkt raste, explodierten natürlich die Preise der Importe. So erklärte sich dann diese missliche galoppierende Inflationslage in der Schweiz. Martin Schlegel, der neue Chef der Nationalbank, musste Gegensteuer geben und erhöhte den Referenzzinsatz auf 15.5%.

Himalyamässige Verluste bei der UBS

Niemand hatte mit all dem gerechnet. Vor allem auch die UBS nicht. Ihre Hedgefund-Manager und auch die Analysten hatten haargenau auf das Gegenteil gesetzt. Die Buchverluste türmten sich plötzlich himalayamässig auf. Der Verlust in das Vertrauen der Bank erfolgte über Nacht, und der Bankrun setzte ein.

Waldmeyer wusste – ja, auch im Tagtraum -, dass ein Bankrun heute nicht mehr analog in den Schalterhallen stattfindet. Er findet digital via PCs und Smartphones statt. Tausende, ja Millionen von Kunden ziehen plötzlich die Gelder ab. Binnen Stunden. Das ist gemein, findet aber statt.

Karin Keller-Suter versuchte noch übers Wochenende, für die Refinanzierung der UBS mit der Migros-Bank eine Lösung zu finden. Der Notenbankchef war diesmal gar nicht erst zu erreichen, er war in Zermatt auf der Skipiste. Die Optimierung der Work-Life-Balance hatte auch ihn eingeholt.

Karin allein zu Hause

Wie wir wissen, ist die UBS einfach too big to fail. Ihre Bilanzsumme betrug schon 2023 deutlich mehr als das BIP der Schweiz. 2026 war sie auf das 1.6-Fache angestiegen; ein ähnlicher Wert wies jetzt auch die Bilanzsumme der Nationalbank auf – also fast das Doppelte der gesamten Schweizer Wirtschaftsleistung. Das alles war nicht hilfreich.

Wenn so eine aufgeblähte Bank (wie die UBS) die Segel streicht, ist ein Land in «deep shit». Es darf einfach nicht passieren. Aber Martin Schlegel war in Zermatt. Und Karin allein zu Hause – bzw. im Bundeshaus. Sie hatte ihr dunkelstes Akris-Kostüm angezogen und wartete. Es war nicht wie im März 2023, als alle Bundesräte antrabten an jenem Wochenende und das Fait accompli von Karin abnickten. Sie kamen diesmal gar nicht. Ignazio Cassis war noch an einem Hearing vor dem Kongress in den USA und wurde dort gegrillt, Guy Parmelin kontrollierte seine Reben in der Waadt, Viola Amherd war im Ausverkauf in Brig-Glis (der neue Frühlings-Outfit stand an). Beat Jans war immer noch am Akteneinlesen, zu Hause in Basel, zusammen mit diesen vertrackten Dokumenten aus dem Justizdepartement. Albert Rösti war auf einer Wanderung (er wollte Locations für Windräder spotten, die niemand wollte). Und Baume-Schneider, wie wir wissen, war bei ihren Schwarznasenschafen.

Die SVP sprach inzwischen von einer Verschwörung des Auslandes gegen die Schweiz und verlangte die Sperrung des Gotthardtunnels. Jetzt herrschte echte Krise.

Hildebrand rettet die Schweiz

Karin also allein. In diesen schwierigen Momenten muss man auch mal einsame Entscheide fällen. Dafür wurde man gewählt. Die Schweiz entscheidet in der Regel nie, ausser mit Notrecht. Dann aber relativ willkürlich und sofort.

Da kam Karin Keller-Sutter der Anruf aus den USA, von Hildebrand, Ex-Notenbankchef, heute Vice-President von Blackrock, des grössten Vermögensverwalters der Welt, gerade recht: «Karin, wir (Anm. der Redaktion: Blackrock)machen das schon. Wir übernehmen alle Assets dieser Bank. Das ist im internationalen Interesse. Allerdings können wir das ganze Aktienkapital nur für einen Franken übernehmen. Den Hauptsitz müssten wir zudem in die Staaten verlegen, du verstehst schon. Und bilanzieren werden wir künftig in USD.»

Karin fiel ein Stein vom Herzen. Sie schlug ein. Der Deal hätte nicht besser sein können. Gleichentags noch schloss die UBS alle ihre online Portale. Die Schalter auch. Endlich herrschte Ruhe.

Waldmeyer wachte schweissgebadet auf. So eine Siesta kann tatsächlich anstrengend sein.

Waldmeyer plant die Osterweiterung

1992 versenkte die Schweiz ihren EWR-Beitritt. Das war ziemlich dumm. Liechtenstein beispielsweise ist seit 30 Jahren ohne Probleme im EWR und muss sich nicht mit lästigen Verhandlungen in Brüssel herumschlagen. Waldmeyer möchte nun den EWR wiederbeleben. Aber er plant noch Grösseres.

Heute sind Norwegen, Island und Liechtenstein im EWR. Diese drei EFTA-Staaten gehören zur grossen wirtschaftlichen Freihandelszone mit der EU. Die Schweiz (das vierte EFTA-Mitglied) fehlt. Die anderen drei Länder profitieren von einem fast uneingeschränkten Warenverkehr und weiteren Vorteilen – und dies, ohne dass sie bei den EU-Zwängereien mitmachen müssen. Aus heutiger Sicht wäre ein EWR-Beitritt, welcher 1992 abgelehnt wurde, ideal gewesen.

 Kein norwegischer Christoph Blocher

Es gab in diesen drei Staaten weder einen isländischen noch einen norwegischen, geschweige denn einen liechtensteinischen Christoph Blocher, der den EWR-Beitritt aus rein populistischen Gründen bodigen konnte.

Waldmeyer fragte sich, was sich denn, beispielsweise in Liechtenstein, negativ verändert hat seit dem EWR-Beitritt 1995. Nun, nichts. Oder haben wir jemals Klagen aus dem EWR-Land Norwegen gehört, mithin ein äusserst erfolgreiches und unabhängiges Land? Nein. Die Schweiz indessen muss nun seit 30 Jahren mühsam um allerlei Details mit der EU streiten.

Grossmannssucht der EU

Die EU möchte lieber «richtig» expandieren, mit neuen Staaten. So mit Montenegro, Serbien oder Kosovo. Oder mit der Ukraine und Moldawien (das Armenhaus Europas). Und zwar nicht in EWR-Manier, sondern richtig, also EU-mässig. Da spielen geostrategische Überlegungen mit, denn ein solches Vorhaben macht weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich Sinn. Dieser Plan scheint einerseits brisante taktische Gründe zu haben, so um eine Front gegen die invasiven Spiele Russlands aufzubauen. Andererseits ist es nichts anderes als Grossmannssucht von europäischen Politikern.

Dabei sollte doch in erster Linie nur eines zählen: die Schaffung eines prosperierenden Wirtschaftsraums, wo möglichst hindernisfrei Waren und Dienstleistungen ausgetauscht werden können und – mit gewissen Auflagen – Personen und Kapital sich einigermassen frei bewegen können. Also EWR, eben ein «Europäischer Wirtschaftraum». Diese vertiefte Freihandelszone des EWR schliesst eine Vielzahl von praktischen wirtschaftlichen Harmonisierungen ein. Waldmeyer meint: Eine weitere gesellschaftliche und politische Vereinheitlichung, die über einen EWR-Modus hinausgeht (also ein EU-Beitritt von diesen zum Teil merkwürdigen Trabantenländern), ist nicht zielführend.

Waldmeyer plant die EWR-Osterweiterung

Ja, der EWR wäre die Lösung gewesen! Aber sie scheint nun vom Tisch zu sein, denn die EU möchte die EWR-Option für die Schweiz nicht weiterverfolgen.

Waldmeyer durchtrennt nun diesen gordischen Knoten: Falls die Schweiz nicht allein wäre als EWR-Beitrittsland, sondern eines unter vielen, sähe es wohl anders aus. Waldmeyer schlägt deshalb vor, eine ganze Anzahl von EU-nominierten (oder noch nicht nominierten) Länder im Osten in einem EWR-Gürtel zusammenzufassen. Damit könnte verhindert werden, dass diese der EU beitreten müssten oder dürften. Also back to the roots: Es könnte ein noch grösserer Wirtschaftsraum geschaffen werden, ein ökonomisches Bollwerk gegen Osten, welches sich prosperierend entwickeln könnte, ohne politische und gesellschaftliche Vereinheitlichung. Es war so oder so immer illusorisch, für einen Sizilianer die gleichen Regeln wie für einen Dänen aufzustellen. Einen Albaner oder Kosovaren so zu kalibrieren, dass er in eine EU-Denke passt, würde noch aussichtsloser sein. Aber warum nicht wirtschaftlich enger zusammenarbeiten, Waren auszutauschen, zu investieren in den Ländern? Und das andere sein lassen. Das würde in der Tat Sinn machen.

Der neue EWR-Gürtel Waldmeyers

Waldmeyers EWR-Gürtel würde dann nicht nur alle Ex-Jugoslawienländer umfassen, die heute noch nicht in der EU sind. Auch Albanien, Moldawien, die Ukraine oder Georgien könnten dazukommen. Die Türkei könnte ebenso aufgenommen werden. Normen würden vereinheitlicht, gemeinsame Vorschriften würden die Qualität der Waren verbessern, Zölle gesenkt, das Warenangebot vergrössert, der Zahlungs- und Kapitalverkehr verbessert werden und vieles mehr. Grossbritannien würden wir formell auch reinnehmen, es gehört nach dem EU-Austritt de facto eh zum europäischen Wirtschaftsraum.

 Die EU hat Grosses vor

Was spricht gegen Waldmeyers Befreiungsschlag? Nun, z.B. die Pläne der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ehemalige Kinderärztin, sehen Grösseres vor. Die EU-Kommission schliesst beispielsweise nicht aus, Bosnien und Herzegowina oder Serbien dereinst einen EU-Beitrittskandidatenstatus zu verleihen. Aber warum diese absurden Pläne? Unsere Kinderärztin befindet sich in einem Erklärungsnotstand – gibt aber keine Antworten diesbezüglich.

Waldmeyer und die «Shithole-Countries»

Waldmeyer hatte das Vergnügen, im Sommer 2023 eine längere Balkanreise zu unternehmen. Mit einem ausgedehnten Roadtrip bereiste er, vielleicht ein wenig voyeurhaft, alle diese merkwürdigen Länder Ex-Jugoslawiens, auch Albanien und alle weiteren Länder der Region. Ja, alle. Der bescheidene Level dieser Länder und die Kulturfremde waren mit Händen zu greifen. Der Ausdruck «Shithole-Country» mag nicht sehr flattierend sein, aber für gewisse Länder scheint er, so in Waldmeyers durchaus objektiver Wahrnehmung, tatsächlich zuzutreffen: So für Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina oder Albanien etwa. Insbesondere die muslimisch geprägten Staaten Osteuropas scheinen, so seine vorsichtige Empfindung vor Ort, zum Teil wenig mit Europa zu tun haben. Entweder handelt es sich um Drogendrehscheiben (Albanien und Kosovo), um stark männerdominierte Macho-Länder (Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien), um Länder mit seltsamen politischen Ausrichtungen und komischem Rechtsverständnis (Türkei, Serbien) oder um sehr korrupte Staaten (eigentlich alle). Dass solche Länder zu unserer Wertegemeinschaft gehören könnten, ist mehr als fragwürdig.

Der Schweiz ist das alles nicht egal

Für die oben gennannten Länder eine Mitgliedschaft in der EU anzudenken, kommt einem sehr abenteuerlichen Plan gleich. Aber vielleicht könnte das der Schweiz egal sein? Nein, ist es nicht. Denn wir schliessen Verträge mit der gesamten EU ab, wer immer auch dazugehört. Und wir müssen Kohäsions-Milliarden abdrücken, die künftig gerade diesen zurückgebliebenen und störrischen Ländern zugutekommen werden.

Dass die Schweiz an den Aktivitäten in diesem europäischen Club nur als Trittbrettfahrerin teilnimmt, ist tatsächlich eine Sonderkonstellation. Aber trotzdem gehört Helvetien zu Europa. Das Ländchen assoziiert sich mit den verschiedensten Europa-Institutionen. Und dann kommt eben diese «Werteteilung» dazu. Viele Länder in Osteuropa verfolgen indessen ein davon abweichendes Programm. Aber das schliesst nicht aus, dass wir uns, in einem EWR, wirtschaftlich besser mit ihnen austauschen könnten!

Wer definiert, was zu Europa gehört?

Bis wo reicht denn Europa? Geografisch, wie wir wissen, bis zum Ural. Weiter südlich indessen wird die Sache unklar. Die Türkei liegt bekanntlich sowohl in Europa als auch in Asien, denn der Bosporus teilt Istanbul auf zwei Kontinente auf. Und wohin gehört Georgien? Hier wird es kniffelig, man spricht mitunter vom «Balkon Europas», welcher dummerweise eher in Asien liegt.

Je nach Zählweise gehören ca. 47 Länder zu Europa. Da sind auch Russland und Weissrussland dabei. Für unser Vorhaben müssten wir deshalb Europa etwas einengen – wir sollten nicht einem geografischen Kadavergehorsam unterliegen, denn mit den beiden russischen Kriegsgurgel-Ländern möchten wir nichts zu tun haben.

«Europa» kann grosszügig definiert werden

Deshalb dürften wir auch, mit unserer etwas grosszügigen Auslegung der politischen, sozialen und geografischen Europagrenzen, immerhin auch Georgien, Armenien oder Aserbeidschan zu unserem wirtschaftlichen Europa zählen. Letzteres Land hat sehr schöne Erdölreserven, das wäre also gar nicht dumm. Die Länder gehören geografisch eh schon zu «Eurasien». Sie betrachten sich ausserdem (so die Armenier etwa) eher als Europäer.

Zudem ist sogar die streng europäisch auftretende EU heute geografisch bereits in anderen Kontinenten präsent: Die Azoren gehören zu Portugal, liegen aber teilweise auf der nordamerikanischen Kontinentalplatte. Das merkwürdigerweise zur EU zählende Französisch-Guyana liegt sogar in Südamerika, und die spanischen Kanaren gehören zu Afrika. Die europäische Ostgrenze ein bisschen Richtung Asien zu verschieben liesse sich also durchaus rechtfertigen.

Waldmeyers Plan

Doch was machen wir nun mit der Schweiz? Waldmeyer hat eine klare Vorstellung: Die Schweiz sollte alle diese europäischen Restländer zusammentrommeln und sie in einem neuen Club der «EWR-Freunde» vereinen. Und dann der Kinderärztin die Idee mit der neuen EWR-Osterweiterung schmackhaft machen. Der Europäischen Union würden wir damit nur helfen, denn so müssten, beispielsweise, diese renitenten Serben gar nie EU-Beitrittskandidaten werden, auch Bosnien, Georgien oder die Moldau nicht. Die Schweiz, als Sahnehäubchen, wäre bei den EWR-Freunden selbstredend vorne mit dabei. Und unser grosser Vorteil: Wir müssten nicht weiter mit der EU über komische Sonderabkommen verhandeln, die in unserem Land eh nur populistisch von allen Seiten torpediert werden.

