Wann kommt endlich die Inflation?

Oder: Wurden wir über all die Jahre von unseren Zentralbanken betrogen?

Seit der Finanzkrise 2008/2009 hat sich die Inflation von der Geldmenge abgekoppelt. Wenn zu viel Geld in das System gepumpt wird, gibt’s Inflation. So die bisherige Lehre. Aber jetzt kriegen die Regierungen trotz Geldschwemme keine Inflation mehr hin – und obwohl sie diese doch so gerne hätten. 2% Inflation möchten die meisten: ein Wert, der für den Konsumenten kaum spürbar sei, und den die Volkswirtschaft brauche, um zu wachsen. Nun wurde über Jahre also Geld geflutet,  tiefe Zinsen angesetzt und zum Teil bewusst die Währungen geschwächt, um die Exporte zu beflügeln. Tiefe Zinsen reflektieren das Vertrauen in eine Währung – also auch gut. Aber wann hört dieser Wettlauf auf? Und wann kommt plötzlich, mit Wucht, trotzdem die Inflation? Oder irren wir uns, und die Inflation ist bereits zur Hintertüre reingeschlichen, und wir haben es nicht bemerkt? True Economics analysiert.

Die Notenbanken haben uns betrogen

Ursachen für Inflation können einerseits die Ausweitung der Geldmenge sein, jedoch auch ein Nachfrageüberhang – wenn das Angebot nicht mithält. Es gibt auch die angebotsgetriebene Inflation, weil sich die Produktionen und Dienstleistungen verteuern. So die Lehrbücher. Nur: Seit 12 Jahren laufen die Notenbankpressen auf Hochtouren und die Zinsen oszillieren weltweit um die Nullmarke. Vordergründig galt es, die Wirtschaft mit billigem Geld anzukurbeln. Es hat nicht funktioniert. Eigentlich wurden wir von den Notenbankern und Politikern über Jahre betrogen, denn hintergründig ging es den Herren Dragi & Co. nur darum, mittels Inflation die Staatsverschuldungen abzubauen (da diese sich quasi teil-vernichten mit der Geldentwertung). Was eben misslang. Aber der Betrug geht weiter, denn die grosszügigen Corona-Geldverteilungen lassen die Schuldenberge weiter explodieren und erfordern jetzt erst recht eine Nullzins-Politik. Gleichzeitig wird immer noch von diesem optimalen zweiprozentigen Inflationsziel schwadroniert. 

Lange Betrugsliste

Die Negativliste der Begleiteffekte für den Bürger ist lang: Negativzinsen, reduzierte Rentensicherheit, erschwerte Ersparnisbildung, die nächsten Generationen bleiben auf gigantischen  Schuldenbergen der Staaten sitzen.

Es war letztlich ein Schuss in den Ofen: Via günstiges Geld hätten die Zentralbanken die Geschäftsbanken mit viel und günstiger Liquidität ausrüsten sollen, damit diese billige Kredite vergeben können. So sollte die Wirtschaft angekurbelt werden. Nur: Das Problem liegt nicht beim Angebot. Firmen expandieren nicht unverhofft, weil Kredite en masse und günstig auf der Strasse liegen. Es braucht Nachfrage. Immerhin könnte ein „Leverage-Effekt“ winken, es bräuchte – verhältnismässig – weniger Eigenkapital, wenn (günstiges) Fremdkapital eingesetzt werden könnte – also würde das Eigenkapital dank Hebelwirkung höhere Renditen abwerfen. Aber von diesem Leverage-Effekt profitieren nur die Firmenbesitzer oder die Aktionäre. Die Unternehmen investieren deshalb nicht mehr. Der Volkswirtschaft als Ganzes dient das nicht.

Kommt hinzu, dass in einzelnen Ländern staatliche Hürden, Auflagen, Soziallasten und Steuern dermassen zugenommen haben, dass es, abgesehen von der schwachen Nachfrage, für die Firmen einfach zu wenig attraktiv ist zum Investieren.

Wer möchte heute schon in Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien oder Deutschland – auf KMU-Basis – investieren? Wer schnallt sich freiwillig diese Unternehmerbürde an…?

Hat die Ökonometrie ausgedient?

Es scheint, dass weder Keynesianer noch Monetaristen – noch unabhängige Ökonomie-Mathematiker, also die Ökonometriker – richtig liegen. Die Ausweitung der Geldmenge und die Niedrigzinsen hätten laut Lehre schon lange zu Inflation führen sollen. Auch das QE (Quantitative Easing, also das massive Aufkaufen von Anlagewerten durch die Notenbanken), erfunden vom Italiener Dragi, übernommen von seiner französischen EZB-Nachfolgerin Lagarde und ebenso gepflegt vom FED, hat nichts gebracht. Ausser die Börse künstlich beflügelt. Die zum Teil provozierten Abwertungen der Landeswährungen haben auch nichts gebracht: Wenn alle gleichzeitig abwerten, befinden sich alle wieder auf dem gleichen Stand, ohne positive Exporteffekte.

Man spricht heute von der „säkularen Stagnation”: Der Bürger gibt nicht mehr aus, und die Unternehmen investieren nicht und fragen kein Kapital nach – trotz billigstem Geld. Auch die Phillipskurve, welche uns einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit (bzw. Beschäftigung) und Teuerung lehrte, ist nicht mehr das, was sie einmal war. Die ganze Lehre der Ökonometrie muss in Frage gestellt werden: Die volkswirtschaftlichen Daten bewegen sich einfach nicht so, wie die Wissenschaft dies einst vorsah! 

Letztlich haben die Politiker heute die Zügel der wirtschaftlichen Führung eines Landes aus der Hand gegeben und an die Zentralbanker weitergereicht. Oder sie kollaborieren ganz klandestin mit ihnen – eine ordnungspolitische Todsünde, sollten doch Geld- und Fiskalpolitik immer unabhängig voneinander funktionieren.

MMT – die Modern Monetary Theory ist Gift

Der Staat sei eben kein Privathaushalt, also könne man sich von der engen Denkweise des vernünftigen Haushaltens lösen. Der Staat könne in beliebigem Ausmass selber Geld produzieren. Inflation ist übrigens nicht vorgesehen bei diesem Ansatz, denn Konjunktureingriffe werden einfach mit Steuererhöhungen oder –senkungen vorgenommen. Eine makroökonomische Zeitbombe. Aber die Theorie kommt einigen Politikern, die  die Staatsverschuldung ohne Hemmungen explodieren lassen, sehr zupass.

Wieso kommt sie einfach nicht…?

Japan kennt seit Jahren eher Deflation, nicht Inflation. Dies trotz einer gigantischen Verschuldungsquote von 250% des BIP. Und das Land kauft den Grossteil seiner Staatsschulden gleich selber auf. Dann ist der Staat eben Schuldner und Gläubiger zugleich. Geht das einfach so, in einem modernen Staat? Tatsache ist, dass dem Land grosse Probleme bevorstehen. Es gibt eine krasse Überalterung, und die Bevölkerung schrumpft. Das sind schlechte Aussichten, um einst eine gesunde Balance mit den Schulden zu halten. Die Balance würde auf jeden Fall im Nu kippen, wenn die Zinsen erhöht würden. Das wird indessen genau aus diesem Grund auch längerfristig nicht stattfinden – und Japan, als die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt, könnte es sogar schaffen, im eigenen grossen Währungsraum einfach so weiterzuleben. Mit tiefen Zinsen eben – for ever. Oder zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Schneeballsystem doch noch zusammenbricht.

Auch in der EU war in den 10er-Jahren in Spanien, Griechenland und Zypern Deflation auszumachen. Ein starker Nachfragerückgang drückte auf die Preise. Erfolgt eine Deflation vorübergehend, ist das überhaupt nicht tragisch. Es kommt nicht zur Deflationsspirale, welche die Finanzmärkte einschliesst – wie in den 30er-Jahren. Deflation bedeutet also nicht gleich Depression. Aber sie wird von staatlich bezahlten und etatistisch gesinnten Ökonomen oft als Damoklesschwert vorgeschoben, um mittels Geldmengenvermehrung stark gegenzusteuern zu können. Mittels Gelddrucken und tiefen Zinsen lassen sich nun mal einfacher Schulden machen. Heute ist so viel Geld im Markt, dass eigentlich schon lange Inflation herrschen sollte. Das Geld kreist jedoch zu langsam, womit der inflationäre Effekt des Geldumlaufs gar nicht greifen konnte. Sobald die Nachfrage in einer – vielleicht viel späteren – post-Corona-Ära wieder anzieht, könnte die Inflation jedoch schlagartig einsetzen. Das Geld ist dann schon im Markt und kann nicht mehr rausgenommen werden. Der Pool könnte dannzumal plötzlich überlaufen. Eine Vermutung nur – alle Ökonomen sind sich einig, dass man sich hier uneinig ist.

Nachhaltige böse Folgen der Gelddruckerei

Geld schwemmen und Nullzinsen ist eine sehr asoziale Strategie. Denn so steigen nur Vermögenswerte (wie Immobilien, Anlagen) von Begüterten. 

Damit wird die oft links geprägte Politik des viel Geldausgebens (via monetäres Fluten und Schulden) zum Bumerang. Auf einen Nenner gebracht: Die derzeitige Ausgabenflut wirkt letztlich unsozial. Der Vorgang scheint schwer vermittelbar, diese Analyse ist jedoch stringent! Die heutige Geldpolitik fördert also die Ungleichheit und damit mittelfristig auch die sozialen Spannungen. Junge Leute werden in absehbarer Zeit mittels verzinstem Sparen kein Vermögen schaffen mehr können. Die Nullzins-Politik ist damit ein Verrat der alten Generation an der jungen.

Das gibt viel Nahrung für die künftigen politischen Verteilungskämpfe: Die Lohnentwicklung ist nämlich an den Index der Konsumentenpreise gekoppelt. Ein Immobilienkauf mit verdientem Einkommen aus Arbeit zu realisieren, wird immer schwieriger, leichter gestaltet sich dies aus Kapitaleikommen. Karl Marx hätte bestimmt Freude an dieser sozialkritischen Analyse. Sie widerspiegelt indessen eine Tatsache und ist von ihrer Wirkung her staatspolitisch äusserst toxisch: Es dient einer Gesellschaft längerfristig nicht, wenn sich die Schere in der Vermögensverteilung weiter auftut.

Wird Inflation falsch gemessen?

Ist die Inflation bei uns etwa bereits angekommen, und wir haben es gar nicht bemerkt? Das ist durchaus möglich. Und zwar hat sie sich ganz gemein eingeschlichen, durch die Hintertüre. Es betrifft die Investitionen von vermögenden Personen, welche ihr Geld in andere Werte konvertieren möchten: Dann erhalten sie für ihr Geld heute nämlich weniger an Immobilien, Aktien, Oldtimer, Kunst, Gold, etc. Alles ist teurer geworden. Hier, bei den „Vermögenspreisen“ ist die Inflation bereits angekommen. Das trifft natürlich nicht auf den normalen Mix mit Konsumgütern zu.

So klassisch, wie die Inflation heute gemessen wird, wird sie demnächst wohl kaum stattfinden, Zumindest – vermutlich – weder mittel- noch langfristig. Die rekordtiefen und langanhaltenden Zinssätze haben also nur eine ungeplante Inflation bei Vermögenden provoziert, die gar nie bei der Durchschnittsbevölkerung angekommen ist. Die gescheiten Notenbanker wollten mit ihrer Geldschwemme die Konsumgüter in die Inflation zwingen, um ihre Staatsschulden zu vernichten. Nun ist sie an einem ganz andern, luxuriösen Ort – wo sie nämlich nicht gemessen wird – angekommen.

Wird Inflation also falsch – oder zumindest unvollkommen – gemessen?

Was tun?

Was bedeutet diese Misere nun für uns Anleger? Die Antwort ist eine theoretische – doch hier ist sie: keine verzinsten Anlagen tätigen, welche nicht kurzfristig sind. Also Hände weg von Investitionen in vermeintlich sichere Staatsanleihen, besonders nicht in Fremdwährungen. Steigt die Inflation trotzdem (z.B. Import-bedingt wie in der Türkei aufgrund der erodierenden Lira), verlieren solche Anlagen massiv an Wert – logischerweise vor allem, wenn diese langfristigen Charakter haben. Besser Geld parken (in sicheren Währungen), Wohnimmobilien kaufen, nur vorsichtig und selektiv an der Aktienbörse präsent sein – und warten. Es könnte nur wenige Jahre dauern, und man könnte mit dieser Strategie gewinnen. Ja, es herrscht Anlagenotstand: Obligationen sind ebenso out, Fremdwährungen nur Spekulation; sie dienen allenfalls zur Diversifikation. Gold ist eine kleine Alternative, aber nur als Notbatzen. Gold dient kaum zur Spekulation und wirft auch keinen Zins ab; das gelbe Metall ist nur ein Back-up. Und  auch nur dann, wenn es in kleinen, handelbaren Grössen gehalten wird. Also bitte keine Goldzertifikate oder Minenanleihen. Nur Nuggets, Vreneli, Krügerrand, Kleinst-Barren…

Fazit:

So wie die Inflation heute gemessen wird, wird sie demnächst nicht flächendeckend ankommen. Zwar versuchen die Zentralbanken, eine solche seit Jahren herbeizuzwingen – doch es funktioniert nicht. Ob die Verschuldungsblase jemals platzen wird und dannzumal eine Inflation – oder gar eine Hyperinflation – provoziert, ist absolut unsicher.

Sicher ist nur, dass es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufgrund der horrenden Staatsverschuldungen nie mehr nennenswerte Zinsen geben wird. Brave new world: Das Geld ist nichts mehr wert. Auch ohne Inflation.

Kurz- und mittelfristig ist also nicht mit Inflation zu rechnen, eher mit einer kleinen Deflation – oder gar mit einer „Stag-Deflation“? Wir bleiben dran. 

Regierungsversagen in der Krise

Interview mit Dr. Rebecka Carpenter

„Der Fisch stinkt vom Kopf.“ 

True Economics: Rebecka, wird es in unserem Gespräch heute schon wieder Bundesrats-Bashing geben?

Rebecka Carpenter: Ja. Leider. So lange wohl, bis die Spitze der Regierung – und das ist nun mal der Bundesrat – konsequent durch die Krise führt und lernt. 

TE: Andere Staaten haben es jedoch auch nicht besser gemacht.

RC: Da muss ich allerdings widersprechen. Deutschland oder Dänemark haben die Fallzahlen ziemlich gut im Griff, ohne das ganze Leben runterzufahren. Über die Beispiele Südkorea oder Taiwan haben wir früher schon gesprochen – die haben das ohne Lockdown hingekriegt. Als eines der reichsten und hochentwickeltsten Länder der Welt könnte man von unserem Bundesrat schon erwarten, dass er zumindest in den letzten Monaten und Wochen gelernt hat. Wir alle haben ja inzwischen ebenso dazugelernt, auch epidemiologisch. Wir wissen heute, dass wir die Krisenherde erfassen müssen – diese sind nämlich ziemlich gut zu orten. Weder komplette Lockdowns sind dazu notwendig, noch Laisser-faire.

TE: In der Tat steht heute die Schweiz weltweit an vierter oder fünfter Stelle mit den Corona-Fallzahlen, seit gestern vielleicht noch weiter oben. Auf Deutschland hochgerechnet, würden das bald 100‘000 Fallzahlen pro Tag bedeuten. Deutschland würde sich wohl in einem kompletten Lockdown befinden in einer solchen Situation.

RC: Unsere Situation ist mehr als peinlich. Wir stehen international ziemlich angezählt da. Proportional zur Bevölkerung haben wir mit unseren Infektionen sämtliche grossen europäischen Länder überholt, die täglichen Infektionen liegen sogar viermal höher als in den USA. Der Bundesrat hat vor allem zugewartet und nichts getan – und das Momentum verpasst. Nun bezahlen wir die Rechnung, indem es wieder zu Lockdown-ähnlichen Massnahmen kommt und wir, unter anderem, als Schweizer unsere Reisefreiheit verlieren. Und die touristische Erholung können wir ebenso vergessen. Im Vordergrund steht nicht einmal ein akutes medizinisches Problem, sondern ein volkswirtschaftliches. Denn die neuen und künftig vielleicht noch härteren Einschränkungen sind teuer. Letztlich beruht die heutige Situation auf einem klaren Regierungsversagen.

TE: Einen Schlussrang unter den entwickelten Ländern belegt die Schweiz gleichzeitig in Sachen Testing. 

RC: Davor haben nicht nur Epidemiologen schon lange gewarnt, die Regierung hat aber bis heute nicht reagiert. Nur hohe Testraten führen zu Übersicht. Auch Random-Testing (also in repräsentativen Stichproben) hätte schon früher helfen können, Hotspots zu erkennen. Risikogebiete und Infizierte werden mit unseren mageren Testmethoden nur mit grosser Verzögerung entdeckt. Seit Monaten hätten wir in genügenden Mengen Testmaterial einkaufen und die Test-Organisation bereitstellen können. Noch heute jedoch gibt es jedoch keine Drive-Throughs, das Testen ist mühsam und teuer, die Labors sind überlastet. Kommt hinzu, dass die Behörden mit dem Tracing an vielen Orten bereits heillos überfordert sind. Es funktioniert eben nicht, wenn man sich als Regierung feige hinter föderalen Systemen versteckt und nichts tut. In einer Krise müsste der Bundesrat die Führung übernehmen – oder, falls er überfordert ist – einen professionellen Krisenstab mit Kompetenzen  einberufen.

TE: Unser Regierungssystem ist also schuld an der Misere?

RC: Nein. Wir haben wohl immer noch eines der besten Regierungssysteme der Welt. Ein starker Staat (wie in Spanien oder in Frankreich) mit ebenso starkem Durchgriffsrecht verhindert offenbar nicht, dass auch ein solches Land die Krise à priori nur mangelhaft managt. Ein schlanker Staatsapparat – wie in der Schweiz – ist organisationsmässig in der Tat etwas schlechter aufgestellt für Krisen. Wir haben eben eine Schönwetter-Regierung, welche uns zwar gute Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche und soziale Leben garantiert. Aber diese Regierung eignet sich offenbar nicht für die Schlechtwetterperiode. Letztlich wäre es allerdings nur eine Managementaufgabe, in einer plötzlichen Krise zumindest zu führen. Oder mangels Fähigkeiten wenigsten die demütige Erkenntnis zu haben, einen Führungsstab einzusetzen. Diese Entscheide lassen sich auch in einem schlanken Staat treffen. Offenbar haben wir nicht die richtigen Leute an der Spitze – der Fisch stinkt eben vom Kopf. 

