Die Globalisierung wird nicht abnehmen, sondern zunehmen!

Oder was passiert, wenn China amerikanische Firmen klaut?

Schliesslich sei die Globalisierung an der wirtschaftlichen Misere schuld, welche die Pandemie hervorgerufen hat. In der Tat ist es offensichtlich, wie plötzlich unterbrochene Lieferketten zu punktuellen Engpässen führen konnten. Medikamente wurden knapp, medizinische Ausrüstungen fehlten. Auch im Supermarkt fehlten vorübergehend ein paar Artikel. „Das hat man nun von der Globalisierung.“ Die Pandemie wird zu einem Abgesang auf die Globalisierung führen, Industrien werden heimgeholt. Autonomie ist jetzt angesagt. Soweit viele Stimmen. Alles falsch: Es wird das Gegenteil eintreten, die Globalisierung wird weiter zunehmen! Und wer sich ihr entgegenstellt, wird verlieren.

Der nationale Egoismus nimmt zu

Zur offensichtlich gewordenen, grossen internationalen Abhängigkeit kommt hinzu, dass sich einzelne Staaten in der Krise plötzlich ziemlich egoistisch verhalten: Sie klauen einander Masken, horten Medikamente, kaufen sich bei Impfstofffirmen mit exklusiven Belieferungsverträgen ein. Die Grenzen werden ohne Absprache geschlossen, Risikogebiete zum Teil willkürlich definiert und Quarantänen ohne Absprache und Koordination verhängt. Die Stimmen werden lauter, dass die Globalisierung nun vielleicht Geschichte sein könnte. Wirklich…?

Globalisierungsgegner auf dem Holzweg

Schon vorher gab es (zumeist etwas verklärte) Globalisierungsgegner. Oder die Verschwörungstheoretiker, die eine Weltregierung aufziehen sahen – also sollte die Globalisierung raschmöglichst gestoppt werden. Leider lässt sich die fortschreitende Digitalisierung indessen nicht aufhalten, die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten, die Onlinesysteme, welche den ganzen Globus plötzlich zum persönlichen Supermarkt und Informationszentrum machen. Die fortschreitende Vernetzung lässt sich nun mal nicht per Dekret, Wunsch oder Überzeugung stoppen. Paradoxerweise legt die Corona-Krise die Globalisierung nicht nur offen und macht sie sichtbarer, sondern wird sie auch fördern: Die Abstimmung der einzelnen Staaten aufeinander wird zwangsmässig eher zunehmen, Forschung und Entwicklung von Impfstoffen werden globaler aufgestellt, der Informationsaustausch zwangsmässig ebenso intensiviert. Einzelne egoistisch-nationale Aktivitäten werden das nicht stoppen können.

Das zum Teil kollektive Versagen in der Pandemiebekämpfung und die – vielleicht erst später – einzugestehenden Fehler werden die Globalisierung ebenso eher fördern. Die Pandemiekrise ist nun einmal ein Weltthema.

Globalisierung ist zum Teil technologiegetrieben

Die technologische Entwicklung der einzelnen Branchen und Gesellschaften wird ebenso wenig aufzuhalten sein wie deren globale Verbreitung. Damit wird der Austausch von Information und Wissen beschleunigt und so auch Wertschöpfungs- und Lieferketten noch stärker globalisiert. Auch die Verzahnung der Finanzsysteme wird durch diesen Austausch weltweit gefördert. Diese selbstlaufenden Tendenzen lassen sich genau so wenig aufhalten wie einen Tsunami. 

Die Einwegmentalität bröckelt

Zwar steigt das Nachhaltigkeitsdenken (zumindest in einigen reifen Volkswirtschaften), welche gewisse wenig sinnvolle Globalisierungsexzesse berechtigterweise in Frage stellen. Trotz aller Wegwerfmentalität wird sich damit, zumindest in diesen sozialen Umfeldern, längerfristig vermehrt Qualität durchsetzen. Diese wird sich verbessern, je mehr Anbieter auf den Plan kommen. Es muss in der Tat nicht alles made in China sein. Auch made in Vietnam oder made in Malaysia kann weiterhelfen – für die Qualität, für die Auswahl, zur Reduktion der Abhängigkeit. Der Markt wird die Globalisierung damit jedoch nicht behindern, sondern eher fördern.

Wenn China richtigerweise in der Kritik steht betreffend seiner Zivilrechtsordnung sowie seinem globalen Umgang mit den „Intellectual Properties“ und nun handelspolitisch von den USA ausgebremst werden soll, wird das die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt nur anspornen, noch besser zu werden. Wer war übrigens fähig, binnen Wochen eine weltweite Maskenproduktion in Milliardenhöhe hochzufahren? China. Ob die Firma Flawa in der Schweiz wohl inzwischen die Maschinen (aus China übrigens) für die Maskenproduktion angeworfen hat?

Ist die EU nur etwas „Geografisches“?

Der „coronitte“ Digitalisierungsschub hat alles näher gebracht. Die globale Kommunikation wird selbstverständlicher. Damit wird nicht nur der Austausch von Information gefördert, sondern auch der Austausch von Waren und Dienstleistungen. Die Lieferketten vernetzen sich so nur noch mehr.

Doch da funkte einiges dazwischen in der Krise: Der mangelnde Zusammenhalt in der EU zum Beispiel. Dieser war ziemlich offenkundig. Sehr plakativ erscheinen im Moment die gegenseitig und unkoordiniert verhängten Reise- und Quarantänebestimmung, welche zum Beispiel den Schengenraum als inexistent erscheinen lassen. Mit Verwunderung beobachten wir das alles. Ebenso wundern wir uns heute, dass die Infizierten und Toten der EU nie zu einem Total in der EU zusammengezählt wurden – ein durchaus symptomatischer Vorgang. Offenbar gibt es „Europa“ also gar nicht, und bleibt denn dieses Europa letztlich nur etwas Geografisches? Sollte gerade dieses nationalistische Verhalten ein Zeichen der Entflechtung reflektieren und damit den Abgesang auf die Globalisierung einläuten? Nein, das wäre ein Trugschluss. Selbst ein Auseinanderbrechen der EU hätte nichts mit „Entglobalisierung“ zu tun. Denn ein allfälliges Auseinandergehen würde letztendlich den Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Informationen wenig hemmen. Die damit einhergehenden Egalisierungseffekte zwischen den Staaten würden grösstenteils bleiben, ungeachtet vieler politischer und sozialer Risse – zumal viele technologiegetrieben und damit nicht aufzuhalten sind. Mehr Föderalismus fördert in der Regel auch den Wettbewerb und die Effizienz. Eines der besten Beispiele dafür ist der kantonale Steuerwettbewerb in der Schweiz.

Verlierer: die USA

Wenn sich die USA mit ihrem nicht sehr erfolgreichen Handelskrieg gegen China und einer verstärkten „America first“-Attitüde weiterhin profilieren wollen, so werden sie damit langfristig nur verlieren. Und alle andern ebenso, die sich vergleichbar abzukapseln versuchen.

Ein neues Konfliktzeitalter ist mit dem Fall TikTok angebrochen: Die Zwangsveräusserung der chinesischen Tochtergesellschaft an einen amerikanischen Konzern stellt staatliches Raubrittertum dar. In dieser Grössenordnung fand ein solcher Vorgang zum letzten Mal in Venezuela statt, als Hugo Chavez die Ölindustrie verstaatlichte. Auch dies ist – etwas sarkastisch – eben Globalisierung: Man klaut sich global Firmen zusammen. Dass Blackrock und andere Finanz-Heuschrecken ziemlich unverfroren und global agieren, muss in einer einigermassen freien und marktwirtschaftlichen Welt hingenommen werden. Dass jedoch die grösste Volkswirtschaft der Welt, welche persönliche und unternehmerische Freiheit auf ihr Banner schreibt, ausländisch dominierte Firmen unter dem Vorwand des Datenschutzes annektiert, ist ein starkes Stück. Was wohl die mögliche neue Eignerin Microsoft, dieser etwas behäbig gewordene Bürosoftware-Konzern, mit den Daten der jungen Nutzer machen wird? Nun, Microsoft wird sie nutzen… Dies entspricht letztlich nichts anderem als dem Geschäftsmodell von TikTok: nämlich aufgrund der Nutzerprofile Algorithmen entwerfen, welche anschliessend Nutzerangebote vorschlagen und passende Werbung platzieren. Microsoft würde alle Nutzerdaten also fein säuberlich speichern und verwenden, wo immer es geht – mit dem Einverständnis der Nutzer gar. Diesen ist es so oder so ziemlich egal, was mit ihren Daten passiert. Was der chinesische Staat (nicht nur die Firma TikTok) wohl mit den Daten gemacht hätte, hätte er tatsächlich Zugriff darauf? Wohl dasselbe: nutzen? Aber wie und wofür? Es herrscht doch etwas Erklärungsbedarf.

Was passiert, wenn China amerikanische Firmen klaut?

Man stelle sich vor, die chinesische Regierung erpresst einen amerikanischen Konzern, um dessen chinesische Tochterfirma in Shanghai (welche einen mehrfachen Milliardenwert darstellt) an einen chinesischen Konzern zu verkaufen. Wenn nicht, so binnen fünf Wochen, würde die Firma geschlossen. Donald Trump würde in einem solchen Erpressungsfall wohl ziemlich überstürzt die amerikanische Botschaft in Peking schliessen und einen Flugzeugträger losschicken. Genau dies tut er jedoch selber mit den chinesischen Eigentümern von TikTok.

Die wahre Qualität dieses Firmenklaus von TikTok wurde jedoch erst augenscheinlich, als der amerikanische Präsident eine fette Kommission von Microsoft für diesem inflagranten Deal einforderte, so dieser zustande kommen sollte.

Das „Nachhauseholen“ von Industrien könnte nun vordergründig als Zeichen der globalen Entflechtung interpretiert werden. Die Stigmatisierung von Huawei geht z.B. in dieselbe Richtung. Es handelt sich meistens um Einzelmassnahmen, insbesondere der amerikanischen Administration. Vorgeschoben werden (berechtigte oder unberechtigte) Vorwürfe der Datenspionage; tatsächlich geht es indessen vorab um „America first“ – also um blanken Protektionismus zugunsten der einheimischen Industrie.

Es gibt genügend Anschauungsunterricht, wohin Protektionismus schliesslich führt: letztlich immer zu Ineffizienz, zu technologischem Rückschritt und am Ende zu einer reduzierten Wettbewerbsfähigkeit. Offene Volkswirtschaften waren schon immer erfolgreicher – das lehren uns nicht nur die meisten Ökonomen, sondern das lehrt uns auch die Geschichte. Wenn die USA nun vermehrt auf Protektionismus setzen, werden sie aus diesem Spiel als Verlierer hervorgehen.

Diesen einzelnen „Entglobalisierungs-Erscheinungen“ steht ein Übermass an nicht aufhaltbaren Globalisierungsfortschritten gegenüber. Einzelne nationalistische Tendenzen fallen also nicht sehr ins Gewicht.

Keine Erdbeeren mehr…?

Einzelne Regierungen können die weiteren Globalisierungsschritte nicht aufhalten. Es ist so, wie wenn man einen Markt steuern wollte – das funktioniert selten. Die Marktteilnehmer möchten die Globalisierung nämlich nicht stoppen. Im Gegenteil, sie tragen täglich entweder mit ihrem Konsum oder als Produzent oder Dienstleister dazu bei. Die Globalisierung ist nun einmal an einem „Point of no return“.

Alle national verbrämten Ideen, „die Industrien zurückzuholen“, sind eine Illusion. Davon träumen vielleicht ein paar populistische Politiker, nicht aber Unternehmer. Übrigens, damit wir es nicht vergessen: Erfolgreiche Unternehmen werden fast ausnahmslos von Unternehmern und nicht von Staaten geführt!

Wenn Renault nun fünf Mia Euro vom Staat erhält, um sich fit zu trimmen, wird dies wohl kaum funktionieren. Produktionen und die Teile- und Knowhow-Beschaffung sollen nach Frankreich repatriiert wird. „Rénationalisation“ oder „réindustrialisation“? Bonne chance.

Natürlich kann jedes Individuum zur weltweiten Ökobilanz im positiven Sinne betragen, wenn wir im Supermarkt im Winter keine Erdbeeren aus Südafrika kaufen oder darauf verzichten, bei Alibaba in China ein Paar Turnschuhe zu bestellen. Selbst eine ansehnliche Summe solcher westlichen vernünftigen Einzelentscheide wird die fortschreitende Vernetzung der globalen Lieferketten jedoch nicht stoppen. Wenn Granitfliesen aus China in unserem Hof verlegt werden, ist das wohl wenig sinnvoll. Wenn die Transportkosten energiebedingt längerfristig jedoch steigen, wird sich das Problem vielleicht von selbst lösen – aufhalten können wir diese zum Teil irrwitzigen Beschaffungswege jedoch kaum.

Alle zum Teil gut gemeinten subjektiven vernünftigen Verhaltensmuster und Handlungen oder einzelne verquere politische Nationalisierungsentscheide sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein, um die Globalisierung zu verzögern. Globalisierung kann nicht gestoppt werden.

Die Pandemie ist letztlich ein Brandbeschleuniger der Globalisierung

Die Pandemiekrise zeigt, dass man diese Krise nicht national lösen kann. Abschottung wird uns nämlich weder die medizinischen Ausrüstungen, noch Medikamente, noch Impfstoffe oder einen ungehinderten wissenschaftliche Zugang garantieren. Eigentlich hat uns Cocid-19 nicht nur de facto, sondern auch psychologisch mehr Internationalität gebracht: Die ganze Welt war plötzlich in unserem Wohnzimmer zu Gast.

Auch aus Sicht der Firmen wurde die globale Vernetzung gefördert: Lieferengpässe und unterbrochene Lieferketten mussten blitzartig behoben werden. Man lernte – und zwar sehr rasch.

Natürlich lernte man auch, wie ohnmächtig abhängig wir sind von diesen perfekt getakteten Just-in-time-Lieferungen, diesen fein austarierten Netzen aus globalen Anlieferungen.

Die Konsequenzen heute sind klar: mehr Redundanz. Das heisst allerdings, eben nicht nur auf Eigenproduktion abstellen, sondern die Beschaffung diversifizieren. Das bedeutet Ausweichen auf möglichst unabhängige Märkte – auf globaler Basis.

Primär- und Zwischenprodukte, aber auch Dienstleistungen (wie z.B. Software) dürfen eben nicht nur von einem einzigen Ort bezogen werden – an sich eine Binsenwahrheit. Es brauchte wohl diese Pandemie-Krise, um die Klumpenrisiken sichtbar zu machen. Die künftigen multiplen Absicherungen werden etwas Geld kosten, jedoch die internationale Vernetzung nur fördern!

Die singuläre Abhängigkeit von sich selbst wäre nicht sehr intelligent

Abgesehen von einzelnen protektionistischen Spielen à la Trump werden längerfristig die Handelsschranken zwischen den Staaten eher abgebaut werden. Der Druck der Industrie auf die Politik wird steigen, die weltweiten Beschaffungsströme möglichst ungehindert fliessen zu lassen. Güter durchlaufen während ihren Entstehungsprozessen bekanntlich oft mehrmals die Länder, quer durch die Welt. Im Zuge der künftigen diversifizierten Beschaffung wird sich dies noch verstärken. Der Abbau von Handelsschranken – und auf einer globalen Basis wird dies kommen, trotz punktueller Handelstreitigkeiten –  wird die Versorgungssicherheit der Industrie nur verbessern. Das gilt übrigens auch für die Landwirtschaft, bzw. die Versorgungssicherheit eines Staates mit Nahrungsmitteln. Gouverner c’est prévoir: Dazu gehört auch die Sicherstellung einer gewissen Autonomie – welche sich mit nationalistischen Manövern gerade nicht erzielen lässt. Die singuläre Abhängigkeit von sich selbst ist nun einmal nicht sehr intelligent, eine breite Aufstellung bringt mehr Sicherheit.

Renationalisierungen und der Abbau der Globalisierung sind einfach zu teuer. Ein paar Politiker möchten diese zwar herbeireden – aber realistisch sind sie nicht. Und wer sollte diese Massnahmen denn, falls tatsächlich in Angriff genommen, bezahlen? Der Staat? Wohl kaum. Das „System“? Der „Markt“? Eine Illusion.

Die Globalisierung wird also fortschreiten. Das können auch ein paar Handelskriege nicht bremsen, denn Handel ist nicht gleich Globalisierung. Die Globalisierung hat uns – trotz ein paar negativen Nebeneffekten – Wohlstand gebracht. Wer sich der Globalisierung in den Weg stellt, kann nur verlieren.

Sollten wir von Afghanistan lernen?

INTERVIEW MIT DR. REBECKA CARPENTER

„Vielleicht geht es Corona-mässig so nun einfach weiter.“

True Economics: Rebecka, wir führten unser letztes Interview vor gut drei Monaten. Sie hielten damals mit Ihrer Kritik am Pandemie-Management nicht allzu stark zurück. Wie beurteilen Sie dieses nun heute?

