Waldmeyer und die teutonische Kernschmelze

Oder: Der kranke Mann in Europa

Deutschland scheint sich nicht nur zu deindustrialisieren, sondern gleichsam abzuschaffen. Das ist schade – zumal wir in der Schweiz auf einen starken wirtschaftlichen Nachbarn angewiesen sind. Ein Interview mit Max Waldmeyer bringt Licht in die Sache.

Das folgende Interview von Rebecca Carpenter mit Max Waldmeyer wurde diese Woche aufgezeichnet. Waldmeyer, Ex-Unternehmer und Kolumnist, bezeichnet sich lediglich als kritischer Beobachter von Wirtschaft und Gesellschaft. Eines seiner Lieblingsthemen ist die «Verscholzung Deutschlands». Vorab gleich eine Warnung: Das Interview wird unüblich lang werden – aber es wird sich lohnen, bis zum Ende durchzuhalten!

Rebecca Carpenter (RC): Max Waldmeyer, gingen Sie nicht etwas zu weit, als Sie die aktuelle Lage in Deutschland kürzlich als «teutonische Kernschmelze» bezeichneten?

Max Waldmeyer (Wm): Ich gebe zu, das war etwas plakativ. Ich fand im entscheidenden Moment eben kein anderes Bildnis. Aber ich stehe dazu: Deutschland, so wie sich das Land noch vor ein paar Jahrzehnten präsentierte, gibt es nicht mehr. Es schafft sich laufend ab. Es geht um einen Werteverfall, um den Verlust von Leistungsbereitschaft, um Weltfremde, um eine eskalierende Bürokratie, einen ausufernden Sozialstaat, eine aus dem Ruder gelaufene Immigration und eine invasive und gefährlich wuchernde Staatsgläubigkeit.

RC: Auch in der Schweiz beobachten wir diese Tendenzen.

Wm: Stimmt. Aber wir sind nicht der kranke Mann in Europa. Im Moment ist es eindeutig Deutschland. Im schlechtesten Fall begehen wir in unserem Land die gleichen Fehler einfach 10 oder 15 Jahre später. Wir segeln eh immer im Windschatten unseres Nachbarn, vor allem wirtschaftlich. Im besten Fall lernen wir jeweils aus den Fehlern der andern und geben Gegensteuer. Im realistischen Fall bleiben wir auf dem halben Weg stecken. Zumindest haben wir in unserem Land begriffen: Das Leben ist kein Ponyhof, bei uns herrscht keine Vollkaskomentalität. Die Anzeichen eines Nannystaates sind zwar auch bei uns auszumachen, aber nie in diesem deutschen Ausmass.

RC: Deutschland wurde natürlich zusätzlich bestraft, weil eine eh schon problematische Regierungskoalition nun auch noch mit dem Problem Ukraine gebeutelt wird. Die sind da ja viel näher dran als wir.

Wm: Gerade das Beispiel mit dem Ukraine-Management zeigt, wie überfordert die Regierung ist. Erstens hatte das Land während Dezennien aufs falsche Pferd gesetzt und sich abhängig gemacht (Anmerkung der Redaktion: abhängig vom russischen Gas). Zweitens erliegt sie einer fatalen Verkennung der geopolitischen Lage: Der Ex-Sowjetunion geht es doch gar nicht um die Ukraine, die Putin-Nomenklatur hat Grösseres vor. Das scheint bei der pazifistisch verbrämten SPD noch nicht angekommen zu sein. Drittens hat die Zögerlichkeit Deutschlands (und letztlich auch des Westens) zu einer Eskalation der Kriegswirren geführt. Hätten die Deutschen in den ersten Tag nach dem russischen Einmarsch der Ukraine nicht nur Helme geschickt, sondern auch schweres Geschütz, hätte man der Invasion sofort Paroli bieten können. Die lächerlichen Konvois veralteter russischer Fahrzeuge sind uns in Erinnerung. Mit ein paar Leopard-Panzern hätte man sie gestoppt und mit der geeigneten Luftabwehr die alten Mig-Jäger runtergeholt. Die zwei Jahre später gelieferten Panzer laufen nun auf den perfekt verminten russischen Stellungen auf, und Russland konnte mit seiner inzwischen auf Kriegswirtschaft getrimmten Industrie rasch aufrüsten und allerlei Waffen und Munition bereitstellen. Wie sagte doch schon Gorbatschow: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.» Nun kommt das Kriegs-Schlamassel dem ganzen Westen nur noch teurer zu stehen. Leider scheint die deutsche Regierung nicht lernfähig zu sein. Auch versteht sie es nicht, ihre jämmerliche Armee auf Vordermann zu trimmen. Deutschland bedient heute ein Anti-Abschreckungs-Heer.

RC: Tatsächlich, die Zögerlichkeit in der vom Kanzler geführten Regierung entgeht auch uns objektiven Journalisten nicht.

Wm: Ja, deshalb der Begriff der «Verscholzung». Das zu späte Entscheiden – oder das Nicht-Entscheiden – ist ein integraler Bestandteil der deutschen Regierungspolitik.

RC: Manchmal geht es aber schneller. So, wenn es ums Klima geht. 2035 steht das Verbrenner-Aus an.

Wm: Es wird nicht mehr lange dauern, und dieses Datum wird kippen. Die benötigte Elektrizität für die ganze Umstellung in Sachen Energie und Verkehr kann schlichtweg nicht zur Verfügung gestellt werden. Auch nicht, wenn die dreckigen Braunkohlekraftwerke alle mit Volldampf laufen. Die Fahrzeugindustrie wird aber während Jahren so auf das falsche Pferd gesetzt haben, den Technologiezug verpasst und Marktanteile auf dem Weltmarkt verloren haben. So läuft staatlich gelenkte Deindustrialisierung.

RC: Firmen wandern offenbar vermehrt aus Deutschland ab.

Wm: Firmen fällen keine politischen Entscheide, sondern faktenbasierte. Wenn es sich nicht mehr lohnt, in Deutschland zu produzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben, haben die Manager dieser Unternehmen die Pflicht, nach Alternativen auszuschauen. Wenn Steuern, Lohnstückkosten, vor allem die Lohnnebenkosten, Energiepreise und behördliche Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, geht man. BASF verlegt einen Teil ihrer Produktion nun nach China, Kärcher verreist nach Lettland, Stihl kommt mit ihren weltbesten Kettensägen in die Schweiz. Welcome to Switzerland.

RC: Zurück zur Zögerlichkeit: Auch in Sachen Heizungsumstellung beispielsweise wurde Tempo gemacht!

Wm: Ja, ein herrliches Beispiel von weltfremdem Mikro-Management. Da wurde ohne Plan etwas beschlossen. Wärmepumpen brauchen extrem viel Strom-Input. Im Winter laufen sie nur mit geringer Effizienz, vorab eben mit elektrischer Zugabe. Aber woher dann den Strom nehmen und nicht stehlen? Fakt ist: Es wird künftig einfach nicht genügend Elektrizität geben. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, gibt es keinen Strom. Atomkraft gibt es auch keine mehr, fossile Kraftwerke zu wenige. Wasserkraftwerke kaum, denn Deutschland ist leider ziemlich flach. Da wurde das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Schon heute wird im Winter und in der Nacht Strom aus den dreckigsten aller Kraftwerke aus Polen importiert. Dort wird übrigens auch ein Grossteil aller Wärmepumpen gebaut. Das scheint ein weiterer Teil des Deindustrialisierungsplanes zu sein.

RC: Nun gut, aber wie hätte denn ein guter Energie-Plan ausgesehen…?

Wm: Natürlich hätte man den künftigen Energie- bzw. Strombedarf der nächsten Jahre erst mal überschlagen sollen, die Produktion dann absichern, dann den Wechsel der Verbrauchergenerationen planen sollen – also bei den Heizungen, den Fahrzeugen, beim Industriebedarf. Die Osterhasen-Aktion der Migros beginnt ja auch nicht mit dem Verkauf, sondern mit der Produktion der Hasen, basierend auf einer Verkaufsprognose. Das sollte sogar einem Jugendbuchautor einleuchten (Anm. der Redaktion: Damit ist Robert Habeck gemeint, heute Wirtschafts- und Klimaschutzminister).

RC: Sprechen wir noch über die Infrastruktur generell! Da hat Deutschland grosse Pläne für einen Ausbau.

Wm: Ja, das ist das Tüpfchen auf dem i: Die Pläne gibt es nämlich schon seit langem. Anstatt genderfreundliche, diverse Toiletten einzurichten, hätte man das Geld vielleicht für die Verbesserung der alten Dämme verwenden können. Trotz der massiven Staatseinnahmen gibt es auch immer noch marode Brücken oder eine peinlich unzuverlässige Bahn. Die Stromtrassen für den Transport der Elektrizität vom Norden, von den grossen Windparks in den Süden runter, sind immer noch nicht gebaut. Zudem ist Deutschland nach wie vor eine digitale Wüste. Und die «neuen» Bundesländer sehen auch nach 35 Jahren immer noch alt aus.

RC: Nun, die Ostdeutschen hatten ja einen schwierigen Start 1989.

Wm: Die baltischen Staaten hatten etwa zur gleichen Zeit die gleichen Voraussetzungen. Die Balten hatten nicht mal Geld, die ostdeutschen Bundesländer aber schon, die wurden geradezu überschüttet mit Investitionen. Heute leben Esten, Letten und Litauer in leidlich blühenden, modernen und vorbildlich digitalisierten Ländern, die weiter nach Aufbruch lechzen. Da ist was schief gelaufen in Deutschland. Ein Lichtblick besteht zumindest darin, dass in Ostdeutschland heute nur noch gut 12 Millionen Menschen leben. Zur Gründungszeit der DDR waren es fast 19 Millionen. Vielleicht löst sich das Problem ganz einfach durch eine komplette Abwanderung…?

RC: Wie kann man die Misere lösen?

Wm (studiert lange): Ich glaube, es braucht wieder einen Marshall-Plan.

RC: Den wird es kaum geben.

Wm: Stimmt. Aber es braucht dringend einen Regierungswechsel. Wobei ich mich frage, ob die bestehende Opposition, rund um die CDU/CSU, das Ruder wirklich herumreissen kann. Sie verpasst es laufend, die wichtigen Themen zu bewirtschaften und überlässt das Spielfeld so dem ganz linken und dem ganz rechten Spektrum. Sie merkelt weiter vor sich hin.

RC: Die Sache ist also ziemlich verfahren.

Wm: Ich würde es, von aussen betrachtet, so formulieren: Germany is in deep shit. Das Runterfahren des Erfolgsmodells Deutschland hat gut 20 Jahre gedauert. Rauffahren braucht länger. Denn inzwischen wurde ein Grossteil der marktwirtschaftlichen Strukturen zerstört. Die Reparatur wird meine Restlebenszeit vermutlich überdauern.

RC: Das klingt pessimistisch. Vielleicht kommt eine junge Generation, die wieder vorwärtsgerichtet denkt?

Wm: Nun, vorerst wohl nicht. Auch junge Deutsche wurden vom Staat nun über Dezennien erzogen, dass es in Ordnung ist, wenn man etwas in der sozialen Hängematte liegenbleibt. Die Leistungsbereitschaft hat sich damit drastisch reduziert, die Generation Z hat andere Ziele. Die jungen Leute wollen am liebsten nur eine Vier-Tage-Woche – aber bei gleichem Lohn, wohlverstanden. Die jungen Grünen fabulieren auch schon mal von einer 20-Stunden-Woche. Diese Ambitionslosigkeit gegenüber der Arbeit ist allerdings ein Phänomen, das wir in ganz Westeuropa beobachten können; in Deutschland wiegt diese Konstellation in einer Spirale des Niedergangs natürlich besonders schwer.

RC: Wieso liebt denn diese Generation nicht ihren Staat? Er tut ja alles für sie.

Wm: Das tut er eben nur vordergründig. Er hat den Leuten zumindest den Leistungsdruck genommen. Er lenkt auch mal gerne ein, so wenn die Bähnler wieder streiken; sie kriegen dann die 35-Stunden-Woche und halten wieder für ein paar Monate still.

Aber der Staat bleibt das Feindbild für viele. Für die meisten sind auch Unternehmer Teil des Feinbildes, Arbeitgeber so oder so. In Deutschland arbeiten 80% nicht gern. In der Schweiz ist es umgekehrt: 80% arbeiten gerne. Das erleichtert natürlich die Staatsführung erheblich bei uns.

Dass der Staat in Deutschland nicht beliebt ist, liegt auf der Hand. Deutschland verzeichnet insgesamt die höchsten Steuern Europas, die Maximalprogression setzt schon bei rund 60’000 Euro Einkommen ein. Die Erbschaftssteuer ist hoch, die Weitergabe eines KMU an Nachkommen ist fast unmöglich. Und die Firmensteuern liegen auf einem nicht wettbewerbsfähigen Niveau.

