Das bedingungslose Grundeinkommen – ein fataler Irrweg

Oder: Die absurde Weiterentwicklung eines marxistischen Ansatzes

Die Idee ist ja verführerisch: Anstatt komplizierte und viele verschiedene Sozialwerke zu unterhalten, kriegt jeder Bürger ein Grundeinkommen, mit dem er mehr oder weniger leben kann. Negative Steuern sozusagen. Dafür entfallen alle aufwendigen Transfersysteme wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Invalidenversicherung, Kinderzulagen, etc. Ausserdem könnten so auch Menschen einen Lohn erhalten, welche bisher pro bono gearbeitet haben – viele Mütter z.B. Die fortschreitende Digitalisierung wird, so der Ansatz, ohnehin viele Arbeitsplätze obsolet machen – also muss eine Lösung gefunden werden. Normale Erwerbsarbeit wird es künftig einfach zu wenig geben, womit es für den einzelnen nicht mehr zumutbar wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb also ein bedingungsloses Grundeinkommen – ohne dass ein Beweis der Bedürftigkeit erbracht werden muss. Ein hehres und gutgemeintes Modell? Nein, eher ein fataler Irrweg. 

Gleich schon vorab: Die These von der Arbeitsverdrängung durch technologischen Fortschritt wurde durch die Geschichte immer wieder wiederlegt. Zweitens lässt sich das Finanzierungsproblem eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kaum lösen, und drittens macht ein BGE die normale Arbeit unattraktiv. Soweit der gesunde Menschenverstand. Trotz diesen eigentlich logischen Erkenntnissen gibt es immer wieder allerlei Vorstösse und Projekte in Sachen BGE – oder es wurde sogar schon eingeführt. Hier ein paar Beispiele:

Der abgebrochene Test in Finnland

Schon vor einigen Jahren lancierte Finnland einen Test mit 2‘000 Beteiligten, welche in den Genuss eines BGE kamen. Die sorgsam ausgewählten Teilnehmer hätten sich dabei „nicht unglücklich gefühlt“. Immerhin. Bei der Arbeitssuche gab es allerdings keine verbesserten Resultate. Soweit die intellektuell eher bescheidene Ausbeute des Projektergebnisses. Der Versuch wurde nicht erweitert – nur schon wegen der Kosten.

Italien hat’s schon

Italien führte 2019 ein BGE in der Höhe von 780 Euro pro Monat an. Damit liessen sich viele Wählerstimmen ködern. Noch ist nicht klar, wie viele Millionen Italiener die Unterstützung in Anspruch nehmen werden. Klarer ist, wie die mehreren Milliarden jährlich finanziert werden: nämlich mit Budgetdefiziten des eh schon klammen Staates.

Einige Italiener werden nun schon bald zwei Jobs haben: einen offiziellen staatlichen, welcher dank Nicht-Arbeit trotzdem Geld abwirft und einen zweiten in der Schattenwirtschaft. Ein gut organisiertes Ehepaar wird damit nicht nur zum Doppelverdiener, sondern zum Quadrupel-Verdiener.

Spanien: per Dekret eingeführt

Spanien führte das BGE eleganterweise gleich per Corona-Dekret im Mai dieses Jahres ein. Die wackelnde sozialistische Regierung unter dem chaotischen Covid-Wirrkopf Sanchez versprach sich von so viel Grosszügigkeit wohl einigen Goodwill bei den Untertanen. Allerdings hapert es seit der Einführung mit der Bearbeitung der Anträge, konnten doch erst zwei Prozent der Anfragen bearbeitet werden. Aber es ist ja auch Corona-Zeit, die Beamten sassen während dem Lockdown zu Hause, und Homeoffice kennen spanische Staatsdiener nicht: „wegen zu geschlossen“. Wenn’s dann später klappt, erhält vermutlich gegen eine Million Haushalte monatliche Zahlungen von bis zu 1‘015 Euro. Pro memoria: Der gesetzliche Mindestlohn liegt in etwa auf gleicher Höhe. Eviva España! Aber wer will denn schon arbeiten an den sonnigen Gestaden des schönen Mittelmeers. Allerdings: Parallel schwarzarbeiten lohnt sich dann schon.

Corona-Kurzarbeit: Ist das nicht ein BGE?

Haben wir das BGE in der Schweiz vielleicht bereits eingeführt, ohne es zu merken? Zu Spitzenzeiten in der Corona-Krise waren über 1.65 Mio Kurzarbeitende und Arbeitslose gemeldet. Diese waren auch von der Pflicht zur Arbeitssuche entbunden. Dieser Zustand entsprach damit einem bedingungslosen Grundeinkommen! Ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung profitierte davon. Bei einer Erwerbsquote von rund 50% bedeutete dies, dass während mehreren Wochen nur rund 30% der Bevölkerung arbeiteten.

Dass dies auf Dauer nicht geht, ergibt sich nur schon aus der Quittung, die uns der Finanzminister am Ende dieses Jahres präsentieren wird: Milliardenverluste in der Bundeskasse, welche unsere Staatsverschuldung emporschnellen lassen und rund zehn Jahre harten Schuldenabbau vernichten. Nicht-Arbeit ist teuer.

Die Emirate kennen schon lange ein BGE

Während wir im Westen ziemlich erfolgslos und verträumt an BGE-Projekten herumlaborieren, haben es die VAE schon lange eingeführt. Hier handelt es sich allerdings nicht um eine neue Interpretation von „Das „Kapital“ von Karl Marx, sondern nur um eine aktualisierte Ausprägung der Feudalsystems. Emiratische Bürger (die übrigens weniger als 10% der Bevölkerung repräsentieren) kommen in den Genuss von grosszügigen Zuwendungen, welche in der Summe sogar mehr als ein bedingungsloses Grundeinkommen ausmachen. Wasser, Strom, medizinische Versorgung, ja ein Studium und ein Haus sind sozusagen gratis, bei Heirat gibt‘s noch extra Cash. Und auch sonst werden laufend Apanagen verteilt, sodass normale Erwerbsarbeit für die privilegierten Nichtarbeitenden zum Treppenwitz verkommt. Ja, einmal mehr gilt: Some are more equal. Die restlichen über 90% der Bevölkerung sind Expats aus allen Herren Ländern, der Grossteil davon „modern slaves“ v.a. aus Indien und Pakistan, welche ein sehr bescheidenes Leben führen.  

Ob dieses System funktioniert? Nein. Die neue Generation der Wüstensöhne ist schlichtweg wenig lebenstüchtig, sie ertränkt ihr Leben in Langeweile und Konsum. Ein BGE sollte zum Ziel haben, irgendwann wieder einmal aus der staatlichen Unterstützung ausbrechen zu können und einer bezahlten oder zumindest sinnstiftenden Arbeit nachzugehen. Die neue BGE-Generation am Golf ist eine verlorene Generation. Sie denkt nicht einmal daran, einer Beschäftigung nachzugehen. Zumindest in den VAE ist das BGE gescheitert. Aber es war ja auch nie ein richtiger BGE-Versuch, sondern ein weiter entwickeltes Nomenklatur-System, welches plötzlich dem Geldsegen verfiel. Trotzdem: Das Ergebnis des Modells des modernen Wüstenstaates ist zumindest ein Fingerzeig betreffend der unrealistischen Umsetzung eines BGE.

Und nun noch der Kanton Zürich!

Wir erinnern uns: Das BGE wurde bereits an einer eidgenössischen Abstimmung 2016 haushoch verworfen. Aber gewisse Kreise lassen nicht locker und verschafften sich im Züricher Kantonsrat 2017 tatsächlich eine Mehrheit, um doch noch ein BGE-Projekt ausarbeiten zu lassen. Handelt es sich bei den Protagonisten dieses Vorstosses nur um Träumer, um „fehlgeleitete Kinder“ mit wirren Gedanken, bestenfalls um gutgläubige Weltverbesserer? Der Vorgang ist allerdings zu ernst, als dass man ihm nur mit müdem Lächeln begegnen kann. Wir sind auf jeden Fall gespannt, welcher Papiertiger hier nun demnächst vorgelegt wird.

Geniales Finanzierungsmodell

Die Modelle aus Italien und Spanien zumindest sind insofern interessant, als dass beide Staaten ihr BGE nur beschränkt selber finanzieren müssen: Die zwei Länder brauchen keine Nachhilfestunden, wie sich das Subventionieren ohne nennenswerte Auflagen bewerkstelligen lässt. Die EU schüttet nämlich genügend Euromanna über diesen Staaten aus und finanziert indirekt alle Defizite. Ziemlich egoistisch von diesen Südstaaten, aber eben auch raffiniert. Wieso rebellieren die nördlichen europäischen Geberländer nur verhalten? „Weil die EU sonst auseinanderbricht“?

Auch Frankreich profitiert übrigens von den kürzlich verteilten 750 EU-Milliarden, nämlich mit 43 Milliarden. Diese helfen dann mit, das ineffiziente französische System der 35-Stunden-Woche zu unterhalten (wohl eine Vorstufe zum BGE). Macron hat das zusammen mit Merkel  gut eingefädelt.

Damit erkennen wir: Für alle Länder geht BGE nicht. Irgendjemand muss am Schluss für die andern arbeiten.

Zusammenfassend sind sechs Pferdefüsse für das Projekt BGE auszumachen:

  1. Es ist nicht erwiesen, dass es künftig zu wenig Arbeit geben wird. Industrialisierung und Digitalisierung haben bis heute die Arbeitswelt mit Bestimmtheit verändert, aber in der Summe keine Arbeit vernichtet. Wie war das noch mit dem papierlosen Büro? Mit der Verbreitung des Computers prognostizierte man einen Einbruch des Papierkonsums. Das Gegenteil ist eingetreten. Als die Eisenbahn aufkam, malte man bereits das Schreckgespinst der Arbeitserosion an die Wand. Henry Ford schuf trotz industrieller Arbeitsteilung letztlich Arbeitsplätze. Tatsache ist, dass die Entwicklungsschritte der Menschheit bis heute Arbeit nicht vernichtet haben. „Digitalisierung frisst Arbeit“? Das gilt es erst zu beweisen.
  2. Ein BGE ist schwer finanzierbar. Es liegt nämlich ein ganz einfaches statistisches volkswirtschaftliches Problem vor: Wie viele Leute müssen arbeiten, um die nicht Arbeitenden zu unterhalten? Nur schon das demografische Problem der Überalterung stellt viele Staaten vor fast unlösbare Probleme. Die äusserst herausfordernden Finanzierungslücken werden künftig höhere Abgaben für die Rentenbildung und höhere Renteneintrittsalter unabdingbar machen. Ein weiterer Ausbau der staatlichen Unterhaltssysteme mit garantierten Grundeinkommen wäre finanzpolitisch fahrlässig.
  3. Der Ansporn zum Arbeiten entfällt. Ein BGE ist ein falsches Anreizsystem. Insbesondere dann, wenn die Minimallöhne nur wenig über einem BGE liegen. Arbeit muss sich lohnen.
  4. Arbeit bringt nicht nur Einkommen, sondern auch Würde und Stolz. Die Alternative ist die Abhängigkeit vom Staat – für die meisten kein gutes Gefühl. Die Einführung eines BGE würde die Nicht-Arbeit indessen salonfähig machen. Wenn die Berührungsängste mit dem allgegenwärtigen Wohlfühlstaat dahinfallen, gewöhnt man sich an das betreute Wohnen im Staat. Mit der so gewachsenen Anspruchsinflation gibt es nur schwer ein Zurück. Letztlich geht es auch um Werte: Wenn Arbeit nicht mehr positiv gewertet wird – wer im Staat soll sie noch mit Verantwortung verrichten?
  5. Das BGE fördert die Schattenwirtschaft. Der Tatbestand ist offensichtlich.
  6. Die Einführung eines BGE kann zu einer Sogwirkung führen: Werden die sozialen Hängematten zu dicht aufgespannt, erhöht sich die Migration. Das mussten einige westliche Länder bitter erfahren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Sogwirkung für Einwanderer verstärken; es stellt eine klare Einladung dar und verhindert, die Immigration bedarfsgerecht zu steuern – nämlich um Nachfragelücken für gewisse Berufe zu schliessen.

Brave new world

Wie soll denn die moderne Welt von morgen aussehen? Etwa so:

Es arbeitet niemand mehr. Nur noch Roboter sind am Werkeln, die Künstliche Intelligenz (KI) steuert alles von selbst. Sie entwickelt selbstredend auch neue Roboter, repariert und wartet sie. Alle Bürger hocken zuhause und schauen Netflix – dort laufen dann auch lustige Filme, welche die KI selbständig entwickelt hat. Es gibt nichts mehr zu tun.

Selbst wenn die Promotoren des BGE nicht daran glauben, dass es so weit kommt: Sie werden wohl zugeben müssen, dass ein guter Teil der Gesellschaft immer noch arbeiten müsste – ganz autonom wird sich das System wohl kaum aufstellen lassen. Müsste dann dieser arbeitende Teil der Bevölkerung dermassen geschröpft werden, dass es mittels Umverteilung für alle reicht? Welcher Gesellschaftsvertrag würde das wohl zulassen?

Karl Marx würde sich die Augen reiben

Das BGE ist eigentlich die Weiterentwicklung eines sozialistischen oder marxistischen Systems: Bisher ging deren Lehre von einem Recht auf Arbeit aus. Neu könnte es nun auch ein Recht auf Nicht-Arbeit geben.

Gewisse Politiker möchten also am liebsten die Arbeit abschaffen. Erfüllung in der Arbeit selbst wird sekundär. Leider geht dabei vergessen, dass oft die gleichen Politiker von den Meriten eines gewissen Arbeitsethos der andern – eines der Erfolgsrezepte unserer Gesellschaft – profitieren.

Nachdem in den letzten Jahrzehnten fast alle wichtigen sozialen Forderungen erfüllt werden konnten, sehen Neolinke und andere Kreise heute im Menschen wohl ein Subjekt mit automatischem Anspruchsrecht auf ökonomische Zuwendung vom Staat. Den „Staat“ stellen sie sich dabei vielleicht als ein ökonomisches Perpetuum mobile dar, welches Geld schöpft. Sie vergessen leider, dass der „Staat“ die Bevölkerung ist. So hatte es sich Karl Marx nicht ausgedacht – dieser wollte nur eine gerechtere Verteilung von Arbeit und Kapital. Eine ganz lesenswerte Lektüre übrigens.

Berechtigte Forderungen:

Natürlich gibt es zahlreiche Probleme bei den Sozialwerken. Diese sind oft zu kompliziert aufgestellt, ineffizient, und die Mittel kommen nicht immer an den richtigen Orten an. Damit wir uns nicht missverstehen: Das Recht auf Hilfe soll natürlich nicht bestritten werden. Allerdings nicht das Recht auf Hilfe ohne Not.

Das BGE hält in der Tat mit dem Finger auf eine wunde Stelle in unserer Gesellschaft. Das Problem ist aber ein systemisches und muss separat gelöst werden – und nicht mit dem Füllhorn eines BGE.

Es gibt Alternativen

Man kann die Probleme besser lösen: Es müssen Anreizsystem gefördert werden, um der Arbeitslosigkeit zu entrinnen: Umschulungen, Zwischenverdienstmöglichkeiten. Ein berufliches Downgrading muss zumutbar sein, um der Abwärtsspirale zu entrinnen, die sich mit zunehmender Länge der Arbeitslosigkeit auftun kann. Vielleicht hat während der weit verbreiteten Corona-Kurzarbeit da und dort ein Umdenken stattgefunden?

Es gibt in den meisten westlichen Gesellschaften riesige Lücken bei Pflege- und Betreuungsberufen, in Unterhalts- und Dienstleistungsbereichen. Die Frage der „Zumutbarkeit“ für Arbeit und Umschulung muss also vermehrt auf den Tisch kommen. Ansonsten kann die Volkswirtschaft nicht auf Touren kommen. Wenn der Produktionsfaktor Arbeit falsch eingesetzt wird, die Staatskosten steigen und soziale und psychologische Folgekosten aufgrund der Nicht-Beschäftigung ebenso steigen, droht der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Abstieg. Der Mensch möchte ja arbeiten – an sich. Auch wenn Arbeit zugegebenermassen nicht immer und nicht für alle lustig ist. Wenn der Staat dem Bürger allerdings suggeriert, dass er nicht unbedingt arbeiten muss, wird er lernen, nicht zu arbeiten. Frankreich z.B. hat hier hervorragende Vorarbeit geleistet, La Grande Nation war ein verdeckter Vorreiter in Sachen BGE-Ideen und Verdrängung von Arbeitsethos. Italien und Spanien folgen nun mit ihren eigenen BGE-Konstrukten. Und die VAE hatten das BGE de facto schon viel früher erfunden – nur wussten sie es nicht. Ob es nun die intelligenten Zürcher Ratsmitglieder neu erfinden?

Fazit:

Das Thema BGE wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einigen europäischen Staaten immer wieder auf den Tisch kommen. Es steht einfach in der fixen Agenda gewisser sozialpolitischer Irrlichter. Auch in der Schweiz. Deshalb gilt es das Begehren zum Vornherein abzulehnen. Ein BGE ist nicht nur volkswirtschaftlich schädlich, sondern entfaltet auch eine demotivierende Wirkung für jeden Arbeitnehmer. Arbeit muss interessant bleiben. Ein BGE gefährdet zudem die Würde eines einigermassen aufgeklärten Bürgers. Es ist ganz einfach der falsche Weg, um das Problem von allfällig mangelnder Arbeit zu lösen. True Economics hegt jedoch den Verdacht, dass die Idee des BGE von gewissen Protagonisten nicht aus Gründen der besseren Arbeitsverteilung gefördert wird, sondern weil viele Kreise einfach nicht arbeiten wollen. Nicht-Arbeit macht indessen selten glücklicher. Das BGE bleibt letztlich eine absurde Fiktion.

Die Swiss sollte grounden

Die optimistischen Szenarien des Lufthansakonzerns sind nicht eingetreten. Nicht einmal die vorsichtigen Prognosen von True Economics haben sich bestätigt: Die Realität sieht leider noch viel unappetitlicher aus, denn auf absehbare Zeit wird deutlich weniger geflogen – und kaum eine Luftgesellschaft kann ihren Betrieb aus eigener Kraft aufrechterhalten. Betriebswirtschaftlich ist ein Downsizing alleine nicht zu schaffen, also ist man auf Staatshilfe angewiesen. Also lieber schon heute ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende: Die Swiss müsste vernünftigerweise jetzt grounden.

Es wird nicht geflogen

Gemäss neuen Schätzungen der Swiss wird demnächst 60-70 % weniger geflogen als 2019. Bisher lag die Prognose bei 50% – eine immer noch sehr sportliche Annahme.

Zurzeit werden rund 50% der früheren Flugziele angeflogen, allerdings mit ausgedünnter Kadenz und oft leeren Fliegern, zudem kaum auf den lukrativen Langstrecken. Das Passagieraufkommen insgesamt liegt heute schätzungsweise bei minus 85% zum Vorjahr.

Die Kurzarbeit für die Swiss Crew soll gemäss Bund noch bis Ende 2021 verlängert werden. Und dann vielleicht nochmals? Und nochmals? Damit wird die Swiss zwar sehr schön von den Personalkosten entlastet. Aber es ist nur ein Pflaster, denn fast alle anderen Kosten laufen weiter, viele sind zum Teil gar nicht beeinflussbar (wie die Abschreibungen z.B.).

Die vorsichtige Schätzung von True Economics im Frühjahr 2020 war sogar noch zu optimistisch: Damals korrigierten wir die Prognose der Swiss klar nach unten (siehe Chart). Nun müssen wir die Prognose leider nochmals nach unten korrigieren (siehe unterste Linie im Chart).

