Waldmeyer und das saubere Wasser aus Italien

Max Waldmeyer erinnerte sich an seine Kindheitsurlaube in Italien. Seine Eltern bläuten ihm jeweils ein, nur nicht direkt vom Wasserhahn zu trinken.

Aber es waren nicht nur Waldmeyers kognitive Wahrnehmungen in Sachen sauberes Wasser in Italien. Die Sache ist komplizierter.

Waldmeyer erinnerte sich auch genau daran, dass während seinen Jugendjahren viele Strände Italiens aufgrund ihrer unsäglichen Verschmutzung mit einem Badeverbot belegt waren – was sich 1973 in Alassio leider erst vor Ort herausstellte und klein Max nicht ins Meer durfte.

Italien wird allerdings generell nie besonders mit „Sauberkeit“ oder mit „sauberem Wasser“ assoziiert. Umso merkwürdiger erschien es Waldmeyer, dass San Pellegrino und Panna auf allen Kontinenten erhältlich sind; es wird sogar in Glasflaschen überall hingekarrt oder hingeflogen. Dass ein Land mit schmutzigem Wasserimage weltweit sauberes Wasser verkaufen kann, grenzt also fast schon an ein biblisches Wunder.

Charlotte störte jedoch mehr der offensichtliche ökologische Sündenfall: «Schau mal, Max, Wasser um den Erdball zu transportieren, das geht doch nicht». Waldmeyer anerkannte diese Sinnlosigkeit ebenso, aber eben auch die bemerkenswerte Marketingleistung der Italiener! Unglaublich, was man mit der richtigen Kommunikation und intelligenter Unternehmensstrategie alles realisieren kann. Demgegenüber sind z.B. die wunderbar überteuerten Plastik-Täschchen von Louis Vuitton aus Frankreich nur eine Randerscheinung. Die Italiener sind schon clevere Kerle. Sie vermarkten nicht nur einen selten fahrtüchtigen Maserati oder einen technologisch eklatant rückständigen Cinquecento mit bemerkenswerter Brillanz, sie vermarkten eigentlich das ganze Belpaese hervorragend. „Italianità“ ist etwas Wunderbares, es blendet alles aus: die horrende Staatsverschuldung, die marode Infrastruktur, die Mafia, alles… 

Trotz seiner mangelnden humanistischen Bildung schlägt Waldmeyer gerne kulturelle Bögen. Immerhin weiss er so aus seiner Gymnasialzeit, dass im klassischen Theater der Höhepunkt am Ende des dritten Aktes stattfindet. Vielleicht, so seine Beobachtung, befindet sich Italien – rein politisch und gesellschaftlich – bereits im vierten Akt, ohne dass das dramatische Ende abzusehen wäre! Im Übrigen hat Waldmeyer begriffen, dass es einfach zur neuen italienischen Denkschule gehört, dass die Abfallberge in den Städten ab und zu brennen müssen und dass die grassierende Korruption in Politik und Wirtschaft ein natürlicher Teil der Gesellschaft ist. 

Gerade deshalb muss man den Italienern in Sachen Marketing einfach Bestnoten verleihen. Jeder Kommunikationsfachmann muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Wasser aus Italien…!

Charlotte hatte natürlich recht: Das mit den Glasflaschen um den Erdball ist sinnlos. Waldmeyer erinnerte Charlotte jedoch daran, dass die beiden Wassermarken seit Jahren Teil des Schweizer Nestlé-Konzerns sind und damit quasi hervorragende Schweizer Erzeugnisse. Die Marketingleistung gehört damit eigentlich uns. Ja, wer hat’s erfunden?

Max Waldmeyer studiert effizientere Gastronomie

Auf seinen vielen Explorationsreisen studiert Waldmeyer nicht nur Land und Leute, sondern immer auch die Gastronomie. So auch kürzlich in Lissabon. Die Küche Portugals hat bekanntlich keinen Blumentopf gewonnen; die Portugiesen können allerdings auch nichts dafür, denn wie sollten sie mediterran kochen, wenn sie gar nicht am Mittelmeer, sondern am rauen Atlantik leben. Waldmeyer berichtet heute von einem gastronomischen Schlüsselerlebnis.