RC: Immerhin stellt der Staat ja ordentliche Leistungen zur Verfügung.

Wm: Verglichen mit der Schweiz beispielsweise sind die Leistungen bescheiden. Die Renten sind mager, es gibt viele Streiks, die Zuverlässigkeit der Bahn, wie schon erwähnt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie zuverlässig unzuverlässig ist, Roll- und Schienenmaterial sind hoffnungslos veraltet. Aber wie soll man denn ein Verkehrsunternehmen mit 760 Unterfirmen auch führen…?

Das schlechteste Mobilfunknetz Europas liegt übrigens genau hier, in diesem Land.

Das viele Steuergeld kommt offenbar kaum unten im Volk an. Das Geld sublimiert sich quasi im System. Viele Gebühren und Kosten sind einkommensabhängig, das betrifft nicht nur die Krankenkassen, das geht bis zu den Kosten bei einer Scheidung.

Dazu kommt, dass eine breite Schicht miserabel verdient, das reicht kaum für Rücklagen. Eine Kassiererin verdient in Deutschland kaum mehr als 2‘500 Euro. Kein Wunder, sind auch die Renten dann medioker. Und die alten Leute frieren zum Teil immer noch in billigen Plattenbauten, weil sie das Geld für die Gasrechnung nicht aufbringen können. Ein Jammer.

RC: Da fragt man sich tatsächlich, wohin das viele eingenommene Geld verschwindet.

Wm: Nun, es gilt eben, einen riesigen Staats- und Beamtenapparat zu unterhalten. Leider produziert der nichts. Dafür hat jeder Gewerkschaftsführer oder Abgeordneter einen ganzen Stab von Mitarbeitern und eine schöne schwarze Limousine mit Chauffeur zur Verfügung. Auch die Ausserdienst gestellten Staatsangestellten werden fürstlich gehalten. Mutti Merkel verfügt über ein Büro mit 9 Angestellten, 2 Bodygards und 2 Chauffeuren. Vielleicht werden wir einmal erfahren, was die denn alle so tun. Zusammenfassend: Der deutsche Staatsapparat ist äusserst ineffizient, reagiert langsam und wenn, dann eben oft falsch. Der Sozialstaat wuchert fleissig vor sich hin, kostet viel, bewirkt aber nicht viel. Über die Hälfte des Bundeshaushaltes werden übrigens für die Sozialkosten aufgewendet. Tendenz steigend.

RC: Ein Problem zumindest scheint ähnlich zu liegen wie bei uns: Es gibt zu wenig Wohnraum.

Wm: Ich hatte gehofft, dass Sie das Thema nicht anschneiden. Es ist wirklich peinlich. Da wurde für das erste Regierungsjahr der Ampel noch der Bau von offenbar notwendigen 400’000 Sozialwohnungen angekündigt. Gebaut wurden dann 25’000. Das Problem mangelnder Wohnraum hat aber tatsächlich ähnliche Ursachen wie bei uns in der Schweiz: Bauen ist zusehends unattraktiv geworden, ist kompliziert, und es gibt viel zu viele Auflagen, die das Bauen verteuern. Zumindest hätte Deutschland etwas mehr Fläche zur Verfügung als wir. Aber die deutschen Hürden sind eben nochmals höher als bei uns, eine Baueingabe treibt zum Teil kafkaeske Blüten, da werden schon mal Baupläne wieder zurückgeschickt, weil sie «falsch gefaltet» wurden. Und wenn Enteignungen drohen (wie in Berlin), verabschieden sich eben die Investoren. Dann wird noch weniger gebaut, die Wohnungsnot wird noch grösser, ein Eigentumserwerb für junge Leute noch unerschwinglicher. Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass einfach nicht genügend Angebot für die Nachfrage bereitgestellt wird.

RC: Ist das Problem nun einfach systemimmanent – oder besteht es, weil «der Fisch vom Kopf stinkt»?

Wm: Eine rhetorische Frage. Es ist beides. Das System ist schon mal per se krank. Im Vergleich zu einer Schwarmintelligenz handelt es sich hier offenbar um suizidal orientierte Schwarmdummheit. Allein kann sich das System nicht retten, es wird sich dem wirtschaftlichen Tod entgegenschleppen. Also braucht es kluge Köpfe, die das System entrümpeln müssen, tatkräftige Minister und einen durchsetzungsstarken Kanzler.

Leider ist die aktuelle Regierung wohl die am schwächsten aufgestellte der Nachkriegszeit. Und sie verscholzt zusehends. Es begann schon bei der Zusammenstellung der Truppe. Der designierte Kanzler, die Inkarnation einer farblosen und schwachen Führungsgestalt, ernannte so etwas wie ein Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen. Viele hatten kaum Führungserfahrung, auch keine Fachkompetenz. Es sei an die unsägliche Christine Lambrecht erinnert, die erste Verteidigungsministerin, welche durch ihre schlagende Inkompetenz glänzte. Die Familienministerin Lisa Paus scheint nicht nur sehr farblos zu sein, sondern auch völlig überfordert. Die Wohnbauministerin, Klara Geywitz, scheint von einem anderen Stern zu stammen. Und der Wirtschaftsminister ist ein leidlich sympathischer Kerl, versteht aber wirklich nichts von Wirtschaft.

Natürlich kann man so keinen Staat führen. Die Leute entstammen offenbar einer ganz anderen Denkschule. Insgesamt hat die Regierung so den wirtschaftspolitischen Kompass verloren. Aber ohne den gibt es keinen nachhaltigen Wohlstand und Wohlfahrt. Vor allem nicht mit einem Chef-Zauderer an der Spitze. Ich denke, sein Rücktritt wäre eine Erleichterung für ganz Europa.

RC: Mensch, Waldmeyer, wir brauchen Lösungen. Nur Lamentieren bringt uns nicht weiter! Was würden Sie den Deutschen raten?

Wm: Kein vernünftiger Mensch sollte mehr in Deutschland investieren. Bei der Wettbewerbsfähigkeit ist Germanien nun binnen zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 24 abgesackt. Deshalb habe ich eine klare Message an alle tüchtigen deutschen Arbeitnehmer und Unternehmer: Kommt in die Schweiz! Wir brauchen Fachkräfte, wir heissen rührige Unternehmer willkommen! Natürlich interessiert uns nicht der Low-Tech-Bereich. Es ist in Ordnung, wenn dieser nach Polen abwandert – so wie jetzt die Produktion von Miele. Wir möchten gerne intelligente und innovative Leute bei uns! Ein besonderes Herz hatten wir auch immer schon für vermögende und gut verdienende Personen, die einer Steuerhölle entfliehen wollen. Bei uns zahlen sie dann immer noch anständig Steuern – aber eben nicht unanständig. Das Steuersubstrat können wir brauchen. Auch bei uns gibt es noch ein paar Baustellen.

RC: Da werden aber nicht alle Freude haben. Die SVP möchte nicht noch mehr Ausländer.

Wm: Natürlich bemühen wir uns nicht um die deutschen Sozialhilfeempfänger, sondern nur um die Besten! Für diese wird es immer einen Platz geben in der Schweiz. Leute, die dieser teutonischen Kernschmelze entfliehen wollen, haben ein Recht auf Hilfe. Vielleicht wäre eine neue Interpretation des Asylwesens angesagt: ein Asyl für «gehobene nachbarschaftliche Wirtschaftsflüchtlinge». Ich ringe noch nach einem prägnanten Begriff.

RC: Der wird Ihnen schon noch einfallen. Danke für das Interview, Max Waldmeyer!

Waldmeyer und die Glossen-Konkurrenz

Oder: Der Nachtzug nach Lissabon

Die Vorstösse im Zürcher Stadtparlament sieht Waldmeyer jeweils als Konkurrenz zu seinen Glossen. Sie sind dermassen weltfremd und absurd (und in diesem Sinne schweizweit wegweisend), dass sie an sich schon eine Glosse darstellen. Wie soll denn Waldmeyer dies noch toppen?

Die Realität Zürichs in einem kafkaesken Raum

Immer wieder Zürich. Aber Waldmeyer findet, dass man sehr genau auf Zürich schauen sollte. Von Biel, Chur, Lugano oder St. Gallen aus. Denn dann weiss man, was einem auch in anderen Landstrichen der Schweiz demnächst erwarten wird. Ja, Zürich scheint wohl nur die Speerspitze eines politischen Wandels zu sein. Der Zürcher Stadtrat verblüfft nämlich immer wieder mit absurden Vorschlägen. Meist handelt es sich um verquere Ideen rund um das Thema Gendern, Verkehr, Klima, Wohnen oder Umverteilung. Zürich ist Vorreiter. Man kann allerdings auch nach Berlin oder in Richtung anderer Grossstädte im Ausland blicken. Dann weiss man, was einem demnächst auch in der helvetischen Provinz zu blühen droht. Was dabei immer mitschwingt, ist eine verblüffende Weltfremde.

Glossen basieren bekanntlich auf der Überzeichnung einer Geschichte oder eines Zustandes, Glossen haben deshalb sarkastische oder ironische Noten. Und hier liegt gerade das Problem: Wenn die tatsächliche Geschichte sich bereits in einem kafkaesken Raum befindet, wird es schwierig, dies noch zu überzeichnen. Deshalb die Feststellung Waldmeyers, dass es zusehends komplexer wird, eine ironische Geschichte zu formulieren, wenn die Realität bereits zur Groteske verkommen ist.

Der Nachtzug nach Lissabon

Der Titel des bekannten Romans «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier erhält nun eine ganz neue Bedeutung. Und damit nun wieder zu Zürich – aber alles der Reihe nach.

Natürlich waren sich die Erfinder dieses genialen politischen Vorstosses im Zürcher Stadtparlament nicht wirklich bewusst, wohin ihre Ideen tatsächlich führen könnten. Wie gesagt, obwohl sie diesen Plan allen Ernstes und fundiert vorbereitet hatten. Es ging einmal mehr um eine Weltverbesserung. Man könnte auch nachsichtig sein mit solchen Volksvertretern: Sie meinen es ja nur gut. Sie meinen es auch überhaupt nicht lustig, in diesem Sinne also nicht glossenhaft.

Nun zu diesem politischen Vorstoss: Die Zürcher fliegen zu viel, und Fliegen ist nicht gut. Man sollte mehr Zug fahren. Also wäre es logisch, so die Zürcher Grünen, wenn das Bahnfahren auch über längere Distanzen gefördert wird. Zum Beispiel gerade nach Lissabon. Deshalb der brillante Vorstoss, dass die Stadt einfach mal drei Nachtzugskompositionen selbst kaufen sollte. Damit lässt sich bequem durch ganz Europa gondeln.

Die Grünen wissen genau, wie es geht

Ja, und günstig sollte das Reisen dann auch sein, so die Forderung der Stadtparlamentarier. Der Staat soll also Reiseveranstalter werden, aber bitte zum Discountpreis. Die Grünen schlugen auch gleich noch vor, dass die Österreichischen Bahnen als Betreiber bestimmt werden sollten. Das war ein kluger Vorschlag, denn es wäre unserer SBB selbstredend nicht zuzumuten, dass die vorprogrammierten Defizite dann bei ihr anfallen sollten. Die Deutsche Bahn kam auch nicht in Frage, denn deren Lokführer streiken regelmässig und deren Zuverlässigkeit besteht darin, dass sie mit Sicherheit immer unzuverlässig ist. Das geht nicht, denn Lissabon sollte man mit der Bahn möglichst noch in der zweiten Nacht erreichen und nicht irgendwann zur Tageszeit. Dass Nachtzüge kostenmässig überhaupt nicht wettbewerbsfähig sind, sondern vermutlich nur für Passagiere mit Flugangst oder mit Fahrrädern erfunden wurden, stört die Grünen nicht.

Waldmeyer versucht zu eskalieren

Waldmeyer versuchte trotzdem, die Causa Nachtzug noch eskalieren zu lassen und eine griffige Geschichte daraus zu schmieden Wie wäre es also, wenn die Stadt Zürich nun auch noch hochseetaugliche Segelboote anschaffen würde? Greta Thunberg reist ja zuweilen auch mit einem Segelboot und kann so elegant auf einen Flug verzichten. Oder wie wäre es mit autobahntauglichen Lastenrädern? Gratis-Segways für die Altersheime? Einer Zwangsausrüstung mit Inline-Skates für ausländischen Touristen (damit sie sich nicht ins Taxi setzen müssen)? Ein staatlicher Gratis-Service für E-Bikes? Die 100-prozentige steuerliche Absetzungsmöglichkeit eines Teslas – für jeden?