Unsere Prognose für den Luftverkehr:

Erst 2022 wird wieder richtig geflogen, denn bevor nicht eine mehr oder weniger flächendeckende Corona-Impfung kommt, wird nichts laufen, denn der freie Reiseverkehr bleibt bis dann abgewürgt. Der Tourismus wird sich dannzumal zudem auf einem deutlich tieferen Level einpendeln, 2022 und 2023 auf vielleicht 75%, verglichen mit 2019. Die Anzahl Geschäftsflüge wird indessen noch tiefer liegen – die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten mit allen ihren Lerneffekten werden massiv auf die künftigen Reisepläne durchschlagen. 2022 und 2023 wird das Passagieraufkommen hier vielleicht bei 60% liegen.

Düstere Aussichten für die Swiss

Der Faktor Geschäftsreisen wird ertragsmässig besonders stark ins Gewicht fallen, denn die Swiss verdiente das Geld bislang vor allem mit den Tickets der Business und der First Class. Ein deutliches Downsizing ist also angesagt, für den gesamten Betrieb. Bedeutend weniger Personal kann beschäftigt werden, eine markante Reduktion der Flotte ist angesagt. Leider können die überzähligen Flieger auf dem Weltmarkt kaum verkauft werden; Abschreibungs- und Unterhaltskosten laufen also weiter. Der Frachtverkehr ist von der Misere kaum betroffen. Aber das hilft der Swiss auch nicht weiter, denn in diesem Geschäft war die Airline eh nie besonders stark.

Point of no Return?

Mit der stark reduzierten Auslastung wird also unmöglich rentabel gewirtschaftet werden können, ergo werden sich neue Verluste zu neuen Schuldenbergen auftürmen. Auf dem Kapitalmarkt sind mit derlei düsteren Aussichten keine vernünftigen Finanzierungen zu bewerkstelligen, also müsste der Staat wieder einspringen. Und immer wieder. Und wenn sich der Staat dann mal so richtig reingekniet hat, wird das ganze Drama politisch zu einem Point of no Return – und es wird weiter unterstützt.

Ein Unternehmer würde den Stecker ziehen

Nun, was macht ein Unternehmer, welcher täglich Millionenverluste erzielt und sich einem kurz- und mittelfristigen Budget gegenübersieht, bei dem sich nur Abgründe auftun? Die unangenehme Antwort lautet: Er zieht den Stecker. Das ist auch richtig so. Denn einmal mit der schieren Unmöglichkeit konfrontiert, auf absehbare Zeit je wieder positive Zahlen zu liefern, muss konsequenterweise die Aufgabe der Geschäftstätigkeit anvisiert werden, sofern keine erfolgsversprechende Diversifikationsstrategie besteht, die das Kerngeschäft markant stützen könnte – und es sieht ganz danach aus, als dass eine solche inexistent ist. Genau an diesem Punkt steht die Swiss heute. Die weltweiten Überkapazitäten (viele davon werden mit massiver staatlicher Unterstützung aufrechterhalten) werden zudem noch während Jahren auf die Flugpreise drücken. Quintessenz: Es wird nie mehr so sein wie gestern.

Doch die kognitive Wahrnehmung des Swiss Managements sieht offenbar anders aus: So möchte man, wie in diesen Tagen kommuniziert, „1‘000 Stellen binnen zwei Jahren abbauen“. Das sind 5% pro Jahr. Liegt hier ein kleines Missverständnis vor…? Wird hier jemand vom Teufel geritten, ist naiv – oder versucht einfach nur chancenlose Zuversicht zu verbreiten?

Nicht systemrelevant

Wir hatten früher schon festgehalten: Die Swiss ist nicht systemrelevant. Ab Zürich und Genf wird immer geflogen werden, es wird sich immer eine Airline finden, welche Passagiere und Güter transportiert – die Schweiz wird folglich nicht abgeschnitten sein. Der Umkehrschluss, wenn dem nicht so wäre: Er würde nämlich bedeuten, dass die Swiss bisher (aus „Systemgründen“?) unrentable Flugziele bediente, und zwar vorsätzlich. So viel zur Systemrelevanz.

Auch kein Heimatschutz

Aus Heimatschutzgründen lässt sich ein Aufrechterhalten einer deutlich unrentablen Dienstleistung ebenso wenig rechtfertigen – zumal hinter dem Schweizerkreuz der Swiss der deutsche Kranich hockt, notabene ein teilstaatlicher Betrieb. Es gibt also bereits heute keine „Schweizer“ Airline mehr. Wenn gegroundet würde, könnte schon am nächsten Tag wieder geflogen werden. So war’s auch 2001, und das würde auch 2020 funktionieren. Die neue Firma hiesse  diesmal vielleicht New Swiss. Oder es wäre eben die Lufthansa, welche Zürich und Genf anfliegt. Die würde das gerne machen, und wir würden es überleben. Wir verherrlichen eh seit Jahren unsere „eigene“ Airline, fliegen aber mit anderen Carriers, so mit Easyjet, Ryanair oder Emirates. Wird die „Swiss“ heute etwa vor allem von Nichtfliegern verherrlicht, während die Vielflieger ziemlich schmerzfrei mit irgendeiner Airline fliegen…?

Grounding lieber jetzt

Ausgehend von einem heute sehr realistischen Szenario (mit einem Passagieraufkommen entsprechend unserem Chart) gibt es fast keinen Ausweg, als die Firma aufzugeben.

Nachdem sich nun der deutsche und der Schweizer Staat ins Cockpit gesetzt haben, wird die Sache indessen schwieriger. Ob damit fast ein Point of no Return impliziert wurde? Die de facto nach Berlin geschickte eidgenössische Hilfs-Milliarde wird schon bald verbrannt sein, das Wehklagen nach weiterem Geld liegt bereits in der Luft.

Nach dem kürzlichen Abgang des CEOs wird sich in dieser Situation heute eh kein Top Manager mehr finden lassen, der dieses Himmelfahrtskommando übernimmt. Also wird der Mutterkonzern wohl einen vorübergehenden Troubleshooter aus Deutschland abkommandieren – vielleicht gar als Strafversetzung…?

Mit einem Grounding könnte die für den Staat sehr teure Kurzarbeit aufgelöst werden. Die Swiss selber könnte sich mit einem Schlag von allen Lasten erledigen: Alle Schulden würden sich sublimieren, alle Personalverträge wären aufgelöst. Bedauerlich für alle Einzelfälle – aber die Einzeldramen werden wohl nur vorgezogen.

Wie läuft ein Grounding ab?

Alle Aktiven und Passiven würden bei einem Grounding dem Insolvenzverwalter „gehören“. Auch die Flieger. Intelligenterweise müsste man am Tage X sicherstellen, dass sich diese dann nicht gerade an einem Ort befinden, wo sich noch unbezahlte Rechnungen aufgehäuft haben – ansonsten die schönen Fluggeräte wohl gleich arrestiert würden.

Richtig vorbereitet, starten am nächsten Tag wieder ein paar Flieger, unter einer neuen Firma. Das Personal wird sich sofort finden lassen, kurzfristig selbst mit provisorischen Anstellungsverträgen. Das Prozedere ist nicht einfach, kann jedoch sauber vorbereitet werden – ganz im Gegensatz zu 2001, als Staat, Banken, Personal und Kunden auf dem linken Fuss erwischt wurden. Es ist also nur zu hoffen, dass heute schon ein Plan B für ein Nach-Grounding-Projekt besteht. In diesem kann vorgängig die künftige realistische Grösse der dann arg verkleinerten Firma festgelegt werden, die Flugziele definiert, die nötigen Flieger könnten aus der hübschen Flotte am Boden herausgepickt werden. Die Finanzierung könnte ebenso sauber im Hintergrund geplant werden. Soweit die betriebswirtschaftliche Theorie zum Ablauf des Neustarts. Nur: Jetzt müssten hier eine entscheidungsarme Angela Merkel und ein von der Politik drangsalierter Ueli Maurer, sekundiert von der eh schon arg strapazierten Pianistin Simonetta Sommaruga, mitplanen. Ob das funktioniert, so im Geheimen…?

Fazit: Vernünftigerweise wäre jetzt ein Grounding angesagt. Die Swiss wird auf Jahre hinaus ohne fremde Hilfe nicht überleben können. Es ist zu befürchten, dass die staatliche Unterstützung also noch sehr lange weitergehen müsste. Der Flugbetrieb und die Infrastruktur der Firma würden während dieser ewig andauernden Agonie in homöopathischen Dosen reduziert, das Personal mit Kurzarbeit noch lange durchgefüttert und ein riesiger Schuldenberg aufgebaut, welcher kaum je getilgt werden kann. Der Staat müsste bezahlen – also wir. Das ist unverantwortlich, sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Also lieber ein Grounding sofort, mit einem realistischen Neustart. Oder eben ohne Neustart – wir würden es überleben.

Hat Warren Buffett immer recht?

Dann sollten wir jetzt so handeln wie er.

Ja, der Starinvestor Warren Buffett hatte sehr oft recht mit seinen Anlagestrategien. Diese beruhen in der Regel auf Langzeit-Visionen – Visionen, die uns als Hinweis dienen können, was wirtschaftlich auf uns zukommen wird. Sollten wir also weiter von ihm lernen? Nicht nur seine Anlagestrategie kopieren (wir könnten natürlich auch seine Aktie kaufen), sondern sein ganz aktuelles Verhalten richtig interpretieren: nämlich das Nichtstun. Er investiert nicht mehr. Glaubt er also an eine längerfristige Rezession, und befürchtet er doch noch einen grösseren Einbruch an den Aktienbörsen? Uns interessiert seine Grundhaltung – aber auch sein aktuelles, atypisches Investmentverhalten. Die Interpretation von letzterem lässt nämlich tief blicken.

Warren Buffett hat noch nie nichts getan – ausser jetzt

Das „Orakel von Omaha“ ist jetzt 90 geworden. Kaum eine Zeitung, die nicht davon berichtete. Zahlreiche Bücher sind in den letzten Jahren über ihn erschienen. True Economics möchte deshalb keinen weiteren Aufsatz über sein Leben und seine Anlagestrategie sowie den Erfolg seiner Berkshire Hathaway verfassen. Uns interessiert eher sein gegenwärtiges Nichtstun. Es ist atypisch. In seiner ganzen Karriere hatte er nämlich noch nie nichts getan. Dabei hatte Buffet immer schon ein gutes Händchen; seit er 14 ist, handelt und investiert er. Es gibt wohl kaum eine lebende Person, welche damit auf immerhin 76 Jahre Berufserfahrung in der Wirtschaftswelt zurückblicken kann.

83 Milliarden Dollar – und er macht sich nichts draus

Warren Buffett ist mit 83 Milliarden USD der drittreichste Mann der Welt – nach Jeff Bezos und Bill Gates. Aber er verteilt immer ein bisschen etwas, und er unterhält zahlreiche Stiftungen. Die Milliarden hindern ihn auch nicht daran, seit über 60 Jahren im gleichen Haus zu leben (das er 1958 für USD 31‘500 gekauft hatte). Seit Jahren beträgt sein Salär USD 100‘000. Buffett hält immer noch knapp 20% an seiner börsenkotierten  amerikanischen Investment-Gesellschaft. Die Aktie von Berkshire Hathaway ist die teuerste Aktie der Welt. Wir haben nachgeschaut: 1969 kostete ein Anteil USD 43, heute deutlich über USD 300‘000. Bei einem solchen Aktienpreis muss man sich zumindest nicht mit unangenehmen Kleinaktionären herumschlagen.

Immer überdurchschnittliche Renditen. Das Geheimnis?

Anstatt das Geheimnis seines Anlage- und Beteiligungserfolges zu ergründen, könnten wir natürlich einfach Aktien von Berkshire Hathaway kaufen. Oder sein Anlagemuster oder gar sein Portfolio kurzerhand kopieren. Zurückblickend lässt sich auf jeden Fall beobachten, dass Buffett nie Index-orientiert handelte. Er pickte Rosinen und hielt sie langfristig. Aktien, Unternehmensanteile, Anleihen. Das Gegenteil eines Daytraders eigentlich. Er verfolgte auch immer den Value-Ansatz, und er kaufte nur, was er verstand. Er liebte immer Low-Tech: Coca Cola, Heinz, Gillette. Unkomplizierte Sachen. Sogar die Aktien der Washington Post waren immer noch selbsterklärend. Dow Chemical dann schon etwas komplizierter – aber transparent. Auch General Re oder General Electric. Heute ist Buffet etwas flexibler, so sind Investitionen in Goldman Sachs hinzugekommen – offenbar traut er der Firma zu, nie Geld zu verlieren – was für die Kunden von Goldman Sachs selbstredend nicht gilt.

Warren Buffetts Denken und erfolgreiches Handeln lässt sich mit den folgenden 11 Punkten erklären:

  1. Buffett handelt ziemlich konsequent nach dem Prinzip des Value Investing. Wenn der innere Wert einer Beteiligung deutlich unter dem Börsenkurs liegt, deutet er dies als Kaufsignal. Er liebt ganz einfach den reellen Gegenwert. Deshalb hat er auch nie auf die Überflieger der Tech-Branche gesetzt. Die Dotcom-Blase im Jahr 2000 ging an ihm spurlos vorüber – er besass keine einzige Aktie der hochgejubelten Branche. Kurz vor dem Platzen der Blase wurde ihm das noch als Anlagefehler angekreidet – doch er behielt recht.

Im Durchschnitt der letzten 40 Jahre erzielte er eine rekordverdächtige jährliche Rendite von 20%.

Dass Value-Aktien in der Regel hinter den sogenannten „Wachstumsaktien“ hinterherhinken, ist ihm ziemlich egal. Ob er auch hier recht behält? In ein paar Jahren werden wir es wissen.

  • Buffett investiert nicht in Dinge, die er nicht begreift. So betonte er oft, dass er nichts von Technologie verstehe. Also kaufe er das auch nicht… Erst 2017 investierte er massiv in Apple – als die Firma eigentlich schon fast eine „normale“ Firma war. Strukturierte Produkte, Derivate? Solche Instrumente bezeichnete Buffett schon mal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“.
  • Warren Buffett sah sich nie als Aktionär, sondern immer als Teilhaber. So kann er nachhaltiger denken.
  • Er investiert nur in Firmen mit erwiesenen Erträgen – nicht erhofften.
  • Er investiert nur in Firmen mit kompetentem Management. Er versucht nicht, mittels Führungsaustausch Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu nehmen – eine sonst beliebte Praktik der Investmentfirmen.
  • Buffett macht persönlich keine Schulden. Er „leveraget“ seine Beteiligung bei Berkshire Hathaway nicht. Die Regel gilt auch für die Firmen, in die Berkshire investiert – diese müssen immer gesund kapitalisiert sein. Allerdings war er sich in den letzten Jahren gut genug, sich bei Berkshire doch etwas Geld zu borgen (spottbillig natürlich), um gezielte Investitionen zu tätigen.
  • Buffett hält immer genügend Cash, um jederzeit investitionsbereit zu sein. Im Moment werden es um die 130 Milliarden USD sein, die bei Berkshire rumliegen.
  • Berkshire Hathaway schüttet keine Dividenden aus. So steigt das Eigenkapital konstant an, und damit kann mehr dazugekauft werden. Notfalls kauft Buffet manchmal die eigenen Aktien, wenn diese vorübergehend gestützt werden müssen.
  • Buffett hat sein ganzes Vermögen in Berkshire Hathaway investiert. Er ist kein Fonds-Manager, auch kein CEO einer Investmentgesellschaft. Er ist Eigner und seine langfristigen Ziele decken sich deshalb mit denen der Aktionäre.
  • Buffett lebt selber einen bescheidenen Lebensstil. Geld an sich ist für ihn kein Antrieb – ein nützlicher Charakterzug für langfristiges Denken. Der Multimilliardär wird nur einen Bruchteil seines Vermögens an seine Kinder vererben; der Grossteil wird an gemeinnützige Institutionen gehen. Ob das Donald Trump auch schon angedacht hat? Buffet jedenfalls denkt nicht vermögensgetrieben – ein weiterer Beweis, dass er die richtigen Voraussetzungen mitbringt für nachhaltige Investments.
  • Buffett arbeitet immer noch. Warum er sich das antut? Ganz einfach: Es macht ihm Spass. Vielleicht ist er doch eher ein Unternehmer und kein Investor? Die Freude an der Arbeit ist auf jeden Fall eine gute Voraussetzung, um Erfolg zu haben.

Wie reagiert Buffett in der Coronakrise?

Zu Beginn der Krise, im März 2020, verkaufte Buffett sofort alle Airline-Beteiligungen. Anschliessend machte er folgendes: nichts. Es wird ihm seit Monaten Inaktivität vorgeworfen, und zum ersten Mal kommt sein Alter zur Sprache.

In der Regel kauft Buffett in Krisen immer hinzu. Wir vermuten jedoch, dass er die Airlines nicht nur in einer vorübergehenden Krise sieht, sondern eher eine länger andauernde Agonie befürchtet – was tatsächlich einen konsequenten Ausstieg erforderte. Was bemerkenswert ist: Er tätigte diesen schon früh, gleich zu Beginn der Krise – als noch alle im Nebel stocherten und von einem rezessiven V-Shape fabulierten.

Buffett investierte in den letzten Wochen einzig in japanische Handelshäuser. Offenbar betrachtet er deren Aktivitäten als krisenresistent und ortet Entwicklungspotential.

Buffett griff in der Finanzkrise tüchtig zu

Während der Finanzkrise 2008/2009 hatte Warren Buffett umfassend zugekauft. Er nutzte die  Unterbewertung von vielen an sich gesunden Firmen. In der jetzigen Krise sieht er das offenbar anders. Nun, nachdem er während Dezennien recht hatte, liegt die Wahrscheinlichkeit vielleicht hoch, dass er auch diesmal recht hat.

In der Tat sind noch allerlei tiefgreifende wirtschaftliche Verwerfungen möglich – die Krise ist beileibe noch nicht ausgestanden. Eine langanhaltende Rezession oder Depression ist immer noch ein wahrscheinliches Szenario. Das sieht Buffett wohl auch so.

Fazit:

Die Coronakrise wird wohl oder übel als die grösste Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg in die Geschichte eingehen. Dabei geht es nicht eigentlich um die medizinische Bewältigung der Pandemie, sondern um die Bewältigung von deren makro- und mikroökonomischen Folgen. Die Finanzmärkte könnten nochmals richtig durchgeschüttelt werden. Wenn Warren Buffett recht hat, so haben die Börsen einige Talfahrten noch vor sich – sonst hätte er schon lange zugeschlagen. Unsere Interpretation also: Das Nichtstun des alten Starinvestors ist nicht auf sein bald biblisches Alter zurückzuführen. Sondern auf seine Vision, dass die Wirtschaftskrise noch lange nicht ausgestanden ist. Vergessen wir die V- und die U-Shapes. Es wird länger dauern. Also sollten wir vielleicht so handeln wie Warren Buffett: nämlich nichts tun?

Braucht die Schweiz einen Staatsfonds?

Oder warum unter dem Deckmantel eines Staatsfonds der Staatskapitalismus gefördert werden könnte

Immer wieder kommt die Idee eines Staatsfonds auf den Tisch: vor Jahren schon, als der Bund regelmässig Überschüsse im Staatshaushalt erzielte. Und kürzlich wieder, als man nicht wusste, wohin mit den fetten Überschüssen der Nationalbank. Und jetzt wieder, im Lichte Coronas: Der Staat könnte doch mittels eines Fonds kranke „systemrelevante“ Unternehmen übernehmen… In allen Fällen krankt es jedoch an nachhaltigem Denken: Staatsfonds lassen sich nur rechtfertigen, wenn man wirklich nicht mehr weiss wohin mit dem Geld! True Economics analysiert.