Rebecka Carpenter: Nun, leider besteht immer noch kein professionelles Krisenmanagement. Der Bundesrat hatte die heisse Kartoffel einfach an die Kantone weitergereicht und sich in corpore in den Sommerurlaub abgemeldet. Und das BAG rudert seither hilflos durch die Krise. Der Bundesrat ist inzwischen zwar wieder zurück. Er habe sich kurz „orientieren lassen über die Situation“ – und hat anschliessend ein paar widersprüchliche Informationen abgegeben.

immerhin haben wir inzwischen epidemiologisch einiges dazugelernt – allerdings reagieren wir nicht drauf.

„Die Krisenführung offenbart ein verblüffendes Mass an Inkompetenz.“

Sie hatten den Pandemie-Führungsstab in der Schweiz einmal mit einer Muppet-Show verglichen.

Diesen Vergleich hatte ich zurückgenommen! Was ich damit lediglich zum Ausdruck bringen wollte – und heute sogar noch verstärkt meine: Die Führung ist unkoordiniert und offenbart ein verblüffendes Mass an Inkompetenz. Dabei geht es um die wohl grösste volkswirtschaftliche Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir schlingern ziemlich führungslos durch diese Misere, vordergründig gemanagt von subalternen Beamten eines Gesundheitsamtes oder durch kantonale Behörden- oder Regierungsvertreter. Tatsächlich erfolgt jedoch alles ziemlich unkoordiniert. Dabei geht es heute primär gar nicht mehr um die Gesundheit – sondern darum, die Lage volkswirtschaftlich in den Griff zu bekommen.

Ursprünglich attestierten die Bevölkerung und die Medien dem Bundesrat und dem BAG gute Noten, deren Protagonisten galten als besonnen. Nun tritt jedoch zunehmend an die Oberfläche, dass diese Ruhe nur mangelnde Reaktionsfähigkeit, schlechte Kommunikation und Führungsmangel übertüncht. Nochmals: Es fehlt ein professioneller Krisenstab. Aber davon haben wir schon vor Monaten gesprochen.

Nun, eine gewisse Lernkurve ist doch auszumachen!?

Epidemiologisch haben wir, wie gesagt, dazugelernt – klar. Aber nicht, wie wir eine Volkswirtschaft optimal aus dieser Krise führen müssen.

Heute wissen wir immerhin mit einiger Sicherheit, wo die Seuchenherde entstehen. Zumindest europaweit sind drei Hotspots auszumachen, welche für den überwiegenden Teil der Infektionen verantwortlich sind: Es sind die Clubs, Bars und Events (und allenfalls Schulen),  zweitens verarbeitende Betriebe wie Schlachthöfe oder Gemüseverarbeiter und drittens Erntehelfer- oder ähnliche Gastarbeiter-Setups mit problematischen Unterbringungsmöglichkeiten. In der Schweiz sind die beiden letzten Herde eher zu vernachlässigen. Rein statistisch sind zudem die Ansteckungen im Familienkreis signifikant auffällig – aber das ist auf die Erhebung zurückzuführen, schliesslich wird im nächsten Umfeld nach einer Folge-Ansteckung am schnellsten getestet. Zudem liessen sich die fast vier Millionen Haushalte in der Schweiz ja schlecht verbieten… Abgesehen davon kennt das BAG zum überwiegenden Teil gar nicht den Ursprung der Infektionen. Die Datenlage ist sehr dünn.

„Das Virus kommt nicht durchs Cheminée“

Die letzten Kommunikationskorrekturen des BAG bezüglich der Ansteckungen waren übrigens erneut falsch. Die Feststellung, dass die meisten Ansteckungen nun plötzlich im Familienkreis erfolgen sollen, ist eine komplette Missinterpretation. Das Virus kommt ja nicht, zusammen mit dem Samichlaus, durchs Cheminée rein. Es geht doch darum, die Vor-Ansteckung (oder Initialansteckungen) ausserhalb der Familien einzugrenzen. Diese Ansteckungen finden eben durch Aussenstehende statt, welche sich zum Beispiel über Clubs oder ungeeignet geschützte Arbeitsplätze in ein neues Umfeld verbreiten. Diese Erkenntnis deckt sich übrigens mit der weltweiten Beurteilung – das BAG wird das wohl nicht ändern können.

Hier müssten wir also konsequent ansetzen: Das heisst die Clubs und ähnliche Etablissements bis auf weiteres einfach schliessen, die Schlachthöfe und dergleichen nur mit getestetem Isolationspersonal arbeiten lassen, Gastarbeiter erst Tests unterziehen und dann korrekt unterbringen, aber mit geregeltem Aussenkontakt. Auf diese Weise könnten der Rest des sozialen Lebens und die Wirtschaft fast normal weiterfunktionieren – mit den nötigen Hygienemassnahmen und Distanzhalten natürlich.

Clubs sind europaweit zum grossen Teil geschlossen oder mit erheblichen Auflagen versehen. Warum nicht in der Schweiz?

Es gibt keinen medizinischen Grund dafür. Es ist unerklärlich. In Deutschland wird nicht einmal darüber diskutiert, ob die Clubs wieder öffnen sollen. Es müssen bei uns politische Gründe vorliegen.

Und die Kirchen? Oder die Schulen?

Die Kirchen müssten wir leider so wie Clubs behandeln, und in den Schulen müsste versucht werden, Abstände einzuhalten. Falls das nicht geht: Maskenpflicht. Und die Schulen müssten bei einem Vorfall punktuell geschlossen werden, mit sofortiger Umstellung auf Distance Learning. Das muss inzwischen auch für die Lehrerschaft zumutbar sein, denn auch Lehrpersonal muss lernfähig bleiben.

Nun sollen jedoch grössere Events wieder erlaubt werden.

Unerklärlich – zumal die diesbezügliche Ankündigung mit einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen zusammenfällt. Als die Fallzahlen vor Monaten auf dieser Höhe waren, befand sich das Land mitten in einem Lockdown, mit einer Versammlungsbegrenzung auf fünf Personen.

„Letztlich geht es um Fussball gegen Volkswirtschaft“

Es scheint eben um Wirtschaft gegen Gesundheit zu gehen.

Nicht ganz. In diesem Fall geht es letztlich um Fussball und Eishockey gegen Wirtschaft. Das Einknicken vor der Sportlobby gefährdet letztlich das Funktionieren der Volkswirtschaft. Wenn die Fallzahlen aufgrund von Massenveranstaltungen wieder steigen, werden neue Einschränkungen kommen, welche für die ganze Wirtschaft gelten.

Es herrscht einige Verwirrung im Land: Jeder Kanton macht sein eigenes Ding in Sachen Krisenbekämpfung.

Ja, das nennt sich vordergründig Föderalismus, ist aber nur ein eklatanter Führungsmangel. Das Virus ist ja überall dasselbe, und es verbreitet sich überall gleich. Dass eine Graduierung bei den Epidemie-Massnahmen je nach Gebiet oder Kanton stattfinden muss, ist klar. Die Massnahmen sollten jedoch identische Stufen aufweisen, je nach lokaler Epidemielage. Wie gesagt machen hier weder der Bundesrat, noch das BAG, noch die Kantone bella figura. So entstehen denn auch kuriose Vorschriften, die auf lokalem Kompetenzmangel beruhen: Im Kanton Waadt zum Beispiel herrscht in den Läden Maskenpflicht ab zehn Kunden in einem Laden. In der IKEA laufen die Leute mit der Maske rum, in der kleinen Metzgerei darf man sich jedoch aus nächster Distanz maskenfrei anhusten. Es erinnert an den unsäglichen Bundesratsentscheid im Mai dieses Jahres, Tattoo-Studios wieder zu öffnen, nicht aber die Gartencenter.

„Die Länderrisikoliste des BAG ist nicht nur willkürlich aufgesetzt, sondern zum Teil auch falsch.“

Das BAG hat sich nun schon viele Schnitzer erlaubt. Wie beurteilen Sie die sogenannte „Risikoländerliste“ des BAG, aufgrund derer die Quarantänepflicht für Einreisende aus diesen Ländern definiert wird?

Diese Liste ist sowohl statistisch als auch kommunikationsmässig ein Debakel. Sie beruht auf getesteten und rapportierten Infizierten. Dazu ein Beispiel: In Afghanistan beträgt die Infektionsrate 32%. Die Daten beruhen auf Random-Tests mit einer Hochrechnung – welche international anerkannt ist. Offiziell wurden aufgrund von Tests jedoch nur 37‘000 Infizierte entdeckt, nämlich nur 30-mal weniger als die hochgerechnet über 10 Millionen Infizierten. Das BAG setzt Afghanistan aufgrund der wenigen rapportierten Tests nicht auf die Risikoliste, weshalb auch eine Quarantänepflicht entfällt. Luxemburg jedoch ist auf der Liste, dort wird die komplette Bevölkerung getestet – kein Wunder, entdeckt man so mehr Infizierte.

Russland wurde von der BAG-Liste wohl aus einem ähnlichen Grund entfernt: Die statistisch entdeckten Infizierten pro 100‘000 Einwohner erreichen offenbar den BAG-Schwellwert nicht – die meisten Länder stufen Russland jedoch als Hochrisikoland ein. Das Gleiche gilt für Serbien, das BAG hat in einem beispiellosen Alleingang das Land nun kurzerhand wieder als „sicher“ eingestuft und von der Liste genommen. Dafür Gibraltar und Monaco draufgesetzt – was sicher entscheidend ist, da diese Miniaturländer bestimmt viele Touristen in die Schweiz schicken. Die Liste ist nicht nur willkürlich aufgesetzt, sondern schlichtweg falsch.

„Das BAG irrlichtert nach den Ansätzen von Donald Trump.“

Vielleicht hatte Donald Trump doch recht: einfach nicht testen, dann gibt es auch weniger Infizierte.

Richtig, offensichtlich irrlichtert das BAG nach diesem Ansatz: Länder, die wenig testen, kommen nicht auf die Liste, weil wenig Infizierte entdeckt werden. Nur ganz wenige afrikanische Länder sind deshalb auf der Risikoliste. Namibia wurde diese Tage plötzlich als Risikoland eingestuft. Warum? Namibia verfügt wohl über das beste Gesundheitssystem auf dem Kontinent, es wird viel getestet – also kam es aufgrund der entdeckten und rapportierten Infizierten auf die Liste – fast alle andern Länder in Afrika nicht.  Das ist seitens BAG tatsächlich Missmanagement und führt zu falschen Entscheiden. Die so beeinflussten Reiseströme haben mit diesen Fehlentscheiden letztlich einen negativen Einfluss auf die Epidemie in der Schweiz und auch negative wirtschaftliche Konsequenzen. Kommt hinzu, dass die Quarantäne kaum überprüft wird. In einer Krise kommt leider irgendwann ein Punkt, wo nicht mehr nur auf Selbstverantwortung gesetzt werden kann, sondern auf Vollzug und Kontrolle – es kostet sonst volkswirtschaftlich einfach zu viel.

Inwieweit schwingt bei diesen Länderlisten auch Protektionismus mit?

Natürlich besteht die Vermutung, dass man die Gunst der Stunde ergreift und nun die Leute im eigenen Land behalten möchte. Sie sollen hier Urlaub machen und hier konsumieren. Das wäre natürlich ein sehr kurz gegriffener Ansatz, denn beim Reisen geht es ja nicht nur um Urlaub, sondern auch um Geschäftsreisen, welche volkswirtschaftlich relevant sind.

„Es besteht ein Restrisiko, dass überhaupt nie wirklich wirksame Vakzine gefunden werden.“

Wenn der Impfstoff demnächst nicht kommt: Wie geht es dann weiter?

Dann wird es eben genau so weitergehen! Bis Impfstoffe flächendeckend vorhanden sind und verteilt und appliziert werden, kann es vielleicht noch ein bis zwei Jahre dauern. Der Novartis Chef liess jüngst verlauten, ein Impfstoff sei realistischerweise frühestens in 24 Monaten marktfähig. Oder sollten wir eher Donald Trump oder Putin glauben? Dann sprechen wir von diesem Herbst…

Es besteht tatsächlich ein Restrisiko, dass überhaupt nie wirklich wirksame Vakzine gefunden werden. Aber das wäre ein eher unwahrscheinliches Worstcase-Szenario. Das zweite Risiko besteht darin, dass diese Impfungen dann vielleicht gar nicht lange wirken. Das wäre weniger schlimm, aber sehr unangenehm. Die Pharmaindustrie zumindest würde sich freuen.

Das mit der Herdenimmunität ist ja nun wohl vom Tisch, nicht?

Das war eigentlich nie eine reelle Option. Der Weg dorthin kann das Gesundheitssystem bis über die Kollapsgrenze hinaus belasten. Wir schätzen die Infektionsrate in der Schweiz zurzeit auf rund 5%. Das entspricht mehr als dem Zehnfachen der effektiv positiv Getesteten. Leider können wir die genaue Zahl nach wie vor nur schätzen, da wir immer noch keine Random-Tests (wie in der Markforschung üblich) machen. Vielleicht sollten wir von Afghanistan lernen (lacht)! Und ob diese 5% der Bevölkerung nun auch wirklich immun sind – und wie lange sie immun bleiben – wissen wir auch nicht. Wenn wir mehr wüssten, könnten wir auch mehr planen und fundierter entscheiden.

„Wenn wir nun in einem halben Jahr rund 5% Immunität hingekriegt haben, könnte es also sechs bis sieben Jahre dauern bis zur Herdenimmunität.“

Das heisst, es würde in der Tat ewig dauern, bis eine gewünschte Herdenimmunität von z.B. 65% realisiert wird.

Genau. Wenn wir nun in einem halben Jahr rund 5% Immunität hingekriegt haben, könnte es also sechs bis sieben Jahre dauern bis zur Herdenimmunität. Aber das sind nur lineare Hochrechnungen und Zahlenspielereien. Es braucht auf jeden Fall eine wirkungsvolle und möglichst nachhaltige Impfung.

Aber nochmals: Und wenn diese gar nie kommt?

Wie gesagt: Dann geht es einfach so weiter. Distanzhalten, Hygieneauflagen, punktuell Maskenpflicht, Versammlungsbeschränkungen, Reisebeschränkungen. Unser Leben würde sich längerfristig verändern; wir müssten in der Tat durch das Tal der Tränen. Die Pandemie wäre dann kein vorübergehendes Ereignis mehr, sondern ein ziemlich unangenehmer Dauerzustand. Abgesehen davon würde sich aufgrund der sozialen Distanzen unser ganzes Sozialverhalten ändern. Es würde quasi ein negativer sozialer Quantensprung stattfinden, einhergehend mit dem schon laufenden positiven digitalen Quantensprung. Vielleicht hat das BAG eine Antwort darauf…

Schlimm würde es beispielsweise die Luftfahrtindustrie und den globalen Tourismus treffen, auch die Freizeit- und Eventindustrie. Hier wäre mit einer Teilvernichtung dieser Wirtschaftszweige zu rechnen. Schulen müssten sich längerfristig auf einen Online-Betrieb einstellen, Homeoffice würde noch mehr ausgebaut, mit entsprechenden Kollateralschäden z.B. im gewerblichen Immobilienbereich. Das BIP würde weiter unter Druck kommen, die Arbeitslosenraten weiter steigen. Alles ziemlich unappetitliche Szenarien. Wir müssen einfach hoffen, dass Impfstoffe zumindest mittelfristig vorliegen. Es gibt kaum einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Plan B für den Fall, dass dies nicht eintreffen sollte. Inzwischen bleibt zu hoffen, dass die Wirtschaft einigermassen weiterarbeiten kann – ansonsten die Grundlage für alle Problemlösungen entzogen wird.

Also könnten wir vielleicht doch von einer Zeitenwende sprechen?

Hmm. Falls mittelfrisig keine Impfstoffe kommen: ja, vielleicht!

„Ich schliesse Rücktritte im Bundesrat nicht aus, wenn einmal alles an die Oberfläche kommt.“

Was sollte unsere Regierung nun tun?

Als Sofortmassnahme sollte der Bundesrat das Krisenmanagement sofort an einen professionellen Krisenstab abgeben. Und die Köpfe im BAG sollten ausserdem raschmöglichst ausgetauscht werden. Mittelfristig braucht es anschliessend eine Aufarbeitung der Fehler. Auch muss die Arbeit des Bundesrates neu bewertet werden. Ich schliesse Rücktritte nicht aus, wenn einmal alles an die Oberfläche kommt und verarbeitet wird. „The day after“ wird mit Sicherheit Konsequenzen haben.

Management von grossen Krisen in einer Volkswirtschaft

Teil 3: Der Bundesrat ist nicht mehr zuständig!