Oder wie wäre es mit einem unlimitierten Abo für alle Zürcher für den Nahverkehr, welches nur einen Franken pro Tag kostet? Doch nein, dieses Postulat der SP gibt es schon! Und damit schon wieder ein Glossenthema, das besetzt ist. Also besser einen 10’000-Franken-Zuschuss für jeden Bürger, der im Homeoffice bleibt und sich so gar nicht nach draussen wagen muss?

Eine Flut von grotesken politischen Vorschlägen

Die gleichen Politiker hatten sich schon mit ähnlich komischen Vorschlägen profiliert. So sollte der darbenden Zürcher Bevölkerung mit Gratis-Tampons und -Binden unter die Arme gegriffen werden – und zwar nicht der weiblichen Bevölkerung, sondern, gendermässig korrekt formuliert, den betroffenen «menstruierenden Personen». Den Kindergärtlern soll eine diverse Toilette zur Verfügung stehen, denn die Unterteilung in Weiblein und Männlein könnte diskriminierend sein – wohl im Unwissen darum, dass den fünf- und sechsjährigen Bengeln es wohl sch…egal ist, auf welchen Topf sie hocken sollen. Mutter- und Vaterschaftsurlaub soll künftig schon nur im Hinblick auf eine Schwangerschaft gewährt werden. Sozialwohnungen sollen künftig auch Bessersituierten zur Verfügung stehen. Auf digitale Werbung soll im öffentlichen Raum künftig verzichtet werden (Verlust bei den Zürcher Verkehrsbetrieben allein rund 20 Millionen pro Jahr). Begründung: Solche Werbeträger seien «aufmerksamkeitspsychologisch zu invasiv». Und so weiter. Nun, ist das alles lustig oder traurig?

Die Realpolitik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden

Waldmeyer hätte noch weitere eigene Eskalierungs-Vorschläge. Aber sie sind alle gar nicht mehr so lustig. Echt lustig ist nämlich die Realsatire – und die findet jetzt gerade mitten in der Schweiz und in der grössten Stadt statt. Ergo erhält Waldmeyer nun diese Konkurrenz. Er erkennt: Die profane Gegenwart scheint ihn einzuholen. Waldmeyer macht mit seinen Glossen trotzdem weiter. Allerdings muss er sich notgedrungen wohl auf andere Themenfelder konzentrieren. Denn die Zürcher Politik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden.

Waldmeyer und die Verteilung der fetten Erbschaftssteuern

Es mag unwahrscheinlich sein, dass die absurde Juso-Erbschafts-Initiative vom Stimmvolk angenommen wird. Aber nicht ganz unmöglich. Zumindest findet es Waldmeyer interessant zu überlegen, was mit den vielen neuen Steuergeldern denn so alles angestellt werden könnte.

Gemäss Initiativtext sollen die fetten Einnahmen aus der nationalen neuen Erbschaftssteuer unter anderem dem Klima zugutekommen – nebst einem „Umbau der Gesellschaft“. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Aber irgendwo müsste man ja mal beginnen. Waldmeyer setzte, für einmal mit Charlotte, zu einem Brainstorming an. Sie eruierten verschiedene Massnahmen, die sich für das neue Steuer-Manna herauskristallisieren könnten:

  1. Jeder Haushalt erhält gratis ein Lastenrad. Damit wird der schädliche Autoverkehr nachhaltig bekämpft und die Luftsäule über der Schweiz sauber gehalten.
  1. Der ÖV soll für alle gratis werden. Man muss der Gesellschaft ja auch mal was zurückgeben. Und wir entschleunigen unser Leben (wir wissen jetzt ja, dass wir uns mit dem ÖV in den Städten mit durchschnittlich 8 km/h bewegen).
  1. Schweizer Fleisch wird verboten. Die Kühe in unserem Land produzieren zu viel Treibhausgase. Importiertes Fleisch wird, allerdings mit nochmals erhöhten Zöllen, weiter toleriert. Das Klima weltweit wird zwar so nicht gerettet, aber dem Initiativtext wird Folge geleistet. Die Schweizer Landwirte werden grosszügig abgefunden und erhalten eine kostenlose Schulung als KI-Berater.
  1. Für Übergewichtige (BMI über 30) gibt es in allen Parks und auf den Gemeindeplätzen gratis jeden Tag Fitnessangebote. Ähnlich wie in China – nur flächendeckender.
  1. Anstatt den European Song Contest zu subventionieren, wird in jeder grösseren Stadt monatlich ein SSC (Swiss Song Contest) veranstaltet. Es wird kein Dress-Code erlassen, aber Rüschenröcke und pinkfarbene Strumpfhosen für die Zuschauer sind willkommen.
  1. Bei allen durch Kraftwerke oder andere Massnahmen unterbrochenen Flussläufen in der Schweiz werden Fischtreppen installiert. Das Bauvolumen wird einer breiten Bevölkerungsschicht zugutekommen.
  1. Die 14. und 15. AHV werden eingeführt. Wer über 90 wird, erhält eine 16. Ausschüttung.
  1. Der Einbau von diversen (also gendergerechten) Toiletten in Privaträumen wird mit 120% Subvention gefördert.
  1. Deutschland erhält eine Milliardenspende, um seine heruntergekommene Bahn zu renovieren und endlich ein flächendeckendes Mobilfunknetz zu installieren.
  1. Generell soll mehr für das Ausland getan werden, indem der globale Süden massiv unterstützt wird. Unter anderem mit dem Ausbau des Asylwesens. Es wird sogar die Zwangsunterbringung von Wirtschaftsflüchtlingen aus der ganzen Welt in privaten Häusern und Wohnungen geprüft. Familie Sonderegger wird sich künftig um eine somalische kleine Sippe in ihrem Haus in Hochstetten kümmern, Famille Maréchal in ihrer Wohnung in Le Locle um die netten Algerier. Unsere Gesellschaft wird also inklusiver.
  1. Bei all den Ausland-Unterstützungen sollen die eigenen Städte jedoch nicht vergessen gehen: Diese werden renaturiert, die letzten Parkplätze aufgelöst. An 360 Tagen im Jahr wird es einen autofreien Sonntag geben. Die Bahnhofstrasse in Zürich, die Freie Strasse in Basel und die Marktgasse in Bern werden zu einer Magerwiese umfunktioniert, eingangs und ausgangs der schönen Boulevards werden Gratisstiefel verteilt, um bei regnerischem Wetter unbehelligt zu den wenigen verbleibenden Geschäften stapfen zu können. Im fortschrittlich-linken Lausanne wird man sich, trotz schwieriger Hanglagen, für Ackerbau in der ganzen Innenstadt entschieden haben (die Produktion von Hafermilch wird besonders gefördert). In St. Gallen wird die Multergasse zum Gender-Flanierweg umfunktioniert (man streitet sich noch darum, was das baulich zu bedeuten hätte).
  1. Im Sinne des geforderten «Umbaus der Gesellschaft» werden alle privaten Dachgärten in den Städten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Es wird in der Folge in der Schweiz so etwas wie eine aufgeräumte Kibbuz-Stimmung herrschen. Ein Meilenstein in dem Umbau-Prozess – genau so, wie sich dies die irrlichternden Jusos das vorgestellt hatten.

Nur: Leider wird es zu dieser grossen Verteilung gar nicht erst kommen, denn die zu verteilenden Erbmassen werden vorher schon das Weite gesucht haben – mitsamt den vermögenden Personen, die bisher auch noch fleissig Einkommens- und Vermögenssteuern abgedrückt hatten, die AHV alimentiert und, mit ihrem überdurchschnittlichen Konsum, viel MWST abgeliefert hatten. Ja, so weit würde es kommen, wenn die Milchkuh geschlachtet wird. Merke: Man soll die Hand nie beissen, die einen nährt!

Waldmeyer heckt einen Plan B aus

Waldmeyer überlegte sich, wie denn so ein Plan B für die Schweiz aussehen würde. Wenn in dem Land also, bei Annahme dieser absurden Erbschaftsinitiative, plötzlich eine riesige Einnahmenlücke klaffen würde. Dieser Plan B wäre deshalb – leider – ein Sparplan.

Aber als erstes würde die MWST erhöht werden – und zwar kräftig, denn diese Massnahme ist am schnellsten umsetzbar. Anschliessend wird zusammengestrichen: bei den Sozialausgaben, den Investitionen in die Infrastruktur, den vielen Subventionen. Die Anschaffung der neuen F-35 wird auf 2051 verschoben. Die Arbeitszeit würde sofort auf 45 Stunden erhöht (Option: 48 Stunden), die Gebühren für Universitäten und Hochschulen auf ein neues Marktniveau gesetzt werden (Benchmark: britische oder US-Institute). Das würde nicht zuletzt die Jusos treffen, freute sich Waldmeyer, denn bei denen handelt es sich in der Regel um ewige Studenten oder Sozialhilfeempfänger, im besten Fall um weltfremde Teilzeit-Primarlehrer.

Die Spirale würde sich nach unten drehen

Das Vertrauen in die Schweizer Wirtschaft wäre gleichzeitig leider kaputt, der Schweizer Franken würde plötzlich gegen den Erdmittelpunkt rasen. In der Folge würde eine galoppierende Inflation grassieren, welche die Nationalbank mit einem 15-prozentigen Leitzins bekämpfen müsste. Die Hypothekarzinsen würden explodieren, der Mittelstand wäre bankrott, die Häuserpreise würden implodieren. Zeltstädte in den Agglomerationen würden errichtet, das internationale Rote Kreuz würde Suppenküchen bereitstellen. Die Villen in der Schweiz würden von Amerikanern, Norwegern und Chinesen zu einem Spottpreis aufgekauft (wobei sie ihren Wohnsitz, aufgrund der neuen prohibitiven Erbschaftssteuer, selbstredend nicht in die Schweiz verlegen würden). Die vermögenden und zuvor ausgereisten Personen würden mit Belustigung auf die Schweiz blicken, von Dubai, den Bahamas oder Malta aus. Waldmeyer würde zu diesem Zeitpunkt bereits in Südspanien sitzen, auf der Terrasse bei einem kühlen Drink. Er würde sich zwar nicht freuen, die Heimat verlassen zu haben. Aber obwohl nicht in der 50-Millionen-Phalanx, hätte er sich vorsichtshalber schon mal abgesetzt.

Waldmeyer überlegte sich, wie er nun einen noch konkreteren Plan B schmieden könnte. «Charlotte, was meinst du, sollten wir uns nicht Zypern wieder mal anschauen – schon nur der reichen Historie wegen?» Charlotte, nicht verlegen, entgegnete: «Ja, warum nicht, lass uns dort doch gleich diesen Non-Dom-Status prüfen, rein vorsichtshalber!»

Nachtrag der Redaktion: Der zypriotische Non-Dom-Status sieht eine praktisch steuerfreie Wohnsitznahme vor; die fast einzige Bedingung besteht in der Auflage, in dem EU-Staat mindestens 60 Tage im Jahr zu verbringen. Einkommens-, Erbschafts- und Vermögenssteuern entfallen.

Waldmeyer und die Steuerflucht

Oder: Money talks, money walks…

Die Juso-Initiative nimmt vermögende Personen in erbschaftsrechtliche Geiselhaft. Die betroffenen reichen Personen lassen sich das nicht gefallen. Schon werden Fluchtpläne geschmiedet, und Waldmeyer überlegt, was er tun würde, wenn er selbst davon betroffen wäre.

War früher alles besser in der Schweiz? Vor ein paar Jahren noch wurde die 6-Wochen-Ferien-Initiative abgelehnt. Damals noch in staatspolitisch verantwortungsbewusster Form, demokratisch reif und intelligent vorausschauend. Heute ist alles anders. So besteht ein Restrisiko, dass die neue Erbschaftsinitiative tatsächlich angenommen wird. Viele Betroffene mit über 50 Millionen Vermögen werden daher ihren formellen Wohnsitz ins Ausland verlegen. Willkommen in der Ära der Ü-50-Millionäre auf der Flucht! Damit verliert die Schweiz nicht nur Steuersubstrat, volkswirtschaftlich relevante Konsumausgaben und Investitionen, sondern auch die Kontrolle über viele Firmen und viel Vermögen. Demokratie, das stellen wir heute fest, ist nicht immer intelligent.

What, if…?

Waldmeyer gehört nicht in die Phalanx dieser Superreichen, überlegt sich aber, was er tun würde, wenn er plötzlich über 50 Millionen besässe und damit in das Fadenkreuz der Juso-Initiative geriete. Die Amerikaner lieben solche „What, if…?“-Spielchen. Auch Waldmeyer. Also, was wäre, wenn…? Waldmeyer entschliesst sich, Charlotte erst mal aus diesen Gedankenspielen herauszuhalten.

Man sollte die Hand nicht beissen, die einen nährt!