Die Idee ist verführerisch: Sollte ein Staat tatsächlich über überflüssige Einnahmen verfügen, könnte man das Geld doch in einem separaten Fonds bunkern. Für schwere Zeiten, für später, für die kommenden Generationen. Man entzieht die Mittel der – wo vorhanden – demokratischen Kontrolle und spart sie. So werden sie zumindest nicht unnütz verschwendet. Ein eleganter Gedanke an sich.

Nur: Die wenigsten Staaten kommen je in die beneidenswerte Lage, dass sie mehr einnehmen als sie ausgeben können. Trotzdem gab es ein paar Länder, die sich in den letzten Jahren in dieser Situation befanden und die Gunst der Stunde nutzten. Entweder handelte es sich um eine Situation von brillantem Staats-Management (in Singapur z.B.), oder um Glück aufgrund übermässig sprudelnder Ölquellen.

Hier ein paar Beispiele der grössten Staatsfonds der Welt:

Norwegen beschloss, einen Gutteil seiner Erdölerträge für spätere Generationen in dem weltweit grössten und billionenschweren eigenen Staatsfonds zu bunkern – eine gute Sache.

Oder Saudi Arabien, Kuwait, die Emirate, Katar: Die Golfstaaten unterhalten alle gut gefüllte Fonds-Schatullen. Allerdings müssen diese nun geplündert werden, da sich aufgrund der erodierenden Erdölpreise gigantische Defizite in den Staatshaushalten auftun.

Auch China, Singapur oder Hong Kong unterhalten gut dotierte Fonds. Am meisten Ruhm (wenn auch im negativen Sinne) brachte sein Staatsfonds allerdings Malaysia ein: Sein 1MBD Fund hatte sich als Abgrund von Korruption und Regierungsversagen erwiesen. Womit sich uns die Grenzen des Fonds-Managements offenbaren: Es braucht demokratische Kontrollen. Allerdings keine demokratische Einflussnahme im Fonds-Management, sonst wird das Vehikel zum Spielball politischer Partikular-Interessen.

Die reiche Schweiz könnte doch einen fetten Staatsfonds aufbauen

Der Ideen waren schon viele. Insbesondere während Zeiten von nachhaltigen Überschüssen im Staatshaushalt kamen immer wieder Ideen für die Gründung eines Staatsfonds auf. In solchen Fällen zumindest diskussionswürdig.

Variante 1: Der Staatsfonds mit Schuldenaufnahmen

Oft werden Ideen zum Fondsaufbau jedoch mit gefährlichen Pferdefüssen versehen: Die SP zum Beispiel lancierte jüngst die Idee, einen Staatsfonds mit grosszügiger Schuldenaufnahme zu finanzieren. Aus Sicht eines Bankers zum Beispiel (hier machte die SP betreffend Sichtweise wohl eine ideologische Ausnahme) könnte dies Sinn machen: Zu Negativzinsen extrem langfristige Milliardenschulden aufnehmen, dann klug zu investieren – in Aktien, Anleihen, Fremdwährungen, Immobilien, etc. Die Rendite müsste doch extrem positiv sein, also könnte man mit dieser soziale Ausgaben bestreiten. Nur: Der Staat sollte es sich nicht leisten, einen solchen gigantischen Hedgefonds mit der Wette auf Zeit und Erfolg zu unterhalten. Und: Wieso sollte dies der Staat besser tun als private Unternehmen?

Variante 2: Der Staatsfonds zur Stützung systemrelevanter Unternehmen

Die CVP gab sich erst kürzlich ins staatskapitalistische Abseits: Sie schlug einen Staatsfonds vor, welcher „systemrelevante“ Firmen unterstützen oder übernehmen könnte. Wir ahnen schon, wie dies dann vonstatten gehen würde: Die Systemrelevanz würde mit Sicherheit äusserst politisch ausfallen, es müsste dann basisdemokratisch ausgejasst werden, was alles als systemrelevant gelten soll. Am Schluss vielleicht alles. Tür und Tor würden geöffnet für staatliche Übernahmen und Beteiligungen. Wie in Frankreich – oder schlimmer. Ordnungspolitische Sündenfälle wären absehbar.

Variante 3: Staatsfonds aus Überschüssen

Sollten die Schulden einmal nahezu abgebaut sein, könnte ein Staatsfonds in der Tat angedacht werden. Anstatt Überschüsse unnötig zu verpulvern oder irgendwo zu parken, könnte in einem solchen Fall tatsächlich an einen professionell geführten Staatsfonds gedacht werden. Eine Ausnahmesituation, wie sie sich etwa in Norwegen ergab.

Der Weg zum Staatskapitalismus ist kurz

In allen drei Fällen droht das Übel, dass die Staatsfonds Verstaatlichungen oder zumindest ungebührliche Staatseinflüsse fördern, sofern sie deren Manager sich bei den Anlageentscheiden nicht als kluge und unabhängige Investoren betätigen, sondern als staatskapitalistische Gestalter. Das Risiko ist hoch, dass ein Staatsfonds nicht apolitisch gemanagt wird. Norwegen und Singapur sind die wohl wenigen löblichen Ausnahmen, welche die Regeln begriffen haben.

Die höchste Entwicklungsstufe eines Staatsfonds ist wohl dann erreicht, wenn der Staat gleich grosse Teile der Wirtschaft besitzt und verwaltet. Der Fonds ist der Staat – bzw. der Staat ist der Fonds. Die de facto Verschmelzung der beiden Gebilde heisst dann weder „Fonds“, noch „Staat“. Das staatliche Gebilde ist dann einfach Besitzer und Lenker eines Grossteils der Wirtschaft.

Frankreich liegt heute schon bei einer besorgniserregenden Staatsquote von 56%, Deutschland bei 45%. Die Nach-Corona-Ära wird vermutlich aufzeigen, wie stark die Quote allein im 2020 gewachsen sein wird. Die Schweiz liegt Gott sei Dank nur bei rund 35%, allerdings mit steigendem Trend. (Kiribati, die klamme Pazifikinsel, liegt übrigens bei über 150% – ein Fingerzeig, dass die Skala gegen oben durchaus offen sein kann. Im Falle dieses merkwürdigen Eiland-Staates zum Beispiel, indem man – dank ausländischer Hilfe und explodierenden Schulden – tatsächlich nur schon als Staat jährlich mehr ausgibt als das komplette BIP hergibt.)

Wir kennen das Resultat: unproduktiver Staatskapitalismus. Die Eurozone wird 2020 wohl bei 50% liegen. Das heisst, dass der Staat mit seinem eigenen Konsum die Hälfte zum BIP beiträgt. Nur logisch, dass der verstärkte Einsatz von Staatsfonds die Prozentzahl weiter gegen oben drücken würde.

Fazit:

Ein Staatsfonds für die Schweiz könnte erst dann Sinn machen, wenn die Staatsschulden auf ein unerhebliches Mass abgesunken sind, der Bund aber immer noch Überschüsse erzielt. In diesem Fall dürfte ein Fonds indessen nicht risikobehaftetes Leverage betreiben (also nicht Fremdkapital aufnehmen, um die Rendite zu verbessern). Ausserdem müsste der Fonds durch Dritte und völlig apolitisch gemanagt werden. Und da sich alle diese Einschränkungen und Konstellationen in den nächsten Jahren kaum ergeben werden, können wir das Thema Staatsfonds getrost erst einmal auf die Seite legen!

Schaden der Bundesrat und das BAG der Schweizer Wirtschaft?

Der Bundesrat und das BAG profilieren sich seit Monaten durch erratisches Handeln. Vergessen wir die frühere Maskenlüge. Heute geht es um mehr, denn Agieren und nicht langsames Reagieren in wesentlichen Wirtschaftsfragen ist angesagt. Einerseits hat der Bundesrat den Kantonen eine zum Teil willkürliche Führung der Krise ermöglicht, andererseits kokettiert er immer mehr mit strukturerhaltenden Finanzhilfen. Macht er es einfach nicht gut – oder schadet er gar? True Economics geht der Sache ungeschönt auf den Grund.

Willkürliche Schutzmassnahmen

Nur wenige Wochen ist es her, dass der Bundesrat die Bewilligung für Grossanlässe gelockert hatte, just zum Zeitpunkt, als die Corona-Fallzahlen wieder in die Höhe schnellten. Ein PR-Gau, welcher sehenden Auges eingeleitet wurde.

Inzwischen wissen wir wie sich – weltweit – Hotspots ergeben: u.a. in Clubs, bei Events, Festen, etc. Also verhängte die Züricher Regierung nun auch, im Zuge eines Schildbürgerstreiches quasi, in den menschenleeren Museen eine Maskenpflicht. Die Clubs aber sind immer noch offen, auch das frivole Leben in den Rotlichtquartieren geht mehr oder weniger weiter. Wir wissen neu auch um die rasche Verbreitung des Virus in den Schulen. Trotzdem ist eine Maskenpflicht an diesen Orten kaum angedacht.

Wir vermissen die top-down Entscheide. Wieso können die Probleme und die Verbreitungsrisiken der Pandemie und die Hotspots nicht apolitisch definiert werden, um den Rest des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu verschonen? Die Kantonsregierungen sind offenbar der politischen Willkür ausgeliefert oder – im besten Fall – einfach überfordert. Aber wenn der Bundesrat in diesen Fällen nicht eingreift, nimmt er seine Rolle nicht wahr. Er führt nicht. Und er tut dies unter dem Deckmäntelchen des unantastbaren Föderalismus. Leider ist das Corona-Virus indessen kein kantonales Virus. Alle Entscheide – und Fehlentscheide – diesbezüglich haben nationale Auswirkungen. Es fehlen klare Empfehlungen an die Kantone, und die Koordination müsste bedeutend stärker gefördert werden. Abweichler müssten ins Gebet genommen werden. Das wäre Führung. Es darf nicht sein, dass wir uns in einer Krise mit bedeutender wirtschaftlicher Auswirkung (für den Staat, für Unternehmen und Bürger) mit Achselzucken hinter föderalistischen Strukturen verstecken.

Keine Führung des BAG

Dass das Bundesamt für Gesundheit heillos überfordert ist, ist inzwischen ziemlich evident. Es gibt in Fällen von solchen Defiziten jedoch eine Lösung: Der Kopf der betreffenden Institution müsste eingreifen – also der Bundesrat. Aber er tut es nicht. Damit schadet er uns – mit  schlechtem Management in seinem Departement sowie eigener Führungsarmut.

Unsere Infektions-Fälle steigen. Unabhängig von deren medizinischer Relevanz (oder Nicht-Relevanz) hat dies bedeutende Auswirkungen: Bald dürfen Schweizer in noch mehr Staaten nicht mehr frei einreisen, und die Erholung im Tourismus ist gefährdet. Dass „andere Länder ähnliche Probleme haben“, dürfen wir nicht als Benchmark akzeptieren. Wir müssen ja nicht wie die anderen sein – wir könnten es besser machen.

Fazit: Der Bundesrat führt nicht.

BAG pflegt eine absurde Länderliste

Südafrika wird neu von der Risikoliste genommen, obwohl das Land noch ganz tief im Coronasumpf steckt. Russland befindet sich nicht auf der Liste – ein Land, das sich noch mitten in der Infektionskrise befindet. Dafür wurden Aruba, Guam oder Cooks Island, zu welchen zur Zeit kaum Verkehrsverbindungen bestehen, auf die Risikoliste gesetzt. Hier herrscht dann Quarantäne bei der Einreise. Das BAG bezieht sich immer noch auf das Verhältnis positiv Getestete vs. Population – ungeachtet des Umstandes, dass die Testintensität der massgebende Faktor für die Resultate ist. Wenn kaum getestet wird, gibt es keine Fälle – der Trump‘sche Vorschlag sei in Erinnerung gerufen.

Und wie wird mit Frankreich umgegangen, wo die Fallzahlen schon lange im roten Bereich liegen? Mit dem Land, mit dem wir einen äusserst relevanten Grenzverkehr unterhalten? Die Schweizer Aussengrenze wird einfach gegen aussen verschoben. Dafür werden aber die oben genannten Mickey Mouse-Inseln auf der Risikoliste gelassen. Bei dieser Inkonsequenz treten nicht nur Fragezeichen auf, sondern sollten alle Alarmglocken läuten.

Ist die Länderliste des BAG nur einfach amüsant?

Ist diese Risikoländerliste nur amüsant – und deren Auswirkungen gar nicht so schlimm? Nein, die Liste ist nicht nur peinlich, sondern eben falsch und in ihrer Wirkung äusserst negativ. Erstens führt derlei Missmanagement zu erodierendem Vertrauen in die Behörden, und zweitens entfällt damit jegliche Planbarkeit für Reisen. Reisen ist wichtig für die Wirtschaft, Zoom kann nun mal nicht alles ersetzen. Der freie Reiseverkehr für Geschäftsreisende und Dienstleister ist ein Multiplikator für das Wirtschaftsgeschehen. Auch medizinisch wird mit diesen falschen Restriktionen Sinnlosigkeit produziert, denn die wahren Risiken des Personenaustausches werden durch die willkürliche Länderliste nur bedingt erfasst.

Der Bundesrat gibt neuerdings zu, dass die Liste des BAG vielleicht nicht perfekt ist. Aber sie sei konstant, basiere auf den Daten, die man nun einmal habe. Lieber Bundesrat: konstant falsch, leider!

Kaum Tests

Im Vergleich zu anderen Ländern wird in der medizinisch hochentwickelten Schweiz lächerlich wenig getestet. Tests könnten andere Massnahmen ersetzen, z.B. Quarantänen. Es wird auch nirgends Fieber gemessen – obwohl dies ein Indikator für eine Infektion wäre. In vielen Ländern, insbesondere in Asien, wird konstant Fieber gemessen, um so Infektionsfälle quasi nach dem Zufallsprinzip rauszuziehen. Es funktioniert.

Auch unsere Covid-App muss heute als Flop deklariert werden. Das BAG und der Bundesrat propagieren sie kaum mehr – es ist merkwürdig still geworden um sie. Haben sie wohl Angst, sich den Themen Freiheitsberaubung und digitaler Überwachung auszusetzen? Tatsache ist, dass Infektionsfälle der App-Administration kaum gemeldet werden, die App de facto also wenig bringt. Taiwan und Südkorea hatten das besser hingekriegt. Im Frühjahr dieses Jahres schon.

Absurde Strukturerhaltung

Nun soll also auch den Reisebüros geholfen werden. Wer hat noch nicht, wer will noch mal. Auch der Eventbranche soll geholfen werden. Bei beiden Branchen pflegt der Bund nichts anderes als Strukturerhaltung. Im Falle der Reisebüros muss einfach akzeptiert werden, dass diese schon vor der Krise in einem schmerzhaften Strukturwandel standen – Corona macht deren Existenz leider auf absehbare Zeit nun definitiv ziemlich obsolet. Der Markt für Reisebüros würde noch auf Jahre hinaus so oder so in rasantem Tempo schrumpfen. Der Staat jedoch versucht diesen Prozess, welcher zu einem Gutteil nicht nur durch den implodierten Flugverkehr, sondern ganz einfach durch die fortschreitende Digitalisierung geprägt ist, krampfhaft aufzuhalten. Als Lektüre empfehlen wir dem Bund und dem Parlament Schumpeters Ansatz der „schöpferischen Zerstörung“ – vielleicht würden diese Gedanken zu gewissen Erleuchtungen führen. Im Moment meidet der Bundesrat solche Gedanken wie der Teufel das Weihwasser. Aber so kann nichts Neues entstehen.

Dass auch die Eventbranche jetzt arg gebeutelt wird, ist durchaus bedauernswert, ist der Markt doch fast auf null eingebrochen. In Unkenntnis darüber, wann dieser Markt – und in welcher Grössenordnung –je wieder existieren wird, darf der Staat indessen eine einzelne Branche nicht einfach durchfüttern. Wenn später die Veranstaltungen wieder möglich sind, werden wieder innovative und initiative Unternehmer auftauchen, welche Events organisieren werden. Es werden vielleicht nicht die gleichen Firmen sein – aber so viel Marktglaube sollte der Regierung eben zugetraut werden, dass sich neue Strukturen in einer offenen Marktwirtschaft wie der unseren sofort konstituieren werden. Inzwischen muss notgelandet werden – tragisch, aber der Situation geschuldet. Das Gleiche gilt für Gastronomen und Clubs: Schliessen sie heute, ist auch dies bedauernswert. Aber es werden wieder neue auftauchen, ohne staatstragende Lücken zu hinterlassen.

Firmenblase, Arbeitsblase

Führung würde bedeuten, dass dieses Big Picture betreffend längerfristigen Überlebenswahrscheinlichkeiten vorhanden wäre. Ist es aber nicht. Wenn also dringend notwendige Strukturanpassungen verhindert und zu viel Geld für Strukturerhaltung ausgegeben werden, dann schadet der BR der Volkswirtschaft – in systemischer und in monetärer Hinsicht.

Im Moment werden Zombie-Firmen am Leben erhalten, die teilweise auch ohne Coronakrise nicht überlebt hätten. Dennoch werden sie durchgefüttert.

Das Gleiche gilt für die Arbeitslosigkeit: Bis Ende 2021 möchte die Regierung nun die Kurzarbeit verlängern. Kein Wunder, lag True Economics mit ihrer Schätzung der Arbeitslosigkeit (zu Beginn der Krise) falsch: Beim besten Willen konnte man nicht erahnen, dass der Bundesrat die Kurzarbeit auf bis fast zwei Jahre verlängern würde. Der Effekt ist vordergründig nur ein soziales Pflaster, hintergründig jedoch nichts anderes als ein hinausgeschobener Wandel. Arbeitsplätze, die auch in Monaten nicht mehr erhalten werden können, werden mittels Kurzarbeit geschützt. Entlassene Arbeitsnehmer könnten sich heute jedoch schon – mit Hilfe von Arbeitslosenunterstützung, klar – am Markt neu orientieren, wenn sie eben jetzt schon freigestellt würden. Jeder Einzelfall einer Entlassung mag einem leid tun. Aber wenn die Arbeit mittelfristig einfach nicht mehr da ist, ist es für alle Beteiligten besser, den so oder so notwendigen Schnitt frühzeitig zu vollziehen. 

Dauerhilfen werden zu Immerhilfen

Es scheint eben, dass da und dort der ordnungspolitische Kompass verloren ging. Krisen lassen sich nicht mit Geld eliminieren – vorübergehende Hilfen ausgenommen. Alles Weitere führt indessen zu planwirtschaftlichen Auswüchsen, denn es wird ungefragt ins Marktgeschehen eingegriffen. Dauerhilfen drohen zu Immerhilfen zu mutieren. Beispiel Swiss: deren Überleben am Markt in der derzeitigen Form ist unmöglich, aber dennoch wird aus vorgeschobenen Gründen der „Systemrelevanz“ erst mal durchfinanziert. Wetten, dass uns das Thema Swiss noch länger beschäftigen wird? Und noch teurer wird.

Weite Teile der Wirtschaft stehen unter Schutz

Der Ruf nach noch mehr Staat wird deutlich, nachdem gewisse Politiker jüngst einen Staatsfonds vorschlugen, welcher sich an systemrelevanten und serbelnden Unternehmen beteiligen sollte. Also nochmals ein Schritt in Richtung mehr Staatswirtschaft. Unsere Meinung hier ist klar: Staaten und deren Protagonisten sind schlechtere Manager als Unternehmen und deren Lenker – also soll der Staat die Finger davon lassen und seine Staatsquote möglichst tief halten!