TE: Unser föderales System eignet sich wohl nicht für Krisen.

RC: Richtig – es ist überfordert. Wie soll Appenzell Innerhoden mit einer Bevölkerungszahl von 16‘000 ein kantonales Corona-Krisenmanagement übernehmen? Schwamendingen hat fast doppelt so viele Einwohner. Sie als Journalist verstehen vielleicht ebenso viel von Covid-19 und Krisenführung wie die Appenzeller Regierung. Das Versagen liegt jedoch nicht in Appenzell, sondern beim Bundesrat, welcher dieses Tun zugelassen hat. Immer unter dem Deckmantel des unabdingbaren Föderalismus. Das Versagen liegt gerade darin, dass nicht erkannt wird, dass eine Pandemie unmöglich auf kantonaler Ebene bekämpft werden kann. Der Bundesrat wird oft entschuldigt, dass er „das nicht darf“. Das ist nicht richtig: Führen darf man immer. Man muss es einfach gut und überzeugt tun.

TE: Sie erwähnten vorhin, dass wir nun vielleicht „das Momentum verpasst haben“.

RC: Wir werden nicht untergehen. Aber wir haben wertvolle Zeit verloren. Die Spitaleintritte nehmen exponentiell zu, die Intensivbetten füllen sich. Letztlich geht es einzig darum, das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Hätten wir früher geeignete Methoden ergriffen, hätten wir heute eine weniger brenzlige Lage. Mit geringsten Einschränkungen hätten wir schon vor Wochen eine maximale Wirkung erzielen können: nämlich mit einer Ausweitung der Maskentragpflicht, mit starken Versammlungsbeschränkungen, Verzicht auf Sportanlässe und andere Events, Schliessung von Clubs, Bars und ähnlichen Etablissements – ganz klar auch mit einer Beschränkung von privaten Feiern. Also mit ähnlichen Vorschriften, die gerade jetzt erlassen werden, wenn auch nicht konsequent. Das wären schon früher Massnahmen mit akzeptablen Verzichten und hinnehmbaren Kosten gewesen. Die heutige Situation erfordert nun härtere Massnahmen. Insofern haben wir das Momentum verpasst und müssen dafür büssen.

TE: Die Regierung wird offenbar jedoch kaum kritisiert, auch in den Medien nicht.

RC: Das wird noch kommen. Die Medien halten sich in der Tat sehr zurück. Wichtige Sprachrohre (z.B. SRF oder die NZZ) erfüllen damit aber ihre neutrale Informationspflicht nicht. Sie sollten kritischer sein. Letztlich wird die Glaubwürdigkeit der Regierung jedoch schwinden: Wie soll dem Bürger erklärt werden, warum Masken im März nichts genützt haben, diese jetzt aber sogar im Freien getragen werden sollen? Wieso in Museen Maskentragpflicht herrschte, bis vor kurzem aber die Clubs offen waren und man dort nicht einmal Masken tragen musste – man musste sich nur hinsetzen! Jodlerfeste, grosse Hochzeitsfeiern und selbst geriatrische Clubausfahrten waren in einem Kanton erlaubt, im anderen herrschte eine relativ strenge Versammlungsbeschränkung. Dies bei vergleichbaren Fallzahlen – als ob das Virus kantonale Mutationen aufweisen würde. Und heute braucht es plötzlich vorverlegte Polizeistunden, um nicht eine unkontrollierte Lage zu riskieren. Dies aber erst mal nicht sehr streng – im Sinne eines austarierten Kompromisses, der zwischen dem Bundesrat und den Kantonen in tagelangen Sitzungen getroffen wurde.

TE: Rebecka, früher waren Sie gegen den Lockdown, heute für stärkere Einschränkungen. Haben Sie ihre Meinung geändert?

RC: Nein, ganz und gar nicht! Im Frühling war ich gegen einen flächendeckenden Lockdown des ganzen Detailhandels. Weil es nichts bringt, wenn insbesondere niederfrequentierte Läden geschlossen bleiben, hochfrequentierte (wie Supermärkte) jedoch offen sind. Die Erfahrung zeigt uns heute auch, dass man sich in der Boutique oder im Baumarkt kaum ansteckt – nicht einmal im Supermarkt. Maskenschutz, Distanz und Hygiene reichen. Heute vertrete ich alle Einschränkungen, um die Nahkontakte zu reduzieren. Das ist am wirksamsten – und hätte eben schon früher dringend erfolgen sollen. Aber auch heute sieht der getroffene Massnahmen-Kompromiss ziemlich lendenlahm aus – so sind grössere Veranstaltungen immer noch möglich, private Feiern ebenso, wenn auch mit maximal 10 Personen. Das sind alles eben unnötige und wenig mutige Kompromisse, mit reduzierter Effektivität.

TE: Wovor haben Sie Angst, Rebecka?

RC: Einerseits habe ich grossen Respekt vor den wirtschaftlichen Folgen dieses Regierungsversagens – weniger vor den medizinischen Folgen. Diese werden wir wohl einigermassen in den Griff bekommen. Angst habe ich allerdings vor einer richtigen Krise. So zum Beispiel vor einer Strommangel-Lage – bekanntlich das Krisenszenario (laut unserer Regierung) mit der höchsten Eintretens-Wahrscheinlichkeit. Abgesehen davon, dass wir auf eine solche Krise ebenso wenig vorbereitet sind wie wir es auf die Pandemie waren: Man stelle sich vor, unsere Regierung müsste eine solche Krise managen! Unser Bundesrat hat den Beweis erbracht, dass er in einer Krise nicht führen kann. Im Falle einer echten Krise hätte das fatale Folgen. 

TE: Was heisst das für Sie?

RC: Sollten wir es nicht schaffen, künftig fähigere und krisenerprobte Führungspersönlichkeiten im Bundesrat zu haben, müssten wir ihm im Falle einer Krise das Heft sofort aus der Hand nehmen! Natürlich denke ich hier nicht an einen Armeeputsch (RC lacht). Aber die Stäbe der Armee z.B. würden unser Land mit Bestimmtheit besser durch die Krise führen. Wir müssten jedoch schon heute, demokratisch abgesichert, eine solches Führungs-Szenario im Hinblick auf Krisen vorbereiten.

10 Kapitalfehler unserer Regierung im Umgang mit Corona

Die anfängliche Zustimmung von Politik und Bevölkerung zur Regierung in Sachen Corona Krisen-Management ist heute grosser Skepsis gewichen. Berechtigt, denn die Regierung zeigt sich zusehends überfordert. Die Corona Fallzahlen liegen in der Schweiz heute auf dem Level der USA, von Frankreich oder Spanien – proportional auf 100‘000 Einwohner gerechnet. Unsere Zahlen in der Schweiz werden, nebst allfälligen medizinischen Risiken, zu weiteren Beschränkungen in unserem sozialen Leben führen, vor allem auch zu Reisebeschränkungen. Im Rückblick sind 10 Kapitalfehler auszumachen, welche unsere Regierung zum Teil sehenden Auges begangen hat – oder immer noch begeht.

Die steigenden Fallzahlen in der Schweiz bringen unser Land in eine neue Misere: Die zweite Welle wird neue hohe volkswirtschaftliche Kosten auslösen und zu Einschränkungen in unserem täglichen Leben führen. Unser Land wird zurzeit von vielen Staaten als neuer „Krisenherd“ definiert, was unsere Reisefreiheit einschränkt. Dabei geht es selbstredend nicht nur um die Einschränkung von touristischen Reisen – ökonomisch schädlicher sind die ausfallenden Geschäftsreisen. Zoom alleine vermag das nicht zu kompensieren.

Dass viele andere Länder ihr Krisen-Management auch nicht im Griff haben, mag ein Trost sein. Aber von einem der reichsten und höchst-entwickelten Staaten der Welt dürften wir nun mal weniger Fehler bei einer Krisenbewältigung erwarten. Die Bilanz fällt leider ernüchternd aus:  Unsere Regierung hat einige Kapitalfehler begangen.

Kapitalfehler Nummer 1: Die Maskenlüge

Der Fauxpas ist bekannt: Mangels Masken wurden diese zu Beginn der Krise kurzerhand als unwirksam bezeichnet. Die Erfahrung vieler asiatischer Länder zum Beispiel zählte nicht. Viel schlimmer jedoch wiegt, dass der Fehler erst jetzt (nach bald acht Monaten!) durch den Bundesrat halbwegs korrigiert. Die weltweite Erkenntnis, dass Masken die Virusverbreitung eindämmen, ist offenbar erst heute bei der Regierung angekommen. Niemand trägt gerne Masken – klar. Aber wenn sich mit dieser Komforteinbusse grössere volkswirtschaftliche Schäden verhindern lassen, sind sie nützlich. 

Kapitalfehler Nummer 2: Ungenügende Vorbereitung der Infrastruktur

Die Eintretens-Wahrscheinlichkeiten für grosse Krisen sind dem Bundesrat seit Jahren bekannt: Die Gefahr heute geht nicht vom Russen aus, welcher den Rhein überschreitet. Krise Nummer 1 stellt eine Strom-Mangellage dar, Nummer 2 eine Pandemie. Trotzdem traf uns die Corona-Pandemie ziemlich unvorbereitet – dies sowohl in Sachen medizinischer Ausrüstung und Infrastruktur als auch führungsmässig. Ein professioneller nationaler Krisenstab glänzt bis heute durch Abwesenheit. 10 Milliarden CHF flossen bisher jährlich in die Armee – für ein Krisenszenario, welches in klassischer Form gar nicht mehr existiert. Ein paar spärliche Millionen nur wurden für andere Krisenvorbereitungen ausgegeben. Ein virtuelles Durchspielen eine Pandemiekrise, Training in Führungsstäben und richtige materielle Vorbereitung hätten nicht alle Welt gekostet. Die verpasste Umsetzung eines ziemlich wahrscheinlichen Krisen-Szenarios stellt  ein Versagen der Regierung dar, und zwar sowohl in politischer, als auch in managementmässiger Hinsicht. 

Lockdowns und andere Massnahmen sind Killer für die Wirtschaft. Eine bessere Pandemie-Vorbereitung hätte wohl zu zielführenderen Entscheidungen geführt.

Kapitalfehler Nummer 3: Unnötiger weitgehender Lockdown

Mit Social Distancing, Maske, Hygiene erreicht man mehr, als mit einem flächenweiten Zusperren von Läden. Das hätte man schon im Frühjahr erkennen können, hätte man beispielsweise nach Taiwan oder Korea geschaut. Und bei der Wiedereröffnung erfolgten gleich die nächsten Fehler: Erst gingen mal die kleinräumigen Tattoo-Studios mit hohem Risiko von direktem Körperkontakt auf, grosse Verkaufsflächen wie die von Ikea z.B. blieben indes geschlossen. Die ganze Lockdown-Übung kostete letztlich Milliarden und verursachte wesentliche soziale Einschränkungen und Verwerfungen.

Kapitalfehler Nummer 4: Kein Krisen-Management

Bis heute besteht kein nationales professionelles Krisen-Management. Keine Taskforce, welche wirklich führt. Dass Juristen, ein Arzt, ein Winzer, ein Buchhalter, eine Dolmetscherin oder eine Konzertpianistin vielleicht ganz leidliche Bundesräte abgeben können, muss zumindest diskussionswürdig bleiben. Was jedoch evident ist: In krisenerprobte Führungs-Cracks können sie sich unsere sieben Protagonisten nicht verwandeln.

Kapitalfehler Nummer 5: Mangelhafte Kommunikation

Wir erinnern uns: Da sprach mal, in ganz jovialer Art, Bundesrat Berset. Oder Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit BAG, mit leicht morbidem Habitus zwar, aber immerhin bedächtig und Ruhe einflössend. Simonetta Sommaruga spricht bis heute immer noch von „Solidarität“ – ganz im Stil einer Neujahrsansprache. Andere Exponenten, so Vertreter des BAG oder einer ziemlich hilf- und bedeutungslosen „Taskforce“, sprechen parallel und heben – ein bisschen warnend – den Finger. Ein Blick nach Holland oder Österreich zeigt, wie richtig kommuniziert wird: Die Herren Rutte oder Kurz sprechen dort einheitlich, eindringlich und klar. Und vor allem nur sie, und nicht ein halbes Dutzend (zum Teil offensichtlich unbegabte) Politiker. 

Kapitalfehler Nummer 6: Kein Eingreifen beim überforderten BAG

Dass das BAG schon zu Beginn der Krise überfordert war, zeigte sich sehr bald. Dass die kantonalen Fallzahlen per Fax täglich eingereicht werden mussten, ist nur ein Beispiel, wie es um die Management-Fähigkeiten dieses Bundesamtes steht. Noch heute ist bei der Einreise in die Schweiz keine verbreitete Infrastruktur für Covid-19-Tests vorhanden (welche schädliche Quarantänen vermeiden könnte). Bundesämter sind zugegebenermassen per se keine Brutstätten für Wirtschaftsführer, weshalb wir vielleicht etwas nachsichtig sein sollten. Was jedoch schlimmer wiegt: Der Bundesrat greift nicht ein. Der zuständige Jurist Alain Berset liess sein Amt immer gewähren – es erfolgte keine Korrektur. Bis heute nicht.

Kapitalfehler Nummer 7: Falsche Zahleninterpretation

Das BAG – und damit der Bundesrat – veröffentlicht seit Monaten willkürliche Länder-Fallzahlen und leitet daraus Quarantäne-Regeln ab. Island oder Luxemburg z.B. beschlossen, die ganze Bevölkerung flächendeckend zu testen. Mit dem Resultat, dass natürlich viele verdeckte Fälle gefunden werden und die Fallzahlen eines Landes so bedeutend höher zu liegen kommen. Serbien, Russland oder gar Afghanistan, regelrechte Corona-Hotspots, testeten kaum oder deren gemeldete Infektionszahlen waren nicht korrekt. Das BAG jedoch schickte Reisende aus Island und Luxemburg in die Quarantäne, Reisende aus Serbien, Russland oder Afghanistan blieben unbehelligt. Amüsanterweise steht heute Guyana, mit nur mittelmässigen Fallzahlen, auf der Liste (obwohl es kaum mögliche Flugverbindungen in die Schweiz gibt), die Einreise aus dem nahen Lyon, einem Covid-19-Herd, bleibt indessen frei. Letztlich handelt es sich um falsche Zahleninterpretationen, welche nicht nur zu medizinischen, sondern auch zu wirtschaftlichen Schäden führen. Die Einreise von Zürich in den Thurgau müsste konsequenterweise eher mit einer Quarantäne belegt werden, als die Einreise aus den USA, den Emiraten oder dem spanischen Andalusien – deren Fallzahlen liegen heute nämlich tiefer als in der Schweiz!

Und was tut der Bundesrat? Er lässt dieses absurde Tun des BAG einfach gewähren.

Kapitalfehler Nummer 8: Delegation an die Kantone

Wir erinnern uns: Der Bundesrat delegierte die Führung der Corona-Krise an die Kantone, just vor seinem Abschied in die Sommerferien (welcher übrigens in corpore erfolgte, so wie eben jedes Jahr). Die Misere ist bekannt: Jeder Kanton macht, was er will. Hier Masken in leeren Museen, dort keine Masken in der Diskothek. Hier Clubs offen, dort zu, Events und Partys hier möglich, aber dort nicht. Einzelne Kantone schaffen das Contact Tracing nicht mehr – es fehlt am Willen, Wissen oder an Kapazitäten – dabei gäbe es zuhauf Kurzarbeitende aus geeigneten Berufen, welche sich hervorragend für solche Arbeiten eignen würden. Dass eine solche Krise nur national (abgesehen von den internationalen Anforderungen) gemanagt werden kann, ist eigentlich offensichtlich. Auch in Deutschland verfügen die einzelnen Bundesländer über eine föderale Autonomie – aber Bayern oder Baden-Württemberg sind für sich alleine nun mal grösser als die ganze Schweiz. Unser kleinräumiges Land macht sich das Leben schwer, indem es für seine atomistische Struktur ein Wust an gegenteiligen Regeln aufstellt. Das mag für gewisse andere Belange durchgehen, aber nicht für eine Pandemie. Oder mutiert das Virus vielleicht doch an den Kantonsgrenzen?

Kapitalfehler Nummer 9: Falsche Definition der Ausbruchsherde

Nahezu weltweit ist man sich einig: Brandbeschleuniger für die Virus-Verbreitung sind Clubs, Bars, Chöre, Events, Feiern. Und trotzdem – als einziges Land in Europa – liess es die Regierung zu, dass Clubs und Bars offenblieben, Jodelfeste abgehalten und grosse Feiern erlaubt blieben. 

Allein mit sozialen Einschränkungen, welche diese Virenschleudern betreffen, hätte eine zweite Welle des heutigen Ausmasses vielleicht verhindert werden können. Natürlich hätten einige Clubs oder Kinos später nie mehr öffnen können, deren ökonomisches Ende wäre unter Umständen vorprogrammiert gewesen – bedauerlich. Aber es hätte volkswirtschaftlich bedeutend weniger gekostet als die Auswirkungen und Konsequenzen der heutigen hohen Infektionszahlen. Dem politischen Druck von vielen Branchenverbänden scheint sich der Bundesrat nie entgegenstemmen zu wollen. Das Schreckensbild eines „sozialen und kulturellen Kahlschlags“ wird an die Wand gemalt – und die Regierung bricht jeweils ein.

Kapitalfehler Nummer 10: Alles erfolgt zu langsam

Als sich unsere Infektionszahlen in den letzten Tagen täglich nahezu verdoppelten, bequemte sich unser Bundesrat – wohl nach einer sechsmonatigen Corona-Reflektion – zu der Aussage, dass man sich „in den nächsten Wochen“ der Misere annehmen und Entscheide treffen würde. Die Aussage ist leider symptomatisch. Nichtstun kann zum Teil eine weise politische Taktik sein. Aber in einer Krise zeugen sie nur von Führungsschwäche. Raschheit ist jetzt gefragt. Nur aufgrund erhöhtem politischem Druck sah sich unsere Staatsführung genötigt, in den letzten Tagen doch noch ein paar Massnahmen einzuleiten. Doch die Entscheide waren ziemlich lendenlahm: Events sind nach wie vor möglich, Hochzeitsfeiern bis 99 Personen ebenso ohne besondere Vorsichtsmassnahmen, die Clubs bleiben (wenn auch mit Auflagen) offen. Der Kapitalfehler der mangelnden Reaktionszeit und des mangelnden Mutes zieht sich leider wie ein roter Faden weiter durch die Krise. 