Die Schweiz schiesst sich mit dieser absurden Juso-Initiative selbst ins Knie – und zwar mit einem Volltreffer. Pro memoria: Das reichste 1% der Schweiz bezahlt einen Viertel der Steuern und besitzt 44% des Vermögens. Bei der Bundessteuer bezahlen 5% etwa zwei Drittel. Eine brandgefährliche Ausgangslage. «Deutschland schafft sich ab», wurde in den letzten Monaten, angesichts der bemitleidenswert schlechten Regierung in unserem Nachbarland, zum geflügelten Wort. In der Schweiz befinden wir uns nun, und dies beschleunigt, in einer ähnlichen Situation. Wird die Initiative angenommen, wird die Schweiz nicht mehr dieselbe sein. Ist das Vorgehen auch staatszersetzend? Ja, eindeutig. Aber es ist erlaubt!

Viele Vermögende sind schon jetzt auf der Suche nach einem neuen Steuerdomizil. Und Ja, es gibt wunderschöne Orte auf der Erde, mit freundlichen Steuerbehörden und angenehmem Klima, wo man komfortabel und sicher leben kann – oder zumindest einen Teil des Jahres verbringen kann!

Die Zeit drängt

Die Juso-Initiative sieht bei Annahme bekanntlich eine Wegzugsbesteuerung vor. So werden die Superreichen gezwungen, schon vor der eigentlichen Abstimmung zu reagieren, sonst werden sie erbschaftsrechtlich in Geiselhaft genommen. Also: Money talks, money walks. Die Ü50-Millionäre werden sich dies nicht gefallen lassen, sie werden zeitnah reagieren – lange bevor der Staat sich an ihren Vermögen delektieren wird. Auch Waldmeyer würde sich dies nicht gefallen lassen. Ein Leben lang malochen und dann die Hälfte dem Staat hinwerfen? Laut Juso soll mit den fetten Erbschaftssteuern dann gleich auch ein „Umbau der Gesellschaft“ finanziert werden. Hallelujah.

Die Initiative wird gar nicht angenommen?

Ob die Initiative Erfolg hat, ist unerheblich. Der Schaden ist schon angerichtet, denn die Wegzugspläne werden bereits geschmiedet. Es braucht Zeit für einen gutgeplanten Wegzug, besonders bei komplizierten Firmenstrukturen.

Auch wenn es heute nicht unbedingt danach aussieht, besteht zudem eine nicht unerhebliche Gefahr, dass ein lendenlahmer Bundesrat oder ein irrlichterndes Parlament einen Gegenvorschlag ausarbeitet, einen faulen, guteidgenössischen Kompromiss. Zum Beispiel 10% Erbschaftssteuer ab 1 Million? Warum nicht, wenn es die Mehrheit nicht betrifft? Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter.

Viele valable alternative Steuerdomizile

Waldmeyer stiess auf ein interessantes neues Buch: «2.LMP, der zweite Lebensmittelpunkt». Der bisher leider noch wenig bekannte Autor hatte versucht, die besten Orte für ein «Second Home» herauszufiltern – weltweit. Unter dem Aspekt der Steuerbegünstigung definierte er mindestens 17 Orte auf der Welt, wo das Leben nicht nur überwiegend steuerfrei, sondern auch sehr angenehm ist. Heureka, es gibt also intelligente Lösungen! Unter den genannten cleveren Steuerdomizilen figurieren auch weniger bekannte Orte, wo sich ein durchaus komfortables und interessantes Leben einrichten liesse. So kann es auch nach Panama City gehen, nach Phuket in Thailand oder in das wunderbar britisch-koloniale George Town in Malaysia. Alle diese weniger auf dem Radar erscheinenden Orte gelten als de facto steuerfrei.

Wenn Waldmeyer S. aus der Ostschweiz wäre

Wenn Waldmeyer nun nicht Waldmeyer, sondern der Unternehmer S. aus der Ostschweiz wäre: Wohin würde er ziehen? Die steuerfreien Bahamas wären vielleicht etwas zu tropisch, die Bermuda Inseln andererseits zu langweilig. Waldmeyer könnte einen sogenannten Non-Dom Status* in Irland wählen. Dort würde er indessen nur ein paar (vermutlich regnerische) Tage pro Jahr verbringen. Auf Mallorca, auf seinem bescheidenen Anwesen, würde es ihm nämlich besser gefallen, dort könnte er auch mal, bei einem Glas kühler Sangria, eine VR-Sitzung abhalten. In der Schweiz würde er immer noch maximal 180 Tage verbringen dürfen – was kein Problem darstellt, denn länger hatte er sich auch bisher noch nie in der alten Heimat aufgehalten.

Wenn Waldmeyer B. aus Genf wäre

Wäre Waldmeyer andererseits der Unternehmer B. aus Genf, würde er sofort Mauritius als künftiges formelles Domizil wählen. Für Frankophone wird die Auswahl deutlich kleiner sein, denn die meisten attraktiven Steuerdomizile haben eine britische Vergangenheit. Mit dem Nachteil allerdings, dass die Küche dort zuweilen etwas medioker ist (bekanntlich haben die Briten, gastronomisch gesehen, weltweit eine Blutspur hinterlassen). Doch für eine hohe Lebensqualität müssen selbstredend noch viele andere Parameter geprüft werden: Die Sicherheit, die Rechtssicherheit, der Immobilienmarkt, das Klima usw.

 

Weltweite Rasterfahndung nach den besten Fluchtorten

Waldmeyer blätterte weiter in seinem neuen Lieblingsbuch („2.LMP“). Die weltweite Rasterfahndung nach den steueroptimierenden besten Second Homes zeigt auf, dass Orte wie beispielsweise die Cayman Islands keine guten Optionen sind. Sie sind kompliziert zu erreichen, die Zeitverschiebung ist wenig hilfreich, das Leben vor Ort nicht sehr sinnstiftend. Ausser, man richtet sich gleich auf einer eigenen Insel mit eigener grosser Infrastruktur ein, die man angenehm mit dem Helikopter erreichen kann. Das wäre kaum ein Problem, wenn Waldmeyer eben nicht Waldmeyer wäre, sondern beispielsweise Sir Richard Branson: Sir Richard residiert nämlich steuerfrei auf Neckar Island (Teil der britischen Virgin Islands) in einem eigens errichteten Dorf im balinesischen Stil.

Zahlreiche andere vermeintlich tolle Steueroasen eignen sich ebenso wenig, so die karibischen Eilande Anguilla oder Trinidad and Tobago und viele mehr: Erstens handelt es sich oft nur um hervorragende Orte für Offshore-Firmen, nicht aber um Steuerdomizile für natürliche Personen. Oder sie sind hoffnungslos klein und/oder uninteressant, so Bonaire (holländische Antillen), Antigua in der Karibik oder die Pitcairns im Pazifik.

Bye, bye Switzerland?

Fazit ist, dass es sehr wohl einen ganzen Strauss äusserst geeigneter Orte auf der Welt gibt, wo relativ einfach eine neue (Steuer-) Bleibe errichtet werden kann. Die Voraussetzungen sind in der Regel eine überblickbare Immobilien-Investition oder die Erlangung eines Non-Dom-Status. Dubai oder die Bahamas schwingen da obenauf, etwas näher liegen Malta oder Zypern. Oder Monaco, falls man bereit wäre, rund 70’000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche hinzublättern. Doch selbst wenn Waldmeyer sich in einer ganz anderen Vermögensklasse befinden würde: Nein, da wäre er dann doch zu knausrig.

Je nach persönlichen Präferenzen sind jedoch auch Costa Rica oder Montevideo prüfenswert, denn an vielen dieser Standorte wird nur territorial besteuert. Dieses Risiko der Besteuerung von nur örtlichem Einkommen wird indessen klein bleiben. Wäre Waldmeyer beispielsweise der Unternehmer P. aus L. würde er sich kaum als Physiotherapeut in Thailand oder als Schnorchellehrer auf den Philippinen betätigen wollen. Wenn also nichts „territorial“ verdient wird, gibt’s nichts zu versteuern – wie praktisch!

Bye, bye Switzerland für Waldmeyer? Ja, damit wäre zu rechnen. Waldmeyer würde der Schweiz allerdings nicht definitiv den Rücken kehren, sondern nur sein Steuerdomizil verlegen – ohne dort auch das ganze Jahr leben zu müssen. Ganz legal, wohlverstanden. Waldmeyer ist nicht unglücklich, nicht zu diesen Superbetuchten zu gehören, denn so bleibt es beim „What, if…?“. Aber wenn nun ein fauler Kompromiss mit einem Gegenvorschlag des Bundesrates aufs Tapet kommt, sieht die Sache anders aus. Waldmeyer schob das Buch 2.LMP vorsichtig zu Charlotte rüber. „Also Costa Rica würde mir auch noch gefallen. Schau doch mal rein!“

*Anmerkung der Redaktion: Mit einem Non-Dom-Status in Irland, Malta oder Zypern kann eine Tax-Residence erlangt werden, ohne überhaupt richtig dort zu leben – ganz legal, wohlverstanden…

Zum Glück besitzt Waldmeyer schon ein Buch, sonst würde er es sofort bestellen:

Roland V. Weber, 2.LMP – der zweite Lebensmittelpunkt, ca. 79.90, im Schweizer Buchhandel erhältlich. Jetzt zum Spezialpreis für True-Economics-Leser für 59.90 direkt bei redaktion@true-economics.ch. Hardcover, bebildert und mit vielen Charts und Statistiken. Und fast 100 sehr erhellenden Waldmeyer-Kommentaren. Don’t miss it.

Waldmeyer, das Ribeye und die französische Linke

Der Kauf eines Stück Ribeyes beim Metzger betrachtet Waldmeyer mitunter als eine klassische Management-Aufgabe. Es gilt nicht nur den Zuschnitt, die Herkunft und die Qualität zu beachten, sondern auch den finalen Entscheid, ob es wirklich ein Ribeye sein soll. Die jüngsten Pläne der neu formierten französischen Linken könnten dabei einen Einfluss haben.

Der Auftrag Charlottes an Max Waldmeyer war klar an diesem Samstag: Er möchte bei der Rückfahrt von der Tankstelle doch bitte beim Gschwend noch ein paar schöne Hohrücken oder Entrecôtes mitnehmen. Aber nur vom Gschwend.

Nur vom Gschwend!

Gschwend, das ist wichtig zu wissen, ist der angesagteste Metzger der Region. Wenn die Nachbarn Freddy und Bettina Honegger (Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, auch gegen 5G, was aber in diesem Zusammenhang nichts zur Sache hat) dann abends zum Grillen kommen – sie hatten sich erst gestern selbst eingeladen – und fragen, woher das feine Fleisch sei, muss es von Gschwend sein. Waldmeyer hatte schon früher spekuliert, ob er nicht trotzdem beim Coop oder, ganz klandestin, beim Denner reinschauen sollte, unten am Kreisel (Ersparnis: glatte 20%). Er liess die Idee aber wieder fallen, denn mit der süffisanten Bemerkung Freddys «ich hab deinen Wagen beim Kreisel gesehen» wollte er nicht konfrontiert werden.

Hohrücken, Entrecôte oder Ribeye?

Also Gschwend. Bei Gschwend sei das Fleisch «besser abgehangen», alles Bio, und überhaupt. Von all den kolportierten Alleinstellungsmerkmalen Gschwends ist nur eines sicher: Er ist teurer. Und sein Fleisch kommt nicht nur von glücklichen Schweizer Kühen, sondern zum grossen Teil auch aus dem Ausland.

«Ich werde mir dann besser mal das Ribeye ansehen», antwortete Waldmeyer auf Charlottes Einkaufsorder. Waldmeyer suggerierte so elegant, dass er sehr wohl zu unterscheiden weiss zwischen Hohrücken, Entrecôte und Ribeye. Der Unterschied könnte auch einem Jungmetzger beim Gschwend, z.B. dem netten Ahmed, die Schweissperlen auf die Stirn treiben. Tatsache ist jedoch, dass sich die feinen Differenzen der Rücken-Fleischstücke verwischen und, etwas grosszügig interpretiert, die Steaks sich alle hintereinander auf dem Rücken eines armen Rindleins platzieren.

Netto ist nicht brutto

Aber eigentlich hatte Waldmeyer an diesem Morgen etwas ganz anderes im Kopf: Die vereinte neue Linke in Frankreich möchte offenbar die Rente wieder subito auf 60 runtersetzen, die Preise für Nahrungsmittel und Energie kurzerhand einfrieren, die Löhne fest an die Inflation koppeln und den Minimallohn von 1‘400 auf 1‘600 Euro erhöhen. Unverändert bleiben sollen selbstredend die mantramässig vorgetragenen Forderungen nach einer weiteren Reduktion der Arbeitszeit (die 35-Stunden-Woche lastet bereits schwer auf der Psyche des Franzosen). Wie immer wurden die neuen Ideen ohne Finanzierungsvorschlag präsentiert. Aber die fortlaufende Deindustrialisierung Frankreichs konnte auch Emmanuel Macron I. inzwischen nicht aufhalten, sie geht einfach weiter, und Frankreich ist derweil zu einem ziemlich unattraktiven Produktionsstandort geworden. La Grande Nation ist damit sogar weiter gediehen als Deutschland – dort droht allerdings eher eine Verscholzung, dachte Waldmeyer, als er seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Gschwend navigierte.

