Waldmeyer und das neue Wohnrecht

Die Bundesverfassung garantiert jedem Bürger eine adäquate Bleibe. Aber eine Verfassung muss sich immer weiterentwickeln und den neuen Ansprüchen gerecht werden. Waldmeyer weiss, wie die Wohnwelt in der Zukunft aussehen wird!

Den Ökonomieverweigerern sei Dank

Die Wohnmisere ist schon seit Jahren mit Händen zu greifen: Es gibt zu wenig Wohnraum, und er wird immer teurer. An sich ein normaler Vorgang, denn wenn es von einer Sache zu wenig gibt, wird sie immer teurer. SP- und Grünen-Politiker hätten das inzwischen schon selbst merken müssen, zum Beispiel, wenn sie im Sommer einen Campingplatz buchen. Da wird plötzlich alles teurer, wenn zu wenig auf dem Markt ist. Was die Protagonisten unserer politischen Gesellschaft auf ihrem Bildungsweg oder im realen Leben verpasst haben, holt sie dann plötzlich ein: Angebot und Nachfrage stimmen nicht mehr überein, und der Preis gleicht das aus. Das ist ein ganz banales ökonomisches Prinzip. Man kann dagegen sein – aber es nützt nichts, es ist ein Kampf gegen die Windmühlen.

Zu allem holt einen das volkswirtschaftliche Ungleichgewicht bereits auf der Fahrt in den Süden schon am Gotthard ein, wenn die Autokolonnen immer länger werden. Vielleicht reisen die Ökonomieverweigerer natürlich mit der Bahn, dann merken sie nicht, wie der zur Verfügung stehende Platz an Strassenfläche der Nachfrage nicht mehr gerecht wird. Aber eventuell hilft die überfüllte Bahn dann, als einfaches edukatives Mittel, zur Erklärung der Ökonomie?

Die grosse, dumme Bauverhinderung

Aber zurück zum Schweizer Wohnangebot. Waldmeyer stellte fest, dass das Bauen an sich immer teurer wird, nur schon aufgrund der Vorschriften. Es fehlt auch an Einzonungen. Zwar liegen ganze Industrie- und Gewerbeflächen brach, und es gibt ein Überangebot an alten Büroflächen. Umnutzungen benötigen indessen, gefühlt, mindestens eine Generation bis sie greifen. Komplizierte und langwierige Baubewilligungen tun dann noch das Ihre für jahrelange Verzögerungen. Und unsere direkte Demokratie, an sich eine nette Errungenschaft, ermöglicht auch die unmöglichsten Einsprachen – zumal das Einspracherecht seit einiger Zeit auch noch allerlei Vereinen und Organisationen zur Verfügung steht.

Gleichzeitig wächst unsere Bevölkerung, und der Anspruch an grössere Wohnflächen steigt. In der Summe stimmen Angebot und Nachfrage nicht mehr überein. Es wird auch in Jahren noch nicht übereinstimmen, denn so schnell wie die Nachfrage steigt, kann gar nicht gebaut werden. Ein Jammer. Aber der Preis gleicht glücklicherweise aus, die verfügbare Menge wird einfach teurer. Erste Lektion in der Wirtschaftslehre.

Besser in den Jura?

Wieder einmal wagte Waldmeyer einen vorsichtigen Blick in die Zukunft. Auch künftig wird es jungen Leuten schlichtweg verwehrt sein, Wohneigentum zu erwerben. Auch 10-jähriges Sparen hilft da nicht weiter. Die Banker werden nur ein müdes Lächeln übrig haben für die jungen Paare, die sich mit 200’000 Franken angespartem Eigenkapital ein Haus leisten wollen. «Da müssen Sie wohl in den Jura ziehen», könnte auch in Jahren noch eine ihrer Antworten lauten.

Wie die Politik das in der Zukunft also zu gestalten gedenkt? Mit vereinfachten Baubewilligungen, vernünftigeren Bauvorschriften, gescheiten Einzonungen? Nun, es werden leider wohl andere, politischere Lösungen angestrebt werden.

Waldmeyers Blick in die Zukunft

Waldmeyer liess seinen Zeitstrahl in die Zukunft gleiten und blickte von dort zurück: Den Beginn machten die grossen Städte im Land. Ab 2025 plafonierten sie nämlich die Mieten, bauten viele Sozialwohnungen und verhinderten erfolgreich das private Bauen. Zürich bewirkte einen Dammbruch, schon 2024, als die Regierung dort bestimmte, dass nun auch Bessersituierte eine vom Staat mitfinanzierte Bleibe beziehen dürfen. Offenbar liessen sich die vielen staatseigenen vergünstigten Sozialwohnungen nicht mehr mit mittellosen Bürgern füllen. Auch gab es, beispielsweise auch in Zürich, zu wenig Stadträte der SP und der Grünen, die in einer stadteigenen Wohnung leben durften (bereits über die Hälfte belegte bereits 2024 eine solche schöne subventionierte Bleibe).

Das neue Wohnmodell basierte offenbar auf der klugen Erkenntnis, dass es eigentlich gar keine Bedürftigen mehr gibt. De facto beginnt die neue Nahrungskette ab Stufe gehobener Mittelstand. Darunter gibt es nur Asylanten und Randständige, welche ihr Schicksal selbst gewählt haben.

Der Durchbruch: die AirWohn&Wohn App

Waldmeyers Blick in die Zukunft sah nun so aus: Den Menschen, die künftig kaum mehr bedürftig sein werden, wird es immer noch an Wohnraum fehlen – und dafür war nun der Staat zuständig.

Inzwischen, so die Vision Waldmeyers, wurden auf privater Basis konsequenterweise kaum mehr neue Bauten erstellt, da sich die meisten Investoren zurückgezogen hatten. Das war indessen egal, denn der Staat betrieb nun neu eine AirWohn&Wohn App, welche alle Single-Bürger und kleinere Familien zu sinnvollen Clustern zusammenführt, die sich eine Wohnung teilen können.

Waldmeyer blickte von seiner Terrassenliege in Meisterschwanden auf den See runter. Ja, er selber durfte ganz angenehm wohnen. Frau Rodrigues hantierte mit dem Staubsauger lautstark im Wohnzimmer; Waldmeyer liess sich indessen nicht stören, da er wusste, dass es der neue Dyson war. Charlotte neben ihm studierte Reiseländer, in die sie nie fahren würden. Das Wohnproblem betraf also nicht ihn. Umso interessanter ist es, über Probleme der anderen nachzudenken. Die Wohnzukunft wird folglich so aussehen, so malte sich das Waldmeyer weiter aus, dass endlich keine Wohnungsnot mehr herrschen sollte, und alle werden glückliche Wohnungspartner gefunden haben.

Die neue Chefin des Departementes des Innern, Fatima Ramadani, löst das Problem

Unsere Wohnbauministerin, Elisabeth Baume-Schneider, hatte sich nach acht ereignislosen Jahren wieder in den Jura verkrochen und ihre Nachfolgerin, die nonbinäre Fatima Ramadani, hatte die Zügel fest in die Hand genommen. Ihr Cousin hatte in ihrem Auftrag diese geniale AirWohn&Wohn-App mit einem Stab Kosovofreunden aus dem Homeoffice entwickelt. Die clevere App wird sogar eine soziale Garantie abgeben, dass die Wohngemeinschaft funktioniert, sie ist KI-gesteuert und kann selbst die schwierigsten Psychogramme der Mieter zusammenführen. Sicherheitshalber werden ethnische Cluster gebildet, was auf der Hand liegt, denn Menschen mit einem serbischen Hintergrund, beispielsweise, kann man nicht mit Albanern kombinieren – das gibt nur Zoff. Schweizer mit Schweizer geht. Eritreer mit Äthiopier geht aber nicht. Die App ist so intelligent, dass sie auch kluge gastronomische Zusammensetzungen vorschlägt. So dürfen Muslime mit Juden problemlos unter einem Dach leben, da sie beide kein Schweinefleisch essen. In diesem Fall sieht die Wohneinheit jedoch zwei Kühlschränke vor, beschriftet mit «halal» und «koscher». Ja, die KI denkt an alles!

Bleibt Waldmeyer in Meisterschwanden?

Wenn’s nicht klappt mit dem Zusammenwohnen hat jeder Mieter maximal 12-mal pro Jahr Anrecht auf einen Wohnungswechsel. Umziehen wird eh einfach sein, denn sämtliche Möbel und das Kleininventar werden von der staatlichen Plattform zur Verfügung gestellt. So entfällt der lästige und wenig klimafreundliche Umzug. Vereinzelte Stimmen werden zu Beginn monieren, dass dieses neue Wohnmodell post-marxistische Züge trägt oder eine moderne Kibbuz-Interpretation sei. Aber weit gefehlt, denn es basiert auf Einsicht und Freiwilligkeit. Den meisten Bürgern wird es gefallen.

Max Waldmeyer freut sich auf die künftigen cleveren Lösungen im Wohnungsbau. Er selbst zieht es vor, in seiner Villa in Meisterschwanden zu bleiben und von dort aus die neue, lustige Wohnwelt zu beobachten. «Ich glaube, wir bleiben in Meisterschwanden. Ich begreife die Leute nicht, die nicht in ein Eigenheim ziehen wollen», meinte er zu Charlotte.

Charlotte antwortet in der Regel nicht, wenn Max wenig Sozialverträgliches zum Besten gibt. Heute aber schon: „Du kannst ja hier bleiben, Max, ich buche für mich jetzt mal was auf dieser neuen App!“

Waldmeyer und warum Trump beabsichtigt «to buy Switzerland»

Waldmeyer hatte sich schon daran gewöhnt, dass Präsident Trump provokative Äusserungen zum Besten gibt. Seine Ideen sind manchmal auch ganz lustig – oder zumindest kreativ. Aber oft auch ziemlich ernst gemeint. Und diese Ideen könnten erst der Anfang sein. Waldmeyer schaut voraus.

Waldmeyer erinnert sich: Während Trumps erster Regentschaft ärgerte sich dieser über die teuren Unterstützungsgelder, welche Puerto Rico verschlang. Puerto Rico ist, wie wir wissen, de facto eine Kolonie der USA. Der Begriff «Kolonie» wird heute selbstredend nicht mehr verwendet, aber er definiert den Status der Insel, leicht östlich von Haiti und der Dominikanischen Republik gelegen, treffend. Das Eiland von ungefähr doppelter Grösse Graubündens und mit der Einwohnerzahl Berlins etwa wurde 2017 vom Hurrikan Maria heimgesucht und war anschliessend ziemlich versehrt und technisch bankrott. Schon früher stand es jedoch mit den Finanzen um den mit den USA halbwegs verbundenen Kleinstaat nicht zum Besten. Puerto Rico ist ein «non-incorporated territory» – und damit eben kein Bundesstaat, nur eine karibische, mehr oder weniger kaputte Aussenstation. Kein Wunder, fragte Trump 2017 deshalb seine Mitarbeiter, ob man dieses defizitäre und beschädigte Asset nicht «verkaufen» könnte. Schon 2012 hatten sich die Puerto-Ricaner bei einer Abstimmung für die Aufnahme eines vollwertigen 51. Bundesstaates ausgesprochen – was Donald Trump indessen überhaupt nicht kratzte. Donald «The Chosen One» betrachtet Länder nämlich so, wie er früher eine Immobilie oder Bauland betrachtet hatte, also als ein Aktivposten in der Bilanz eines Konglomerates.

Deshalb war Trumps Anschlussfrage, damals, auch stimmig, ob man denn nicht Grönland kaufen könnte. Und jetzt wieder. Diesmal mit der Nachricht, Grönland müsse zur USA kommen, weil dies im nationalen Interesse sei. Es geht vor allem um Handelsrouten und die Rohstoffe, da liesse sich doch etwas mehr machen aus dieser vernachlässigten Insel, ist Trump überzeugt. Dass nun auch Panama auf der Shoppingliste steht (oder zumindest das Gebiet rund um den Panama-Kanal) ist deshalb nur schlüssig. Schliesslich gilt es, diese wichtigen Handelswege besser abzusichern. Auch die Einladung an Kanada, der 51. Staat der USA zu werden, ist somit konsequent.

Das alles mag, zumindest vordergründig, ganz amüsant sein. Aber Waldmeyer findet das auch äusserst bedenklich, vor allem, dass Trump auch “militärische Aktionen nicht ausschliessen“ würde, um seine Ziele zu erreichen. In diesem Sinne, und nun die erschreckende Erkenntnis, nähert sich die Politsprache der USA derer Chinas an, welche Taiwan «zurückmöchte». Auch der Hintergrund und die Begründungen für alle diese Vorhaben weisen ähnliche Muster auf, weil Fakten verdreht oder legitime Ansprüche suggeriert werden. Pro memoria: Taiwan hatte vor dem Zweiten Weltkrieg gar nicht zu China gehört, sondern war Teil (oder eben auch eine «Kolonie») Japans. Aber das spielt keine Rolle. Wir müssen nun von den neuen Leadern der Welt lernen, dass Ansprüche immer berechtigter werden, je länger man sie äussert.

Auch Russlands Anspruch auf die Ukraine gründet faktisch auf keiner Legitimität. Trotzdem findet dieser Hegemonismus grossen Zuspruch, weltweit. Auch ein immer breiterer Teil der Bevölkerung und viele politische Parteien in Europa finden das durchaus in Ordnung.