Hysterie wäre nun ein schlechter Krisenbegleiter. Zumal wir inzwischen einiges dazugelernt haben, wie sich eine Epidemie einschränken lässt. Die Corona-Malaise wird uns wohl noch einige Zeit begleiten – Zeit genug also, um einen Paradigmawechsel einzuleiten: Unser Land bräuchte eine schlagkräftige Taskforce, welche uns apolitisch durch die Krise führen kann. Und Entscheide aufgrund bekannter Analysen fällt, mit einem konsequenten, zielgerichteten Eindämmen des Virus dort, wo es sich verbreitet. So könnte ein Grossteil unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens ziemlich unbehelligt weitergehen. Und dann warten wir eben auf die Impfung…

Das bedingungslose Grundeinkommen – ein fataler Irrweg

Oder: Die absurde Weiterentwicklung eines marxistischen Ansatzes

Die Idee ist ja verführerisch: Anstatt komplizierte und viele verschiedene Sozialwerke zu unterhalten, kriegt jeder Bürger ein Grundeinkommen, mit dem er mehr oder weniger leben kann. Negative Steuern sozusagen. Dafür entfallen alle aufwendigen Transfersysteme wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Invalidenversicherung, Kinderzulagen, etc. Ausserdem könnten so auch Menschen einen Lohn erhalten, welche bisher pro bono gearbeitet haben – viele Mütter z.B. Die fortschreitende Digitalisierung wird, so der Ansatz, ohnehin viele Arbeitsplätze obsolet machen – also muss eine Lösung gefunden werden. Normale Erwerbsarbeit wird es künftig einfach zu wenig geben, womit es für den einzelnen nicht mehr zumutbar wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb also ein bedingungsloses Grundeinkommen – ohne dass ein Beweis der Bedürftigkeit erbracht werden muss. Ein hehres und gutgemeintes Modell? Nein, eher ein fataler Irrweg. 

Gleich schon vorab: Die These von der Arbeitsverdrängung durch technologischen Fortschritt wurde durch die Geschichte immer wieder wiederlegt. Zweitens lässt sich das Finanzierungsproblem eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kaum lösen, und drittens macht ein BGE die normale Arbeit unattraktiv. Soweit der gesunde Menschenverstand. Trotz diesen eigentlich logischen Erkenntnissen gibt es immer wieder allerlei Vorstösse und Projekte in Sachen BGE – oder es wurde sogar schon eingeführt. Hier ein paar Beispiele:

Der abgebrochene Test in Finnland

Schon vor einigen Jahren lancierte Finnland einen Test mit 2‘000 Beteiligten, welche in den Genuss eines BGE kamen. Die sorgsam ausgewählten Teilnehmer hätten sich dabei „nicht unglücklich gefühlt“. Immerhin. Bei der Arbeitssuche gab es allerdings keine verbesserten Resultate. Soweit die intellektuell eher bescheidene Ausbeute des Projektergebnisses. Der Versuch wurde nicht erweitert – nur schon wegen der Kosten.

Italien hat’s schon

Italien führte 2019 ein BGE in der Höhe von 780 Euro pro Monat an. Damit liessen sich viele Wählerstimmen ködern. Noch ist nicht klar, wie viele Millionen Italiener die Unterstützung in Anspruch nehmen werden. Klarer ist, wie die mehreren Milliarden jährlich finanziert werden: nämlich mit Budgetdefiziten des eh schon klammen Staates.

Einige Italiener werden nun schon bald zwei Jobs haben: einen offiziellen staatlichen, welcher dank Nicht-Arbeit trotzdem Geld abwirft und einen zweiten in der Schattenwirtschaft. Ein gut organisiertes Ehepaar wird damit nicht nur zum Doppelverdiener, sondern zum Quadrupel-Verdiener.

Spanien: per Dekret eingeführt

Spanien führte das BGE eleganterweise gleich per Corona-Dekret im Mai dieses Jahres ein. Die wackelnde sozialistische Regierung unter dem chaotischen Covid-Wirrkopf Sanchez versprach sich von so viel Grosszügigkeit wohl einigen Goodwill bei den Untertanen. Allerdings hapert es seit der Einführung mit der Bearbeitung der Anträge, konnten doch erst zwei Prozent der Anfragen bearbeitet werden. Aber es ist ja auch Corona-Zeit, die Beamten sassen während dem Lockdown zu Hause, und Homeoffice kennen spanische Staatsdiener nicht: „wegen zu geschlossen“. Wenn’s dann später klappt, erhält vermutlich gegen eine Million Haushalte monatliche Zahlungen von bis zu 1‘015 Euro. Pro memoria: Der gesetzliche Mindestlohn liegt in etwa auf gleicher Höhe. Eviva España! Aber wer will denn schon arbeiten an den sonnigen Gestaden des schönen Mittelmeers. Allerdings: Parallel schwarzarbeiten lohnt sich dann schon.

Corona-Kurzarbeit: Ist das nicht ein BGE?

Haben wir das BGE in der Schweiz vielleicht bereits eingeführt, ohne es zu merken? Zu Spitzenzeiten in der Corona-Krise waren über 1.65 Mio Kurzarbeitende und Arbeitslose gemeldet. Diese waren auch von der Pflicht zur Arbeitssuche entbunden. Dieser Zustand entsprach damit einem bedingungslosen Grundeinkommen! Ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung profitierte davon. Bei einer Erwerbsquote von rund 50% bedeutete dies, dass während mehreren Wochen nur rund 30% der Bevölkerung arbeiteten.

Dass dies auf Dauer nicht geht, ergibt sich nur schon aus der Quittung, die uns der Finanzminister am Ende dieses Jahres präsentieren wird: Milliardenverluste in der Bundeskasse, welche unsere Staatsverschuldung emporschnellen lassen und rund zehn Jahre harten Schuldenabbau vernichten. Nicht-Arbeit ist teuer.

Die Emirate kennen schon lange ein BGE

Während wir im Westen ziemlich erfolgslos und verträumt an BGE-Projekten herumlaborieren, haben es die VAE schon lange eingeführt. Hier handelt es sich allerdings nicht um eine neue Interpretation von „Das „Kapital“ von Karl Marx, sondern nur um eine aktualisierte Ausprägung der Feudalsystems. Emiratische Bürger (die übrigens weniger als 10% der Bevölkerung repräsentieren) kommen in den Genuss von grosszügigen Zuwendungen, welche in der Summe sogar mehr als ein bedingungsloses Grundeinkommen ausmachen. Wasser, Strom, medizinische Versorgung, ja ein Studium und ein Haus sind sozusagen gratis, bei Heirat gibt‘s noch extra Cash. Und auch sonst werden laufend Apanagen verteilt, sodass normale Erwerbsarbeit für die privilegierten Nichtarbeitenden zum Treppenwitz verkommt. Ja, einmal mehr gilt: Some are more equal. Die restlichen über 90% der Bevölkerung sind Expats aus allen Herren Ländern, der Grossteil davon „modern slaves“ v.a. aus Indien und Pakistan, welche ein sehr bescheidenes Leben führen.  

Ob dieses System funktioniert? Nein. Die neue Generation der Wüstensöhne ist schlichtweg wenig lebenstüchtig, sie ertränkt ihr Leben in Langeweile und Konsum. Ein BGE sollte zum Ziel haben, irgendwann wieder einmal aus der staatlichen Unterstützung ausbrechen zu können und einer bezahlten oder zumindest sinnstiftenden Arbeit nachzugehen. Die neue BGE-Generation am Golf ist eine verlorene Generation. Sie denkt nicht einmal daran, einer Beschäftigung nachzugehen. Zumindest in den VAE ist das BGE gescheitert. Aber es war ja auch nie ein richtiger BGE-Versuch, sondern ein weiter entwickeltes Nomenklatur-System, welches plötzlich dem Geldsegen verfiel. Trotzdem: Das Ergebnis des Modells des modernen Wüstenstaates ist zumindest ein Fingerzeig betreffend der unrealistischen Umsetzung eines BGE.

Und nun noch der Kanton Zürich!

Wir erinnern uns: Das BGE wurde bereits an einer eidgenössischen Abstimmung 2016 haushoch verworfen. Aber gewisse Kreise lassen nicht locker und verschafften sich im Züricher Kantonsrat 2017 tatsächlich eine Mehrheit, um doch noch ein BGE-Projekt ausarbeiten zu lassen. Handelt es sich bei den Protagonisten dieses Vorstosses nur um Träumer, um „fehlgeleitete Kinder“ mit wirren Gedanken, bestenfalls um gutgläubige Weltverbesserer? Der Vorgang ist allerdings zu ernst, als dass man ihm nur mit müdem Lächeln begegnen kann. Wir sind auf jeden Fall gespannt, welcher Papiertiger hier nun demnächst vorgelegt wird.

Geniales Finanzierungsmodell

Die Modelle aus Italien und Spanien zumindest sind insofern interessant, als dass beide Staaten ihr BGE nur beschränkt selber finanzieren müssen: Die zwei Länder brauchen keine Nachhilfestunden, wie sich das Subventionieren ohne nennenswerte Auflagen bewerkstelligen lässt. Die EU schüttet nämlich genügend Euromanna über diesen Staaten aus und finanziert indirekt alle Defizite. Ziemlich egoistisch von diesen Südstaaten, aber eben auch raffiniert. Wieso rebellieren die nördlichen europäischen Geberländer nur verhalten? „Weil die EU sonst auseinanderbricht“?

Auch Frankreich profitiert übrigens von den kürzlich verteilten 750 EU-Milliarden, nämlich mit 43 Milliarden. Diese helfen dann mit, das ineffiziente französische System der 35-Stunden-Woche zu unterhalten (wohl eine Vorstufe zum BGE). Macron hat das zusammen mit Merkel  gut eingefädelt.

Damit erkennen wir: Für alle Länder geht BGE nicht. Irgendjemand muss am Schluss für die andern arbeiten.

Zusammenfassend sind sechs Pferdefüsse für das Projekt BGE auszumachen:

  1. Es ist nicht erwiesen, dass es künftig zu wenig Arbeit geben wird. Industrialisierung und Digitalisierung haben bis heute die Arbeitswelt mit Bestimmtheit verändert, aber in der Summe keine Arbeit vernichtet. Wie war das noch mit dem papierlosen Büro? Mit der Verbreitung des Computers prognostizierte man einen Einbruch des Papierkonsums. Das Gegenteil ist eingetreten. Als die Eisenbahn aufkam, malte man bereits das Schreckgespinst der Arbeitserosion an die Wand. Henry Ford schuf trotz industrieller Arbeitsteilung letztlich Arbeitsplätze. Tatsache ist, dass die Entwicklungsschritte der Menschheit bis heute Arbeit nicht vernichtet haben. „Digitalisierung frisst Arbeit“? Das gilt es erst zu beweisen.
  2. Ein BGE ist schwer finanzierbar. Es liegt nämlich ein ganz einfaches statistisches volkswirtschaftliches Problem vor: Wie viele Leute müssen arbeiten, um die nicht Arbeitenden zu unterhalten? Nur schon das demografische Problem der Überalterung stellt viele Staaten vor fast unlösbare Probleme. Die äusserst herausfordernden Finanzierungslücken werden künftig höhere Abgaben für die Rentenbildung und höhere Renteneintrittsalter unabdingbar machen. Ein weiterer Ausbau der staatlichen Unterhaltssysteme mit garantierten Grundeinkommen wäre finanzpolitisch fahrlässig.
  3. Der Ansporn zum Arbeiten entfällt. Ein BGE ist ein falsches Anreizsystem. Insbesondere dann, wenn die Minimallöhne nur wenig über einem BGE liegen. Arbeit muss sich lohnen.
  4. Arbeit bringt nicht nur Einkommen, sondern auch Würde und Stolz. Die Alternative ist die Abhängigkeit vom Staat – für die meisten kein gutes Gefühl. Die Einführung eines BGE würde die Nicht-Arbeit indessen salonfähig machen. Wenn die Berührungsängste mit dem allgegenwärtigen Wohlfühlstaat dahinfallen, gewöhnt man sich an das betreute Wohnen im Staat. Mit der so gewachsenen Anspruchsinflation gibt es nur schwer ein Zurück. Letztlich geht es auch um Werte: Wenn Arbeit nicht mehr positiv gewertet wird – wer im Staat soll sie noch mit Verantwortung verrichten?
  5. Das BGE fördert die Schattenwirtschaft. Der Tatbestand ist offensichtlich.
  6. Die Einführung eines BGE kann zu einer Sogwirkung führen: Werden die sozialen Hängematten zu dicht aufgespannt, erhöht sich die Migration. Das mussten einige westliche Länder bitter erfahren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Sogwirkung für Einwanderer verstärken; es stellt eine klare Einladung dar und verhindert, die Immigration bedarfsgerecht zu steuern – nämlich um Nachfragelücken für gewisse Berufe zu schliessen.

Brave new world

Wie soll denn die moderne Welt von morgen aussehen? Etwa so:

Es arbeitet niemand mehr. Nur noch Roboter sind am Werkeln, die Künstliche Intelligenz (KI) steuert alles von selbst. Sie entwickelt selbstredend auch neue Roboter, repariert und wartet sie. Alle Bürger hocken zuhause und schauen Netflix – dort laufen dann auch lustige Filme, welche die KI selbständig entwickelt hat. Es gibt nichts mehr zu tun.

Selbst wenn die Promotoren des BGE nicht daran glauben, dass es so weit kommt: Sie werden wohl zugeben müssen, dass ein guter Teil der Gesellschaft immer noch arbeiten müsste – ganz autonom wird sich das System wohl kaum aufstellen lassen. Müsste dann dieser arbeitende Teil der Bevölkerung dermassen geschröpft werden, dass es mittels Umverteilung für alle reicht? Welcher Gesellschaftsvertrag würde das wohl zulassen?

Karl Marx würde sich die Augen reiben

Das BGE ist eigentlich die Weiterentwicklung eines sozialistischen oder marxistischen Systems: Bisher ging deren Lehre von einem Recht auf Arbeit aus. Neu könnte es nun auch ein Recht auf Nicht-Arbeit geben.

Gewisse Politiker möchten also am liebsten die Arbeit abschaffen. Erfüllung in der Arbeit selbst wird sekundär. Leider geht dabei vergessen, dass oft die gleichen Politiker von den Meriten eines gewissen Arbeitsethos der andern – eines der Erfolgsrezepte unserer Gesellschaft – profitieren.

Nachdem in den letzten Jahrzehnten fast alle wichtigen sozialen Forderungen erfüllt werden konnten, sehen Neolinke und andere Kreise heute im Menschen wohl ein Subjekt mit automatischem Anspruchsrecht auf ökonomische Zuwendung vom Staat. Den „Staat“ stellen sie sich dabei vielleicht als ein ökonomisches Perpetuum mobile dar, welches Geld schöpft. Sie vergessen leider, dass der „Staat“ die Bevölkerung ist. So hatte es sich Karl Marx nicht ausgedacht – dieser wollte nur eine gerechtere Verteilung von Arbeit und Kapital. Eine ganz lesenswerte Lektüre übrigens.

Berechtigte Forderungen:

Natürlich gibt es zahlreiche Probleme bei den Sozialwerken. Diese sind oft zu kompliziert aufgestellt, ineffizient, und die Mittel kommen nicht immer an den richtigen Orten an. Damit wir uns nicht missverstehen: Das Recht auf Hilfe soll natürlich nicht bestritten werden. Allerdings nicht das Recht auf Hilfe ohne Not.

Das BGE hält in der Tat mit dem Finger auf eine wunde Stelle in unserer Gesellschaft. Das Problem ist aber ein systemisches und muss separat gelöst werden – und nicht mit dem Füllhorn eines BGE.

Es gibt Alternativen

Man kann die Probleme besser lösen: Es müssen Anreizsystem gefördert werden, um der Arbeitslosigkeit zu entrinnen: Umschulungen, Zwischenverdienstmöglichkeiten. Ein berufliches Downgrading muss zumutbar sein, um der Abwärtsspirale zu entrinnen, die sich mit zunehmender Länge der Arbeitslosigkeit auftun kann. Vielleicht hat während der weit verbreiteten Corona-Kurzarbeit da und dort ein Umdenken stattgefunden?

Es gibt in den meisten westlichen Gesellschaften riesige Lücken bei Pflege- und Betreuungsberufen, in Unterhalts- und Dienstleistungsbereichen. Die Frage der „Zumutbarkeit“ für Arbeit und Umschulung muss also vermehrt auf den Tisch kommen. Ansonsten kann die Volkswirtschaft nicht auf Touren kommen. Wenn der Produktionsfaktor Arbeit falsch eingesetzt wird, die Staatskosten steigen und soziale und psychologische Folgekosten aufgrund der Nicht-Beschäftigung ebenso steigen, droht der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Abstieg. Der Mensch möchte ja arbeiten – an sich. Auch wenn Arbeit zugegebenermassen nicht immer und nicht für alle lustig ist. Wenn der Staat dem Bürger allerdings suggeriert, dass er nicht unbedingt arbeiten muss, wird er lernen, nicht zu arbeiten. Frankreich z.B. hat hier hervorragende Vorarbeit geleistet, La Grande Nation war ein verdeckter Vorreiter in Sachen BGE-Ideen und Verdrängung von Arbeitsethos. Italien und Spanien folgen nun mit ihren eigenen BGE-Konstrukten. Und die VAE hatten das BGE de facto schon viel früher erfunden – nur wussten sie es nicht. Ob es nun die intelligenten Zürcher Ratsmitglieder neu erfinden?