Die Franzmänner denken nur netto

Es war Punkt 10:00 Uhr, also wechselte Waldmeyer von „It never rains in Southern California“ auf SRF1. Und da wieder die gleiche Meldung, das neue Parteiprogramm dieser weltfremden Franzmänner: 1’600 Euro – netto! Waldmeyer stand auf dem Parkplatz bei Gschwend und hörte sich in Ruhe nochmals die Nachrichten an. Wenn Honegger nun auch einen Einkaufsauftrag hätte, würde er Waldmeyers schweren SUV beim Vorbeifahren beim Gschwend entdecken. Tant mieux.

Also 1’600 Euro netto. Aber warum «netto»? Die denken heute also alle nur noch „netto“, die Franzmänner? Auch in Deutschland ist das jedoch gang und gäbe – zumindest bei den unteren Gehaltsstufen. In beiden Ländern werden die Steuern sicherheitshalber nämlich monatlich vom Lohn abgezogen.

In der Schweiz denkt man brutto

In der Schweiz herrscht zum Glück noch sichtbar „brutto“. Ausser bei einem Reinigungsinstitut, dort erhält, beispielsweise Fatima Berisha, „netto“ ausbezahlt, und sie denkt auch nur in netto. Aber in der Regel kennen wir Eidgenossen die Differenz zwischen netto und brutto haargenau. Das ist auch gut so, weil edukativ. Denn so wissen wir jeden Monat, wieviel wir für die Sozialkosten abdrücken. Wir überlegen dabei auch, als aufgeklärte und verantwortungsbewusste Bürger, wieviel wir für die Steuern zurücklegen sollten.

Und notfalls können wir die Differenz zwischen brutto und netto an der Urne korrigieren.

Gschwend hat keinen Minimallohn

Schwierig wird es natürlich in Ländern, wo ein Grossteil der Staatsbürger nur den Minimallohn bezieht. Gschwend hat wohl kaum einen Minimallohn, überlegte Waldmeyer. Der Preis für ein gutes Ribeye in der Schweiz liegt bei fast 100 Franken pro Kilo, in Deutschland bei der Hälfte. Aber das Schweizer Fleisch ist bestimmt auch besser, also darf es mehr kosten. Wir haben ja auch andere Löhne. Die Preisdifferenz ergibt sich allerdings aus purem Protektionismus: Wir erheben schwindelerregende Zölle auf dem importierten Fleisch, um das (bessere und gesündere) Schweizer Fleisch zu schützen. Gschwend ist de facto also ein Subventionsempfänger. Und dies, obwohl sein Fleisch durchaus vergleichbar ist mit jenem in einer guten Metzgerei in Deutschland oder Frankreich, zuweilen kommt es sogar aus der gleichen Produktion. Das hatte Waldmeyer schon mehrmals auch Bettina Honegger zu erklären versucht. Sie meint dazu aber immer: „Ja, aber trotzdem…“. Und ja, im Ausland würden sie vermutlich viel mehr Antibiotika verwenden bei der Rinderaufzucht. Vielleicht sogar reinimpfen.

Doppelte Kalkulation in der Schweiz

Tatsache bleibt, dass bei Gschwend bei dieser doppelten Schweizer Kalkulation, befeuert durch die staatliche Protektionismus-Hilfe, am Schluss auch eine doppelte Marge verbleibt. Gschwend jedoch ist Unternehmer, überlegte Waldmeyer und konstruierte damit ein gewisses Verständnis für den rührigen Metzger.

Aber Waldmeyer grübelte weiter: Die 100 Stutz für das Kilo Ribeye müssen erst mal erarbeitet werden – und zwar netto. Bei Waldmeyers, gute Doppelverdiener und mit der Heiratsstrafe belegt, damit irgendwo in der obersten Steuerprogression angesiedelt, liegt die Brutto-Netto-Rechnung natürlich im Argen. Die Grenzbelastung, also die Belastung des „obersten“ zusätzlich verdienten Frankens, unter Einrechnung der Steuern und aller Sozialabgaben, inklusive der Pensionskasse, liegt bei annähernd 50%. Das heisst, zwischen brutto und netto sublimiert sich beim zusätzlich verdienten Franken die Hälfte. Und genau dort, nämlich mitten in diesen verlorenen 50%, bei diesem Entscheidungsfenster pro oder contra einem Ribeye, liegt das Problem. Mit anderen Worten: Das Ribeye kostet, hochgerechnet auf brutto, gefühlt 200 Franken.

Der Management-Entscheid an der Fleischtheke

Waldmeyer lief es kalt den Rücken hinunter, als er vor der Fleischtheke stand: Tatsächlich 100 Stutz für das Ribeye. Oder 200, ehrlich gerechnet. Nein, einmal ist Schluss. Waldmeyer musste nun einen Management-Entscheid fällen – und zwar verzögerungsfrei. Er machte sofort drei Optionen aus. Option eins: Ribeye-Portionen verkleinern, also magere «Lady’s Cuts». Option zwei: ein Downgrading (Huft?). Option drei: doch noch zum Denner rüber (Angus-Aktion, hatte er gestern in der Werbung gesehen)?

Als Waldmeyer seine Einkäufe in der Küche ablieferte, versuchte er Charlotte seine Brutto-Netto-Theorie zu erklären. «Weisst du, das Ribeye war brutto bei 200 Stutz, aber die Bratwürste sind doch auch ok, nicht?». Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer und überall ist China drin

Seit Jahren dominiert China die Massenproduktion von technologisch relevanten Gütern. Der Westen versucht dies auszubremsen, zumal gleichzeitig Spionageverdacht besteht. Waldmeyer überlegt: Vielleicht wird auch er ausspioniert?

Die USA wollen eindämmen

Insbesondere die USA versuchen die Importflut aus China einzudämmen und die Produktion wichtiger Industrien zurückzuholen. Es gelingt ihnen aber nicht, einen vergleichbaren Aufbau an breiter technologischer Entwicklung hinzukriegen. Es geht um die Chip-Produktion, um intelligente Industriegüter, Elektroautos, Batterien, Solarpanels und vieles mehr. Aber letztlich auch um digitalbasierte Konsumgüter.

Rund 40 neue Fahrzeughersteller zählt China inzwischen. Das Land gibt sich «technologieoffen» – das heisst, dass verschiedene Antriebsarten forciert werden. Dabei verfügt China heute insbesondere bei den elektrischen Fahrzeugen über einen respektablen Vorsprung. Die USA belegen nun Elektrofahrzeuge aus China mit einem Strafzoll von sage und schreibe 100 Prozent. Der Vorwurf des „Dumpings“ wird erhoben, dieser gilt indessen als umstritten. Vielleicht ist China einfach besser?

Auch gegen TikTok versuchen die Staaten vorzugehen, ebenso gegen Onlineanbieter, welche immer erfolgreicher werden.

Auch die EU blockt ab

Unsere EU-Kinderärztin, Frau von der Leyen, implementiert für China ebenso Strafzölle, da China Europa mit «Dumpingpreisen schade». Bei den Elektrofahrzeugen hat die EU bereits nachgezogen und rund 30% Strafzoll verfügt – alles nur zum Schutz der heimischen Industrie. Dieser Industrie wurde schon vor einigen Jahren, von deutschen Staatsgnaden und zwangsweise, eine Technologiewende verabreicht: nur noch elektrisch war angesagt. Kein Wunder, hat die deutsche Industrie so die konventionelle Technologieentwicklung verpasst. Kommt hinzu, dass Elektroautos nun mal keine Seele mehr haben: Die unterscheidenden emotionalen Merkmale von Motor und Getriebe entfallen. Elektrofahrzeuge haben nur noch eine neutrale, mehr oder weniger gemeinsame DNA, weshalb man künftig irgendeine Karre kaufen könnte. Ein wichtiger Teil der Marke ist weg. Ja, so schafft man sich schleichend ab. Kein Wunder, sind nun in der Not protektionistische Lösungen angesagt.

Soll Waldmeyer einen chinesischen BYD kaufen?

Waldmeyer schaute sich die chinesischen Autoprospekte an, so von BYD, der zurzeit wohl erfolgreichsten chinesischen Automarke. Die Emil Frey-Gruppe hat sich bereits den Import für die Schweiz gesichert. BYD ist die Abkürzung für «Build Your Dream». Schon in den 60er Jahren hatte Emil Frey die Nase vorn, als es um den Import von Toyota ging. Damals hatten noch alle die Nase gerümpft. Einen Japaner fahren…? Nur wenige Jahre zuvor schlichen sich Waldmeyers Eltern noch verstohlen in die Migros – das war, zu jener Zeit, ebenso wenig opportun, wie eine «Reisschüssel» zu fahren. Und jetzt also die chinesischen Autos? Das passt gar nicht ins Bild des SVP-Parteigängers Walter Frey, wehrt sich die SVP doch gegen alles «Ausländische». Aber Walter Frey hat recht: Die Chinesen werden den Markt eh erobern, also sollte man lieber dabei sein. If you can’t beat them, join them.

Man kann die Importe nicht aufhalten

Tatsache ist: Wir werden die Importe nicht aufhalten können. China ist in vielen Belangen einfach wettbewerbsfähiger. Ein Blick in freie Märkte (so z.B. in die Golfstaaten) spricht Bände: Das Strassenbild dort ist heute nicht wiederzuerkennen. Eine Unzahl an neuen, unbekannten Gefährten säumt die Strasse, mit gutem Design, oft elektrisch betrieben. Sie stammen alle aus China. Und sie sind unglaublich günstig, weshalb sie erst recht gekauft werden.

Protektionismus ist die schlimmste Reaktion auf eine erfolgreiche Konkurrenz. Die Geschichte zeigt, dass man damit in der Regel technologisch nur noch stärker zurückgeworfen wird. Es sei an die Episode erinnert, als am Ende des 19. Jahrhunderts Grossbritannien die erfolgreichen deutschen Produkte abzustrafen versuchte, indem sie per Gesetz mit einem Label «Made in Germany» versehen werden mussten. Leider erwies sich diese Strafbezeichnung als ein hervorragendes Marketinginstrument, denn alsbald begriffen die Briten, dass die solchermassen bezeichneten Produkte einfach besser waren – und kauften „Made in Germany“ umso mehr.

Und überall ist China drin

«Die Chinesen sind eh schon hier», meinte Charlotte zu Waldmeyer. «Dein Handy wurde in China produziert, die Musikanlage auch, die Überwachungskameras ebenso. Auch der Toaster, der Föhn, der Kühlschrank. Und wohl die Hälfte deines Porsches.»

Stimmt. Auf dem Foodcenter in Waldmeyers Küche steht zwar «Bosch», auf dem Backofen «Siemens». Deutsche Wertarbeit? Ein Blick auf die Rückseite der Geräte deckt sofort die Wahrheit auf: In der Regel kommen diese Geräte aus China.

Damit kann sich Waldmeyer allenfalls abfinden. Was ihn indessen immer wieder beunruhigt, ist der Verdacht, dass China mittels dieser Technologien Spionage betreibt. Deshalb verbieten die USA und andere westliche Länder beispielsweise Huawei, ein Leader in der Kommunikationstechnologie.

Wird Waldmeyer ausspioniert?

Waldmeyer lag im Bett und gönnte sich etwas anspruchsvolle Literatur vor dem Einschlafen. So studierte er nochmals diese BYD-Prospekte. Wie wird das wohl mit diesen Autos sein? Wird der grosse gelbe Mann, Xi Jinping, künftig wissen, wann und wie schnell Waldmeyer seinen BYD in Meisterschwanden in den Coop runterfährt? Beunruhigend. Er legte den Prospekt auf die Seite und versuchte, einzuschlafen.

Plötzlich tönte ein Signal aus der Küche. Waldmeyer erhob sich von seinem Lager und stand vor dem Bosch-Kühlschrank. Dieser begann plötzlich zu sprechen, auf Englisch, aber mit einem unverkennbaren chinesischen Akzent: «Waldmeyel, tomollow you have to buy milk!» Waldmeyer erschrak. Also hatte Charlotte doch recht: Sie sind schon hier!!! Waldmeyer zog kurzerhand den Stecker dieses Spionagegerätes und schlief alsbald den Schlaf des Gerechten.

Dass sich am nächsten Morgen Charlotte beklagte, dass der Kühlschrank mitsamt dem Gefrierteil in einer Pfütze stand, war nachvollziehbar. «Ich kann dir alles erklären, Charlotte», gestand Waldmeyer, «aber das Gerät hat in der Nacht plötzlich mit mir gesprochen!»