Wir kennen das Resultat: unproduktiver Staatskapitalismus, nicht funktionierende planwirtschaftliche Auswüchse usw. Länder mit hohen Staatsquoten zeigen uns, wohin es nicht gehen sollte: Frankreich z.B., mit einer Staatsquote von stolzen 56%. La Grande Nation unterhält nicht nur Infrastrukturunternehmen wie die marode Air France oder die Electricité de France, sondern auch Rüstungs- und Kommunikationsunternehmen sowie zahlreiche Beteiligungen an Industrieunternehmen. So beispielsweise an Renault, in einem wohl wenig staatsverwandten Feld. Für die Staatsquote besonders schwer ins Gewicht fallen allerdings nicht nur die staatlichen Beteiligungen, sondern der staatliche Konsum, welcher sich nur mit jährlich höheren Schulden (und damit noch höheren Defiziten) finanzieren lässt. Frankreich bietet uns einen Ausblick, wohin die Reise eben nicht hingehen darf.

Corona als Brandbeschleuniger zur Erhöhung der Staatsquote

Die Coronakrise wird nun leider als Brandbeschleuniger für die Erhöhung der Staatsquoten wirken, denn die staatlichen Rettungs- und Unterstützungsmassnahmen werden in vielen Ländern den Staatsanteil am BIP in die Höhe treiben. Die Schweiz bleibt nicht verschont. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat künftig mehr Augenmass bei den Hilfeleistungen behält und auch das Parlament aufhört, das Füllhorn über nicht erhaltenswerten Branchen auszuschütten.

Fazit:

Die eingangs gestellte Frage muss leider mit JA beantwortet werden: Durch Missmanagement und Führungsschwäche schaden unsere Bundesregierung und insbesondere das BAG unserer Wirtschaft. Und durch Strukturerhaltung und massiven Schuldenaufbau schaden sie ein zweites Mal. Durch eine immer mehr dirigistische und planwirtschaftliche Wirtschaftspolitik – welche realistischerweise weiter abzusehen ist –  erleidet unsere soziale Marktwirtschaft nachhaltigen Schaden.

Das Parlament und der Bundesrat täten gut daran, sich nicht mit marktverzerrenden Geschenken zu überbieten, sondern flexiblere ordnungspolitische Leitplanken zu definieren – diese kurbeln die Wirtschaft nämlich erwiesenermassen nachhaltiger an. Und sie kosten erst noch nichts.

Neue Steuern braucht das Land

Oder eben nicht… ?

Die Pandemiekrise hat nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Staat Milliarden gekostet. In den Staatskassen rund um den Globus tun sich riesige Löcher auf; die Verschuldungen steigen überall stark an. Einsparungen allein werden hier nicht viel bringen – also wird über neue Steuern nachgedacht. Auch in der Schweiz. Doch: Ist das wirklich nötig? True Economics meint: Nein, es wäre gerade falsch. Mit ein paar wenigen Ausnahmen vielleicht…

Teure Krise

Das Pandemiejahr 2020 wird ein grosses Loch in die Bundeskasse reissen. Die Hochrechnungen sind noch vage, jedoch werden es am Ende des Jahres wohl gut 20 Milliarden sein, die fehlen. Die Schweizer Staatsverschuldung wird damit von bescheidenen 40% (je nach Rechnungsweise) des BIP auf schätzungsweise gegen 50% steigen. Dazu müssen die Defizite der Kantone und Gemeinden dazugerechnet werden – deren Kassenwarte stochern noch im Nebel.

Der konsolidierte Rechnungsabschluss des Unternehmens Schweiz wird erst im Laufe des ersten Semesters nächsten Jahres vorliegen. Insbesondere die verringerten Steuereinnahmen werden vielleicht noch ein paar negative Überraschungen bringen.

2021 wird nicht besser

Massive Unterstützungsmassnahmen des Staates werden auch im nächsten Jahr fortgeführt, und die verringerten Steuereinnahmen werden sich auch im 2021 fortpflanzen. Das Staatsdefizit wird also nochmals steigen, denn ein ausgeglichenes Ergebnis ist wohl frühestens im Jahre 2022 zu erwarten.

Andere Staaten sind Konkurs…

Verglichen mit anderen Staaten steht die Schweiz hervorragend da. Italien wird seine Staatsverschuldung auf gegen 160% hieven, Griechenland wird es vielleicht sogar schaffen, die 200er-Marke zu knacken. Spanien ist noch am Rechnen, da sieht es nach dem missglückten Lockdown in militanter Franco-Manier besonders düster aus. Frankreich und die USA lassen ihre aufgestauten Defizite auf deutlich über 100% hochschnellen, Deutschland von mustergültigen 60% wohl auf gegen 75%.

Einzelne EU-Staaten (wie Italien, Spanien und Griechenland) sind de facto bankrott – sie können sich nur noch mit EU-Hilfe refinanzieren. Doch Staatsbankrotte werden uns nächstens so oder so noch begleiten: Argentinien, Libanon, Ecuador, usw sind vermutlich nur die Vorboten… Länder wie Indien, Südafrika oder die Türkei sind auch auf dem Radar, sie werden sich wohl demnächst in die Arme des IMF schmeissen müssen.

Da erscheint unser Loch in der Bundeskasse geradezu als Gentleman-Delikt.

Wie saniert man einen Staat?

Die Frage ist natürlich eine rhetorische: Man saniert entweder mittels Einsparungen und/oder mittels mehr Steuereinnahmen. Kurzfristig wählen die meisten Staaten allerdings eher einen einfacheren, einen dritten Weg nämlich: Man saniert mit Vorliebe mittels erhöhter Schuldenaufnahme. Geld kostet ja nichts, und Schulden müssen vielleicht nie zurückbezahlt werden – so die Denke vieler Politiker und Regierungen heute.

Ein Staat sollte zur Sanierung natürlich auch die Wirtschaft ankurbeln. Das wäre längerfristig die eleganteste und intelligenteste Sanierungsmethode. Nur wird der Vorgang leider oft falsch verstanden. Anstatt sich von vielen administrativen und anderen Fesseln zu entledigen, die vor allem die Unternehmen beuteln, lanciert man z.B. in Deutschland in alter Keynesianischer Manier teure Konjunkturprogramme. Oder man versucht mit ebenso falsch verstandenen konjunkturpolitischen Methoden den Konsum anzukurbeln, indem beispielsweise die deutsche MwSt. während 6 Monaten um 2 bzw. 3% gesenkt wird. Natürlich hoffnungslos. True Economics hatte schon früher vorgerechnet: Der Becher Joghurt vergünstigt sich so (sofern die Steuer-Reduktion auch an die Konsumenten weitergegeben wird) um genau einen Cent. Natürlich ist dadurch zu befürchten, dass gleich alles leerverkauft wird…

Mittelfristig steigt der Steuerdruck

Mittelfristig wird der Steuerdruck mit Sicherheit wieder steigen. Die heutigen Hochrechnungen der Staaten schliessen nämlich den Umstand oft aus, dass das Steuersubstrat in den nächsten Jahren weiter schmelzen wird.

Wie in vielen anderen Ländern auch, können die Verlustvorträge der Firmen – in der Schweiz während den kommenden sieben Jahren – mit Gewinnen kompensiert werden. Ergo ist damit zu rechnen, dass auch in kommenden Jahren das Steuersubstrat reduziert wird. Denn die Höhe der Unternehmensverluste im 2020 und vermutlich auch 2021 sind noch nicht abzuschätzen, werden jedoch erheblich sein und noch während Jahren fiskalisch nachwirken.

Da der Staat es also nicht schafft zu sparen oder die Wirtschaft gescheit anzukurbeln, werden kurzfristig weiter Schulden aufgenommen. Geld wird vermutlich sogar verstärkt von den Zentralbanken mehr oder weniger direkt in den Staatshaushalt umgeleitet werden – ein gefährlicher Frevel. Das Fed und die EU machen es vor. Doch irgendwann wird Schluss sein mit lustig, hohe Inflationsraten könnten drohen.

Die MMT (Modern Monetary Theory) meint zwar, dass ein Staat gar nie richtig Konkurs gehen kann und dieser fast unbeschränkt Schulden aufnehmen und/oder Geld drucken kann. Diese Theorie ist Gift. Die Geschichte zeigt uns, wohin das führen kann. Und es gibt keinen Grund, dass die Geschichte jetzt plötzlich ausgehebelt wird und rund um den Globus 195 monetäre staatliche Perpetuum mobile entstehen könnten.

Steuern in der Krise zu erhöhen, ist kontraproduktiv. Dass der Staat neue Einkommen braucht, ist andererseits keine neue Erkenntnis, der Forderungen dafür gibt es deshalb viele. Somit ist es klar: Irgendwann brechen die Regierungen jeweils ein und die Steuern werden erhöht – auch im dümmsten Moment. Doch ist das die Lösung?

Die intelligente Sanierung scheitert – also doch Steuern?

Wir sind uns also einig: Die Staaten werden es kaum schaffen, ihre Einnahmen effizienter einzusetzen, Schulden können nicht ewig aufgenommen werden, und Einsparungen kriegen sie auch nicht richtig hin. Insbesondere in südlichen Ländern können die Steuern gar nicht umfassend eingetrieben werden, es blüht zudem die Schattenwirtschaft. Wo soll also angesetzt werden, um notfalls trotzdem neue Steuern einzutreiben zu können?

Wir werden darauf verzichten, nun die zum Teil haarsträubenden Steuerprobleme aller Staaten zu beleuchten. Konzentrieren wir uns im Folgenden auf die Schweiz.

  1. Einkommensteuern erhöhen?

Die effektive Steuerlast in der Schweiz ist im Vergleich zu vielen andern Staaten einigermassen moderat. Aber die Spitzensteuersätze in einzelnen Kantonen haben bereits Höhen erreicht, welche sich kontraproduktiv auswirken: Sie führen zu Abwanderungen. Und zwar nicht einfach in günstigere Kantone, sondern auch ins Ausland. An der Steuerschraube zu drehen, ist also gefährlich. Wenn aufgrund höherer Steuerlast keine direkte Abwanderung der Steuerzahler erfolgt, so wird zumindest die Einkommens-Abwanderung vermehrt mittels raffinierter Steuerkonstrukte erfolgen. Money talks, money walks.

Ein schönes Vorbild dafür ist Deutschland, die maximale Progression greift bereits ab 56‘000 Euro Jahreseinkommen. Kein Wunder, überlegen sich viele, gar nicht mehr zu verdienen und ziehen es vor, in der sozialen Hängematte zu liegen. Oder sie kommen ganz gerne zu uns in die Schweiz. Da lohnt sich das Geldverdienen noch einigermassen.

Unsere SP spielt mit dem Feuer, wenn sie mit der Idee kokettiert, eine „Reichensteuer“ für Einkommen ab CHF 300‘000 pro Jahr einzuführen. Leute mit solchen hohen Einkommen sind in der Regel in der Lage auszuweichen. François Hollande wollte 2013 eine Reichensteuer von 75% auf Einkommen von über einer Million Euro durchboxen. Die Steuer wurde nie eingeführt, vorsorglich hatten sich aber bereits hunderte von Topverdienern ins Ausland abgesetzt.

Also Hände weg vom Drehen an der Steuerschraube. Umverteilung im grossen Stil funktioniert nicht. Sie treibt Gutverdiener in die Flucht und fördert nur die Demotivation, mehr zu arbeiten, mehr Risiken einzugehen – und damit mehr zu verdienen.

2. Vermögenssteuer erhöhen?

Die SP möchte auch eine Vermögensabgabe auf ganz hohen Vermögen einführen. Die serbelnde Partei mit den altsozialistisch verbrämten Umverteilungsideen vergisst jedoch, dass es in ganz Europa – ja weltweit – kaum Vermögensteuern gibt. In Europa werden nur noch in Norwegen Vermögenssteuern erhoben, in Frankreich und Spanien gibt es Vermögenssteuern auf Immobilien. Sonst sind Vermögensteuern weltweit fast  tabu, auch in den USA gibt es keine. Nicht einmal in Deutschland!

Vermögenssteuern verhindern die Ansiedelung von Gutbetuchten und vertreiben reiche Schweizer – z.B. Besitzer von grossen Unternehmensteilen, für deren Werte, je nach Kanton, Vermögenssteuern erhoben werden, welche bisweilen sogar zu Zwangsverkäufen von solchen Unternehmensteilen führen können.

Vermögensteuern wirken oft kontraproduktiv. Eine Erhöhung würde das Gesamt-Steuersubstrat letztlich reduzieren. Eine paar teure Kantone bekommen dies schon seit Jahren zu spüren.

3. Einmalige Vermögensabgabe?

In der Folge der Finanzkrise hatte Christine Lagarde als IMF-Chefin die impertinente Idee lanciert, eine einmalige Vermögensabgabe von 10% auf allen Individualvermögen zugunsten der Staatshaushalte einzufordern. Wetten, dass die Juristin (sie ist keine Ökonomin) als heutige EZB-Chefin dieses Thema demnächst nochmals aufgreifen wird?

Thomas Piketty (nochmals ein etatistischer Franzose) wird als Starökonom zurzeit etwas gar gefeiert. Er mag in einigen Dingen recht haben: Es ist in der Tat stossend, dass die 1% Reichsten der Bevölkerung rund 50% besitzen. Die Schere ging in den letzten Jahren insbesondere in den USA weiter auseinander. Piketty fordert jedoch einen unrealistischen und radikalen Ausgleich von Vermögenswerten.

In der Schweiz hat sich die Vermögens-Schere nicht weiter aufgetan. Hoffen wir, dass dieser Kelch einer Vermögensabgabe an uns vorübergehen wird. Zumal die wahren Probleme der Staaten mit einer solchen Umverteilung gar nicht zu lösen wären – die propagierte „Wiedergutmachung zwecks Chancengleichheit“ bleibt ein abenteuerlicher Traum.

4. Kapitalertragssteuern erhöhen?

Kapitalerträge werden in der Schweiz bereits sehr hoch besteuert, sie unterliegen der normalen Steuerprogression – welche je nach Kanton bis zu 40% gehen kann. Selbst in Deutschland werden Kapitalerträge (etwa Dividenden) pauschal nur mit 25% besteuert.

Keine gute Idee also, hier anzusetzen.

5. Kapitalgewinnsteuern einführen?

Die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer wird von linker Seite immer wieder gefordert. Die meisten europäischen Staaten kennen sie. Dabei bleiben oft gleich zwei Punkte vergessen: Erstens ist die Erhebung und Administrierung einer solchen Steuer sehr aufwendig, zweitens haben wir in der Schweiz die Kapitalgewinnsteuer quasi mit unserer Vermögenssteuer substituiert. Zweimal auf Kapitalien abliefern geht nicht.

Also auch keine realistische Idee.

6. „Reichensteuer“ einführen?

Das Thema haben wir bereits unter Punkt 1 abgehandelt. „Reichensteuern“, „Reichtumssteuern“, „Milliardärssteuern“ – der Wunschbegriffe gibt es viele. Hoffentlich bleiben es Wünsche, denn deren Auswirkungen sind nur kontraproduktiv.

7. Erbschaftssteuern einführen und/oder erhöhen?

Die SP – schon wieder – forderte im Zuge der Pandemie-Finanzierung eine Steuer auf hohen Erbschaften. Vor Jahren hatte das Stimmvolk ein solches Begehren bereits abgelehnt. Schon damals jedoch wirkte nur schon die Abstimmungsinitiative als Brandbeschleuniger: Zahlreiche Vermögensteile wurden noch vor der Abstimmung verschoben.

Die Erbschaftssteuern sind kantonal sehr unterschiedlich und bewirken sogar Wohnortwechsel. Selbstredend auch global, nicht nur von einem Kanton in den andern.

Zu hohe Erbschaftssteuern führen nicht nur zur Abwanderung oder verhindern Zuzüge, sie fördern auch die Errichtung von Umgehungskonstrukten. (Kein Wunder, steckt ein Grossteil der Vermögen von britischen Bürgern in Trusts auf illustren Inseln, denn die Erbschaftssteuer von 40% für direkte Nachkommen ist in der Tat absurd.)

Auch Deutschland hat ein Problem mit seinen 19% Erbschaftssteuern für Ehepartner oder direkte Nachkommen. Auch wenn unter gewissen Auflagen Steuerreduktionen gewährt werden, können KMUs zum Teil nicht überleben, weil bei deren Übergabe die Nachkommen die hohen Steuern schlicht nicht aufbringen können.

In der Schweiz weist das Erbschaftsrecht ebenso Defizite auf und müsste dringend modernisiert werden: Zum Teil absurd hohe Steuern bis zu 50% für nicht-verwandte Begünstigte (z.B. auch für Lebenspartner) oder unnötig hohe Pflichtteile entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist.

Andererseits wäre es verträglich, eine minimale Erbschaftssteuer im einstelligen Bereich auch für direkte Nachkommen zu erheben. Eine solche Steuer würde den Staaten-Wettbewerb kaum verzerren und auch nicht zu Abwanderung führen. In den nächsten Jahren werden enorm hohe Milliardenbeträge der Babyboomer-Generation weitergegeben. Eine moderate Abgabe auf Bundesebene für direkte Nachkommen wäre in der Tat verträglich. True Economics – ansonsten eher der Steuerphobie verschrieben – könnte hier sogar einwilligen!

8. Sozialabgaben erhöhen?

Sozialversicherungen wie die Arbeitslosenkasse oder die AHV sind klamm. Die erste ist pandemiebedingt bald illiquid, die zweite aus demografischen und systemischen Gründen langfristig nicht mehr zahlungsfähig. Also bräuchte es mehr Abgaben oder Steuern? Eine Erhöhung der Sozialabgaben verringert allerdings die Wettbewerbsfähigkeit und schmerzt Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sehr direkt. Deshalb ist es zu bevorzugen, einerseits Systemanpassungen vorzunehmen, andererseits die Alimentierung dieser Sozialkassen eher aus dem Bundeshaushalt sicherzustellen. Die entsprechenden Steuereinnahmen dazu könnten – so diese tatsächlich zusätzlich notwendig werden, weil die Systemanpassung aus politischen Gründen nur mühsam greift – ziemlich elegant mittels Mehrwertsteuer finanziert werden (siehe Punkt 17, Mehrwertsteuer).

9. Immobiliensteuern erhöhen und/oder einführen?

Die SP denkt auch immer wieder darüber nach, neue Steuern auf Immobilien einzuführen – so z.B. für kommerzielle Immobilienanbieter. Ein solches Begehren gilt es klar abzuwenden, es führt auch hier zur Wettbewerbsbehinderungen und zu Kapitalverlagerungen. Es reicht schon, dass wir in der Schweiz unter dieser unsäglichen Eigenmietwertbesteuerung leiden – eine helvetische Sondersteuer notabene, die es fast nirgends gibt, nicht einmal in der germanischen Steuerhölle.

10. Firmensteuern erhöhen?

Der internationale Druck steigt, damit gewisse Mindeststeuern für Firmen eingeführt werden. Wir haben es in der Schweiz geschafft, diesem Druck etwas nachzugeben, indem wir dank klugen Reformen trotzdem ein attraktiver Steuerort geblieben sind. Kantone, die heute zu hohe Firmensteuersätze kennen, werden mittelfristig leider an Steuersubstrat verlieren. Sie werden es bereuen.

Die SP – schon  wieder – hat bereits laut über einen Pandemie-Zuschlag von 5% auf den Unternehmenssteuern nachgedacht. Ein sehr kurzsichtiger Plan natürlich. Die Firmensteuern dürfen wir auf keinen Fall erhöhen. Firmen haben kein soziales Umfeld, sie wandern deshalb noch schneller ab als Individuen.

11. „Pandemiesteuer“ einführen?

Eine besonders verquere Idee kam kürzlich auf: Die „Gewinner der Pandemie“ sollten  besteuert werden. Also Online-Anbieter und andere „digitale Profiteure“, auch Pharmafirmen, etc. – Firmen also, welche in der Krise Ausserordentliches geleistet haben.

Einsatz, Risikobereitschaft (und generell: unternehmerisches Denken) müssen auch in Zukunft weiterhin belohnt werden.