Leider fehlt der Gruppenchef

Natürlich müsste jemand diese neue EWR-Gruppe anführen. Waldmeyer kann sich aus Zeitgründen leider nicht zur Verfügung stellen, zudem müsste es schon ein Bundesrat sein. Eigentlich würde dieser Plan ins Departement unseres ehemaligen Winzers fallen, Guy Parmelin. Waldmeyer ist sich nicht sicher, ob dieser als polyglotter Chairman in Frage kommen könnte. Vielleicht sollten wir unseren Aussenminister schicken? Nur: Unser Arzt aus dem Tessin, Ignazio Cassis, würde vielleicht ebenso wenig über das nötige Rüstzeug verfügen. Haben wir denn tatsächlich niemanden, der dieser Aufgabe gewachsen wäre und staatsmännisch auftreten und verhandeln könnte? Waldmeyer stellte fest: Nein, es gibt niemanden. Wir tun uns ja schon schwer, mit der Kinderärztin ein neues helvetisches Verträglein auszuhandeln. Schade, das Projekt hätte Waldmeyer gefallen.

Waldmeyer interviewt Greta

Waldmeyer wollte schon immer Greta interviewen. Nun hat er es endlich geschafft. Herausgekommen ist eine sehr aufschlussreiche Diskussion. Sie legt die verfahrenen Energiekonzepte in Europa bloss und gibt Einblick in die ziemlich wirren und fahrigen Ansichten unserer Öko-Jeanne d’Arc.

Max Waldmeyer (Wm): Danke, Frl. Thunberg, dass Sie in die Schweiz gekommen sind! Liegt ja nicht gleich um die Ecke für Sie!

Greta Thunberg: Ich bin Greta.

Wm: Ok, freut mich! Max. Max ist eh viel inklusiver, mein Vorname ist ja gender-neutral.

Greta: Aha. Also ich komme jetzt gerade von Neuseeland. Ich habe ein Projekt für ein Glazialkraftwerk studiert. Eindrücklich. Die tun was. Aber jetzt musste ich mit dem Flugzeug zurück. Mein Papi hatte mir abgeraten, das Segelboot zu nehmen. Und vom Flughafen hierher kam ich mit dem Bus. Der war gar nicht elektrisch, das ist wirklich nicht sehr fortschrittlich. Ich habe jetzt echt ein schlechtes Gefühl.

Wm: Das wird sich im Laufe des Interviews legen, Greta. Beginnen wir doch mit ein paar Faktenchecks. Nummer eins: Klimaerwärmung findet offenbar statt. Historisch gesehen gab es zwar schon mehrmals Verwerfungen, diesmal scheint es jedoch etwas schneller zu gehen. Aber: Ist das schlimm? Mir wäre es recht, wenn es ein bisschen wärmer wird bei uns!

Greta: Ganz Nordafrika wird zur nicht mehr bewohnbaren Wüste, die Polklappen schmelzen ab, der Meeresspiegel steigt und wird zu fatalen, riesigen Überschwemmungen führen. Völkerwanderungen im grossen Stil werden einsetzen.

Wm: Und dann kommen nicht nur Fachkräfte, ich weiss. Aber nun zum Faktencheck Nummer zwei, auch hier werden wir uns noch einigermassen einig sein: Es besteht eine gewisse Chance, dass die Klimaerwärmung, zumindest teilweise, auf den menschenverursachten Ausstoss an schädlichen Gasen zurückgeht. Die Versmogung gewisser Städte ist zudem mit Sicherheit selbstgemacht.

Greta: Ja, wir sind die letzte Generation. Es wird schlimm werden, wenn wir nichts tun.

Wm: Nun zum Faktencheck Nummer drei: Die grossen Emittenten von Treibhausgasen sind China, Indien und die USA, zusammen zeichnen sie für über 50% der Verschmutzung verantwortlich. Vor allem in China und Indien, bedingt durch das Wirtschaftswachstum, wird das weiter zunehmen. In China fahren sie zwar zunehmend elektrisch, das hält die Städte sauber, aber der Strom ist nicht sauber, China nimmt zurzeit jedes Jahr 100 Kohlekraftwerke ans Netz. Auch Russland ist kein Musterknabe, im Verhältnis zur Bevölkerung verdrecken sie die Welt überdurchschnittlich. Putin lässt zudem das nicht verkaufbare Erdgas einfach abfackeln, und die Kriegstreiberei erhöht die CO2-Belastung massiv. Kannst du Fakt Nummer drei ebenso zustimmen?

Greta: Ja, aber bei uns ist der CO2-Abdruck auch zu hoch!

Wm: Nun, Probleme sind manchmal eben relativ. Es bringt dem Weltklima nichts, wenn in Norwegen alle Tesla fahren. Aber zurück zu den grossen Emittenten, Fakt Nummer vier: Es sind die fossilen Kraftwerke, die Industrie und die Landwirtschaft (v.a. mit der Viehwirtschaft), welche die grössten Produzenten von schädlichen Treibhausgasen sind. Auch die internationale Schifffahrt, wo viele grosse Frachter noch Schweröl verbrennen, trägt überdurchschnittlich zum Desaster bei. Alle diese Dreckschleudern zusammen zeichnen für deutlich über 50% der schädlichen Treibhausgase verantwortlich. Der Luftverkehr trägt weltweit keine zwei Prozent dazu bei. Kannst du diesen Fakten ebenso zustimmen, Greta?

Greta: Ja. Aber ich hätte vielleicht trotzdem das Segelboot nehmen sollen. Und ich hätte zu Fuss kommen und nicht in einen dieselbetriebenen Bus steigen sollen. Wir müssen eben überall, weltweit ansetzen! Wir sollten auch mehr für die Palästinenser tun.

Wm: Die globale Digitalisierung verbraucht sogar mehr Energie als die ganze Luftfahrt. Streamst du immer noch so viel, Greta? Und wie stehst du generell dazu?

Greta: Ich streame nur selten. Und wenn, dann nur über W-Lan.

Wm: Alles klar Greta, das ist ja schon mal sehr vorbildlich. Aber ab hier werden sich unsere Meinungen vermutlich nicht mehr überschneiden. Sollten wir nicht die Problemlösung wählen, die am effektivsten ist? Also dort ansetzen, wo mit einer Verbesserung am meisten erreicht werden kann?

Greta: Wie gesagt, es ist fast schon zu spät. Wir müssen sofort und überall unser Leben ändern.

Waldmeyer: Natürlich. Aber jetzt zu Fakt Nummer fünf. Wenn wir die Anzahl Vieh reduzieren würden in der Schweiz, wie von der Politik teilweise angedacht, würde das nichts bringen. Wir würden dann eben nicht Schweizer, sondern brasilianische Steaks essen. 30 km/h in den Städten bringt ebenso wenig Messbares. Die Auflösung der Parkplätze sogar nur Mehrverkehr. Elektrisch fahren bringt auch nichts, wenn aus der Steckdose unter anderem Dreckstrom kommt. Wärmepumpen sind gesamt-ökologisch eine Augenwischerei, weil sie extrem viel Elektroinput benötigen, welcher zu einem grossen Teil dreckig ist. Solarpanels bringen bekanntlich nichts in der Nacht und wenig im Winter. Fakt Nummer fünf also: Unsere Massnahmen sind, aus weltweiter Sicht – nicht lokal – kaum zielführend. Kannst du diesen Fakten, aus globaler CO2-Sicht, zustimmen?

Greta: Max, du hast mich nicht verstanden. Es eilt, wir müssen handeln. Wie kannst du nur so egoistisch sein. Wenn du nichts tust, wird es noch viel schlimmer!

Wm: Wenn es wirklich um den weltweiten Klimaschutz und die Dekarbonisierung gehen soll und nicht um fundamentalistische grüne Anliegen, dann muss man bei den grossen Emittenten ansetzen: China, Indien, USA. Zudem schwerölbetriebene Frachter verbieten, in die Effizienz und Säuberung fossiler Verbrennung investieren, die Wasserkraft massiv ausbauen etc. Und ja, vielleicht müssten wir weniger Fleisch essen. Weltweit, natürlich.

Greta: Ich lebe vegan, und mir geht es sehr gut. Schau mich an!

Wm: (schaut, antwortet aber nicht)

Greta: Die Schweiz ist ein reiches Land, da könnte viel getan werden.

Wm: Wenn wir die Luftsäule über der Schweiz marginal sauberer halten, wird das natürlich nichts zur weltweiten Klimaverbesserung beitragen. Unsere Politiker haben aber entschieden, dass wir uns dekarbonisieren. Wir wissen nur noch nicht, wie. Aber vielleicht reicht es, mit einem guten Beispiel voranzugehen? Die grossen Emittentenländer würden dann mit Bewunderung auf uns schauen und lernen?

Greta: Ich habe gemeint, ihr stellt jetzt auf Elektrisch um…?

Wm: Ja, wir kaufen Elektroautos, wir fahren nur noch 30 und wir heizen künftig mit Wärmepumpen. Allerdings scheint die Bereitschaft, im grossen Stil Windräder aufzustellen, in den Alpen massive Solarkapazitäten zu errichten, die Wasserkraft auszubauen (und zwar mit einer grossen Anzahl an Speicherkraftwerken) nicht sonderlich hoch zu sein. Ein Ausbau der Atomenergie wird, wenn überhaupt, frühestens in 30 Jahren erfolgen. Die elektrische Energie wird also nie und nimmer ausreichen. Die Elektrifizierung der Industrie, des Verkehrs, die Stromproduktion für die Haushalte, die Wärmeproduktion im Winter, der Ausbau der Digitalisierung und der KI werden zum Witz. Es wird binnen kurzem zu wenig Elektrizität geben. Elon Musk meinte einmal, man soll sich mal vorstellen, wieviel Elektrizität wir künftig brauchen werden und dann nochmals sehr viel dazurechnen. Soweit zu Fakt Nummer sechs. Wir haben also einen Plan, der niemals aufgehen wird. Was sagst du dazu?

Greta: Wenn ihr massiv sparen würdet, würde es vielleicht reichen. Dazu braucht es auch ein Nullwachstum der Wirtschaft. 18 Grad reichen übrigens auch, bei uns in Schweden ist es oft viel kälter. Viele Strecken kann man mit dem Fahrrad oder dem Lastenrad zurücklegen. Essen sollte man eh nur aus lokaler Produktion, und wenn nicht vegan, dann doch zumindest vegetarisch. Irgendwie muss der Planet nun mal gerettet werden.

Wm: Ich frage mich, wie dein Freund Habeck in Deutschland das gestalten möchte.

Greta: Der Robert ist nicht mehr mein Freund. Er baut die Kohleenergie wieder aus und kauft Gas in komischen Ländern. So sieht die Energiewende nicht aus.

Wm: Ja, der Robert ist ein armer Kerl. Die Sonne scheint ja auch in Deutschland nicht in der Nacht. Im Winter auch zu wenig. Der Wind weht nicht immer, und die kriegen den Strom vom Norden von den Windparks nicht in den Süden runter. Es wurden auch noch keine elektrische Traktoren für die Bauern erfunden. Die Ampelregierung erhöht zwar die CO2-Steuern, gibt das Geld dann aber an die Bevölkerung zurück. Der Spareffekt wird so ad absurdum geführt. Ich möchte nicht der Habeck sein.

Greta: Ich sehe bei euch in der Schweiz auch keine echte Energiewende. Was ist mit der Solarenergie?

Wm: Eben. Wir haben überraschenderweise ein ähnliches Problem wie die Deutschen: Über Mittag und im Sommer läuft die Produktion ganz gut. Im Januar aber rechnen wir mit nur 10% des Stromertrages vom Juni. Leider brauchen wir Strom aber vor allem im Winter. Und wir möchten auch gerne heizen in der Nacht. Kommt erschwerend hinzu, dass wir Strom nur beschränkt speichern können, da reichen die teuren und wenig umweltverträglichen Hausbatterien nicht. Der Ausbau der Speicherkraftwerke wird verhindert. Und das mit dem Wasserstoff steht in den Sternen.

Greta: Das ist bedenklich. Ihr müsst also dringend sparen!

Wm: Nein, das will die Bevölkerung auch nicht. Wir importieren einfach noch mehr Strom aus dem Ausland. Atomstrom aus Frankreich, dreckigen Kohlestrom aus Deutschland und Polen. Wir bezahlen einfach etwas mehr als die andern für den Strom, dann wird der wohl schon zu uns umgeleitet. Und so bleiben die Umweltprobleme im Ausland. Wir importieren Elektrofahrzeuge mit Batterien, welche mit einem immensen Energie- und Ressourcenverbrauch hergestellt werden – glücklicherweise weit weg von uns.

Greta: Das ist mega verwerflich! Wir können aber Dunkelheit nicht mit Dunkelheit bekämpfen. So retten wir den Planeten nicht.

Wm: ???

Die spätere Entsorgung der Elektrofahrzeuge und der Batterien ist ein zusätzliches Problem. Aber wir entsorgen sie dann irgendwo im Ausland. Fakt ist, dass, gesamtheitlich berechnet, Elektrofahrzeuge erst bei einem Betrieb ab 200‘000 km weniger umweltbelastend sind als moderne Verbrennerfahrzeuge. Unsere alten Verbrennerfahrzeuge exportieren wir übrigens in andere Länder, dort fahren sie nochmals während 20 Jahren. Aber so verdrecken sie wenigstens nicht unser Land. Fakt Nummer sieben also: Unsere Massnahmen in unseren Ländern in Europa greifen gar nicht, global betrachtet. Aber wie sollen wir das Problem echt angehen?

Greta: Es ist eine Bewusstseinsfrage. Wir müssen begreifen, dass wir die letzte Generation sind, die das Steuer noch rumreissen kann.

Wm: Ich habe einen Vorschlag. Rede doch mal mit dem Modi. Und mit Xi. Und mit Biden oder Trump. Auch mit Putin. Wenn die ihre Dreckschleudern abstellen und ihren CO2-Fussabdruck verringern, ist deutlich über die Hälfte des Problems gelöst. Genau da müssen wir ansetzen.

Greta: Danke, Max, das ist ein guter Tipp. Ich mach das. Aber erst nächstes Jahr. Meine Demo-Agenda ist voll für dieses Jahr.

Wm: Aha. Ich dachte, nur freitags? Wegen Fridays for Future. Aber gut zu wissen. Demonstrierst du nun für oder gegen das Klima? Und auch in China oder Russland?

Greta: Für und gegen das Klima. Für beides. Sicher ist sicher. Zudem sind wir eben die letzte Generation, die das tun kann. China und Russland sind noch nicht auf der Agenda. Ich frage nochmals meinen Papi.

Wm: Dann mal viel Glück. Danke für das lehrreiche Interview. Darf ich dich mit dem Lastenrad zum Flughafen bringen?