Charlotte antwortete, nun doch etwas besorgt: «Klar, Max, und mich hat gestern Nacht der Papst angerufen».

Waldmeyer und das Ende der Wokeness

Waldmeyer hat überhaupt kein Problem mit Gleichstellungen. Oder Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Ausser, beispielsweise, mit militanten Feminist:innen. Aber vielleicht ist der Trend schon wieder am Abklingen?

 

Hatte vielleicht Ex-Bundesrat Berset an der Street Parade letzten Jahres tatsächlich geholfen, das Ende der Bewegung einzuläuten? Könnte diese spätestens schon dann den Marketingtod gestorben sein? Alain Bersets Auftritt war dermassen inklusiv, dass es schon peinlich war. Wenn ein Chefminister da mitmacht, so könnte man meinen, sind eigentlich schon alle Ziele einer Bewegung erreicht. Kein Wunder, war auch die Teilnehmerzahl an der diesjährigen Zurich Pride deutlich geringer.

Der Wokeness-Bewegung ergeht es wie den Gewerkschaften

Es ist wie bei den Gewerkschaften: Wofür kämpfen die eigentlich noch in der Schweiz? Alle wichtigen Ziele der «Arbeiterschaft», falls es eine solche heute überhaupt noch gibt, sind in unserem Land erreicht worden. Natürlich kann man noch für eine 35-Stunden-Woche kämpfen, für 100% Homeoffice für alle oder für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber die wichtigen Meilensteine der «Arbeitenden» sind wohl erreicht. Also konzentriert man sich auf neue Themen, so auf den Ausbau der AHV, die Verbilligung von Krankenkassenprämien und anderes. Kostenpunkt: jeweils Milliarden.

Jetzt geht es weiter mit Finetuning

So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass ein Angestellter einer deutschen Firma, welcher in Basel ein Fenster einsetzt, am selben Arbeitstag auch den Schweizer Tagesspesen-Ansatz erhält – und nicht den deutschen. Andernfalls wird, so in den Augen der Gewerkschaft Unia beispielsweise, «der Markt verzerrt». Also wird man notfalls unseren neuen Vertrag mit der EU bodigen.

Waldmeyer hat in seinem Berufsleben erkannt, dass der Markt meistens dann verzerrt wird, wenn er nicht spielen darf. Wenn der Staat mittels Mikromanagement an den Stellschrauben dreht. Solche Minithemen werden von unseren Gewerkschaften als letzte Strohhalme bewirtschaftet. Und sie sind eben dermassen wichtig, dass sie damit sogar ein Schweizer EU-Abkommen opfern würden.

Das Ablaufdatum ist gesetzt

Die Gewerkschaften haben also ein Ablaufdatum. Und so ist es auch bei der Wokeness: Das «Aufwachen» und die «Awareness», dass es noch andere Ansichten, Gesellschaftsformen und Genderformen gibt, sind ja bei uns angekommen. Sogar bei Waldmeyer. Und wenn es bei Waldmeyer angekommen ist, letztlich zwar ein aufmerksamer, aber doch eher bürgerlicher Beobachter des Geschehens, dann sollte der Fall eigentlich erledigt sein.

Aber es geht natürlich um mehr: Wokeness ist Opposition. Es hat ein Eigenleben, welches in der Aussenwirkung als cool wahrgenommen werden soll. Allerdings verselbständigt es sich nun, insbesondere bei Behörden, fundamentalistischen Parteien, Politikern etc.

 

Waldmeyer pflegt seine eigene Opposition

Waldmeyer hat inzwischen seine eigene Opposition entwickelt: Er wird sich beispielsweise kein Lastenrad zulegen. Er wird sein Geschlecht nicht ändern. Er hängt an seiner Villa in Meisterschwanden keine Regenbogen-Fahne auf. Er wird seinen künftigen Enkeln aus einem Winnetou-Band vorlesen. Alles wichtige Einzelentscheide.

Und Waldmeyer geht weiter: Er liest zum Beispiel Zeitungsartikel nicht zu Ende, sobald eine dieser dämlich inklusiven Schrift:formen auftritt. Und er bricht die Lektüre eines Artikels blitzartig ab, wenn anstelle der allgemeinen Form nur die feminine Form verwendet wird. Wenn eine fundamental-feministische Journalistin nur die weibliche Form (z.B. «Pilotinnen») stellvertretend für alle Piloten (gemeint sind offenbar PilotInnen) verwendet, ist das Mass für ihn jeweils voll. In solchen Fällen liest Waldmeyer den Satz nochmals durch, ob er vielleicht etwas falsch verstanden hat. Anschliessend überprüft er den Kontext nochmals. Dann kontrolliert er, wer den Artikel verbrochen hat. Ist der Name des Journalisten (der Journalistin) feminin, ist der Fall klar. Ein kurzer Wikipedia-Besuch oder eine kleine Google-Recherche betreffend die Person (Person_in?) bringt es i.d.R. an den Tag: Diese Person (wieso eigentlich nicht der oder dasPerson?) steht oft vermurkst in der gesellschaftspolitischen Landschaft. Nein, Waldmeyer macht da nicht mit, bei dieser Geschlechtsumwandlung der deutschen Sprache.

Die inklusive Schreibweise ist total verkrampft

Die inklusive Schreibweise ist natürlich nur der Ausdruck eines verkrampften inklusiven Verhaltens – welches in der Regel vollkommen inkonsequent ist. Wieso spricht denn niemand von «Mörderinnen», wenn es allgemein um Mörder geht? Oder zumindest von «Mörder:innen» oder ähnlich. Oder – das wäre das Minimum – von «Mörderinnen und Mördern». Waldmeyer findet es schon auffällig und ungerecht, dass gerade negativ besetzte Berufe, so eben jener des Mörders, auch jener des Einbrechers oder des Terroristen, vorab nur in der männlichen Form erscheinen. Waldmeyer findet es zudem schade, dass bei der Form des Binnen-I (so bei PilotInnen) mitten im Wort bei dessen Aussprache nicht nur kurz innegehalten wird, sondern dass auf den Knacklaut, welcher ursprünglich angedacht war, verzichtet wird. (Ja, die feministisch maximal durchtränkte Sprachwissenschaftlerin Louise Pusch hatte 1985 einen solchen Knacklaut, just bei der Artikulierung des Binnen-Is, tatsächlich vorgeschlagen.)

Wokeness mangels echter Probleme?

Die Bewegung der Wokeness konnte sich wohl nur etablieren, weil die ganz grossen Probleme der Gesellschaft offenbar gelöst sind? Oder liegen diese nur zu weit weg? Oder können sie gar nicht gelöst werden? Oder werden sie nicht verstanden? Waldmeyer denkt an die Fragen der Entwicklung des weltweiten Klimas, an die geopolitischen Veränderungen, an die ungelösten Energiefragen. Es geht dabei nicht einmal um die Dürre in der Sahelzone – denn davon sind wir nicht unmittelbar betroffen. Aber selbst, wenn wir uns nur auf nahe Probleme in unserer Gesellschaft konzentrieren, stellen wir fest, dass diese alles andere als gelöst sind. Zum Beispiel das Damoklesschwert der Demografie-Entwicklung: Wir werden immer älter, die Altersversorgung kann nicht mehr finanziert werden, die Gesundheitskosten laufen aus dem Ruder etc.

Die Wölfe sind wichtiger

Diese echten Probleme sind offenbar viel zu kompliziert. Die Wohlstandsfalle gebietet es nämlich, dass wir, möglichst von der sozialen Hängematte aus, uns um nahe Probleme kümmern. Es geht also um die Diskussion um Wolfsabschüsse (doch, doch, auch dies ist Wokeness, denn die Biodiversität, das Recht auf Leben für alle usw. müssen in die woke Denke einbezogen werden). Es geht auch darum, dass in gewissen Schweizer Städten die Behörden den Bau von drei Toiletten für die Kindergartenstufe vorschreiben (männlich, weiblich, divers). Natürlich ist es den Fünf- und Sechsjährigen sch…egal, auf welchen Topf sie gehen. Aber den verqueren Behördenvertretern, zumeist noch nie gestählt in der normalen Welt draussen und seit je am Tropf des Staates hängend, ist es wichtig, den Kleinen schon frühzeitig zu suggerieren, dass sie vielleicht ein Problem mit dem eigenen Geschlecht haben könnten.

Hafermilch ist auch woke

Tempo 30-Zonen müssen errichtet werden, um die Luftsäule über der entsprechenden Strasse zu retten (und damit das Weltklima), Verkehr und Energie müssen auf Teufel komm raus auf elektrisch umgestellt werden, obwohl die saubere Energie dazu gar nicht vorhanden ist, Themen der «kulturellen Aneignung» bewegen uns enorm (Winnetou geht nicht mehr, auch Dreadlocks sollten wir nicht tragen usw.). Zum Wokesein gehört auch die bedingungslose Unterstützung der palästinensischen Bewegung. Vegansein (oder zumindest ein vegetarisches Leben) sind ebenso hilfreich für die positive Aussenwirkung eines generell woken Images. Hafermilch zum Beispiel weist einen besseren CO2-Abdruck auf als herkömmliche Milch. Deshalb ist Hafermilch heute woke.

Oder ist Wokeness doch noch nicht am Abklingen?

Aber nun scheint sich der Wind etwas zu drehen: Wir haben genug von Klimaklebern, für die offenbar bis vor kurzem andere Demokratieregeln galten. Grüne Politiker_innen werden abgewählt, und strenge pazifistische Ansichten erscheinen heute als Schimäre – angesichts weltweiter Annexions- und Terrorbedrohungen.

Aber vielleicht greift Waldmeyer da etwas vor? Ist das mit dem Abklingen der Wokeness nur ein erstes Signal und noch kein Trend? Waldmeyer blickte auf sein blinkendes iPhone mit der Textnachricht von Charlotte: «Bringst du dann noch Hafermilch mit aus dem Bioladen, Schatz?»

Waldmeyer und die Kraft des Montags

Waldmeyer mag den Montag. Das hat allerdings einen speziellen Grund, welcher sich klar abhebt von demjenigen der Gewerkschaften oder Linksparteien. Dort hat die Woche fünf Montage.

Waldmeyer steuerte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Office. Die Strasse war an diesem Montag nahezu leer. Ob wohl alle im Homeoffice sassen? Draussen, also rund um seinen schweren Achtzylinder herum, war wunderbar Frühling, die Sonne schien. Waldmeyer blinzelte und setzte seine alte Ray-Ban auf. Sein Fahrzeug verfügt noch über eine CD-Anlage, also legte er „Monday, Monday“ ein (1966). Herrlich, so ein Montag. Charlotte hatte ihn frühmorgens noch daran erinnert, dass heute eigentlich Pfingstmontag sei, aber er wollte gar nicht erst hinhören.

Warum sollte ein Montag schlecht sein?

Waldmeyer begriff nicht, was an einem Montag denn schlecht sein sollte. In den Augen der Gewerkschaften, beispielsweise, ist ein Montag ein grottenschlechter Tag, weil der Montag Arbeit bedeutet, und Arbeit bedeutet Ausbeutung. Vor allem im Übergang vom wohlverdienten Sonntag zum Montag entsteht so ein besonders schlechtes Gefühl. In der kognitiven Wahrnehmung der Gewerkschaften hat eine Arbeitswoche, gefühlt, nur Montage, also deren fünf – und ungerechterweise nur zwei schöne richtig freie Tage. Montage sind einfach unbeliebt. Es gibt deren zu viele und jeder einzelne Montag dauert zu lange. Noch besser sind Ferienwochen. Aber auch davon gibt es zu wenig. Wir arbeiten einfach zu viel.

Amerikaner arbeiten gut 1800 Stunden im Jahr, Schweizer etwa 1500, die Deutschen nochmals rund 200 weniger. Letztere mühen sich an mindestens zwei, bzw. fünf (echten) Montagen weniger ab als Schweizer, bzw. Amerikaner. Sie sind deshalb aber nicht glücklicher.

Der schale Montagsgeschmack

So oder so hat sich die Montagszählung verwischt, seit die westliche Welt das Homeoffice erfunden hat. Auch der Freitag hatte bisher diesen schalen Montagsgeschmack, nicht nur der echte Montag: An beiden Tagen geht man nicht gerne zur Arbeit und versucht heute deshalb, diese als Homeoffice rauszuschlagen. Homeoffice ist ja, gefühlt, wie ein halber freier Tag. Die Deutschen kennen übrigens den Freitag schon lange als ein Fake-Arbeitstag, denn um 12:00 ist i. d. R. Schluss. Somit, de facto, eigentlich am Donnerstagabend. Waldmeyer weiss von seinen Geschäftsfreunden in der Bundesrepublik, dass sich die Chefs dort besonders unbeliebt machen, wenn sie auf Freitagmorgen noch eine Teams-Sitzung anberaumen, um die überall im Homeoffice herumlungernden Mitarbeiter zusammenzutrommeln. Das stört natürlich enorm.