Abstruse Ideen wie „Pandemiesteuern“ müssen blitzartig beerdigt werden.

12. Energiesteuern erhöhen?

„Energiesteuern“ kennen wir schon heute. Sie sind zum Teil auch sinnvoll, sofern sie den Energieverbrauch tatsächlich nachhaltig reduzieren – und nicht nur staatliche Abschöpfung darstellen. Wichtig ist, dass solche Abgaben einfach und transparent erhoben werden, sodass damit auch edukative Effekte erzielt werden. „Energiezertifikate“ zum Beispiel begreift niemand, eine CO2-Abgabe schon eher. Die Abgabe auf einem Liter Heizöl oder Benzin oder auf einer Kilowattstunde Strom lässt sich erklären. Solche Steuern müssen jedoch international wettbewerbsfähig bleiben, Alleingänge können Schäden anrichten.

Tatsächlich könnte zum Beispiel überlegt werden, ob bei stark sinkenden Erdölpreisen nicht eine Teil-Abschöpfung durch den Staat erfolgen könnte. Es müsste dafür jedoch ein intelligentes Modell entwickelt werden, welches sich einfach umsetzen lässt und nicht sofort zu individuellen Ausweichmanövern führt.

13. Finanztransaktionssteuer einführen?

Eine solche Steuer hat sich als kaum umsetzbar erwiesen, auch nicht die Variante mit der „Mikrosteuer“: Die Administrierung solcher Abgaben ist zu aufwendig. Ausserdem können diese nur international erhoben werden, andernfalls sind sofortige Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen.

Hier lässt sich also nichts holen.

14. Online-Steuern einführen?

Online-Steuern sind schwierig zu erheben, die meisten Anbieter verfolgen heute den Ansatz der Omni-Channels – also den Verkauf sowohl online als auch über stationäre Kanäle, wobei der Warenbezug zum Teil in gemischter Form erfolgen kann. Den Online-Umsatz spezifisch besteuern zu können, ist damit eine Illusion.

Tatsache ist indessen, dass internationale Online-Anbieter kaum Steuern bezahlen – ein durchaus stossender Umstand. Mit zunehmendem Online-Anteil wird sich das Problem noch verschärfen, damit allerdings auch der internationale Wille, hier anzusetzen.

National lässt sich eine Online-Steuer nicht einführen. Frankreich kämpft gerade mit US-Retorsionsmassnahmen, weil La Grande Nation sich diesbezüglich in ein Minenfeld begeben hat.

Aus diesen Online-Töpfen wird man sich demnächst also nicht bedienen können.

15. Stempelabgaben und ähnliche Steuern erhöhen?

Solche Steuern sind nur im Rahmen eines Schutzes der guten internationalen Wettbewerbsfähigkeit sinnvoll. Also bräuchten wir in der Schweiz eher einen Abbau solcher Abgaben.

16. Negativverzinsung erhöhen?

Die Negativverzinsung ist eigentlich eine Art Steuer, und zwar eine ziemlich gemeine: Sie führt zu einer schleichenden Erosion des individuellen Vermögens, während der Staat – bzw. die Nationalbank – kassiert. In ihrer Wirkung also tatsächlich eine Fiskalabgabe. Allerdings keine sehr gute, sie führt zu Abwanderung von Vermögen, zu Immobilien- und anderen Spekulationsblasen und aufgrund der zinsbedingt erodierenden Renditen zu ungesicherten Renten. Junge Leute können mittels Sparen zudem kaum mehr Kapital anhäufen. Negativzinsen sind in ihrer Wirkung sehr unsozial, denn nur die grossen Kapitalbesitzer können mit klugen Investitionen ausweichen.

Wenn die eingesackten Negativzinsen der Nationalbank dann in den Staatshaushalt gekippt werden, ist der Fiskalvorgang abgeschlossen. Keine schöne Sache generell – und keine gute Idee, auf diesem Weg noch mehr einnehmen zu wollen.

17. Mehrwertsteuer erhöhen?

Die Mehrwertsteuer hat den Vorteil, dass sie ziemlich flächendeckend erhoben werden kann. Klamme Länder erhöhen diese Steuer in der Regel als erstes.

Aber Vorsicht: Steigt die MWST z.B. über 12%, wirkt sie plötzlich als Katalysator für die Schattenwirtschaft. Nicht umsonst ist diese sogar in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in der Schweiz  (schliesslich ist die MWST dort auch doppelt so hoch). Länder wie  Spanien (21%), Italien (22%) oder Griechenland (24%) haben diese Steuer bereits mehr als ausgereizt. Kein Wunder, grassiert hier die Schattenwirtschaft besonders stark. Bevor Griechenland dem Binnenmarkt beitrat, betrug die Steuer sogar 36% – wenig erstaunlich, dass sie selten abgeliefert wurde.

Insbesondere südliche Länder werden des öfteren von MWST-Betrügereien gebeutelt. Je höher die Steuer, desto höher liegt die Versuchung, doch lieber ein schnelles Bargeschäft ohne Rechnung und Quittung zu tätigen. Deshalb ist die aktuelle Idee von einigen verträumten spanischen Politikern, die MWST auf 30% zu erhöhen, wohl nicht sehr zielführend. Saudi Arabien verdreifachte jüngst die MWST über Nacht auf 15% – zu viel auf einmal natürlich, denn jetzt wird auf Teufel komm raus betrogen.

In der Tat könnte die Schweizer MWST durchaus erhöht werden. Gewisse Kreise betrachten dies allerdings als einen sehr unsozialen Plan. Rund 50% der Schweizer Steuerzahler liefern keine Bundessteuer ab, weil ihre Einkommen zu tief sind. Also sollte man diese Gruppe wohl auch weiter schonen – so die generelle Denke der Gegner von Mehrwertsteuern und deren Erhöhungen. An sich ein hehrer Gedanke. Nur: Eine moderate Erhöhung der MWST wäre kaum spürbar.

Der starke Franken und die einhergehende Deflation aufgrund günstigerer Importe führen mittelfristig wohl zu weiter sinkenden Preisen. Umso mehr wäre eine Erhöhung der MWST verträglich. Viele Produkte sind in der Schweiz massiv teurer als im Ausland. Beispiel Nivea, Pampers oder Waschmittel: Oft bezahlen wir das Doppelte oder Dreifache für gewisse Artikel. Die Abschöpfung findet dabei bereits beim Produzenten im Ausland statt. Eine MWST-Erhöhung würde also zum Teil wohl gar nicht weiterverrechnet, sie käme beim Konsumenten gar nicht an. Die Produzenten würden vermutlich auf einen kleinen Teil ihrer eh zu üppigen Margen verzichten.

Eine MWST-Erhöhung wäre nicht wettbewerbsverzerrend, mit dem rekordtiefen Schweizer Satz von heute 7.7% hätten wir noch viel Ausbaupotential. Wettbewerbsverzerrend sind eher die generell hohen Schweizer Preise. Wenn schon, müsste hier angesetzt werden!

In der Tat: Falls überhaupt Steuererhöhung, so könnte eine solche ziemlich schmerzfrei via Erhöhung des MWST-Satzes stattfinden. Könnte.

Steuererhöhungen? Wenig Ausbeute, aber ein bisschen schon.

Gouverner, c’est prévoir. Die wahren Staatsaufgaben sollten darin bestehen, den Staatsapparat effizient zu führen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Wirtschaftsaktivitäten zu fördern. (Abgesehen von den vielen andern Aufgaben aus den Bereichen Sicherheit oder Wohlfahrt zum Beispiel.)

Tatsächlich verbleiben nur wenige intelligente Steuerlösungen, so denn die Steuern doch erhöht werden müssten: Bei der MWST könnte man sich alimentieren, bei den Energiesteuern, allenfalls bei den Erbschaftssteuern.

Fazit:

Die Steuern müssen gar nicht erhöht werden. Und wenn, dann – notfalls! – höchstens in Teilbereichen wie bei der MWST, allenfalls bei Energie- oder den Erbschaftsteuern.

Die pandemiebedingten Budgetdefizite dürfen wir in der Schweiz vorerst getrost in der Bilanz stehen lassen, die Refinanzierung bleibt wohl auch längerfristig zinslos.

Ersparnisse im öffentlichen Haushalt sollten mittels mehr Effizienz beim staatlichen Konsum erreicht werden, nicht jedoch bei den staatlichen Investitionen (in die Infrastruktur z.B.). Steuererhöhungen jedoch – insbesondere in einer Wirtschaftskrise – sind alles andere als zielführend. 

Die Schweizer Landwirtschaft abschaffen…?

Oder: Warum uns der helvetische Agrarluxus pro Jahr 21 Milliarden kosten soll

Wenn man das teure Prinzip der helvetischen Landwirtschaft in Frage stellt, begibt man sich automatisch in ein besonders tückisches Minenfeld. Nun, tun wir‘s trotzdem! Unser Vorschlag also: Die derzeitige Landwirtschaft gehört abgeschafft. Sie kostet unsere Volkswirtschaft jährlich Milliarden und ist ineffizient. Mit dem Einsatz von fünf Franken erzielen wir einen Output von einem einzigen Franken. Hallelujah. Ein Anachronismus, der dringend durch ein zielorientierteres System ersetzt werden muss.

21 Milliarden für die Landwirtschaft

Soviel kostet uns laut Avenir Suisse die Schweizer Landwirtschaft: CHF Mia 20.7 pro Jahr. Ein wahrlich teurer Luxus. Zölle, nicht-tarifäre Importrestriktionen, Subventionen, Direktzahlungen, andere Beiträge, Vergünstigungen, eine aufgeblähte Verwaltung, Planwirtschaft, viele Folgekosten: So kommen in der Tat fast 21 Milliarden Schweizerfranken an direkten und indirekten Kosten zusammen.

Heute arbeiten nur noch 150‘000 Beschäftigte im Agrarsektor – auf Vollzeit umgerechnet sind es bescheidene 2.5% von 5.1 Mio Beschäftigten im Land. Es läppern sich schwindelerregende CHF 200‘000 pro Beschäftigten zusammen, sofern wir die Gesamtkosten tatsächlich auf die Belegschaft umrechnen.

Absurde Geldvernichtung

Noch absurder wird der Vergleich, wenn wir den BIP-Beitrag der Landwirtschaft (nämlich nur 0.6%) ins Verhältnis zu den 21 Milliarden Kosten setzen: Wir setzen also tatsächlich 21 Milliarden ein, um einen landwirtschaftlichen Output von rund 4 Milliarden zu erzielen!

Diesen Vergleich scheint bis heute noch niemand gewagt zu haben, True Economics tut es. Offenbar scheinen diese Zahlen einfach nicht sozialverträglich zu sein?

Tatsache ist, dass das staatliche Manna, das über der Landwirtschaft ausgeschüttet wird, sowohl unsere Staats-, also auch unsere Lebenshaltungskosten deutlich verteuert. Leider wird deshalb auch unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.

Warum unterstützen wir die Landwirtschaft mit diesen Unsummen?

Zusammenfassend sind – jetzt einmal ganz unwissenschaftlich, unpolitisch und nur gefühlt – insgesamt fünf Ziele für dieses groteske Tun auszumachen:

  1. Autonomie betreffend Nahrungsversorgung
  2. Die „Qualität“ der Lebensmittel muss gewährleistet werden
  3. Der Wunsch nach „Landschaftsgärtnern“
  4. Die Landwirtschaft muss als touristisches Juwel gepflegt werden
  5. Und überhaupt

Etliche Sünden in der Landwirtschaftspolitik

An irrwitzigen Beispielen mangelt es kaum. Beispiel Nummer 1: Der Tabakanbau im Tessin wird subventioniert und die Tabakimporteure dazu verdonnert, den mehr als mittelmässigen Schweizer Blend den in der Schweiz verkauften Tabakwaren zwangs-beizumischen. Gleichzeitig wird viel Geld für Anti-Raucherkampagnen eingesetzt, und die AHV darf von den Tabaksteuern profitieren.

Beispiel Nummer 2: Fast amüsant erscheinen die Beträge des Bundes für besonders intelligente Werbekampagnen zur Konsumsteigerung von Schweizer Fleisch (Betrag 2018: fünf Millionen CHF). Gleichzeitig investieren gewisse Bundesämter Geld für Aufklärungsarbeiten zur Reduktion des Fleischkonsums.

Beispiel Nummer 3:  Der Bund fördert den biologischen Anbau und die ökologisch saubere Tieraufzucht mit massiven Summen. Gleichzeitig reduziert er für die Bauern die Mehrwertsteuer auf (schädlichen) Pflanzenschutzmitteln.

Beispiel Nummer 4: Der Anbau von Zuckerrüben wird durch den Staat grosszügig gefördert – gleichzeitig laufen teure Kampagnen zur Reduktion des Zuckerkonsums.

Beispiel Nummer 5: Der Weinanbau wird ebenso kräftig gefördert, als ob beispielsweise die Fendant-Produktion im Wallis systemrelevant wäre (wobei anzumerken wäre, dass die Walliser den regelmässigen Konsum ihres mittelmässigen Weissweins tatsächlich als schützenswertes Kulturgut betrachten.) Wie dem auch sei, nebst der Produktionsförderung von Alkohol versucht der Staat gleichzeitig dessen Genuss einzudämmen – mit erheblichen Ausgaben.

Beispiel Nummer 6: Mit zum Teil absurd hohen Zöllen wird der Import von ausländischen Nahrungsmitteln zum Teil regelrecht abgewürgt. An Zöllen bringt dies verhältnismässig wenig ein, denn wenn Importe massiv unterbunden werden, fallen die Zölle gar nicht an. Der Trick mit den Zöllen erinnert uns an den unseligen deutschen Finanzminister Steinbrück, als er das Gleichnis der Kavallerie benutzte, die gar nicht erst ausreiten muss.

An allen Fronten sind also sowohl teure Förderungen, als auch teure Eindämmungen auszumachen. Die Logik würde es gebieten, auf beiden Seiten einfach massiv den Rotstift anzusetzen. 

Doch zurück zu den eingangs aufgeführten fünf landwirtschaftlichen Zielen:

Zu Argument 1: Autonomie

Während der Pandemiekrise wurden verschiedene Stimmen laut, welche mehr „Autonomie“ für unsere Nahrungsmittelbeschaffung forderten. Eigentlich forderten sie nur mehr Landwirtschaft. Ob sie wohl an eine Anbauschlacht wie im 2. Weltkrieg dachten? Vielleicht sollten also mehr grosse Anbauflächen bereitgestellt werden, um die Autonomie zu gewährleisten? Aber wo…? Es bräuchte nämlich eine ziemlich grosse Zahl von km2 für Getreide, Gemüse und Obst. Eine solche Autonomie wäre – theoretisch – nur realisierbar, wenn wir auf die flächenintensive Fleischproduktion verzichten und auf jedem freien m2 Kartoffeln anbauen würden.

Fakt ist nun mal, dass die „Graue Agrarfläche“ (die theoretische Anbaufläche, die wir für die Produktion unserer Lebensmittelimporte im Ausland beanspruchen) deutlich grösser ist als die eigene. Eine Autonomie wäre also unmöglich. Sie würde auch zu einem ökologischen Gau führen, die Ausbeutung der letzten Böden mit Einsatz von viel Wasser, Energie und nötigen Düngern und Pestiziden wäre ein Albtraum. Was wohl das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL dazu meint?

Die meisten Produktionsmittel der Bauern werden heute übrigens importiert. So zum Beispiel der überwiegende Teil der Futtermittel. Soviel also zur autonomen Versorgung.

Natürlich wird die „Systemrelevanz“ vorgeschoben, wenn es um den Schutz der Landwirtschaft geht. Die nicht realisierbare Autonomie und die heute einfach nicht mehr umkehrbare Abhängigkeit von ausländischen Produzenten für Saatgut, Produktionsmittel, Dünger, Mittel zur Schädlingsbekämpfung und letztlich fertigen Nahrungsmitteln muss einfach akzeptiert werden – alles andere ist blauäugig. Oder eben politisch motiviert.

Wir wären in der Schweiz nicht einmal mehr fähig, unser eigenes Bier zu brauen: Da wäre in der Tat Hopfen und Malz verloren (denn beide Produkte müssen fast zur Gänze importiert werden).

Die „Sicherung der Landesversorgung“ kann einzig gewährleistet werden, indem grössere  Pflichtlager gehalten werden und die Beschaffung im Ausland diversifiziert wird, um nicht in lokale Abhängigkeiten zu geraten.

Fazit: „Unsere“ Landwirtschaft gibt es schon lange nur noch partiell, die Autonomie ist eine Illusion.

Zu Argument 2: Qualität

Nur Schweizer Produkte garantieren für Qualität – so die vorherrschende Meinung an vielen Orten. Schweizer Fleisch zum Beispiel sei einfach per se besser. Unsere Produkte sind sauberer als die importierten, unsere Aufzucht tiergerechter. Es geht um den Bevölkerungsschutz – was soweit in Ordnung wäre. Qualität kann indessen nicht nur mit eigener Produktion erzielt werden, sondern auch mit Qualitätsnormen, welche für den Verkauf gelten. Wir wollen in der Tat keine Chlorhühner oder mit Antibiotika vollgepumpte Filets. Aber das lässt sich mit Deklarationspflichten und Qualitätsstandards beim Verkauf regeln. Dazu braucht es nicht einmal Importrestriktionen – eine politisch eh immer heikle Angelegenheit.

Fazit: Das Qualitätsargument ist nur ein vordergründiges.

Zu Argument 3: die Landschaftsgärtner

Es stimmt: Jemand muss die Wiesen mähen, die Wälder pflegen, die Bäume zurückschneiden. Aber dafür müssen nicht 200‘000 CHF pro Kopf ausgegeben werden. Flächenbeiträge für die Pflege der Landschaft würden nur einen Bruchteil kosten. „Landschaftsgärtner“ könnte doch ein angesehener Beruf sein! Beitragsempfänger könnten nicht nur Bauern oder grosse Landbesitzer sein – sondern auch Kooperationen oder andere pflegewillige Individuen oder Institutionen.

Fazit: Das Argument zieht einfach nicht, das Problem – so denn eines bestünde – lässt sich lösen.

Zu Argument 4: touristisches Juwel erhalten

Dieses Argument wird oft ins Feld geführt. Es lässt sich selbstredend kaum quantifizieren, und eigentlich könnte es in Argument 3 untergehen: Ja, ein gewisses landwirtschaftliches Image zu pflegen ist dem touristischen Gesamtbild der Schweiz sicher nicht abträglich. Aber wieviel darf dies kosten? Wir würden von einer Fraktion der Subventionssummen sprechen, wenn es nur darum ginge, für die Chinesen und Inder ein bisschen Heidi zu spielen. Schön adrett sollten die Wiesen aussehen, die Fassade des Bauernhofes müsste gepflegt sein, ein bisschen Vieh müsste rumstehen.

Fazit: Falls dieses Argument wirklich wichtig sein sollte, liessen sich Lösungen bestimmt günstiger finden.

Zu Argument 5: und überhaupt

Hier das vielleicht wichtigste Argument: Es geht ums Prinzip. „Wir müssen doch eine anständige Landwirtschaft haben“. „Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Pfeiler unserer helvetischen Demokratie“. „Für unsere Bauern sollten wir schon etwas tun.“ Dahinter stecken oft eine falsch verstandene Heimatliebe und die im Parlament über-repräsentierte Landwirtschaftsbranche. Deren Lobby ist stark und setzt sich im Bundeshaus meistens durch.

Zudem verursacht die Agrarbürokratie in jedem Kanton und beim Bund leider immense zusätzliche Kosten.

Oft geht es nur um Partikularinteressen oder um „Switzerland first“ – und Nostalgie. Vorgeschoben wird, wie so oft in letzter Zeit, die Systemrelevanz. 