Waldmeyer und die Sezession

«Separation» oder «Sezession» kennen wir in der Schweiz bestens: Der neu geschaffene Kanton Jura ist das beste Beispiel dafür. Nur: Darf sich jeder abspalten – oder gar einen eigenen Staat gründen? Genau das wollen die Deutschen Reichsbürger. Und nun kommen sie auch in die Schweiz!

 

Waldmeyer faszinierte dieser Hermelin-Mantel. Da lässt sich doch dieser bizarre Peter Fitzek in Deutschland einfach zum König krönen, dazu noch in dieser royalen, hermelinen Kluft!

Deutschlands «Reichsbürger» haben sich tatsächlich einiges vorgenommen, so wollen sie, ganz unbescheiden, einen eigenen Staat gründen. Aber die Organisation wird nun verboten, wegen «Staatszersetzung». Das ist ein bisschen schade, denn damit werden ein paar nützliche Denkanstösse abgewürgt. Deutschland hätte es doch verdient, sein ziemlich aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen etwas neu aufzumischen. Was spannend ist: Die Bewegung hat schon einen Anker in die Schweiz geworfen. Aber dazu später.

Könnte Korsika ein Staat sein?

Sezessionen oder Staatsgründungen sind für uns nicht neu. Es sei an die Gründung des Kantons Jura erinnert. Auch Kantonswechsel von Gemeinden gibt es regelmässig. Wir sind eben ein demokratisches Land, und Reisende sollte man ziehen lassen.

Dass die Schotten einen eigenen Staat möchten, ist auch nicht neu. Das Vorhaben wäre zudem gar nicht abwegig, sie könnten dann wieder in die EU eintreten und müssten sich über anachronistische Staatsformen (wie die Monarchie) nicht ärgern.

Das Gleiche könnte für Katalonien, das Baskenland oder die Korsen gelten. Das nennt sich dann Sezession oder Separation. Was in vielen Staaten der Welt völlig undenkbar ist, ist in westlichen Staaten zum Teil möglich, in vielen allerdings gar nicht sauber geregelt. Darf man sich abspalten? Spaniens und Frankreichs Verfassungen sehen das leider nicht vor; sie stehen damit im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne der UNO.

Was Waldmeyer nur unterstützen wird: Appenzell möchte seine Gemeinden fusionieren. Was man als Firma schon lange getan hätte, ist hier überfällig. Auch die Fusion der beiden Halbkantone wäre der Effizienz geschuldet.

Eine richtige Staatsgründung geht natürlich weiter. Wir sprechen dabei nicht von den mehr oder weniger aus Jux ausgerufenen neuen Staaten (wie zum Beispiel von «Sealand», einer verlassenen Ölplattfarm vor der Küste Grossbritanniens). Interessanter sind die ernst gemeinten, echten Staatsgründungen. Nur: Was darf man wirklich?

New Tibet?

Waldmeyer erkennt, dass in diesem völkerrechtlichen Dickicht oft kein einheitliches Urteil gefällt werden kann. Was in Sachen Separation Rumäniens von der Sowjetunion 1991 noch ziemlich klar war, würde spätestens beim Tibet nicht mehr klar sein.

Entscheidend ist die Selbstbestimmung. Wenn die Tibeter heute einen eigenen Staat ausrufen würden, hätten sie ein Recht dazu? Sie könnten sich indessen kaum auf die Vergangenheit beziehen, als sie vor rund 75 Jahren noch nicht unter der chinesischen Fuchtel waren. Seit den 50er Jahren wird das Gebiet mehr oder weniger zwangsweise von China verwaltet. Ist das in Ordnung? Darf man jetzt, nach alle den Jahren, ein Gebiet, im Sinne einer Sezession wohl, noch zurückfordern? Der Völkerrechtler würde hier ganz klar mit einem Jein antworten. Die geschichtliche Basis bringt also nichts. Aber das Selbstbestimmungsrecht der UNO könnte zum Tragen kommen. Leider dürfen die Tibeter aber nicht abstimmen. Die Katalanen auch nicht.

Wann kommt das Kalifat?

Wenn nun die deutschen Reichsbürger einen eigenen Staat ausrufen, ist das schon eher tricky. Und wenn in Berlin im Rahmen einer palästinafreundlichen Demonstration von ein paar Protagonisten ein Kalifat ausgerufen wird, geht das selbstredend nicht. Das Problem ist nur, dass der Staat dann offenbar keinen Mumm hat, einzugreifen. Hier wäre der Tatbestand der «Staatszersetzung» wohl eindeutig gegeben.

Darf Genf zu Frankreich wechseln? Oder einen eigenen Staat ausrufen?

Wenn sich Genf nun entscheiden würde, zu Frankreich zu wechseln: Dürften die das? Der Wunsch wäre vielleicht gar nicht so absurd, der Ausländeranteil im Kanton Genf beträgt 41%, zu einem guten Teil handelt es sich eh um Franzosen. Genf nennt sich ohnehin „République de Genève“. Wir würden von einer solchen Abspaltung gar nicht viel merken im Rest der Schweiz, der Genfersee würde zu einem Grossteil immer noch uns gehören, und unsere Jugend in der Deutschschweiz würde weiter auf Englisch mit den «Welschen» kommunizieren. Auch wenn Genf einen eigenen Staat ausruft, mithin nur die Konsequenz ihrer «République de Genève», würde das wohl nicht so viel ändern.

Spreitenbach als Nation?

Wenn in Spreitenbach ein eigener Staat ausgerufen würde, und zwar auf ganz demokratische Weise, würde dies vielleicht durchgehen? Der Ausländeranteil in Spreitenbach liegt bei über 50%. Es könnte hier also, ebenso ganz selbstbestimmt, ein muslimischer Ministaat entstehen. Alles wäre vorhanden, Coop, Migros, gar ein ganzes Einkaufszentrum. Es gibt auch bereits eine kleine Moschee. Die Sache mit den Grenzübergängen zur Schweiz müsste noch geklärt werden. Aber auch hier: Dürften die das?

Abtrennung von Landesteilen?

Die Westschweiz könnte eigentlich zu Frankreich gehören, das Tessin zu Italien. Dann wäre – in beiden Fällen – das Problem mit den Grenzgängern ein für alle Mal gelöst. Sollten sich diese Landesteile aufgrund einer gut legitimierten, demokratischen Bewegung entscheiden, das Land zu wechseln, und sollten sich sowohl Frankreich wie Italien nicht dagegenstemmen, so müssten wir die Leute wohl ziehen lassen. So sieht nun mal moderne demokratische Selbstbestimmung aus. Für das Oberwallis (wo bekanntlich nicht Französisch, sondern eine Art Schweizerdeutsche Geheimsprache gesprochen wird), müsste im Falle eines Landeswechsels der Westschweiz natürlich eine faire Lösung gefunden werden. Die Gebietsinsel Oberwallis würde, zumindest verkehrstechnisch gesehen, nahezu eine Art helvetische Exklave darstellen – das wäre aber nur vordergründig tragisch. Denn erstens sind die Oberwalliser ein relativ verwurzelter Menschenschlag, der sein Gebiet vielleicht gar nicht verlassen möchte, und zweitens könnten die Deutschschweizer im Norden immer noch via Lötschbergtunnel, ohne Grenzübertritte, elegant in die schönen Skigebiete einreisen. Oder sollte das Oberwallis gleich einen eigenen Staat ausrufen?

Ist Abessinien definitiv verloren für Italien?

Abessinien gehörte einst zu Italien. Ist der Gebietsanspruch Italiens nun wirklich verwirkt? Natürlich könnten die heutigen verarmten Bewohner Äthiopiens einen Antrag an Italien auf Rückabwicklung stellen. Das wäre eventuell gar nicht so dumm, denn dann würden sie zur EU gehören, viel Geld erhalten und müssten gar keine mühseligen Asylreisen unternehmen.

Und was ist mit Nordkorea? Dem Problem des eigenen Staatsrechtes hatte sich die UNO schon mal angenommen. 1977 sprach sie mit einer Resolution Klartext, indem sie einem Volk ein klares Selbstbestimmungsrecht einräumte. Das war eine Ansage, immerhin. Aber die Selbstbestimmung müsste demokratische Strukturen und nötigenfalls Hilfe von aussen voraussetzen, um sie durchsetzen zu können. Im Falle Nordkoreas würden wir dann aber wohl nicht von einer Sezession sprechen müssen, sondern von einer neuen Staatengründung, bzw. eines Umsturzes. Einer Gesamt-Sezession sozusagen.

Die Kurden müssen auch warten

Kurdistan existiert nicht, die armen Kerle haben tatsächlich keinen eigenen Staat. Die UNO-Resolution hat hier offenbar nicht gegriffen. Nun, das wäre so ein Fall, wo eine Sezession und eine eigene Staatsbildung legitim wäre. Aber es hapert wohl an der Durchsetzung, es wären zudem vier Staaten betroffen.

Waldmeyers Meinung:

  • Ja, die beiden Appenzell sollen doch zu einem eigenen «Bundesstaat» fusionieren, die einzelnen verzettelten Mini-Gemeinden könnte man sogar aufheben. Das wäre der Effizienz geschuldet.
  • Ja, eine Gemeinde soll weiter einen Kanton wechseln dürfen.
  • Ja, Genf dürfte nach Frankreich abhauen – so dies denn demokratisch umgesetzt würde.
  • Ja, das Oberwallis, immer schon ziemlich renitent, dürfte einen eigenen Staat ausrufen. Wenn ein gescheites Konzept vorgelegt würde (mit der Pflege der eigenen, wenn auch wenig verständlichen Sprache beispielsweise), so sollte das erlaubt werden.
  • Tibet: Die Zeit ist wohl abgelaufen. Es wäre ganz einfach zwecklos, hier den eigenen, verlorenen Staat wieder auszurufen.
  • Spreitenbach: Rein rechtsstaatlich wäre eine eigene Staatsgründung vielleicht möglich. Unter Umständen auch nicht falsch: Es ergäbe sich nämlich eine sehr homogene, friedliche, grösstenteils muslimische Bevölkerungsgruppe, hoch konzentriert, allerdings mit einer eigenen Grenze rundherum.
  • Äthiopien kann nicht in die EU kommen. Ausser demokratische Prozesse in Italien und in der ehemaligen afrikanischen Kolonie würden die nötigen Voraussetzungen dazu schaffen. Das südamerikanische Französisch-Guyana gehört auch zur EU, ebenso die portugiesischen Azoren. Also warum nicht.
  • Die tüchtigen Kurden hätten einen eigenen Staat verdient. Allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen, ihr Gebiet zieht sich heute vom Osten der Türkei über den Norden Syriens, Iraks und Irans.
  • Den Katalanen müsste man prinzipiell einen eigenen Staat zugestehen. Eine saubere demokratische Abstimmung mit einem nachhaltigen Plan für eine eigene Staatlichkeit wäre die Voraussetzung. Restspanien müsste das schlucken – auch wenn es die Verfassung noch nicht vorsieht. Das gleiche Problem haben die französischen Basken und Korsika: La Grande Nation verbietet eine Sezession.

Jetzt «Neue Deutsche Mark» kaufen von den Reichsbürgern!

Es ist schon bemerkenswert, was für eine bizarre Unverfrorenheit diese Gruppe der Reichsbürger umtreibt. Oder sollte ihren Anliegen, nur schon wegen der UNO-Charta von 1977, nicht trotzdem Gehör geschenkt werden? Eine Analyse Waldmeyers kommt indessen zu einem anderen Schluss: Die Reichsbürger planen erstens gar keine demokratische Ordnung und zweitens verfügen sie über keine richtige Homebase: Es fehlt ihnen ein einigermassen homogener Landstrich.

Und was nun die Pläne der Reichsbürger in der Schweiz betrifft: Sie sollen bitte in Deutschland bleiben. Bei uns gibt es für sie keine liberale Legitimation. So erfrischend die Idee auch ist – und so schön auch dieser Hermelinmantel des neuen Königs. Und so kreativ auch die Idee, schon jetzt eine neue Währung eingeführt zu haben (denn bereits kann ein Konto eröffnet werden mit «Neuer Deutscher Mark»).

Wählt Meisterschwanden die Sezession?

Da hätte es Meisterschwanden schon einfacher: Basierend auf der UNO-Charta könnte Waldmeyer, als künftiger Gemeindepräsident und aufgrund einer sauberen demokratischen Abstimmung, Autonomie ausrufen. Die Gründung eines neuen Kantons würde Waldmeyer allerdings nicht ausreichen. Er würde auf dem Gemeindegebiet einen eigenen Staat ausrufen. Die Schweizer Verfassung sähe hier keine Hindernisse vor.

Waldmeyer könnte anschliessend alle falschen Entscheide in der Gemeinde wieder rückgängig machen, mit einer neuen, eigenen Verfassung, gescheiten Gesetzen und schlanken Verordnungen. So könnte beispielsweise der ungeliebte Kreisel beim Coop unten wieder aufgelöst werden, die 30er-Zone an der Panoramastrasse ebenso, Lastenräder würden aus Sicherheitsgründen verboten, die lächerliche Gender-Toilette in der Gemeindekanzlei würde aufgelöst. Der Coop dürfte auch am Sonntag immer geöffnet bleiben. Auswärtige müssten einen Eintritt beim Zugang zum Hallwilersee bezahlen. Der Franken würde beibehalten, aber die Mehrwertsteuer würde abgeschafft (zu kompliziert). Statt gemeine progressive Einkommenssteuern würde eine faire Flattax eingeführt (die Steuererklärung hätte auf einem Bierdeckel Platz). Erbschaftssteuern entfielen komplett. Asylanten müssten arbeiten, und die AHV gäbe es leider erst mit 70 (dafür ist deren Finanzierung in trockenen Tüchern). Der Rest des Uferhügels würde zu einem hochwertigen Wohngebiet umgezont, damit reiche Deutsche künftig hier angesiedelt werden können – und ihre Steuern hier bezahlten. Selenski würde zu einem Talk an der Gemeindeversammlung eingeladen, und die Hamas würden sofort als Terrororganisation verurteilt.

Ja, Meisterschwanden würde plötzlich im geopolitischen Fokus stehen, und die Restschweiz würde vielleicht das ganze Konzept übernehmen.

Schade, wird heute nicht mehr über Sezession gesprochen.

Waldmeyer und der Fachkräftemangel im Bundesrat

Bei der Besetzung der Bundesratspositionen geht es bekanntlich nie um Kompetenzen der Kandidaten. Am Schluss landen alle in einem Departement, das sie nicht verstehen. Die Fachkräftekrise ist damit nicht neu in der Schweiz: Seit Jahren schon hat sie auch den Bundesrat erreicht.