Deutsche sind Weltmeister im Montagverdrängen

Die Deutschen sind in der Arbeitsverdrängung also fast am weitesten. Die Reduktion der Arbeitsstunden hat dazu geführt, dass das Land immer weniger wettbewerbsfähig wurde und der Fachkräftemangel sich noch akzentuierte. Empfindungsmässig wurden so ungeliebte Montage vernichtet, eine Woche hat nun, in der teutonischen Wahrnehmung, einfach mehr Donnerstage, ein paar Mittwoche vielleicht noch, und schon ist wieder Wochenende.

Wir in der Schweiz sind noch nicht auf diesem Level. Jedoch fordern unsere Gewerkschaften mantramässig eine Reduktion der Arbeitsstunden, mehr Ferientage, mehr Mutterschafts- und Vaterschaftstage. Städtische und kantonale Verwaltungen sind als Arbeitgeber:innen deshalb besonders fortschrittlich und beliebt, deren Grosszügigkeit wird einfach auf dem Buckel der Steuerzahler abgeladen, und die Privatwirtschaft verliert als Arbeitgeberin so an Wettbewerb.

Die hohe Schule: neun Montags-freie Tage

Die jungen Grünen haben erst kürzlich, neben einem Komplettumbau von Wirtschaft und Gesellschaft, eine 24-Stunden-Woche angedacht, und echte Feministinnen fordern freie Menstruationstage. Behörden haben diese teilweise bereits eingeführt, so sind in gewissen Kantonen drei freie Mens-Tage eigentlich fix eingeplant (in der Stadt Zürich sind es gar fünf). In den Genuss kommen bekanntlich nicht nur Frauen, sondern, gendergerecht, alle «menstruierenden Personen».

Eine in der Mens zu liegen kommende optimale Arbeitswoche einer städtischen Angestellten in Fribourg beispielsweise sieht so aus: Montag und Freitag Homeoffice, Dienstag bis Donnerstag Menstruation. Die gefühlte Arbeitswoche ist also an einem Donnerstagabend zu Ende und beginnt erst wieder am Dienstag in der übernächsten Woche! Das sind neun Tage hintereinander ohne Montagsgefühl.

Wir sind auf dem besten Weg, künftig weniger Präsenz zeigen zu müssen und letztlich auch weniger zu arbeiten. Und wir schaffen den Montag ab.

Weniger arbeiten kann teuer werden

Leider verteuert sich damit unsere Wertschöpfung. Natürlich könnte man gewissen Kreisen folgen, welche darzulegen versuchen, dass ein Mensch viel produktiver ist, wenn er eine Viertagewoche hat. Numerisch geht das leider nicht auf, vor allem, wenn er dann für die vier Tage noch den vollen Lohn erhält. Wenn das mit der Steigerung der Produktivität so einfach wäre, hätten clevere Arbeitgeber schon lange auf eine Reduktion der Arbeitszeiten gedrängt. Haben sie aber nicht, denn sie wissen, dass sich die Produktivität (abgesehen von der Motivation oder dem Umfeld) nun mal darin misst, zu welchen Kosten und mit welchem Zeiteinsatz eine Leistung erbracht wird – welche sich dann zum entsprechenden Gestehungspreis auf dem Markt absetzen lässt.

Montage sind auch ein Generationenproblem

Immerhin arbeiten die Schweizer, laut Umfragen, einigermassen gerne. Bei der Generation Z ist sich Waldmeyer diesbezüglich nicht so sicher, diese Generation steht ja unter grossem Druck, offenbar leiden auch viele der Jungen an Depressionen. Also wird um schonendes Anhalten gebeten. Die noch jüngere Generation Alpha macht Waldmeyer zusätzlich Sorgen: Sie sei nur noch mit sich selbst beschäftigt, noch fragiler und kommuniziere nur noch spärlich. Oder nur noch mit dem Handy oder via soziale Medien. Da kommen also schwierige Zeiten auf uns zu. Waldmeyer hofft deshalb auf die Generation Beta, welche ab 2025 das Licht der Welt erblicken wird. Wenn sie einmal da ist, wird diese bestimmt grosse Freude an der Arbeit entwickeln, sich kaum mehr für die sozialen Medien interessieren und laufend Extra Miles erbringen. Vielleicht.

Waldmeyers Kraft des Montags

Aber zurück zu Waldmeyers Montage. Eine Woche später, nach Pfingsten und dem wunderbar ruhigen Montag im Office, hatte Waldmeyer Charlotte versprochen, am Sonntag endlich die Garage aufzuräumen. Aber er wird sein Versprechen leider nicht einhalten können, es sind ein paar wichtige Calls mit der Firma dazwischengekommen – trotz Sonntag. Und Waldmeyer freut sich schon jetzt, sich am Montag dann wieder ins Büro absetzen zu können. Da wird er den ganzen Tag kaum gestört und kann in Ruhe wichtigen Dingen nachgehen. Man würde ihn zwar nicht vermissen im Office, aber er würde das Office vermissen.

Auch Waldmeyers Woche hat manchmal fünf Montage. Aber er hat die Montage eben ganz gern.

Waldmeyer verarbeitet den European Song Contest

Waldmeyer nahm sich vor, den ESC anzuschauen. Einfach so, aus Neugierde. Auch, weil er diesen Nemo nicht verstand. Aber es lohnte sich, denn nun kam er in den Genuss einer wichtigen Erkenntnis!

Um es gleich vorwegzunehmen: Mit Singen hatte der Event, in den Augen Waldmeyers, ziemlich wenig zu tun. Schon nach wenigen dieser obskuren Darbietungen schlief er deshalb ein.

Charlotte meinte: „Du hast die Finnen verpasst!“

Verblüffend schlechte Songs

Also schaute Waldmeyer die Finnen nach. Sein Fazit: Waldmeyer rät allen, die Finnen unbedingt anzuschauen! Der Leadsänger, der zudem gar nicht singen kann, ist nur mit einem dünnen T-Shirt bekleidet, ansonsten nackt – ja, füdliblutt. Am Ende der verwirrenden Show kommen an einem Seil die rettenden Shorts von der Bühnendecke runter. Halleluja.

Lettland verblüffte dagegen mit einem merkwürdigen Barden, Typ Yul Brynner, er trug einen glänzenden, königsblauen Neopren-Anzug mit Sixpack-Einlage. Und Irland präsentierte ein nicht-binäres Geisterwesen, Bambie, welches leider wirklich auch nicht singen konnte.

Israel kann singen

Der beste Beitrag, so Waldmeyers wie immer objektive Wahrnehmung, kam von dieser bezaubernden israelischen Sängerin. Sie konnte tatsächlich singen. Aber Israel wurde von allen Seiten boykottiert und drangsaliert. Unsere Greta Thunberg stand offenbar hinter verschiedenen Aktionen gegen Israel, auch einer gut organisierten Demo in Malmö. Dabei war es doch in den letzten Monaten wieder so angenehm ruhig geworden um Greta. Und nun dies… Ob die Palästinenser vielleicht die besseren Klimaschützer sind? Waldmeyer ist verwirrt.

Wir sehnen uns die Seventies zurück

Ziemlich peinlich präsentierte sich Grossbritannien: Eine offensichtlich gleichgeschlechtlich orientierte Männergang quälte sich, gutturale Urlaute ausstossend, in so was wie einer Gefängniszelle rum. Mit Bedauern erinnerte sich Waldmeyer an die grossartigen englischen Rock- und Popgrössen aus den Siebziger Jahren. Und nun dies – ein Jammer. Aber offenbar war diese Darbietung jetzt, 2024, das Beste, was UK liefern konnte?

Armenien überraschte mit einem hübschen Girl in einem (armenischen) Dirndl. Das lenkte zumindest von der Tatsache ab, dass auch dieser Song grottenschlecht war.

Kein einziger „Car Song“

Überhaupt, eigentlich waren fast alle Songs grottenschlecht. Waldmeyer würde keinen einzigen in seinem Auto hören. Zum Teil wäre dies sogar gefährlich, ja kaum zu verantworten: Der französische Beitrag beispielsweise war dermassen einschläfernd, dass man unweigerlich einen Unfall verursachen würde.

Nemo kann tatsächlich singen

In der Tat musste Waldmeyer anerkennen, dass dieser Nemo singen kann. Seine Gesangseinlagen mit den virtuosen Oktavenwechseln erinnerten Waldmeyer etwas an Rocky Horror Picture Show. Eigentlich war Waldmeyer ganz stolz auf die Schweiz. Number One! Und ja, dieser Kerl hat, zumindest gesangsmässig, eigentlich mitgeholfen, den ganzen Contest zu retten. Mit Schaudern erinnerte sich Waldmeyer an die unsägliche Gunvor Guggisberg – es war 1998: «Switzerland, zero points!»

Aber Nemo wird heute ja kaum wegen seinem Song gehypt. Das Nonbinäre kommt wohl stärker rüber. Ohne die rosa Strumpfhosen, ohne nonbinär zu sein und ohne diesen lustigen schwenkbaren Tanztisch mit den einigermassen gelungenen akrobatischen Einlagen wäre Nemo vielleicht bedeutungslos geblieben. Auch wenn er tatsächlich singen kann.

Es geht gar nicht ums Singen

Waldmeyer erkannte: Es geht also gar nicht ums Singen. Sondern um den Gesamteffekt. Und je heterosexueller, desto weniger erfolgreich. Nemo hat sogar einen besonderen Wettbewerbsvorteil, weil er sich nicht nur als nonbinär bezeichnet, sondern auch als „pansexuell“. Waldmeyer war neugierig und googelte. Pansexuelle sind nicht einfach kommune Bisexuelle, sondern öffnen ihr Spektrum und schliessen sämtliche sexuellen Ausprägungsformen ein – also auch alle feinen Zwischenformen, die man sich ausdenken darf.

Vielleicht gilt das nun generell in unserer Gesellschaft? Zumindest, dass Nonbinärsein in der Aussenwahrnehmung als etwas durchaus Erstrebenswertes gilt?

Waldmeyer startet eine Umfrage

Waldmeyer fragte seine Kinder, beide Anfang zwanzig, ob sie den ESC verfolgt hätten. „Spinnst du, Dad?“, meinten Noa und Lara wie aus der Pistole geschossen. Aber beide kennen Nemo, klar, und sie finden ihn ganz cool.

Waldmeyer fragte nun in seinem Bekanntenkreis nach. Aber niemand hatte den ESC richtig verfolgt. Bis auf die Mitschnitte in der Tagesschau, die hatte man mitbekommen. Waldmeyer empfahl allen, die er fragte, den Finnenbeitrag noch nachzuschauen.

Wo steckt die Zielgruppe?

Was nun unklar blieb: Wo versteckt sich denn die Zielgruppe für alle diese zum Teil seltsamen „Songs“? Waldmeyer fragte in seiner Nachbarschaft nach, so bei Freddy Honegger. Ohne Erfolg. Reto Sonderegger, sein Schwager, hatte beim ESC gleich weggezappt, sein Cousin Bruno Spirig (untergetaucht, wie wir wissen, auf der kanarischen Mini-Insel El Hierro) hatte, mangels TV-Programmen auf dem Eiland, nur die Spanier gesehen, offenbar mit einer ziemlich peinlichen Performance. Nemo hatte er verpasst („Nemo der Fisch?“).

Nonbinär kommt einfach gut an

Waldmeyer war ratlos. Jemand hatte offenbar die ganze Zielgruppe gestohlen. Versteckte sie sich vielleicht hinter der Kassiererin im Volg oder dem Filialleiter des Baumarktes in Villmergen? Waldmeyer hatte auch die Poststellenleiterin in Wohlen (die mit dem Nasenring) in Verdacht. Auch Gaberthuler, Waldmeyers nerviger Steuerkommissär in Meisterschwanden, könnte ebenso gut ins ESC-Publikum passen. Ja, es muss sie eben doch geben, diese Zielgruppe. Vielleicht unbemerkt – oder gar heimlich!

Wie dem auch sei, nonbinär kommt zumindest gut an, soweit Waldmeyers ESC-Konklusion. Waldmeyer hat überhaupt nichts dagegen, wenn einer einen Rock tragen möchte. Und wenn sich jemand nonbinär fühlt, geht das selbstredend auch in Ordnung. Jeder soll eben machen und denken, was ihm beliebt – solange unser Gesellschaftssystem nicht wirklich gestört wird.

Waldmeyer versteht den Hype nicht

Aber Waldmeyer versteht diesen Hype einfach nicht, der um das ganze Thema gemacht wird. Zudem erscheint es seltsam, dass einem zusehends Skepsis entgegenschwappt, wenn man keine Regebogenflagge schwenkt. Merkwürdig ist auch, dass Nonbinärsein in der neuen Welt offenbar einen höheren Anerkennungswert hat als profanes Binärsein.