Es muss wohl seltsame Gründe geben, warum in Portugal vor allem deftige Eintöpfe serviert werden. Waldmeyer kennt für solche Fälle jedoch ein Ausweichmanöver: Man muss sich einfach an die Früchte des Meeres halten – da kann weniger schiefgehen. So kam Waldmeyer im Juni 2021 auch zu einer einschneidenden Erfahrung im Restaurant Ramiro in Lissabon:

Also dieses Restaurant Ramiro ist ein angesagter und traditioneller Ort, bekannt insbesondere für seine frischen Fische, Muscheln und andere feinen Früchte des Meeres. 

Vergiss die Reservation: Telefonanrufe nimmt zwar ein wie ein Maschinengewehr artikulierender Portugiese entgegen, jedoch keinerlei Reservationen. Das Maschinengewehr empfiehlt dir, optional doch por favor eine E-mail zu schreiben. Diese E-Mail wird jedoch selbstredend nie ankommen oder nie beantwortet werden.


Max und Charlotte fuhren also besser gleich hin, schon frühzeitig. Dort standen bereits Einheimische und Touris Schlange, bis auf die Strasse hinaus. Irgendwann wies die schlecht angezogene deutsche Dame aus dem Ruhrgebiet, ebenso wartend, Waldmeyer an, er solle jetzt doch bitte eine Nummer ziehen zum Anstehen. Also zog Waldmeyer eine Nummer. Und nun das Geniale: Die Nummer wird nicht sequenziell vergeben. Das heisst, die vierstellige Zahl, 1892 im Falle Waldmeyers, hat nichts mit irgendeiner Abfolge zu tun. Man darf also warten und an der offenen Bar draussen erst einmal konsumieren und aufmerksam den Zahlen horchen. Diese werden in drei Sprachen per Zufallsgenerator mittels plärrendem Lautsprecher ausgerufen.

Dann, vielleicht zwei Cervejas später, so nach einer guten halben Stunde, wurde plötzlich „1892“ ausgerufen und die Waldmeyers durften ins Restaurant reinhetzen. Ein durchschwitzter Kellner mit glänzender schwarzer Sonntagshose prügelte sie in den dritten Stock. Dort wieselte und schrie es nur so rum. Sie wurden in einen der hässlichen Räume (Neonlicht) gescheucht. Glänzende Hose Nummer 2 machte auf Tempo: schnell, schnell den QR-Code einscannen für das Online-Menü. Die Hose gab ihnen gefühlt acht Sekunden Zeit, dann entriss sie Charlotte das Handy und bestellte mehr oder weniger für beide. Inzwischen lag schon das Knoblauchbrot auf dem Tisch (glänzende Hose Nummer 3), 30 Sekunden später bringt Hose Nummer 4 das Mineralwasser und tippt ungefragt eine Weinbestellung in sein speckiges Smartphone (eigentlich wollte Waldmeyer erst einmal nur die Weinkarte für die Wahl des „Vinho Tinto“ verlangen, wie er aus seiner Sicht akzentfrei kommunizierte). Es gibt allerdings nur ganze oder halbe Flaschen in dem Lokal, auch keine Auswahl, und so wuchtete glänzende Hose Nummer 5 beim Vorbeihetzen ungefragt eine Flasche auf den Tisch. Klar, «by the glass» wäre zu umständlich, der Aufwand zum Aus- und Nachschenken und das Management zum Verwalten der Flaschen wäre zu aufwendig. Jetzt war Waldmeyer doch langsam beeindruckt. An Effizienz fehlte es hier offenbar nicht.

Zwei Minuten später, Waldmeyers hatten kaum das Knoblauchbrot runtergewürgt, waren bereits alle Gerichte auf dem Tisch. Es gab nur Meeresfrüchte, keine blöden Beilagen oder Vorspeisen. 15 Gerichte standen zur Auswahl – fertig. Von Muscheln über Langusten bis zu einer knappen, aber ganz gelungenen Fischauswahl. Max und Charlotte hatten vier Positionen bestellt. „Bei 15 Gerichten gibt es beim vierten Besuch dann wieder das Gleiche“, rechnete Waldmeyer scharf vor. 