13. Februar 2025:

Bundespräsident Parmelin lädt in den Situation Room. Eigentlich war es das übliche Bundesratszimmer, aber gefühlt war es heute ein wichtiger real-time Setup. Der neueste Bericht der WHO wurde nämlich an die getäferte Wand projiziert. Der frisch gebackene WHO Präsident, Hans-Ruedi Gutzwyler, liess offenbar nichts anbrennen: Covid-25 war erst vor 11 Tagen in Myanmar ausgebrochen, ein ca. dreimal so gefährliches Virus wie Covid-19. Übertragung Fledermaus-Wildschwein-Schwein-Mensch. Ein Klassiker. Das Virus verbreitete sich rasend schnell; eine neue Pandemie-Gefahr wurde nun sofort und frühzeitig ausgerufen. Es blieb kurz ruhig im Bundesratszimmer, alle blickten immer noch konsterniert auf den WHO-Bericht.

„Merde, pas de nouveau!“, entfuhr es Parmelin. Als früherer Winzer dachte er sofort an die Weinproduktion in seiner Heimatregion. «J‘éspère qu’il ne faut par fermer les restaurants.“

Sommaruga meinte lakonisch, man könnte die Restaurants ja draussen offen lassen. Sie schaute zum Fenster hinaus: Es schneite. In Gedanken war sie jedoch bereits im Homeoffice am Klavierspielen. Bundesrat Berset richtete sich im Sessel auf und vermeldete staatsmännisch: „Isch werde alle Schweizer zurückolen, aus allen Ländern, je vais m’en occuper“. Seit 2023 führte er das Aussendepartement; Bundesrat Cassis hingegen erhielt von Berset zur gleichen Zeit das Departement des Inneren. Denn 2023, nach allen Corona-Aufräumarbeiten, geriet der einstige Corona-Star Berset unter Druck. Nicht alles war gut gelaufen im BAG. Vorbereitungsmängel, Kommunikationsmängel, Führungsmängel. Deshalb der Switch mit Cassis, zumal sich der Mediziner eh wohler fühlte in der Nähe des BAG. Karin Keller-Suter war nicht an der Sitzung, sie weilte am grossen Hooligan-Prozess in Genf.

Tony Epper, der neue stramme und hemdsärmelige Finanzminister, warf ein: „Das wird wieder sau-teuer“. Und Bundesrätin Viola Amherd, gegen ihren Willen immer noch Verteidigungsministerin, meinte: „Isch güet, iise Truppe si bereit“. „Es ischt nischt an dir zu dezidieren, chère Viola, on a changé de méthode!“, unterbrach sie Parmelin mahnend. Parmelin war nun schon seit mehreren Jahren Bundespräsident und versuchte seither, mit eher mässigem Erfolg, den Lead zu übernehmen. Der jährliche Chef-Wechsel im Bundesrats-Gremium hatte sich während den letzten Krisen nicht bewährt. Aber auch als Bundespräsident war er nun für das kommende Krisenmanagement nicht mehr zuständig. Deshalb blieb die Stimmung an der Bundesratssitzung ganz entspannt. Der Bundesrat konnte das Krisenmanagement nämlich ganz elegant an den neuen integralen Krisenstab abgeben. Den sieben Magistraten oblag nur noch eine Kontrollpflicht. Die Neuerung wurde 2023 beschlossen: Nachdem die Corona-Krise erst im Sommer 2023 gebannt war (dann war endlich genügend Impfstoff vorhanden), musste man leider auf viele Fehlleistungen zurückblicken. Man kam zur Erkenntnis, dass künftig nur ein professioneller Krisenstab eine Katastrophe dieses Ausmasses meistern kann.

Sämtliche bisher für Krisen verantwortliche Behörden, Ämter, Stäbe und Task Forces wurden in der Folge zusammengelegt. Armee, Zivilschutz und Bevölkerungsschutz bildeten nun eine Einheit unter der Führung eines permanenten Krisenstabes.

„J’donne un coup d’fil à Ronny Zumstein, si vous êtes d’accord », meinte Parmelin. Alle nickten. Damit sollte Ronny Zumstein, zurzeit Chef des Krisenstabs, die Führung des umfassenden Katastrophen-Managements übernehmen. Zumstein, Mitte 40, war führungserfahren, mehrsprachig, kommunikationsfest, unpolitisch. Seine jährliche Entschädigung war der eines Bundesrates gleichgestellt. Sein Stab umfasste Mitglieder aus allen möglichen Bereichen und Disziplinen. Natürlich war auch ein Epidemiologe dabei, aber ebenso Wirtschaftsvertreter, Koordinatoren für die Kantone, Gemeinden und Behörden, Armeevertreter, Psychologen, Strategen, Cyberspezialisten. Das Team war eingespielt; in den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Krisenübungen absolviert, von Hochwasserkatastrophen über Terrorangriffe bis zu neuen Pandemien. Die Leute waren quasi von Berufs wegen Krisenmanager – und Ronny Zumstein führte sie.

Top-down Führung einfach überlegen

Eine gute Portion Armeekultur ins Management zu tragen war nie falsch. Es geht dabei lediglich um die Denke betreffend klaren Ausführungsstrukturen, um „vorbehaltene Entschlüsse“, generell um zielorientiertes Handeln. Und um Effektivität und Geschwindigkeit. Wenn es um politische Führung während einer Schönwetter-Situation geht, mag dieser Ansatz mitunter falsch sein. Er ist jedoch mit Bestimmtheit besser geeignet in einer Krisenlage. Klavierspielerinnen und Rebbauern mögen in gewissen Konstellationen in einer stark konsensorientierten und kompromissverliebten westlichen Regierung einen Platz haben – nicht aber in einem Katastrophen-Umfeld.

Autokratien haben es in Krisen leichter

Wenn Bolsonaro, von seinem Schimmel herunterwinkend, an seinen jubelnden Anhängern vorbeireitet, wiegt er sich – als Autokrat – in Sicherheit. Autokratien sind nun mal effizientere Führungsmodelle zur raschen Krisenbekämpfung als demokratische. Natürlich bergen sie die Gefahr in sich, dass falsch entschieden wird. Also wären „professionelle und gute Autokratien“, zu welchen Brasilien im Moment offensichtlich nicht zählt, besonders gut für Krisen aufgestellt. Natürlich ein etwas gewagter Ansatz… Aber dennoch lässt sich festhalten: Professionell geführte Regierungen mit Machtfülle eignen sich leider besser in Krisenfällen. So etwa in Vietnam: Dank der militärischen Kommandostruktur der Regierung gelang es, das Land ohne einen einzigen Toten durch die Corona-Krise zu manövrieren. Chapeau.

Aber auch in Demokratien geht straffe Führung im Krisenmodus

Während der Coronakrise wurden in Israel die Geheimdienste sofort mit Aufgaben betraut: mit Tracing-Aktionen, mit Quarantäne-Überwachungen, generell mit koordinierenden Stabsaufgaben. Der Mossad beschaffte gar im Rekordtempo Masken. Südkorea oder Taiwan, beides einigermassen vorbildliche Demokratien, gelang es, dank guter Vorbereitung und straffer Führung, die Krise relativ rasch mit den richtigen, zielorientierten Massnahmen in den Griff zu bekommen – und zwar ohne flächendeckende Lockdowns. Auch Uruguay, die „Schweiz Südamerikas“ und das demokratischste Land auf dem Halbkontinent, bot der Corona-Gefahr mit raschen und intelligenten Massnahmen und mit klarer Führung vorbildlich die Stirn.

Föderale Strukturen sind ein Hindernis

Diese Beispiele nötigen uns zu einem Vergleich mit unseren eigenen Konsens-Strukturen: Leider waren und sind sie in der Krise unterlegen. Und die Auswirkungen führen zu bedeutend höheren Kosten. Für eine Katastrophenbekämpfung sind insbesondere föderale Strukturen, wie wir sie in der Schweiz haben, ein Hindernis. Logischerweise werden auch militärische Krisen nie direkt von einer ausgeprägt demokratischen Regierung gelöst: Sie übergibt die Verantwortung an die Armeeführung. In einer echten Krise reichen übrigens auch reine Empfehlungen an die Bevölkerung nicht. Nur ein top-down Führungsmodell wird solchen Lagen gerecht – geführt von Leuten, die sich für solche Situationen auszeichnen.

Abschaffung der Demokratie? Nein, kurz aussetzen!

Eine rasche Bewältigung einer (grossen) Krise setzt die Einsicht einer Regierung voraus, die Katastrophenführung abzutreten. Dafür müssen auch gewisse demokratische Strukturen – vorübergehend! – ausgesetzt werden. Dies ist vertretbar, wenn eine Katastrophe so effizienter und mit höherem Tempo bewältigt werden kann. Höhere Effektivität im Handeln führt in der Regel auch zu tieferen Kosten. Dies ist ein zweiter Rechtfertigungsgrund, demokratische Rechte vorübergehend auszusetzen. Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen, alle Bürger zu Beginn der Corona-Krise obligatorisch eine App hinunterzuladen zu lassen, um die Nachverfolgung von Infektionen raschmöglichst mit konsequenten Quarantänen zu bekämpfen? Die App – wenn auch nicht perfekt – hat anfangs März 2020 schon bestanden, man hätte sie z.B. von Taiwan, Südkorea oder Israel übernehmen können. Falls sich ein flächendeckender Lockdown mit Milliardenkosten, hohem BIP-Einbruch und Arbeitslosigkeit damit begrenzen liesse: Wäre also eine App nicht zumutbar gewesen? Wäre das Risiko der kurzzeitig reduzierten, persönlichen Datenkontrolle nicht zu rechtfertigen gewesen – zumal Herr Zuckerberg uns eh schon konstant ins Smartphone reinschaut? Wir sehen schon: Die richtige Balance muss gefunden werden. Es geht dabei fast weniger um einen Interessenkonflikt „Medizin versus Wirtschaft“, sondern „Gutes Krisen-Management versus Bürgerrechte“.

In Krisen lechzt die Bevölkerung nach Führung

Demokratien sind bekanntlich die beste von allen schlechten Regierungsformen – nicht aber im Katastrophenfall. Da sind autokratische und militärische Formen überlegen. Das hören vielleicht viele Kreise nicht gerne. Andererseits lechzen gerade die gleichen Bevölkerungsschichten in Krisen oft nach starker Führung.

Die Aussetzung von Bürgerrechten lässt sich jedoch nur in Staaten rechtfertigen, in denen von Grund auf vertrauenswürdige Demokratien bestehen. Nur wenn die Gewissheit herrscht, dass eine Rückkehr zur Normalität nach einer ausgestandenen Katastrophe raschmöglichst und zu 100% erfolgt, funktioniert ein Time-out der demokratischen Ordnung.

Voraussetzung für eine allseits respektierte, delegierte Krisenbekämpfung ist auch die Erkenntnis und das Wissen in der Bevölkerung, mit welchen Krisen wir rechnen müssten. Der Glaube an die grosse militärische Krise und der allfällige Rückzug in den anachronistischen Luftschutzbunker sind dabei nicht hilfreich. Nur wenn realistische Gefahren begriffen werden und eine Regierung und ein Krisenstab zu Beginn einer Katastrophe offen, klar und glaubwürdig kommuniziert, funktioniert die „Führung“ der Bevölkerung.

Krisenstufen für alle – keine politischen Einzelmanöver

Alarmstufe 1, 2, 3, 4, 5: Je nach Grad der Katastrophe – oder je nach Katastrophenverlauf – könnten Massnahmen ausgelöst werden. Im Armee-Jargon wären es wieder die berühmten „vorbehaltenen Entschlüsse“, in der Unternehmungsführung könnten „Contingency Plans“ als Vergleich herangezogen werden.

So wäre es möglich, verschiedene Landesteile oder Regionen jeweils in die zweckmässigen Alarmstufen zu versetzen. Um ein abschreckendes Beispiel zu nennen, wie es nicht gemacht werden darf: Im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung entscheidet zurzeit jeder Kanton separat, welche Massnahmen sinnvoll sind: Freibäder schliessen, Maskenpflicht, Versammlungseinschränkungen, etc. Eine apolitische Ursachenliste der Virusverbreitung würde sicher die Personendichte an die oberste Stelle stellen. Also müssten sich alle Massnahmen diesem Sachverhalt apolitisch und pyramidenförmig unterordnen. Für Alarmstufe 1 könnten z.B. Hygiene- und Abstandsempfehlungen abgegeben werden, für Stufe 2 könnte dies Abstandspflicht, Tracing und Apps, Maskenpflicht und Homeoffice-Empfehlung bedeuten, für Stufe 3 die Schliessung von Bars, Clubs, Kirchen, Kinos und Versammlungseinschränkungen, für Stufe 4 die Schliessung der Gastronomie und Schulen, erst für Stufe 5 käme ein weitergehender Lockdown mit der Schliessung von gewissen Einzelhandelstypen mit hohem Dichterisiko zum Tragen (Coiffeure z.B. oder Kosmetikstudios, nicht aber normale Läden oder Fachmärkte – zumal die Lebensmittelläden eh offen bleiben müssen).

Krisenstufen müssten für jede Krisenart vorbereitet werden, damit sie situationsgerecht ausgelöst werden können. Je nachdem auch regional: Glarus Stufe 2, Süd-Tessin Stufe 4 – und alle wissen sofort, wie’s läuft. Das wäre echtes Krisen-Management – und nicht föderalistischer, wirrer Aktionismus – oder Nichtstun. Ein Krisenstab könnte nach Absprache mit den Kantonen praktisch per Knopfdruck die Region der Stadt Zürich auf Stufe 3 setzen, und am nächsten Tag würden eben die virenfreundlichen Clubs wieder zugehen. Gerade das Beispiel Zürich zeigt, wie erst einmal lange überlegt, dann ebenso lange mit allen geredet wird. Und anschliessend werden nochmals Meinungen eingeholt – damit dann die verantwortlichen und heillos überforderten Stellen in der Folge möglichst nichts tun müssen. Oder es wird eine andere Massnahme ergriffen, welche nicht einmal der Krisenstufe gerecht wird (z.B. ein Freibad schliessen, Clubs aber offen lassen). Unser Urteil: Das ist Missmanagement.

Nationale und internationale Katastrophen müssen ebenso national und international bekämpft werden

Die teilweise Delegation des Covid-19-Managements an die Kantone grenzt mitunter an Absurdität. Führung wäre in einer Krise das A und O, insbesondere wenn diese Krise internationalen Charakter hat. Krisen-Management kann leider nicht on the job erlernt werden. Deshalb kann eine Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes eines Kantons nicht plötzlich Krisenmanagement betreiben. Und – um das Bild leider wiederholen zu müssen – auch eine Klavierspielerin, ein Winzer oder eine Juristin eignen sich dafür nicht per se. Führung in einer Krise kommt von oben – jedoch von führungsgewandten und krisentauglichen Köpfen. Die künftigen, wirklich grossen Krisen werden wohl eher internationale Krisen sein. Also kann nur ein permanenter und professioneller Krisenstab die Vernetzung mit nationalen und internationalen Institutionen sicherstellen. Die Aufsicht über den Krisenstab müsste – als demokratische Rückversicherung – beim Bundesrat liegen. Aber bitte nur die Aufsicht – nicht das Management.

Doch zurück zum Bundesratszimmer:

„Messieurs, Ronny Zumstein ne prend pas son Natel », orientierte Parmelin seine Bundesratskollegen, inzwischen beim Kaffee. Die neue Bundeskanzlerin, Swetlana Oberholzer, servierte. Viola Amherd blickte zu Guy Parmelin und schnappte sich ein drittes Croissant: „Lüeg doch mal üf di Television, Guy, iische Ronny hett scho losgeleit“. In der Tat: Der Krisenstabchef sprach bereits live auf allen Kanälen und verlas sein 10-Punkte-Programm, flankiert von seinem gesamten Krisenstab.

Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen?

Teil 2 unserer Trilogie: Für die richtige Krisenvorbereitung braucht es eine richtige Krisentruppe!

Wir müssen erkennen: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Aber vielleicht ist die nächste Krise eine ganz andere. Krisenvorbereitung bedeutet in einem ersten Schritt, dass wir die möglichen Katastrophen erst einmal erkennen. Dafür hatten wir uns im 1. Teil unserer Trilogie bereits die 11 fatalsten Gefahren auflisten lassen, welche unsere Volkswirtschaft in die Bredouille bringen könnten. Wir sprechen dabei nicht von normalen wirtschaftlichen Krisen – sondern von Katastrophen-Szenarien. Leider mussten wir erkennen, dass wir für eine militärische Krise vielleicht ganz leidlich vorbereitet sind, nicht aber für die meisten anderen Krisen. Also wäre ein Umdenken mehr als angesagt. Folglich müsste eine breit aufgestellte hybride Krisentruppe geschaffen werden. Sollte dafür gar die Armee abgeschafft werden…?