Vielleicht wäre es also einen Test wert, etwas nonbinär zu spielen und damit in der sozialen Wahrnehmung aufzusteigen?

Waldmeyer könnte, nur beispielsweise, einen Tanz- und Gesangskurs belegen. Nur schon die Absicht allein würde ihm vielleicht viele Credits einbringen.

Waldmeyer zieht es durch

Wie so oft, beliess es Waldmeyer allerdings nicht beim Konjunktiv. Er fuhr kurz entschlossen nach Zürich, zu diesem Kurs. Und als er, zurück von dem Lehrgang, seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch), wieder vor seiner Garage parkte und mit einem eleganten Hüpfer das Cockpit verlassen wollte, verfing sich sein Rüschenrock an der Türschwelle. Leider schaute gerade Freddy Honegger über den Zaun. „Ich kann dir alles erklären, Freddy“, kam Waldmeyer dem entgeistert blickenden Honegger zuvor und verschwand mit seinen pinkfarbenen Strumpfhosen blitzartig im Haus.

Dort blickte ihm Noa bereits anerkennend entgegen: „Der Glitter im Gesicht steht dir super, Dad!“

Waldmeyer atmete erleichtert auf. Es schien zu funktionieren: Zumindest bei der jungen Generation schien sein neuer Look gut anzukommen!

Waldmeyer und die neuen Gebietsansprüche

In den Augen einiger Staatsführer wird die Geschichte manchmal «falsch» geschrieben. So gehörte Alaska einst zu Russland. Parlamentarier in Russland forderten deshalb kürzlich die Annexion Alaskas. Waldmeyer denkt nun an eine „Gross-Schweiz“.

Waldmeyer fand es vordergründig ganz amüsant: Da forderten doch russische Parlamentarier kürzlich die Annexion Alaskas. Der US-Staat liegt nur 90 Kilometer von Russland entfernt, getrennt durch die Beringsee. Eine Annexion könnte also geografisch Sinn machen, zumal sich in Alaska allerlei interessante Rohstoffe befinden. Ein Blick Waldmeyers auf die Karte untermauerte die Idee zusätzlich: Alaska liegt näher an Russland als an den USA. Denn zwischen den USA und ihrem nördlichsten Staat liegt noch Kanada, Alaska ist also nur eine lächerliche Exklave, und sie zählt nicht einmal eine Million Einwohner. Allerdings hätte die Schweiz glatt 40-mal Platz in deren Landfläche. Die 1867 von den USA an Russland bezahlten 7.2 Millionen US-Dollar für den kargen Landstrich waren nicht viel. Kein Wunder, ärgert sich Russland heute.

Die Ansprüche werden immer dreister

Hintergründig allerdings stimmen solche auf den ersten Blick ganz amüsante Forderungen nachdenklich. Die Hegemonie-Ansprüche der Ex-Sowjetunion werden immer dreister. Die Alaska-Note kommt dem Kremlherrn indessen wohl gar nicht gelegen. Das rechtskonservative republikanische Alaska könnte so vielleicht aufwachen. Wir erinnern uns an die unsägliche Sarah Palin (Ex-Gouverneurin von Alaska), sie kandidierte auch schon mal als US-Vizepräsidentin, eine stramme Trump-Followerin. Solche Leute, welche die geopolitische Lage gerne verharmlosen, Verschwörungstheorien nachhängen und die Ukraine-Unterstützung nur als unnütze Geldverschwendung betrachten, könnten nun aufgeschreckt werden. Denn die Gebietsansprüche Russlands rücken offenbar immer näher!

Wenn die «Alasker» zu Russen werden

Aber vielleicht wäre alles gar nicht so tragisch, wenn Alaska nun russisch würde? Die Menschen in dem dünnbesiedelten Gebiet würden es vielleicht gar nicht bemerken. Sie würden einfach weiter mit ihren Pickups durch die Wälder cruisen, die Eskimos würden sich immer noch Lebertran zuführen, und die Mosquitos würden im Sommer immer noch gleich stechen. Vielleicht würde die Bevölkerung von Whisky auf Wodka umstellen – allenfalls der grösste Kulturwandel – bzw. eine unbemerkt verlaufende kulturelle Aneigung? Und die Einwohner würden eventuell gar nicht bemerken, dass nun eine neue Flagge auf den Behördengebäuden weht.

Aber es geht natürlich ums Prinzip: Es kann einfach nicht angehen, dass man sich fremde Länder krallt. Oder nur schon daran denkt. Oder es artikuliert.

Retteten die Schweizer die USA vor einer russischen Kolonialisierung?

1812 wurde mit Fort Ross in Kalifornien eine russische Kolonie aufgebaut. Es war wohl ein visionärer Entscheid des Zaren, nicht nur in Alaska Stützpunkte zu errichten, sondern auch weiter südlich. Waldmeyer forschte weiter in den Annalen: Der Schweizer Johann Sutter gründete 1839 in Kalifornien Neu-Helvetien. 1841 kaufte Sutter den Russen dieses merkwürdige Fort Ross ab. Vielleicht verhinderte er so die weitere russische Expansion im Land? Hätte er es nicht getan, hätten sich die Russen vielleicht rasant ausgebreitet – so wie sie heute die Ukraine «befreien». Man sollte sich vergegenwärtigen, dass ohne Sutter heute vielleicht Präsident Putin von Amerika seinen Kollegen Biden (welcher eine bescheidene Rumpf-USA führt) auf Camp David empfangen würde!

Früher annektierten auch die USA

Als 1845 Mexiko das Kaufangebot der USA für Niederkalifornien ablehnte, annektierten die USA kurzerhand den Rest Kaliforniens, und das ehemalige „Neuspanien“ wurde in den amerikanischen Staatenbund integriert. Das alles wäre bedeutend schwieriger geworden, wenn Sutter mit seinem Aufkauf des russischen Fort Ross nicht so umsichtig gehandelt hätte. Ja, die Geschichte der USA hätte vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen. Waldmeyer ist stolz auf Sutter. Wenn Kalifornien heute auch nicht helvetisch ist, so doch immerhin amerikanisch. Besser als russisch.

Grönland kaufen, Puerto Rico verkaufen

Wir kennen die ganz lustige Geschichte von Präsident Trump. Er fragte seine Leute allen Ernstes, ob man denn Grönland nicht kaufen könnte. Als ehemaliger, wenn auch ziemlich windiger Immobilienmogul sah er das zu Dänemark gehörende Gebiet wohl einfach als lohnenswertes Objekt in seinem Länder-Portfolio. Mit den 60’000 Einwohnern würde man schon klarkommen, und dann könnte man endlich die fetten Bodenschätze richtig abbauen. Grönland gehört rein geografisch zur amerikanischen Kontinentalplatte – wäre also ein Kauf gar nicht so abwegig gewesen?

Der Mann mit den einst orangen Haaren wollte zur gleichen Zeit Puerto Rico verkaufen. Die karibische Insel ist ein Aussengebiet der USA, de facto eine «Kolonie». Aber leider äusserst defizitär. Kein Wunder, denkt man da an einen Verkauf! Natürlich kam es nicht dazu.

Venezuela möchte einen Teil Guyanas annektieren

Präsident Maduro (Ex-Busfahrer) möchte nun den Grossteil seines Nachbarstaates annektieren. In Guyana liegen ungemein grosse Erdöl-Reserven. Grund genug also, solche Pläne zu schmieden. Er liess die Leute dazu fairerweise abstimmen. Allerdings nur die Bürger in Venezuela. Was Waldmeyer auffällt: Geplante Annexionen dürfen heute offenbar global kommuniziert werden.

China möchte auch expandieren

China schielt bekanntlich nach Taiwan – aus einer subjektiven historischen Ableitung. Allerdings gehörte Taiwan seit weit über 100 Jahren gar nicht mehr zu China, und bis 1945 war es eine japanische Kolonie. Aber wenn man die Historie genügend lange zurechtbiegt, kann sich plötzlich ein gewisses Verständnis für sie ergeben. Zusätzlich reklamiert China noch ein paar Inseln für sich, vor allem im südchinesischen Meer. Die gehören zwar den Philippinen und anderen Staaten in der Region – aber was soll’s. Im Notfall baut man Inseln: So schüttet China laufend mehr oder weniger herrenlose Atolle zu richtigen Inseln auf. Dort werden dann Landebahnen errichtet – vielleicht für touristische Zwecke…?

China hatte vor 50 Jahren die Mongolei annektiert; es denkt gar nicht daran, diese wieder in die Freiheit zu entlassen. Man muss die Dinge manchmal eben aussitzen. Die Zeit und die Geschichte arbeiten kostenlos für die, die sie gepachtet haben.

Wird Annexion zum Gentlemen’s Delikt?

Waldmeyer überlegte weiter: Wenn Annexionen ganz «normal» werden, könnte das eventuell einreissen und weitere Staaten auf den Plan rufen, sich ein bisschen auszubreiten. Werden Annexionen ganz einfach zum Gentlemen’s Delikt?

«Wir sollten vielleicht auch etwas expandieren, Charlotte. Wenn das so einfach ist, könnte sich auch die Schweiz ein bisschen ausbreiten!» Tatsächlich wird es ja langsam eng bei uns. Unsere neue Bundesrätin, die ausgebildete Sozialhelferin und Schwarznasen-Halterin Elisabeth Baume-Schneider sprach kürzlich von der «12-Millionen-Schweiz». Ja, wir sollten uns Gedanken machen, wie wir künftig alle unterbringen können.

Doch zurück zur Geopolitik: Die Ukraine-Annexion verlief bekanntlich nicht so geschmeidig. Zuvor, 2014, als die Krim annektiert wurde, mithin ein Gebiet von der Grösse der halben Schweiz, passierte nicht viel. Man liess das Russland mehr oder weniger durchgehen, ein paar Sanktionen folgten – aber nicht mehr. Heute bereitet Putin das Ukraine-Abenteuer seit 2022 natürlich Kopfzerbrechen.

Annexion gab es schon immer

Annexionen sind ja nicht neu. Sie beherrschen die Geschichte jedes Zeitalters, das wir rückblickend kennen. Besonders aktiv war die Menschheit während der Kolonialzeit. Briten, Franzosen, Spanier und Portugiesen waren besonders erfolgreich in der Einverleibung weltweiter Gebiete. Auch die Holländer oder die Belgier holten sich ein paar ferne Inseln oder Länder. Die Deutschen waren da weniger produktiv, was sie bekanntlich in zwei späteren Weltkriegen wettzumachen versuchten – mit einem desaströsen Ausgang, wie wir wissen.

Auch die Schweiz könnte expandieren

Doch man müsste ja nicht immer die Kavallerie ausreiten lassen, überlegte Waldmeyer. Man könnte auch durch Überzeugung kolonialisieren – oder eben annektieren. Oder «eingemeinden», was sich besser anhört. Das Elsass beispielweise könnte zur Schweiz gehören, die Leute sind uns ziemlich ähnlich. Und dort gibt es noch weite, leere Gegenden – genügend Platz für die Ansiedelung neuer Fachkräfte oder den Bau von Asylantenheimen. Auch die Baden-Württemberger und die Bayern könnten sich uns anschliessen. Die Südtiroler und die Vorarlberger eh. Bei Savoyen ist sich Waldmeyer nicht ganz sicher, der französische Sozialstaat hat sie über die letzten Dezennien ziemlich verdorben. Auch betreffend Norditalien müssten wir vorsichtig sein, aber zumindest bis nach Turin und Mailand runter unterscheidet sich der Volksschlag kaum von den Tessinern.

Die neue Alpenrepublik hat 40 Millionen Einwohner

In der Summe käme so, mit der Aufnahme der aufgezählten Gebiete, eine tolle neue Alpenrepublik zusammen, mit rund 40 Millionen Einwohnern. Es wäre ein wirtschaftliches Powerhouse. Nennen wir es «Gross-Schweiz». Unsere Bundesräte würden mit Ehrerbietung in Brüssel empfangen werden. Oder nein: Wir würden den EU-Leuten in Bern Audienzen anbieten, und sie würden bei uns hofieren.

Wir sollten die Leute in diesen Gebieten einfach abstimmen lassen. So könnte eine friedliche Annexion vonstattengehen. Die neue Alpenrepublik würde dann selbstredend von Bern aus regiert. Allerdings sollten wir diese Landstriche vorher nochmals einer genaueren Prüfung unterziehen, überlegte Waldmeyer.

«Charlotte, wolltest du nicht wieder mal in Colmar Fois gras essen?» Charlotte antwortetet sofort: «Du weisst, ich esse keine Stopfleber. Mich gelüstet eher nach Trüffeln!»

«Du hast recht, lass uns ein Wochenende im Piemont verbringen. Ich muss da eh nächstens hin!»

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