Fazit: Mit Heimatliebe lässt es sich nicht rechtfertigen, 21 Milliarden auszugeben.

Gefährliche Suggestivfragen

Befragungen in der Bevölkerung resultieren in der Regel zugunsten der Landwirtschaft. Man kann einfach nicht gegen die Bauern sein… Sollte man nicht auch die Krokodile besser schützen? Wer möchte denn wirklich dagegen sein…?

Suggestivfragen führen oft zu einem wenig überraschendem JA, wenn nach „höherem Selbstversorgungsgrad“ geforscht wird. Würde man die Frage stellen, ob die Landwirtschaft CHF 200‘000 pro Beschäftigten kosten darf, so wäre die Antwort allerdings mit Sicherheit ein dickes NEIN.

Die Umweltschleuder Landwirtschaft

Oft geht vergessen, dass unser Agrarsektor einer der ganz grossen Energieverschwender ist. Zudem ein grosser Umweltverschmutzer: Schweizer Traktoren und alle landwirtschaftlichen Geräte zum Beispiel dürfen dreckig sein, sie sind von strengen Abgasnormen praktisch ausgenommen. Ein grosser Teil der Wasserverschmutzung geht auf den Einsatz von Pestiziden und der zum Teil massiven Düngung zurück.

Ineffiziente Betriebsgrössen führen ebenso zu einem teuren und wenig umweltverträglichen Einsatz von Produktionsmitteln, inklusive Energie. In einem eng besiedelten Raum wie der Schweiz wirkt sich das besonders nachteilig aus.

Gesalzene Rechnung

Wer bezahlt nun eigentlich diese 21 Milliarden? Einerseits der „Staat“ mit den vielen Subventionen. Den grössten Teil aber berappt der Konsument. Aber de facto eigentlich dieselben Subjekte: die Bürger.

Nebst den ziemlich gut messbaren Kosten an Beiträgen und Vergünstigungen für die Landwirtschaft gehen andere Kosten bei der wahren Kostenberechnung oft verloren. Die Importhindernisse für die meisten landwirtschaftlichen Produkte beispielsweise provozieren aufgrund der damit einhergehenden inländischen Preiserhöhungen einen ausufernden Einkaufstourismus im Ausland. Dieser führte nicht nur zu Verlusten an heimischem Agrarumsatz, sondern insgesamt zu einem rund 10-Milliardenverlust an generellem Einzelhandelsumsatz. Wenn das Schnitzel nur die Hälfte kostet im nahen Ausland, wird dieses Schnitzel eben zur Benchmark – und löst generell eine Schoppingwut ennet der Grenze aus. Ein Lehrstück, wie man sich selber schaden kann. Man kauft nebst dem Schnitzel nämlich auch gleich andere Konsumgüter, für welche man die Unbill mit der Fahrt über die Grenze eigentlich gar nicht in Kauf genommen hätte. Eine typische negative Rückkoppelung, welche meistens dann eintritt, wenn das Big Picture verloren geht. Planwirtschaft geht eben oft ins Auge. So wird der von einer breiten Schicht vertretene aktive Protektionismus mit dem derzeitigen Agrar-Regime tatsächlich zum Schuss ins eigene Bein.

Unsere Landwirtschaft konnte bereits zwei wichtige Freihandelsabkommen (USA und Mercosur) bodigen oder einbremsen. Sie scheiterten in der Tat an der Agrarlobby. Die Landwirtschaft produziert also auch Kollateralschäden, welche in den 21 Milliarden noch gar nicht eingerechnet sind.

Schweizer Landwirtschaftsprodukte als Exportschlager?

Nur zu oft wurde die Strategie kolportiert, landwirtschaftliche Spezialitäten zu produzieren, welche auch exportfähig sind. Käse, Milch, geräucherte gastronomische Preziosen, und so weiter. Ja, Skalenerträge sollten her: Wenn wir nur genügend Volumen hinkriegen, könnten wir günstiger produzieren. Also Export.

Ein hehrer Anspruch. Aber warum sollte dies der Staat fördern? Er könnte ebenso eine heimische und exportfähige Automobilproduktion fördern. Es darf nun einmal nicht am Staat sein, solche Aufgaben zu übernehmen. Wenn sich Schweizer Bauern auf einzelne Spezialitätenprodukte konzentrieren, welche sich im Ausland tatsächlich absetzen lassen, ist das erfreulich. Aber der Bürger sollte dafür nicht bezahlen müssen. Wieso auch sollten wir einen Käse subventionieren, der schliesslich in Shanghai verkauft wird?

Die wahren Export-Champions für Nahrungsmittel sind so oder so die Industrien: Nestlé zum Beispiel ist zum weltweit grössten Exporteur von Kaffee aufgestiegen. Aus der Schweiz raus, ohne eigenen Kaffeeanbau – und ohne Subventionen.

Vergessen wir also die Exportförderung von Nahrungsmitteln. Ein kleinflächiges Land mit atomisierten Anbauflächen, nur mittlerem sonnigem Klima und hohen Löhnen kann nun einmal nicht mithalten im Agrar-Weltmarkt. Ausser eben mit ein paar Nischenprodukten.

Die Lösung?

Ein Umbau der helvetischen Landwirtschaft müsste umfassend angegangen werden. Nachfolgend ein 5-Punkte-Programm, welches mit gewissen Übergangsfristen realisiert werden könnte:

  1. „Autonomie“ mittels eigener Landwirtschaft ist in der Schweiz gar nicht möglich – also müssen wir uns davon verabschieden. Alternativ müssen die Pflichtlager erhöht werden, damit auch der Versorgungsgrad verbessert wird. Pflichtlager können der Bund selber, Importeure oder der Grosshandel halten. Auch die Industrie musste aktuell lernen, mehr Redundanz in der Versorgung zu erzielen. Strengste „Just in time“-Prinzipien sind krisenanfällig – das hat sich gerade aktuell gezeigt. Das gilt auch für die staatliche Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung.
  2. Die meisten Subventionen müssen massiv reduziert werden. Auch alle Direktzahlungen, Zölle und alle anderen protektionistischen Hilfen sollten massiv abgebaut werden. Der bescheidene BIP-Beitrag von 0.6% würde sich vielleicht noch weiter verringern. Auch würden weitere Bauernhöfe eingehen, die heimische Fleischproduktion würde sich reduzieren. Natürlich würde der Bauernstand leiden – ganz klar. Das wäre zwar bedauerlich, wäre indessen mit gewissen Übergangsfristen zu verantworten. Und wir würden Milliarden sparen.
  3. Die Qualität der Lebensmittel muss durch Normen auf Grosshandels- und Einzelhandelsstufe sichergestellt werden. Inhaltsstoffe, Produktionsmethoden, etc.  können (wie heute schon) vorgeschrieben werden – nur würden diese künftig für alle gelten, nämlich auf der Stufe der Verteilung kurz vor dem Verzehr – und nicht ab der Grenze. Die ausländischen Produkte werden heute nämlich oft genauer beurteilt als die einheimischen oder via zahlreiche „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ benachteiligt.
  4. Die Schweizer Landwirtschaft soll sich auf biologisch hochwertige Produkte konzentrieren und dafür Bewirtschaftungsbeiträge pro Hektare erhalten. Keine neuen Staatsangestellten sollten geschaffen werden, sondern effiziente kleine Unternehmen. Diese müssten sich vermehrt auf den lokalen Direktvertrieb konzentrieren. Wenn Handelsstufen umgangen werden können, ergeben sich auch andere Margen, und die höheren Produktionskosten fallen weniger ins Gewicht. Regional, klein und fein: innovative Biobauern. Es würde sich lohnen, wenn allenfalls sogar der Bund hier Institutionen unterstützt, welche Marketing und Vertrieb dieser Betriebe mit Nischencharakter professionalisieren. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist heute schon bereit, für regionale und ökologisch überzeugende Produkte etwas mehr auszugeben. Gleichzeitig müssen wir uns von den klassischen Bauernbetrieben verabschieden, welche nur teuer, aber wenig ökologisch und den ausländischen Produzenten qualitativ kaum überlegen sind.
  5. Für die Pflege der Landschaft braucht es ein neues Konzept – das der Landschaftsgärtner. Wie immer auch ein solches Programm ausfallen könnte: Im Vergleich zu heute würde es nur einen Bruchteil der bisherigen Kosten verursachen.

Und was machen wir dann mit dem eingesparten Geld?

Wenn es uns gelingt, mit dem Grossteil der eingesparten Milliarden Steuern zu senken, Schulden abzubauen oder mehr in sinnvolle und zukunftsgerichtete Projekte zu investieren, können wir nur gewinnen. Und wenn sich gleichzeitig die Nahrungsmittel in der Schweiz deutlich verbilligen, sinken unsere Lebenshaltungskosten und unser Preis-/Lohngefüge wird wettbewerbsfähiger. So könnten wir sogar doppelt gewinnen.

Fazit:

Die Pandemiekrise konnten wir nicht wegen unserer tollen Landwirtschaft meistern. Die Versorgung blieb fast immer lückenlos gewährleistet – dank den logistisch hervorragend aufgestellten Detailhändlern, welche sich zum grossen Teil auch im Ausland eindecken. Das Argument der „Autonomie“ oder der „Systemrelevanz“ wird überstrapaziert. Der Staat und die Konsumenten könnten mit einem Umbau der Landwirtschaft immense Summen sparen. Für die Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und der Lebensmittel-Qualität gibt es Lösungen, auch für die nötige Pflege der Landschaft.

Unsere kleine offene Volkswirtschaft könnte mit einem klaren Paradigmawechsel nur Vorteile erzielen, denn mit dem Abbau von Zöllen und anderen protektionistischen Winkelzügen stünde unser Land besser da. Vermehrt wären Freihandelsabkommen möglich, und die Effizienz in Beschaffung und Produktion könnte sich erhöhen.

Es gäbe ganz wenige Verlierer – aber viele Gewinner. Wann wohl diese politische Reife einkehren wird?

Die Globalisierung wird nicht abnehmen, sondern zunehmen!

Oder was passiert, wenn China amerikanische Firmen klaut?

Schliesslich sei die Globalisierung an der wirtschaftlichen Misere schuld, welche die Pandemie hervorgerufen hat. In der Tat ist es offensichtlich, wie plötzlich unterbrochene Lieferketten zu punktuellen Engpässen führen konnten. Medikamente wurden knapp, medizinische Ausrüstungen fehlten. Auch im Supermarkt fehlten vorübergehend ein paar Artikel. „Das hat man nun von der Globalisierung.“ Die Pandemie wird zu einem Abgesang auf die Globalisierung führen, Industrien werden heimgeholt. Autonomie ist jetzt angesagt. Soweit viele Stimmen. Alles falsch: Es wird das Gegenteil eintreten, die Globalisierung wird weiter zunehmen! Und wer sich ihr entgegenstellt, wird verlieren.

Der nationale Egoismus nimmt zu

Zur offensichtlich gewordenen, grossen internationalen Abhängigkeit kommt hinzu, dass sich einzelne Staaten in der Krise plötzlich ziemlich egoistisch verhalten: Sie klauen einander Masken, horten Medikamente, kaufen sich bei Impfstofffirmen mit exklusiven Belieferungsverträgen ein. Die Grenzen werden ohne Absprache geschlossen, Risikogebiete zum Teil willkürlich definiert und Quarantänen ohne Absprache und Koordination verhängt. Die Stimmen werden lauter, dass die Globalisierung nun vielleicht Geschichte sein könnte. Wirklich…?

Globalisierungsgegner auf dem Holzweg

Schon vorher gab es (zumeist etwas verklärte) Globalisierungsgegner. Oder die Verschwörungstheoretiker, die eine Weltregierung aufziehen sahen – also sollte die Globalisierung raschmöglichst gestoppt werden. Leider lässt sich die fortschreitende Digitalisierung indessen nicht aufhalten, die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten, die Onlinesysteme, welche den ganzen Globus plötzlich zum persönlichen Supermarkt und Informationszentrum machen. Die fortschreitende Vernetzung lässt sich nun mal nicht per Dekret, Wunsch oder Überzeugung stoppen. Paradoxerweise legt die Corona-Krise die Globalisierung nicht nur offen und macht sie sichtbarer, sondern wird sie auch fördern: Die Abstimmung der einzelnen Staaten aufeinander wird zwangsmässig eher zunehmen, Forschung und Entwicklung von Impfstoffen werden globaler aufgestellt, der Informationsaustausch zwangsmässig ebenso intensiviert. Einzelne egoistisch-nationale Aktivitäten werden das nicht stoppen können.

Das zum Teil kollektive Versagen in der Pandemiebekämpfung und die – vielleicht erst später – einzugestehenden Fehler werden die Globalisierung ebenso eher fördern. Die Pandemiekrise ist nun einmal ein Weltthema.

Globalisierung ist zum Teil technologiegetrieben

Die technologische Entwicklung der einzelnen Branchen und Gesellschaften wird ebenso wenig aufzuhalten sein wie deren globale Verbreitung. Damit wird der Austausch von Information und Wissen beschleunigt und so auch Wertschöpfungs- und Lieferketten noch stärker globalisiert. Auch die Verzahnung der Finanzsysteme wird durch diesen Austausch weltweit gefördert. Diese selbstlaufenden Tendenzen lassen sich genau so wenig aufhalten wie einen Tsunami. 

Die Einwegmentalität bröckelt

Zwar steigt das Nachhaltigkeitsdenken (zumindest in einigen reifen Volkswirtschaften), welche gewisse wenig sinnvolle Globalisierungsexzesse berechtigterweise in Frage stellen. Trotz aller Wegwerfmentalität wird sich damit, zumindest in diesen sozialen Umfeldern, längerfristig vermehrt Qualität durchsetzen. Diese wird sich verbessern, je mehr Anbieter auf den Plan kommen. Es muss in der Tat nicht alles made in China sein. Auch made in Vietnam oder made in Malaysia kann weiterhelfen – für die Qualität, für die Auswahl, zur Reduktion der Abhängigkeit. Der Markt wird die Globalisierung damit jedoch nicht behindern, sondern eher fördern.

Wenn China richtigerweise in der Kritik steht betreffend seiner Zivilrechtsordnung sowie seinem globalen Umgang mit den „Intellectual Properties“ und nun handelspolitisch von den USA ausgebremst werden soll, wird das die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt nur anspornen, noch besser zu werden. Wer war übrigens fähig, binnen Wochen eine weltweite Maskenproduktion in Milliardenhöhe hochzufahren? China. Ob die Firma Flawa in der Schweiz wohl inzwischen die Maschinen (aus China übrigens) für die Maskenproduktion angeworfen hat?

Ist die EU nur etwas „Geografisches“?

Der „coronitte“ Digitalisierungsschub hat alles näher gebracht. Die globale Kommunikation wird selbstverständlicher. Damit wird nicht nur der Austausch von Information gefördert, sondern auch der Austausch von Waren und Dienstleistungen. Die Lieferketten vernetzen sich so nur noch mehr.

Doch da funkte einiges dazwischen in der Krise: Der mangelnde Zusammenhalt in der EU zum Beispiel. Dieser war ziemlich offenkundig. Sehr plakativ erscheinen im Moment die gegenseitig und unkoordiniert verhängten Reise- und Quarantänebestimmung, welche zum Beispiel den Schengenraum als inexistent erscheinen lassen. Mit Verwunderung beobachten wir das alles. Ebenso wundern wir uns heute, dass die Infizierten und Toten der EU nie zu einem Total in der EU zusammengezählt wurden – ein durchaus symptomatischer Vorgang. Offenbar gibt es „Europa“ also gar nicht, und bleibt denn dieses Europa letztlich nur etwas Geografisches? Sollte gerade dieses nationalistische Verhalten ein Zeichen der Entflechtung reflektieren und damit den Abgesang auf die Globalisierung einläuten? Nein, das wäre ein Trugschluss. Selbst ein Auseinanderbrechen der EU hätte nichts mit „Entglobalisierung“ zu tun. Denn ein allfälliges Auseinandergehen würde letztendlich den Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Informationen wenig hemmen. Die damit einhergehenden Egalisierungseffekte zwischen den Staaten würden grösstenteils bleiben, ungeachtet vieler politischer und sozialer Risse – zumal viele technologiegetrieben und damit nicht aufzuhalten sind. Mehr Föderalismus fördert in der Regel auch den Wettbewerb und die Effizienz. Eines der besten Beispiele dafür ist der kantonale Steuerwettbewerb in der Schweiz.

Verlierer: die USA

Wenn sich die USA mit ihrem nicht sehr erfolgreichen Handelskrieg gegen China und einer verstärkten „America first“-Attitüde weiterhin profilieren wollen, so werden sie damit langfristig nur verlieren. Und alle andern ebenso, die sich vergleichbar abzukapseln versuchen.

Ein neues Konfliktzeitalter ist mit dem Fall TikTok angebrochen: Die Zwangsveräusserung der chinesischen Tochtergesellschaft an einen amerikanischen Konzern stellt staatliches Raubrittertum dar. In dieser Grössenordnung fand ein solcher Vorgang zum letzten Mal in Venezuela statt, als Hugo Chavez die Ölindustrie verstaatlichte. Auch dies ist – etwas sarkastisch – eben Globalisierung: Man klaut sich global Firmen zusammen. Dass Blackrock und andere Finanz-Heuschrecken ziemlich unverfroren und global agieren, muss in einer einigermassen freien und marktwirtschaftlichen Welt hingenommen werden. Dass jedoch die grösste Volkswirtschaft der Welt, welche persönliche und unternehmerische Freiheit auf ihr Banner schreibt, ausländisch dominierte Firmen unter dem Vorwand des Datenschutzes annektiert, ist ein starkes Stück. Was wohl die mögliche neue Eignerin Microsoft, dieser etwas behäbig gewordene Bürosoftware-Konzern, mit den Daten der jungen Nutzer machen wird? Nun, Microsoft wird sie nutzen… Dies entspricht letztlich nichts anderem als dem Geschäftsmodell von TikTok: nämlich aufgrund der Nutzerprofile Algorithmen entwerfen, welche anschliessend Nutzerangebote vorschlagen und passende Werbung platzieren. Microsoft würde alle Nutzerdaten also fein säuberlich speichern und verwenden, wo immer es geht – mit dem Einverständnis der Nutzer gar. Diesen ist es so oder so ziemlich egal, was mit ihren Daten passiert. Was der chinesische Staat (nicht nur die Firma TikTok) wohl mit den Daten gemacht hätte, hätte er tatsächlich Zugriff darauf? Wohl dasselbe: nutzen? Aber wie und wofür? Es herrscht doch etwas Erklärungsbedarf.

Was passiert, wenn China amerikanische Firmen klaut?

Man stelle sich vor, die chinesische Regierung erpresst einen amerikanischen Konzern, um dessen chinesische Tochterfirma in Shanghai (welche einen mehrfachen Milliardenwert darstellt) an einen chinesischen Konzern zu verkaufen. Wenn nicht, so binnen fünf Wochen, würde die Firma geschlossen. Donald Trump würde in einem solchen Erpressungsfall wohl ziemlich überstürzt die amerikanische Botschaft in Peking schliessen und einen Flugzeugträger losschicken. Genau dies tut er jedoch selber mit den chinesischen Eigentümern von TikTok.

Die wahre Qualität dieses Firmenklaus von TikTok wurde jedoch erst augenscheinlich, als der amerikanische Präsident eine fette Kommission von Microsoft für diesem inflagranten Deal einforderte, so dieser zustande kommen sollte.

Das „Nachhauseholen“ von Industrien könnte nun vordergründig als Zeichen der globalen Entflechtung interpretiert werden. Die Stigmatisierung von Huawei geht z.B. in dieselbe Richtung. Es handelt sich meistens um Einzelmassnahmen, insbesondere der amerikanischen Administration. Vorgeschoben werden (berechtigte oder unberechtigte) Vorwürfe der Datenspionage; tatsächlich geht es indessen vorab um „America first“ – also um blanken Protektionismus zugunsten der einheimischen Industrie.