Es kristallisiert sich also eine neue Politsprache raus. Hemmungen werden abgebaut, man darf fordern – und die Durchsetzung der Forderung scheint dann immer mehr zum Courant normal zu werden. Auch wenn der venezolanische Präsident eine Einverleibung seines Nachbarstaates Guyana fordert, lächelt die Welt nur etwas und nimmt es einfach zur Kenntnis.

Imperialismus ist also wieder salonfähig.

Es scheint, als ob man nun neu ziemlich offensichtlich in die Politik anderer Staaten eingreifen darf: Russland kauft Wählerstimmen in Georgien und Moldawien, das gleiche Land greift auch direkt in die Präsidentschaftswahlen Rumäniens ein. Elon Musk, globaler Adlat Trumps, nimmt offen Partei für die AfD in Deutschland, bewundert Orban, ermuntert die FPÖ oder möchte Grossbritannien von der Tyrannei seiner Regierung «befreien».

Ob wir da wohl vor einer Zäsur in der Geopolitik stehen? Waldmeyer stand vor seinem Kamin in Meisterschwanden, das Feuer loderte lustig, er schlürfte an einem Cognac und platzierte seine kosmopolitischen Überlegungen. Charlotte schaute immer tiefer in ihr dickes Buch rein («Slow Cooking in Peru»). Waldmeyer holte etwas aus und stellte sich vor, was die nächsten globalen Schritte sein könnten. Erstens wird die Regierung Trump von ihren Forderungen nicht abrücken (so beispielsweise in Sachen Grönland). Zweitens wird sich China ermuntert fühlen, Taiwan zu annektieren. Drittens wird Russland seine Fühler weiter ausstrecken (so z.B. nach Spitzbergen, mithin eine Kolonie Norwegens, aber von grossem Interesse für Russland). Und dann kommt der vierte Schritt: Trump wird vorschlagen, dass die Schweiz der 54. US-Staat werden soll.

„Wo würdest du lieber wohnen, Charlotte: in einer neuen umgebauten Schweiz nach Plänen der Jungen Grünen und der Jusos oder im 54. US-Staat?“ Charlotte antwortete nicht und Waldmeyer fuhr mit seinen Ausführungen fort: Der Anschluss der Schweiz an die USA entbehrt tatsächlich nicht einer gewissen Logik. Das für die Grösse der Schweiz gigantische Handelsbilanzdefizit der USA mit dem kleinen Land könnte so elegant getilgt werden, denn die Handelsströme wären dann nur noch US-interne Bewegungen. Die Schweiz gehört nicht zur EU, ja, sie hat nicht einmal einen gescheiten Vertrag mit diesem Club. Der Schweizer Franken stellt ein Risiko dar, denn in Krisenzeiten explodiert diese Währung jeweils, und das Land gelangt mit ihren Exporten in die Bredouille. Die Übernahme des USD würde also Sinn machen – eine globale Währung zu haben wäre wesentlich gescheiter als sich dem lahmen Euro zuzuwenden oder den viel zu volatilen CHF zu behalten. Die UBS wird ihren Hauptsitz eh nach New York verlegen. Da sie dann keine Konkurrenz mehr zu den amerikanischen Banken darstellt, kann sie ungestörter ihren Geschäften nachgehen. Und die wichtigen Aussenstationen der amerikanischen Techfirmen (wie Zürich für Google) gehörten dann direkt zur USA.

Es mag auch ein paar wenige Nachteile für die Schweiz geben. So müsste die Eidgenossenschaft die Stationierung von ein paar Langstrecken-Raketen im Jura dulden. Vielleicht würden sich auch unsere gastronomischen Gepflogenheiten leicht ändern. Andererseits würden vermutlich die Strassen in den Städten wieder renaturiert – also wieder natürliche Strassen werden, mit vier und nicht zwei Spuren, und diese wären wieder mit einem normalen Tempo befahrbar. Absurden Weltverbesserungs-Initiativen aus der grünen und linken Ecke würde der Stecker gezogen. Und so weiter. Die ungebührliche Immigration aus uns fremden Ländern würde vermutlich eingedämmt, und ein paar nette Ami-Familien würden in unsere Städte ziehen – in denen plötzlich wieder gebaut werden darf.

Alles also gar nicht so schlimm? Wenn Waldmeyer die momentane Zäsur in der Geopolitik betrachtet und die kleine Schweiz sich in Reduit-Gedanken suhlt und sich so ins Abseits manövriert, wäre doch ein Befreiungsschlag eine elegante Lösung. Besonders angesichts der aktuellen politischen Entwicklung Helvetiens und des von vielen Kreisen beabsichtigten «Umbaus der Gesellschaft» könnte der Anschluss der Schweiz an die USA tatsächlich eine valable Option darstellen, meint Max Waldmeyer.

«Warum eigentlich genau der 54. Staat…?», fragte Charlotte ihren Max und unterbrach seine nach wie vor stehend vorgebrachte Vision vor dem Kamin, immer noch mit einem Glas Cognac in der Hand. «Und du müsstest dann Bourbon trinken, den Cognac kannst du gleich vergessen.»

Waldmeyer antwortete verzögerungsfrei: «Der 51. Staat wird Kanada sein, Nummer 52 Panama. Beim Verkauf von Puerto Rico wird keine Nummer frei, weil es ja nie ein US-Staat war. Somit wird die 53 für Grönland reserviert sein. Folglich, der Logik entsprechend: Switzerland will be the 54nd U.S. state. Und: Die Amis kennen ein paar ausgezeichnete Bourbons, da mache ich mir keine Sorgen.»

Waldmeyer, die Ukraine, die Russen und der Wodka

Bereits sollen rund 140’000 Russen im Krieg in der Ukraine gestorben sein. Und rund 70’000 Ukrainer. Das unbalancierte Verhältnis der Kriegstoten ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Angreifer immer mehr verliert als ein Verteidiger, das lehrt die Militär-Historie. Aber Waldmeyer verblüffte etwas ganz anderes, was den Ukraine-Krieg in ein neues Licht rückte: Der Einfluss des Alkohols.

Der Cognac vor dem Kaminfeuer schmeckte Waldmeyer heute nicht so recht. Vielleicht hätte er lieber ein Glas Wodka nehmen sollen, angesichts seiner Gedanken an die Ukraine. Die Amerikaner würden Eiswürfel in den Cognac werfen, überlegte Waldmeyer, und es schüttelte ihn bei diesem Gedanken. Charlotte schwenkte ein Glas Baileys; Waldmeyer liess ihr das durchgehen, obwohl er in einem Baileys eher so etwas wie ein Dessert sah.

Aber eigentlich dachte Waldmeyer an Wodka. Der würde aber nicht als Drink vor dem Kaminfeuer passen, und wir Westler trinken Wodka ohnehin selten pur – bei uns ist Wodka eher ein willkommenes Mischgetränk.


Wo ist Waldmeyer auf dem Bild?

Unter den ersten 10 Einsendern wird ein gescheites Buch verlost (2.LMP, der zweite Lebensmittelpunkt, der neue Schweizer Bestseller von Roland V. Weber)!



Es ging jedoch gar nicht um Cognac oder Wodka. Waldmeyer stellte einfach nur fest, dass die Russen und die Ukrainer offenbar an den Frontabschnitten fleissig dem Alkohol zusprechen. Meistens dem Wodka. Waldmeyer ging es allerdings gar nicht um diese Sauferei in den Gräben und den Unterständen. Was sollten sie denn sonst tun, die Soldaten, bei dieser blöden Warterei, zudem in der Kälte, im Regen, oft im Dunkeln und im Schlamm. Ein Desaster vor Ort. Waldmeyer konstatierte nun kein medizinisches Problem an diesen Kriegsschauplätzen, sondern ein generelles.

«Die Russen sterben vor allem an Wodka», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber. Charlotte zuckte nur mit den Achseln.

Zuvor hatte er die Zahlen der Gefallenen an der Ukrainefront studiert. Ein Gemetzel. Die Frontabschnitte erinnern zum Teil an den Ersten Weltkrieg – nur kommen heute die Drohnen dazu. Aber man stirbt noch immer in den Frontgräben. Rund 140’000 Russen sind seit dem 24. Februar 2022 in der Ukraine gefallen. Das bedauerte auch Christoph Blocher, das mit dem «Tod der unschuldigen jungen Russen». Dass er dabei die unschuldigen jungen Ukrainer vergass, ist wohl seiner speziellen kognitiven Wahrnehmung geschuldet.

Auch rund 70’000 Ukrainer mussten nämlich ihr Leben lassen. Die Ukrainer sind etwas tapferer. Ihnen droht der Verlust ihres Vaterlandes, deshalb sind sie motivierter. Die Russen werden aus Sibirien abkommandiert und in den Fleischwolf geschickt. Sie sind de facto aber oft nur Söldner, sie sind nicht aus Überzeugung hier, sondern weil Frontsoldat ein gut bezahlter Job ist. Besser als sich zu Hause bei einem Hungerlohn in Wladiwostok oder Murmansk abzuschuften.

«Die Russen sterben doppelt so rasch wie die Ukrainer», meldete Waldmeyer nun zu Charlotte rüber. Charlotte zuckte mit den Mundwinkeln und versuchte, sich auf ihren Baileys zu konzentrieren.

Waldmeyer stellte weiter fest: Also nehmen die jungen russischen Männer ein hohes Risiko in Kauf, im Sarg nach Murmansk zurückgeschickt zu werden. Zumal sie das Risiko gar nicht kennen, sie kriegen ja nur beschränkt und in zensierter Form die wenigen internationalen Nachrichten auf ihr Handy. Vielleicht können sie ihr Handy auch nicht immer gleich aufladen, vielleicht läuft gerade Krieg, und in den Gräben gibt es ja keine Steckdosen.

Waldmeyer wollte es nun genauer wissen und analysierte die wahren Todeswahrscheinlichkeiten der Russen. Und, Heureka, es sind gar nicht Armeerisiken: Die Russen sterben nämlich sehr oft bei Verkehrsunfällen: rund dreimal mehr als in Deutschland oder der Schweiz. Russen lieben auch den Suizid: Die Rate liegt auch hier um ein Mehrfaches höher als bei uns. 300’000 männliche Tote jährlich verzeichnet das grosse Land als Folge des Tabakkonsums – eine unglaubliche Zahl. Manchmal erfrieren sie auch, die Russen, aber dabei besteht wohl ein Kausalzusammenhang mit dem Alkohol: Wenn man betrunken aus der Bar torkelt in Nowosibirsk, auf dem blanken Eis ausrutscht und seinen Kopf aufschlägt und stirbt, ist man bestenfalls tot. Vielleicht erfriert man aber im Suff und in der Dunkelheit. Es ist dann ein Unfalltot oder ein Erfrierungstod.

Die Russen nehmen das mit dem Tod und überhaupt mit dem Wert eines Menschen nicht so genau. Historisch gesehen war ein russisches Leben eh nie viel wert. Das war zur Zarenzeit so, später unter Stalin, dann hinter dem Eisernen Vorhang, heute eben an der Front in der Ukraine. Da gelten höhere Ziele.

Aber nun zurück zum Alkohol und den Russen: Tatsächlich sterben in Russland jährlich rund 500’000 bis 700’000 Menschen an Alkoholmissbrauch. Es sind meistens Männer. Russische Frauen saufen weniger. Die werden eher exportiert, in den Westen – zumindest die schönen schlanken, mit Beinen bis unter die Achseln, oft auch mit nachgeholfenem Look, das heisst mit viel Silikon im Busen und den Lippen, neuerdings auch im Po, zur Form-Optimierung. Frauen werden in Russland im Schnitt 78 Jahre alt, Männer nur 67. Natürlich lebt man in den chicen Quartieren in St. Petersburg und in Moskau länger, dort gibt es eine top Gesundheitsversorgung. Sofern man genügend Geld hat, lebt man ohnehin länger, das ist an anderen Orten auch so. Aber wenn man ein begrenztes Budget hat und viel säuft, wird es brenzlig.

Das mit der unterschiedlichen Lebenserwartung der Männer und Frauen hat also kaum etwas mit dem Ukrainekrieg zu tun. Und das mit der beschränkten Lebenserwartung der Männer wohl nur am Rande mit diesem Krieg. Der russische Mann stirbt, statistisch gesehen, in der Regel, weil er raucht und/oder säuft. Konkret: Die Kriegstoten an der Ukrainefront sind fast vernachlässigbar, angesichts der gigantischen Zahl an Tabakleichen oder Alkoholtoten.

Waldmeyer möchte nicht falsch verstanden werden: Er möchte das Kriegsdrama nicht verzwergen. Aber die Zahlen sind nun mal so. Putin wird diese auch kennen. Deshalb sind für ihn die Ukraineverluste, im Verhältnis zu anderen Todesrisiken seiner Untertanen, eine Quantité négligable – was das ganze Drama nur noch dramatischer macht.

Bei den Ukrainern sieht es etwas anders aus, aber relativ gesehen, unter dem Wodka-Aspekt, doch auch ähnlich: Da sterben nun im Krieg über 30’000 Soldaten und Zivilisten jährlich, aber rund doppelt so viele jedes Jahr an Alkoholmissbrauch. Die Ukrainer saufen auch Wodka, und dies nicht zu knapp. Immerhin ein bisschen weniger als die Russen. Sie leben zudem einen Wimpernschlag gesünder, ihr BMI ist auch etwas tiefer als der der Russen. Gastronomisch ist das nicht zu begründen, denn beide Staaten befinden sich in kulinarischen Wüsten. Es hat wohl eher mit der Menge der Nahrungsaufnahme zu tun.