Fazit:

Das Thema BGE wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einigen europäischen Staaten immer wieder auf den Tisch kommen. Es steht einfach in der fixen Agenda gewisser sozialpolitischer Irrlichter. Auch in der Schweiz. Deshalb gilt es das Begehren zum Vornherein abzulehnen. Ein BGE ist nicht nur volkswirtschaftlich schädlich, sondern entfaltet auch eine demotivierende Wirkung für jeden Arbeitnehmer. Arbeit muss interessant bleiben. Ein BGE gefährdet zudem die Würde eines einigermassen aufgeklärten Bürgers. Es ist ganz einfach der falsche Weg, um das Problem von allfällig mangelnder Arbeit zu lösen. True Economics hegt jedoch den Verdacht, dass die Idee des BGE von gewissen Protagonisten nicht aus Gründen der besseren Arbeitsverteilung gefördert wird, sondern weil viele Kreise einfach nicht arbeiten wollen. Nicht-Arbeit macht indessen selten glücklicher. Das BGE bleibt letztlich eine absurde Fiktion.

Die Swiss sollte grounden

Die optimistischen Szenarien des Lufthansakonzerns sind nicht eingetreten. Nicht einmal die vorsichtigen Prognosen von True Economics haben sich bestätigt: Die Realität sieht leider noch viel unappetitlicher aus, denn auf absehbare Zeit wird deutlich weniger geflogen – und kaum eine Luftgesellschaft kann ihren Betrieb aus eigener Kraft aufrechterhalten. Betriebswirtschaftlich ist ein Downsizing alleine nicht zu schaffen, also ist man auf Staatshilfe angewiesen. Also lieber schon heute ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende: Die Swiss müsste vernünftigerweise jetzt grounden.

Es wird nicht geflogen

Gemäss neuen Schätzungen der Swiss wird demnächst 60-70 % weniger geflogen als 2019. Bisher lag die Prognose bei 50% – eine immer noch sehr sportliche Annahme.

Zurzeit werden rund 50% der früheren Flugziele angeflogen, allerdings mit ausgedünnter Kadenz und oft leeren Fliegern, zudem kaum auf den lukrativen Langstrecken. Das Passagieraufkommen insgesamt liegt heute schätzungsweise bei minus 85% zum Vorjahr.

Die Kurzarbeit für die Swiss Crew soll gemäss Bund noch bis Ende 2021 verlängert werden. Und dann vielleicht nochmals? Und nochmals? Damit wird die Swiss zwar sehr schön von den Personalkosten entlastet. Aber es ist nur ein Pflaster, denn fast alle anderen Kosten laufen weiter, viele sind zum Teil gar nicht beeinflussbar (wie die Abschreibungen z.B.).

Die vorsichtige Schätzung von True Economics im Frühjahr 2020 war sogar noch zu optimistisch: Damals korrigierten wir die Prognose der Swiss klar nach unten (siehe Chart). Nun müssen wir die Prognose leider nochmals nach unten korrigieren (siehe unterste Linie im Chart).

Unsere Prognose für den Luftverkehr:

Erst 2022 wird wieder richtig geflogen, denn bevor nicht eine mehr oder weniger flächendeckende Corona-Impfung kommt, wird nichts laufen, denn der freie Reiseverkehr bleibt bis dann abgewürgt. Der Tourismus wird sich dannzumal zudem auf einem deutlich tieferen Level einpendeln, 2022 und 2023 auf vielleicht 75%, verglichen mit 2019. Die Anzahl Geschäftsflüge wird indessen noch tiefer liegen – die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten mit allen ihren Lerneffekten werden massiv auf die künftigen Reisepläne durchschlagen. 2022 und 2023 wird das Passagieraufkommen hier vielleicht bei 60% liegen.

Düstere Aussichten für die Swiss

Der Faktor Geschäftsreisen wird ertragsmässig besonders stark ins Gewicht fallen, denn die Swiss verdiente das Geld bislang vor allem mit den Tickets der Business und der First Class. Ein deutliches Downsizing ist also angesagt, für den gesamten Betrieb. Bedeutend weniger Personal kann beschäftigt werden, eine markante Reduktion der Flotte ist angesagt. Leider können die überzähligen Flieger auf dem Weltmarkt kaum verkauft werden; Abschreibungs- und Unterhaltskosten laufen also weiter. Der Frachtverkehr ist von der Misere kaum betroffen. Aber das hilft der Swiss auch nicht weiter, denn in diesem Geschäft war die Airline eh nie besonders stark.

Point of no Return?

Mit der stark reduzierten Auslastung wird also unmöglich rentabel gewirtschaftet werden können, ergo werden sich neue Verluste zu neuen Schuldenbergen auftürmen. Auf dem Kapitalmarkt sind mit derlei düsteren Aussichten keine vernünftigen Finanzierungen zu bewerkstelligen, also müsste der Staat wieder einspringen. Und immer wieder. Und wenn sich der Staat dann mal so richtig reingekniet hat, wird das ganze Drama politisch zu einem Point of no Return – und es wird weiter unterstützt.

Ein Unternehmer würde den Stecker ziehen

Nun, was macht ein Unternehmer, welcher täglich Millionenverluste erzielt und sich einem kurz- und mittelfristigen Budget gegenübersieht, bei dem sich nur Abgründe auftun? Die unangenehme Antwort lautet: Er zieht den Stecker. Das ist auch richtig so. Denn einmal mit der schieren Unmöglichkeit konfrontiert, auf absehbare Zeit je wieder positive Zahlen zu liefern, muss konsequenterweise die Aufgabe der Geschäftstätigkeit anvisiert werden, sofern keine erfolgsversprechende Diversifikationsstrategie besteht, die das Kerngeschäft markant stützen könnte – und es sieht ganz danach aus, als dass eine solche inexistent ist. Genau an diesem Punkt steht die Swiss heute. Die weltweiten Überkapazitäten (viele davon werden mit massiver staatlicher Unterstützung aufrechterhalten) werden zudem noch während Jahren auf die Flugpreise drücken. Quintessenz: Es wird nie mehr so sein wie gestern.

Doch die kognitive Wahrnehmung des Swiss Managements sieht offenbar anders aus: So möchte man, wie in diesen Tagen kommuniziert, „1‘000 Stellen binnen zwei Jahren abbauen“. Das sind 5% pro Jahr. Liegt hier ein kleines Missverständnis vor…? Wird hier jemand vom Teufel geritten, ist naiv – oder versucht einfach nur chancenlose Zuversicht zu verbreiten?

Nicht systemrelevant

Wir hatten früher schon festgehalten: Die Swiss ist nicht systemrelevant. Ab Zürich und Genf wird immer geflogen werden, es wird sich immer eine Airline finden, welche Passagiere und Güter transportiert – die Schweiz wird folglich nicht abgeschnitten sein. Der Umkehrschluss, wenn dem nicht so wäre: Er würde nämlich bedeuten, dass die Swiss bisher (aus „Systemgründen“?) unrentable Flugziele bediente, und zwar vorsätzlich. So viel zur Systemrelevanz.

Auch kein Heimatschutz

Aus Heimatschutzgründen lässt sich ein Aufrechterhalten einer deutlich unrentablen Dienstleistung ebenso wenig rechtfertigen – zumal hinter dem Schweizerkreuz der Swiss der deutsche Kranich hockt, notabene ein teilstaatlicher Betrieb. Es gibt also bereits heute keine „Schweizer“ Airline mehr. Wenn gegroundet würde, könnte schon am nächsten Tag wieder geflogen werden. So war’s auch 2001, und das würde auch 2020 funktionieren. Die neue Firma hiesse  diesmal vielleicht New Swiss. Oder es wäre eben die Lufthansa, welche Zürich und Genf anfliegt. Die würde das gerne machen, und wir würden es überleben. Wir verherrlichen eh seit Jahren unsere „eigene“ Airline, fliegen aber mit anderen Carriers, so mit Easyjet, Ryanair oder Emirates. Wird die „Swiss“ heute etwa vor allem von Nichtfliegern verherrlicht, während die Vielflieger ziemlich schmerzfrei mit irgendeiner Airline fliegen…?

Grounding lieber jetzt

Ausgehend von einem heute sehr realistischen Szenario (mit einem Passagieraufkommen entsprechend unserem Chart) gibt es fast keinen Ausweg, als die Firma aufzugeben.

Nachdem sich nun der deutsche und der Schweizer Staat ins Cockpit gesetzt haben, wird die Sache indessen schwieriger. Ob damit fast ein Point of no Return impliziert wurde? Die de facto nach Berlin geschickte eidgenössische Hilfs-Milliarde wird schon bald verbrannt sein, das Wehklagen nach weiterem Geld liegt bereits in der Luft.

Nach dem kürzlichen Abgang des CEOs wird sich in dieser Situation heute eh kein Top Manager mehr finden lassen, der dieses Himmelfahrtskommando übernimmt. Also wird der Mutterkonzern wohl einen vorübergehenden Troubleshooter aus Deutschland abkommandieren – vielleicht gar als Strafversetzung…?

Mit einem Grounding könnte die für den Staat sehr teure Kurzarbeit aufgelöst werden. Die Swiss selber könnte sich mit einem Schlag von allen Lasten erledigen: Alle Schulden würden sich sublimieren, alle Personalverträge wären aufgelöst. Bedauerlich für alle Einzelfälle – aber die Einzeldramen werden wohl nur vorgezogen.

Wie läuft ein Grounding ab?

Alle Aktiven und Passiven würden bei einem Grounding dem Insolvenzverwalter „gehören“. Auch die Flieger. Intelligenterweise müsste man am Tage X sicherstellen, dass sich diese dann nicht gerade an einem Ort befinden, wo sich noch unbezahlte Rechnungen aufgehäuft haben – ansonsten die schönen Fluggeräte wohl gleich arrestiert würden.

Richtig vorbereitet, starten am nächsten Tag wieder ein paar Flieger, unter einer neuen Firma. Das Personal wird sich sofort finden lassen, kurzfristig selbst mit provisorischen Anstellungsverträgen. Das Prozedere ist nicht einfach, kann jedoch sauber vorbereitet werden – ganz im Gegensatz zu 2001, als Staat, Banken, Personal und Kunden auf dem linken Fuss erwischt wurden. Es ist also nur zu hoffen, dass heute schon ein Plan B für ein Nach-Grounding-Projekt besteht. In diesem kann vorgängig die künftige realistische Grösse der dann arg verkleinerten Firma festgelegt werden, die Flugziele definiert, die nötigen Flieger könnten aus der hübschen Flotte am Boden herausgepickt werden. Die Finanzierung könnte ebenso sauber im Hintergrund geplant werden. Soweit die betriebswirtschaftliche Theorie zum Ablauf des Neustarts. Nur: Jetzt müssten hier eine entscheidungsarme Angela Merkel und ein von der Politik drangsalierter Ueli Maurer, sekundiert von der eh schon arg strapazierten Pianistin Simonetta Sommaruga, mitplanen. Ob das funktioniert, so im Geheimen…?

Fazit: Vernünftigerweise wäre jetzt ein Grounding angesagt. Die Swiss wird auf Jahre hinaus ohne fremde Hilfe nicht überleben können. Es ist zu befürchten, dass die staatliche Unterstützung also noch sehr lange weitergehen müsste. Der Flugbetrieb und die Infrastruktur der Firma würden während dieser ewig andauernden Agonie in homöopathischen Dosen reduziert, das Personal mit Kurzarbeit noch lange durchgefüttert und ein riesiger Schuldenberg aufgebaut, welcher kaum je getilgt werden kann. Der Staat müsste bezahlen – also wir. Das ist unverantwortlich, sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Also lieber ein Grounding sofort, mit einem realistischen Neustart. Oder eben ohne Neustart – wir würden es überleben.

Hat Warren Buffett immer recht?

Dann sollten wir jetzt so handeln wie er.

Ja, der Starinvestor Warren Buffett hatte sehr oft recht mit seinen Anlagestrategien. Diese beruhen in der Regel auf Langzeit-Visionen – Visionen, die uns als Hinweis dienen können, was wirtschaftlich auf uns zukommen wird. Sollten wir also weiter von ihm lernen? Nicht nur seine Anlagestrategie kopieren (wir könnten natürlich auch seine Aktie kaufen), sondern sein ganz aktuelles Verhalten richtig interpretieren: nämlich das Nichtstun. Er investiert nicht mehr. Glaubt er also an eine längerfristige Rezession, und befürchtet er doch noch einen grösseren Einbruch an den Aktienbörsen? Uns interessiert seine Grundhaltung – aber auch sein aktuelles, atypisches Investmentverhalten. Die Interpretation von letzterem lässt nämlich tief blicken.

Warren Buffett hat noch nie nichts getan – ausser jetzt

Das „Orakel von Omaha“ ist jetzt 90 geworden. Kaum eine Zeitung, die nicht davon berichtete. Zahlreiche Bücher sind in den letzten Jahren über ihn erschienen. True Economics möchte deshalb keinen weiteren Aufsatz über sein Leben und seine Anlagestrategie sowie den Erfolg seiner Berkshire Hathaway verfassen. Uns interessiert eher sein gegenwärtiges Nichtstun. Es ist atypisch. In seiner ganzen Karriere hatte er nämlich noch nie nichts getan. Dabei hatte Buffet immer schon ein gutes Händchen; seit er 14 ist, handelt und investiert er. Es gibt wohl kaum eine lebende Person, welche damit auf immerhin 76 Jahre Berufserfahrung in der Wirtschaftswelt zurückblicken kann.

83 Milliarden Dollar – und er macht sich nichts draus

Warren Buffett ist mit 83 Milliarden USD der drittreichste Mann der Welt – nach Jeff Bezos und Bill Gates. Aber er verteilt immer ein bisschen etwas, und er unterhält zahlreiche Stiftungen. Die Milliarden hindern ihn auch nicht daran, seit über 60 Jahren im gleichen Haus zu leben (das er 1958 für USD 31‘500 gekauft hatte). Seit Jahren beträgt sein Salär USD 100‘000. Buffett hält immer noch knapp 20% an seiner börsenkotierten  amerikanischen Investment-Gesellschaft. Die Aktie von Berkshire Hathaway ist die teuerste Aktie der Welt. Wir haben nachgeschaut: 1969 kostete ein Anteil USD 43, heute deutlich über USD 300‘000. Bei einem solchen Aktienpreis muss man sich zumindest nicht mit unangenehmen Kleinaktionären herumschlagen.

Immer überdurchschnittliche Renditen. Das Geheimnis?

Anstatt das Geheimnis seines Anlage- und Beteiligungserfolges zu ergründen, könnten wir natürlich einfach Aktien von Berkshire Hathaway kaufen. Oder sein Anlagemuster oder gar sein Portfolio kurzerhand kopieren. Zurückblickend lässt sich auf jeden Fall beobachten, dass Buffett nie Index-orientiert handelte. Er pickte Rosinen und hielt sie langfristig. Aktien, Unternehmensanteile, Anleihen. Das Gegenteil eines Daytraders eigentlich. Er verfolgte auch immer den Value-Ansatz, und er kaufte nur, was er verstand. Er liebte immer Low-Tech: Coca Cola, Heinz, Gillette. Unkomplizierte Sachen. Sogar die Aktien der Washington Post waren immer noch selbsterklärend. Dow Chemical dann schon etwas komplizierter – aber transparent. Auch General Re oder General Electric. Heute ist Buffet etwas flexibler, so sind Investitionen in Goldman Sachs hinzugekommen – offenbar traut er der Firma zu, nie Geld zu verlieren – was für die Kunden von Goldman Sachs selbstredend nicht gilt.

Warren Buffetts Denken und erfolgreiches Handeln lässt sich mit den folgenden 11 Punkten erklären:

  1. Buffett handelt ziemlich konsequent nach dem Prinzip des Value Investing. Wenn der innere Wert einer Beteiligung deutlich unter dem Börsenkurs liegt, deutet er dies als Kaufsignal. Er liebt ganz einfach den reellen Gegenwert. Deshalb hat er auch nie auf die Überflieger der Tech-Branche gesetzt. Die Dotcom-Blase im Jahr 2000 ging an ihm spurlos vorüber – er besass keine einzige Aktie der hochgejubelten Branche. Kurz vor dem Platzen der Blase wurde ihm das noch als Anlagefehler angekreidet – doch er behielt recht.

Im Durchschnitt der letzten 40 Jahre erzielte er eine rekordverdächtige jährliche Rendite von 20%.

Dass Value-Aktien in der Regel hinter den sogenannten „Wachstumsaktien“ hinterherhinken, ist ihm ziemlich egal. Ob er auch hier recht behält? In ein paar Jahren werden wir es wissen.

  • Buffett investiert nicht in Dinge, die er nicht begreift. So betonte er oft, dass er nichts von Technologie verstehe. Also kaufe er das auch nicht… Erst 2017 investierte er massiv in Apple – als die Firma eigentlich schon fast eine „normale“ Firma war. Strukturierte Produkte, Derivate? Solche Instrumente bezeichnete Buffett schon mal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“.
  • Warren Buffett sah sich nie als Aktionär, sondern immer als Teilhaber. So kann er nachhaltiger denken.
  • Er investiert nur in Firmen mit erwiesenen Erträgen – nicht erhofften.
  • Er investiert nur in Firmen mit kompetentem Management. Er versucht nicht, mittels Führungsaustausch Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu nehmen – eine sonst beliebte Praktik der Investmentfirmen.
  • Buffett macht persönlich keine Schulden. Er „leveraget“ seine Beteiligung bei Berkshire Hathaway nicht. Die Regel gilt auch für die Firmen, in die Berkshire investiert – diese müssen immer gesund kapitalisiert sein. Allerdings war er sich in den letzten Jahren gut genug, sich bei Berkshire doch etwas Geld zu borgen (spottbillig natürlich), um gezielte Investitionen zu tätigen.
  • Buffett hält immer genügend Cash, um jederzeit investitionsbereit zu sein. Im Moment werden es um die 130 Milliarden USD sein, die bei Berkshire rumliegen.
  • Berkshire Hathaway schüttet keine Dividenden aus. So steigt das Eigenkapital konstant an, und damit kann mehr dazugekauft werden. Notfalls kauft Buffet manchmal die eigenen Aktien, wenn diese vorübergehend gestützt werden müssen.
  • Buffett hat sein ganzes Vermögen in Berkshire Hathaway investiert. Er ist kein Fonds-Manager, auch kein CEO einer Investmentgesellschaft. Er ist Eigner und seine langfristigen Ziele decken sich deshalb mit denen der Aktionäre.
  • Buffett lebt selber einen bescheidenen Lebensstil. Geld an sich ist für ihn kein Antrieb – ein nützlicher Charakterzug für langfristiges Denken. Der Multimilliardär wird nur einen Bruchteil seines Vermögens an seine Kinder vererben; der Grossteil wird an gemeinnützige Institutionen gehen. Ob das Donald Trump auch schon angedacht hat? Buffet jedenfalls denkt nicht vermögensgetrieben – ein weiterer Beweis, dass er die richtigen Voraussetzungen mitbringt für nachhaltige Investments.
  • Buffett arbeitet immer noch. Warum er sich das antut? Ganz einfach: Es macht ihm Spass. Vielleicht ist er doch eher ein Unternehmer und kein Investor? Die Freude an der Arbeit ist auf jeden Fall eine gute Voraussetzung, um Erfolg zu haben.