Es gibt genügend Anschauungsunterricht, wohin Protektionismus schliesslich führt: letztlich immer zu Ineffizienz, zu technologischem Rückschritt und am Ende zu einer reduzierten Wettbewerbsfähigkeit. Offene Volkswirtschaften waren schon immer erfolgreicher – das lehren uns nicht nur die meisten Ökonomen, sondern das lehrt uns auch die Geschichte. Wenn die USA nun vermehrt auf Protektionismus setzen, werden sie aus diesem Spiel als Verlierer hervorgehen.

Diesen einzelnen „Entglobalisierungs-Erscheinungen“ steht ein Übermass an nicht aufhaltbaren Globalisierungsfortschritten gegenüber. Einzelne nationalistische Tendenzen fallen also nicht sehr ins Gewicht.

Keine Erdbeeren mehr…?

Einzelne Regierungen können die weiteren Globalisierungsschritte nicht aufhalten. Es ist so, wie wenn man einen Markt steuern wollte – das funktioniert selten. Die Marktteilnehmer möchten die Globalisierung nämlich nicht stoppen. Im Gegenteil, sie tragen täglich entweder mit ihrem Konsum oder als Produzent oder Dienstleister dazu bei. Die Globalisierung ist nun einmal an einem „Point of no return“.

Alle national verbrämten Ideen, „die Industrien zurückzuholen“, sind eine Illusion. Davon träumen vielleicht ein paar populistische Politiker, nicht aber Unternehmer. Übrigens, damit wir es nicht vergessen: Erfolgreiche Unternehmen werden fast ausnahmslos von Unternehmern und nicht von Staaten geführt!

Wenn Renault nun fünf Mia Euro vom Staat erhält, um sich fit zu trimmen, wird dies wohl kaum funktionieren. Produktionen und die Teile- und Knowhow-Beschaffung sollen nach Frankreich repatriiert wird. „Rénationalisation“ oder „réindustrialisation“? Bonne chance.

Natürlich kann jedes Individuum zur weltweiten Ökobilanz im positiven Sinne betragen, wenn wir im Supermarkt im Winter keine Erdbeeren aus Südafrika kaufen oder darauf verzichten, bei Alibaba in China ein Paar Turnschuhe zu bestellen. Selbst eine ansehnliche Summe solcher westlichen vernünftigen Einzelentscheide wird die fortschreitende Vernetzung der globalen Lieferketten jedoch nicht stoppen. Wenn Granitfliesen aus China in unserem Hof verlegt werden, ist das wohl wenig sinnvoll. Wenn die Transportkosten energiebedingt längerfristig jedoch steigen, wird sich das Problem vielleicht von selbst lösen – aufhalten können wir diese zum Teil irrwitzigen Beschaffungswege jedoch kaum.

Alle zum Teil gut gemeinten subjektiven vernünftigen Verhaltensmuster und Handlungen oder einzelne verquere politische Nationalisierungsentscheide sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein, um die Globalisierung zu verzögern. Globalisierung kann nicht gestoppt werden.

Die Pandemie ist letztlich ein Brandbeschleuniger der Globalisierung

Die Pandemiekrise zeigt, dass man diese Krise nicht national lösen kann. Abschottung wird uns nämlich weder die medizinischen Ausrüstungen, noch Medikamente, noch Impfstoffe oder einen ungehinderten wissenschaftliche Zugang garantieren. Eigentlich hat uns Cocid-19 nicht nur de facto, sondern auch psychologisch mehr Internationalität gebracht: Die ganze Welt war plötzlich in unserem Wohnzimmer zu Gast.

Auch aus Sicht der Firmen wurde die globale Vernetzung gefördert: Lieferengpässe und unterbrochene Lieferketten mussten blitzartig behoben werden. Man lernte – und zwar sehr rasch.

Natürlich lernte man auch, wie ohnmächtig abhängig wir sind von diesen perfekt getakteten Just-in-time-Lieferungen, diesen fein austarierten Netzen aus globalen Anlieferungen.

Die Konsequenzen heute sind klar: mehr Redundanz. Das heisst allerdings, eben nicht nur auf Eigenproduktion abstellen, sondern die Beschaffung diversifizieren. Das bedeutet Ausweichen auf möglichst unabhängige Märkte – auf globaler Basis.

Primär- und Zwischenprodukte, aber auch Dienstleistungen (wie z.B. Software) dürfen eben nicht nur von einem einzigen Ort bezogen werden – an sich eine Binsenwahrheit. Es brauchte wohl diese Pandemie-Krise, um die Klumpenrisiken sichtbar zu machen. Die künftigen multiplen Absicherungen werden etwas Geld kosten, jedoch die internationale Vernetzung nur fördern!

Die singuläre Abhängigkeit von sich selbst wäre nicht sehr intelligent

Abgesehen von einzelnen protektionistischen Spielen à la Trump werden längerfristig die Handelsschranken zwischen den Staaten eher abgebaut werden. Der Druck der Industrie auf die Politik wird steigen, die weltweiten Beschaffungsströme möglichst ungehindert fliessen zu lassen. Güter durchlaufen während ihren Entstehungsprozessen bekanntlich oft mehrmals die Länder, quer durch die Welt. Im Zuge der künftigen diversifizierten Beschaffung wird sich dies noch verstärken. Der Abbau von Handelsschranken – und auf einer globalen Basis wird dies kommen, trotz punktueller Handelstreitigkeiten –  wird die Versorgungssicherheit der Industrie nur verbessern. Das gilt übrigens auch für die Landwirtschaft, bzw. die Versorgungssicherheit eines Staates mit Nahrungsmitteln. Gouverner c’est prévoir: Dazu gehört auch die Sicherstellung einer gewissen Autonomie – welche sich mit nationalistischen Manövern gerade nicht erzielen lässt. Die singuläre Abhängigkeit von sich selbst ist nun einmal nicht sehr intelligent, eine breite Aufstellung bringt mehr Sicherheit.

Renationalisierungen und der Abbau der Globalisierung sind einfach zu teuer. Ein paar Politiker möchten diese zwar herbeireden – aber realistisch sind sie nicht. Und wer sollte diese Massnahmen denn, falls tatsächlich in Angriff genommen, bezahlen? Der Staat? Wohl kaum. Das „System“? Der „Markt“? Eine Illusion.

Die Globalisierung wird also fortschreiten. Das können auch ein paar Handelskriege nicht bremsen, denn Handel ist nicht gleich Globalisierung. Die Globalisierung hat uns – trotz ein paar negativen Nebeneffekten – Wohlstand gebracht. Wer sich der Globalisierung in den Weg stellt, kann nur verlieren.

Sollten wir von Afghanistan lernen?

INTERVIEW MIT DR. REBECKA CARPENTER

„Vielleicht geht es Corona-mässig so nun einfach weiter.“

True Economics: Rebecka, wir führten unser letztes Interview vor gut drei Monaten. Sie hielten damals mit Ihrer Kritik am Pandemie-Management nicht allzu stark zurück. Wie beurteilen Sie dieses nun heute?

Rebecka Carpenter: Nun, leider besteht immer noch kein professionelles Krisenmanagement. Der Bundesrat hatte die heisse Kartoffel einfach an die Kantone weitergereicht und sich in corpore in den Sommerurlaub abgemeldet. Und das BAG rudert seither hilflos durch die Krise. Der Bundesrat ist inzwischen zwar wieder zurück. Er habe sich kurz „orientieren lassen über die Situation“ – und hat anschliessend ein paar widersprüchliche Informationen abgegeben.

immerhin haben wir inzwischen epidemiologisch einiges dazugelernt – allerdings reagieren wir nicht drauf.

„Die Krisenführung offenbart ein verblüffendes Mass an Inkompetenz.“

Sie hatten den Pandemie-Führungsstab in der Schweiz einmal mit einer Muppet-Show verglichen.

Diesen Vergleich hatte ich zurückgenommen! Was ich damit lediglich zum Ausdruck bringen wollte – und heute sogar noch verstärkt meine: Die Führung ist unkoordiniert und offenbart ein verblüffendes Mass an Inkompetenz. Dabei geht es um die wohl grösste volkswirtschaftliche Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir schlingern ziemlich führungslos durch diese Misere, vordergründig gemanagt von subalternen Beamten eines Gesundheitsamtes oder durch kantonale Behörden- oder Regierungsvertreter. Tatsächlich erfolgt jedoch alles ziemlich unkoordiniert. Dabei geht es heute primär gar nicht mehr um die Gesundheit – sondern darum, die Lage volkswirtschaftlich in den Griff zu bekommen.

Ursprünglich attestierten die Bevölkerung und die Medien dem Bundesrat und dem BAG gute Noten, deren Protagonisten galten als besonnen. Nun tritt jedoch zunehmend an die Oberfläche, dass diese Ruhe nur mangelnde Reaktionsfähigkeit, schlechte Kommunikation und Führungsmangel übertüncht. Nochmals: Es fehlt ein professioneller Krisenstab. Aber davon haben wir schon vor Monaten gesprochen.

Nun, eine gewisse Lernkurve ist doch auszumachen!?

Epidemiologisch haben wir, wie gesagt, dazugelernt – klar. Aber nicht, wie wir eine Volkswirtschaft optimal aus dieser Krise führen müssen.

Heute wissen wir immerhin mit einiger Sicherheit, wo die Seuchenherde entstehen. Zumindest europaweit sind drei Hotspots auszumachen, welche für den überwiegenden Teil der Infektionen verantwortlich sind: Es sind die Clubs, Bars und Events (und allenfalls Schulen),  zweitens verarbeitende Betriebe wie Schlachthöfe oder Gemüseverarbeiter und drittens Erntehelfer- oder ähnliche Gastarbeiter-Setups mit problematischen Unterbringungsmöglichkeiten. In der Schweiz sind die beiden letzten Herde eher zu vernachlässigen. Rein statistisch sind zudem die Ansteckungen im Familienkreis signifikant auffällig – aber das ist auf die Erhebung zurückzuführen, schliesslich wird im nächsten Umfeld nach einer Folge-Ansteckung am schnellsten getestet. Zudem liessen sich die fast vier Millionen Haushalte in der Schweiz ja schlecht verbieten… Abgesehen davon kennt das BAG zum überwiegenden Teil gar nicht den Ursprung der Infektionen. Die Datenlage ist sehr dünn.

„Das Virus kommt nicht durchs Cheminée“

Die letzten Kommunikationskorrekturen des BAG bezüglich der Ansteckungen waren übrigens erneut falsch. Die Feststellung, dass die meisten Ansteckungen nun plötzlich im Familienkreis erfolgen sollen, ist eine komplette Missinterpretation. Das Virus kommt ja nicht, zusammen mit dem Samichlaus, durchs Cheminée rein. Es geht doch darum, die Vor-Ansteckung (oder Initialansteckungen) ausserhalb der Familien einzugrenzen. Diese Ansteckungen finden eben durch Aussenstehende statt, welche sich zum Beispiel über Clubs oder ungeeignet geschützte Arbeitsplätze in ein neues Umfeld verbreiten. Diese Erkenntnis deckt sich übrigens mit der weltweiten Beurteilung – das BAG wird das wohl nicht ändern können.

Hier müssten wir also konsequent ansetzen: Das heisst die Clubs und ähnliche Etablissements bis auf weiteres einfach schliessen, die Schlachthöfe und dergleichen nur mit getestetem Isolationspersonal arbeiten lassen, Gastarbeiter erst Tests unterziehen und dann korrekt unterbringen, aber mit geregeltem Aussenkontakt. Auf diese Weise könnten der Rest des sozialen Lebens und die Wirtschaft fast normal weiterfunktionieren – mit den nötigen Hygienemassnahmen und Distanzhalten natürlich.

Clubs sind europaweit zum grossen Teil geschlossen oder mit erheblichen Auflagen versehen. Warum nicht in der Schweiz?

Es gibt keinen medizinischen Grund dafür. Es ist unerklärlich. In Deutschland wird nicht einmal darüber diskutiert, ob die Clubs wieder öffnen sollen. Es müssen bei uns politische Gründe vorliegen.

Und die Kirchen? Oder die Schulen?

Die Kirchen müssten wir leider so wie Clubs behandeln, und in den Schulen müsste versucht werden, Abstände einzuhalten. Falls das nicht geht: Maskenpflicht. Und die Schulen müssten bei einem Vorfall punktuell geschlossen werden, mit sofortiger Umstellung auf Distance Learning. Das muss inzwischen auch für die Lehrerschaft zumutbar sein, denn auch Lehrpersonal muss lernfähig bleiben.

Nun sollen jedoch grössere Events wieder erlaubt werden.

Unerklärlich – zumal die diesbezügliche Ankündigung mit einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen zusammenfällt. Als die Fallzahlen vor Monaten auf dieser Höhe waren, befand sich das Land mitten in einem Lockdown, mit einer Versammlungsbegrenzung auf fünf Personen.

„Letztlich geht es um Fussball gegen Volkswirtschaft“

Es scheint eben um Wirtschaft gegen Gesundheit zu gehen.

Nicht ganz. In diesem Fall geht es letztlich um Fussball und Eishockey gegen Wirtschaft. Das Einknicken vor der Sportlobby gefährdet letztlich das Funktionieren der Volkswirtschaft. Wenn die Fallzahlen aufgrund von Massenveranstaltungen wieder steigen, werden neue Einschränkungen kommen, welche für die ganze Wirtschaft gelten.

Es herrscht einige Verwirrung im Land: Jeder Kanton macht sein eigenes Ding in Sachen Krisenbekämpfung.

Ja, das nennt sich vordergründig Föderalismus, ist aber nur ein eklatanter Führungsmangel. Das Virus ist ja überall dasselbe, und es verbreitet sich überall gleich. Dass eine Graduierung bei den Epidemie-Massnahmen je nach Gebiet oder Kanton stattfinden muss, ist klar. Die Massnahmen sollten jedoch identische Stufen aufweisen, je nach lokaler Epidemielage. Wie gesagt machen hier weder der Bundesrat, noch das BAG, noch die Kantone bella figura. So entstehen denn auch kuriose Vorschriften, die auf lokalem Kompetenzmangel beruhen: Im Kanton Waadt zum Beispiel herrscht in den Läden Maskenpflicht ab zehn Kunden in einem Laden. In der IKEA laufen die Leute mit der Maske rum, in der kleinen Metzgerei darf man sich jedoch aus nächster Distanz maskenfrei anhusten. Es erinnert an den unsäglichen Bundesratsentscheid im Mai dieses Jahres, Tattoo-Studios wieder zu öffnen, nicht aber die Gartencenter.

„Die Länderrisikoliste des BAG ist nicht nur willkürlich aufgesetzt, sondern zum Teil auch falsch.“

Das BAG hat sich nun schon viele Schnitzer erlaubt. Wie beurteilen Sie die sogenannte „Risikoländerliste“ des BAG, aufgrund derer die Quarantänepflicht für Einreisende aus diesen Ländern definiert wird?

Diese Liste ist sowohl statistisch als auch kommunikationsmässig ein Debakel. Sie beruht auf getesteten und rapportierten Infizierten. Dazu ein Beispiel: In Afghanistan beträgt die Infektionsrate 32%. Die Daten beruhen auf Random-Tests mit einer Hochrechnung – welche international anerkannt ist. Offiziell wurden aufgrund von Tests jedoch nur 37‘000 Infizierte entdeckt, nämlich nur 30-mal weniger als die hochgerechnet über 10 Millionen Infizierten. Das BAG setzt Afghanistan aufgrund der wenigen rapportierten Tests nicht auf die Risikoliste, weshalb auch eine Quarantänepflicht entfällt. Luxemburg jedoch ist auf der Liste, dort wird die komplette Bevölkerung getestet – kein Wunder, entdeckt man so mehr Infizierte.

Russland wurde von der BAG-Liste wohl aus einem ähnlichen Grund entfernt: Die statistisch entdeckten Infizierten pro 100‘000 Einwohner erreichen offenbar den BAG-Schwellwert nicht – die meisten Länder stufen Russland jedoch als Hochrisikoland ein. Das Gleiche gilt für Serbien, das BAG hat in einem beispiellosen Alleingang das Land nun kurzerhand wieder als „sicher“ eingestuft und von der Liste genommen. Dafür Gibraltar und Monaco draufgesetzt – was sicher entscheidend ist, da diese Miniaturländer bestimmt viele Touristen in die Schweiz schicken. Die Liste ist nicht nur willkürlich aufgesetzt, sondern schlichtweg falsch.

„Das BAG irrlichtert nach den Ansätzen von Donald Trump.“

Vielleicht hatte Donald Trump doch recht: einfach nicht testen, dann gibt es auch weniger Infizierte.

Richtig, offensichtlich irrlichtert das BAG nach diesem Ansatz: Länder, die wenig testen, kommen nicht auf die Liste, weil wenig Infizierte entdeckt werden. Nur ganz wenige afrikanische Länder sind deshalb auf der Risikoliste. Namibia wurde diese Tage plötzlich als Risikoland eingestuft. Warum? Namibia verfügt wohl über das beste Gesundheitssystem auf dem Kontinent, es wird viel getestet – also kam es aufgrund der entdeckten und rapportierten Infizierten auf die Liste – fast alle andern Länder in Afrika nicht.  Das ist seitens BAG tatsächlich Missmanagement und führt zu falschen Entscheiden. Die so beeinflussten Reiseströme haben mit diesen Fehlentscheiden letztlich einen negativen Einfluss auf die Epidemie in der Schweiz und auch negative wirtschaftliche Konsequenzen. Kommt hinzu, dass die Quarantäne kaum überprüft wird. In einer Krise kommt leider irgendwann ein Punkt, wo nicht mehr nur auf Selbstverantwortung gesetzt werden kann, sondern auf Vollzug und Kontrolle – es kostet sonst volkswirtschaftlich einfach zu viel.

Inwieweit schwingt bei diesen Länderlisten auch Protektionismus mit?

Natürlich besteht die Vermutung, dass man die Gunst der Stunde ergreift und nun die Leute im eigenen Land behalten möchte. Sie sollen hier Urlaub machen und hier konsumieren. Das wäre natürlich ein sehr kurz gegriffener Ansatz, denn beim Reisen geht es ja nicht nur um Urlaub, sondern auch um Geschäftsreisen, welche volkswirtschaftlich relevant sind.

„Es besteht ein Restrisiko, dass überhaupt nie wirklich wirksame Vakzine gefunden werden.“

Wenn der Impfstoff demnächst nicht kommt: Wie geht es dann weiter?

Dann wird es eben genau so weitergehen! Bis Impfstoffe flächendeckend vorhanden sind und verteilt und appliziert werden, kann es vielleicht noch ein bis zwei Jahre dauern. Der Novartis Chef liess jüngst verlauten, ein Impfstoff sei realistischerweise frühestens in 24 Monaten marktfähig. Oder sollten wir eher Donald Trump oder Putin glauben? Dann sprechen wir von diesem Herbst…

Es besteht tatsächlich ein Restrisiko, dass überhaupt nie wirklich wirksame Vakzine gefunden werden. Aber das wäre ein eher unwahrscheinliches Worstcase-Szenario. Das zweite Risiko besteht darin, dass diese Impfungen dann vielleicht gar nicht lange wirken. Das wäre weniger schlimm, aber sehr unangenehm. Die Pharmaindustrie zumindest würde sich freuen.

Das mit der Herdenimmunität ist ja nun wohl vom Tisch, nicht?