«Die Russen sterben vor allem an Wodka», meldete Waldmeyer nochmals Richtung Charlotte rüber. „Vielleicht wirst du einmal an Cognac sterben, Max“, erwiderte Charlotte.

Waldmeyer gönnte sich gleich einen Refill. Es war ein Hennessy, kein überragender Cognac, aber ein sehr korrekter. Die Nordkoreaner werden wohl kaum Cognac trinken, auch keinen Wodka, vor allem jetzt nicht an der Ukrainefront, überlegte Waldmeyer. Die sind dünn, fast ausgemergelt, da es in ihrem Land ja nicht genügend zu essen gibt. Die nordkoreanischen Soldaten sind aber mental gut kalibriert und trainiert. Sie saufen überhaupt nicht, Alkohol ist nämlich nur für die Nomenklatur im Land erschwinglich. Nordkoreaner erscheinen, im Vergleich zu den Russen an der Front, also als sehr gesunde Menschen – zumindest BMI-mässig und was ihre Trinkgewohnheiten anbelangt.

Nordkoreaner, und Waldmeyer meinte dabei diejenigen, die nicht an der Front sind, leben trotzdem nicht sehr lange, offenbar setzt die Misswirtschaft in Pjöngjang den Menschen doch zu. Männer werden in Nordkorea rund 71 Jahre alt – was ein ganz guter Wert ist im Vergleich zu Russland, aber immer noch ein sehr schlechter Wert global, nämlich deutlich unter dem Weltdurchschnitt. Und wenn nun noch junge Koreaner an der Ukrainefront verheizt werden, wird das die Statistik der Lebenserwartung kaum verbessern – aber wohl auch kaum signifikant verschlechtern, so viele Soldaten hat der ehemalige Schulabgänger aus Gümligen und Kerzers (Kim Jong-un, der ziemlich adipöse Diktator Nordkoreas) noch gar nicht an die Front geschickt.

Dann ist der Ukrainekrieg, opfermässig, vielleicht nur so etwas wie ein «Storm in the Waterglass»…? Nein, beileibe nicht. Waldmeyer versuchte nur, das Todesdrama in Osteuropa zu relativieren. Er wird sich dabei allerdings keine neuen Freunde schaffen.

«Die Ukrainesache ist ein Drama», meinte Max Waldmeyer zu Charlotte, und er schenkte sich nochmals etwas Hennessy nach.

«Vielleicht ist es doch schöner, an Alkohol zu sterben, als an Krieg, Max – meinst du nicht…?», erwiderte Charlotte.

Waldmeyer und die fatale Ära der Mutti Merkel

In der Regel läuft es nicht schlecht in einer Regierung, wenn nicht entschieden wird. Denn damit wird nicht falsch entschieden. Oder zu langsam. Oder zu schnell, weil man beispielsweise in einer Krise überfordert ist. Angela Merkel war immer ganz besonnen, entschied sie doch oft nichts. Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit bringt allerdings Fatales zutage. Die 16 Jahre Regierungszeit Merkels waren wohl der Beginn des Niedergangs einer erfolgreichen Industrienation, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg rasch aufrappeln konnte. Waldmeyer entzaubert in einem Interview mit Rebecca Carpenter das Merkel-Märchen.

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, soeben ist die Autobiografie von Angela Merkel erschienen. Offenbar wollte Frau Merkel die Deutungshoheit über ihre Amtszeit zurückgewinnen.

 Max Waldmeyer: Ja. Leider steht nichts drin. Sie hätte die Seiten auch leer lassen können.

 Denkst du nicht, dass es doch bewundernswert ist, wie sich die Bundeskanzlerin 16 Jahre lang an der Spitze halten konnte?

 Bewundernswert? Absolut! Man muss das erst mal schaffen, 16 Jahre lang nahezu nichts zu entscheiden und trotzdem als «ruhiger Fels in der Brandung» durchzugehen. Nun, die 16 Jahre Merkel dienten eigentlich nur der Machterhaltung. Ideen der SPD in der damaligen Koalition mit der Union wurden einfach in die CDU-Agenda integriert und der SPD so den Wind aus den Segeln genommen. Mit der Folge einer ungemeinen Staatsaufblähung und einer Verschiebung des ganzen Staatswesens nach links. Im Buch sucht man übrigens vergeblich nach irgendeinem Eingeständnis von Fehlern. Ihre Regentschaft war aber tatsächlich, in der Retrospektive nun, ein Misserfolg.

Dass nicht alles rund lief, wissen wir ja. Zumindest war ihre Haltung damals in Sachen Flüchtlingspolitik doch sehr mutig.

 Natürlich. Etwa so mutig wie ein Fallschirmspringer ohne Schirm. Sie hatte 2015 unreflektiert einfach darauf gehofft, dass alles gut geht. Und siehe da, Surprise: Es ging überhaupt nicht gut. Nur würde Mutti diese Panne nie eingestehen. Obwohl leider nur die kulturfernen, falschen Leute kamen. Die Episode «Wir schaffen das» war eine schlagende Fehlbeurteilung in Sachen Immigration.

Wie erklärst du dir, dass Angela Merkel nicht einen Blick auf andere Länder geworfen hatte, die Immigration erfolgreich managen?

Ja, Angela war wohl einfach in ihrem eigenen Tunnelblick gefangen. Die Stärke Deutschlands in der EU hätte es erlaubt, die Immigration anders zu steuern. Wie Australien, Kanada oder Neuseeland beispielsweise. Die machen das ja ganz raffiniert, die schauen einfach, was sie brauchen im nächsten Jahr. 1’000 Zahnärzte? Bitte hier lang! 2’500 Klempner? Bitte Eingang links. In ganz Europa läuft es anders, man lässt immer noch einen Tsunami an Wirtschaftsflüchtlingen rein. Und wenn sie mal hier sind und man anschliessend, nach geraumer Zeit, merkt, dass sie nicht hier sein dürfen, werden sie nicht zurückgeschickt. Man parkt sie dann irgendwo und die Integration wird zur optionalen Kür.

Aber zurück zu Merkel, zu diesem fatalen Fehlentscheid im Jahr 2015. Die Angst um die schrumpfende Bevölkerung mag ein Grund gewesen sein, so zu entscheiden. Deutschland ist ja ein Auswanderungsland. Da gibt es viele eigene Wirtschaftsflüchtlinge – nur in die andere Richtung. Sie flüchten aus Germanien raus. Ein weiteres Problem, neben diesem demografischen, ist der Fachkräftemangel. Aber die Vorstellung, dass dieses Problem mit ungebildeten Algeriern oder Syriern gelöst werden könnte, die sich hier dann sofort heimisch fühlen, war und ist ziemlich weltfremd. Jetzt dämmert es den Politikern langsam im Land, dass so ein Menschenimport nicht funktioniert. Allerdings hat die AfD das Thema bereits seit geraumer Zeit besetzt und freut sich, dass sich sonst kaum jemand darum kümmert.

Fehler Nummer eins war also das falsche Immigrationshandling.

 Die Ära Merkel produzierte indessen noch weitere Kapitalfehler: einen Doppelfehler eigentlich, in Sachen Energie. Um das Verschulden Angelas richtig zu werten, müssen wir etwas zurückblenden in die DDR, bis 1988/1989. Die junge und kluge Angela war damals 35 Jahre alt, eine gestandene Quantenphysikerin. Die DDR kollabierte zu jener Zeit aufgrund ihres ökonomischen Zusammenbruchs – nicht nur, weil das Volk genug von der Mauer hatte. Russland befand sich just damals in einer grossen Wirtschaftskrise und hatte es satt, der DDR zu einem Drittel des Marktpreises Öl und Gas zu liefern. Leider hatte sich der gute Honecker in Sachen Energielieferung aber zu 100% auf Russland verlassen und das Land so komplett abhängig gemacht. Die drastische Erhöhung der sowjetischen Energiepreise brach der DDR endgültig das Genick. Angela wusste vielleicht nicht alles zu jener Zeit, vielleicht interessierte sie sich tatsächlich nur für diese Quantenphysik. In der Freizeit ging sie zu politischen Veranstaltungen oder ins FKK-Freibad. Aber spätestens ein paar Jahre darauf kam die ganze Chose an die Oberfläche, und auch klein Angela musste von diesem Energiedebakel und den Hintergründen der damit bankrotten DDR gehört haben.

Das allein darf ihr aber noch nicht als Fehler angekreidet werden, nicht?

 Nein, natürlich nicht. Aber nur wenige Jahre später wiederholte Angela Merkel den genau gleichen Fehler, den ihr altes Heimatland begangen hatte: Nun weit oben in der Politik und an allen Schaltstellen, förderte sie die komplette Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, puschte die Nordstream 1 und 2 und hofierte Putin. Sie sprach ja russisch, das erleichterte den Zugang zum neuen Zaren im Kreml erheblich. Was in der Folge passierte, wissen wir: Zum zweiten Mal lief Deutschland ins Messer, sehenden Auges. Merkel trägt insofern eine Hauptschuld, als sie es – aus eigener Erfahrung – hätte besser wissen können. Sie war offenbar einfach nicht lernfähig.

Du sprichst aber von einem Doppelfehler, in Sachen Energie.

 Richtig, parallel, während der letzten Sequenz Merkels, wurde die Kernkraft aus dem Land verbannt. Fukushima war ein Schock, klar, und eine Auslegeordnung war angebracht. Aber die Physikerin Angela liess sich von der Politik leiten, lavierte rum und gab nach. Anstatt, ihrer Ausbildung entsprechend, eine objektive Analyse vorzunehmen, zog sie gleich den Stecker beim ersten Kernkraftwerk. Gleichzeitig setzte sie auf erneuerbare Energien. Und hier kommt eben Angelas weiteres unverzeihliches negatives Vermächtnis: Als Physikerin hätte sie doch wissen sollen, dass Deutschland flach ist wie ein Pfannkuchen.

Was heisst das…????

 Wenn man ein flaches Land regiert, hat man eben Schwierigkeiten, Energie zu speichern. Die Sonne scheint in der Nacht bekanntlich nicht, der Wind weht auch nicht immer. Wenn beides zusammen eintritt, gibt’s keinen Strom. Also sollte man die Überschüsse vorher speichern. Geht aber nicht mit Batterien. Vor allem nicht über einen ganzen Winter. In der Schweiz haben wir deshalb die Pumpspeicherkraftwerke erfunden, in den Bergen. Dort bunkern wir die Energie. Wir kaufen beispielsweise den überzähligen Mittagsstrom aus den Solarkraftwerken Deutschlands ein, zum Teil zu Negativpreisen und pumpen mit genau diesem Strom unser Wasser in die schönen Bergseen rauf. In der Nacht lassen wir das Wasser runter durch die Generatoren rauschen und verkaufen den Strom, wenn es optimal läuft, wieder den Deutschen. Möglichst sauteuer. Also: Mit einem so ziemlich flachen Land geht das nicht, dass hätte Mutti doch wissen müssen. Der Verzicht auf die Kernenergie war damit der zweite Teil des Doppelfehlers.

Nun hat man in Deutschland die schmutzigen Kohlekraftwerke wieder angeworfen und persifliert die sogenannte «Energiewende». Heute stammt über 70 Prozent der Energie aus fossilen Quellen – ein Rekordwert in Europa! Die „Energiewende“ wird damit auf eine herrliche Weise verhöhnt. Das wird sich übrigens nicht wesentlich ändern, denn Deutschland, da bin ich mir ganz sicher, wird ein flaches Land bleiben.

Ich zähle also rund vier Kapitalfehler der Ära Merkel auf: Erstens ihre verbissene Machterhaltung über die 16 Jahre hinweg, welche, aufgrund der vielen sozialpolitischen Kompromisse, die sie eingegangen ist, zu einem überteuerten Staatsapparat geführt haben. Zweitens die falsche Immigrationspolitik, drittens die Russengeschichte mit der Energie, viertens das erste Steckerziehen bei der Kernkraft. Da kommt ja einiges zusammen.

 Ja, eine Neubewertung liegt auf der Hand. Auch wenn wir ihr zugutehalten müssen, dass sie bemerkenswerterweise sehr bescheiden geblieben ist. Sie hat sich keiner, zumindest materiell, Korruption ausgesetzt. Ich glaube, sie wohnt noch heute im dritten Stock eines einfachen Mietshauses und kocht ihre Kartoffelsuppe. Offenbar guckt sie auch gerne die neue Krimi-Staffel „Miss Merkel“.

Sie hat ihren alten weissen VW Golf übrigens verkauft – nicht, weil es eine Dreckschleuder ist, sondern weil jetzt unten an der Strasse immer eine fette schwarze Limousine wartet. Zwei staatliche Chauffeure teilen sich den Job rund um die Uhr. Wenn sie also zu einer wichtigen, vermutlich lokalen Eröffnung fährt, ist immer jemand da.

Da kann sie aber nichts dafür!

 Nun, vielleicht schon: Sie hätte nämlich schon früher diese üppigen Pfründe beschneiden können, mit denen staatliche Angestellte, auch nach ihrem Ausscheiden, bedacht werden.

Aber wir sollten besser noch über weitere, wichtigere Kollateralschäden sprechen, die Merkel verursacht hat. Zum Beispiel den Brexit.

Also das können wir Angela Merkel nun wirklich nicht auch noch anlasten!