Das neue Bundesratsfoto zeigt die acht Mitglieder. Das heisst die sieben Bunderats-Mitglieder, plus den Bundeskanzler. Waldmeyer ist der Name des neuen Bundeskanzlers entfallen. Bundeskanzler haben es in anderen Ländern einfacher: Da sind sie bekannter. Weil sie dort der Chef sind – so in Deutschland. Was sie dann allerdings nicht davon abhält, nichts zu tun. Also scheint das Schweizer Prinzip vielleicht doch besser zu sein, keinen Chef zu haben? Ja, es gibt die Bundespräsident:innen. Oder Bundespräsident*innen. Oder Bundespräsident_innen. Oder BundespräsidentInnen. (Einigen wir uns auf den inklusiven Begriff des Bundespräsidenten.) Diese wechseln, zum Erstaunen ausländischer Regierungen, jedes Jahr. Auch hier geht es dann nicht um Chefqualitäten, sondern um einen einfachen Turnus. Wer genügend lange im Club bleibt, darf zweimal ran.

 

Wir dürfen Bundesräte nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen

Wie wir wissen, müssen Bundespräsidenten nicht viel tun. Es geht bei dem Job eher um allerlei unwichtige Eröffnungen und um Reisen. Dafür gibt es auch ein bisschen mehr Spesen für ein ganzes Jahr – obwohl eigentlich schon alles bezahlt ist. Ausser der Garderobe. Frau Amherd wird deshalb anfangs Januar, vielleicht im Ausverkauf in Brig, noch kurz vor dem WEF, ihre Garderobe aufgebessert haben. Im Laufe des Jahres wird das dann nicht so ersichtlich sein, aber wir sollten ja unsere Landesvertreterinnen und –vertreter auch nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen. Sondern an den Leistungen. Waldmeyer erinnerte sich an den etwas abgestandenen Witz betreffend die Garderobe einer Ex-Bundesrätin: Was macht Ruth Dreyfuss mit ihren alten Kleidern? Ja, sie trägt sie!

Falsche Personen am falschen Ort?

Aber zurück zu den Leistungen. Nun, gerade hier liegt die Sache im Argen: Leistungsbemessungen werden schwierig, wenn die Voraussetzungen gar nicht stimmen. Wenn also die falsche Person am falschen Ort eingesetzt wird.

Die Grundvoraussetzungen für eine wählbare Person in den Bundesrat hängt bekanntlich von der Parteizugehörigkeit, dem Kanton, dem Geschlecht, der Landessprache etc. ab. Am Schluss bleibt deshalb nur noch eine vernachlässigbare Schnittmenge mit wenigen Kandidaten. Waldmeyer weiss, dass noch neue Voraussetzungen hinzukommen werden: Es müssen künftig auch verschiedene Genderformen berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass allein Facebook 60 verschiedene Formen nennt und heute (vermutlich) nur zwei davon in der Landesregierung vertreten sind, ist eine sträfliche Diskriminierung. Zumindest eine queere Variante sollten wir schon aufweisen.

Kleine Schnittmenge möglicher Kandidaten

Auch sollte der Religionshintergrund künftig besser berücksichtigt werden. Zumindest einen muslimischen Bundesrat sollte es schon geben, sonst ist diese rasch wachsende Gemeinde unterrepräsentiert.

Dass zurzeit auch in Sachen Hautfarben im Bundesrat nicht alles zum Besten steht, lässt sich schon auf dem Foto mit den Glorious Eight – oder Seven – erkennen.

Zudem müssten künftig auch diverse Invaliditätsformen besser repräsentiert werden. Auch Krankheiten psychischer Natur (nicht versteckte, die es unter Umständen heute schon gibt, sondern auch offensichtliche) sollten besser vertreten sein.

Kurzum, die Schnittmenge der Kandidaten wird immer kleiner, schlimmstenfalls würde sich dann nur noch ein einziger Kandidat eignen: Zum Beispiel eine schwarze, lesbische, muslimische, junge Mutter mit vier Kindern aus dem Kanton Glarus mit dem Parteibuch der Mitte (ex CVP). Im Idealfall wäre ihre Muttersprache zudem serbokroatisch. Bei einer anderen Wiederwahl in den Bundesrat müsste dann ein beinamputierter jüdischer SP-Vertreter aus dem Tessin mit Muttersprache Deutsch herhalten. Was wichtig ist: Man sollte sich bei der Wahl nie von den Fragen nach fachlicher Eignung oder Führungsstärke ablenken lassen.

Möglichst viele Handarbeitslehrerinnen?

Dieses Prinzip der optimierten Besetzungen, bar jeder Fachkompetenz, ist nicht neu. In Deutschland wird es seit Jahren zelebriert. Bundeskanzler Scholz verstand es zu Beginn seiner Regierungsbildung, möglichst viele Personen des Typs Handarbeitslehrerin unterzubringen. Die grosteskeste Besetzung war wohl Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin. Sie brachte ein absolutes Maximum an Nichtwissen mit für den Job. Und genauso scholzt der Bundeskanzler weiter. Sein wichtigster Minister ist der Jugendbuchautor Habeck, jetzt Wirtschafts- und Umweltminister.

Dieses Prinzip der maximal schwachen Ministerbesetzung hatte bereits Mutti Merkel erfunden. Das hat System, denn so kommt dem Prinzip der eigenen Machtfülle niemand zu nahe. Man ist mit dem Umstand schon voll absorbiert, den eigenen Job nicht hinzukriegen. Ja, jeder soll kriegen, was er am wenigsten versteht.

In der Schweiz haben wir ein anderes System, es wird nicht gescholzt. Das Prinzip beruht auf der Idee, diese komplett verquere Schnittmenge aus aussenstehenden Faktoren anzustreben, die letztlich eine ganz lustige Besetzung fördert. Gehen wir doch unsere Landesvertreter der Reihe nach kurz durch:

Viola Amherd repräsentiert das Wallis. Das sieht man schon an der Frisur (Coupe Brig-Glis), man hört es auch – oder man sieht es, wenn beim Gespräch mit deutschen Regierungsvertretern ein Dolmetscher hermuss. Sie ist ledig, was schon mal gut ist, denn vielleicht bildet sie eine der vernachlässigten Genderformen ab, hat es uns indessen noch nicht gebeichtet. Früher verfocht sie auch schon mal, als Frau, die Idee eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubs – was Waldmeyer als «inklusives» Zeichen deutete.

Viola führt die Armee. Sie ist auch für den Sport im Land verantwortlich. Zu diesem Job kam sie wie die Jungfrau zum Kind, sie hatte ja noch nie was am Hut gehabt mit Verteidigungspolitik, noch nie musste sie eine grosse Zerlegung eines Sturmgewehres vornehmen oder geopolitische Gefahren studieren, und aufgrund ihrer Optik hatte sie früher vermutlich auch nichts mit Sport zu tun (allenfalls mit Raclette-Kampfessen im Wallis). Sie ist die einzige Juristin an Bord, also könnte sie eventuell das Justizdepartement führen. Aber die Verteilung der Ämter funktioniert eben so gerade nicht in unserem Land.

 

Karin Keller-Sutter ist die bestangezogene Frau in diesem Siebner-Club. Sie trägt Akris. Sie spricht auch ein paar Sprachen, wenn auch nicht die eventuellen Landessprachen der nahen Zukunft (unter anderem vielleicht albanisch?). Sie gibt sich echt Mühe, lächelt etwas wenig, führt aber zumindest ganz leidlich. Sie hatte letztes Jahr die Finanzen übernommen. Waldmeyer weiss, dass dies vermutlich das wichtigste Fachgebiet im Bundesrat ist – also müsste eine ausgewiesene Finanzkraft dieses Departement führen. Ein Studium der Nationalökonomie, Finanz- und Rechnungswesen oder ähnlich und mehrere Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet würden da nicht schaden. Karin ist indessen ausgebildete Dolmetscherin, sie wird sich also noch während ein paar Jahren einarbeiten müssen. Kein Wunder, hatte sie an jenem Wochenende im März die CS für ein Apfel und ein Ei an die UBS verschenkt, alles andere wäre zu kompliziert gewesen.

Elisabeth Baume-Schneider ist ausgebildete Sozialhelferin, kommt aus dem Jura, hält Schwarznasenschafe, und ihr Mann ist Taxifahrer. Das muss nicht schlecht sein, denn so repräsentiert sie vermutlich die ländliche Arbeiterklasse. Ihre Besetzung mit dem Justizdepartement vor einem Jahr war indessen doch etwas vermessen. Da man sich bei Bedarf und Wechseln im Club etwas Neues aussuchen darf, hat die frühere bekennende Marxistin nun das Departement des Inneren gewählt. Waldmeyer weiss natürlich, dass das die schlechtestmögliche Besetzung sein wird, um die letzten Faxgeräte aus dem BAG zu entfernen, die Digitalisierung dort voranzutreiben, die völlig aus dem Ruder gelaufenen Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen und unsere Demografie-Probleme zu lösen. Sie ist eine grosse Anhängerin der 13. AHV-Rente, vielleicht wird sie die Refinanzierung der AHV so angehen?

Beat Jans ist der Neue. Und der Neue hat bei der Verteilung der Jobs immer die A-Karte zu ziehen. Also musste Ex-Landwirt Beat das ungeliebte Justiz- und Polizeidepartement übernehmen. Baume-Schneider, Keller-Sutter, Sommaruga: Alles Vorgängerinnen, alle relativ glücklos, zufälligerweise alles Nicht-Juristen, alle hatten sich hier die Zähne ausgebissen. Wirklich nicht zu beneiden, der Beat. Aber er strahlt immer. Und er ist Basler. Ja, das war ganz wichtig, denn jetzt waren die Basler wieder mal dran.

Unser Guy Parmelin führt das Wirtschaftsdepartement. Hier ergibt sich insofern eine positive Korrelation zwischen Beruf und Verantwortung, als er als ehemaliger Winzer bestimmt einen Link zur Gastronomie, also zur «Wirtschaft», gefunden hat. Natürlich ist er kein echter Wirtschaftsfachmann. Er versteht die Ökonomie auch nicht im Sinne des Managements einer Volkswirtschaft – sondern vielleicht eher als Önologie und im Sinne der «Ökonomie der Kräfte» betreffend sein Engagement. Aber er ist Westschweizer. Und Landwirt. Und verfügte damals über das richtige Parteibuch. Dann darf man eben auch mal Bundesrat sein.

Ignazio Cassis ist (nebst Elisabeth aus dem Jura) eigentlich die Lieblingsfigur Waldmeyers. Ignazio ist Arzt, Fachgebiet Onkologie. Er macht immer alles ein bisschen falsch, und grundsätzlich haben alle Bedauern mit ihm. Dass er das Aussendepartment führt, hat sich eben auch so ergeben. Was man ihm zugutehalten muss: Er ist absolut harmlos, denn er befindet sich, gefühlt, in einem Wachkoma. Natürlich erreicht er so auch nichts. So schaffte er es bis heute nicht, die Hamas-Schlächter als Terrororganisation zu klassifizieren. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass man den Beruf des Aussenministers nicht einfach so erlernen kann. Es gibt keine Aussenministerschule. Oder einen Master in Aussenministersein. Man muss es einfach können, meistens weil man etwas polyglott ist, die globalen Zusammenhänge versteht, über ein gutes weltumspannendes Netzwerk verfügt und im Verhandlungspoker ein Ass ist. Also nicht ein «ass» im englischen Sinne, sondern einfach ein Crack bei diesen kosmopolitischen Spielen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch das Bedauern erklären, denn Ignazio konnte das alles beim besten Willen nicht mitbringen.

Albert Rösti ist einer der Neuen. Durchs Band früher ein relativ glückloser Politiker, hat er nun vielleicht seine Rolle gefunden. Er verwaltet Energie und Umwelt. Da man die damit zusammenhängenden Probleme in unserem basisdemokratischen Land eigentlich gar nie lösen kann, kann er auch gar nichts falsch machen. Als ausgebildeter Agraringenieur hat er sich leidlich eingearbeitet in die vertrackte Materie. Die grossen Solaranlagen und die Erhöhung der Staumauern dürfen nicht gebaut werden, aber es ist wirklich nicht seine Schuld. Und wenn die Energie teurer wird, auch nicht. Er kümmert sich jetzt vor allem um die Wölfe. Beziehungsweise um deren Abschüsse. Auch da kann man eigentlich fast alles nur falsch machen, weil die Umstände etwas kompliziert sind, also fallen allfällige Misserfolge nie auf einen zurück. Vielleicht ein Traumjob?

Waldmeyer ist leider keine Fachkraft

In der Summe, so meinte Waldmeyer gegenüber Charlotte, ist eigentlich nicht nur Ignazio harmlos. Alle sind harmlos. Und alle können nichts dafür, dass sie einen Job gefasst haben, von dem sie wenig verstehen. Es ist systemimmanent. Deshalb müssen wir sie entschuldigen. Diese Leute sind nun einfach wegen der Schnittmenge da.

Nun müssen sich aber diese glorreichen Sieben mit einigen der ganz grossen Probleme unseres Landes auseinandersetzen: Der Überalterung, der Einwanderung, dem Fachkräftemangel, der sinkenden Motivation zu arbeiten (ja, wegen der Work-Life-Balance)  etc. Um solche Probleme zu lösen, braucht es Fachkräfte als Entscheidungsträger. Aber wie soll das Fachkräfteproblem im Bundesrat von Nicht-Fachkräften gelöst werden?

Charlotte meinte, einmal mehr, Waldmeyer solle sich doch zur Verfügung stellen. Aber Waldmeyer weiss: Er ist keine Fachkraft. Er ist nur Beobachter.

Waldmeyer und die Rückabwicklung der Geschichte

 

Bis wann darf die Geschichte zurückreichen, um eine Rückabwicklung zu fordern? Darf Frankreich die helvetische Republik zurückfordern? Dürfte in 50 Jahren die Ukraine dannzumal noch Anspruch auf die verlorene Krim erheben? Sollten wir Diepoldsau an Österreich zurückgeben? Waldmeyer ringt um eine Einordnung.

 

Waldmeyer schickt gleich eine Warnung voraus: Sein Beitrag heute ist etwas länger. Und nicht alles ist lustig – das ist eben der Geschichte, vielleicht auch der besinnlichen Zeit um die Jahreswende, geschuldet. Wer durchhält mit dieser anspruchsvollen Lektüre wird vermutlich mit ein paar wertvollen geopolitischen Erkenntnissen belohnt!

Waldmeyer meint: Man muss Geschichte verstehen können, sie geht wohl über das Wissen betreffend die Schlacht in Morgarten (1315) hinaus. Wir haben öfter ein Problem, die Gegenwart zu verstehen, weil wir die Geschichte nicht korrekt lesen können. Vermutlich haben wir in der Schule einfach das Falsche gelernt. Es begann mit der Steinzeit, behandelte ein bisschen die Römer und die Griechen und konzentrierte sich dann auf wichtige helvetische Schlachten. Auch die Rütli-Geschichte von 1291 wurde abgehandelt, obwohl sie so vermutlich gar nie stattgefunden hat.