Das war eigentlich nie eine reelle Option. Der Weg dorthin kann das Gesundheitssystem bis über die Kollapsgrenze hinaus belasten. Wir schätzen die Infektionsrate in der Schweiz zurzeit auf rund 5%. Das entspricht mehr als dem Zehnfachen der effektiv positiv Getesteten. Leider können wir die genaue Zahl nach wie vor nur schätzen, da wir immer noch keine Random-Tests (wie in der Markforschung üblich) machen. Vielleicht sollten wir von Afghanistan lernen (lacht)! Und ob diese 5% der Bevölkerung nun auch wirklich immun sind – und wie lange sie immun bleiben – wissen wir auch nicht. Wenn wir mehr wüssten, könnten wir auch mehr planen und fundierter entscheiden.

„Wenn wir nun in einem halben Jahr rund 5% Immunität hingekriegt haben, könnte es also sechs bis sieben Jahre dauern bis zur Herdenimmunität.“

Das heisst, es würde in der Tat ewig dauern, bis eine gewünschte Herdenimmunität von z.B. 65% realisiert wird.

Genau. Wenn wir nun in einem halben Jahr rund 5% Immunität hingekriegt haben, könnte es also sechs bis sieben Jahre dauern bis zur Herdenimmunität. Aber das sind nur lineare Hochrechnungen und Zahlenspielereien. Es braucht auf jeden Fall eine wirkungsvolle und möglichst nachhaltige Impfung.

Aber nochmals: Und wenn diese gar nie kommt?

Wie gesagt: Dann geht es einfach so weiter. Distanzhalten, Hygieneauflagen, punktuell Maskenpflicht, Versammlungsbeschränkungen, Reisebeschränkungen. Unser Leben würde sich längerfristig verändern; wir müssten in der Tat durch das Tal der Tränen. Die Pandemie wäre dann kein vorübergehendes Ereignis mehr, sondern ein ziemlich unangenehmer Dauerzustand. Abgesehen davon würde sich aufgrund der sozialen Distanzen unser ganzes Sozialverhalten ändern. Es würde quasi ein negativer sozialer Quantensprung stattfinden, einhergehend mit dem schon laufenden positiven digitalen Quantensprung. Vielleicht hat das BAG eine Antwort darauf…

Schlimm würde es beispielsweise die Luftfahrtindustrie und den globalen Tourismus treffen, auch die Freizeit- und Eventindustrie. Hier wäre mit einer Teilvernichtung dieser Wirtschaftszweige zu rechnen. Schulen müssten sich längerfristig auf einen Online-Betrieb einstellen, Homeoffice würde noch mehr ausgebaut, mit entsprechenden Kollateralschäden z.B. im gewerblichen Immobilienbereich. Das BIP würde weiter unter Druck kommen, die Arbeitslosenraten weiter steigen. Alles ziemlich unappetitliche Szenarien. Wir müssen einfach hoffen, dass Impfstoffe zumindest mittelfristig vorliegen. Es gibt kaum einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Plan B für den Fall, dass dies nicht eintreffen sollte. Inzwischen bleibt zu hoffen, dass die Wirtschaft einigermassen weiterarbeiten kann – ansonsten die Grundlage für alle Problemlösungen entzogen wird.

Also könnten wir vielleicht doch von einer Zeitenwende sprechen?

Hmm. Falls mittelfrisig keine Impfstoffe kommen: ja, vielleicht!

„Ich schliesse Rücktritte im Bundesrat nicht aus, wenn einmal alles an die Oberfläche kommt.“

Was sollte unsere Regierung nun tun?

Als Sofortmassnahme sollte der Bundesrat das Krisenmanagement sofort an einen professionellen Krisenstab abgeben. Und die Köpfe im BAG sollten ausserdem raschmöglichst ausgetauscht werden. Mittelfristig braucht es anschliessend eine Aufarbeitung der Fehler. Auch muss die Arbeit des Bundesrates neu bewertet werden. Ich schliesse Rücktritte nicht aus, wenn einmal alles an die Oberfläche kommt und verarbeitet wird. „The day after“ wird mit Sicherheit Konsequenzen haben.

Management von grossen Krisen in einer Volkswirtschaft

Teil 3: Der Bundesrat ist nicht mehr zuständig!

13. Februar 2025:

Bundespräsident Parmelin lädt in den Situation Room. Eigentlich war es das übliche Bundesratszimmer, aber gefühlt war es heute ein wichtiger real-time Setup. Der neueste Bericht der WHO wurde nämlich an die getäferte Wand projiziert. Der frisch gebackene WHO Präsident, Hans-Ruedi Gutzwyler, liess offenbar nichts anbrennen: Covid-25 war erst vor 11 Tagen in Myanmar ausgebrochen, ein ca. dreimal so gefährliches Virus wie Covid-19. Übertragung Fledermaus-Wildschwein-Schwein-Mensch. Ein Klassiker. Das Virus verbreitete sich rasend schnell; eine neue Pandemie-Gefahr wurde nun sofort und frühzeitig ausgerufen. Es blieb kurz ruhig im Bundesratszimmer, alle blickten immer noch konsterniert auf den WHO-Bericht.

„Merde, pas de nouveau!“, entfuhr es Parmelin. Als früherer Winzer dachte er sofort an die Weinproduktion in seiner Heimatregion. «J‘éspère qu’il ne faut par fermer les restaurants.“

Sommaruga meinte lakonisch, man könnte die Restaurants ja draussen offen lassen. Sie schaute zum Fenster hinaus: Es schneite. In Gedanken war sie jedoch bereits im Homeoffice am Klavierspielen. Bundesrat Berset richtete sich im Sessel auf und vermeldete staatsmännisch: „Isch werde alle Schweizer zurückolen, aus allen Ländern, je vais m’en occuper“. Seit 2023 führte er das Aussendepartement; Bundesrat Cassis hingegen erhielt von Berset zur gleichen Zeit das Departement des Inneren. Denn 2023, nach allen Corona-Aufräumarbeiten, geriet der einstige Corona-Star Berset unter Druck. Nicht alles war gut gelaufen im BAG. Vorbereitungsmängel, Kommunikationsmängel, Führungsmängel. Deshalb der Switch mit Cassis, zumal sich der Mediziner eh wohler fühlte in der Nähe des BAG. Karin Keller-Suter war nicht an der Sitzung, sie weilte am grossen Hooligan-Prozess in Genf.

Tony Epper, der neue stramme und hemdsärmelige Finanzminister, warf ein: „Das wird wieder sau-teuer“. Und Bundesrätin Viola Amherd, gegen ihren Willen immer noch Verteidigungsministerin, meinte: „Isch güet, iise Truppe si bereit“. „Es ischt nischt an dir zu dezidieren, chère Viola, on a changé de méthode!“, unterbrach sie Parmelin mahnend. Parmelin war nun schon seit mehreren Jahren Bundespräsident und versuchte seither, mit eher mässigem Erfolg, den Lead zu übernehmen. Der jährliche Chef-Wechsel im Bundesrats-Gremium hatte sich während den letzten Krisen nicht bewährt. Aber auch als Bundespräsident war er nun für das kommende Krisenmanagement nicht mehr zuständig. Deshalb blieb die Stimmung an der Bundesratssitzung ganz entspannt. Der Bundesrat konnte das Krisenmanagement nämlich ganz elegant an den neuen integralen Krisenstab abgeben. Den sieben Magistraten oblag nur noch eine Kontrollpflicht. Die Neuerung wurde 2023 beschlossen: Nachdem die Corona-Krise erst im Sommer 2023 gebannt war (dann war endlich genügend Impfstoff vorhanden), musste man leider auf viele Fehlleistungen zurückblicken. Man kam zur Erkenntnis, dass künftig nur ein professioneller Krisenstab eine Katastrophe dieses Ausmasses meistern kann.

Sämtliche bisher für Krisen verantwortliche Behörden, Ämter, Stäbe und Task Forces wurden in der Folge zusammengelegt. Armee, Zivilschutz und Bevölkerungsschutz bildeten nun eine Einheit unter der Führung eines permanenten Krisenstabes.

„J’donne un coup d’fil à Ronny Zumstein, si vous êtes d’accord », meinte Parmelin. Alle nickten. Damit sollte Ronny Zumstein, zurzeit Chef des Krisenstabs, die Führung des umfassenden Katastrophen-Managements übernehmen. Zumstein, Mitte 40, war führungserfahren, mehrsprachig, kommunikationsfest, unpolitisch. Seine jährliche Entschädigung war der eines Bundesrates gleichgestellt. Sein Stab umfasste Mitglieder aus allen möglichen Bereichen und Disziplinen. Natürlich war auch ein Epidemiologe dabei, aber ebenso Wirtschaftsvertreter, Koordinatoren für die Kantone, Gemeinden und Behörden, Armeevertreter, Psychologen, Strategen, Cyberspezialisten. Das Team war eingespielt; in den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Krisenübungen absolviert, von Hochwasserkatastrophen über Terrorangriffe bis zu neuen Pandemien. Die Leute waren quasi von Berufs wegen Krisenmanager – und Ronny Zumstein führte sie.

Top-down Führung einfach überlegen

Eine gute Portion Armeekultur ins Management zu tragen war nie falsch. Es geht dabei lediglich um die Denke betreffend klaren Ausführungsstrukturen, um „vorbehaltene Entschlüsse“, generell um zielorientiertes Handeln. Und um Effektivität und Geschwindigkeit. Wenn es um politische Führung während einer Schönwetter-Situation geht, mag dieser Ansatz mitunter falsch sein. Er ist jedoch mit Bestimmtheit besser geeignet in einer Krisenlage. Klavierspielerinnen und Rebbauern mögen in gewissen Konstellationen in einer stark konsensorientierten und kompromissverliebten westlichen Regierung einen Platz haben – nicht aber in einem Katastrophen-Umfeld.

Autokratien haben es in Krisen leichter

Wenn Bolsonaro, von seinem Schimmel herunterwinkend, an seinen jubelnden Anhängern vorbeireitet, wiegt er sich – als Autokrat – in Sicherheit. Autokratien sind nun mal effizientere Führungsmodelle zur raschen Krisenbekämpfung als demokratische. Natürlich bergen sie die Gefahr in sich, dass falsch entschieden wird. Also wären „professionelle und gute Autokratien“, zu welchen Brasilien im Moment offensichtlich nicht zählt, besonders gut für Krisen aufgestellt. Natürlich ein etwas gewagter Ansatz… Aber dennoch lässt sich festhalten: Professionell geführte Regierungen mit Machtfülle eignen sich leider besser in Krisenfällen. So etwa in Vietnam: Dank der militärischen Kommandostruktur der Regierung gelang es, das Land ohne einen einzigen Toten durch die Corona-Krise zu manövrieren. Chapeau.

Aber auch in Demokratien geht straffe Führung im Krisenmodus

Während der Coronakrise wurden in Israel die Geheimdienste sofort mit Aufgaben betraut: mit Tracing-Aktionen, mit Quarantäne-Überwachungen, generell mit koordinierenden Stabsaufgaben. Der Mossad beschaffte gar im Rekordtempo Masken. Südkorea oder Taiwan, beides einigermassen vorbildliche Demokratien, gelang es, dank guter Vorbereitung und straffer Führung, die Krise relativ rasch mit den richtigen, zielorientierten Massnahmen in den Griff zu bekommen – und zwar ohne flächendeckende Lockdowns. Auch Uruguay, die „Schweiz Südamerikas“ und das demokratischste Land auf dem Halbkontinent, bot der Corona-Gefahr mit raschen und intelligenten Massnahmen und mit klarer Führung vorbildlich die Stirn.

Föderale Strukturen sind ein Hindernis

Diese Beispiele nötigen uns zu einem Vergleich mit unseren eigenen Konsens-Strukturen: Leider waren und sind sie in der Krise unterlegen. Und die Auswirkungen führen zu bedeutend höheren Kosten. Für eine Katastrophenbekämpfung sind insbesondere föderale Strukturen, wie wir sie in der Schweiz haben, ein Hindernis. Logischerweise werden auch militärische Krisen nie direkt von einer ausgeprägt demokratischen Regierung gelöst: Sie übergibt die Verantwortung an die Armeeführung. In einer echten Krise reichen übrigens auch reine Empfehlungen an die Bevölkerung nicht. Nur ein top-down Führungsmodell wird solchen Lagen gerecht – geführt von Leuten, die sich für solche Situationen auszeichnen.

Abschaffung der Demokratie? Nein, kurz aussetzen!

Eine rasche Bewältigung einer (grossen) Krise setzt die Einsicht einer Regierung voraus, die Katastrophenführung abzutreten. Dafür müssen auch gewisse demokratische Strukturen – vorübergehend! – ausgesetzt werden. Dies ist vertretbar, wenn eine Katastrophe so effizienter und mit höherem Tempo bewältigt werden kann. Höhere Effektivität im Handeln führt in der Regel auch zu tieferen Kosten. Dies ist ein zweiter Rechtfertigungsgrund, demokratische Rechte vorübergehend auszusetzen. Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen, alle Bürger zu Beginn der Corona-Krise obligatorisch eine App hinunterzuladen zu lassen, um die Nachverfolgung von Infektionen raschmöglichst mit konsequenten Quarantänen zu bekämpfen? Die App – wenn auch nicht perfekt – hat anfangs März 2020 schon bestanden, man hätte sie z.B. von Taiwan, Südkorea oder Israel übernehmen können. Falls sich ein flächendeckender Lockdown mit Milliardenkosten, hohem BIP-Einbruch und Arbeitslosigkeit damit begrenzen liesse: Wäre also eine App nicht zumutbar gewesen? Wäre das Risiko der kurzzeitig reduzierten, persönlichen Datenkontrolle nicht zu rechtfertigen gewesen – zumal Herr Zuckerberg uns eh schon konstant ins Smartphone reinschaut? Wir sehen schon: Die richtige Balance muss gefunden werden. Es geht dabei fast weniger um einen Interessenkonflikt „Medizin versus Wirtschaft“, sondern „Gutes Krisen-Management versus Bürgerrechte“.

In Krisen lechzt die Bevölkerung nach Führung

Demokratien sind bekanntlich die beste von allen schlechten Regierungsformen – nicht aber im Katastrophenfall. Da sind autokratische und militärische Formen überlegen. Das hören vielleicht viele Kreise nicht gerne. Andererseits lechzen gerade die gleichen Bevölkerungsschichten in Krisen oft nach starker Führung.

Die Aussetzung von Bürgerrechten lässt sich jedoch nur in Staaten rechtfertigen, in denen von Grund auf vertrauenswürdige Demokratien bestehen. Nur wenn die Gewissheit herrscht, dass eine Rückkehr zur Normalität nach einer ausgestandenen Katastrophe raschmöglichst und zu 100% erfolgt, funktioniert ein Time-out der demokratischen Ordnung.

Voraussetzung für eine allseits respektierte, delegierte Krisenbekämpfung ist auch die Erkenntnis und das Wissen in der Bevölkerung, mit welchen Krisen wir rechnen müssten. Der Glaube an die grosse militärische Krise und der allfällige Rückzug in den anachronistischen Luftschutzbunker sind dabei nicht hilfreich. Nur wenn realistische Gefahren begriffen werden und eine Regierung und ein Krisenstab zu Beginn einer Katastrophe offen, klar und glaubwürdig kommuniziert, funktioniert die „Führung“ der Bevölkerung.

Krisenstufen für alle – keine politischen Einzelmanöver

Alarmstufe 1, 2, 3, 4, 5: Je nach Grad der Katastrophe – oder je nach Katastrophenverlauf – könnten Massnahmen ausgelöst werden. Im Armee-Jargon wären es wieder die berühmten „vorbehaltenen Entschlüsse“, in der Unternehmungsführung könnten „Contingency Plans“ als Vergleich herangezogen werden.

So wäre es möglich, verschiedene Landesteile oder Regionen jeweils in die zweckmässigen Alarmstufen zu versetzen. Um ein abschreckendes Beispiel zu nennen, wie es nicht gemacht werden darf: Im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung entscheidet zurzeit jeder Kanton separat, welche Massnahmen sinnvoll sind: Freibäder schliessen, Maskenpflicht, Versammlungseinschränkungen, etc. Eine apolitische Ursachenliste der Virusverbreitung würde sicher die Personendichte an die oberste Stelle stellen. Also müssten sich alle Massnahmen diesem Sachverhalt apolitisch und pyramidenförmig unterordnen. Für Alarmstufe 1 könnten z.B. Hygiene- und Abstandsempfehlungen abgegeben werden, für Stufe 2 könnte dies Abstandspflicht, Tracing und Apps, Maskenpflicht und Homeoffice-Empfehlung bedeuten, für Stufe 3 die Schliessung von Bars, Clubs, Kirchen, Kinos und Versammlungseinschränkungen, für Stufe 4 die Schliessung der Gastronomie und Schulen, erst für Stufe 5 käme ein weitergehender Lockdown mit der Schliessung von gewissen Einzelhandelstypen mit hohem Dichterisiko zum Tragen (Coiffeure z.B. oder Kosmetikstudios, nicht aber normale Läden oder Fachmärkte – zumal die Lebensmittelläden eh offen bleiben müssen).

Krisenstufen müssten für jede Krisenart vorbereitet werden, damit sie situationsgerecht ausgelöst werden können. Je nachdem auch regional: Glarus Stufe 2, Süd-Tessin Stufe 4 – und alle wissen sofort, wie’s läuft. Das wäre echtes Krisen-Management – und nicht föderalistischer, wirrer Aktionismus – oder Nichtstun. Ein Krisenstab könnte nach Absprache mit den Kantonen praktisch per Knopfdruck die Region der Stadt Zürich auf Stufe 3 setzen, und am nächsten Tag würden eben die virenfreundlichen Clubs wieder zugehen. Gerade das Beispiel Zürich zeigt, wie erst einmal lange überlegt, dann ebenso lange mit allen geredet wird. Und anschliessend werden nochmals Meinungen eingeholt – damit dann die verantwortlichen und heillos überforderten Stellen in der Folge möglichst nichts tun müssen. Oder es wird eine andere Massnahme ergriffen, welche nicht einmal der Krisenstufe gerecht wird (z.B. ein Freibad schliessen, Clubs aber offen lassen). Unser Urteil: Das ist Missmanagement.

Nationale und internationale Katastrophen müssen ebenso national und international bekämpft werden

Die teilweise Delegation des Covid-19-Managements an die Kantone grenzt mitunter an Absurdität. Führung wäre in einer Krise das A und O, insbesondere wenn diese Krise internationalen Charakter hat. Krisen-Management kann leider nicht on the job erlernt werden. Deshalb kann eine Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes eines Kantons nicht plötzlich Krisenmanagement betreiben. Und – um das Bild leider wiederholen zu müssen – auch eine Klavierspielerin, ein Winzer oder eine Juristin eignen sich dafür nicht per se. Führung in einer Krise kommt von oben – jedoch von führungsgewandten und krisentauglichen Köpfen. Die künftigen, wirklich grossen Krisen werden wohl eher internationale Krisen sein. Also kann nur ein permanenter und professioneller Krisenstab die Vernetzung mit nationalen und internationalen Institutionen sicherstellen. Die Aufsicht über den Krisenstab müsste – als demokratische Rückversicherung – beim Bundesrat liegen. Aber bitte nur die Aufsicht – nicht das Management.

Doch zurück zum Bundesratszimmer:

„Messieurs, Ronny Zumstein ne prend pas son Natel », orientierte Parmelin seine Bundesratskollegen, inzwischen beim Kaffee. Die neue Bundeskanzlerin, Swetlana Oberholzer, servierte. Viola Amherd blickte zu Guy Parmelin und schnappte sich ein drittes Croissant: „Lüeg doch mal üf di Television, Guy, iische Ronny hett scho losgeleit“. In der Tat: Der Krisenstabchef sprach bereits live auf allen Kanälen und verlas sein 10-Punkte-Programm, flankiert von seinem gesamten Krisenstab.

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