 Doch, doch, leider schon: Es war letztlich die ungebührliche Immigrationspolitik, welche Deutschland in die ganze EU hineintrug. Diese brachte das Fass in Grossbritannien zum Überlaufen. Die Brexit-Befürworter sahen damals die Notwendigkeit eines Ausscheidens aus der EU gerade aufgrund der unkontrollierten Zuwanderung nach Europa, wie sie die Bundesrepublik vorlebte. Da wollten die Briten einfach nicht mehr mitmachen. Es waren die wenigen Prozentpunkte, die den Ausschlag gaben für den mehr oder weniger überraschenden und knappen Ausgang der Volkswahl um den Brexit. Hätte Angela in der Flüchtlingsfrage anders gehandelt, hätten die populistischen Stimmen in Grossbritannien nicht zusätzliche Nahrung erhalten. Ich bestehe also darauf: Leider hat Mutti auch den Brexit auf dem Gewissen und damit eine fatale Schwächung der EU.

Ok, ich notiere: Eine mehr als durchzogene Bilanz.

 Ja, aber Mutti war kein schlechter Mensch. Sie war einfach machtbesessen und lag rückblickend mehrheitlich falsch. Wir müssen also, leider, dieses positiv verbrämte Bild einer guten Staatsführerin korrigieren. Sie trägt eine fatale Mitschuld an dieser teutonischen Kernschmelze heute. Sie hatte sie eingeleitet.

Diesen prägnanten Begriff haben wir schon einmal gehört, Max Waldmeyer. Ich danke für das erhellende Interview!

Nichts zu danken! Wie war doch schon wieder dein Name?
Auf jeden Fall ist es immer wieder eine Freude, das Merkel-Märchen zu entzaubern.

Waldmeyer und das Geheimnis der grossen Yachten

Max Waldmeyer blickte von seiner Terrasse in Meisterschwanden auf den Hallwilersee hinunter. Auf dem spiegelglatten Wasser lagen kaum Schiffe. Nur ein paar Böötli. Donald Trump würde hier auch keine Yacht besitzen, überlegte Waldmeyer.

 

Und Waldmeyer googelte: Die maximal erlaubte Yachtlänge auf dem Hallwilersee beträgt nur 7.5 Meter. 7.5 Meter! «Ich sehe keine einzige richtige Yacht auf dem See», meldete er zu Charlotte rüber. Charlotte antwortete nicht.

7.5 Meter sind genug!

Siebeneinhalb Meter. Also ein Grund mehr, keine solche Nussschale zu besitzen, überlegte Waldmeyer weiter. Wenn schon, dann eine richtige Yacht. Yachten, grosse Autos oder schöne Villen machen allerdings nur Sinn, wenn man sich damit von seinen Nachbarn abheben kann. Auf dem Hallwilersee geht das eben nicht, keine Chance. Mit 7.5 Metern wäre man bestenfalls unter seinesgleichen.

Wem gehört die grösste Yacht der Welt?

Glück ist bekanntlich relativ: Man sollte deshalb in eine möglichst arme Gegend ziehen, dort aber in der schönsten Villa wohnen. Den Ferrari sollte man im tiefen Jura bewegen – und nicht am Strip in Las Vegas. Und die Yacht eben nur dort ankern, wo andere über lediglich bescheidene Boote verfügen. Was zählt, ist der relative Unterschied, überlegte Waldmeyer und versuchte so, eine Neuinterpretation der Relativitätstheorie zu begründen. Ja, es war noch nie schön, sich am untersten Ende der Nahrungskette wiederzufinden. Aber: warum nur diese umständlichen Superyachten? Oder gar die Megayachten (für Insider: Superyachten mutieren zu Magayachten, wenn sie länger als 200 Fuss sind)?

Die grösste Yacht der Welt gehört Scheich Zayed, dem Präsidenten der VAE. Sie ist 180 Meter lang und verfügt über einen Ballsaal mit über 500 Quadratmetern. Und ein Raketenabwehrsystem. Würde die Yacht jetzt hier auf dem Hallwilersee vorbeituckern, würde sie einen Tsunami auslösen, analysierte Waldmeyer. Abgesehen davon wäre der riesige Kahn auf dem Landweg erst mal gar nicht transportfähig, er müsste in der Werft in Meisterschwanden, die es gar nicht gibt, gebaut und vom Stapel gelassen werden.

«Dieser Emir würde sich wohl nie für den Hallwilersee interessieren», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber. Charlotte antwortete immer noch nicht.

Das bestgehütete Geheimnis der Weltmeere

Dieses Geheimnis der grossen Yachten scheint offenbar das bestgehütete Geheimnis der Weltmeere zu sein. Warum tun sich die Besitzer dieser aufwendigen Schiffe das nur an…?

Waldmeyer suchte nach einer Erklärung: Mit einer teuren Rolex oder einem Lamborghini kann man ein Statement gegen aussen abgeben und so vorführen, dass man vermögend ist. Oder man lacht sich eine teure und repräsentative Villa an, die dann womöglich noch in einer Illustrierten mit einer Homestory gepostet wird. Möchte man indessen so richtig markieren und darstellen, dass man sich in der obersten Liga befindet, so wird die Luft dünn. Da braucht es dann schon einen Privatjet – mit dem Nachteil allerdings, dass man den fast nie vorführen kann. Die intrinsischen Gewinne in Sachen Image sublimieren sich dann quasi in der Luft. Die fette Yacht indessen ist das ultimative Statement. Denn die kann man zeigen, an allen wichtigen Hotspots auf der Erde. Falls man nicht von immer willkommenen Paparazzi abgelichtet wird, würde man notfalls an der Uferpromenade in Cannes oder St. Tropez ankern und an Deck (dieses gegen die Promenade gewandt) ostentativ ein Glas Dom Pérignon schlürfen, um wenigstens so gesehen zu werden.

Wieviel Yacht gibt es für eine Million?

Doch nebst all diesen Vorteilen, also der schönen Aussenwirkung und den flamboyanten Signalen, die vom Besitz einer ordentlichen Yacht ausgehen, dürfen die Nachteile nicht unerwähnt bleiben. Da geht es um die Kosten. Und die sind erheblich. Früher galt – unter Kennern – die Faustregel, dass für den Kaufpreis einer Yacht pro Meter Schiffslänge eine Million zu veranschlagen ist. Aber das war einmal. Bei Megayachten muss heute gleich mit bis zu fünf Millionen gerechnet werden. Allerdings besteht ja gerade darin die Verstärkung der Aussenwirkung: Nur mit einem wirklich sehr fetten pekuniären Polster kann man sich das leisten. Das weiss jeder – deshalb die Erhöhung des Signals gegen aussen.

Aber noch etwas erkannte Waldmeyer: Sorgen müssen auch die horrenden Unterhaltskosten bereiten. Denn diese liegen pro Jahr, so eine weitere Faustregel, bei rund 10% des Kaufpreises. Crew, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen etc. stellen schnell mal den Kaufpreis eines kleinen Privatjets dar. Und das jedes Jahr. Ein weiterer Grund also, warum Privatjets heute kein wirkliches Statement mehr sind. Yachten sind einfach das ultimative Aushängeschild von Luxus, es ist die perfekteste aller Visitenkarten der Arriviertheit. Über Yachten spricht man. Pro forma versuchen Superreiche, die Besitzstruktur einer Yacht zu verschleiern, indessen nur in der Hoffnung, dass der Besitzer entdeckt und in den Medien breitgeschlagen wird. Selbst Schlösser in Frankreich oder Schottland verblassen dagegen, diese werden dann nur noch als Insignien des Mittelstandes wahrgenommen.

Trotz seiner kritischen Haltung gegenüber den grossen Yachten stellte sich Waldmeyer vor, wie es denn so wäre, auf einer coolen Yacht. (Anmerkung der Redaktion: siehe Zeichnung oben, mit Waldmeyer, hinten an der Bar.)

Die verschwundene Yacht von Bill Gates

Nur: Wie kann mal letztlich so töricht sein und sich eine Superyacht leisten, obwohl man selten darauf hockt (weil es dort unendlich langweilig ist) und diese nur Geld verschlingt? Wirklich nur wegen des Statements? Die Geheimnisse um die Yachten häufen sich.

Bill Gates hatte sich, wohl in einem Moment der mentalen Schwäche (als er vergessen hatte, dass er doch immer bescheiden auftreten wollte) eine besonders hübsche Yacht für 650 Millionen bestellt, die «Aqua», 112 Meter lang. Offenbar wollte er die 127-Meter-Megayacht von Jeff Bezos nicht übertreffen, es musste ein anderer Antrieb gewesen sein. A propos Antrieb: Die «Aqua» verfügt über einen Wasserstoff-Antrieb, es ist die erste grosse Yacht mit Hydropower. Allerdings scheint es sich Bill nun doch noch anders überlegt zu haben, und er nimmt sein Schiff gar nicht erst in Betrieb. Es steht zum Verkauf. Niemand weiss, wo das gute Teil versteckt wird und zu welchem Preis es verkauft werden soll. Eine Ausnahme. Aber ein Geheimnis mehr.

Zuckerberg begnügt sich übrigens mit seiner 118 Meter kurzen «Launchpad» (300 Millionen). Aber man sieht ihn selten auf seinem schnittigen Superboot, es liegt wohl an seiner Arbeitsbelastung, denn es gibt noch einiges zu tun im Hause Meta.

Ein Must: die coolen Apps für die Yachtsuche

Waldmeyer blickte kurz in seine zwei Lieblingsapps rein: MarineTraffic und myShipTracking. Grosse Yachten müssen mit einem Transponder versehen sehen, deshalb lassen sie sich kaum verstecken. Ihre Standorte erscheinen dann – weltweit – auf diesen Apps.

Ein paar Russen, denen aus bekanntem Grund die Konfiszierung der Yachten drohte, liessen die Transponder natürlich abschalten und konnten so ihre Kähne verstecken. Allerdings ohne dann den Mehrwert der Aussenwirkung zu geniessen – weil eben versteckt. Womit das Betreiben einer Yacht, mit seinen wichtigen intrinsischen Werten (in diesen bedauerlichen Sonderfällen) in Frage gestellt wird.

Sitzt Abramowitsch jetzt in Montenegro oder Bodrum?

Mit der Frage «Warum besitzt wohl Trump keine Yacht mehr?» versuchte Waldmeyer auf seiner Terrasse über dem See, Charlotte nun endgültig auf eine Diskussionsebene zu hissen. «Der ist doch pleite!», antwortete Charlotte knapp.

«Abramowitsch hockt jetzt in Montenegro», meldete Waldmeyer weiter zu Charlotte rüber und blickte von seinen Apps auf.

«Schatz, das ist nur seine Mega-Yacht, die «Eclips», 850 Millionen Euro. Abramowitsch hat diese Woche einen Gerichtstermin in der Schweiz». Endlich war Charlotte dabei. «Zudem besitzt dieser windige Russe drei weitere grosse Yachten, vergiss zum Beispiel die «Solaris» nicht, 600 Millionen! Die liegt zurzeit in Bodrum. Abramowitsch weiss schon, warum.» Und sie fuhr fort: «Die «Tango» von Veckselberg liegt übrigens auf Mallorca, immer noch beschlagnahmt, Veckselberg ist heute aber bei Sulzer in Winterthur, auf Einladung des VRs.»

Waldmeyer war perplex. «Seit wann interessierst du dich für Yachten, Charlotte?»

«Das ist heute doch Common Knowledge, Max. Ich schau halt manchmal bei Marine Traffic rein! VesselFinder ist auch ganz interessant»

Die Auflösung des Geheimnisses

Waldmeyer ging nun ein Licht auf. Wenn Charlotte, welche sich in der Regel vorab für Tennis interessiert, weiss, wo die grossen Yachten liegen und wem sie gehören, dann ist dieses Yacht-Wissen eigentlich zum Allgemeingut geworden. Allerdings: Vielleicht ist gerade dies das Geheimnis der grossen Yachten? Es gibt nämlich gar keines! Und damit ist das wahre Ziel der Yachtbesitzer erreicht: Sie tun zwar geheimnisvoll, möchten aber immer erreichen, dass man weiss, wem ihre Schlachtschiffe gehören und wo sie gerade rumschippern oder vor Anker liegen. Und vor allem: was sie gekostet haben.

«Nöd gschenkt», meinte Waldmeyer und beendete die lebhafte Diskussion.

Waldmeyer und braucht das Volk nur Brot und Spiele?

Max Waldmeyer macht sich Sorgen um die Entscheidungsfähigkeit des Volkes: Es entscheidet an der Urne nämlich oft so, wie er selbst nicht entscheidet. Also falsch! Vielleicht stinkt es dem Volk einfach, auf komplizierte Vorschläge einzutreten? Oder verschliesst es nur die Augen vor wichtigen Tatsachen? Betrachtet es möglicherweise Entscheidungen als lästig und möchte nur Brot und Spiele…?

Seit Dezennien gehen alle geplanten Revisionen der Pensionskassensysteme bachab. Das Volk ist im Zweifelsfall immer partout dagegen. Natürlich sind Revisionen oft unangenehm. Autokratien und Diktaturen sind da selbstredend im Vorteil.

Überforderung des Volkes? Versagen der Staatsform? Unterlassungen der Beamten und Politiker?