Warum wir uns schon wieder mit Krisenthemen beschäftigen? Ganz einfach, weil diese die grösste Gefahr für unsere Volkswirtschaft darstellen. Nicht die kleinen ökonomischen Defizite sind es, die uns zu schaffen machen, sondern die grossen, nachhaltigen Verwerfungen. Deshalb lohnt es sich, sich vorzusehen. Es ist ganz einfach günstiger…

Lernen aus der defizitären Krisenbewältigung

Eine globale Rundumsicht führt uns ziemlich dramatisch vor Augen, wie Krisen schlecht gemanagt werden können. Wir möchten jedoch das Brennglas nicht zu sehr auf die USA, Brasilien oder Indien richten, sondern bleiben mal in der Schweiz: Obwohl unsere Regierung allenthalben gelobt wurde, die Pandemiekrise „in Ruhe“ angegangen zu sein, zeigen sich heute offensichtliche Defizite: Es fehlte an professionellen Krisenstäben und zuständige Behörden waren weder materiell noch organisationsmässig genügend vorbereitet. Die Kommunikation verlief zum Teil sehr politisch und unglaubwürdig (im Sinne von: Wenn es keine Masken gibt, dürfen sie auch nichts nützen, und wenn es nicht genügend Testmöglichkeiten gibt, darf es auch keine Dringlichkeit geben, umfassend zu testen, usw.). Der Blick ins Ausland war verstellt, obwohl es hervorragende Beispiele gegeben hätte, um zu lernen (von Taiwan oder Südkorea z.B.). Die Krisen-Organisation wurde quasi in einer Unterabteilung des Bundesamtes für Gesundheit belassen und nach dem Krisen-Peak, rechtzeitig vor den Sommerferien des Bundesrates, elegant an die Kantone abgeschüttelt. Unsere Wertung: So brillant war weder das Krisen-Management, noch – vor allem – die Krisen-Vorbereitung.

Die Armee abschaffen…?

Angesichts der Tatsache, dass eine klassische militärische Gefahr gar nicht mehr als prioritär eingestuft werden muss, ergibt sich die Frage nach dem Sinn – oder zumindest nach dem Stellenwert – einer Armee von selbst. Allerdings sind gewisse terroristische Gefahren nicht ohne Militär abzuwehren oder ein unkontrollierter Flüchtlingsstrom, der über das Land schwappt, ebenso wenig. Und der mit der Armee gekoppelte Zivilschutz ist gleichermassen wichtig, insbesondere im Falle von Naturkatastrophen. Die 11 grossen möglichen Krisen – von einer Strommangellage bis zu Cyberangriffen oder einer Atomkatastrophe – gilt es jedoch zu bewältigen, und dieser „Kampf“ gegen die Krisen erfordert „Truppen“. Aber eine solche Organisation zur Krisenbekämpfung muss ganz anders aussehen als wie sie sich mit den heute zumeist bescheiden dotierten Stellen darstellt. Der militärische Teil innerhalb einer solchen Organisation müsste erhalten bleiben – jedoch wohl in einer modernisierten und verkleinerten, professionelleren Form.

Die neue hybride Krisentruppe

Für Armee- und Zivilschutz werden jährlich rund 10 Milliarden CHF ausgegeben. Angesichts der definierten 11 Bedrohungslagen müsste dieses Geld wohl differenzierter eingesetzt werden. Es müsste eine hybride Krisentruppe geschaffen werden, welche möglichst alle Szenarien einer Krise abdeckt. Warum nicht eine Stromausfall-Division kreieren? Truppen, die darauf getrimmt werden, solche Katastrophen professionell anzugehen? Eine Cyber-Abteilung sollte ebenso her, eine Pandemie-Truppe, usw. Man könnte sich Flüchtlings-Scouts vorstellen, „Special Forces“ also für jeden Krisentyp.

Armee und Zivilschutz könnten zusammengelegt und neu organisiert werden. Die einzelnen Special Forces könnten sich auf die entsprechenden Katastrophenszenarien spezialisieren. Das heisst jedoch nicht, dass deren Funktionen nicht überlappend sein dürfen und dass ein gewisser Austausch von Teilen der „Truppe“ nicht möglich wäre. Falls Bedarf, könnte ein „Flüchtlingssoldat“ eben auch für den Aufbau eines Drive-in-Centers für Covid-25 zum Einsatz kommen. Der Cyber-Offizier kann bei einer Terrorbekämpfung mithelfen, oder der Flutkatastrophen-Ranger bei einem Atomunfall. Wichtig wäre die sofortige Einsatzbereitschaft dieser Special Forces, welche den Lead in der Katastrophenbekämpfung übernehmen und verwandte Truppenteile zu integrieren vermögen. Die rasche Mobilmachung der Armee hat während der Corona-Krise hervorragend funktioniert; das Konzept ist kopierwürdig.

Mehr Motivation für den Dienst

Jungen Leuten würde eine besser zu vermittelnde Perspektive für einen „Dienst“ gegeben, wenn dieser eben nicht per se ein „Militär-Dienst“ ist. Die Rekrutenschule in einer Katastrophen-Truppe zu absolvieren, wäre für viele sogar sinnstiftend. Der Milizgedanke könnte hier hervorragend einfliessen: Die jungen Nerds werden ihren Dienst dann in der Cybertruppe absolvieren und ihre neuesten Erkenntnisse aus der Tech-Welt einbringen, die Stromausfall-Truppe wird ihre Ranger bei den geeigneten Handwerkern und Ingenieuren holen. Und nebst all den Krisen-Bataillonen braucht es selbstredend auch klassische Armeetruppen.

Zurück zum Requisitionssystem

Zur Krisenvorbereitung gehört auch, jederzeit über die nötigen Mittel und Installationen zu verfügen, welche im Katastrophenfall nötig sind. Die Günstig-Variante ist dabei nicht der immense Aufbau von allen Strukturen und der Unterhalt von Systemen und Material. Wie die Armee es früher umfassend pflegte, kann auch mit dem Mittel der Requisition Krisenvorbereitung garantiert werden: Private können sich bereit erklären, Gebäude, Fahrzeuge, Installationen etc. im Krisenfall sofort zur Verfügung zu stellen. Dafür werden sie entschädigt. Ein gutes Geschäft für alle!

Was ist mit den Arbeitslosen und Kurzarbeitenden?

In fast allen Krisenfällen kommt es zu einer erhöhten Zahl von Erwerbslosen und Kurzarbeitenden. Im April 2020, im Peak der Corona-Krise, waren es in der Schweiz über zwei Millionen (!), rund 40% der Erwerbstätigen waren betroffen. Der Staat bezahlte ihre Löhne, erhielt aber nichts dafür. Viele dieser Nicht-Beschäftigten könnten im Krisenfall eingesetzt werden: zu Koordinations- oder Überwachungszwecken, für soziale Dienste, etc. Ist das zumutbar? Wir meinen ja – im Krisenfall. Warum sollte ein arbeitsloser Callcenter-Mitarbeiter nicht für den Staat beim Tracing von Infizierten mithelfen, wenn er eh vom Staat bezahlt wird? Eine kurzarbeitende Flight Attendant nicht als erste Ansprechperson im genannten Drive-in für Covid-25-Tests? Dieses System des Einbezugs von Nicht-Beschäftigten müsste jedoch vorbereitet werden, Strukturen und Pläne könnten dieses Humanpotenzial kostengünstig und kurzfristig aufnehmen und einsetzen.

Permanenter Krisenstab vonnöten

Statt einer klassischen Armeeführung bedarf es künftig vielleicht eines permanenten Krisenstabes, welcher ein breites Feld von Katastrophen abdecken kann. Im Bedarfsfall – je nach Katastrophe – kann dieser Stab um Spezialisten und Vertreter aus Behörden und Wirtschaft (und einem geeigneten Bundesrat) ergänzt werden. Was entscheidend ist: Der Stab und die Kommunikationswege müssten bereits bestehen und kurzfristig einsatzbereit sein. Es kann nicht sein, dass (wie während der Corona-Krise) untergeordnete Beamte aus einer Behörde plötzlich zu Krisen-Zampanos arrivieren – das funktioniert nicht.

Die derzeitigen Strukturen für Katastrophenbekämpfung sind in unserem Land ungemein komplex aufgebaut. Es gibt unzählige Krisenstäbe auf allen Ebenen und in allen Ämtern und Behörden. In der Betriebswirtschaft wird bekanntlich zwischen Aufbau- und Ablauforganisation unterschieden. Genau so müsste auch eine Struktur für eine Krisenbewältigung aussehen. Heute gleicht diese indessen eher einer politischen Struktur, ist alles andere als top-down ausgerichtet und sieht eher wie eine wirre Matrixorganisation mit endlosen Ebenen aus. Die Organisation wäre ein Gau für jeden Konzernchef. So sind auch die Kompetenzen im Falle von Krisen heute mannigfaltig verteilt: beim Bundesrat, der Armee, dem Zivilschutz, beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, bei weiteren Bundesämtern (wie im Pandemiefall beim Bundesamt für Gesundheit), bei kantonalen Behörden. Und es gibt Koordinationsgremien, Task Forces, Berater… Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine schlagkräftige Krisenvorbereitung, denn zu viele Köche verderben den Brei. Eine effiziente Struktur kann nur so aussehen, dass diese von oben geführt wird, und dann wird allenfalls bottom-up gearbeitet und rapportiert. Das wäre nicht zu verwechseln mit einem zentralistischen Modell (à la Frankreich) – es würde nur das in unserer Privatwirtschaft bestens  funktionierende schweizerische, „partizipative“ Modell reflektieren – wenn auch mit einer starken Führung.

Krisenvorbereitung heisst auch Krisenvermeidung

Einzelnen Krisen kann nicht nur mit Krisentruppen begegnet werden. Die Krisenvermeidungwäre an sich die eleganteste Form der Krisenvorbereitung. Der Ausbruch des Vesuvs (mit fatalen Klimafolgen), die Vermeidung eines katastrophalen Sturms oder eines Meteoriteneinschlags lassen sich selbstredend nicht vermeiden. Aber die Wahrscheinlichkeit einer Atomkatastrophe kann beeinflusst werden, ebenso die Risikominimierung einer Strommangellage: Sollten wir beispielsweise bereit sein, unsere Wasserkraftwerke massiv auszubauen, Speicherkraftwerke zu errichten und redundante Gas- und Biogaskraftwerke zu errichten, so machen wir uns unabhängiger und betreiben Krisenvermeidung. Wenn der Staat hier – als Ausnahme nur! – etwas dirigistischer eingreifen würde, wäre das sicher zielführend (es würde den Bürger nur ein paar Rappen pro KWh kosten). Oder: Unsere teure Luxus-Landwirtschaft noch mehr zu subventionieren, wird uns nicht über allfällige kurzfristige Versorgungsengpässe hinweghelfen – ein besser ausgebautes Pflichtlager-System indessen schon. Nochmals: Sind die Krisenszenarien mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten und der Ereignisschwere einmal apolitisch und realistisch definiert, kann ebenso apolitisch umgesetzt werden. Nun ja: könnte…

Notrecht ist ok

Grosse Krisen können nur bekämpft werden, wenn rasch und kompetent gehandelt wird. In solchen Fällen müssen – vorübergehend – demokratische Strukturen ausgesetzt werden, ebenso politische, föderalistische und andere Bremsklötze entfernt werden. Sollte demokratische Einigkeit herrschen betreffend einer Krisentruppe und eines ausgewogenen Krisenstabes, kann eine moderne und entwickelte Gesellschaft mit Notrecht gut leben. Voraussetzung ist jedoch, dass Krisenszenarien bekannt sind, Krisenpläne bestehen (welche zum Teil auch durchaus transparent sein können) und das Führungs- und Kompetenzmodell bekannt ist. Ein Schweizer Taschenmesser sozusagen: zuverlässig, kompetent, allzeit bereit. Nur so kann dieser neuen Organisation Respekt entgegengebracht und von einer Demokratie getragen werden.

Risiko-Management vonnöten

Parlament und Behörden müssen ein permanentes Risiko-Management betreiben, welches die Krisenszenarien laufend überprüfen und die Krisen-Vorbereitung anpassen. Diese Szenarien und deren Bekämpfungskonzepte müssen wissenschaftlich fundiert und – nochmals – vollkommen apolitisch sein. Katastrophen selber sind ja auch nicht politisch. Wenn also definiert wird, dass eine Strommangellage das schlimmste Katastrophen-Szenario darstellt, muss die Krisenvorbereitung dies auch reflektieren. Regierung und Parlament sind also gefragt, die vorbereitenden Strukturen und Pläne zu schaffen. Und zur Umsetzung gehört auch Übung. Also sind Katastrophenübungen vonnöten, wie wir sie vor Jahren in der Armee hatten (zum Beispiel die Gesamtverteidigungsübungen).

Fazit: Unsere Krisenvorbereitung ist höchst mangelhaft. Unsere Strukturen fokussieren sich seit Dezennien auf militärische Krisen, obwohl die Wahrscheinlichkeit für andere Katastrophen höher liegt. Es gilt nun, neue Strukturen zu schaffen, wie zum Beispiel die einer Krisentruppe, welche möglichst viele Gefahren-Ereignisse abdecken kann. Gleichzeitig müssen permanente Krisenstäbe aufgebaut und trainiert werden, welche im Katastrophenfall professionell die Führung übernehmen. Ob wir das alles finanzieren können? Ja, wir sollten nur unsere aktuellen Budgets für Armee, Zivilschutz und andere Institutionen und Ämter einer Razzia unterziehen und neu zusammensetzen – im Hinblick auf die reellen Krisenszenarien. Insgesamt stehen genügend Milliarden bereits zur Verfügung, wir müssen sie nur neu zuordnen. Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem dritten Beitrag mit dem Krisenmanagement auseinandersetzen. Und wir ahnen es auch hier schon: Wir müssen das künftig besser machen. True Economics wird schonungslos Vorschläge unterbreiten.

Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen in unserer Volkswirtschaft?

Teil 1 unserer Trilogie: Die 11 wahren grossen Krisen, mit denen wir zu rechnen haben

Noch haben wir die Pandemiekrise nicht hinter uns. Einige Staaten konnten diese mit wenigen Blessuren bewältigen, andere stecken noch mitten drin – oder sind heillos überfordert. Fast alle Staaten waren schlecht vorbereitet und haben im Rahmen der Krisenbekämpfung schwindelerregende Schulden aufgebaut. Die nächste Krise, welche unsere Volkswirtschaft beutelt, könnte ganz anders aussehen. Ein globaler Ausfall des Internets? Ein massiver Meteoriteneinschlag? Eine nicht mehr aufzuhaltende Flüchtlingswelle, welche unkontrolliert ganz Europa überschwemmt? Für eine kommende Krisenbekämpfung wären die nötigen Mittel zum Teil gar nicht verfügbar. Die Krux liegt darin, dass wir Krisen nur schwer vorhersagen können. Sind wir uns überhaupt bewusst, mit welchen ganz grossen Krisen wir zu rechnen haben? In einem ersten Beitrag unserer Trilogie versuchen wir einen Überblick über die 11 fatalsten möglichen Krisen zu erhalten, mit denen unsere Gesellschaft rechnen muss. Schon vorab: Wahre Krisen sind die, bei denen wir die Entscheidungsgewalt zu deren Bewältigung verlieren. Und: Leider sind wir nur unzureichend vorbereitet.

Erst die Definition der möglichen Krisen, deren Eintretenswahrscheinlichkeit und deren Ereignisschwere wird uns die Steilvorgabe liefern, wie wir uns vorzubereiten haben. Wir denken dabei nicht an einen Staumauer-Bruch der Grand Dixence, welcher in der Tat nur als ein unglücklicher Unfall zu betrachten wäre. Es geht um die ganz grossen Krisen, welche unsere Volkswirtschaft à fond bedrohen würden. Unsere Behörden hatten 1999 sowie nochmals 2015 klar definiert, dass eine Pandemie das zweitgrösste Krisenrisiko darstellt. Dennoch waren alle Institutionen nur sehr mangelhaft vorbereitet. Seit 1999 bestehende Risikoanalysen verschwanden irgendwo in den Schubladen von verstaubten Bundesämtern. Und wir sehen es heute: Defizitäre Vorbereitung und fehlerhafte Krisenbewältigung führen nicht nur zu grossem menschlichem Leid – es kostet auch viel. Volkswirtschaften können so vorübergehend lahmgelegt werden, es kommt zu BIP-Einbussen, es kann über längere Zeit zu einem Wachstumskiller kommen. Es gehen zudem Arbeitsplätze verloren, es provoziert teure staatliche Hilfeleistungen und führt zu einem erheblichen Schuldenaufbau. Ausgaben für Krisenvorbereitungen wären also intelligente Investitionen.

Black Swans – das Feigenblatt für Krisenvorbereitungen

Der Journalist Nassim Taleb hatte den Begriff des Black Swans definiert: Krisen, die ohne Voranmeldung überraschend über uns herfallen und Katastrophen auslösen können. Krisen als Black Swans zu definieren ist damit das Einfachste, um keine Krisenvorbereitung zu treffen. Ein gewaltiger Meteoriteneinschlag z.B. wäre ein Black Swan, da die Bekämpfung des Ereignisses nur beschränkt, wenn überhaupt, möglich ist. Eine Pandemie allerdings, so auch Talebs Definition, stellte keinen Black Swan dar: Es war nämlich ganz einfach vorauszusehen, dass eine solche Krise demnächst eintritt. 1999 beriet Taleb mit seinem Team Singapur und entwickelte ein Modell zur Krisenbekämpfung. Der Stadtstaat konnte das Papier anfangs dieses Jahres aus der Schublade ziehen und bewältigte die Pandemiekrise mustergültig (mit dem fatalen Wermutstropfen allerdings, dass die Gastarbeiter in den Containersiedlungen vergessen gingen…). Die wenigsten wahrscheinlichen Krisen sind Black Swans. Man kann sich also vorbereiten.