Wie reagiert Buffett in der Coronakrise?

Zu Beginn der Krise, im März 2020, verkaufte Buffett sofort alle Airline-Beteiligungen. Anschliessend machte er folgendes: nichts. Es wird ihm seit Monaten Inaktivität vorgeworfen, und zum ersten Mal kommt sein Alter zur Sprache.

In der Regel kauft Buffett in Krisen immer hinzu. Wir vermuten jedoch, dass er die Airlines nicht nur in einer vorübergehenden Krise sieht, sondern eher eine länger andauernde Agonie befürchtet – was tatsächlich einen konsequenten Ausstieg erforderte. Was bemerkenswert ist: Er tätigte diesen schon früh, gleich zu Beginn der Krise – als noch alle im Nebel stocherten und von einem rezessiven V-Shape fabulierten.

Buffett investierte in den letzten Wochen einzig in japanische Handelshäuser. Offenbar betrachtet er deren Aktivitäten als krisenresistent und ortet Entwicklungspotential.

Buffett griff in der Finanzkrise tüchtig zu

Während der Finanzkrise 2008/2009 hatte Warren Buffett umfassend zugekauft. Er nutzte die  Unterbewertung von vielen an sich gesunden Firmen. In der jetzigen Krise sieht er das offenbar anders. Nun, nachdem er während Dezennien recht hatte, liegt die Wahrscheinlichkeit vielleicht hoch, dass er auch diesmal recht hat.

In der Tat sind noch allerlei tiefgreifende wirtschaftliche Verwerfungen möglich – die Krise ist beileibe noch nicht ausgestanden. Eine langanhaltende Rezession oder Depression ist immer noch ein wahrscheinliches Szenario. Das sieht Buffett wohl auch so.

Fazit:

Die Coronakrise wird wohl oder übel als die grösste Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg in die Geschichte eingehen. Dabei geht es nicht eigentlich um die medizinische Bewältigung der Pandemie, sondern um die Bewältigung von deren makro- und mikroökonomischen Folgen. Die Finanzmärkte könnten nochmals richtig durchgeschüttelt werden. Wenn Warren Buffett recht hat, so haben die Börsen einige Talfahrten noch vor sich – sonst hätte er schon lange zugeschlagen. Unsere Interpretation also: Das Nichtstun des alten Starinvestors ist nicht auf sein bald biblisches Alter zurückzuführen. Sondern auf seine Vision, dass die Wirtschaftskrise noch lange nicht ausgestanden ist. Vergessen wir die V- und die U-Shapes. Es wird länger dauern. Also sollten wir vielleicht so handeln wie Warren Buffett: nämlich nichts tun?

Braucht die Schweiz einen Staatsfonds?

Oder warum unter dem Deckmantel eines Staatsfonds der Staatskapitalismus gefördert werden könnte

Immer wieder kommt die Idee eines Staatsfonds auf den Tisch: vor Jahren schon, als der Bund regelmässig Überschüsse im Staatshaushalt erzielte. Und kürzlich wieder, als man nicht wusste, wohin mit den fetten Überschüssen der Nationalbank. Und jetzt wieder, im Lichte Coronas: Der Staat könnte doch mittels eines Fonds kranke „systemrelevante“ Unternehmen übernehmen… In allen Fällen krankt es jedoch an nachhaltigem Denken: Staatsfonds lassen sich nur rechtfertigen, wenn man wirklich nicht mehr weiss wohin mit dem Geld! True Economics analysiert.

Die Idee ist verführerisch: Sollte ein Staat tatsächlich über überflüssige Einnahmen verfügen, könnte man das Geld doch in einem separaten Fonds bunkern. Für schwere Zeiten, für später, für die kommenden Generationen. Man entzieht die Mittel der – wo vorhanden – demokratischen Kontrolle und spart sie. So werden sie zumindest nicht unnütz verschwendet. Ein eleganter Gedanke an sich.

Nur: Die wenigsten Staaten kommen je in die beneidenswerte Lage, dass sie mehr einnehmen als sie ausgeben können. Trotzdem gab es ein paar Länder, die sich in den letzten Jahren in dieser Situation befanden und die Gunst der Stunde nutzten. Entweder handelte es sich um eine Situation von brillantem Staats-Management (in Singapur z.B.), oder um Glück aufgrund übermässig sprudelnder Ölquellen.

Hier ein paar Beispiele der grössten Staatsfonds der Welt:

Norwegen beschloss, einen Gutteil seiner Erdölerträge für spätere Generationen in dem weltweit grössten und billionenschweren eigenen Staatsfonds zu bunkern – eine gute Sache.

Oder Saudi Arabien, Kuwait, die Emirate, Katar: Die Golfstaaten unterhalten alle gut gefüllte Fonds-Schatullen. Allerdings müssen diese nun geplündert werden, da sich aufgrund der erodierenden Erdölpreise gigantische Defizite in den Staatshaushalten auftun.

Auch China, Singapur oder Hong Kong unterhalten gut dotierte Fonds. Am meisten Ruhm (wenn auch im negativen Sinne) brachte sein Staatsfonds allerdings Malaysia ein: Sein 1MBD Fund hatte sich als Abgrund von Korruption und Regierungsversagen erwiesen. Womit sich uns die Grenzen des Fonds-Managements offenbaren: Es braucht demokratische Kontrollen. Allerdings keine demokratische Einflussnahme im Fonds-Management, sonst wird das Vehikel zum Spielball politischer Partikular-Interessen.

Die reiche Schweiz könnte doch einen fetten Staatsfonds aufbauen

Der Ideen waren schon viele. Insbesondere während Zeiten von nachhaltigen Überschüssen im Staatshaushalt kamen immer wieder Ideen für die Gründung eines Staatsfonds auf. In solchen Fällen zumindest diskussionswürdig.

Variante 1: Der Staatsfonds mit Schuldenaufnahmen

Oft werden Ideen zum Fondsaufbau jedoch mit gefährlichen Pferdefüssen versehen: Die SP zum Beispiel lancierte jüngst die Idee, einen Staatsfonds mit grosszügiger Schuldenaufnahme zu finanzieren. Aus Sicht eines Bankers zum Beispiel (hier machte die SP betreffend Sichtweise wohl eine ideologische Ausnahme) könnte dies Sinn machen: Zu Negativzinsen extrem langfristige Milliardenschulden aufnehmen, dann klug zu investieren – in Aktien, Anleihen, Fremdwährungen, Immobilien, etc. Die Rendite müsste doch extrem positiv sein, also könnte man mit dieser soziale Ausgaben bestreiten. Nur: Der Staat sollte es sich nicht leisten, einen solchen gigantischen Hedgefonds mit der Wette auf Zeit und Erfolg zu unterhalten. Und: Wieso sollte dies der Staat besser tun als private Unternehmen?

Variante 2: Der Staatsfonds zur Stützung systemrelevanter Unternehmen

Die CVP gab sich erst kürzlich ins staatskapitalistische Abseits: Sie schlug einen Staatsfonds vor, welcher „systemrelevante“ Firmen unterstützen oder übernehmen könnte. Wir ahnen schon, wie dies dann vonstatten gehen würde: Die Systemrelevanz würde mit Sicherheit äusserst politisch ausfallen, es müsste dann basisdemokratisch ausgejasst werden, was alles als systemrelevant gelten soll. Am Schluss vielleicht alles. Tür und Tor würden geöffnet für staatliche Übernahmen und Beteiligungen. Wie in Frankreich – oder schlimmer. Ordnungspolitische Sündenfälle wären absehbar.

Variante 3: Staatsfonds aus Überschüssen

Sollten die Schulden einmal nahezu abgebaut sein, könnte ein Staatsfonds in der Tat angedacht werden. Anstatt Überschüsse unnötig zu verpulvern oder irgendwo zu parken, könnte in einem solchen Fall tatsächlich an einen professionell geführten Staatsfonds gedacht werden. Eine Ausnahmesituation, wie sie sich etwa in Norwegen ergab.

Der Weg zum Staatskapitalismus ist kurz

In allen drei Fällen droht das Übel, dass die Staatsfonds Verstaatlichungen oder zumindest ungebührliche Staatseinflüsse fördern, sofern sie deren Manager sich bei den Anlageentscheiden nicht als kluge und unabhängige Investoren betätigen, sondern als staatskapitalistische Gestalter. Das Risiko ist hoch, dass ein Staatsfonds nicht apolitisch gemanagt wird. Norwegen und Singapur sind die wohl wenigen löblichen Ausnahmen, welche die Regeln begriffen haben.

Die höchste Entwicklungsstufe eines Staatsfonds ist wohl dann erreicht, wenn der Staat gleich grosse Teile der Wirtschaft besitzt und verwaltet. Der Fonds ist der Staat – bzw. der Staat ist der Fonds. Die de facto Verschmelzung der beiden Gebilde heisst dann weder „Fonds“, noch „Staat“. Das staatliche Gebilde ist dann einfach Besitzer und Lenker eines Grossteils der Wirtschaft.

Frankreich liegt heute schon bei einer besorgniserregenden Staatsquote von 56%, Deutschland bei 45%. Die Nach-Corona-Ära wird vermutlich aufzeigen, wie stark die Quote allein im 2020 gewachsen sein wird. Die Schweiz liegt Gott sei Dank nur bei rund 35%, allerdings mit steigendem Trend. (Kiribati, die klamme Pazifikinsel, liegt übrigens bei über 150% – ein Fingerzeig, dass die Skala gegen oben durchaus offen sein kann. Im Falle dieses merkwürdigen Eiland-Staates zum Beispiel, indem man – dank ausländischer Hilfe und explodierenden Schulden – tatsächlich nur schon als Staat jährlich mehr ausgibt als das komplette BIP hergibt.)

Wir kennen das Resultat: unproduktiver Staatskapitalismus. Die Eurozone wird 2020 wohl bei 50% liegen. Das heisst, dass der Staat mit seinem eigenen Konsum die Hälfte zum BIP beiträgt. Nur logisch, dass der verstärkte Einsatz von Staatsfonds die Prozentzahl weiter gegen oben drücken würde.

Fazit:

Ein Staatsfonds für die Schweiz könnte erst dann Sinn machen, wenn die Staatsschulden auf ein unerhebliches Mass abgesunken sind, der Bund aber immer noch Überschüsse erzielt. In diesem Fall dürfte ein Fonds indessen nicht risikobehaftetes Leverage betreiben (also nicht Fremdkapital aufnehmen, um die Rendite zu verbessern). Ausserdem müsste der Fonds durch Dritte und völlig apolitisch gemanagt werden. Und da sich alle diese Einschränkungen und Konstellationen in den nächsten Jahren kaum ergeben werden, können wir das Thema Staatsfonds getrost erst einmal auf die Seite legen!

Schaden der Bundesrat und das BAG der Schweizer Wirtschaft?

Der Bundesrat und das BAG profilieren sich seit Monaten durch erratisches Handeln. Vergessen wir die frühere Maskenlüge. Heute geht es um mehr, denn Agieren und nicht langsames Reagieren in wesentlichen Wirtschaftsfragen ist angesagt. Einerseits hat der Bundesrat den Kantonen eine zum Teil willkürliche Führung der Krise ermöglicht, andererseits kokettiert er immer mehr mit strukturerhaltenden Finanzhilfen. Macht er es einfach nicht gut – oder schadet er gar? True Economics geht der Sache ungeschönt auf den Grund.

Willkürliche Schutzmassnahmen

Nur wenige Wochen ist es her, dass der Bundesrat die Bewilligung für Grossanlässe gelockert hatte, just zum Zeitpunkt, als die Corona-Fallzahlen wieder in die Höhe schnellten. Ein PR-Gau, welcher sehenden Auges eingeleitet wurde.

Inzwischen wissen wir wie sich – weltweit – Hotspots ergeben: u.a. in Clubs, bei Events, Festen, etc. Also verhängte die Züricher Regierung nun auch, im Zuge eines Schildbürgerstreiches quasi, in den menschenleeren Museen eine Maskenpflicht. Die Clubs aber sind immer noch offen, auch das frivole Leben in den Rotlichtquartieren geht mehr oder weniger weiter. Wir wissen neu auch um die rasche Verbreitung des Virus in den Schulen. Trotzdem ist eine Maskenpflicht an diesen Orten kaum angedacht.

Wir vermissen die top-down Entscheide. Wieso können die Probleme und die Verbreitungsrisiken der Pandemie und die Hotspots nicht apolitisch definiert werden, um den Rest des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu verschonen? Die Kantonsregierungen sind offenbar der politischen Willkür ausgeliefert oder – im besten Fall – einfach überfordert. Aber wenn der Bundesrat in diesen Fällen nicht eingreift, nimmt er seine Rolle nicht wahr. Er führt nicht. Und er tut dies unter dem Deckmäntelchen des unantastbaren Föderalismus. Leider ist das Corona-Virus indessen kein kantonales Virus. Alle Entscheide – und Fehlentscheide – diesbezüglich haben nationale Auswirkungen. Es fehlen klare Empfehlungen an die Kantone, und die Koordination müsste bedeutend stärker gefördert werden. Abweichler müssten ins Gebet genommen werden. Das wäre Führung. Es darf nicht sein, dass wir uns in einer Krise mit bedeutender wirtschaftlicher Auswirkung (für den Staat, für Unternehmen und Bürger) mit Achselzucken hinter föderalistischen Strukturen verstecken.

Keine Führung des BAG

Dass das Bundesamt für Gesundheit heillos überfordert ist, ist inzwischen ziemlich evident. Es gibt in Fällen von solchen Defiziten jedoch eine Lösung: Der Kopf der betreffenden Institution müsste eingreifen – also der Bundesrat. Aber er tut es nicht. Damit schadet er uns – mit  schlechtem Management in seinem Departement sowie eigener Führungsarmut.

Unsere Infektions-Fälle steigen. Unabhängig von deren medizinischer Relevanz (oder Nicht-Relevanz) hat dies bedeutende Auswirkungen: Bald dürfen Schweizer in noch mehr Staaten nicht mehr frei einreisen, und die Erholung im Tourismus ist gefährdet. Dass „andere Länder ähnliche Probleme haben“, dürfen wir nicht als Benchmark akzeptieren. Wir müssen ja nicht wie die anderen sein – wir könnten es besser machen.

Fazit: Der Bundesrat führt nicht.

BAG pflegt eine absurde Länderliste

Südafrika wird neu von der Risikoliste genommen, obwohl das Land noch ganz tief im Coronasumpf steckt. Russland befindet sich nicht auf der Liste – ein Land, das sich noch mitten in der Infektionskrise befindet. Dafür wurden Aruba, Guam oder Cooks Island, zu welchen zur Zeit kaum Verkehrsverbindungen bestehen, auf die Risikoliste gesetzt. Hier herrscht dann Quarantäne bei der Einreise. Das BAG bezieht sich immer noch auf das Verhältnis positiv Getestete vs. Population – ungeachtet des Umstandes, dass die Testintensität der massgebende Faktor für die Resultate ist. Wenn kaum getestet wird, gibt es keine Fälle – der Trump‘sche Vorschlag sei in Erinnerung gerufen.

Und wie wird mit Frankreich umgegangen, wo die Fallzahlen schon lange im roten Bereich liegen? Mit dem Land, mit dem wir einen äusserst relevanten Grenzverkehr unterhalten? Die Schweizer Aussengrenze wird einfach gegen aussen verschoben. Dafür werden aber die oben genannten Mickey Mouse-Inseln auf der Risikoliste gelassen. Bei dieser Inkonsequenz treten nicht nur Fragezeichen auf, sondern sollten alle Alarmglocken läuten.

Ist die Länderliste des BAG nur einfach amüsant?

Ist diese Risikoländerliste nur amüsant – und deren Auswirkungen gar nicht so schlimm? Nein, die Liste ist nicht nur peinlich, sondern eben falsch und in ihrer Wirkung äusserst negativ. Erstens führt derlei Missmanagement zu erodierendem Vertrauen in die Behörden, und zweitens entfällt damit jegliche Planbarkeit für Reisen. Reisen ist wichtig für die Wirtschaft, Zoom kann nun mal nicht alles ersetzen. Der freie Reiseverkehr für Geschäftsreisende und Dienstleister ist ein Multiplikator für das Wirtschaftsgeschehen. Auch medizinisch wird mit diesen falschen Restriktionen Sinnlosigkeit produziert, denn die wahren Risiken des Personenaustausches werden durch die willkürliche Länderliste nur bedingt erfasst.

Der Bundesrat gibt neuerdings zu, dass die Liste des BAG vielleicht nicht perfekt ist. Aber sie sei konstant, basiere auf den Daten, die man nun einmal habe. Lieber Bundesrat: konstant falsch, leider!

Kaum Tests

Im Vergleich zu anderen Ländern wird in der medizinisch hochentwickelten Schweiz lächerlich wenig getestet. Tests könnten andere Massnahmen ersetzen, z.B. Quarantänen. Es wird auch nirgends Fieber gemessen – obwohl dies ein Indikator für eine Infektion wäre. In vielen Ländern, insbesondere in Asien, wird konstant Fieber gemessen, um so Infektionsfälle quasi nach dem Zufallsprinzip rauszuziehen. Es funktioniert.

Auch unsere Covid-App muss heute als Flop deklariert werden. Das BAG und der Bundesrat propagieren sie kaum mehr – es ist merkwürdig still geworden um sie. Haben sie wohl Angst, sich den Themen Freiheitsberaubung und digitaler Überwachung auszusetzen? Tatsache ist, dass Infektionsfälle der App-Administration kaum gemeldet werden, die App de facto also wenig bringt. Taiwan und Südkorea hatten das besser hingekriegt. Im Frühjahr dieses Jahres schon.