Eigentlich sind wir Franzosen

1798 gehörte unser Land zu Frankreich. Zwar nicht sehr lange, nur bis 1803, als Napoleon uns entnervt wieder unserem eigenen Schicksal überliess. Sollte Frankreich nun einen Gebietsanspruch aufgrund dieser Historie ableiten, wäre dieses Vorhaben wohl zum Scheitern verurteilt. Nur: Wie lange zurück gilt ein Anspruch? Darf die Ukraine auch in 50 oder 100 Jahren noch die verlorene Krim zurückfordern? Waldmeyer möchte seinen eigenen Analysen nicht vorgreifen, aber offenbar geht es um so etwas wie die Halbwertszeit der Geschichte. Irgendwann ist sie verwirkt. Das Rad der Geschichte lässt sich nicht ewig zurückdrehen.

Die Krux mit der Verjährung

Könnte die Betrachtung von Verjährungsfristen bei unserer völkerrechtlichen Causa vielleicht etwas weiterhelfen? Beginge Waldmeyer ein Verkehrsdelikt – was selbstredend nie vorkommen würde – könnte die Verjährung bis zu sieben Jahre dauern. Würde er beim Fentanylhandel erwischt, wäre das weniger schlimm, die Verjährung für Drogendelikte beträgt nur fünf Jahre. Geldforderungen, auch Steuerschulden, verjähren nach zehn Jahren. Ein Mord nach 30, ein tüchtiger Raubüberfall nach maximal 20 Jahren. Viele andere Länder kennen, so für Mord, keine Verjährungsfristen. Hier kommen wir der Sache schon näher. Völkermorde beispielsweise verjähren nie. Was indessen unklar bleibt ist die Frage, wer denn ein Land ahnden sollte, das Völkermord beging. Wie war das doch noch mit der Türkei und den Armeniern (das war vor gut 100 Jahren)?

Ebenso weiter im Nebel stochern wir mit der Frage, bis wann ein Anspruch auf die Rückabwicklung einer Gebietsannexion besteht. Unsere Krimfrage bleibt also im Dunkeln.

Probleme mit der Geschichte

Die weltpolitische Situation zeigt nun, dass auch andere mit der Geschichte ein Problem haben. Der türkische Präsident Erdogan z.B. kann den längst stattgefundenen Niedergang des Osmanischen Reiches partout nicht verkraften. Das Osmanische Reich umfasste einst eine Vielzahl von Ländern, so auch Syrien, Jordanien, Israel und Palästina. Kein Wunder, zündelt dieser neue türkische Autokrat in der Region. Leider löste sich das Osmanische Reich vor gut 100 Jahren endgültig auf. Erdogans Anspruch ist also doch etwas vermessen.

Kaiser Putin hat ein ähnliches Problem. Dummerweise war 1991 der Zerfall der Sowjetunion ein freiwilliger, die Separation der Ostblockstaaten erfolgte in demokratischer Manier und folglich auch die Wiedergewinnung der eigenen Staatlichkeit. Rumänien, Aserbaidschan oder die Ukraine etwa waren damit wieder eigenständige Staaten. Ein neuer Status quo wurde auf legitime Weise definiert. Leider kann sich Wladimir und seine merkwürdige Entourage damit nicht abfinden. Ihr Big Picture reicht sogar weiter: Sie wünschen sich das Zarenreich zurück (da gehörte beispielsweise auch Finnland dazu). Ex-Präsident Medwedew denkt aber noch etwas polyglotter, denn seine neue Sowjetunion sollte „von Wladiwostok bis Lissabon“ reichen. In einem ersten Schritt arbeitet man sich deshalb schon mal an der Ukraine ab.

Wann ist die Zeit um…?

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, vor bald 80 Jahren, wurde so etwas wie die Konstitution einer neuen Weltordnung definiert. Waldmeyer verglich auf Google Maps kurz die Landesgrenzen von heute mit denen von 1945. Er erschrak. Da hatte sich doch einiges getan! Allerdings, und das muss man der Menschheit zugestehen, erfolgte sehr viel freiwillig und oft schön demokratisch.

1948, also vor gut 75 Jahren, entschieden die Siegermächte und die UNO, wie es mit einem jüdischen und einem palästinensischen Gebiet weitergehen sollte. Die beiden Volksgruppen erhielten je ein Staatsgebiet. Beide waren damit nicht ganz einverstanden – aber zumindest war mal entschieden worden. Wie wir wissen, gab es in der Folge zahlreiche Grenzverletzungen, Übergriffe, Kriege – letztere von den Nachbarstaaten Israels inszeniert. Israel konnte sich verteidigen, erzielte in zwei Kriegen 1967 und 1973 Landgewinne, gab diese indessen zum Grossteil wieder ab. Welche Landesgrenzen gelten nun? Dürfen „Zugewinne“ im Verteidigungsfall behalten werden? Das Völkerrecht ist sich hier nicht einig.

Die Briten sind die Schlausten

Die Briten, sozusagen die Chef-Kolonialisten der Weltgeschichte, waren wohl die intelligentesten Staatsführer. Sie gaben immer rechtzeitig ab, wenn’s brenzlig wurde. Sie würden heute auch Schottland opfern oder Nordirland. Die beiden Anhängsel kosten eh nur.

Sie gaben nicht nur viele Kolonien ab, sondern auch Protektorate. An eine Rückforderung ist selbstredend nicht zu denken, obwohl das zum Teil nur gut 50 Jahre zurückliegt. Denn die Abgabe erfolgte freiwillig. Hier gilt: too late to cry.

Aber die Briten waren so schlau, einen neuen Club mit vielen abgetretenen Gebieten zu gründen, den Commonwealth. So konnten sie ihren Einfluss bewahren und das erst noch ohne grosse Kosten. Die Briten waren schon immer raffinierte Piraten und intelligent genug, sich zurückzuziehen, wenn der Kittel brennt. Oder wenn’s zu teuer wird.

Die Hochkulturen müssen als verloren gelten

Mayas, Römer, Griechen: Alle sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Mayas gibt es kaum mehr, und die Römer und Griechen unterhalten heute nur noch bankrotte Rumpfstaaten.

Und ja, da gab’s auch noch die Perser. Könnten die Perser von einst ihren Staat von vor dem Sturz des Shahs (1979) und der iranischen Revolution, die sie heute wohl bitter bereuen, zurückfordern? Ihre Regierung verbreitet Terror im ganzen Mittleren Osten und auch gegen das eigene Volk, ihre Frauen müssen Kopftücher tragen und werden gegebenenfalls gesteinigt. Ein Jammer. Nein, das Rad der Geschichte kann hier kaum zurückgedreht werden. Nicht aufgrund eines Rechtsanspruchs, sondern weil das Volk, obwohl es vielleicht wollte, sich einfach nicht durchsetzen kann.

Kriegen die Wikinger ihre Rebberge zurück?

Die Wikinger expandierten einst bis Neufundland. Dort pflanzten sie sogar Trauben an. Seltsamerweise gab es damals, vor rund 1000 Jahren, schon eine Periode mit einer Klimaerwärmung – und offenbar mit einer darauffolgenden Abkühlung. Der Gebietsanspruch scheint aber ziemlich verwirkt zu sein, denn sie zogen damals wieder ab, freiwillig. Vielleicht wegen der unterkühlten Reben? Eine Rückabwicklung erübrigt sich hier, weil die Isländer heute ganz andere Sorgen haben. So müssen sie beispielsweise ihre Vulkane in den Griff bekommen.

Waldmeyer pflegt Charlotte aufgrund ihrer deutschen Wurzeln manchmal damit zu ärgern und bezeichnet sie als „kleine Russin“. Ihre Vorfahren stammen teilweise aus Ostpreussen, dem früheren Königsberg. Tatsächlich umfasste das Deutsche Reich bis 1945 einst Gebiete, die weit über das aktuelle Polen, bis nach Königsberg reichten – der heutigen russischen Exklave Kaliningrad. Ein Anspruch Deutschlands auf diese Gebiete würde zurzeit allerdings wohl schlecht goutiert werden. Man stelle sich Bundeskanzler Scholz vor, wie er an diesem furchtbar langen Tisch in Moskau dem Kollegen Putin seine Gebietsansprüche formulieren würde – klar und deutlich, ganz der Staatsmann, so wie er immer auftritt.

Waldmeyer fällt sein Verdikt

Waldmeyer, nun versichert mit einer „75-Jahre-Regel“, würde seine weiteren Verdikte wie folgt fällen:

  • Das Recht der Franzosen auf Helvetien ist verwirkt (75-Jahre-Regelung).
  • Die Österreicher dürfen die Wiederherstellung des Habsburgerreiches nicht fordern. Eine Expansion müsste freiwillig erfolgen. Nur eine Schweizer Urabstimmung könnte, sollte sie positiv ausfallen, den Anschluss an Neu-Habsburg einleiten.
  • Für die Spanier (und auch für die Portugiesen) gilt Südamerika als definitiv verloren. Sie hatten sich freiwillig zurückgezogen. Sie hatten den Inkas vorher noch das Silber geklaut, vergassen aber die Küchenrezepte (ein Grund, warum wir heute in Peru besser essen als in Spanien).
  • China hat keinen Anspruch auf Taiwan. Die Insel gehörte nämlich noch nie zu China, sie war eine japanische Kolonie! Aber auch ein allfälliger Anspruch der Japaner ist verwirkt (75-Jahre-Regel).
  • Der Grundgedanke der Staatenbildung Israels und Palästinas von 1948 sollte nicht in Frage gestellt werden. Also sollen sich die beiden Staaten doch bitte mal daran halten. Leider scheint die UNO ihrem Entscheid vor 75 Jahren nicht mit Nachdruck nachzukommen.
  • Lombardei, Elsass, Savoyen, Indonesien, Kambodscha, Namibia etc.: Es bleibt jetzt alles so, wie es ist.
  • Die Deutschen haben ihren Anspruch auf Ostpreussen verwirkt. Charlotte bleibt deshalb teilweise russisch.
  • Diepoldsau bleibt bei der Schweiz. Waldmeyer hatte nämlich entdeckt, dass die Österreicher den Flecken noch gar nie besessen hatten, vor über tausend Jahren gehörte er zum deutschen Reich. Aber vielleicht möchte das Dörfchen ennet dem Rhein heute tatsächlich zu Österreich gehen? Reisende müsste man ziehen lassen.

Waldmeyer und sein Geschichtswissen

Das Wissen um die Geschichte ist eben doch hilfreich. Waldmeyer weiss nicht nur um die Schlacht bei Morgarten, er kennt auch Sempach (1386) oder Marignano (1515). Aber Charlotte tat dies immer als „unnützes Wissen“ ab. Vielleicht hat sie recht. Die Schulkenntnisse sind einfach zu einseitig, ein bisschen Wissen über die Steinzeit und die Römer reicht wohl nicht.

Mehr Wissen über geopolitische Geschichte wäre schon hilfreich, um die komplizierte Gegenwart – und die noch kompliziertere Zukunft – zu verstehen.

Wichtig ist, dass wir das Wissen um diese historischen Halbwertszeiten weitergeben. Also fragte Waldmeyer seine Tochter: „Lara, wann war doch gleich die Schlacht bei Sempach?”

Lara war konsterniert: „Sempach what…?“

„Eben. Wir müssen reden“, meinte Waldmeyer und dozierte anschliessend über seinen 75-Jahre-Ansatz. Ja, je mehr Wissen wir vereinen um ein bisschen geopolitische Geschichte, desto mehr können wir den Alltag begreifen.

Laras Forderung nach Rückabwicklung

Seit Lara in Basel studiert, also seit etwa fünf Jahren (gefühlt, für Waldmeyer, seit Lehman Brothers), benutzen die Waldmeyers das ehemalige Jugendzimmer Laras auch als Gästezimmer. Und nun geschah es: Lara forderte ihr Zimmer zur Alleinnutzung zurück. Es handle sich um eine „Annexion“, einen „unfriendly takeover“, meinte sie. Und nun bestehe ein Recht auf Rückgabe. “Die 75 Jahre sind noch nicht um, Dad.”

Diese verflixten Halbwertszeiten scheinen sehr relativ zu sein, erkannte Waldmeyer.

Waldmeyer und die helvetische Neutralität

Waldmeyer schaute entsetzt auf die Europakarte: Die Schweiz ist, verteidigungsmässig, tatsächlich eine Insel. Was wäre, wenn der Super-Gau einträfe und eine taktische Nuklearbombe über unserem Land niederginge? Wie würden wir uns verteidigen? Wären wir immer noch neutral?

 Die Schweiz ist tatsächlich eine Verteidigungsinsel. Sie ist weder in der Nato, noch profitiert sie von einer EU-Beistandspflicht. Die Schweiz ist eben neutral. Aber was würde das im Verteidigungsfall bedeuten? Waldmeyer stellte sich vor, wie wir uns in einem echten Kriegsfall wehren könnten. Ob die Neutralität, der wir de facto ja gar nicht nachleben, ausreichen würde?

Putin sucht sich ein neues Ziel aus

Waldmeyer malte sich den weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine aus. So könnte Russland auf dem Gefechtsfeld immer mehr in die Bredouille geraten, die Unterstützung der NATO-Länder zugunsten der Ukraine für Putin langsam zum Problem und die eingefrorenen russischen Vermögen für den Kriegstreiber im Kreml immer mehr zu einem Ärgernis werden. Auch würden die Sanktionen langsam so richtig greifen. Ein Befreiungsschlag müsste her.

Und dann würde Putin wahrmachen, womit er immer gedroht hat: mit einer nuklearen Attacke. Allerdings wäre er nicht so dumm, einen NATO-Staat zu bestrafen – das hätte unweigerlich, aufgrund des Artikels 5 des NATO-Beistandspaktes, eine Gegenreaktion ausgelöst. Die Alternative, nämlich ein westliches Nicht-NATO-Land zu attackieren, das jedoch in der EU ist, wäre ebenso töricht (so z.B. Österreich). Hier gilt bekanntlich die EU-Beistandspflicht. Putin würde auch nicht die unabhängigen Länder Liechtenstein oder den Vatikan angreifen, die Länder sind zu klein und es würde Kollateralschäden in den Staaten rundum geben. Putin hätte sich also von seinen Generälen, die ja alle sehr bereist sind und die Geografie in Europa bestens kennen, beraten lassen. Sie hätten ihm vermutlich einen raffinierten Doppelschlag vorgeschlagen!

Der fiese Plan des Kremlherrn

Mit einem Doppelschlag würde der Kremlherr erstens mit einer taktischen kleinen Nuklearbombe das ukrainische Lwiw (ja, das schöne Lemberg im Westen des Landes) bestrafen. Und zweitens, im Herzen Europas, einen weiteren Nuklearsprengkopf über Bern zur Explosion bringen. Die Schweiz blieb leider als einzige Option übrig, alle anderen wären von Aussenminister Lawrow und den alten Sowjetgenerälen aus politischen und taktischen Gründen verworfen worden. Zuerst stand noch Basel auf dem Plan, zumal dort bei der BIZ einiges an russischem Vermögen eingefroren ist. Aber es wäre unklug gewesen, die Bankeninfrastruktur gerade in Basel zu beschädigen. Die russischen Spione, welche in der Schweiz (aus Gründen der Neutralität) frei rumlaufen dürfen, hatten also gute taktische Vorbereitungspläne zusammengestellt. Und so verblieb tatsächlich nur ein Ziel mitten in der Schweiz: Bern.