Kollapsologie – das zweite Feigenblatt

Die sogenannten Kollapsologen neigen dazu, Krisen als gegeben zu betrachten. Der Weltuntergang sei eh nicht aufzuhalten. Auch der Klimawandel nicht. Diese fatalistische Haltung teilen nicht nur viele Bürger, sondern auch Politiker. Mit langfristigen Überlegungen für Krisenbekämpfungen sind eben auch keine kurzfristigen Meriten zu holen.

Unsere Krisenaufstellung wird Weltuntergangsszenarien ausschliessen, auch den Klimawandel. Unsere heutige Liste wird sich auf einigermassen wahrscheinliche Szenarien konzentrieren, welche in absehbarer Zeit tatsächlich eintreffen könnten. Die Auflistung erfolgt anhand der Eintretenswahrscheinlichkeit, kombiniert mit der Ereignisschwere – so ergibt sich ein Ranking von 11 grossen Krisen:

Grosse Krise Nummer 1: Ausfall des Stromnetzes

Eine sogenannte „Strommangellage“ (oder auch nur schon der regionale Ausfall des Stromnetzes) müssen wir als ein Ereignis definieren, das mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen kann – und das gleichzeitig als ausserordentlich schwer eingestuft werden muss. Sind wir darauf vorbereitet? Die Netzstabilität in Europa ist heute erwiesenermassen nicht mehr gegeben, das intensive Zusammenwirken der supranationalen Stromnetze hat zu einer grossen Abhängigkeit geführt und könnte zu überregionalen Steuerungsausfällen mit gravierenden Kollateralschäden führen. Wer sich in ein solches Szenario hineindenken möchte, dem sei das Buch „Blackout“ von Marc Elsberg empfohlen. Nichts mehr würde funktionieren: weder Kommunikationsmittel, noch Heizung, noch Kühlung. Alle Wirtschaftsabläufe stünden still, der Verkehr ebenso, die Lieferketten sind unterbrochen, die Lebensmittel vergammeln in den Kühlhäusern, das Gesundheitssystem kollabiert innert Kürze. Die Armee müsste auf den Plan, um die Bevölkerung zu schützen – sofern die Armee sich in einer solchen Situation überhaupt noch organisieren kann. Sind wir vorbereitet auf ein solches Ereignis? Leider kaum. Und dies, obwohl eine solche Krise das schlimmste Szenario darstellen würde!

Grosse Krise Nummer 2: Pandemie

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie: Die Wahrscheinlichkeit einer nächsten globalen Virusattacke bleibt hoch, die Auswirkungen können fatal sein – fataler eventuell als bei Covid-19. Eine professionelle Vorbereitung auf eine solche Krise wäre jedoch durchaus möglich. Aber es braucht dazu Pläne, Strategien, Material, Krisenstäbe in Reserve. Im Vergleich zu unseren Armeekosten (von 8 Mia CHF pro Jahr) oder den Kosten für unsere heimatlich geschützte Landwirtschaft (21 Mia CHF pro Jahr) wären die Investitionen für eine Krisenvorbereitung für eine Pandemie fast vernachlässigbar. Es wäre vor allem intellektuelle Vorbereitung gefragt, vergleichbar wenig nur für Infrastruktur und medizinisches Material. Für Covid-25 – um eine virtuelle Benchmark vorzulegen – sind wir nur schon besser vorbereitet, weil wir aus Covid-19 gelernt haben. Aber es reicht noch nicht, um nicht nochmals erratische und zum Teil sehr wirtschaftsfeindliche Entscheide zu treffen und immense Schuldenberge aufzubauen.

Grosse Krise Nummer 3: Cyberattacke

Cyberattacken sind heute fast alltäglich: Viele Firmen waren davon schon betroffen. Die Lerneffekte dabei sind gross, die Gefahr weiterer Angriffe jedoch nicht gebannt. Eine richtige Gefahr ginge von einer Cyberattacke aus, die eine ganze Branche, die Bundesverwaltung oder andere Institutionen oder komplette Providerschnittstellen betreffen. Die ganze Finanzbranche könnte so zum Beispiel in erpresserische Geiselhaft genommen werden. Das Erpressungsrisiko ist indessen nur eine Seite des Desasters, der mögliche Ausfall der Systeme die andere. Sind wir darauf vorbereitet? Wohl nur marginal. Bei der Armee gibt es ein paar Stellen, die sich um eine solche Krisenvermeidung kümmern, bei gewissen Bundesämtern ebenso. Leider ist  jedoch keine richtige Abwehrtruppe auszumachen – obwohl wir es bei diesem Krisenszenario sowohl mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit als auch mit einer nicht zu unterschätzenden Ereignisschwere zu tun haben.

Grosse Krise Nummer 4: Finanzkrise

Die grosse Finanzkrise 2008/2009 steckt uns noch in den Knochen: Nur knapp sind wir an einer Weltfinanzkrise vorbeigeschrammt. Die USA  (damals noch in einer politischen Leader-Verantwortung) konnten, zusammen mit den grössten Industrienationen, das Schlimmste abwenden. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Krise steigt heute mit der globalen Verschuldung und der ungehemmten Geldschöpfung. Ein Zusammenbruch des Weltfinanzsystems wäre fatal und würde der Tragik eines Weltkrieges in nichts nahestehen. Wäre unser Land darauf vorbereitet? Natürlich nicht. Immerhin tun unsere Regierung und die Notenbank bedeutend mehr als die meisten Staaten, um ein solches Szenario nicht zu fördern. Nur schon der Zusammenbruch der elektronischen Zahlungssysteme wäre äusserst unappetitlich. Vielleicht ginge es bei solche Krisen auch darum, sich persönlich vorzusehen: also Reserven an dringend Notwendigem anlegen, Bargeld halten, etwas Gold bunkern…

Grosse Krise Nummer 5: globaler Ausfall des Internets

Wir werden uns gar nicht erst an eine Schätzung wagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein solches Szenario eintreten könnte. Die Auswirkungen wären auf jeden Fall verheerend: Unser Leben stände binnen Tagen schlichtweg still. Je digitaler unsere Gesellschaft wird, desto katastrophaler wäre ein Ausfall des Internets. Natürlich müssten wir in einem solchen Fall nicht nur auf Netflix verzichten – sondern auf fast alle Kommunikationsmittel. Fast jede wirtschaftliche Aktion wäre blockiert, Lieferketten sofort unterbrochen, die Versorgung mit Produktions- und Lebensmitteln zum grossen Teil unterbunden. Viele Steuerungen fielen aus. Was wir dagegen vorkehren können: fast nichts. Der Aufbau von redundanten Systemen wäre illusorisch. Eigentlich können wir zur Schadensbegrenzung nur auf die klassische Katastrophenhilfe zurückgreifen. Die analogen Systeme des Zivilschutzes und anderer Strukturen müssten vorübergehend Nothilfe leisten. Und dann werden wir darum beten, dass ein solcher Unterbruch nicht allzu lange dauert.

Grosse Krise Nummer 6: grosse Naturkatastrophe

Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hochwasser, Hitzewellen, schwere Stürme, Schädlingskrisen…

Die Eintretenswahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass eine dieser möglichen Krisen in absehbarer Zeit eintritt. Wahrscheinlichkeitstheoretiker neigen dazu, solche Fälle nicht in Kombination zu sehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jedoch anzunehmen, dass irgendeine dieser rund ein Dutzend möglicher Katastrophen mit einer nicht zu vernachlässigbaren Perspektive eintritt.

Das Positive an den meisten Naturkatastrophen ist, dass es im Eintretensfall in den meisten Fällen kaum etwas zu entscheiden gibt und die Schwere des Ereignisses – in der Regel – überblickbar bleibt. Es ginge dann nur vor allem darum, die Auswirkungen der Katastrophe einzudämmen und aufzuräumen – klassische „Katastrophenarbeit“ also. Ein weiterer positiver Aspekt: Naturkatastrophen bleiben oft regional beschränkt. Damit können einzelne betroffene Volkswirtschaften Hilfe von aussen holen. Unsere Behörden und der Zivilschutz sind für solche Krisen relativ gut gewappnet, Krisenstäbe üben derlei Katastrophen.

Grosse Krise Nummer 7: überbordende Flüchtlingswelle

Grössere kriegerische Ereignisse, wirtschaftliche Desaster oder Hungersnöte (inbesondere auf dem afrikanischen Kontinent) könnten zu einer plötzlichen Flüchtlingswelle führen, welche uns keine Zeit mehr lässt, polizeilich oder gar militärisch einzugreifen. Kommt hinzu, dass eine hermetische Abriegelung der Grenzen fast unmöglich ist – zumindest für viele südliche Staaten in Europa. Ein solches Szenario birgt ein mehrfaches Risiko in sich: erstens müsste den Flüchtlingsströmen mit Gewalt Einhalt geboten werden, zweitens müssten viele Menschen notfallmässig versorgt werden und drittens müsste das Problem einer Repatriierung gelöst werden. Die Krisenvorsorge müsste also schon an der Grenze beginnen – trotz allem Flüchtlingsleid. Sind wir darauf vorbereitet? In der Schweiz würden wir das vermutlich hinkriegen. Die Grenzen wären dann aber dicht – was wiederum andere wirtschaftliche Kollateralschäden nach sich ziehen würde. Und darauf wären wir wohl kaum vorbereitet. Welcher eingeübte nationale Krisenstab wäre denn dafür zuständig…? Oder müssten sich  einfach die einzelnen Kantone darum kümmern? Oder ein Grenzbataillon, welches allerdings erst einrücken müsste? Auch dieses Krisenszenario hinterlässt ein ungutes Gefühl.

Grosse Krise Nummer 8: überregionaler Terroranschlag

Das Spektrum an möglichen Terroranschlägen ist breit, wir können unsere Phantasien walten lassen: Sprengstoffanschläge, Kontaminierung der Wasserversorgung, Giftgas-Anschläge, Anschläge mit Biowaffen oder Biogas, eine atomare terroristische Verseuchung, die Geiselnahme des Bundeshauses, Erpressung ganzer Staaten, etc., etc. Hollywood mag zusätzliche Vorlagen liefern – auch innovative Ideen zur Nachahmung. In der Regel bleiben Terroranschläge zumindest lokal begrenzt, die Opferzahlen auch. Vergleichen wir 9/11 mit den heutigen Pandemiezahlen in den USA, so waren die Schäden – rein numerisch – durch den Einsturz der Twin Towers ein Klacks. Nicht aber psychologisch. 9/11 hat das Weltbild der grössten Volkswirtschaft der Welt nachhaltig verändert. Sind wir auf Terroranschläge genügend vorbereitet? Zumindest besser als auf viele andere Krisen. Die Problematik liegt darin, dass es eine Unzahl an bösen Szenarien gibt. Gemäss Murphy’s law wird uns dann vielleicht ein Szenario präsentiert, an das wir gerade nicht gedacht haben.

Grosse Krise Nummer 9: internationale staatliche Erpressung

Nicht nur Schurkenstaaten, auch grosse und wenig freundliche Volkswirtschaften könnten uns in wirtschaftliche Geiselhaft nehmen. Die irrlichternde Administration der USA könnte uns plötzlich mit einer kompletten Importsperre belegen, die invasiv denkende EU uns den Zugang zu ihrem Finanzsystem verweigern, ein immer imperialistisch denkendes China uns mit einem totalen Exportstopp von lebenswichtigen Produkten und Halbfabrikaten belegen. Der Hintergrund für ein solches Handeln könnte politisch oder wirtschaftlich sein. Eine unangenehme Aussicht. Bestehen taktische, diplomatische und politische Krisenstäbe für ein solches Szenario? Leider wohl kaum.

Grosse Krise Nummer 9: Atomunfall

Ein Atomunfall in der Schweiz würde wohl eine der fatalsten Katastrophen darstellen, die Auswirkungen wären kaum vorstellbar. Tschernobyl oder Fukushima geben uns den Vorgeschmack. Die Eintretenswahrscheinlichkeit mag gering sein (weshalb diese Krise nur Platz 9 besetzt), Die Folgen für unser Land wären jedoch existenzbedrohend: So könnte das gesamte Schweizer Mittelland nur noch beschränkt bewohnbar werden, die Wirtschaft komplett zusammenbrechen. Gigantische notfallmässige Umsiedlungen wären notwendig und grosse internationale Hilfe müsste angefordert werden. La Suisse n’existe pas… Aber auch ein grosser grenznaher Atomunfall in Frankreich oder Deutschland könnte ähnliche Auswirkungen haben. Szenarien für eine Atomkatastrophe wurden angedacht, die Bewältigung eines solchen Desasters  würde allerdings unsere Krisenvorbereitung sprengen. Das einzig Positive an einem Atomunfall: Dessen Auswirkung bleibt vermutlich einigermassen regional begrenzt. Dennoch unser Fazit: Wir sind nur sehr beschränkt auf eine solche Krise vorbereitet.

Grosse Krise Nummer 10: militärische Krise

In der Liste unserer Behörden figuriert eine solche Krise gar nicht mehr. Die Eintretenswahrscheinlichkeit mag in der Tat gering sein, der Russe wird demnächst wohl kaum den Rhein überschreiten. Schon eher ist mit hybriden Kriegsführungen oder Attacken durch Schurkenstaaten zu rechnen – was eine militärische Krise vielmehr in Richtung Krise Nummer 8 lenken würde (nämlich eine Attacke mit Terrorcharakter). Unsere Armee verschlingt bekanntlich acht Milliarden pro Jahr und wird gut gepflegt – zumindest in Sachen Mittelallokation sind wir hier gar nicht schlecht aufgestellt. Aber hier liegt gerade das Problem: Wir geben das Geld für eine mögliche Krise mit Ranking 10 von 11 aus, für die anderen 10 Krisen sind wir kaum vorbereitet und geben auch kaum Geld aus.

Grosse Krise Nummer 11: ein Meteoriteneinschlag

Kleinste Meteoriteneinschläge könnten ja ganz niedlich sein, zudem von interessantem wissenschaftlichem Wert. Mittlere (so bis knapp einem Kilometer Durchmesser) wäre im besten Fall z.B. mit Hilfe der NASA und Atomsprengungen zu begegnen. Wir erinnern uns an eines der wahrscheinlichsten Szenarios, welches wohl zum Aussterben der Dinosaurier führte: Riesige Staubwolken nach dem Einschlag führten zu einem Klimakollaps und damit auch zu einer Vegetationsänderung. Eine unschöne Aussicht. Wie wir uns vorbereiten können? Eigentlich gar nicht. Nach einem mittleren Einschlag könnten wir zumindest auf die Hilfe von Armee und Zivilschutz zurückgreifen. Ein sehr grosser Meteoriteneinschlag würde in der Tat mit sofortiger Wirkung das Aus für die Zivilisation und damit bedauerlicherweise auch für unseren Newsletter bedeuten…. Glücklicherweise bleibt die Eintretenswahrscheinlichkeit nahe bei null. 

Der Bund pflegt eine andere Liste

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat sich eine andere Liste zurechtgelegt. Auf dieser figuriert zum Beispiel eine Tierseuche, nicht aber eine grosse Cyberattacke. Dies betrachtet True Economics in zweierlei Hinsicht als grundlegend falsch: Erstens stellt eine Tierseuche nicht eine unüberwindbare fatale Krise dar, da dafür dank internationaler Vernetzung Lösungen gefunden werden können. Die Schwere des Ereignisses ist also überblickbar. Ebenso stellt ein Ereignis „Sturm“ (welches der Bund als die sechst-grösste mögliche Krise betrachtet) ein zwar alles andere als willkommenes Ereignis dar, aber es wäre ebenso regional begrenzt und – selbst unter Einbezug der Schäden – nicht ewig anhaltend. Zweitens klammert der Bund gewisse Krisen einfach aus, weil „deren Eintretenswahrscheinlichkeit nicht vergleichbar berechnet werden kann“.  Deshalb fehlt auf der Liste des Bundes auch ein grosser Terroranschlag. Fazit: Die Krisendefinition des Bundes ist stark defizitär. Wir bleiben damit bei unserer eigenen 11-er Liste.

Fazit: Für die meisten Krisen sind wir ungenügend vorbereitet. True Economics hat nun eine Liste mit den 11 wahrscheinlichsten Krisenszenarien vorgelegt. Nun gilt es, diese zu diskutieren und zu werten, um darauf die Abwehrmassnahmen zu definieren. Die Strukturen zur Krisenbekämpfung sind leider sehr defizitär, die Pläne dafür sind mangelhaft, die Krisenstäbe bestehen oft nur virtuell. Ein schlagkräftiges Krisen-Management könnte damit kaum ausgelöst werden. Die helvetische Krisenbewältigung sah seit Dezennien vor allem militärische Krisen vor, deshalb fliesst das Geld noch heute vorab in die Armee und den Zivilschutz. Somit ist jetzt schleunigst Umdenken angesagt!

Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem zweiten Beitrag mit der Krisenvorbereitung auseinandersetzen, etwas später mit dem Krisenmanagement. Und wir ahnen es schon: Auch hier werden wir Defizite ausmachen.

Die nächste grosse Krise: der Ausbruch des Vesuvs…?

Oder wieviel darf eine Volkswirtschaft für die Krisenbekämpfung ausgeben

Es mag etwas voreilig sein, aber wir können heute schon behaupten: Wir konnten die Pandemie-Krise einigermassen gut bewältigen. Allerdings zu derart hohen volkswirtschaftlichen Kosten, dass wir dafür beten werden, dass ein vergleichbares Ereignis nicht demnächst wieder eintreten wird. Eine grosse Atomkatastrophe, ein Cyberkrieg, nochmals eine böse Pandemie – alles Krisen, die global oder regional ein Desaster darstellen würden. Die meisten Volkswirtschaften könnten nicht nochmals so viel Geld aufwerfen für eine Krisenbekämpfung, wie sie es für Corona taten. Nur schon der Ausbruch des Vesuvs zum Beispiel könnte unser Leben verändern. Sind wir solchen Herausforderungen wirklich gewachsen? Und wieviel darf eine Volkswirtschaft ausgeben, um solchen Krisen entgegenzuwirken?

Ein Warnschuss erfolgte im Jahre 2010

Erinnern Sie sich noch an den Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island? Der Himmel ganzer Erdteile war über Tage und Wochen in Vulkanstaub gehüllt, der Flugverkehr über weite Teile lahmgelegt, das Klima beeinträchtigt, lokal die Gesundheit der Bevölkerung. Es war ein kurzes, glücklicherweise nur vorübergehendes Ereignis.

Im Jahr 1815 war es anders. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien hatte schwerwiegende globale Auswirkungen: Amerika und Europa mussten in der Folge nämlich ein „Jahr ohne Sommer“ verzeichnen. Ein grosser Teil der Menschheit litt an Kälteeinbrüchen, Missernten, Überschwemmungen. In der Schweiz brach eine Hungersnot aus. Der russische Zar Alexander I. erbarmte sich und lieferte Getreide und Geld an die Ostschweiz. Ob Präsident Putin uns heute auch helfen würde? Aus Deutschland wanderten aufgrund der grossen Not viele Menschen in den Süden Russlands oder in die USA aus. Und in den USA selbst gab es eine Wanderbewegung vom Osten in den Westen. Das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Ja.

Alle hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch…

Die Wahrscheinlichkeit lehrt uns, dass etwa einmal pro hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch globale Auswirkungen haben könnte. Wir kennen alle die Geschichte vom Aussterben der Dinosaurier. Die Wissenschaft rätselt bis heute, ob es ein grosser Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag war, der aufgrund der reduzierten Sonneneinstrahlung plötzlich einen Klima- und Vegetationswandel auslöste.

Als der Vesuv ca. 79 n. Chr. ausbrach, verschwand Pompeji unter einer 12m hohen Lava- und Ascheschicht. Noch heute gilt der Vesuv als der gefährlichste Vulkan der Welt. Geologen bezeichnen ihn als Zeitbombe.

Der Ausbruch des Vesuvs könnte verheerende Auswirkungen haben

Die Wahrscheinlichkeit für einen richtigen Ausbruch des Vesuvs wird auf 1% geschätzt, dies für den Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Also ein einigermassen überblickbares Szenario. Sollte dieses allerdings eintreffen, wären die Auswirkungen verheerend. Wir würden uns dann nicht nur über eine vorübergehende Beeinträchtigung des Flugverkehrs unterhalten.

Neapel zählt über eine Million Einwohner, der betroffene Grossraum (leider inklusive der schönen Insel Capri) sogar über drei Millionen. Hunderttausende von Todesopfern wären zu beklagen. Die Szenarien sind bekannt, gemacht wird wenig. Analog zu unserer Pandemie-Vorbereitung (Stichwort Masken, Krisenpläne, etc.)… Es gibt zwar seit langem Umsiedlungspläne in der Region, selbst mit Prämien. Praktiziert wird indessen das Gegenteil: In den besonders betroffenen „roten Zonen“ wird nämlich kräftig gebaut. Die heutigen Evakuierungspläne für einen Ausbruch gehen von einer Vorlaufzeit von 14 Tagen aus. Buona Fortuna! Die Evakuierung der Region würde wohl zu einem mehr als italienischen Chaos ausarten, zumal die Fluchtmöglichkeiten beschränkt sind. Elend und Plünderungen wären vorprogrammiert, die Armee müsste eingreifen. Abgesehen von den drastischen ökonomischen Auswirkungen in der ganzen Region wäre der direkte Einfluss auch überregional und würde mit Bestimmtheit auch die Schweiz betreffen. Strom- und Kommunikationsverbindungen können gekappt werden, halb Europa wäre von Hospitalisierungen betroffen. Apocalypse now?

Auch globale Auswirkungen

Ein grosser Vulkanausbruch würde nicht nur einen Aschenregen über die Alpen niedergehen und die Airlines grounden lassen. Der „Flügelschlag des Schmetterlings“ würde Kollateralschäden produzieren, an die wir im ersten Moment kaum denken: Kälteeinbrüche, Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Tsunamis. Die Klimaveränderung könnte auch längerfristig anhalten. Lieferketten könnten unterbrochen werden, Versorgungsengpässe wären vorprogrammiert, globale ökonomische Auswirkungen wahrscheinlich. Und das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Die Frage müssen wir leider nochmals mit Ja beantworten. Das einzig Positive an dem Szenario: Es ist in der Tat wenig wahrscheinlich.

Wieso unterhalten wir uns so lange über den Vesuv…?

Lohnt es sich überhaupt, sich mit wenig wahrscheinlichen Krisen auseinanderzusetzen? Die Krux liegt jedoch darin, dass sich ein ganzer Reigen an Krisen präsentiert: Strommangellagen, Cyberattacken, Atom-Terrorismus, neue Pandemien, etc. Der Bundesrat hatte schon 1999 und nochmals 2015 definiert, welche Krisenereignisse die wahrscheinlichsten sind. Der Russe, der den Rhein überschreitet, war nicht mehr auf der Liste. Die Pandemie indessen schon, sogar auf Platz 2. Und trotzdem waren wir nur knapp vorbereitet. Wir sind also bereit, den Russen zu empfangen, nicht aber eine Pandemie.

Prognosen sollten Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen beinhalten. Sind die Wahrscheinlichkeiten einigermassen hoch, das Ausmass einer Krise ebenso, lohnt es sich, Vorbereitungen zu treffen. Dafür Geld auszugeben stellt anschliessend eine volkswirtschaftliche Investition dar.  Erst kürzlich wurden unsere Behörden für die Bekämpfung von Cyberattacken mit 20 Stellen etwas verstärkt – ein guter Anfang. Was jedoch fehlt: ein umfassendes Management zur Krisenvermeidung und Krisenbekämpfung. Werden wir aus der  Corona-Krise tatsächlich lernen?

True Economics wird sich in weiteren Beiträgen den verschiedenen Krisendefinitionen und den volkswirtschaftlichen Konsequenzen widmen. Ein etwas unappetitliches Thema, dem wir jedoch nicht ausweichen wollen. Die Addition aller möglichen Krisenwahrscheinlichkeiten wird nämlich zur Erkenntnis führen, dass die Summe dieser unabhängigen Eintretens-Wahrscheinlichkeiten und deren Auswirkungen plötzlich ein sehr wahrscheinliches Szenario für eine nächste Krise darstellt. Leider wissen wir kaum, welches Szenario zuerst eintreten wird.

Fazit: Unsere Krisenvorbereitung muss dringend verbessert werden

Krisenvermeidungen sind zum Teil unmöglich – siehe Vesuv. Unsere Volkswirtschaft muss indessen trotzdem überlegen, für welche Krisenerkennung und vor allem Krisenbekämpfung wieviel Geld ausgegeben werden soll. Wir müssen also vorab die wahrscheinlichsten grossen Krisen definieren, ihre Eintretens-Wahrscheinlichkeiten schätzen, die Auswirkungen berechnen und die Krisenbekämpfung planen. Das Ranking der Krisen sollte uns das Mass der Investitionen für die Krisenvorbereitung vorgeben. Unsere Armee kostet rund acht Milliarden pro Jahr – vorab für ein Krisenszenario, welches gar nicht mehr oben auf der Liste figuriert. Wir unterhalten zudem einen Zivilschutz, welcher eine kleinere Flutkatastrophe bekämpfen kann, aber vermutlich viele andere Krisen nicht. Und wir verfügen über nur provisorisch vorbereitete Krisenstäbe. Wir geben zurzeit sehr viel Geld für die Corona-Krisenbekämpfung aus – für die Vorbereitung dieser Krise, obwohl ziemlich wahrscheinlich, liessen wir indessen kaum etwas springen. Und so sind wir auch für die nächsten (wahrscheinlichen) Krisen kaum vorbereitet. Wir müssen umdenken.

Hilfskredite der Staaten: die 10 roten Linien

Oder warum die staatliche Verbilligung eines Joghurtbechers um einen Cent einfach nicht geht.

Unter dem Deckmantel der Coronahilfe – oder auch sonst nur in Form von „Konjunkturhilfe“ – greifen die Staaten tief in die Taschen. Sei es mit Subventionen oder Krediten: Das Füllhorn wird ausgeschüttet. Dabei werden oft rote Linien überschritten. Staaten begehen gerade in Krisenphasen oft ordnungspolitische Sünden oder erlauben sich Grosszügigkeiten, die zuweilen nur politisch motiviert sind. Die vorauseilende Hilfe an die Swiss zum Beispiel war ein solcher Sündenfall, das Zusammenkaufen von Börsenwerten durch das Fed oder das Euro-Manna an kränkelnde Südstaaten. Leider sind die roten Linien oft mit grosser Schuldenbildung verbunden. Unser Beitrag wird 10 rote Linien aufzeigen.

Die Corona-Kredite in der Schweiz konnten in Rekordgeschwindigkeit gesprochen werden – ein Husarenstück der Schweizer Behörden, in der Tat. Die Effizienz wurde für einmal der Geschwindigkeit untergeordnet, Schrotschuss dem genauen Treffen vorgezogen. Das war sicher richtig. Natürlich war eine überaus hohe Dringlichkeit („Krediterteilung in 30 Minuten“) in dieser krassen Form nicht notwendig, hinterliess aber immerhin ein gutes Image. Man hätte es auch etwas differenzierter orchestrieren können, zumal die Geldinstitute die Kredite vergeben mussten: Eine Risikokategorisierung durch die Banken hätte gewisse Firmen ausschliessen können, deren Überleben so oder so nicht gesichert war. Eine Darwin’sche Triage fast, das Regelwerk liess es indessen nicht zu. Als „Pfand“ hätte man auch die Hinterlegung von Aktienanteilen fordern können, die in einem von den Banken und dem Bund verwalteten Krisenfonds hinterlegt werden. Diese Sicherheiten hätte man zum Beispiel binnen eines Monats erbringen können. Aber Achtung: Das Modell hätte berücksichtigen müssen, dass der Staat nie Eigner werden darf. Wie dem auch sei, man ist mit den Kreditvergaben nur knapp an der roten Linie vorbeigeschrammt, hat aber immerhin gehandelt. Wir lassen es durchgehen.

Echte rote Linien wurden jedoch weltweit überschritten. Im Folgenden sollen ein paar aufgeführt werden:

Rote Linie Nummer 1: Hilfe an nicht systemrelevante Betriebe

Für die grossen Investitionen (nicht die Coronakredite) hätte alleine die Systemrelevanz die Hilfsbedürftigkeit diktieren sollen. Die Swiss-Kreditierung war in diesem Sinne weder dringend, noch ordnungspolitisch korrekt. Es wurde eine Firma in ausländischem Besitz subventioniert, deren Aktivitäten hätten ersetzt werden können. Nostalgie und falsch interpretiertes Heimatgefühl sind schlechte Begleiter von Unterstützungsübungen. Systemrelevanter wären die Kitas gewesen: Hilfe an dieser Stelle hätte ermöglicht, dass solche Betriebe in irgendeiner Form beitragen könnten, vor allem Arbeitnehmerinnen berufliche Handlungsfreiheit zu sichern.

Rote Linie Nummer 2: Hilfe an „fallen angels“

Die USA – also das Fed – investiert nicht nur generell an der Börse, sondern kauft sogar morbide Firmen zusammen. Damit wurde eine rote Linie krass überschritten. Auch die EZB macht es nicht besser und übersteigt mit ihrem „quantitative easing“ in nie dagewesener Form sogar – vermutlich – ihre formellen Kompetenzen. Aber auch in der Schweiz gibt es unsinnige Investitionen: Hilfe für schon vor der Krise hoffnungslos operierende Vorortsgastronomen, das Garnihotel ohne Konzept oder Unterstützung für andere ungelenk Operierende und schon früher annähernd dem Tod Geweihte ist sinnlos. Zoombiefirmen zu unterstützen heisst, rote Linien zu überschreiten.

Rote Linie Nummer 3: Verlängerung der Kurzarbeit über eine Krise hinaus

Der Sinn der Kurzarbeit war immer von vorübergehender Natur. Es gilt, momentane Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Wenn Firmen indessen um ein Downsizing oder die Aufgabe ihrer Tätigkeiten mittelfristig gar nicht herumkommen, so nützt auch Kurzarbeit nichts. Es ist nur ein Hinauszögern des Todes, Strukturhilfe oder falsch verstandenes Sozialempfinden. Hier muss besser der Stecker gezogen werden, anstatt den Staat zusätzlich unnütz zu belasten. Man denke besser an Schumpeters „schöpferische Zerstörung“. Mit den falsch verstandenen Hilfen werden nur die nötigen Anpassungen und das Ergreifen von Effizienzmassnahmen aufgeschoben, was weder betriebswirtschaftlich noch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Dem Staat sei also geraten, vor einer Verlängerung der Kurzarbeit in dieser bald post-coronitten Ära genau hinzuschauen. Das könnte so aussehen, dass die Firma nach Bewilligung der ersten Kurzarbeitsphase binnen einem Monat einen kleinen Businessplan vorlegt, wohin die Reise gehen soll. Die Hausbank mag dabei helfen – es wird auch in ihrem Interesse sein. Nur schon die Aufgabestellung für den Businessplan könnte positiv regulierend wirken. Die Schweiz plant nun eine Ausweitung der Kurzarbeit auf 18 Monate – vordergründig vielleicht sympathisch, aber eine Milliardenausgabe, welche sich volkswirtschaftlich in diesem Ausmass kaum rechtfertigen lässt.

Rote Linie Nummer 4: Übertriebene Hilfe an Exponenten in Kultur, Sport und Medien

Diese Institutionen sollten genau die gleichen Rechte haben wie andere, welche von Corona-Krediten profitierten. Es gibt keinen Grund, diesen Exponenten in einer Krise direkte Subventionen zufliessen zu lassen. Die Konditionen für zinslose Kredite sind bereits hervorragend, sie müssen zudem erst in fünf oder sieben Jahren zurückbezahlt werden. Sollten diese Institutionen es nicht schaffen, damit über die Runden zu kommen, werden sie sich neu konstituieren müssen. Eine kleine Bruchlandung und ein Wiederaufbau wäre der Volkswirtschaft zuzumuten. De facto weiss der Bund nämlich, dass selbst eine Beschränkung auf Kredite (also ohne die Verteilung von Subventionen) die Rückzahlung in vielen Fällen eh illusorisch ist – womit allein schon die Hilfskredite einen Apanage-Charakter aufweisen. Weitergehendes Manna, das im Rahmen dieser Krise über diesen Institutionen ausgeschüttet wurde oder würde, lässt sich kaum rechtfertigen – auch wenn diesen Geschenken, auch hier, ein gewisser Sympathiewert nicht abzusprechen ist.

Rote Linie Nummer 5: invasive staatliche Industriepolitik

Eine soziale Marktwirtschaft dürfte sich nicht aktiv in Angebote der Industrie einmischen. Wenn Frankreich nun seine verschlafen agierenden Renault-Werke mit 5 Milliarden unterstützen möchte, wird das kaum nachhaltig sein. Mit Geld allein kann man Märkte und Innovationskultur nicht beschleunigen. Die 35h-Woche und Managementfehler lassen sich damit nicht beseitigen – im Falle Renaults zwei ursächliche Gründe für die Misere, welche selbstredend nicht erst durch Corona produziert wurde.