Waldmeyer kann allerdings nachvollziehen, dass man eine Sache ablehnt, wenn etwas nicht klar oder unangenehm ist – ausser, wenn es sich um ein grosszügiges Angebot handelt. Es sei an die Abstimmung betreffend die 13. AHV (die staatliche Schweizer Altersrente) erinnert. Klar, eine gute Geschichte, mehr zu kriegen, auch sehr sozial. Und ein paar Wenige haben das auch wirklich nötig. Wenn man gleichzeitig allerdings die Karten nicht offenlegt, wie die Geschenke finanziert werden sollen, ist das schlichtweg unlauter. Es grenzt nahezu an Staatsversagen. In keiner Firma und in keinem Haushalt würde man etwas anschaffen, ohne zu überlegen, wie das finanziert werden soll. Es scheint offenbar ein Privileg des Volkes zu sein, dass man das darf – und ein Versagen der Staatsform, wenn man das zulässt. Zusätzlich handelt es sich auch um eine schreckliche Unterlassung des Managements des Staates (also Beamte und Politiker) den Entscheidungsträgern keinen reinen Wein einzuschenken.

Alle gegen alles

Ein wunderbares Beispiel dazu lieferte die jüngste Abstimmung über die Pensionskassen-Reform: Geplant war eine Besserstellung der Minderbeschäftigten, eine Besserstellung der Frauen, eine Herabsetzung der Beiträge von älteren Mitarbeitern. Letzteres war ziemlich gescheit, da sich ihre Anstellungschancen so verbessert hätten. Und jetzt der wichtigste Punkt der gescheiterten Reform: Der Umwandlungssatz. Dieser sollte etwas gesenkt werden, weil (leider oder glücklicherweise) die Restlebenszeit der Rentner dauernd steigt. Trotz all der vielen (vor allem sozialen) Verbesserungen wurde die Reform abgelehnt.

Waldmeyer wittert eine Verschwörung

Die Reformpunkte hätten aus der Feder der Gewerkschaften und der Linken stammen können. Aber warum wurden sie trotzdem bekämpft? Weil man noch mehr wollte? Weil man gegen das Älterwerden ist?

Waldmeyer kennt die wahre Antwort: Eine Verbesserung der Pensionskasse lag ganz einfach nicht im Programm dieser Kreise. Diese haben Grösseres vor, nämlich die «Fusion» der AHV mit dem obligatorischen Teil der Pensionskassen. Waldmeyer wittert, wenn nicht eine Verschwörung, so zumindest einen cleveren, längerfristig ausgelegten Schlachtplan: eine weitere «Umverteilung» also. Das bisher privat Angesparte soll verallgemeinert werden. Ja, Individuallösungen sollen abgebaut und an ihre Stelle umfassende gesellschaftliche Gesamtlösungen treten – welche natürlich viel besser in ein letztlich sozialistisches Weltbild passen.

Der Umwandlungssatz: eine Geheimzahl?

Doch zurück zum Umwandlungssatz. Dieser scheint so etwas wie eine Geheimzahl zu sein, weil mathematisch. Und Mathematik ist nicht jedem geläufig. Deshalb hatten es die Bundesräte auch tunlichst unterlassen, sich im Vorfeld der Abstimmung hier genau zu äussern. Nun, Mathematik mag ja nicht jedermanns Stärke sein: Bundesrätin Baume-Schneider als ausgebildete Sozialhelferin mag hier früher ein paar Lektionen verpasst haben. Und Karin Keller-Suter, als ausgebildete Dolmetscherin, hat sich in ihren Lehr- und Wanderjahren wohl auch nicht auf Mathematik fixiert. Dass sich die Gewerkschaften in ihrem Abstimmungskampf nicht am Rande um den Umwandlungssatz gekümmert hatten, war hingegen Taktik. Waldmeyer traut z.B. dem vollmundigen Gewerkschaftsführer und früheren Sekundarlehrer Pierre-Yves Maillard zu, dass er der Mathematik schon ein bisschen Herr ist. Aber sie hätte gestört. Also Neinparole – und möglichst keine Diskussion über diesen ärgerlichen Umwandlungssatz.

Kapital krallen oder sich Rente gönnen?

Allerdings ist die Causa Umwandlungssatz eine ganz simple. Eigentlich handelt es sich um eine Art fortgeschrittener Dreisatz. Und um den jüngeren und noch etwas bildungsferneren Lesern die Sache kurz zu erklären: Man nehme einen angesparten Rentenbetrag bei Alter 65. Du kannst dir dieses Kapital entweder komplett auszahlen lassen (mit einigermassen erträglichen Steuerfolgen), und du kannst dich mit der Kohle sogar nach Thailand absetzen. Die ausbezahlte Summe wird vermutlich reichen, bis an dein Ende am Strand zu hocken. Ganz am Schluss, in der Demenzphase, spielt dann das Geld eh keine Rolle mehr, da dein Leben von aussen bestimmt sein wird. Soweit zu Option 1.

Und vorab: Du kannst in der Regel wählen zwischen Option 1 und Option 2.

Und nun zu Option 2: Anstatt dir das ganze Rentenkapital zu krallen, beziehst du eine lebenslange Pension. Diese Option wählst du, wenn du a) entweder dir selbst nicht zutraust, mit Disziplin über eine stattliche Summe Geld zu verfügen und diese bis am Ende (siehe oben) einzuteilen. Oder b), weil du denkst, du wirst 100 Jahre alt.

Genau hier liegt auch der erste Management-Entscheid: Du musst entscheiden, bzw. schätzen, wie alt du werden wirst. Als Mann hast du in der Schweiz bei Geburt eine Lebenserwartung von 82 Jahren. Wenn du allerdings allerlei Unbill bis zum Alter 65 überlebt hast (Absturz vom Matterhorn, Unfall mit deiner Harley, Suizid etc.), hast du mit Alter 65 eine Lebenserwartung von 84. Also zwei schöne Jahre mehr. Das sind 19-mal Sommer, die du verbringen darfst. Zumindest die Hälfte davon mag noch angenehm sein.

Als Frau sind dir noch 23 Jahre vergönnt, sofern du bis 65 nicht das Zeitlichte gesegnet hast, du wirst 88 werden. Als Frau ist man sozial also absolut privilegiert – was allerdings gerade die SP und Feministinnen nie erwähnen.

Die Geheimzahl 6.8

Aber zurück zum Umwandlungssatz: Die Zahl 6.8 sieht vor, wie man sein persönlich angespartes Rentenkapital auch jährlich beziehen kann. Das geht auch in Thailand, hat bei dieser Kalkulation allerdings keine Bewandtnis. Ein Kapital von einer Million, über Jahre von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf ein persönliches Konto des Arbeitnehmers auf die Seite geschafft, wird auf die statistisch verbleibenden Lebensjahre gerecht verteilt. Eine Million multipliziert mit 6.8% ergibt nun 68’000 pro Jahr. So viel kann man mit der heutigen Regelung als Rente erwarten. Leider wird jeder Versicherungsnehmer im Durchschnitt nun älter, das ist der Statistik geschuldet. Also muss das Rentenkapital auf mehr Restlebensjahre verteilt werden, denn sonst reicht das Kapital nicht. Bei einem Umwandlungssatz von 6% kriegt man dann leider nur noch 60’000 pro Jahr – aber bis am Schluss.

Das Drama nun: Künftig werden wir vermutlich noch älter werden, und wir müssen den Umwandlungssatz dann nochmals senken. Wieso jede Änderung des rein statistisch beeinflussten Umwandlungssatz dem Volk vorgelegt werden muss, entzieht sich der Logik. Man hätte, so überlegte Waldmeyer, dem Volk auch die Bestimmung der Lebenserwartung vorlegen können.

Ich muss meine Restlebenszeit präzise abschätzen

Damit fällt die zweite Management-Entscheidung an. Sofern ich kurz vor 65 erkenne, dass ich das prognostizierte Alter übertreffen werde, könnte ich mich für eine Rente entscheiden. Dann werden einfach die anderen, die früher schon ableben, für mich bezahlen, freiwillig und aus Solidarität – wenn auch oft im Unwissen. Wenn ich andererseits eine nur noch beschränkte Restlebenszeit vor mir sehe (weil ich z.B. starker Raucher bin oder restlos dem Alkohol verfallen), würde ich mit Vorteil die Rentenauszahlung wählen und das Geld dann raschmöglichst verjubeln. Schön ist, dass wir hier i.d.R. eine Entscheidungsfreiheit (Auszahlung oder Rente) geniessen.

Wer also gegen einen wie immer gestalteten Umwandlungssatz ist, könnte das angesparte Kapital einfach beziehen und sich um diese Umwandlungssätze foutieren.

Waldmeyer sieht genau fünf mögliche Lösungen

Aus politischer Sicht kommen wir nicht darum herum, den Gegnern von Reformen folgende Lösungen vorzuschlagen, um die Kuh vom Eis zu bringen:

  • Wir könnten dagegen sein, älter zu werden. Die Umsetzung wird sich allerdings etwas schwierig gestalten.
  • Man könnte bereit sein, für die statistisch neuen, zusätzlich erworbenen Lebensjahre (also z.B. für die letzten zwei Jahre) auf eine Rente zu verzichten.
  • Wir könnten die Beitragszahlungen in die Pensionskassen erhöhen.
  • Wir könnten das Pensionsalter erhöhen.
  • Wir könnten die Renten kürzen.

Allerdings kennen wir die Antwort unserer Gegner schon: Sie sind gegen alle fünf Lösungsansätze. Sie würden eher Lösung 6) wählen: Der Staat müsste einfach mehr Geld einschiessen!

Die Überforderung ist mit Händen zu greifen

Vielleicht ist das Volk schlichtweg überfordert bei diesen schwierigen Fragen? Oder liegt es vielleicht am mangelnden Mathematikverständnis? Oder am puren Desinteresse an Details, sodass man den lautesten Protagonisten auf den Leim kriecht? Oder möchte man einfach nichts ändern, weil bisher doch alles gut lief? Waldmeyer wagt, ganz vorsichtig, eine These: Möchte das Volk vielleicht nur Brot und Spiele? Soll es sich gar nicht um komplizierte Entscheide kümmern müssen? Die Überforderung ist nämlich mit Händen zu greifen.

Waldmeyer weiss nun: Er wird sein eigenes Pensionskapital einmal beziehen. Alles auf einmal. Take the money and run. So kann er getrost auf die ganze Rentenübung verzichten. Dabei möchte er nicht mal nach Thailand.

Waldmeyer und die teutonische Kernschmelze

Oder: Der kranke Mann in Europa

Deutschland scheint sich nicht nur zu deindustrialisieren, sondern gleichsam abzuschaffen. Das ist schade – zumal wir in der Schweiz auf einen starken wirtschaftlichen Nachbarn angewiesen sind. Ein Interview mit Max Waldmeyer bringt Licht in die Sache.

Das folgende Interview von Rebecca Carpenter mit Max Waldmeyer wurde diese Woche aufgezeichnet. Waldmeyer, Ex-Unternehmer und Kolumnist, bezeichnet sich lediglich als kritischer Beobachter von Wirtschaft und Gesellschaft. Eines seiner Lieblingsthemen ist die «Verscholzung Deutschlands». Vorab gleich eine Warnung: Das Interview wird unüblich lang werden – aber es wird sich lohnen, bis zum Ende durchzuhalten!

Rebecca Carpenter (RC): Max Waldmeyer, gingen Sie nicht etwas zu weit, als Sie die aktuelle Lage in Deutschland kürzlich als «teutonische Kernschmelze» bezeichneten?

Max Waldmeyer (Wm): Ich gebe zu, das war etwas plakativ. Ich fand im entscheidenden Moment eben kein anderes Bildnis. Aber ich stehe dazu: Deutschland, so wie sich das Land noch vor ein paar Jahrzehnten präsentierte, gibt es nicht mehr. Es schafft sich laufend ab. Es geht um einen Werteverfall, um den Verlust von Leistungsbereitschaft, um Weltfremde, um eine eskalierende Bürokratie, einen ausufernden Sozialstaat, eine aus dem Ruder gelaufene Immigration und eine invasive und gefährlich wuchernde Staatsgläubigkeit.

RC: Auch in der Schweiz beobachten wir diese Tendenzen.

Wm: Stimmt. Aber wir sind nicht der kranke Mann in Europa. Im Moment ist es eindeutig Deutschland. Im schlechtesten Fall begehen wir in unserem Land die gleichen Fehler einfach 10 oder 15 Jahre später. Wir segeln eh immer im Windschatten unseres Nachbarn, vor allem wirtschaftlich. Im besten Fall lernen wir jeweils aus den Fehlern der andern und geben Gegensteuer. Im realistischen Fall bleiben wir auf dem halben Weg stecken. Zumindest haben wir in unserem Land begriffen: Das Leben ist kein Ponyhof, bei uns herrscht keine Vollkaskomentalität. Die Anzeichen eines Nannystaates sind zwar auch bei uns auszumachen, aber nie in diesem deutschen Ausmass.

RC: Deutschland wurde natürlich zusätzlich bestraft, weil eine eh schon problematische Regierungskoalition nun auch noch mit dem Problem Ukraine gebeutelt wird. Die sind da ja viel näher dran als wir.