Die taktische Nuklearbombe

Waldmeyer studierte die Wirkungen einer taktischen Nuklearwaffe. Er war etwas beruhigt, die Schäden wären nicht so wie in Hiroschima oder Nagasaki. Taktische Nuklearwaffen können relativ präzise gegen Truppenverbände, Gebäude oder allerlei Einrichtungen eingesetzt werden.

Putin würde die Aktion als «taktische Nuklearabschreckung» taxieren und den Begriff «Atombombe» tunlichst vermeiden. Die Nato wäre natürlich «not amused», wegen Lemberg. Aber die Causa Lemberg würde keinen gleichgerichteten Schlag auslösen, denn Lemberg hat nun mal nichts mit der Nato zu tun. Die Nato wäre auch «not amused» betreffend Bern. Aber sie würde auch hier stillhalten, denn es würde sich ebenso wenig um einen Bündnisfall handeln.

Für die gut 1’200 Kilometer von Kaliningrad nach Bern braucht eine russische Cruise Missile übrigens nur ein paar Minuten. Putin würde, anständigerweise, nur eine halbe Kilotonne einsetzen, der Feuerball würde aber dennoch 40 Meter Durchmesser aufweisen, und schwerste Druckschäden könnten bis 100 Meter weit reichen und alles platt machen. Die Gebiete darüber hinaus wären bis zu einem halben Kilometer mittelschwer beschädigt. Ein elektromagnetischer Impuls würde zudem im selben Umkreis alle elektronischen Geräte lahmlegen. Die Verstrahlung wäre punktuell verheerend, im weiteren Umfeld jedoch rasch abklingend.

Die Nuklearexplosion über dem BAG

Putin würde nicht das Bundeshaus Ost wählen, das ginge zu weit. Er würde ein Ziel aussuchen, das der Bevölkerung selbst ein Dorn im Auge ist, so das gut zwei Kilometer entfernte BAG, das Bundesamt für Krankheit. Er würde ausserdem einen nächtlichen Zeitpunkt wählen, so beispielweise die Neujahrsnacht. Die Gebäude des BAG wären dann eh leer, das Risiko, dass ein Beamter Überstunden leistete, würde gegen Null tendieren. Natürlich würden im BAG alle Faxgeräte kaputtgehen. Und die neue Departementsvorsteherin Elisabeth Baum-Schneider würde ihre Einführungstage wohl erst mal im Homeoffice verbringen.

Der nukleare Fallout wäre jedoch begrenzt, zumal die Neujahrsnacht relativ windstill sein könnte. Hier würde sich Putins Umsicht zeigen, nicht Basel gewählt zu haben (wegen der Grenznähe zu den NATO-Ländern Deutschland und Frankreich).

Verhaltene internationale Reaktionen

Weder die ukrainische noch die helvetische Malaise würden also einen Gegenschlag der Nato auslösen. Natürlich würde die NATO sofort in Alarmbereitschaft versetzt werden. In einzelnen Ländern würde dies allerdings wenig auslösen, so etwa in Deutschland. Verteidigungsminister Pistorius würde in der Neujahrsnacht seine Generäle eh nicht erreichen, und eigentlich gibt es in Deutschland kaum Truppen, deren Bereitschaftsgrad erhöht werden könnte.

Präsident Macron würde umgehend reagieren, er würde «cher Président Alain Berset» seine Betroffenheit aussprechen und versichern: «Je vais parler avec ce Putin.» Allerdings wäre am 1. Januar 2024 bereits Viola Amherd Bundespräsidentin. Im Ausland hat man unser merkwürdiges Rochadenprinzip noch nie durchschaut.

Amherd würde vielleicht gar nicht geweckt werden, denn es wäre Neujahr und so oder so keine Bürozeit. Sie wäre ohnehin kaum erreichbar im Wallis, hätte sie doch noch einen schweren Bauch vom Neujahrsfondue und einen ebenso schweren Kopf vom Fendant. Gegen Abend am 1. Januar würde sie vielleicht mit Jens Stoltenberg, dem NATO-Oberbefehlshaber telefonieren. Dieser würde ihr dann klaren Wein einschenken: «Look, Viola, das ist kein NATO-Fall, sorry. Du wolltest ja neutral bleiben, nicht wahr? Aber wir schicken dir ein paar Ambulanzen und wir helfen auch bei den Aufräumarbeiten, of course!»

Kanzler Scholz würde nichts sagen. Und Präsident Erdogan würde, zusammen mit Orban, zu mehr Verständnis aufrufen.

Guteidgenössische Reaktionen

Am 1. Januar hätte auch unser Arzt aus dem Tessin, Aussenminister Ignazio Cassis, noch mit dem Restalkohol des Merlots zu kämpfen, ausserdem würde er sich den Tag verwünschen, an dem er in diesem Verteilpoker der Departemente die A-Karte des Aussenministers gezogen hatte. Aber gleichzeitig wäre er froh gewesen, nicht das BAG zu führen – lag das Gebäude doch jetzt in Trümmern.

Linke und grüne Parlamentarier, ein Grossteil von ihnen tief durchtränkt mit Pazifismus, würden sofort auf «Deeskalation» plädieren. Noch wäre nicht klar, was das denn auslösen würde, aber es wäre ein Statement.

Kurz darauf würde Cassis indessen doch noch reagieren. So am 2. Januar, dann, wenn er sich in corpore mit allen Bundesräten besprochen hätte, würde er den russischen Botschafter ins Bundeshaus Ost zitieren. Er würde erst ein Alka-Seltzer und zwei Jodtabletten einwerfen und dann dem Russen deutlich mitteilen, noch mehr Russenvermögen einzuziehen, wenn das so weiterginge. Und die Eidgenossenschaft würde nicht zögern, ein paar weitere russische Chalets mit einer Verkaufssperre zu belegen.

Viola Amherd müsste in ihrer Rolle als Verteidigungsministerin zwangsläufig handeln. Sie würde eine kleine Teilmobilmachung auslösen. Noa, Waldmeyers Sohn, müsste wahrscheinlich in einer Turnhalle in Wattwil einrücken. Die weiteren Schritte würden dann besprochen werden.

Der Gesamtbundesrat würde gelegentlich, bei einer weiteren Sitzung, auf die Neutralität setzen. Eine Gegenreaktion würde zwar diskutiert. Leider indessen, ohne eine brauchbare Lösung zu finden.

Das Parlament würde zum Frieden auf der Welt aufrufen. Und unser Armeechef würde sofort die Armeereform 2033 in Angriff nehmen. Nur unser Arzt aus den Tessin würde Klartext sprechen: „Es wird Zeit, dass wir überlegen sollten, in welcher Form wir über die Interpretation der schweizerischen Neutralität nachdenken sollten.“

Die Bedrohungslagen sind nicht mehr so wie 1939

Tatsache ist, dass sich die Schweiz in einem solchen Fall unmöglich verteidigen könnte. Waldmeyer stellte fest: Wir sind zwar neutral, könnten aber in fast allen Bedrohungslagen nichts ausrichten.

Der Krieg heute ist nicht der Krieg von gestern. Waldmeyer machte in einer Auslegeordnung folgende Kriegstypen ausfindig:

  • Konventionelle Kriege (wie in der Ukraine)
  • Asymmetrische Kriege (so im Nahen Osten, Stichwort Hamas, Hizbullah, Iran)
  • Terroristische Attacken (weltweit)
  • Hybride Kriegsformen (wie in der Ostsee, Stichwort Nordstream)
  • Cyberkriege (Stichwort Russland)
  • Politische Unterminierungen (Stichwort Russland, Trolls)

Die Schweiz liebt den konventionellen Krieg – notabene nur einen der sechs Kriegstypen. Als die kaputten Panzer bei uns zur Debatte standen, die wir eigentlich verschrotten wollten, aber nicht an Dritte liefern durften, führten unsere Vertreter von Rechtsaussen eine «dringend nötige eigene Aufstockung» ins Feld. Ja, so setzen unsere Landesführer die Prioritäten.

Von allen Kriegsformen könnten wir uns also, wenn auch nur notdürftig, lediglich im Falle eines konventionellen, aber lokalen Feindkontaktes wehren. Oder sollte unsere Milizarmee bei einer grossen Cyberattacke einrücken? Fakt ist, dass wir uns gegen die meisten Bedrohungslagen nicht allein wappnen können. Wenn unsere Armee da schon nichts ausrichten könnte, ob denn die Neutralität zu einer Problemlösung führen würde? 

Wir verstecken uns hinter der Neutralität

Im ganzen Vorfeld der obigen fiktiven Nuklearattacke hätten wir uns immer hinter der Neutralität versteckt. Nur: Was vor über 80 Jahren noch ganz schlau war, als unsere direkten Nachbarstaaten sich die Köpfe einschlugen, machte in der Folge wenig Sinn. Die Welt hatte sich inzwischen komplett verändert. Die Schweiz gehört zum Westen, und allfällige Gefahren lassen sich heute relativ einfach verorten, denn sie liegen in Russland, allenfalls noch weiter östlich, und sie sind geopolitischer Natur. Unsere helvetische Strategie lässt sich aktuell irgendwo zwischen Aussitzen, Verzögerungstaktik und Verstecken ansiedeln, gegen aussen wird dabei immer ein Neutralitätsschild aufgehalten. Und es geht ganz klar um wirtschaftliche Interessen. Am Rande auch, vordergründig und ziemlich verklärt, um unsere heilige Mission als Vermittlerin. 

Die Schweiz als Friedensstifterin?

Immer wieder wird argumentiert, dass es unsere wichtige Rolle als Friedensstifterin gebietet, neutral zu bleiben. Dabei verbindet sich skurrilerweise Rechtsaussen mit Linksaussen. Und Putinversteher stehen plötzlich auf der gleichen Seite wie unverbesserliche Pazifisten.

Die Position der Schweiz als vermittelnde Friedensstifterin ist jedoch ein Mythos. Immerhin bieten wir schöne Orte zum Verhandeln, so in Genf beispielsweise, dort gibt es auch schöne Hotels. Wir sind zuweilen auch politische Briefträger – so war es im Koreakrieg, oder heute zwischen dem Iran und der USA. Wir vermitteln aber nicht, wir sind mit unseren «Guten Diensten» bestenfalls Postbote. Kein Politiker der Welt würde der Schweiz zutrauen, im Ukraine- oder Gazakonflikt zu vermitteln. Da profilieren sich heute schon eher Katar, Saudi-Arabien, die Türkei oder China. Alles im Übrigen keine neutralen Staaten und schon gar keine freiheitsbewahrenden Demokratien. Sollen wir nun tatsächlich die Neutralität so hochhalten, damit Cassis vermitteln kann? Cassis who…?

Und: Gegenüber wem sollten wir nun neutral bleiben? Auch gegenüber dem Westen, tatsächlich?

Neutralität nur aus Wirtschaftsinteressen

Die Frage müsste letztlich sein, welche Art von Neutralität uns am meisten Sicherheit bietet. De facto lassen wir uns jedoch von (kurzfristigen) Wirtschaftsinteressen leiten, welche die Neutralität als Feigenblatt verwenden. Neutralität ist bei uns Aussenpolitik, Aussenpolitik ist Interessenpolitik, und Interessenpolitik ist Wirtschaftspolitik. Waldmeyer meint: Ergo dient die Neutralität einzig den Wirtschaftsinteressen. Voilà.

Fakt ist, dass eine Diskussion betreffend Neutralität in der Schweiz fast unmöglich ist. Fakt ist aber auch, dass wir nicht mehr in Zweiten Weltkrieg sind und die Welt heute eine andere ist. Der gesamte Westen, an dessen Werte wir uns halten, wird u.a. von Russland bedroht, aber die Eidgenossenschaft hat sich immer noch nicht angepasst. Diese nasse Zündschnur ist gefährlich. Der Reduit-Gedanke überwiegt immer noch, und die Europakarte Waldmeyers wird offenbar nicht studiert.

Russland könnte sein Ziel erreichen

Das Risiko eines Atomkrieges muss realistischerweise als sehr gering eingestuft werden – es würde tatsächlich keine Gewinner geben. Der Abwurf einer taktischen Nuklearbombe durch Russland auf sorgsam ausgewählte Gebiete wäre allerdings ein gar nicht so absurdes Szenario. Lemberg würde reichen, das BAG könnte wohl noch verschont bleiben. Die Auswirkungen wären vor allem politisch fatal. Allein mit der Lemberg-Bombe würde die ganze westliche Welt in eine Schockstarre versetzt. Und sie würde in der Folge keine symmetrischen Reaktionen auslösen. Genial. Russland käme seinen Zielen näher, denn es würde sich sofort in einer komfortablen Verhandlungsposition mit der Ukraine und dem ganzen Westen befinden. Sanktionen wären vielleicht bald vom Tisch.

Und was würde die Schweiz tun – welche selbstredend, aus Neutralitätsgründen, unabhängig entscheiden würde? Sie würde sich, vielleicht, tatsächlich überlegen, ob sie nun zum Westen gehört und wie sie das mit der Neutralität künftig handhaben würde. Dieses bizarre Selbstbild eines souveränen Staates müsste sie wohl dringend vergessen.

Waldmeyer nahm sich vor, nun mit Noa nochmals zu sprechen. Nicht wegen der Neutralität. Er wollte ihn nur fragen, ob er wirklich wüsste, wo diese Turnhalle in Wattwil liegt.

Waldmeyer und die Vignette

Waldmeyer deutete mit seinem Finger auf seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch): «Was fällt dir auf, Darling?» Charlotte meinte nur: «Er ist dreckig, wie immer.» Waldmeyer korrigierte: «Nein, schau mal, keine Vignette mehr!» Aber Waldmeyer ging es eigentlich generell um Vignetten-Management.

 «Ich habe ohne Hilfe die Buchung der Vignette selbstständig gemacht», triumphierte Waldmeyer, «du siehst, die Digitalisierung kommt», erklärte er weiter. Charlotte schüttelte nur den Kopf. Sie hatte die E-Vignette für ihren Audi (auch schwarz) schon vor Tagen bestellt.

Die Klebevignette ist ein Unsinn

Die Produktion von Klebeetiketten war immer schon ein Unsinn. Bisher ging rund ein Drittel der eh schon spärlichen Einnahmen von rund 400 Millionen pro Jahr für die Produktion und den Vertrieb über den Einzelhandel verloren. Die Kosten für Staatsdiener, welche sich alljährlich über das anachronistische Projekt beugten, nicht mitgerechnet.