Auch die bis zu 9‘000 Euro schwere deutsche Kaufprämie für Elektrofahrzeuge ist eigentlich nur verdeckte Industriepolitik: Die ökologische Effizienz ist fragwürdig, zumal die Energiegewinnung im Moment noch alles andere als ökologisch ist. Die den deutschen Fahrzeugbauern aufoktroyierten neuen Technologien setzen sich nicht ab, deshalb die grosszügigen Kaufprämien. Das ist zusätzlich falsch, weil inländische Käufer so (im Vergleich zu ausländischen) subventioniert werden. Selbst mit der Idee oder dem Vorwand, ein „Smartphone auf vier Rädern“ zu fördern: Eine solche „Konjunkturpolitik“ führt zu Marktverzerrung und stellt eine einseitige Begünstigung einer Branche dar. Industriepolitik eben, welche rote Linien überschreitet.

Rote Linie Nummer 6: Hilfe an Staaten ohne Auflagen

True Economics verweist auf den Beitrag von Paul Carpenter vom 1. Juni („Maastricht ist tot“). Euro-Manna auszuschütten über Staaten, welche ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, ist Verschwendung. Wenn Hilfe in Form von Investitionen parallel zu Reformen erfolgt, kann dies sinnvoll sein. Einige Südstaaten in der EU sind jedoch gar nicht aufnahmefähig für Investitionen; „Hilfe“ heisst in diesen Fällen also „Durchfüttern“. Das ist Verrat an den Steuerzahlern der Nordstaaten. Wann wehren sich diese endlich? Es würde nur zu einer klugeren Mittel-Allokation führen und zu einer Stärkung des europäischen Wirtschaftsblockes.

Rote Linie Nummer 7: überbordende Geldschöpfung

Die Notenbanken fast aller Staaten schöpfen nun Geld in absolut unverantwortbarer Weise. Die damit zusammenhängenden Kreditaufnahmen der Staaten für ihre explodierende Verschuldung können nur verkraftet werden, wenn die Zinsen noch für Dezennien auf null bleiben. Auch dies ist Verrat – diesmal  an den künftigen Generationen, welche so um ihre Renten und Sparanstrengungen gebracht werden. Rote Linien werden auch hier überschritten, nicht nur ordnungspolitisch, sondern auch moralisch.

Rote Linie Nummer 8: falsche Konjunkturprogramme

In Krisen bringt Hilfe nur etwas, wenn diese sofort erfolgt. Deshalb verpuffen Konjunkturhilfen oft wirkungslos – sie kommen meistens zu spät, wirken dann bisweilen zyklisch, anstatt antizyklisch. Keynesianische Modelle waren deshalb nur zu oft nicht sehr zielführend. Konjunktur lässt sich selten „kaufen“. Eine Erhöhung der Staatsausgaben bringt das Räderwerk der Wirtschaft nicht nachhaltig zum Laufen – vor allem, wenn es sich nicht um staatliche Investitionen (so zum Beispiel um Infrastrukturprojekte) handelt, sondern nur um staatlichen Konsum. Im Wissen darum, dass dem so ist, da man über die letzten Dezennien ja dazu gelernt hatte, werden mit den falschen staatlichen Konjunkturprogrammen deshalb sehenden Auges rote Linien überschritten.

Wenn die deutsche Regierung nun ihre Mehrwertsteuer vorübergehend vom 1. Juli bis 31. Dezember in homöopathischer Form um zwei bzw. drei Prozent runtersetzt, um die Konjunktur anzukurbeln, wird das ein 15-Milliarden-Schuss in den Ofen sein. Ein Becher Joghurt verbilligt sich so um einen Cent. Ob das wohl eine Nachfragelawine auslösen wird…? Die Regierung weiss doch, dass das Problem derzeit bei der Kauflust generell und bei der erhöhten freiwilligen Sparneigung liegt. Wieso tut sie es trotzdem?

Bei einem Fahrzeugkauf von 100‘000 Euro lohnt es sich indessen, besser zu planen: Der neue BMW wird dann nicht jetzt, sondern mit einem Discount von 3‘000 Euro erst ab dem 1. Juli geordert, und vor dem 31. Dezember wird vielleicht noch schnell ein Kauf getätigt, der für den Januar 2021 geplant war. Wem das am Schluss wohl geholfen hat…?

Die hochindustrialisierten Staaten hängen in der Regel bis zu 50% eh sehr stark vom Export ab. Klassische Konjunkturprogramme helfen also so oder so nur partiell. Im Wissen um alle diese Zusammenhänge – und eben mit der verdeckten Erkenntnis, dass es sich bei diesen Giesskannen-Manövern nur um politische Geschenke handelt – werden tief-rote Linien überschritten!

De facto handelt es sich (wie die vorübergehende deutsche Kinderzulage für alle) nicht um eine Verteilung an Hilfsbedürftige, sondern um teures und nicht punktuell eingesetztes  Helikoptergeld.

Rote Linie Nummer 9: Helikoptergeld

Verschiedene Staaten haben in indirekter Form schon Helikoptergeld abgeworfen. Der Begriff entstand aus dem Bild einer breitflächigen direkten Verteilung von Geld an alle. Es ist ein Verzweiflungsakt, welcher die Stabilität der Währung und des Finanzsystems gefährdet, Geld an sich psychologisch entwertet und zudem sehr unsozial ist. Siehe falsche Konjunkturprogramme Deutschland. Die USA haben im Rahmen der Corona-Krise an alle – alle! – Haushalte Geld verteilt. Donald Trump ist eben ein netter Kerl, die Wähler werden ihn vielleicht mit ihrer Stimme belohnen.

Rote Linie Nummer 10: der Stil…

Nein, hier handelt es sich nicht um eine makroökonomische rote Linie. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass gewisse Regierungschefs gerade in der aktuellen Krise vermehrt auch rote Linien in Sachen Stil und Verkennung von Faktenlagen überschreiten. Wir denken hier keinesfalls an Donald Trump, denn True Economics möchte ja apolitisch bleiben.

Fazit: Werden die roten Linien überschritten, überschreitet der Staat seine ursächlichsten Aufgaben und Kompetenzen. Er produziert Schulden, welche die Zukunft belasten oder verzerrt Angebot und Nachfrage. Corona muss eben für vieles herhalten – vor allem für Probleme und Strukturschwächen, die schon lange vor der Krise bestanden. Was wir dagegen tun können? Wir prangern sie einfach an, diese überschrittenen roten Linien.

Sieht True Economics alles viel zu negativ?

Unser persönlicher Newsletter hat erfreulicherweise zahlreiche Leser zu Kommentaren bewegt. Es waren viele positive dabei – das hat uns gefreut! Es gab allerdings auch ein paar negative. So kam vereinzelt Kritik auf, dass wir doch nicht alles so negativ sehen sollten.

Wohlan, denn. Hier also unsere vorwärts gerichtete Reflexion. Wir versuchen heute der Pandemie-Krise einmal etwas Positives abzugewinnen! Allerdings müsste Greta wohl ihren Lebensentwurf überdenken.

Es kehrte Ruhe ein

Ja, wir konnten endlich etwas innehalten. Ruhe kehrte ein, die Lockdowns reduzierten die Hektik. Man konnte sich wieder vermehrt der Familie widmen, so tun, als ob man arbeitet im Homeoffice, den Keller aufräumen. Man stand weniger in den Staus, und der öV bot uns ein  erstaunliches Mass an Privatsphäre. Die Besitzer von Einfamilienhäusern konnten sich an einem ganz gewöhnlichen Montagmorgen in den Garten setzen, Kurzarbeit (oder eben Homeoffice) machten es möglich. Von der Gartenarbeit blieb man verschont, denn die Gartencenter und Baumärkte wurden – im Vergleich zu den Nagelstudios zum Beispiel –  auf wundersame Weise geschlossen (unsere deutschen Nachbarn hingegen verharrten in der Pflicht zur Gartenarbeiten, denn ihre Center waren offen).

Der Konsumverzicht war vielleicht heilsam: Plötzlich entdeckte man, dass es auch ohne ging. Der eine oder andere besann sich unter Umständen gar auf wahre Werte.

Und es gab auch weniger Kriminalität, weniger Unfälle. Unser Leben wurde – aufgrund einer Pandemie? – also in der Tat sicherer!

Ein neuer Lebensentwurf für Greta?

Es wurden erstaunliche Klimaverbesserungen gemessen: So war der Himalaya aus weiter Distanz plötzlich wieder sichtbar, die CO2-Belastung am Rosengarten in Zürich sank ein bisschen, der Smog in vielen Städten auf der Welt lichtete sich merklich. Das Meer war weniger trüb, der Himmel von Flugzeugen, Lärm und Verschmutzung durch Kerosin befreit. Und so weiter. Von Greta hörte man nichts mehr, was für einmal auch ganz angenehm war; allerdings wird die junge Dame nun vielleicht auf der Suche nach einem neuen Lebensentwurf sein, denn plötzlich erfüllte sich vieles fast von selbst.

Dass die Klimaverbesserungen eventuell nur ein vorübergehendes Phänomen waren, konnte für den Moment – im Sinne des positive thinking eben – elegant ausgeblendet werden.

Der Buntspecht ist auf dem Vormarsch

In Deutschland freuten sich die Ornithologen, dass nun offenbar der Buntspecht sich etwas mehr verbreiten konnte – dem Lockdown sei Dank. Und aufgrund des reduzierten Energieverbrauches träumten gewisse Kreise in Zürich von einer vorgezogenen Einführung der 2000-Watt-Gesellschaft. Ja, Lockdowns wirken sich ökologisch vorübergehend positiv aus – ohne Frage. Also Lockdowns for ever…?

Auch ökonomisch Positives

Da wäre noch die Deflation. Der können wir durchaus etwas Positives abgewinnen: Aufgrund der Nachfrageschwäche und vieler nachgebender Preise werden wir nun etwas mehr für unser Geld erhalten. Unsere Rentengelder werden dadurch auf die Länge nicht sicherer, aber sollten wir demnächst in den Genuss von deren Verzehr geraten, werden wir uns mehr dafür leisten können! Auch die Schwäche auf dem Immobilienmarkt hat ihr Gutes: Lasst uns eben zugreifen. Und wenn der Schweizer Franken wieder steigt, werden wir unsere Finca in Spanien bald kostenlos erwerben können. Wir könnten uns auch ein Second Home in Buenos Aires anlachen. Vielleicht noch ein paar Monate zuwarten bis zum definitiven Staatsbankrott (erst vor ein paar Tagen war das Land tatsächlich zahlungsunfähig) und der endgültigen Implosion des Peso, dann sollten wir auf der Matte stehen und investieren. „Buy low, sell high“ haben uns doch unsere Banker immer gepredigt. Wenn wir jedes Mal das Gegenteil von dem gemacht hätten, was unsere weitsichtigen Bankanalysten gesagt hätten, hätten wir vielleicht schon früher Geld verdient. Die Idee mit einer Investition in Buenos Aires hatten unsere Bankanalysten noch nicht. Wir könnten folglich goldrichtig liegen! Also viele positive Aspekte.

Innovationspotentiale werden freigesetzt

Nachhaltiger ist wohl eher der Technologieschub, den diese Pandemiekrise ausgelöst hat: Die Gesellschaft hat mit Sicherheit einen Quantensprung in der Digitalisierung vollzogen, Einkaufs- und Kommunikationsverhalten wurden modernisiert, neue Innovationspotentiale wurden freigesetzt. Effizienzsteigerungen im Informationsaustausch in der Arbeitswelt konnten erprobt und raffiniert werden. In einigen Bereichen des privaten und geschäftlichen Lebens haben wir viel dazugelernt – und zwar nachhaltig.

Der Autonomiegedanke

Natürlich könnte die erlebte Ohnmacht und Abhängigkeit vom Ausland nun zu Isolationismus führen – nichts Positives. Aber umgekehrt könnte die Erkenntnis, dass wir in einigen Belangen etwas mehr Autonomie und bessere Vorkehrungen für Krisen brauchen, auch positiv gewertet werden! Wir werden dabei allerdings vernünftig bleiben müssen, ein Abgesang an die Globalität und das Hochziehen von Schranken würde uns beileibe nicht weiterbringen.

Tolle Erkenntnisse

Insgesamt ist der Pandemie-Erfahrung also in der Tat etwas Positives nicht abzusprechen. Unsere Gesellschaft hat in wenigen Wochen unglaublich viel dazugelernt. Also Friede, Freude, Eierkuchen…?

Vieles wird nicht mehr so sein wie früher, vieles muss nun revidiert werden. True Economics sieht sich dafür verantwortlich, die Augen zu öffnen und Probleme zu erkennen. Da ist leider oft nicht immer nur Positives dabei. Und was die Pandemie und deren Bewältigung betrifft: Die langfristigen volkswirtschaftlichen Schäden werden enorm sein. Sie werden uns ein neues Handeln aufzwingen, um weitere Schäden abzuwenden. Wir werden nicht drum herumkommen, weiter über Krisen zu reden. Krisen werden unser künftiges Leben generell  vermehrt mitbestimmen, das gesicherte Überleben der Volkswirtschaften wird dabei zentral sein. Ob eine dramatische Strommangellage, eine grosse Cyberattacke oder eine neue Pandemie: Wir müssen unsere Volkswirtschaften künftig besser schützen. Die Volkswirtschaft ist übrigens das kollektive Tun eines Volkes, falls das gewisse Kreise vergessen haben sollten. Die „Wirtschaft“ ist nicht eine externalisierte Grösse, das sind wir. Der vermeintliche Konflikt zwischen „Gesundheit“ und „Wirtschaft“, wie er in den letzten Wochen herbeifabriziert wurde, gibt es gar nicht. Wenn wir die Wirtschaft nicht schützen und am Laufen halten, kommen alle zu Schaden – diejenigen, die das nicht erkennen, meist zuerst. Nur erkennen sie es oft nicht.

Der Bundesrat hat in diesen Tage entschieden, 20 neue Stellen für die Bekämpfung möglicher Cyberkrisen zu schaffen. Das ist ein guter und positiver Beginn eines Lernprozesses! True Economics wird sich demnächst noch analytisch und kreativ mit möglichen Krisenszenarien und deren volkswirtschaftlicher Bewältigung auseinandersetzen.

Fazit: Wir müssen weiter mit viel Realitätssinn Krisen erkennen, um sie besser bewältigen zu können. Und wir müssen uns künftig besser auf neue Krisen vorbereiten.

Gerade eine moderne und gut aufgestellte und vorbildlich ausgebildete Volkswirtschaft hat die Gnade, dies zu tun: Sie hat genügend Mittel, Gemeinsinn, Wissen.

Verbesserungsvorschläge und Hinterfragen gerade des aktuellen Krisen-Managements sollen damit nicht per se als negativ gewertet werden – das kann auch durchaus kreativ sein. Mit positivem Effekt dann. Ein gutes Krisenmanagement reduziert das Negative. Die Arbeit beginnt immer im Kopf! Ja, in diesem Sinne sieht True Economics auch vieles positiv…

Wie denken Sie darüber? Schreiben Sie uns!

Maastricht ist tot

Oder was der hundertste Geburtstag Ursula von der Leyens mit der neuen gigantischen Euro-Verschuldung zu tun hat

Es erstaunt nicht, dass es heute niemand mehr wagt, über die einst gesetzten Maastricht-Regeln für die europäischen Staaten auch nur schon ansatzweise nachzudenken: maximal 3% Budgetdefizit, maximal 60% Staatsverschuldung. Diese Benchmarks sind inzwischen Makulatur. Die EU-Kommission legt nun einen gigantischen „Wiederaufbaufonds“ in Billionenhöhe vor, welcher vielen Ökonomen das Blut in den Adern gefrieren lassen muss. Er suggeriert so etwas wie einen Marshallplan, als ob es einen „Wiederaufbau“ nach einer Zerstörung bräuchte. Tatsächlich werden indessen vor allem Löcher gestopft. Gibt es wirklich nur diesen Weg…?

Die neueste Entwicklung der europäischen Verschuldung nimmt eine weitere Eskalationsstufe. 750 Milliarden soll die EU nun zusätzlich verteilen dürfen, plus das bereits abgesegnete Sieben-Jahres-Budget – insgesamt sind es 1‘850 Milliarden, wie die NZZ präzise hochrechnete, also fast 2 Billionen Euro. Es soll für den „Wiederaufbau“ nach der Pandemie verwendet werden. Es spielt dabei nur eine akademische Rolle, ob das zusätzliche Geld als Zustupf (500 Milliarden) oder als Kredit (250 Milliarden) qualifiziert wird – an Rückzahlungen zu denken, ist so oder so nur Wunschdenken. Theoretisch wird dafür das Jahr 2058 genannt. Der Zufall will es, dass Ursula von der Leyen dann genau 100 Jahre alt sein wird. Es wäre ihr vergönnt, zu beobachten, wie dannzumal die Kredite – nebst den noch folgenden, uns heute noch nicht bekannten) – eben gerade nicht zurückbezahlt werden. Vermutlich wird zu jenem Zeitpunkt dann gar nicht mehr von „Refinanzierung“, sondern ganz einfach von „Schuldenerlass“ gesprochen.