Wm: Gerade das Beispiel mit dem Ukraine-Management zeigt, wie überfordert die Regierung ist. Erstens hatte das Land während Dezennien aufs falsche Pferd gesetzt und sich abhängig gemacht (Anmerkung der Redaktion: abhängig vom russischen Gas). Zweitens erliegt sie einer fatalen Verkennung der geopolitischen Lage: Der Ex-Sowjetunion geht es doch gar nicht um die Ukraine, die Putin-Nomenklatur hat Grösseres vor. Das scheint bei der pazifistisch verbrämten SPD noch nicht angekommen zu sein. Drittens hat die Zögerlichkeit Deutschlands (und letztlich auch des Westens) zu einer Eskalation der Kriegswirren geführt. Hätten die Deutschen in den ersten Tag nach dem russischen Einmarsch der Ukraine nicht nur Helme geschickt, sondern auch schweres Geschütz, hätte man der Invasion sofort Paroli bieten können. Die lächerlichen Konvois veralteter russischer Fahrzeuge sind uns in Erinnerung. Mit ein paar Leopard-Panzern hätte man sie gestoppt und mit der geeigneten Luftabwehr die alten Mig-Jäger runtergeholt. Die zwei Jahre später gelieferten Panzer laufen nun auf den perfekt verminten russischen Stellungen auf, und Russland konnte mit seiner inzwischen auf Kriegswirtschaft getrimmten Industrie rasch aufrüsten und allerlei Waffen und Munition bereitstellen. Wie sagte doch schon Gorbatschow: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.» Nun kommt das Kriegs-Schlamassel dem ganzen Westen nur noch teurer zu stehen. Leider scheint die deutsche Regierung nicht lernfähig zu sein. Auch versteht sie es nicht, ihre jämmerliche Armee auf Vordermann zu trimmen. Deutschland bedient heute ein Anti-Abschreckungs-Heer.

RC: Tatsächlich, die Zögerlichkeit in der vom Kanzler geführten Regierung entgeht auch uns objektiven Journalisten nicht.

Wm: Ja, deshalb der Begriff der «Verscholzung». Das zu späte Entscheiden – oder das Nicht-Entscheiden – ist ein integraler Bestandteil der deutschen Regierungspolitik.

RC: Manchmal geht es aber schneller. So, wenn es ums Klima geht. 2035 steht das Verbrenner-Aus an.

Wm: Es wird nicht mehr lange dauern, und dieses Datum wird kippen. Die benötigte Elektrizität für die ganze Umstellung in Sachen Energie und Verkehr kann schlichtweg nicht zur Verfügung gestellt werden. Auch nicht, wenn die dreckigen Braunkohlekraftwerke alle mit Volldampf laufen. Die Fahrzeugindustrie wird aber während Jahren so auf das falsche Pferd gesetzt haben, den Technologiezug verpasst und Marktanteile auf dem Weltmarkt verloren haben. So läuft staatlich gelenkte Deindustrialisierung.

RC: Firmen wandern offenbar vermehrt aus Deutschland ab.

Wm: Firmen fällen keine politischen Entscheide, sondern faktenbasierte. Wenn es sich nicht mehr lohnt, in Deutschland zu produzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben, haben die Manager dieser Unternehmen die Pflicht, nach Alternativen auszuschauen. Wenn Steuern, Lohnstückkosten, vor allem die Lohnnebenkosten, Energiepreise und behördliche Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, geht man. BASF verlegt einen Teil ihrer Produktion nun nach China, Kärcher verreist nach Lettland, Stihl kommt mit ihren weltbesten Kettensägen in die Schweiz. Welcome to Switzerland.

RC: Zurück zur Zögerlichkeit: Auch in Sachen Heizungsumstellung beispielsweise wurde Tempo gemacht!

Wm: Ja, ein herrliches Beispiel von weltfremdem Mikro-Management. Da wurde ohne Plan etwas beschlossen. Wärmepumpen brauchen extrem viel Strom-Input. Im Winter laufen sie nur mit geringer Effizienz, vorab eben mit elektrischer Zugabe. Aber woher dann den Strom nehmen und nicht stehlen? Fakt ist: Es wird künftig einfach nicht genügend Elektrizität geben. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, gibt es keinen Strom. Atomkraft gibt es auch keine mehr, fossile Kraftwerke zu wenige. Wasserkraftwerke kaum, denn Deutschland ist leider ziemlich flach. Da wurde das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Schon heute wird im Winter und in der Nacht Strom aus den dreckigsten aller Kraftwerke aus Polen importiert. Dort wird übrigens auch ein Grossteil aller Wärmepumpen gebaut. Das scheint ein weiterer Teil des Deindustrialisierungsplanes zu sein.

RC: Nun gut, aber wie hätte denn ein guter Energie-Plan ausgesehen…?

Wm: Natürlich hätte man den künftigen Energie- bzw. Strombedarf der nächsten Jahre erst mal überschlagen sollen, die Produktion dann absichern, dann den Wechsel der Verbrauchergenerationen planen sollen – also bei den Heizungen, den Fahrzeugen, beim Industriebedarf. Die Osterhasen-Aktion der Migros beginnt ja auch nicht mit dem Verkauf, sondern mit der Produktion der Hasen, basierend auf einer Verkaufsprognose. Das sollte sogar einem Jugendbuchautor einleuchten (Anm. der Redaktion: Damit ist Robert Habeck gemeint, heute Wirtschafts- und Klimaschutzminister).

RC: Sprechen wir noch über die Infrastruktur generell! Da hat Deutschland grosse Pläne für einen Ausbau.

Wm: Ja, das ist das Tüpfchen auf dem i: Die Pläne gibt es nämlich schon seit langem. Anstatt genderfreundliche, diverse Toiletten einzurichten, hätte man das Geld vielleicht für die Verbesserung der alten Dämme verwenden können. Trotz der massiven Staatseinnahmen gibt es auch immer noch marode Brücken oder eine peinlich unzuverlässige Bahn. Die Stromtrassen für den Transport der Elektrizität vom Norden, von den grossen Windparks in den Süden runter, sind immer noch nicht gebaut. Zudem ist Deutschland nach wie vor eine digitale Wüste. Und die «neuen» Bundesländer sehen auch nach 35 Jahren immer noch alt aus.

RC: Nun, die Ostdeutschen hatten ja einen schwierigen Start 1989.

Wm: Die baltischen Staaten hatten etwa zur gleichen Zeit die gleichen Voraussetzungen. Die Balten hatten nicht mal Geld, die ostdeutschen Bundesländer aber schon, die wurden geradezu überschüttet mit Investitionen. Heute leben Esten, Letten und Litauer in leidlich blühenden, modernen und vorbildlich digitalisierten Ländern, die weiter nach Aufbruch lechzen. Da ist was schief gelaufen in Deutschland. Ein Lichtblick besteht zumindest darin, dass in Ostdeutschland heute nur noch gut 12 Millionen Menschen leben. Zur Gründungszeit der DDR waren es fast 19 Millionen. Vielleicht löst sich das Problem ganz einfach durch eine komplette Abwanderung…?

RC: Wie kann man die Misere lösen?

Wm (studiert lange): Ich glaube, es braucht wieder einen Marshall-Plan.

RC: Den wird es kaum geben.

Wm: Stimmt. Aber es braucht dringend einen Regierungswechsel. Wobei ich mich frage, ob die bestehende Opposition, rund um die CDU/CSU, das Ruder wirklich herumreissen kann. Sie verpasst es laufend, die wichtigen Themen zu bewirtschaften und überlässt das Spielfeld so dem ganz linken und dem ganz rechten Spektrum. Sie merkelt weiter vor sich hin.

RC: Die Sache ist also ziemlich verfahren.

Wm: Ich würde es, von aussen betrachtet, so formulieren: Germany is in deep shit. Das Runterfahren des Erfolgsmodells Deutschland hat gut 20 Jahre gedauert. Rauffahren braucht länger. Denn inzwischen wurde ein Grossteil der marktwirtschaftlichen Strukturen zerstört. Die Reparatur wird meine Restlebenszeit vermutlich überdauern.

RC: Das klingt pessimistisch. Vielleicht kommt eine junge Generation, die wieder vorwärtsgerichtet denkt?

Wm: Nun, vorerst wohl nicht. Auch junge Deutsche wurden vom Staat nun über Dezennien erzogen, dass es in Ordnung ist, wenn man etwas in der sozialen Hängematte liegenbleibt. Die Leistungsbereitschaft hat sich damit drastisch reduziert, die Generation Z hat andere Ziele. Die jungen Leute wollen am liebsten nur eine Vier-Tage-Woche – aber bei gleichem Lohn, wohlverstanden. Die jungen Grünen fabulieren auch schon mal von einer 20-Stunden-Woche. Diese Ambitionslosigkeit gegenüber der Arbeit ist allerdings ein Phänomen, das wir in ganz Westeuropa beobachten können; in Deutschland wiegt diese Konstellation in einer Spirale des Niedergangs natürlich besonders schwer.

RC: Wieso liebt denn diese Generation nicht ihren Staat? Er tut ja alles für sie.

Wm: Das tut er eben nur vordergründig. Er hat den Leuten zumindest den Leistungsdruck genommen. Er lenkt auch mal gerne ein, so wenn die Bähnler wieder streiken; sie kriegen dann die 35-Stunden-Woche und halten wieder für ein paar Monate still.

Aber der Staat bleibt das Feindbild für viele. Für die meisten sind auch Unternehmer Teil des Feinbildes, Arbeitgeber so oder so. In Deutschland arbeiten 80% nicht gern. In der Schweiz ist es umgekehrt: 80% arbeiten gerne. Das erleichtert natürlich die Staatsführung erheblich bei uns.

Dass der Staat in Deutschland nicht beliebt ist, liegt auf der Hand. Deutschland verzeichnet insgesamt die höchsten Steuern Europas, die Maximalprogression setzt schon bei rund 60’000 Euro Einkommen ein. Die Erbschaftssteuer ist hoch, die Weitergabe eines KMU an Nachkommen ist fast unmöglich. Und die Firmensteuern liegen auf einem nicht wettbewerbsfähigen Niveau.

RC: Immerhin stellt der Staat ja ordentliche Leistungen zur Verfügung.

Wm: Verglichen mit der Schweiz beispielsweise sind die Leistungen bescheiden. Die Renten sind mager, es gibt viele Streiks, die Zuverlässigkeit der Bahn, wie schon erwähnt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie zuverlässig unzuverlässig ist, Roll- und Schienenmaterial sind hoffnungslos veraltet. Aber wie soll man denn ein Verkehrsunternehmen mit 760 Unterfirmen auch führen…?

Das schlechteste Mobilfunknetz Europas liegt übrigens genau hier, in diesem Land.

Das viele Steuergeld kommt offenbar kaum unten im Volk an. Das Geld sublimiert sich quasi im System. Viele Gebühren und Kosten sind einkommensabhängig, das betrifft nicht nur die Krankenkassen, das geht bis zu den Kosten bei einer Scheidung.

Dazu kommt, dass eine breite Schicht miserabel verdient, das reicht kaum für Rücklagen. Eine Kassiererin verdient in Deutschland kaum mehr als 2‘500 Euro. Kein Wunder, sind auch die Renten dann medioker. Und die alten Leute frieren zum Teil immer noch in billigen Plattenbauten, weil sie das Geld für die Gasrechnung nicht aufbringen können. Ein Jammer.

RC: Da fragt man sich tatsächlich, wohin das viele eingenommene Geld verschwindet.

Wm: Nun, es gilt eben, einen riesigen Staats- und Beamtenapparat zu unterhalten. Leider produziert der nichts. Dafür hat jeder Gewerkschaftsführer oder Abgeordneter einen ganzen Stab von Mitarbeitern und eine schöne schwarze Limousine mit Chauffeur zur Verfügung. Auch die Ausserdienst gestellten Staatsangestellten werden fürstlich gehalten. Mutti Merkel verfügt über ein Büro mit 9 Angestellten, 2 Bodygards und 2 Chauffeuren. Vielleicht werden wir einmal erfahren, was die denn alle so tun. Zusammenfassend: Der deutsche Staatsapparat ist äusserst ineffizient, reagiert langsam und wenn, dann eben oft falsch. Der Sozialstaat wuchert fleissig vor sich hin, kostet viel, bewirkt aber nicht viel. Über die Hälfte des Bundeshaushaltes werden übrigens für die Sozialkosten aufgewendet. Tendenz steigend.

RC: Ein Problem zumindest scheint ähnlich zu liegen wie bei uns: Es gibt zu wenig Wohnraum.

Wm: Ich hatte gehofft, dass Sie das Thema nicht anschneiden. Es ist wirklich peinlich. Da wurde für das erste Regierungsjahr der Ampel noch der Bau von offenbar notwendigen 400’000 Sozialwohnungen angekündigt. Gebaut wurden dann 25’000. Das Problem mangelnder Wohnraum hat aber tatsächlich ähnliche Ursachen wie bei uns in der Schweiz: Bauen ist zusehends unattraktiv geworden, ist kompliziert, und es gibt viel zu viele Auflagen, die das Bauen verteuern. Zumindest hätte Deutschland etwas mehr Fläche zur Verfügung als wir. Aber die deutschen Hürden sind eben nochmals höher als bei uns, eine Baueingabe treibt zum Teil kafkaeske Blüten, da werden schon mal Baupläne wieder zurückgeschickt, weil sie «falsch gefaltet» wurden. Und wenn Enteignungen drohen (wie in Berlin), verabschieden sich eben die Investoren. Dann wird noch weniger gebaut, die Wohnungsnot wird noch grösser, ein Eigentumserwerb für junge Leute noch unerschwinglicher. Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass einfach nicht genügend Angebot für die Nachfrage bereitgestellt wird.

RC: Ist das Problem nun einfach systemimmanent – oder besteht es, weil «der Fisch vom Kopf stinkt»?

Wm: Eine rhetorische Frage. Es ist beides. Das System ist schon mal per se krank. Im Vergleich zu einer Schwarmintelligenz handelt es sich hier offenbar um suizidal orientierte Schwarmdummheit. Allein kann sich das System nicht retten, es wird sich dem wirtschaftlichen Tod entgegenschleppen. Also braucht es kluge Köpfe, die das System entrümpeln müssen, tatkräftige Minister und einen durchsetzungsstarken Kanzler.