Absurde Strukturerhaltung

Nun soll also auch den Reisebüros geholfen werden. Wer hat noch nicht, wer will noch mal. Auch der Eventbranche soll geholfen werden. Bei beiden Branchen pflegt der Bund nichts anderes als Strukturerhaltung. Im Falle der Reisebüros muss einfach akzeptiert werden, dass diese schon vor der Krise in einem schmerzhaften Strukturwandel standen – Corona macht deren Existenz leider auf absehbare Zeit nun definitiv ziemlich obsolet. Der Markt für Reisebüros würde noch auf Jahre hinaus so oder so in rasantem Tempo schrumpfen. Der Staat jedoch versucht diesen Prozess, welcher zu einem Gutteil nicht nur durch den implodierten Flugverkehr, sondern ganz einfach durch die fortschreitende Digitalisierung geprägt ist, krampfhaft aufzuhalten. Als Lektüre empfehlen wir dem Bund und dem Parlament Schumpeters Ansatz der „schöpferischen Zerstörung“ – vielleicht würden diese Gedanken zu gewissen Erleuchtungen führen. Im Moment meidet der Bundesrat solche Gedanken wie der Teufel das Weihwasser. Aber so kann nichts Neues entstehen.

Dass auch die Eventbranche jetzt arg gebeutelt wird, ist durchaus bedauernswert, ist der Markt doch fast auf null eingebrochen. In Unkenntnis darüber, wann dieser Markt – und in welcher Grössenordnung –je wieder existieren wird, darf der Staat indessen eine einzelne Branche nicht einfach durchfüttern. Wenn später die Veranstaltungen wieder möglich sind, werden wieder innovative und initiative Unternehmer auftauchen, welche Events organisieren werden. Es werden vielleicht nicht die gleichen Firmen sein – aber so viel Marktglaube sollte der Regierung eben zugetraut werden, dass sich neue Strukturen in einer offenen Marktwirtschaft wie der unseren sofort konstituieren werden. Inzwischen muss notgelandet werden – tragisch, aber der Situation geschuldet. Das Gleiche gilt für Gastronomen und Clubs: Schliessen sie heute, ist auch dies bedauernswert. Aber es werden wieder neue auftauchen, ohne staatstragende Lücken zu hinterlassen.

Firmenblase, Arbeitsblase

Führung würde bedeuten, dass dieses Big Picture betreffend längerfristigen Überlebenswahrscheinlichkeiten vorhanden wäre. Ist es aber nicht. Wenn also dringend notwendige Strukturanpassungen verhindert und zu viel Geld für Strukturerhaltung ausgegeben werden, dann schadet der BR der Volkswirtschaft – in systemischer und in monetärer Hinsicht.

Im Moment werden Zombie-Firmen am Leben erhalten, die teilweise auch ohne Coronakrise nicht überlebt hätten. Dennoch werden sie durchgefüttert.

Das Gleiche gilt für die Arbeitslosigkeit: Bis Ende 2021 möchte die Regierung nun die Kurzarbeit verlängern. Kein Wunder, lag True Economics mit ihrer Schätzung der Arbeitslosigkeit (zu Beginn der Krise) falsch: Beim besten Willen konnte man nicht erahnen, dass der Bundesrat die Kurzarbeit auf bis fast zwei Jahre verlängern würde. Der Effekt ist vordergründig nur ein soziales Pflaster, hintergründig jedoch nichts anderes als ein hinausgeschobener Wandel. Arbeitsplätze, die auch in Monaten nicht mehr erhalten werden können, werden mittels Kurzarbeit geschützt. Entlassene Arbeitsnehmer könnten sich heute jedoch schon – mit Hilfe von Arbeitslosenunterstützung, klar – am Markt neu orientieren, wenn sie eben jetzt schon freigestellt würden. Jeder Einzelfall einer Entlassung mag einem leid tun. Aber wenn die Arbeit mittelfristig einfach nicht mehr da ist, ist es für alle Beteiligten besser, den so oder so notwendigen Schnitt frühzeitig zu vollziehen. 

Dauerhilfen werden zu Immerhilfen

Es scheint eben, dass da und dort der ordnungspolitische Kompass verloren ging. Krisen lassen sich nicht mit Geld eliminieren – vorübergehende Hilfen ausgenommen. Alles Weitere führt indessen zu planwirtschaftlichen Auswüchsen, denn es wird ungefragt ins Marktgeschehen eingegriffen. Dauerhilfen drohen zu Immerhilfen zu mutieren. Beispiel Swiss: deren Überleben am Markt in der derzeitigen Form ist unmöglich, aber dennoch wird aus vorgeschobenen Gründen der „Systemrelevanz“ erst mal durchfinanziert. Wetten, dass uns das Thema Swiss noch länger beschäftigen wird? Und noch teurer wird.

Weite Teile der Wirtschaft stehen unter Schutz

Der Ruf nach noch mehr Staat wird deutlich, nachdem gewisse Politiker jüngst einen Staatsfonds vorschlugen, welcher sich an systemrelevanten und serbelnden Unternehmen beteiligen sollte. Also nochmals ein Schritt in Richtung mehr Staatswirtschaft. Unsere Meinung hier ist klar: Staaten und deren Protagonisten sind schlechtere Manager als Unternehmen und deren Lenker – also soll der Staat die Finger davon lassen und seine Staatsquote möglichst tief halten!

Wir kennen das Resultat: unproduktiver Staatskapitalismus, nicht funktionierende planwirtschaftliche Auswüchse usw. Länder mit hohen Staatsquoten zeigen uns, wohin es nicht gehen sollte: Frankreich z.B., mit einer Staatsquote von stolzen 56%. La Grande Nation unterhält nicht nur Infrastrukturunternehmen wie die marode Air France oder die Electricité de France, sondern auch Rüstungs- und Kommunikationsunternehmen sowie zahlreiche Beteiligungen an Industrieunternehmen. So beispielsweise an Renault, in einem wohl wenig staatsverwandten Feld. Für die Staatsquote besonders schwer ins Gewicht fallen allerdings nicht nur die staatlichen Beteiligungen, sondern der staatliche Konsum, welcher sich nur mit jährlich höheren Schulden (und damit noch höheren Defiziten) finanzieren lässt. Frankreich bietet uns einen Ausblick, wohin die Reise eben nicht hingehen darf.

Corona als Brandbeschleuniger zur Erhöhung der Staatsquote

Die Coronakrise wird nun leider als Brandbeschleuniger für die Erhöhung der Staatsquoten wirken, denn die staatlichen Rettungs- und Unterstützungsmassnahmen werden in vielen Ländern den Staatsanteil am BIP in die Höhe treiben. Die Schweiz bleibt nicht verschont. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat künftig mehr Augenmass bei den Hilfeleistungen behält und auch das Parlament aufhört, das Füllhorn über nicht erhaltenswerten Branchen auszuschütten.

Fazit:

Die eingangs gestellte Frage muss leider mit JA beantwortet werden: Durch Missmanagement und Führungsschwäche schaden unsere Bundesregierung und insbesondere das BAG unserer Wirtschaft. Und durch Strukturerhaltung und massiven Schuldenaufbau schaden sie ein zweites Mal. Durch eine immer mehr dirigistische und planwirtschaftliche Wirtschaftspolitik – welche realistischerweise weiter abzusehen ist –  erleidet unsere soziale Marktwirtschaft nachhaltigen Schaden.

Das Parlament und der Bundesrat täten gut daran, sich nicht mit marktverzerrenden Geschenken zu überbieten, sondern flexiblere ordnungspolitische Leitplanken zu definieren – diese kurbeln die Wirtschaft nämlich erwiesenermassen nachhaltiger an. Und sie kosten erst noch nichts.

Neue Steuern braucht das Land

Oder eben nicht… ?

Die Pandemiekrise hat nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Staat Milliarden gekostet. In den Staatskassen rund um den Globus tun sich riesige Löcher auf; die Verschuldungen steigen überall stark an. Einsparungen allein werden hier nicht viel bringen – also wird über neue Steuern nachgedacht. Auch in der Schweiz. Doch: Ist das wirklich nötig? True Economics meint: Nein, es wäre gerade falsch. Mit ein paar wenigen Ausnahmen vielleicht…

Teure Krise

Das Pandemiejahr 2020 wird ein grosses Loch in die Bundeskasse reissen. Die Hochrechnungen sind noch vage, jedoch werden es am Ende des Jahres wohl gut 20 Milliarden sein, die fehlen. Die Schweizer Staatsverschuldung wird damit von bescheidenen 40% (je nach Rechnungsweise) des BIP auf schätzungsweise gegen 50% steigen. Dazu müssen die Defizite der Kantone und Gemeinden dazugerechnet werden – deren Kassenwarte stochern noch im Nebel.

Der konsolidierte Rechnungsabschluss des Unternehmens Schweiz wird erst im Laufe des ersten Semesters nächsten Jahres vorliegen. Insbesondere die verringerten Steuereinnahmen werden vielleicht noch ein paar negative Überraschungen bringen.

2021 wird nicht besser

Massive Unterstützungsmassnahmen des Staates werden auch im nächsten Jahr fortgeführt, und die verringerten Steuereinnahmen werden sich auch im 2021 fortpflanzen. Das Staatsdefizit wird also nochmals steigen, denn ein ausgeglichenes Ergebnis ist wohl frühestens im Jahre 2022 zu erwarten.

Andere Staaten sind Konkurs…

Verglichen mit anderen Staaten steht die Schweiz hervorragend da. Italien wird seine Staatsverschuldung auf gegen 160% hieven, Griechenland wird es vielleicht sogar schaffen, die 200er-Marke zu knacken. Spanien ist noch am Rechnen, da sieht es nach dem missglückten Lockdown in militanter Franco-Manier besonders düster aus. Frankreich und die USA lassen ihre aufgestauten Defizite auf deutlich über 100% hochschnellen, Deutschland von mustergültigen 60% wohl auf gegen 75%.

Einzelne EU-Staaten (wie Italien, Spanien und Griechenland) sind de facto bankrott – sie können sich nur noch mit EU-Hilfe refinanzieren. Doch Staatsbankrotte werden uns nächstens so oder so noch begleiten: Argentinien, Libanon, Ecuador, usw sind vermutlich nur die Vorboten… Länder wie Indien, Südafrika oder die Türkei sind auch auf dem Radar, sie werden sich wohl demnächst in die Arme des IMF schmeissen müssen.

Da erscheint unser Loch in der Bundeskasse geradezu als Gentleman-Delikt.

Wie saniert man einen Staat?

Die Frage ist natürlich eine rhetorische: Man saniert entweder mittels Einsparungen und/oder mittels mehr Steuereinnahmen. Kurzfristig wählen die meisten Staaten allerdings eher einen einfacheren, einen dritten Weg nämlich: Man saniert mit Vorliebe mittels erhöhter Schuldenaufnahme. Geld kostet ja nichts, und Schulden müssen vielleicht nie zurückbezahlt werden – so die Denke vieler Politiker und Regierungen heute.

Ein Staat sollte zur Sanierung natürlich auch die Wirtschaft ankurbeln. Das wäre längerfristig die eleganteste und intelligenteste Sanierungsmethode. Nur wird der Vorgang leider oft falsch verstanden. Anstatt sich von vielen administrativen und anderen Fesseln zu entledigen, die vor allem die Unternehmen beuteln, lanciert man z.B. in Deutschland in alter Keynesianischer Manier teure Konjunkturprogramme. Oder man versucht mit ebenso falsch verstandenen konjunkturpolitischen Methoden den Konsum anzukurbeln, indem beispielsweise die deutsche MwSt. während 6 Monaten um 2 bzw. 3% gesenkt wird. Natürlich hoffnungslos. True Economics hatte schon früher vorgerechnet: Der Becher Joghurt vergünstigt sich so (sofern die Steuer-Reduktion auch an die Konsumenten weitergegeben wird) um genau einen Cent. Natürlich ist dadurch zu befürchten, dass gleich alles leerverkauft wird…

Mittelfristig steigt der Steuerdruck

Mittelfristig wird der Steuerdruck mit Sicherheit wieder steigen. Die heutigen Hochrechnungen der Staaten schliessen nämlich den Umstand oft aus, dass das Steuersubstrat in den nächsten Jahren weiter schmelzen wird.

Wie in vielen anderen Ländern auch, können die Verlustvorträge der Firmen – in der Schweiz während den kommenden sieben Jahren – mit Gewinnen kompensiert werden. Ergo ist damit zu rechnen, dass auch in kommenden Jahren das Steuersubstrat reduziert wird. Denn die Höhe der Unternehmensverluste im 2020 und vermutlich auch 2021 sind noch nicht abzuschätzen, werden jedoch erheblich sein und noch während Jahren fiskalisch nachwirken.

Da der Staat es also nicht schafft zu sparen oder die Wirtschaft gescheit anzukurbeln, werden kurzfristig weiter Schulden aufgenommen. Geld wird vermutlich sogar verstärkt von den Zentralbanken mehr oder weniger direkt in den Staatshaushalt umgeleitet werden – ein gefährlicher Frevel. Das Fed und die EU machen es vor. Doch irgendwann wird Schluss sein mit lustig, hohe Inflationsraten könnten drohen.

Die MMT (Modern Monetary Theory) meint zwar, dass ein Staat gar nie richtig Konkurs gehen kann und dieser fast unbeschränkt Schulden aufnehmen und/oder Geld drucken kann. Diese Theorie ist Gift. Die Geschichte zeigt uns, wohin das führen kann. Und es gibt keinen Grund, dass die Geschichte jetzt plötzlich ausgehebelt wird und rund um den Globus 195 monetäre staatliche Perpetuum mobile entstehen könnten.

Steuern in der Krise zu erhöhen, ist kontraproduktiv. Dass der Staat neue Einkommen braucht, ist andererseits keine neue Erkenntnis, der Forderungen dafür gibt es deshalb viele. Somit ist es klar: Irgendwann brechen die Regierungen jeweils ein und die Steuern werden erhöht – auch im dümmsten Moment. Doch ist das die Lösung?

Die intelligente Sanierung scheitert – also doch Steuern?

Wir sind uns also einig: Die Staaten werden es kaum schaffen, ihre Einnahmen effizienter einzusetzen, Schulden können nicht ewig aufgenommen werden, und Einsparungen kriegen sie auch nicht richtig hin. Insbesondere in südlichen Ländern können die Steuern gar nicht umfassend eingetrieben werden, es blüht zudem die Schattenwirtschaft. Wo soll also angesetzt werden, um notfalls trotzdem neue Steuern einzutreiben zu können?

Wir werden darauf verzichten, nun die zum Teil haarsträubenden Steuerprobleme aller Staaten zu beleuchten. Konzentrieren wir uns im Folgenden auf die Schweiz.

  1. Einkommensteuern erhöhen?

Die effektive Steuerlast in der Schweiz ist im Vergleich zu vielen andern Staaten einigermassen moderat. Aber die Spitzensteuersätze in einzelnen Kantonen haben bereits Höhen erreicht, welche sich kontraproduktiv auswirken: Sie führen zu Abwanderungen. Und zwar nicht einfach in günstigere Kantone, sondern auch ins Ausland. An der Steuerschraube zu drehen, ist also gefährlich. Wenn aufgrund höherer Steuerlast keine direkte Abwanderung der Steuerzahler erfolgt, so wird zumindest die Einkommens-Abwanderung vermehrt mittels raffinierter Steuerkonstrukte erfolgen. Money talks, money walks.

Ein schönes Vorbild dafür ist Deutschland, die maximale Progression greift bereits ab 56‘000 Euro Jahreseinkommen. Kein Wunder, überlegen sich viele, gar nicht mehr zu verdienen und ziehen es vor, in der sozialen Hängematte zu liegen. Oder sie kommen ganz gerne zu uns in die Schweiz. Da lohnt sich das Geldverdienen noch einigermassen.

Unsere SP spielt mit dem Feuer, wenn sie mit der Idee kokettiert, eine „Reichensteuer“ für Einkommen ab CHF 300‘000 pro Jahr einzuführen. Leute mit solchen hohen Einkommen sind in der Regel in der Lage auszuweichen. François Hollande wollte 2013 eine Reichensteuer von 75% auf Einkommen von über einer Million Euro durchboxen. Die Steuer wurde nie eingeführt, vorsorglich hatten sich aber bereits hunderte von Topverdienern ins Ausland abgesetzt.

Also Hände weg vom Drehen an der Steuerschraube. Umverteilung im grossen Stil funktioniert nicht. Sie treibt Gutverdiener in die Flucht und fördert nur die Demotivation, mehr zu arbeiten, mehr Risiken einzugehen – und damit mehr zu verdienen.

2. Vermögenssteuer erhöhen?

Die SP möchte auch eine Vermögensabgabe auf ganz hohen Vermögen einführen. Die serbelnde Partei mit den altsozialistisch verbrämten Umverteilungsideen vergisst jedoch, dass es in ganz Europa – ja weltweit – kaum Vermögensteuern gibt. In Europa werden nur noch in Norwegen Vermögenssteuern erhoben, in Frankreich und Spanien gibt es Vermögenssteuern auf Immobilien. Sonst sind Vermögensteuern weltweit fast  tabu, auch in den USA gibt es keine. Nicht einmal in Deutschland!

Vermögenssteuern verhindern die Ansiedelung von Gutbetuchten und vertreiben reiche Schweizer – z.B. Besitzer von grossen Unternehmensteilen, für deren Werte, je nach Kanton, Vermögenssteuern erhoben werden, welche bisweilen sogar zu Zwangsverkäufen von solchen Unternehmensteilen führen können.

Vermögensteuern wirken oft kontraproduktiv. Eine Erhöhung würde das Gesamt-Steuersubstrat letztlich reduzieren. Eine paar teure Kantone bekommen dies schon seit Jahren zu spüren.

3. Einmalige Vermögensabgabe?

In der Folge der Finanzkrise hatte Christine Lagarde als IMF-Chefin die impertinente Idee lanciert, eine einmalige Vermögensabgabe von 10% auf allen Individualvermögen zugunsten der Staatshaushalte einzufordern. Wetten, dass die Juristin (sie ist keine Ökonomin) als heutige EZB-Chefin dieses Thema demnächst nochmals aufgreifen wird?