„Bedingungen“ für die Alimente sind schon heute Makulatur

Natürlich, so die Message, plane man strenge „Bedingungen“, die an den grossen Geldsegen verknüpft sein sollen. Es ist heute schon absehbar, dass diese politisch nur sehr verwässert durchsetzbar sein werden. Die Südländer wollen eben schon mit Mitte 50 in die Rente. Sie wollen zum Teil auch Ferienbons von 500 Euro an die Bevölkerung verteilen. Einige Länder denken an ein bedingungsloses Grundeinkommen – oder haben es schon eingeführt. La grande nation – auch eine der künftigen grossen Begünstigten des Eurosegens – beginnt gerade jetzt, mit fünf Milliarden ihre technologisch rückständigen Automobilwerke von Renault zu unterstützen. An der 35h-Woche möchte man indessen lieber nicht rütteln.

Einige europäische Staaten möchten die Schattenwirtschaft nicht konsequent bekämpfen, und die Ineffizienz der Verwaltungen ist sozusagen in der DNA dieser Länder verankert – auch die verkrusteten Märkte gelten mehr oder weniger als gegeben. Also viele alte Zöpfe und demotivierende Umverteilungs-Konstruktionen. Ob das Euro-Manna diese Länder nun wieder wie Phönixe aus der Asche auferstehen lässt? Es ist zu befürchten, dass das nicht stattfindet.

Die „sparsamen Vier“ werden sich nicht durchsetzen können

Schon bisher konnten „strenge Bedingungen“ für europäische Subventionen nicht durchgesetzt werden. Es sei beispielsweise an Griechenland erinnert, wo die für die Aufforstung der Olivenbaum-Plantagen verteilten Gelder gar nie gross zum Pflanzen von Bäumen verwendet wurden. Es ist nicht daran zu denken, wie überdimensioniert ein Kontrollapparat aussehen müsste, welche die richtige Kanalisierung der neuen Euro-Billionen überwacht.

Die „sparsamen Vier“, also Dänemark, Holland, Schweden und Österreich, werden ihre Opposition irgendwann aufgeben. Notfalls „kauft“ sie die EU eben; sie erhalten vielleicht  irgendetwas anderes. Brexit-bedingt fehlt leider künftig das natürliche und früher gewichtige Ausgaben-Korrektiv Grossbritannien.

Nicht alles sind Corona-Blessuren

Der Term „Wiederaufbau“ gaukelt vor, dass die Länder nun eben Corona-versehrt sind und, gleich einem Marshall-Plan, sozusagen Entwicklungshilfe für den Aufbau benötigen. Wir wissen natürlich, dass die Misere schon früher angerichtet wurde. Zudem sind die Länder zum Teil selber schuld, in der Pandemie-Bekämpfung übermässige Kosten produziert zu haben. Die überstrengen Lockdowns, zum Teil in willkürlicher und diktatorischer Franco- oder Duce-Kontrollmanier, versetzten die Gesamtwirtschaft in Schockstarre und hinterlassen nun immense Schäden und Schulden.

Ein „Wiederaufbau“ wäre nur nach einer richtigen Zerstörung notwendig, die ganze Kreditierung und Unterstützung wird so indessen zur Augenwischerei. De facto werden – trotz der vorgenommenen Kontrollen und in Aussicht gestellten „neuen Projekte“ – die Gelder vorab zur Erhaltung des Status Quo in schwachen EU-Ländern verwendet.

Gigantische Summen am Kapitalmarkt

Die 750 Milliarden sollen am Kapitalmarkt aufgenommen werden. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass private und institutionelle Anleger diese Summe ganz absorbieren werden. Sie ist einfach zu gigantisch. Also werden dann vermutlich die europäischen Zentralbanken und Körperschaften in die Bresche springen und die kostbaren Scheine zeichnen. Das hatten wir doch schon bei anderen EU-Institutionen: Man kauft sich selbst, also mit Mitteln, die man gar nicht besitzt. Man schöpft Geld. Das einzige Nicht-Virtuelle an dem fahrlässigen Vorgang ist dann das Ausgeben der grossen Summen. Ja, das Fed sündigt hier auch – was indessen keinen Freipass für andere sein sollte.

Jeder Ökonom weiss, dass dieses Vabanquespiel mit der wundersamen Geldvermehrung  irgendwann einmal ein hässliches Ende nehmen wird. Investitionen und Ausgaben einer Volkswirtschaft dürfen letztlich nur aus faktischer Wertschöpfung und nicht monetärer Schöpfung entstehen. Das geplante Bühnenstück ist ein Spiel mit dem Feuer.

Weiss Frau von der Leyen, wieviel zwei Billionen sind…?

Ob Frau von der Leyen und alle Mitglieder der EU-Kommission sich die Grössenordnung von zwei Billionen Euro tatsächlich vorstellen können? Hier ein paar Vergleiche: Die zwei Billionen entsprechen ziemlich genau dem BIP ganz Italiens (allerdings dem von 2019). Oder dem Russlands. Oder dem 15-fachen Umsatz des gesamten Neuwagenmarktes in Deutschland. Die Schweiz baute einst das Kernkraftwerk Gösgen für zwei Milliarden CHF – also entspricht die inkriminierte Summe 1‘000 mal der für Gösgen. Frau von der Leyen könnte wohl nichts mit  dem Vergleich anfangen, zumal sie den „Green Deal“ im Kopf hat. Aber man könnte der offenbar etwas überforderten, ausgebildeten Kinderärztin vorrechnen, dass sich mit den 750 Milliarden das gesamte UNICEF Kinderhilfswerk 100 Jahre lang komplett finanzieren liesse. Oder ein etwas handfesterer Vergleich für die weiteren zahlreichen Nicht-Ökonomen in den Wandelhallen in Brüssel: Würde man 1-Euro-Münzen übereinander stapeln, so könnte man mit 750 Milliarden mehr als vier Mal die Strecke zum Mond zurücklegen. Der Vergleich ist trotz der Reduktion auf das Handfeste nicht hilfreich, weil die schiere Dimension dieses unvernünftigen monetären Ausflugs für die EU-Beamten damit gleichwohl nicht transparenter wird.

Was passiert mit dem Euro?

Uns ist natürlich nicht entgangen, dass auch die USA und das Fed ähnliche ordnungspolitische und finanzielle Frevel begehen wie die EU. Auch Japan verhält sich mit seiner welthöchsten Staatsverschuldung (2020 wohl gegen 250% des BIP) nicht besser, und Grossbritannien liebäugelt mit Negativzinsen, weil es auch dort noch einiges zum Finanzieren gibt. Wenn alle gleich sündigen, werden sich die Währungen untereinander nicht sonderlich abwerten. Aber der Aufwärtsdruck auf den Schweizer Franken wird sich kaum abschwächen. Selbst wenn unser Staat nun ebenso mit bis vor kurzem noch undenkbar hohen Schuldensummen hantieren wird.

Europa krankt – nicht an Corona

Europa tut sich keinen Bärendienst, wenn es meint, mit einem „Wiederaufbaufonds“ nun im globalen Wettbewerb eine stärkere und modernisierte Rolle spielen zu können. Andere Länder – trotz vielen immanenten Defiziten – sind stärker: China wird sich wieder aufrappeln, denn die Bevölkerung hat die Energie dafür und es herrscht ein Wachstumsglaube, die USA werden ihre kräftige Stellung nicht preisgeben, Indien und Emerging Markets stehen trotz vorübergehenden Blessuren in den Startlöchern. Europa – als Ganzes gesehen, wohlverstanden – ist im globalen Wettbewerb heute in vielen Belangen nicht mehr konkurrenzfähig. Die „kreative Zerstörung“ fehlt leider, die es für einen  „Wiederaufbau“ bräuchte – nebst dem Manko einer gemeinsamen Strategie.

Die Alternative?

Europa müsste erst einmal seine Verkrustungen aufbrechen, bevor Geld investiert werden kann. Die Uralt-Strukturen und hemmende Regelwerke in vielen, gerade südlichen Ländern müssten vorab beseitigt werden, die Schattenwirtschaft eingedämmt und die Effizienz an vielen Ort erhöht werden. Gerade jetzt bestünde die Chance, Hilfskredite (nicht Subventionen!) nur zu vergeben, wenn damit deutliche Strukturverbesserungen einhergehen. Also müssten strenge Reform-Bedingungen an Investitionen (ja, „Investitionen“, nicht „Ausgaben“) geknüpft werden. Der IMF hat bei seinen Kredithilfen nicht immer alles brillant erledigt, aber der Grundgedanke dahinter hat in vielen Fällen immerhin zu längst überfälligen Reformen geführt. Die EU-Kommission und Deutschland – welches seine Führungsrolle leider noch nicht wiedergefunden hat – könnten gerade jetzt einen grundlegenden Reformplan für die Wirtschaft Europas vorlegen. Und sonst gibt es eben kein Geld. Das würde einiges an Häme produzieren, würde vielen europäischen Staaten indessen längerfristig helfen. Ob so ein nachhaltiger Plan, anstatt Euro-Manna, je Wirklichkeit wird? Die Hoffnung stirbt zuletzt. 

Geht jetzt alles unter null…?

Bereits hatten wir uns daran gewöhnt, dass die Zinsen unter null gehen können. Und nun kürzlich sogar das Erdöl (zumindest für Terminkontrakte)! Dass ein Rohstoff, dessen Preis vor nicht allzu langer Zeit durch die Decke ging, einen negativen Preis aufweisen kann, schockiert uns. Aber es entspricht einer ökonomischen Realität. Wir stellen uns die Frage: Welche anderen Werte könnten auch noch unter null gehen?

Schön, dass gewisse Märkte noch richtig spielen, sie kommunizieren die Wahrheit! Lehrbuchmässig nach Angebot und Nachfrage. Und wenn es beispielsweise einfach keine Nachfrage mehr gibt nach Erdöl, alle Lager voll sind und zu wenig verbraucht wird, sinkt der Preis gegen null. Oder eben unter null, wenn mit einem zusätzlichen „Kauf“ zu hohe organisatorische Kosten verbunden sind.

Negative Werte kennen wir doch schon!

Eigentlich hätten wir in Sachen negative Werte bereits genügend konditioniert sein sollen – nur schon aufgrund der unsäglichen negativen Zinsen. Und bis vor kurzem herrschte in der Schweiz teilweise eine negative Inflation – also eine kleine Deflation. Zudem sind in der Finanzwelt negative Werte mit den Futures und Optionen tägliches Brot. Mit der Deflation werden wir wohl bald wieder Bekanntschaft schliessen, denn der Nachfragemangel bei den Konsumgütern wird die Preise drücken.

Auch Firmenwerte können mal ins Negative rücken. Nicht nur im sehr aktuellen Fall von Insolvenzen; kurzweiliger sind eher die Nachrichten von Firmenverkäufen zu Negativpreisen. Der Migros-Konzern kann ein Lied davon singen, stiess sie doch kürzlich ihre über Jahre schlecht geführten Firmen mit einem Zustupf ab – in Millionenhöhe (so Depot oder Office World). Wir sind gespannt darauf, was Coop und Migros demnächst noch als Draufgabe offerieren, wenn sie weitere unrentable Tochtergesellschaften abstossen werden.

Vielleicht könnte im April 2025 die Bundesverwaltung noch ein paar negativ bewertete Firmen übernehmen (dann sollten nämlich die Corona-Kredite zurückbezahlt werden). Auch die Aktien der Swiss darf der Bund vielleicht einmal mit einem negativen Wert übernehmen – so hatte er sich dies ja mit seiner schlecht orchestrierten Kreditvergabe eingehandelt.

Negative Werte auch für Immobilien oder Energie

Auch Immobilienpreise können ins Negative kippen, die Übernahme von Industrie-Brachen beispielsweise muss zusätzlich alimentiert werden, damit sie überhaupt aus dem Markt gehen. Während der Finanzkrise 2008 gingen in Detroit auch Wohnhäuser zu Preisen von einem einzigen symbolischen US$ weg – mit den eingerechneten Transaktionskosten damit auch zu Negativpreisen.

Oder noch ein Beispiel: die Preise für elektrische Energie. Schon seit Jahren beziehen Schweizer Elektrizitätswerke zu gewissen Nachtzeiten Atomstrom aus dem Ausland und erhalten Geld dafür. Die grossen Meiler können eben nicht kurz runter- und dann wieder raufgefahren werden. Also muss der überflüssige Strom raus, koste es, was es wolle. Das ist gelebte einfache Makroökonomie. Wir Schweizer amüsieren uns dann, dass wir nächtlicherweile mit dem Strom, für den wir sogar Geld erhalten haben, Wasser in die Stauseen zurückpumpen. Am Tag darauf produzieren wir mit unseren sauberen Wasserkraftwerken unseren eigenen Strom. Der Schweizer Strom ist dann nicht nur ökologisch konvertiert, sondern auch viel besser, weil mehr wert zu jenem Zeitpunkt, und wir verkaufen ihn womöglich wieder an die Betreibergesellschaften der Atommeiler, die uns den Strom in der Nacht zuvor geliefert hatten. Ja, so geht Mikroökonomie.

Apropos Energie: Wussten Sie, dass unsere Elektrizitätswerke im Sommer auch überschüssigen Strom an die SBB liefern – und dafür noch Geld drauflegen? Nicht, dass dann die sauberen Loks damit betrieben würden, nein: Die SBB stellt mit dem Überschuss-Strom die für den Winter gedachten Weichenheizungen an und vernichtet so Elektrizität. Ein gutgehütetes Geheimnis, keine Fake News!

Noch mehr negative Werte?

Wir meinen damit nicht negative Stimmungen oder gar Beziehungen… Sondern tatsächlich negative Werte. Zum Beispiel Italien: rein bilanztechnisch eigentlich überschuldet, auch Spanien. Müsste man die Länder kaufen, bekäme man vielleicht Bares raus. Denn ihre Bilanzen sind negativ, die Unternehmung Staat ist überschuldet, und sie kriegen aus eigener Kraft kein Geld mehr an den Kapitalmärkten. Sanierungsfälle also. Leider gibt es keinen Markt für Länderkäufe (Donald Trump überraschte zwar kürzlich mit seinem irrlichternden Wunsch, Grönland zu kaufen).

Wir kennen auch die „inversen Nachfragekurven“: Die Nachfrage nach einem Produkt kann steigen, obwohl der Preis steigt. Bei den Nespresso-Kapseln wird es gefühlt wohl auch so sein, allerdings ärgern wir uns dabei, dass mit einer Verkleinerung der Kaffeemenge und einer klugen Verpackung der Preis steigen konnte – ein geniales Geschäftsmodell. Hervorragend funktioniert die inverse Nachfragekurve bei einem Luxusgut mit starkem Brand, so beispielsweise beim Kelly-Bag. Funktioniert es nun auch umgekehrt? Offenbar schon, es ging einfach etwas vergessen in der Lehre. Wenn der Preis komplett sinkt, ist die Nachfrage eben nicht mehr da, weil das Produkt nicht mehr interessant ist. Erst wenn der Preis ins Negative kippt, werden wieder Opportunitätsgewinne geprüft. Wir werden uns daran gewöhnen müssen.

(Vielleicht werden wir 2025 für die Entsorgung von ungebrauchten Masken bezahlen müssen, die wir erst 2020 überteuert eingekauft hatten – ein kleiner ökonomischer Fauxpas.)

Wird doch noch alles gut?

Die Notenpressen werden demnächst auf Hochtouren laufen. Es gibt ja einiges zu finanzieren: laufende und neue Schulden, Rettungskredite, neue Sozialkosten, Auffangschirme für Staaten. Diese neuen, nun noch höheren Schuldenberge überleben die Staaten nur, wenn sie auch längerfristig kaum Zinsen bezahlen müssen. Also ist damit zu rechnen, dass die Zinsen noch für Jahre weiter um null oszillieren werden, für stärkere Währungen sogar unter null. Wir würden uns nicht einmal die Augen reiben, wenn demnächst auch das Fed die Leitzinsen unter null setzen würde. Grossbritannien denkt jetzt gerade an ein solches Unterfangen.

Sollte der Markt die Unmengen an neuen Staatsanleihen von klammen Ländern nicht aufnehmen können, kaufen die Zentralbanken die überschüssigen Anleihen einfach auf. So können die Zinsen schön unten bleiben. Gerade so macht es das Fed im Moment. Also so funktioniert Makroökonomie heute? Unsere grossen verstorbenen Ökonomen werden sich im Grabe umdrehen.

Fazit: Vielleicht werden wir – in der Schweiz – binnen Kürze tatsächlich negative Hypotheken aufnehmen können. Wir arbeiten weiter von zu Hause aus und sparen so viel Geld. Wir legen uns einen grösseren Öltank zu, in der absurden Hoffnung vielleicht, dass wir mit einer Tankfüllung zum richtigen Zeitpunkt obendrauf noch Geld erhalten. Weil draussen im Einzelhandel nichts mehr geht, herrscht Deflation – wir können uns also noch viel mehr leisten. Wir müssen das Geld ja ausgeben, denn sonst werden wir mit Negativzinsen bestraft. Wir studieren die Immobilienangebote und freuen uns, dass doch einiges günstiger geworden ist. Wird also doch alles gut…?

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