Leider ist die aktuelle Regierung wohl die am schwächsten aufgestellte der Nachkriegszeit. Und sie verscholzt zusehends. Es begann schon bei der Zusammenstellung der Truppe. Der designierte Kanzler, die Inkarnation einer farblosen und schwachen Führungsgestalt, ernannte so etwas wie ein Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen. Viele hatten kaum Führungserfahrung, auch keine Fachkompetenz. Es sei an die unsägliche Christine Lambrecht erinnert, die erste Verteidigungsministerin, welche durch ihre schlagende Inkompetenz glänzte. Die Familienministerin Lisa Paus scheint nicht nur sehr farblos zu sein, sondern auch völlig überfordert. Die Wohnbauministerin, Klara Geywitz, scheint von einem anderen Stern zu stammen. Und der Wirtschaftsminister ist ein leidlich sympathischer Kerl, versteht aber wirklich nichts von Wirtschaft.

Natürlich kann man so keinen Staat führen. Die Leute entstammen offenbar einer ganz anderen Denkschule. Insgesamt hat die Regierung so den wirtschaftspolitischen Kompass verloren. Aber ohne den gibt es keinen nachhaltigen Wohlstand und Wohlfahrt. Vor allem nicht mit einem Chef-Zauderer an der Spitze. Ich denke, sein Rücktritt wäre eine Erleichterung für ganz Europa.

RC: Mensch, Waldmeyer, wir brauchen Lösungen. Nur Lamentieren bringt uns nicht weiter! Was würden Sie den Deutschen raten?

Wm: Kein vernünftiger Mensch sollte mehr in Deutschland investieren. Bei der Wettbewerbsfähigkeit ist Germanien nun binnen zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 24 abgesackt. Deshalb habe ich eine klare Message an alle tüchtigen deutschen Arbeitnehmer und Unternehmer: Kommt in die Schweiz! Wir brauchen Fachkräfte, wir heissen rührige Unternehmer willkommen! Natürlich interessiert uns nicht der Low-Tech-Bereich. Es ist in Ordnung, wenn dieser nach Polen abwandert – so wie jetzt die Produktion von Miele. Wir möchten gerne intelligente und innovative Leute bei uns! Ein besonderes Herz hatten wir auch immer schon für vermögende und gut verdienende Personen, die einer Steuerhölle entfliehen wollen. Bei uns zahlen sie dann immer noch anständig Steuern – aber eben nicht unanständig. Das Steuersubstrat können wir brauchen. Auch bei uns gibt es noch ein paar Baustellen.

RC: Da werden aber nicht alle Freude haben. Die SVP möchte nicht noch mehr Ausländer.

Wm: Natürlich bemühen wir uns nicht um die deutschen Sozialhilfeempfänger, sondern nur um die Besten! Für diese wird es immer einen Platz geben in der Schweiz. Leute, die dieser teutonischen Kernschmelze entfliehen wollen, haben ein Recht auf Hilfe. Vielleicht wäre eine neue Interpretation des Asylwesens angesagt: ein Asyl für «gehobene nachbarschaftliche Wirtschaftsflüchtlinge». Ich ringe noch nach einem prägnanten Begriff.

RC: Der wird Ihnen schon noch einfallen. Danke für das Interview, Max Waldmeyer!

Waldmeyer und die Glossen-Konkurrenz

Oder: Der Nachtzug nach Lissabon

Die Vorstösse im Zürcher Stadtparlament sieht Waldmeyer jeweils als Konkurrenz zu seinen Glossen. Sie sind dermassen weltfremd und absurd (und in diesem Sinne schweizweit wegweisend), dass sie an sich schon eine Glosse darstellen. Wie soll denn Waldmeyer dies noch toppen?

Die Realität Zürichs in einem kafkaesken Raum

Immer wieder Zürich. Aber Waldmeyer findet, dass man sehr genau auf Zürich schauen sollte. Von Biel, Chur, Lugano oder St. Gallen aus. Denn dann weiss man, was einem auch in anderen Landstrichen der Schweiz demnächst erwarten wird. Ja, Zürich scheint wohl nur die Speerspitze eines politischen Wandels zu sein. Der Zürcher Stadtrat verblüfft nämlich immer wieder mit absurden Vorschlägen. Meist handelt es sich um verquere Ideen rund um das Thema Gendern, Verkehr, Klima, Wohnen oder Umverteilung. Zürich ist Vorreiter. Man kann allerdings auch nach Berlin oder in Richtung anderer Grossstädte im Ausland blicken. Dann weiss man, was einem demnächst auch in der helvetischen Provinz zu blühen droht. Was dabei immer mitschwingt, ist eine verblüffende Weltfremde.

Glossen basieren bekanntlich auf der Überzeichnung einer Geschichte oder eines Zustandes, Glossen haben deshalb sarkastische oder ironische Noten. Und hier liegt gerade das Problem: Wenn die tatsächliche Geschichte sich bereits in einem kafkaesken Raum befindet, wird es schwierig, dies noch zu überzeichnen. Deshalb die Feststellung Waldmeyers, dass es zusehends komplexer wird, eine ironische Geschichte zu formulieren, wenn die Realität bereits zur Groteske verkommen ist.

Der Nachtzug nach Lissabon

Der Titel des bekannten Romans «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier erhält nun eine ganz neue Bedeutung. Und damit nun wieder zu Zürich – aber alles der Reihe nach.

Natürlich waren sich die Erfinder dieses genialen politischen Vorstosses im Zürcher Stadtparlament nicht wirklich bewusst, wohin ihre Ideen tatsächlich führen könnten. Wie gesagt, obwohl sie diesen Plan allen Ernstes und fundiert vorbereitet hatten. Es ging einmal mehr um eine Weltverbesserung. Man könnte auch nachsichtig sein mit solchen Volksvertretern: Sie meinen es ja nur gut. Sie meinen es auch überhaupt nicht lustig, in diesem Sinne also nicht glossenhaft.

Nun zu diesem politischen Vorstoss: Die Zürcher fliegen zu viel, und Fliegen ist nicht gut. Man sollte mehr Zug fahren. Also wäre es logisch, so die Zürcher Grünen, wenn das Bahnfahren auch über längere Distanzen gefördert wird. Zum Beispiel gerade nach Lissabon. Deshalb der brillante Vorstoss, dass die Stadt einfach mal drei Nachtzugskompositionen selbst kaufen sollte. Damit lässt sich bequem durch ganz Europa gondeln.

Die Grünen wissen genau, wie es geht

Ja, und günstig sollte das Reisen dann auch sein, so die Forderung der Stadtparlamentarier. Der Staat soll also Reiseveranstalter werden, aber bitte zum Discountpreis. Die Grünen schlugen auch gleich noch vor, dass die Österreichischen Bahnen als Betreiber bestimmt werden sollten. Das war ein kluger Vorschlag, denn es wäre unserer SBB selbstredend nicht zuzumuten, dass die vorprogrammierten Defizite dann bei ihr anfallen sollten. Die Deutsche Bahn kam auch nicht in Frage, denn deren Lokführer streiken regelmässig und deren Zuverlässigkeit besteht darin, dass sie mit Sicherheit immer unzuverlässig ist. Das geht nicht, denn Lissabon sollte man mit der Bahn möglichst noch in der zweiten Nacht erreichen und nicht irgendwann zur Tageszeit. Dass Nachtzüge kostenmässig überhaupt nicht wettbewerbsfähig sind, sondern vermutlich nur für Passagiere mit Flugangst oder mit Fahrrädern erfunden wurden, stört die Grünen nicht.

Waldmeyer versucht zu eskalieren

Waldmeyer versuchte trotzdem, die Causa Nachtzug noch eskalieren zu lassen und eine griffige Geschichte daraus zu schmieden Wie wäre es also, wenn die Stadt Zürich nun auch noch hochseetaugliche Segelboote anschaffen würde? Greta Thunberg reist ja zuweilen auch mit einem Segelboot und kann so elegant auf einen Flug verzichten. Oder wie wäre es mit autobahntauglichen Lastenrädern? Gratis-Segways für die Altersheime? Einer Zwangsausrüstung mit Inline-Skates für ausländischen Touristen (damit sie sich nicht ins Taxi setzen müssen)? Ein staatlicher Gratis-Service für E-Bikes? Die 100-prozentige steuerliche Absetzungsmöglichkeit eines Teslas – für jeden?

Oder wie wäre es mit einem unlimitierten Abo für alle Zürcher für den Nahverkehr, welches nur einen Franken pro Tag kostet? Doch nein, dieses Postulat der SP gibt es schon! Und damit schon wieder ein Glossenthema, das besetzt ist. Also besser einen 10’000-Franken-Zuschuss für jeden Bürger, der im Homeoffice bleibt und sich so gar nicht nach draussen wagen muss?

Eine Flut von grotesken politischen Vorschlägen

Die gleichen Politiker hatten sich schon mit ähnlich komischen Vorschlägen profiliert. So sollte der darbenden Zürcher Bevölkerung mit Gratis-Tampons und -Binden unter die Arme gegriffen werden – und zwar nicht der weiblichen Bevölkerung, sondern, gendermässig korrekt formuliert, den betroffenen «menstruierenden Personen». Den Kindergärtlern soll eine diverse Toilette zur Verfügung stehen, denn die Unterteilung in Weiblein und Männlein könnte diskriminierend sein – wohl im Unwissen darum, dass den fünf- und sechsjährigen Bengeln es wohl sch…egal ist, auf welchen Topf sie hocken sollen. Mutter- und Vaterschaftsurlaub soll künftig schon nur im Hinblick auf eine Schwangerschaft gewährt werden. Sozialwohnungen sollen künftig auch Bessersituierten zur Verfügung stehen. Auf digitale Werbung soll im öffentlichen Raum künftig verzichtet werden (Verlust bei den Zürcher Verkehrsbetrieben allein rund 20 Millionen pro Jahr). Begründung: Solche Werbeträger seien «aufmerksamkeitspsychologisch zu invasiv». Und so weiter. Nun, ist das alles lustig oder traurig?

Die Realpolitik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden

Waldmeyer hätte noch weitere eigene Eskalierungs-Vorschläge. Aber sie sind alle gar nicht mehr so lustig. Echt lustig ist nämlich die Realsatire – und die findet jetzt gerade mitten in der Schweiz und in der grössten Stadt statt. Ergo erhält Waldmeyer nun diese Konkurrenz. Er erkennt: Die profane Gegenwart scheint ihn einzuholen. Waldmeyer macht mit seinen Glossen trotzdem weiter. Allerdings muss er sich notgedrungen wohl auf andere Themenfelder konzentrieren. Denn die Zürcher Politik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden.

Waldmeyer und überall ist China drin

Seit Jahren dominiert China die Massenproduktion von technologisch relevanten Gütern. Der Westen versucht dies auszubremsen, zumal gleichzeitig Spionageverdacht besteht. Waldmeyer überlegt: Vielleicht wird auch er ausspioniert?

Die USA wollen eindämmen

Insbesondere die USA versuchen die Importflut aus China einzudämmen und die Produktion wichtiger Industrien zurückzuholen. Es gelingt ihnen aber nicht, einen vergleichbaren Aufbau an breiter technologischer Entwicklung hinzukriegen. Es geht um die Chip-Produktion, um intelligente Industriegüter, Elektroautos, Batterien, Solarpanels und vieles mehr. Aber letztlich auch um digitalbasierte Konsumgüter.

Rund 40 neue Fahrzeughersteller zählt China inzwischen. Das Land gibt sich «technologieoffen» – das heisst, dass verschiedene Antriebsarten forciert werden. Dabei verfügt China heute insbesondere bei den elektrischen Fahrzeugen über einen respektablen Vorsprung. Die USA belegen nun Elektrofahrzeuge aus China mit einem Strafzoll von sage und schreibe 100 Prozent. Der Vorwurf des „Dumpings“ wird erhoben, dieser gilt indessen als umstritten. Vielleicht ist China einfach besser?

Auch gegen TikTok versuchen die Staaten vorzugehen, ebenso gegen Onlineanbieter, welche immer erfolgreicher werden.

Auch die EU blockt ab

Unsere EU-Kinderärztin, Frau von der Leyen, implementiert für China ebenso Strafzölle, da China Europa mit «Dumpingpreisen schade». Bei den Elektrofahrzeugen hat die EU bereits nachgezogen und rund 30% Strafzoll verfügt – alles nur zum Schutz der heimischen Industrie. Dieser Industrie wurde schon vor einigen Jahren, von deutschen Staatsgnaden und zwangsweise, eine Technologiewende verabreicht: nur noch elektrisch war angesagt. Kein Wunder, hat die deutsche Industrie so die konventionelle Technologieentwicklung verpasst. Kommt hinzu, dass Elektroautos nun mal keine Seele mehr haben: Die unterscheidenden emotionalen Merkmale von Motor und Getriebe entfallen. Elektrofahrzeuge haben nur noch eine neutrale, mehr oder weniger gemeinsame DNA, weshalb man künftig irgendeine Karre kaufen könnte. Ein wichtiger Teil der Marke ist weg. Ja, so schafft man sich schleichend ab. Kein Wunder, sind nun in der Not protektionistische Lösungen angesagt.

Soll Waldmeyer einen chinesischen BYD kaufen?