Thomas Piketty (nochmals ein etatistischer Franzose) wird als Starökonom zurzeit etwas gar gefeiert. Er mag in einigen Dingen recht haben: Es ist in der Tat stossend, dass die 1% Reichsten der Bevölkerung rund 50% besitzen. Die Schere ging in den letzten Jahren insbesondere in den USA weiter auseinander. Piketty fordert jedoch einen unrealistischen und radikalen Ausgleich von Vermögenswerten.

In der Schweiz hat sich die Vermögens-Schere nicht weiter aufgetan. Hoffen wir, dass dieser Kelch einer Vermögensabgabe an uns vorübergehen wird. Zumal die wahren Probleme der Staaten mit einer solchen Umverteilung gar nicht zu lösen wären – die propagierte „Wiedergutmachung zwecks Chancengleichheit“ bleibt ein abenteuerlicher Traum.

4. Kapitalertragssteuern erhöhen?

Kapitalerträge werden in der Schweiz bereits sehr hoch besteuert, sie unterliegen der normalen Steuerprogression – welche je nach Kanton bis zu 40% gehen kann. Selbst in Deutschland werden Kapitalerträge (etwa Dividenden) pauschal nur mit 25% besteuert.

Keine gute Idee also, hier anzusetzen.

5. Kapitalgewinnsteuern einführen?

Die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer wird von linker Seite immer wieder gefordert. Die meisten europäischen Staaten kennen sie. Dabei bleiben oft gleich zwei Punkte vergessen: Erstens ist die Erhebung und Administrierung einer solchen Steuer sehr aufwendig, zweitens haben wir in der Schweiz die Kapitalgewinnsteuer quasi mit unserer Vermögenssteuer substituiert. Zweimal auf Kapitalien abliefern geht nicht.

Also auch keine realistische Idee.

6. „Reichensteuer“ einführen?

Das Thema haben wir bereits unter Punkt 1 abgehandelt. „Reichensteuern“, „Reichtumssteuern“, „Milliardärssteuern“ – der Wunschbegriffe gibt es viele. Hoffentlich bleiben es Wünsche, denn deren Auswirkungen sind nur kontraproduktiv.

7. Erbschaftssteuern einführen und/oder erhöhen?

Die SP – schon wieder – forderte im Zuge der Pandemie-Finanzierung eine Steuer auf hohen Erbschaften. Vor Jahren hatte das Stimmvolk ein solches Begehren bereits abgelehnt. Schon damals jedoch wirkte nur schon die Abstimmungsinitiative als Brandbeschleuniger: Zahlreiche Vermögensteile wurden noch vor der Abstimmung verschoben.

Die Erbschaftssteuern sind kantonal sehr unterschiedlich und bewirken sogar Wohnortwechsel. Selbstredend auch global, nicht nur von einem Kanton in den andern.

Zu hohe Erbschaftssteuern führen nicht nur zur Abwanderung oder verhindern Zuzüge, sie fördern auch die Errichtung von Umgehungskonstrukten. (Kein Wunder, steckt ein Grossteil der Vermögen von britischen Bürgern in Trusts auf illustren Inseln, denn die Erbschaftssteuer von 40% für direkte Nachkommen ist in der Tat absurd.)

Auch Deutschland hat ein Problem mit seinen 19% Erbschaftssteuern für Ehepartner oder direkte Nachkommen. Auch wenn unter gewissen Auflagen Steuerreduktionen gewährt werden, können KMUs zum Teil nicht überleben, weil bei deren Übergabe die Nachkommen die hohen Steuern schlicht nicht aufbringen können.

In der Schweiz weist das Erbschaftsrecht ebenso Defizite auf und müsste dringend modernisiert werden: Zum Teil absurd hohe Steuern bis zu 50% für nicht-verwandte Begünstigte (z.B. auch für Lebenspartner) oder unnötig hohe Pflichtteile entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist.

Andererseits wäre es verträglich, eine minimale Erbschaftssteuer im einstelligen Bereich auch für direkte Nachkommen zu erheben. Eine solche Steuer würde den Staaten-Wettbewerb kaum verzerren und auch nicht zu Abwanderung führen. In den nächsten Jahren werden enorm hohe Milliardenbeträge der Babyboomer-Generation weitergegeben. Eine moderate Abgabe auf Bundesebene für direkte Nachkommen wäre in der Tat verträglich. True Economics – ansonsten eher der Steuerphobie verschrieben – könnte hier sogar einwilligen!

8. Sozialabgaben erhöhen?

Sozialversicherungen wie die Arbeitslosenkasse oder die AHV sind klamm. Die erste ist pandemiebedingt bald illiquid, die zweite aus demografischen und systemischen Gründen langfristig nicht mehr zahlungsfähig. Also bräuchte es mehr Abgaben oder Steuern? Eine Erhöhung der Sozialabgaben verringert allerdings die Wettbewerbsfähigkeit und schmerzt Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sehr direkt. Deshalb ist es zu bevorzugen, einerseits Systemanpassungen vorzunehmen, andererseits die Alimentierung dieser Sozialkassen eher aus dem Bundeshaushalt sicherzustellen. Die entsprechenden Steuereinnahmen dazu könnten – so diese tatsächlich zusätzlich notwendig werden, weil die Systemanpassung aus politischen Gründen nur mühsam greift – ziemlich elegant mittels Mehrwertsteuer finanziert werden (siehe Punkt 17, Mehrwertsteuer).

9. Immobiliensteuern erhöhen und/oder einführen?

Die SP denkt auch immer wieder darüber nach, neue Steuern auf Immobilien einzuführen – so z.B. für kommerzielle Immobilienanbieter. Ein solches Begehren gilt es klar abzuwenden, es führt auch hier zur Wettbewerbsbehinderungen und zu Kapitalverlagerungen. Es reicht schon, dass wir in der Schweiz unter dieser unsäglichen Eigenmietwertbesteuerung leiden – eine helvetische Sondersteuer notabene, die es fast nirgends gibt, nicht einmal in der germanischen Steuerhölle.

10. Firmensteuern erhöhen?

Der internationale Druck steigt, damit gewisse Mindeststeuern für Firmen eingeführt werden. Wir haben es in der Schweiz geschafft, diesem Druck etwas nachzugeben, indem wir dank klugen Reformen trotzdem ein attraktiver Steuerort geblieben sind. Kantone, die heute zu hohe Firmensteuersätze kennen, werden mittelfristig leider an Steuersubstrat verlieren. Sie werden es bereuen.

Die SP – schon  wieder – hat bereits laut über einen Pandemie-Zuschlag von 5% auf den Unternehmenssteuern nachgedacht. Ein sehr kurzsichtiger Plan natürlich. Die Firmensteuern dürfen wir auf keinen Fall erhöhen. Firmen haben kein soziales Umfeld, sie wandern deshalb noch schneller ab als Individuen.

11. „Pandemiesteuer“ einführen?

Eine besonders verquere Idee kam kürzlich auf: Die „Gewinner der Pandemie“ sollten  besteuert werden. Also Online-Anbieter und andere „digitale Profiteure“, auch Pharmafirmen, etc. – Firmen also, welche in der Krise Ausserordentliches geleistet haben.

Einsatz, Risikobereitschaft (und generell: unternehmerisches Denken) müssen auch in Zukunft weiterhin belohnt werden.

Abstruse Ideen wie „Pandemiesteuern“ müssen blitzartig beerdigt werden.

12. Energiesteuern erhöhen?

„Energiesteuern“ kennen wir schon heute. Sie sind zum Teil auch sinnvoll, sofern sie den Energieverbrauch tatsächlich nachhaltig reduzieren – und nicht nur staatliche Abschöpfung darstellen. Wichtig ist, dass solche Abgaben einfach und transparent erhoben werden, sodass damit auch edukative Effekte erzielt werden. „Energiezertifikate“ zum Beispiel begreift niemand, eine CO2-Abgabe schon eher. Die Abgabe auf einem Liter Heizöl oder Benzin oder auf einer Kilowattstunde Strom lässt sich erklären. Solche Steuern müssen jedoch international wettbewerbsfähig bleiben, Alleingänge können Schäden anrichten.

Tatsächlich könnte zum Beispiel überlegt werden, ob bei stark sinkenden Erdölpreisen nicht eine Teil-Abschöpfung durch den Staat erfolgen könnte. Es müsste dafür jedoch ein intelligentes Modell entwickelt werden, welches sich einfach umsetzen lässt und nicht sofort zu individuellen Ausweichmanövern führt.

13. Finanztransaktionssteuer einführen?

Eine solche Steuer hat sich als kaum umsetzbar erwiesen, auch nicht die Variante mit der „Mikrosteuer“: Die Administrierung solcher Abgaben ist zu aufwendig. Ausserdem können diese nur international erhoben werden, andernfalls sind sofortige Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen.

Hier lässt sich also nichts holen.

14. Online-Steuern einführen?

Online-Steuern sind schwierig zu erheben, die meisten Anbieter verfolgen heute den Ansatz der Omni-Channels – also den Verkauf sowohl online als auch über stationäre Kanäle, wobei der Warenbezug zum Teil in gemischter Form erfolgen kann. Den Online-Umsatz spezifisch besteuern zu können, ist damit eine Illusion.

Tatsache ist indessen, dass internationale Online-Anbieter kaum Steuern bezahlen – ein durchaus stossender Umstand. Mit zunehmendem Online-Anteil wird sich das Problem noch verschärfen, damit allerdings auch der internationale Wille, hier anzusetzen.

National lässt sich eine Online-Steuer nicht einführen. Frankreich kämpft gerade mit US-Retorsionsmassnahmen, weil La Grande Nation sich diesbezüglich in ein Minenfeld begeben hat.

Aus diesen Online-Töpfen wird man sich demnächst also nicht bedienen können.

15. Stempelabgaben und ähnliche Steuern erhöhen?

Solche Steuern sind nur im Rahmen eines Schutzes der guten internationalen Wettbewerbsfähigkeit sinnvoll. Also bräuchten wir in der Schweiz eher einen Abbau solcher Abgaben.

16. Negativverzinsung erhöhen?

Die Negativverzinsung ist eigentlich eine Art Steuer, und zwar eine ziemlich gemeine: Sie führt zu einer schleichenden Erosion des individuellen Vermögens, während der Staat – bzw. die Nationalbank – kassiert. In ihrer Wirkung also tatsächlich eine Fiskalabgabe. Allerdings keine sehr gute, sie führt zu Abwanderung von Vermögen, zu Immobilien- und anderen Spekulationsblasen und aufgrund der zinsbedingt erodierenden Renditen zu ungesicherten Renten. Junge Leute können mittels Sparen zudem kaum mehr Kapital anhäufen. Negativzinsen sind in ihrer Wirkung sehr unsozial, denn nur die grossen Kapitalbesitzer können mit klugen Investitionen ausweichen.

Wenn die eingesackten Negativzinsen der Nationalbank dann in den Staatshaushalt gekippt werden, ist der Fiskalvorgang abgeschlossen. Keine schöne Sache generell – und keine gute Idee, auf diesem Weg noch mehr einnehmen zu wollen.

17. Mehrwertsteuer erhöhen?

Die Mehrwertsteuer hat den Vorteil, dass sie ziemlich flächendeckend erhoben werden kann. Klamme Länder erhöhen diese Steuer in der Regel als erstes.

Aber Vorsicht: Steigt die MWST z.B. über 12%, wirkt sie plötzlich als Katalysator für die Schattenwirtschaft. Nicht umsonst ist diese sogar in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in der Schweiz  (schliesslich ist die MWST dort auch doppelt so hoch). Länder wie  Spanien (21%), Italien (22%) oder Griechenland (24%) haben diese Steuer bereits mehr als ausgereizt. Kein Wunder, grassiert hier die Schattenwirtschaft besonders stark. Bevor Griechenland dem Binnenmarkt beitrat, betrug die Steuer sogar 36% – wenig erstaunlich, dass sie selten abgeliefert wurde.

Insbesondere südliche Länder werden des öfteren von MWST-Betrügereien gebeutelt. Je höher die Steuer, desto höher liegt die Versuchung, doch lieber ein schnelles Bargeschäft ohne Rechnung und Quittung zu tätigen. Deshalb ist die aktuelle Idee von einigen verträumten spanischen Politikern, die MWST auf 30% zu erhöhen, wohl nicht sehr zielführend. Saudi Arabien verdreifachte jüngst die MWST über Nacht auf 15% – zu viel auf einmal natürlich, denn jetzt wird auf Teufel komm raus betrogen.

In der Tat könnte die Schweizer MWST durchaus erhöht werden. Gewisse Kreise betrachten dies allerdings als einen sehr unsozialen Plan. Rund 50% der Schweizer Steuerzahler liefern keine Bundessteuer ab, weil ihre Einkommen zu tief sind. Also sollte man diese Gruppe wohl auch weiter schonen – so die generelle Denke der Gegner von Mehrwertsteuern und deren Erhöhungen. An sich ein hehrer Gedanke. Nur: Eine moderate Erhöhung der MWST wäre kaum spürbar.

Der starke Franken und die einhergehende Deflation aufgrund günstigerer Importe führen mittelfristig wohl zu weiter sinkenden Preisen. Umso mehr wäre eine Erhöhung der MWST verträglich. Viele Produkte sind in der Schweiz massiv teurer als im Ausland. Beispiel Nivea, Pampers oder Waschmittel: Oft bezahlen wir das Doppelte oder Dreifache für gewisse Artikel. Die Abschöpfung findet dabei bereits beim Produzenten im Ausland statt. Eine MWST-Erhöhung würde also zum Teil wohl gar nicht weiterverrechnet, sie käme beim Konsumenten gar nicht an. Die Produzenten würden vermutlich auf einen kleinen Teil ihrer eh zu üppigen Margen verzichten.

Eine MWST-Erhöhung wäre nicht wettbewerbsverzerrend, mit dem rekordtiefen Schweizer Satz von heute 7.7% hätten wir noch viel Ausbaupotential. Wettbewerbsverzerrend sind eher die generell hohen Schweizer Preise. Wenn schon, müsste hier angesetzt werden!

In der Tat: Falls überhaupt Steuererhöhung, so könnte eine solche ziemlich schmerzfrei via Erhöhung des MWST-Satzes stattfinden. Könnte.

Steuererhöhungen? Wenig Ausbeute, aber ein bisschen schon.

Gouverner, c’est prévoir. Die wahren Staatsaufgaben sollten darin bestehen, den Staatsapparat effizient zu führen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Wirtschaftsaktivitäten zu fördern. (Abgesehen von den vielen andern Aufgaben aus den Bereichen Sicherheit oder Wohlfahrt zum Beispiel.)

Tatsächlich verbleiben nur wenige intelligente Steuerlösungen, so denn die Steuern doch erhöht werden müssten: Bei der MWST könnte man sich alimentieren, bei den Energiesteuern, allenfalls bei den Erbschaftssteuern.

Fazit:

Die Steuern müssen gar nicht erhöht werden. Und wenn, dann – notfalls! – höchstens in Teilbereichen wie bei der MWST, allenfalls bei Energie- oder den Erbschaftsteuern.

Die pandemiebedingten Budgetdefizite dürfen wir in der Schweiz vorerst getrost in der Bilanz stehen lassen, die Refinanzierung bleibt wohl auch längerfristig zinslos.

Ersparnisse im öffentlichen Haushalt sollten mittels mehr Effizienz beim staatlichen Konsum erreicht werden, nicht jedoch bei den staatlichen Investitionen (in die Infrastruktur z.B.). Steuererhöhungen jedoch – insbesondere in einer Wirtschaftskrise – sind alles andere als zielführend. 

Die Schweizer Landwirtschaft abschaffen…?

Oder: Warum uns der helvetische Agrarluxus pro Jahr 21 Milliarden kosten soll

Wenn man das teure Prinzip der helvetischen Landwirtschaft in Frage stellt, begibt man sich automatisch in ein besonders tückisches Minenfeld. Nun, tun wir‘s trotzdem! Unser Vorschlag also: Die derzeitige Landwirtschaft gehört abgeschafft. Sie kostet unsere Volkswirtschaft jährlich Milliarden und ist ineffizient. Mit dem Einsatz von fünf Franken erzielen wir einen Output von einem einzigen Franken. Hallelujah. Ein Anachronismus, der dringend durch ein zielorientierteres System ersetzt werden muss.

21 Milliarden für die Landwirtschaft

Soviel kostet uns laut Avenir Suisse die Schweizer Landwirtschaft: CHF Mia 20.7 pro Jahr. Ein wahrlich teurer Luxus. Zölle, nicht-tarifäre Importrestriktionen, Subventionen, Direktzahlungen, andere Beiträge, Vergünstigungen, eine aufgeblähte Verwaltung, Planwirtschaft, viele Folgekosten: So kommen in der Tat fast 21 Milliarden Schweizerfranken an direkten und indirekten Kosten zusammen.

Heute arbeiten nur noch 150‘000 Beschäftigte im Agrarsektor – auf Vollzeit umgerechnet sind es bescheidene 2.5% von 5.1 Mio Beschäftigten im Land. Es läppern sich schwindelerregende CHF 200‘000 pro Beschäftigten zusammen, sofern wir die Gesamtkosten tatsächlich auf die Belegschaft umrechnen.

Absurde Geldvernichtung

Noch absurder wird der Vergleich, wenn wir den BIP-Beitrag der Landwirtschaft (nämlich nur 0.6%) ins Verhältnis zu den 21 Milliarden Kosten setzen: Wir setzen also tatsächlich 21 Milliarden ein, um einen landwirtschaftlichen Output von rund 4 Milliarden zu erzielen!

Diesen Vergleich scheint bis heute noch niemand gewagt zu haben, True Economics tut es. Offenbar scheinen diese Zahlen einfach nicht sozialverträglich zu sein?

Tatsache ist, dass das staatliche Manna, das über der Landwirtschaft ausgeschüttet wird, sowohl unsere Staats-, also auch unsere Lebenshaltungskosten deutlich verteuert. Leider wird deshalb auch unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.

Warum unterstützen wir die Landwirtschaft mit diesen Unsummen?