Die Vignette war eigentlich nichts anderes als ein marxistisches Umverteilungsprojekt: Geld des Bürgers floss zu Salären von überflüssigen Beamten, zu Vignettenproduzenten und als Unterstützung in den Einzelhandel.

 Der Kleber für rückständige Menschen

Der helvetische Witz besteht nun darin, dass wir zwar eine elektronische Vignette kriegen, parallel dazu aber immer noch kleben dürfen. Diese eidgenössische Nachsicht für rückständige Autobahnnutzer ist zu vergleichen mit dem Fax im BAG. Dieser konnte immer noch nicht aus den Amtstuben verbannt werden, denn es gäbe ja Ärzte, die noch daran hingen. Und noch heute werden gewisse Krankheitsfälle exklusiv per Fax an das Bundesamt für Krankheit rapportiert. Die Digitalisierung wird uns also nur in homöopathischen Dosen zugemutet. Der Autobahnkleber wird noch weitergeführt, wie die Faxgeräte, u.a. mit der Begründung des Datenschutzes.

Designmässige und volkswirtschaftliche Fehlleistung

Waldmeyer fand es schon immer eine Zumutung, einen hässlichen farbigen Kleber, in mitunter unmöglichen Farben, auf sein schönes Fahrzeug zu kleben. Zu allem galt es, das Ding jedes Jahr wieder runterzukratzen. Und zwar genau während der kalten Winterzeit, wenn dieses inkriminierte Klebeteil schlecht weggeht. Mit Charlottes Föhn konnte jeweils Abhilfe geschaffen werden.

Die Klebevignette ist auch volkswirtschaftlich ein Unding. Gute Ausgaben oder Investitionen generieren volkwirtschaftlich einen Mehrwert, die ökonomische Zirkulation löst neue Werte aus. Die Produktion von Stahl und Aluminium beispielsweise kann in einen Porsche umgewandelt werden, der Porsche-Mitarbeiter kauft sich von seinem Gehalt ein Haus, der Handwerker repariert es – und kauft sich vielleicht auch einen Porsche usw.

Ja, so funktioniert der volkswirtschaftliche Multiplikatoreffekt. Bei der Klebeetikette endet dieser Vorgang indessen jäh an der Windschutzscheibe. Produziert werden zwar Fahrkilometer, aber die wären auch ohne die blöde Etikette produziert worden. Soweit Waldmeyers makroökonomischer Abriss.

Man kann auch mit Münz…

Aber in gewissen Ländern in Europa sieht es in Sachen Einnahmen-Effizienz von Strassengebühren auch nicht besser aus. In Italien oder Frankreich etwa dürfen noch Münzen in einen Korb an riesigen Mautstationen geworfen werden. Die Mauthäuschen sind auch schön mit gelangweilten und griesgrämigen Menschen besetzt, die Flächen der Stationen sind immens. Waldmeyer überlegte spontan, dass man diese besser für schöne Raststätten, Asylantenheime oder Go-Kart-Bahnen verwenden könnte – oder sie der Natur zurückgeben.

Osteuropa führt

Andere Länder sind da schon weiter, insbesondere im Osten: In Ungarn, Tschechien, Slowenien, Rumänien oder Bulgarien etc. gibt es schon länger eine elektronische Vignette. Sogar in Österreich, also auch im Osten. So braucht es keine Mautstationen, und kein Mensch wäre dort auf die Idee gekommen (ausser in Österreich), parallel einen dummen Aufkleber im Angebot zu halten. Ideal ist auch, dass in allen diesen Ländern eine Vignette mit differenzierter Gültigkeit geordert werden kann: tageweise, für 10 oder 30 Tage, für ein Vierteljahr, ein ganzes Jahr – je nach Land.

Sollten wir die Vignette verteuern…?

Eine einmalige Durchfahrt durch die Grande Nation kostet rund 100 Euro. Hin- und zurück also 200 Euro. Nicht viel besser sieht es in Italien aus. Übers ganze Jahr gerechnet laden die Bürger dort folglich ziemlich viel ab. Die Deutschen haben freie Fahrt (wie wir wissen, gelang es ihnen während zehn Jahren nicht, eine Maut einzuführen, sie mussten die Projektkosten von 234 Millionen Euro abschreiben). In Österreich kostet die Jahresvignette knapp 100 Euro. In den meisten anderen Staaten Europas ähnlich viel.

Aber alle diese Staaten mit elektronischen Vignetten kennen Kurzzeitvignetten. Nur wir nicht. Der Holländer, welcher einmal im Jahr durch die Schweiz fährt, wählt deshalb bisweilen die Kantonsstrasse und zuckelt durch die Dörfer; er spart sich die 40 Franken, die er dann lieber in Rimini für eine Liegestuhlmiete ausgibt.

Eine Umfrage von Radio SRF ergab kürzlich, dass die Mehrzahl der Bürger sich nicht gegen eine Erhöhung des Vignettenpreises sperren würde. Auch Waldmeyer, beileibe kein Verfechter neuer Steuern, hätte ein gewisses Verständnis dafür. Vor allem, wenn im Gegenzug der Bundesrat nun endlich die Autobahnen nachhaltig ausbaut, um die ewigen Staus zu verhindern.

Waldmeyers Fünf-Punkte-Plan für das künftige Vignetten-Management

Waldmeyer schlägt fünf Massnahmen vor, nicht zuletzt, um die Schweiz etwas tourismusfreundlicher zu gestalten:

Erstens, und er sieht das im Sinne einer persönlichen Grosszügigkeit, wäre er bereit, die Jahresvignette auf 80 Franken zu erhöhen. Gleichzeitig müsste sich Bundesrat Rösti schriftlich verpflichten, die neuralgischen Problempunkte auf den Autobahnen subito zu eliminieren.

Zweitens wird eine Kurzzeitvignette (so für die Holländer) eingeführt, für 20 Franken. Damit haben wir das Umfahrungsproblem vermutlich gelöst.

Drittens kann eine Drei-Monatsvignette für 40 Franken gelöst werden. Das reicht dann für längere Urlaubsaufenthalte in unserem schönen Land. Der Düsseldorfer, der zweimal im Jahr in die Ferienwohnung nach Ascona fährt, würde dann eh gleich die Jahresvignette buchen. Er wäre sogar glücklich dabei, denn er wäre überzeugt, damit ein gutes Geschäft gemacht zu haben.

Viertens entfällt die Vignette für Anhänger. Der Holländer muss heute nämlich eine zweite Vignette für seinen Wohnwagen kaufen. Macht 80 Franken für den Rimini-Trip. Kein Wunder, schleicht er über den Gotthardpass und verstopft uns die Strassen. Auch das Gewerbe und private Besitzer, welche den Anhänger eh nur selten brauchen, hätten Freude, wenn eine Vignette entfiele. In keinem anderen Land muss heute eine Vignette für einen Anhänger gelöst werden; das Argument der schwierigen elektronischen Kontrolle für ein ganzes Gespann verfängt nicht – alle anderen Länder schaffen das auch.

Fünftes soll diese Kleberei sofort gestoppt werden. Sie ist nur peinlich für unser Land und hochgradig ineffizient. Alternativ könnten ein paar der überflüssigen Staatsdiener eine Helpline bedienen, welche wenig digitalisierten Bürgern bei der Buchung der elektronischen Vignette helfen. Sie könnte einen Franken pro Minute kosten – ein neues Geschäftsmodell vielleicht für selbsttragende staatliche Leistungen?

Ist die Vignette ungerecht?

Charlotte reklamierte: «Eigentlich ist die Vignette ungerecht. Ich fahre eher selten, muss aber trotzdem den vollen Tarif bezahlen. Wer mehr fährt, sollte mehr bezahlen, wer weniger fährt, eben weniger!»

Auch Waldmeyer ist ein grosser Anhänger von verbrauchsabhängigen Kosten. Allerdings findet er, dass es den Staat einen Dreck angeht, wieviel, wohin und warum er rumfährt. Die Behörde als blinder Passagier im Auto? Nein danke! Gewisse politische Kreise hätten das natürlich sehr gerne, so einen Tracker in jedem Auto, und dann wird mal abgerechnet. Nicht umsonst haben alle Staaten in Europa bisher davon abgesehen. Vignetten mit unterschiedlicher Gültigkeitsdauer könnten jedoch eine valable Alternative darstellen.

Und was Charlotte betrifft, hatte Waldmeyer auch eine Lösung: «Du kannst die Vignettenkosten runterbringen, indem du die Kosten für den Autobahnkilometer reduzierst. Du musst einfach mehr fahren!»

Waldmeyer, die Hamas und das «Aber»

Die Gräueltaten der Hamas sind durch nichts zu rechtfertigen. Gleichzeitig ist Waldmeyer klar, dass nicht alle Palästinenser die Hamas unterstützen. Aber die meisten offenbar schon, wie auch viele arabisch/muslimische Communities in der ganzen Welt. Max Waldmeyer tut sich schwer mit einer Einordnung.

«Frii, frii, Päläschtein» wird in unseren Städten skandiert. So klingt es bisweilen, helvetisiert, wenn unsere Demonstranten Plätze bevölkern und durch Strassen ziehen. Auch Waldmeyers Tochter Lara (sie wechselte erst kürzlich ihr Studium von Kunst auf Ethnologie) verteidigt an diesem Freitagabend bei Waldmeyers zuhause die Palästinenser. Oder einfach die Bewegung. Oder die Demos. Und überhaupt. Lara ist nicht bildungsfern – aber sie verhält sich merkwürdigerweise so. Sie orientiert sich vor allem in Gesprächen mit ihrem direkten Umfeld oder anhand von Pushnachrichten auf ihrem Handy. Und generell aufgrund der Informationen aus den sozialen Medien. «Schau mal, wie die Israelis die Leute rausbomben, das ist Genozid!». Kein Wunder, entstehen so mehr als lebhafte Diskussionen am Familientisch. Charlotte unterbrach das Streitgespräch zwischen Max und Lara und versuchte, ihre Tochter zu verteidigen: «Sie meint es doch nur gut!»

Greta Thunberg, nun mehr als Klimaexpertin

Auch Greta Thunberg, ansonsten eine Klimaexpertin, aber immerhin demogestählt, setzt sich klar, aber unbeholfen für die Palästinenser ein.  Erstaunlich, wie grüne und linke Exponenten sich auch in einem komplett gesonderten Thema so klar artikulieren können. Oder nur instrumentalisieren lassen?

Waldmeyer erkennt: Die Deutungshoheit liegt bei den sozialen Medien. Muslimisch ausgerichtete Organisationen scheinen eben ein viel besseres Marketing zu betreiben als die Gegenseite. TikTok, Telegram etc. dominieren die Meinung eines Grossteils der Informationen, vor allem für die junge Generation.

Aber Hitler baute schöne Autobahnen

Waldmeyer reflektierte. Ja, es gibt immer zwei Seiten. Ein Statement und ein Aber. Hitler, beispielsweise, war ein abscheulicher Diktator, «aber» er hat auch schöne Autobahnen gebaut. Das «Aber» ist entscheidend bei solchen Aussagen. Trump ist ein Betrüger und ein ungehobelter Kerl, «aber»… Nicht, dass wir einen US-Präsidenten mit diesem Massenmörder aus dem Zweiten Weltkrieg vergleichen möchten. Diese «Abers» relativieren einfach die Defizite einer Verfehlung. In der Tat hatte Trump da und dort seinen Finger ganz berechtigt auf wunde Punkte gelegt, Verschiedenes ausgemistet und ab und an mal den präsidentiellen Tarif durchgegeben. Die Frage drängt sich also auf, wann und ob die «Abers» überhaupt und wie geäussert werden dürfen. Nun gut, man muss wohl unterscheiden, wie weit Verfehlungen von Person gehen dürfen, um ein Aber auszudrücken. Was bei Trump sicher durchgehen wird, geht bei Hitler eben kaum durch.

Aber Gaddafi war auch ein lustiger Kerl

Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi war ein selbstsüchtiger, bizarrer und letztlich krimineller Diktator. Aber er war auch ein lustiger Kerl: ja, «aber». Wir erinnern uns vielleicht, als er anlässlich seines Staatsbesuches in Paris sein grosses Wüstenzelt aufstellen liess und dort Hof hielt. Die Frage sei also erlaubt, ob so ein Aber in direktem Zusammenhang mit Gaddafi erwähnt werden darf, allenfalls sogar im gleichen Satz? Oder erst in einem zweiten Satz? Oder muss man erst alle Übeltaten möglichst abschliessend aufzeigen, bevor ein Aber angezeigt ist?

Die Amerikaner kennen den Begriff des «Whataboutism» – ein verwandtes Prinzip des Aber-Prinzips. Waldmeyer möchte diese Gedankengänge nun noch etwas verfeinern.

Waldmeyer erfindet Aber-Regel

Waldmeyer beschloss, ab sofort folgende Regel einzuführen: Je übler eine Organisation oder ein Despot, Schlächter oder eine andere zweifelhafte Person ist, desto weniger oder desto später ist ein Aber angebracht. Was bei Greta noch durchgehen darf (da zwar eine nervende, aber keine «üble» Person), geht bei einer Hamas – betreffend Rechtfertigung der Schlächterei – überhaupt nicht durch. Je unappetitlicher sich eine Situation darstellt, desto länger muss deshalb mit einem Aber gewartet werden. Wenn es nicht um die Hamas an sich, sondern um den Israel-Kontext zur Hamas geht, müssten vorab schon ein paar verurteilende Sätze betreffend dieser Terroristenbande gesprochen werden, bevor ein Aber folgen darf. Dann im Sinne von «…, aber Israel ist auch nicht heilig» – oder ähnlich. Man könnte, der Einfachheit halber, auch die Zeitspanne festlegen, die vergehen darf, bis ein Aber sozialpolitisch erlaubt ist. In Sekunden. Oder in Minuten.

Fünf Sekunden für Alain Berset

Wenn wir von Alain Berset (beileibe kein Übeltäter) sprechen, müssten wir das etwas differenzierter angehen. Eine Aussage könnte lauten: Bundesrat Berset hatte das BAG nie im Griff, aber der Kerl sieht ganz gut aus. Diese Aussage geht schlank durch, da sie nicht ganz ernst gemeint ist. Die fünf Sekunden bis zum Aber sind in Ordnung. Oder: Bundesrat Berset hat in all den Jahren nie eine nachhaltige Reform durchgebracht, weder bei der AHV noch im Gesundheitswesen, aber er ist ein guter Kommunikator. Eine solche Aussage geht auch, denn sie ist schon ernster gemeint, deshalb muss sie auch besser austariert werden. Und deshalb, für diese zweite Aussage, neun Sekunden bis zum Aber.