Waldmeyer schaute sich die chinesischen Autoprospekte an, so von BYD, der zurzeit wohl erfolgreichsten chinesischen Automarke. Die Emil Frey-Gruppe hat sich bereits den Import für die Schweiz gesichert. BYD ist die Abkürzung für «Build Your Dream». Schon in den 60er Jahren hatte Emil Frey die Nase vorn, als es um den Import von Toyota ging. Damals hatten noch alle die Nase gerümpft. Einen Japaner fahren…? Nur wenige Jahre zuvor schlichen sich Waldmeyers Eltern noch verstohlen in die Migros – das war, zu jener Zeit, ebenso wenig opportun, wie eine «Reisschüssel» zu fahren. Und jetzt also die chinesischen Autos? Das passt gar nicht ins Bild des SVP-Parteigängers Walter Frey, wehrt sich die SVP doch gegen alles «Ausländische». Aber Walter Frey hat recht: Die Chinesen werden den Markt eh erobern, also sollte man lieber dabei sein. If you can’t beat them, join them.

Man kann die Importe nicht aufhalten

Tatsache ist: Wir werden die Importe nicht aufhalten können. China ist in vielen Belangen einfach wettbewerbsfähiger. Ein Blick in freie Märkte (so z.B. in die Golfstaaten) spricht Bände: Das Strassenbild dort ist heute nicht wiederzuerkennen. Eine Unzahl an neuen, unbekannten Gefährten säumt die Strasse, mit gutem Design, oft elektrisch betrieben. Sie stammen alle aus China. Und sie sind unglaublich günstig, weshalb sie erst recht gekauft werden.

Protektionismus ist die schlimmste Reaktion auf eine erfolgreiche Konkurrenz. Die Geschichte zeigt, dass man damit in der Regel technologisch nur noch stärker zurückgeworfen wird. Es sei an die Episode erinnert, als am Ende des 19. Jahrhunderts Grossbritannien die erfolgreichen deutschen Produkte abzustrafen versuchte, indem sie per Gesetz mit einem Label «Made in Germany» versehen werden mussten. Leider erwies sich diese Strafbezeichnung als ein hervorragendes Marketinginstrument, denn alsbald begriffen die Briten, dass die solchermassen bezeichneten Produkte einfach besser waren – und kauften „Made in Germany“ umso mehr.

Und überall ist China drin

«Die Chinesen sind eh schon hier», meinte Charlotte zu Waldmeyer. «Dein Handy wurde in China produziert, die Musikanlage auch, die Überwachungskameras ebenso. Auch der Toaster, der Föhn, der Kühlschrank. Und wohl die Hälfte deines Porsches.»

Stimmt. Auf dem Foodcenter in Waldmeyers Küche steht zwar «Bosch», auf dem Backofen «Siemens». Deutsche Wertarbeit? Ein Blick auf die Rückseite der Geräte deckt sofort die Wahrheit auf: In der Regel kommen diese Geräte aus China.

Damit kann sich Waldmeyer allenfalls abfinden. Was ihn indessen immer wieder beunruhigt, ist der Verdacht, dass China mittels dieser Technologien Spionage betreibt. Deshalb verbieten die USA und andere westliche Länder beispielsweise Huawei, ein Leader in der Kommunikationstechnologie.

Wird Waldmeyer ausspioniert?

Waldmeyer lag im Bett und gönnte sich etwas anspruchsvolle Literatur vor dem Einschlafen. So studierte er nochmals diese BYD-Prospekte. Wie wird das wohl mit diesen Autos sein? Wird der grosse gelbe Mann, Xi Jinping, künftig wissen, wann und wie schnell Waldmeyer seinen BYD in Meisterschwanden in den Coop runterfährt? Beunruhigend. Er legte den Prospekt auf die Seite und versuchte, einzuschlafen.

Plötzlich tönte ein Signal aus der Küche. Waldmeyer erhob sich von seinem Lager und stand vor dem Bosch-Kühlschrank. Dieser begann plötzlich zu sprechen, auf Englisch, aber mit einem unverkennbaren chinesischen Akzent: «Waldmeyel, tomollow you have to buy milk!» Waldmeyer erschrak. Also hatte Charlotte doch recht: Sie sind schon hier!!! Waldmeyer zog kurzerhand den Stecker dieses Spionagegerätes und schlief alsbald den Schlaf des Gerechten.

Dass sich am nächsten Morgen Charlotte beklagte, dass der Kühlschrank mitsamt dem Gefrierteil in einer Pfütze stand, war nachvollziehbar. «Ich kann dir alles erklären, Charlotte», gestand Waldmeyer, «aber das Gerät hat in der Nacht plötzlich mit mir gesprochen!»

Charlotte antwortete, nun doch etwas besorgt: «Klar, Max, und mich hat gestern Nacht der Papst angerufen».

Waldmeyer verarbeitet den European Song Contest

Waldmeyer nahm sich vor, den ESC anzuschauen. Einfach so, aus Neugierde. Auch, weil er diesen Nemo nicht verstand. Aber es lohnte sich, denn nun kam er in den Genuss einer wichtigen Erkenntnis!

Um es gleich vorwegzunehmen: Mit Singen hatte der Event, in den Augen Waldmeyers, ziemlich wenig zu tun. Schon nach wenigen dieser obskuren Darbietungen schlief er deshalb ein.

Charlotte meinte: „Du hast die Finnen verpasst!“

Verblüffend schlechte Songs

Also schaute Waldmeyer die Finnen nach. Sein Fazit: Waldmeyer rät allen, die Finnen unbedingt anzuschauen! Der Leadsänger, der zudem gar nicht singen kann, ist nur mit einem dünnen T-Shirt bekleidet, ansonsten nackt – ja, füdliblutt. Am Ende der verwirrenden Show kommen an einem Seil die rettenden Shorts von der Bühnendecke runter. Halleluja.

Lettland verblüffte dagegen mit einem merkwürdigen Barden, Typ Yul Brynner, er trug einen glänzenden, königsblauen Neopren-Anzug mit Sixpack-Einlage. Und Irland präsentierte ein nicht-binäres Geisterwesen, Bambie, welches leider wirklich auch nicht singen konnte.

Israel kann singen

Der beste Beitrag, so Waldmeyers wie immer objektive Wahrnehmung, kam von dieser bezaubernden israelischen Sängerin. Sie konnte tatsächlich singen. Aber Israel wurde von allen Seiten boykottiert und drangsaliert. Unsere Greta Thunberg stand offenbar hinter verschiedenen Aktionen gegen Israel, auch einer gut organisierten Demo in Malmö. Dabei war es doch in den letzten Monaten wieder so angenehm ruhig geworden um Greta. Und nun dies… Ob die Palästinenser vielleicht die besseren Klimaschützer sind? Waldmeyer ist verwirrt.

Wir sehnen uns die Seventies zurück

Ziemlich peinlich präsentierte sich Grossbritannien: Eine offensichtlich gleichgeschlechtlich orientierte Männergang quälte sich, gutturale Urlaute ausstossend, in so was wie einer Gefängniszelle rum. Mit Bedauern erinnerte sich Waldmeyer an die grossartigen englischen Rock- und Popgrössen aus den Siebziger Jahren. Und nun dies – ein Jammer. Aber offenbar war diese Darbietung jetzt, 2024, das Beste, was UK liefern konnte?

Armenien überraschte mit einem hübschen Girl in einem (armenischen) Dirndl. Das lenkte zumindest von der Tatsache ab, dass auch dieser Song grottenschlecht war.

Kein einziger „Car Song“

Überhaupt, eigentlich waren fast alle Songs grottenschlecht. Waldmeyer würde keinen einzigen in seinem Auto hören. Zum Teil wäre dies sogar gefährlich, ja kaum zu verantworten: Der französische Beitrag beispielsweise war dermassen einschläfernd, dass man unweigerlich einen Unfall verursachen würde.

Nemo kann tatsächlich singen

In der Tat musste Waldmeyer anerkennen, dass dieser Nemo singen kann. Seine Gesangseinlagen mit den virtuosen Oktavenwechseln erinnerten Waldmeyer etwas an Rocky Horror Picture Show. Eigentlich war Waldmeyer ganz stolz auf die Schweiz. Number One! Und ja, dieser Kerl hat, zumindest gesangsmässig, eigentlich mitgeholfen, den ganzen Contest zu retten. Mit Schaudern erinnerte sich Waldmeyer an die unsägliche Gunvor Guggisberg – es war 1998: «Switzerland, zero points!»

Aber Nemo wird heute ja kaum wegen seinem Song gehypt. Das Nonbinäre kommt wohl stärker rüber. Ohne die rosa Strumpfhosen, ohne nonbinär zu sein und ohne diesen lustigen schwenkbaren Tanztisch mit den einigermassen gelungenen akrobatischen Einlagen wäre Nemo vielleicht bedeutungslos geblieben. Auch wenn er tatsächlich singen kann.

Es geht gar nicht ums Singen

Waldmeyer erkannte: Es geht also gar nicht ums Singen. Sondern um den Gesamteffekt. Und je heterosexueller, desto weniger erfolgreich. Nemo hat sogar einen besonderen Wettbewerbsvorteil, weil er sich nicht nur als nonbinär bezeichnet, sondern auch als „pansexuell“. Waldmeyer war neugierig und googelte. Pansexuelle sind nicht einfach kommune Bisexuelle, sondern öffnen ihr Spektrum und schliessen sämtliche sexuellen Ausprägungsformen ein – also auch alle feinen Zwischenformen, die man sich ausdenken darf.

Vielleicht gilt das nun generell in unserer Gesellschaft? Zumindest, dass Nonbinärsein in der Aussenwahrnehmung als etwas durchaus Erstrebenswertes gilt?

Waldmeyer startet eine Umfrage

Waldmeyer fragte seine Kinder, beide Anfang zwanzig, ob sie den ESC verfolgt hätten. „Spinnst du, Dad?“, meinten Noa und Lara wie aus der Pistole geschossen. Aber beide kennen Nemo, klar, und sie finden ihn ganz cool.

Waldmeyer fragte nun in seinem Bekanntenkreis nach. Aber niemand hatte den ESC richtig verfolgt. Bis auf die Mitschnitte in der Tagesschau, die hatte man mitbekommen. Waldmeyer empfahl allen, die er fragte, den Finnenbeitrag noch nachzuschauen.

Wo steckt die Zielgruppe?

Was nun unklar blieb: Wo versteckt sich denn die Zielgruppe für alle diese zum Teil seltsamen „Songs“? Waldmeyer fragte in seiner Nachbarschaft nach, so bei Freddy Honegger. Ohne Erfolg. Reto Sonderegger, sein Schwager, hatte beim ESC gleich weggezappt, sein Cousin Bruno Spirig (untergetaucht, wie wir wissen, auf der kanarischen Mini-Insel El Hierro) hatte, mangels TV-Programmen auf dem Eiland, nur die Spanier gesehen, offenbar mit einer ziemlich peinlichen Performance. Nemo hatte er verpasst („Nemo der Fisch?“).

Nonbinär kommt einfach gut an

Waldmeyer war ratlos. Jemand hatte offenbar die ganze Zielgruppe gestohlen. Versteckte sie sich vielleicht hinter der Kassiererin im Volg oder dem Filialleiter des Baumarktes in Villmergen? Waldmeyer hatte auch die Poststellenleiterin in Wohlen (die mit dem Nasenring) in Verdacht. Auch Gaberthuler, Waldmeyers nerviger Steuerkommissär in Meisterschwanden, könnte ebenso gut ins ESC-Publikum passen. Ja, es muss sie eben doch geben, diese Zielgruppe. Vielleicht unbemerkt – oder gar heimlich!

Wie dem auch sei, nonbinär kommt zumindest gut an, soweit Waldmeyers ESC-Konklusion. Waldmeyer hat überhaupt nichts dagegen, wenn einer einen Rock tragen möchte. Und wenn sich jemand nonbinär fühlt, geht das selbstredend auch in Ordnung. Jeder soll eben machen und denken, was ihm beliebt – solange unser Gesellschaftssystem nicht wirklich gestört wird.

Waldmeyer versteht den Hype nicht

Aber Waldmeyer versteht diesen Hype einfach nicht, der um das ganze Thema gemacht wird. Zudem erscheint es seltsam, dass einem zusehends Skepsis entgegenschwappt, wenn man keine Regebogenflagge schwenkt. Merkwürdig ist auch, dass Nonbinärsein in der neuen Welt offenbar einen höheren Anerkennungswert hat als profanes Binärsein.

Vielleicht wäre es also einen Test wert, etwas nonbinär zu spielen und damit in der sozialen Wahrnehmung aufzusteigen?

Waldmeyer könnte, nur beispielsweise, einen Tanz- und Gesangskurs belegen. Nur schon die Absicht allein würde ihm vielleicht viele Credits einbringen.

Waldmeyer zieht es durch

Wie so oft, beliess es Waldmeyer allerdings nicht beim Konjunktiv. Er fuhr kurz entschlossen nach Zürich, zu diesem Kurs. Und als er, zurück von dem Lehrgang, seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch), wieder vor seiner Garage parkte und mit einem eleganten Hüpfer das Cockpit verlassen wollte, verfing sich sein Rüschenrock an der Türschwelle. Leider schaute gerade Freddy Honegger über den Zaun. „Ich kann dir alles erklären, Freddy“, kam Waldmeyer dem entgeistert blickenden Honegger zuvor und verschwand mit seinen pinkfarbenen Strumpfhosen blitzartig im Haus.

Dort blickte ihm Noa bereits anerkennend entgegen: „Der Glitter im Gesicht steht dir super, Dad!“

Waldmeyer atmete erleichtert auf. Es schien zu funktionieren: Zumindest bei der jungen Generation schien sein neuer Look gut anzukommen!

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