Zusammenfassend sind – jetzt einmal ganz unwissenschaftlich, unpolitisch und nur gefühlt – insgesamt fünf Ziele für dieses groteske Tun auszumachen:

  1. Autonomie betreffend Nahrungsversorgung
  2. Die „Qualität“ der Lebensmittel muss gewährleistet werden
  3. Der Wunsch nach „Landschaftsgärtnern“
  4. Die Landwirtschaft muss als touristisches Juwel gepflegt werden
  5. Und überhaupt

Etliche Sünden in der Landwirtschaftspolitik

An irrwitzigen Beispielen mangelt es kaum. Beispiel Nummer 1: Der Tabakanbau im Tessin wird subventioniert und die Tabakimporteure dazu verdonnert, den mehr als mittelmässigen Schweizer Blend den in der Schweiz verkauften Tabakwaren zwangs-beizumischen. Gleichzeitig wird viel Geld für Anti-Raucherkampagnen eingesetzt, und die AHV darf von den Tabaksteuern profitieren.

Beispiel Nummer 2: Fast amüsant erscheinen die Beträge des Bundes für besonders intelligente Werbekampagnen zur Konsumsteigerung von Schweizer Fleisch (Betrag 2018: fünf Millionen CHF). Gleichzeitig investieren gewisse Bundesämter Geld für Aufklärungsarbeiten zur Reduktion des Fleischkonsums.

Beispiel Nummer 3:  Der Bund fördert den biologischen Anbau und die ökologisch saubere Tieraufzucht mit massiven Summen. Gleichzeitig reduziert er für die Bauern die Mehrwertsteuer auf (schädlichen) Pflanzenschutzmitteln.

Beispiel Nummer 4: Der Anbau von Zuckerrüben wird durch den Staat grosszügig gefördert – gleichzeitig laufen teure Kampagnen zur Reduktion des Zuckerkonsums.

Beispiel Nummer 5: Der Weinanbau wird ebenso kräftig gefördert, als ob beispielsweise die Fendant-Produktion im Wallis systemrelevant wäre (wobei anzumerken wäre, dass die Walliser den regelmässigen Konsum ihres mittelmässigen Weissweins tatsächlich als schützenswertes Kulturgut betrachten.) Wie dem auch sei, nebst der Produktionsförderung von Alkohol versucht der Staat gleichzeitig dessen Genuss einzudämmen – mit erheblichen Ausgaben.

Beispiel Nummer 6: Mit zum Teil absurd hohen Zöllen wird der Import von ausländischen Nahrungsmitteln zum Teil regelrecht abgewürgt. An Zöllen bringt dies verhältnismässig wenig ein, denn wenn Importe massiv unterbunden werden, fallen die Zölle gar nicht an. Der Trick mit den Zöllen erinnert uns an den unseligen deutschen Finanzminister Steinbrück, als er das Gleichnis der Kavallerie benutzte, die gar nicht erst ausreiten muss.

An allen Fronten sind also sowohl teure Förderungen, als auch teure Eindämmungen auszumachen. Die Logik würde es gebieten, auf beiden Seiten einfach massiv den Rotstift anzusetzen. 

Doch zurück zu den eingangs aufgeführten fünf landwirtschaftlichen Zielen:

Zu Argument 1: Autonomie

Während der Pandemiekrise wurden verschiedene Stimmen laut, welche mehr „Autonomie“ für unsere Nahrungsmittelbeschaffung forderten. Eigentlich forderten sie nur mehr Landwirtschaft. Ob sie wohl an eine Anbauschlacht wie im 2. Weltkrieg dachten? Vielleicht sollten also mehr grosse Anbauflächen bereitgestellt werden, um die Autonomie zu gewährleisten? Aber wo…? Es bräuchte nämlich eine ziemlich grosse Zahl von km2 für Getreide, Gemüse und Obst. Eine solche Autonomie wäre – theoretisch – nur realisierbar, wenn wir auf die flächenintensive Fleischproduktion verzichten und auf jedem freien m2 Kartoffeln anbauen würden.

Fakt ist nun mal, dass die „Graue Agrarfläche“ (die theoretische Anbaufläche, die wir für die Produktion unserer Lebensmittelimporte im Ausland beanspruchen) deutlich grösser ist als die eigene. Eine Autonomie wäre also unmöglich. Sie würde auch zu einem ökologischen Gau führen, die Ausbeutung der letzten Böden mit Einsatz von viel Wasser, Energie und nötigen Düngern und Pestiziden wäre ein Albtraum. Was wohl das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL dazu meint?

Die meisten Produktionsmittel der Bauern werden heute übrigens importiert. So zum Beispiel der überwiegende Teil der Futtermittel. Soviel also zur autonomen Versorgung.

Natürlich wird die „Systemrelevanz“ vorgeschoben, wenn es um den Schutz der Landwirtschaft geht. Die nicht realisierbare Autonomie und die heute einfach nicht mehr umkehrbare Abhängigkeit von ausländischen Produzenten für Saatgut, Produktionsmittel, Dünger, Mittel zur Schädlingsbekämpfung und letztlich fertigen Nahrungsmitteln muss einfach akzeptiert werden – alles andere ist blauäugig. Oder eben politisch motiviert.

Wir wären in der Schweiz nicht einmal mehr fähig, unser eigenes Bier zu brauen: Da wäre in der Tat Hopfen und Malz verloren (denn beide Produkte müssen fast zur Gänze importiert werden).

Die „Sicherung der Landesversorgung“ kann einzig gewährleistet werden, indem grössere  Pflichtlager gehalten werden und die Beschaffung im Ausland diversifiziert wird, um nicht in lokale Abhängigkeiten zu geraten.

Fazit: „Unsere“ Landwirtschaft gibt es schon lange nur noch partiell, die Autonomie ist eine Illusion.

Zu Argument 2: Qualität

Nur Schweizer Produkte garantieren für Qualität – so die vorherrschende Meinung an vielen Orten. Schweizer Fleisch zum Beispiel sei einfach per se besser. Unsere Produkte sind sauberer als die importierten, unsere Aufzucht tiergerechter. Es geht um den Bevölkerungsschutz – was soweit in Ordnung wäre. Qualität kann indessen nicht nur mit eigener Produktion erzielt werden, sondern auch mit Qualitätsnormen, welche für den Verkauf gelten. Wir wollen in der Tat keine Chlorhühner oder mit Antibiotika vollgepumpte Filets. Aber das lässt sich mit Deklarationspflichten und Qualitätsstandards beim Verkauf regeln. Dazu braucht es nicht einmal Importrestriktionen – eine politisch eh immer heikle Angelegenheit.

Fazit: Das Qualitätsargument ist nur ein vordergründiges.

Zu Argument 3: die Landschaftsgärtner

Es stimmt: Jemand muss die Wiesen mähen, die Wälder pflegen, die Bäume zurückschneiden. Aber dafür müssen nicht 200‘000 CHF pro Kopf ausgegeben werden. Flächenbeiträge für die Pflege der Landschaft würden nur einen Bruchteil kosten. „Landschaftsgärtner“ könnte doch ein angesehener Beruf sein! Beitragsempfänger könnten nicht nur Bauern oder grosse Landbesitzer sein – sondern auch Kooperationen oder andere pflegewillige Individuen oder Institutionen.

Fazit: Das Argument zieht einfach nicht, das Problem – so denn eines bestünde – lässt sich lösen.

Zu Argument 4: touristisches Juwel erhalten

Dieses Argument wird oft ins Feld geführt. Es lässt sich selbstredend kaum quantifizieren, und eigentlich könnte es in Argument 3 untergehen: Ja, ein gewisses landwirtschaftliches Image zu pflegen ist dem touristischen Gesamtbild der Schweiz sicher nicht abträglich. Aber wieviel darf dies kosten? Wir würden von einer Fraktion der Subventionssummen sprechen, wenn es nur darum ginge, für die Chinesen und Inder ein bisschen Heidi zu spielen. Schön adrett sollten die Wiesen aussehen, die Fassade des Bauernhofes müsste gepflegt sein, ein bisschen Vieh müsste rumstehen.

Fazit: Falls dieses Argument wirklich wichtig sein sollte, liessen sich Lösungen bestimmt günstiger finden.

Zu Argument 5: und überhaupt

Hier das vielleicht wichtigste Argument: Es geht ums Prinzip. „Wir müssen doch eine anständige Landwirtschaft haben“. „Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Pfeiler unserer helvetischen Demokratie“. „Für unsere Bauern sollten wir schon etwas tun.“ Dahinter stecken oft eine falsch verstandene Heimatliebe und die im Parlament über-repräsentierte Landwirtschaftsbranche. Deren Lobby ist stark und setzt sich im Bundeshaus meistens durch.

Zudem verursacht die Agrarbürokratie in jedem Kanton und beim Bund leider immense zusätzliche Kosten.

Oft geht es nur um Partikularinteressen oder um „Switzerland first“ – und Nostalgie. Vorgeschoben wird, wie so oft in letzter Zeit, die Systemrelevanz. 

Fazit: Mit Heimatliebe lässt es sich nicht rechtfertigen, 21 Milliarden auszugeben.

Gefährliche Suggestivfragen

Befragungen in der Bevölkerung resultieren in der Regel zugunsten der Landwirtschaft. Man kann einfach nicht gegen die Bauern sein… Sollte man nicht auch die Krokodile besser schützen? Wer möchte denn wirklich dagegen sein…?

Suggestivfragen führen oft zu einem wenig überraschendem JA, wenn nach „höherem Selbstversorgungsgrad“ geforscht wird. Würde man die Frage stellen, ob die Landwirtschaft CHF 200‘000 pro Beschäftigten kosten darf, so wäre die Antwort allerdings mit Sicherheit ein dickes NEIN.

Die Umweltschleuder Landwirtschaft

Oft geht vergessen, dass unser Agrarsektor einer der ganz grossen Energieverschwender ist. Zudem ein grosser Umweltverschmutzer: Schweizer Traktoren und alle landwirtschaftlichen Geräte zum Beispiel dürfen dreckig sein, sie sind von strengen Abgasnormen praktisch ausgenommen. Ein grosser Teil der Wasserverschmutzung geht auf den Einsatz von Pestiziden und der zum Teil massiven Düngung zurück.

Ineffiziente Betriebsgrössen führen ebenso zu einem teuren und wenig umweltverträglichen Einsatz von Produktionsmitteln, inklusive Energie. In einem eng besiedelten Raum wie der Schweiz wirkt sich das besonders nachteilig aus.

Gesalzene Rechnung

Wer bezahlt nun eigentlich diese 21 Milliarden? Einerseits der „Staat“ mit den vielen Subventionen. Den grössten Teil aber berappt der Konsument. Aber de facto eigentlich dieselben Subjekte: die Bürger.

Nebst den ziemlich gut messbaren Kosten an Beiträgen und Vergünstigungen für die Landwirtschaft gehen andere Kosten bei der wahren Kostenberechnung oft verloren. Die Importhindernisse für die meisten landwirtschaftlichen Produkte beispielsweise provozieren aufgrund der damit einhergehenden inländischen Preiserhöhungen einen ausufernden Einkaufstourismus im Ausland. Dieser führte nicht nur zu Verlusten an heimischem Agrarumsatz, sondern insgesamt zu einem rund 10-Milliardenverlust an generellem Einzelhandelsumsatz. Wenn das Schnitzel nur die Hälfte kostet im nahen Ausland, wird dieses Schnitzel eben zur Benchmark – und löst generell eine Schoppingwut ennet der Grenze aus. Ein Lehrstück, wie man sich selber schaden kann. Man kauft nebst dem Schnitzel nämlich auch gleich andere Konsumgüter, für welche man die Unbill mit der Fahrt über die Grenze eigentlich gar nicht in Kauf genommen hätte. Eine typische negative Rückkoppelung, welche meistens dann eintritt, wenn das Big Picture verloren geht. Planwirtschaft geht eben oft ins Auge. So wird der von einer breiten Schicht vertretene aktive Protektionismus mit dem derzeitigen Agrar-Regime tatsächlich zum Schuss ins eigene Bein.

Unsere Landwirtschaft konnte bereits zwei wichtige Freihandelsabkommen (USA und Mercosur) bodigen oder einbremsen. Sie scheiterten in der Tat an der Agrarlobby. Die Landwirtschaft produziert also auch Kollateralschäden, welche in den 21 Milliarden noch gar nicht eingerechnet sind.

Schweizer Landwirtschaftsprodukte als Exportschlager?

Nur zu oft wurde die Strategie kolportiert, landwirtschaftliche Spezialitäten zu produzieren, welche auch exportfähig sind. Käse, Milch, geräucherte gastronomische Preziosen, und so weiter. Ja, Skalenerträge sollten her: Wenn wir nur genügend Volumen hinkriegen, könnten wir günstiger produzieren. Also Export.

Ein hehrer Anspruch. Aber warum sollte dies der Staat fördern? Er könnte ebenso eine heimische und exportfähige Automobilproduktion fördern. Es darf nun einmal nicht am Staat sein, solche Aufgaben zu übernehmen. Wenn sich Schweizer Bauern auf einzelne Spezialitätenprodukte konzentrieren, welche sich im Ausland tatsächlich absetzen lassen, ist das erfreulich. Aber der Bürger sollte dafür nicht bezahlen müssen. Wieso auch sollten wir einen Käse subventionieren, der schliesslich in Shanghai verkauft wird?

Die wahren Export-Champions für Nahrungsmittel sind so oder so die Industrien: Nestlé zum Beispiel ist zum weltweit grössten Exporteur von Kaffee aufgestiegen. Aus der Schweiz raus, ohne eigenen Kaffeeanbau – und ohne Subventionen.

Vergessen wir also die Exportförderung von Nahrungsmitteln. Ein kleinflächiges Land mit atomisierten Anbauflächen, nur mittlerem sonnigem Klima und hohen Löhnen kann nun einmal nicht mithalten im Agrar-Weltmarkt. Ausser eben mit ein paar Nischenprodukten.

Die Lösung?

Ein Umbau der helvetischen Landwirtschaft müsste umfassend angegangen werden. Nachfolgend ein 5-Punkte-Programm, welches mit gewissen Übergangsfristen realisiert werden könnte:

  1. „Autonomie“ mittels eigener Landwirtschaft ist in der Schweiz gar nicht möglich – also müssen wir uns davon verabschieden. Alternativ müssen die Pflichtlager erhöht werden, damit auch der Versorgungsgrad verbessert wird. Pflichtlager können der Bund selber, Importeure oder der Grosshandel halten. Auch die Industrie musste aktuell lernen, mehr Redundanz in der Versorgung zu erzielen. Strengste „Just in time“-Prinzipien sind krisenanfällig – das hat sich gerade aktuell gezeigt. Das gilt auch für die staatliche Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung.
  2. Die meisten Subventionen müssen massiv reduziert werden. Auch alle Direktzahlungen, Zölle und alle anderen protektionistischen Hilfen sollten massiv abgebaut werden. Der bescheidene BIP-Beitrag von 0.6% würde sich vielleicht noch weiter verringern. Auch würden weitere Bauernhöfe eingehen, die heimische Fleischproduktion würde sich reduzieren. Natürlich würde der Bauernstand leiden – ganz klar. Das wäre zwar bedauerlich, wäre indessen mit gewissen Übergangsfristen zu verantworten. Und wir würden Milliarden sparen.
  3. Die Qualität der Lebensmittel muss durch Normen auf Grosshandels- und Einzelhandelsstufe sichergestellt werden. Inhaltsstoffe, Produktionsmethoden, etc.  können (wie heute schon) vorgeschrieben werden – nur würden diese künftig für alle gelten, nämlich auf der Stufe der Verteilung kurz vor dem Verzehr – und nicht ab der Grenze. Die ausländischen Produkte werden heute nämlich oft genauer beurteilt als die einheimischen oder via zahlreiche „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ benachteiligt.
  4. Die Schweizer Landwirtschaft soll sich auf biologisch hochwertige Produkte konzentrieren und dafür Bewirtschaftungsbeiträge pro Hektare erhalten. Keine neuen Staatsangestellten sollten geschaffen werden, sondern effiziente kleine Unternehmen. Diese müssten sich vermehrt auf den lokalen Direktvertrieb konzentrieren. Wenn Handelsstufen umgangen werden können, ergeben sich auch andere Margen, und die höheren Produktionskosten fallen weniger ins Gewicht. Regional, klein und fein: innovative Biobauern. Es würde sich lohnen, wenn allenfalls sogar der Bund hier Institutionen unterstützt, welche Marketing und Vertrieb dieser Betriebe mit Nischencharakter professionalisieren. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist heute schon bereit, für regionale und ökologisch überzeugende Produkte etwas mehr auszugeben. Gleichzeitig müssen wir uns von den klassischen Bauernbetrieben verabschieden, welche nur teuer, aber wenig ökologisch und den ausländischen Produzenten qualitativ kaum überlegen sind.
  5. Für die Pflege der Landschaft braucht es ein neues Konzept – das der Landschaftsgärtner. Wie immer auch ein solches Programm ausfallen könnte: Im Vergleich zu heute würde es nur einen Bruchteil der bisherigen Kosten verursachen.

Und was machen wir dann mit dem eingesparten Geld?

Wenn es uns gelingt, mit dem Grossteil der eingesparten Milliarden Steuern zu senken, Schulden abzubauen oder mehr in sinnvolle und zukunftsgerichtete Projekte zu investieren, können wir nur gewinnen. Und wenn sich gleichzeitig die Nahrungsmittel in der Schweiz deutlich verbilligen, sinken unsere Lebenshaltungskosten und unser Preis-/Lohngefüge wird wettbewerbsfähiger. So könnten wir sogar doppelt gewinnen.

Fazit:

Die Pandemiekrise konnten wir nicht wegen unserer tollen Landwirtschaft meistern. Die Versorgung blieb fast immer lückenlos gewährleistet – dank den logistisch hervorragend aufgestellten Detailhändlern, welche sich zum grossen Teil auch im Ausland eindecken. Das Argument der „Autonomie“ oder der „Systemrelevanz“ wird überstrapaziert. Der Staat und die Konsumenten könnten mit einem Umbau der Landwirtschaft immense Summen sparen. Für die Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und der Lebensmittel-Qualität gibt es Lösungen, auch für die nötige Pflege der Landschaft.

Unsere kleine offene Volkswirtschaft könnte mit einem klaren Paradigmawechsel nur Vorteile erzielen, denn mit dem Abbau von Zöllen und anderen protektionistischen Winkelzügen stünde unser Land besser da. Vermehrt wären Freihandelsabkommen möglich, und die Effizienz in Beschaffung und Produktion könnte sich erhöhen.

Es gäbe ganz wenige Verlierer – aber viele Gewinner. Wann wohl diese politische Reife einkehren wird?

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