Greta kriegt 30 Sekunden

Bei der Hamas ist das anders: Es gibt kaum eine Zeitspanne. Die Gewaltorgien sind durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen. Bei Idi Amin ebenso wenig, dem Schlächter von Uganda in den 70er Jahren: Die Kommunikationsdauer bis zum Aber müsste hier mindestens eine Stunde dauern, denn er hatte kaum je messbar Positives hervorgebracht. Bei Hitler müsste es auch eine unendlich lange Zeit vergehen, bis die Geschichte mit der Autobahn fallen darf. Oder dass er, wenn auch auf Pump, ein paar Arbeitsplätze geschaffen hatte – aber sonst nur Gewalt und Chaos in der ganzen Welt. Ja, mit einem zweiten Aber liesse sich selbst ein positiver Lichtblick wieder relativieren.

Saddam Hussein, Stalin, Kim Jong-un etc.: Letztlich sind es alles nicht nur problematische Sekunden-Fälle, sondern schon eher mehr als problematische Minuten-Fälle. Es müsste zum Teil wirklich sehr, sehr lange dauern, bis ein Aber erlaubt ist. Bei unserer autistischen Greta, um die es bis vor Kurzem angenehm ruhig geworden ist, müsste Waldmeyer nur faire 30 Sekunden veranschlagen. Denn sie meint es vielleicht gut (oder zumindest ihr Vater im Hintergrund, der sie vermutlich auf Schritt und Tritt steuert). Allerdings hat sie leider immer noch nichts in Sachen Verurteilung der abscheulichen Hamas-Taten gesagt. Sie hätte das Aber zumindest invers verwenden können, mit einem ganz kurzen Sekundeneinsatz: «Die israelischen Gazabomben sind … etc., aber die Palästinenser kämpfen um… etc. Oder ähnlich.

Bei Gaddafi würde Waldmeyer 45 Sekunden akzeptieren, wenn man über ihn urteilen würde. Beim Aber könnte angeführt werden, dass er diesen seltsamen Wüstenstaat immerhin ein bisschen zusammengehalten hatte.

«Aber» sind oft angebracht

Aber zurück zum Hamas-Aber: Wenn ein Aber betreffend die Hamas im Kontext zu den Israeli fallen sollte, müsste ein gebildeter und informierter Mensch doch auch 30 Sekunden verstreichen lassen. Das reicht für eine klare Verurteilung dieses arabischen Meuchelclubs, um anschliessend, mit einem vorsichtig erklärten Aber, zu bemerken, dass angesichts der Härte des israelischen Vorgehens eine Kritik angebracht sein könnte. Die israelische Siedlungspolitik und die standhafte Weigerung Netanjahus betreffend Zweitstaatlösung hatte über Jahre Öl ins Feuer gegossen. Zudem könnte diese Gaza-Ausräucherung doch ein bisschen humanitärer vonstattengehen. Also wäre so ein Aber berechtigt, wenn nicht gar angebracht. Aber bitte warten damit, die vorangehende Satzlänge, die Hamas betreffend, sollte genügend lang sein!

Mit dieser Aber-Prüfung kann Waldmeyer nun die Menschen nach ihrer Haltung einteilen: Er misst die Zeit (in Sekunden) von der Nennung «Hamas» bis zum «Aber». Seine Schwester Claudia beispielsweise (pensionierte Primarlehrerin, Kurzhaarfrisur, lustige bunte Brille, altes Nokia) brauchte nur fünf Sekunden von Hamas bis Israel. Das ist zu wenig. Max Waldmeyer erklärte ihr denn auch mithilfe seines Sekundenansatzes die Lage. Sie verstand es nicht, und die Diskussion wurde abgebrochen.

Lara demonstriert trotzdem

Waldmeyer war stolz auf seine Aber-Messung. Künftig könnte er diese nun in seinem ganzen Umfeld anwenden, um die Qualität der politischen Reflexionen zu messen: Wieviel Zeit, in Sekunden, verstreicht, bis jemand mit dem Aber rausrückt?

«Ich gehe jetzt in die Stadt», meldete Lara am Samstagmorgen. «Ich möchte da mitmachen, bei der Demo». Sie hielt eine Palästina-Fahne in der Hand. «Wir gehen da alle hin, weisch.»

Waldmeyer war entsetzt: «Weisst du, dass die Hamas und andere Extremisten genau darauf hinarbeiten, dass du jetzt auf die Strasse gehst? Liest du eigentlich die Zeitung?»

Lara schwenkte mit der anderen Hand ihr Handy (de facto also die Zeitung): «Täglich. Aber weisst du, was die Israeli den anderen antun?»

Waldmeyers Tochter verschluckte also den kompletten Satz vor dem Aber; die Aber-Zeit betrug folglich null Sekunden. Waldmeyer schlug die Hände über dem Kopf zusammen: «Womit habe ich das verdient?»

Waldmeyer und die helvetische Zeitlupe (Teil II)

Die Konsensfindung ist ein fundamentaler Schweizer Wesenszug. Und der braucht Zeit. Während rundum schon alles einstürzt, kämpfen wir noch um den gemeinsamen Nenner. Das gilt auch für unser nationales Mikro-Management. Waldmeyer weiss schon heute, was auf seinem Grabstein stehen wird. 

Vor ein paar Tagen schon durfte Waldmeyer seine Reflexionen in Sachen internationales Langsamkonzept unseres Landes mit einer konzentrierten Leserschaft teilen. Heute kreisen seine Gedanken um die nationale Geschwindigkeit. Beziehungsweise um unseren tief verwurzelten Habitus, alles mit angezogener Handbremse anzugehen.

Der fundamentale Trick: erst mal nichts tun

Ja, alles muss fein säuberlich austariert werden in unserem Land. Solange diese einzelnen sozialen Arbeitsschritte nicht abgeschlossen sind, passiert nichts. Leider ist Mutti Merkel nicht mehr am Ruder in Deutschland. Denn unser Zeitlupen-System hätte man sehr gut auch mit dem Handlungskonzept der damaligen Kanzlerin vergleichen können: Erst mal nichts tun, dann nicht antworten, dann überlegen, und dann, der fundamentale Trick, einfach weiter nichts zu tun. Sehr oft muss das gar nicht falsch sein, impliziert Nichtstun doch keine Fehler. Aber leider verzögert es das Tempo, ein Land in eine positive Richtung zu entwickeln.

Simbabwe hat das Frauenstimmrecht seit 1919

Waldmeyer fand wunderbare Beispiele für unseren helvetischen Zeitlupen-Ansatz. Man muss nicht bis 1971 zurückgehen, als sich die Schweiz, nachdem sie sich über Jahrzehnte der internationalen Lächerlichkeit preisgegeben hatte, doch noch durchringen konnte, ein Stimm- und Wahlrecht für die Frauen einzuführen. Finnland hatte es seit 1906, Simbabwe seit 1919. Und dann, nur kurz darauf, eben 1971, die Schweiz. Aber die Schweiz steht nicht allein da, in Nordkorea, beispielsweise, wartet man bis heute auf ein Stimm- und Wahlrecht. Diese Zeitlumpe hier wurde allerdings weniger von der Regierung, denn vom Stimmbürger vorgegeben.

Die Gotthardröhre für die Fussgänger?

1981 lehnten wir es ab, uns mitten in Europa der Einführung der Sommerzeit anzuschliessen. Unter anderem, wir erinnern uns vielleicht, wegen der Kühe. Drei Jahre später führten wir sie trotzdem ein, nachdem sich eine Zeitinsel Schweiz – welch Überraschung – als äusserst unpraktisch erwiesen hatte.

Keinen grossen Blumentopf gewinnen wir in Sachen Bauvorhaben. Die neue Gotthardröhre wird 2029 fertig sein – nach Dezennien der Planung und des Baus. Eine grüne Bundesrätin wird dann vielleicht den Tunnel eröffnen. Vielleicht aber gar nicht für den motorisierten Verkehr, sondern nur für Fahrräder, im besten Fall für Lastenräder. Gleichzeitig wird die alte Röhre für Sanierungszwecke geschlossen werden, die Wiedereröffnung ist für 2032 geplant. Vielleicht nur für Fussgänger?

Die dritte Röhre für den Gubristtunnel brauchte ebenso lange. Nun ist sie offen. Allerdings nur als zweite Röhre, die alten werden ein bisschen renoviert. Bis 2027.

Hohe Geschwindigkeit bei der Errichtung von Baustellen

Aber auch ein neues Gymnasium braucht, so hat sich gezeigt, in der Schweiz vom Beschluss bis zur Fertigstellung 20 Jahre. Schneller geht es mit den Baustellen auf den Strassen: Die werden ziemlich flink erstellt. Allerdings passiert nachher nichts, in der Regel wird dort gar nicht gebaut. Baustellen, so meint Freddy Honegger, Waldmeyers Nachbar, sind ein raffiniertes Kampfmittel der Grünen, um unseren Verkehr lahmzulegen. Die Baustellen werden errichtet und möglichst nie mehr abgeräumt. Honegger, wie wir wissen, hängt gerne Verschwörungstheorien nach – aber hier mag er wohl recht haben.

25 Jahre für neue Kampfjets

Besonders schnell geht es bei der eidgenössischen Beschaffung für die Armee. Für neue Kampfjets müssen mindestens 25 Jahre eingeplant werden. Auch für eine neue Fliegerabwehr. Die Ukraine ist heute besser bestückt als die Eidgenossenschaft. Aber 2030 sollten wir wieder ordentlich ausgerüstet sein. In der Zwischenzeit können wir einfach die Bedrohungslagen runterstufen, dann passiert nichts.

Waldmeyer legt sich einen Kerzenvorrat zu

Ein horrendes Tempo wird auch bei der Sicherstellung der Elektrizitätsenergie an den Tag gelegt. Wir wissen, dass in der Zukunft der Strom nicht reichen wird. Schon heute müssen wir während der Winterzeit 40% importieren. Die Elektrifizierung des Verkehrs und der Heizungsanlagen mittels Wärmepumpen wird den Bedarf an Strom nochmals stark ansteigen lassen. Wir bauen zwar die Sonnenenergie aus, können diese aber kaum speichern. Für die Nacht eventuell ein bisschen, aber nicht für den Winter. Speicherseen sind nicht gross in Planung, neue Kraftwerke auch kaum. Ein neues Wasserkraftwerk bräuchte ab Bauentscheid bis zur Funktion 20 Jahre. Der Wind wird es auch nicht richten, zu gross sind überall die Einsprachen für Windkraftwerke. Und irgendwann wird bei den Atomkraftwerken der Stecker gezogen.

Waldmeyer wird sich jetzt einen Kerzenvorrat zulegen. Tatsächlich ist keine Lösung in Sicht. Wir verhalten uns wie das Kaninchen vor der Schlange: sozusagen in Schockstarre – und tun vorerst einfach nichts. Dabei hätten wir es in der Hand, beispielsweise mit riesigen Speicherkraftwerken in den Alpen die ganze Schweiz, und zwar ganzjährig, zu versorgen. Wir könnten dann auch noch etwas Strom nach Deutschland schicken, ganz teuer natürlich.

Das helvetische System eignet sich nicht für Krisen

Ein seltsames Thema ist auch das mit den Flüchtlingen. Der Bundesrat spricht erst mal Solidarität aus. Ja, wir werden helfen. Dann aber tut der Bund nichts. Es ist ja Sache der Kantone. Er schafft es nicht einmal, eine ordentliche Registrierung für Flüchtlinge sicherzustellen – die Software sei nicht vorhanden. Die Kantone warten auch erst mal ab. Die Flüchtlinge werden allerdings so oder so kommen, das lässt sich schwer verhindern. Und trotzdem: erst mal nichts tun, dann warten, dann schauen. Die Armee beispielsweise könnte spielend sinnvoll eingesetzt werden. Sie ist ausgerüstet, könnte Camps errichten, kluge Übungen veranstalten. Das Material könnte so wunderbar getestet werden, die Abläufe, Verhaltensmuster ebenso. Die WK-Soldaten würden mit Begeisterung nach Hause kommen.

Unser helvetisches System eignet sich ganz einfach nicht für Krisen, ist Waldmeyer überzeugt. Nichtstun, wie wir wissen, ist mitunter etwas vom Besten, das Politiker tun können, damit sie keine Fehler begehen. Aber das gilt – bei Gott – nicht für Krisen. Wenn‘s brennt, ist dieses Verhalten eben brandgefährlich. Das helvetische Schönwetterkonzept hatte Krisen offenbar nicht vorgesehen. Das ist nun alles ein bisschen neu für die Schweiz. Ja, Taskforces wären angesagt, mit schwungvollen Leadern.

Also doch das «Mañana-Konzept»?

Ob es um die nicht gesicherte Altersvorsorge geht, um explodierende Gesundheitskosten: Das Muster wiederholt sich. Ukrainerinnen beispielsweise zeigten sich schockiert, als sie das rückständige, analoge und teure helvetische Gesundheitssystem ohne elektronisches Patientendossier entdeckten.

Natürlich hat unsere gemächliche Art auch Vorteile. Neu kommen zum Beispiel vermehrt chinesische Individualreisende in die Schweiz. Unter anderem nicht nur wegen der schönen Bergwelt und den Uhren, sondern auch wegen des « langsamen Lebensrhythmus ». Diese Wahrnehmung dürfen wir uns auf der Zunge zergehen lassen. Also doch das Konzept des „Mañana“?

Die Eidgenossen sind mit höherem Tempo einfach überfordert. Leider hat sich, nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung und der „Real-Time-Abbildung“ des Weltgeschehens, alles ein bisschen beschleunigt, rundherum. In der Folge sind wir nun überfordert, ziehen uns ins Schneckenhaus zurück und bemühen Basisdemokratie, Neutralität und andere Ausreden als Vorwand, um nicht entscheiden zu müssen. Oder nicht Stellung beziehen zu müssen.

Überschallgeschwindigkeit nur als Panikreaktion

Erstaunlicherweise gibt es doch ein paar Ausreisser in diesem helvetischen Zeitlupenkonzept: Tempo-30-Zonen beispielsweise werden quasi über Nacht eingeführt, ebenso Spurverengungen. Entscheide, dass Masken nichts nützen, können mitunter binnen Stunden gefällt werden, oder die CS wird übers Wochenende, de facto mittels Enteignung der Aktionäre, an die UBS verscherbelt. Diese Überschallhandlungen sind ungewöhnlich, aber sie beruhen auch nur auf zwei Pfeilern: einerseits auf fundamentalistischem Aktivismus von Überzeugungstätern auf Behördenstufe, wenn der Souverän nicht gefragt werden muss (so in der Regel in der Verkehrspolitik). Andererseits auf Übersprunghandlungen, die aus schierer Panik resultieren – und die dann auch wider besseres Wissen erfolgen (so im Falle des CS-Debakels).

Ja, Krisen sind einfach nicht unser Ding. Unser System ist bestenfalls auf Langlebigkeit ausgerichtet, im Prinzip aber auf Gemächlichkeit. Waldmeyer ist kein Verfechter dieser helvetischen Zeitlupe. Er entscheidet gerne. So hat er gerade heute festgelegt, was er auf seinem Grabstein einmeisseln lassen wird: „Max Waldmeyer, gestorben an und mit Warten.“

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