Nebenan waren die Japaner schon fertig, es waren ja bereits 25 Minuten verstrichen. Der Tisch konnte neu besetzt werden, die nächsten Gäste wurden reingeprügelt: Es waren Einheimische, offenbar Stammgäste, denn sie bestellen noch beim Hinsetzen, und nach 30 Sekunden standen auch wieder die Getränke auf dem Tisch. Die Bestellung hatte glänzende Hose Nummer 2 vorher bereits nach hinten geschrien. Nach zwei Minuten wurde gegessen.

Waldmeyers Fazit: Das Essen war gut im Ramiro, wenn auch nicht hervorragend. Einfach frisch und gut. Die Muscheln waren sogar sehr gut. Die Hosen rannten immer noch weiter um die Waldmeyers rum, begannen unverzüglich mit dem Abtragen und verbreiteten weiter Krisenstimmung.
Waldmeyer schätzte, dass die Tische mindestens zehnmal pro Tag verkauft werden. Es gibt etwa je fünf büroartige Räume (mit scheusslichem Dekor) auf drei Stockwerken, rund zehn glänzende Hosen pro Stockwerk. Charlotte unterbrach Waldmeyer beim Rechnen, sodass er den Jahresumsatz und die Rentabilität nicht abschliessend eruieren konnte. 

Indem Waldmeyer von den leckeren Muscheln nachbestellt hatte, konnte er seinen Besuch etwas in die Länge ziehen (48 Minuten Aufenthaltszeit total). Allerdings war er in der Folge dermassen erschöpft, dass er froh war, dieses Tollhaus raschmöglichst verlassen zu können. Beim Rausgehen erwischte er den falschen Ausgang und konnte plötzlich in die Küche reinspähen: eine ganze Brigade! Aber nur Chinesen, die durcheinanderwuselten und sich Befehle zuschrien.

Waldmeyer war mehr als beeindruckt. Aber das alles war auch ein Rätsel. Denn die Portugiesen sind ja betont introvertiert, schwermütig und bedächtig – wenn nicht langsam. Sie hören Fado und denken dabei (vermutlich) an Selbstmord. Effizienz und Geschwindigkeit sind ihnen fremd. Wie ist es möglich, dass so etwas gerade hier – in Lissabon – funktioniert…? Merkwürdig. Und warum war das Lokal immer voll?

Waldmeyer überlegte sich, was man daraus lernen könnte. Was er gesehen hatte, war nicht Fast Food. Es war auch kein normales Spezialitätenrestaurant. Es war ein Hybrid. Efficient Food? Auf jeden Fall sehr erfolgreich – und ökonomisch wohl besser als die Staatsdefizite, die Portugal jedes Jahr produziert.

Waldmeyer überlegte weiter, wie lange es jeweils ging, bis er in der Kronenhalle in Zürich die Menükarte erhielt, wann er endlich bestellen konnte, wann und wie denn der komplizierte „Wagen“ vorbeigeschoben wurde mit dem nicht immer saftigen Kalbsbraten. Ob man hier vielleicht auch etwas nachhelfen sollte? Leider konnte er darüber nicht mehr mit dem 2005 verstorbenen Gustav Zumsteg sprechen, heute gehört das Restaurant einer Stiftung.

Auf der Heimfahrt in dem verlotterten Taxi meinte Waldmeyer zu Charlotte: „Ich werde nächste Woche mit dem Stiftungsrat der Kronenhalle zusammensitzen“. „Bitte nicht, Max!“, stöhnte Charlotte.

Soll Waldmeyer nun auch noch gendern…?

Oder: Waldmeyer denkt an Burkaträger*innen und an eine neue Gebärdensprache

War Charles de Gaulle vielleicht ein Vorreiter im Gendern? „Citoyennes, Citoyens!“ – so sprach er in seinen von Pathos schwer getränkten Reden jeweils seine Bürger an (verflucht: seine Bürgerinnen und Bürger). Oder war de Gaulle gar ein versteckter Intersexueller mit Weitsicht? Oder einfach nur ein Gentleman? Waldmeyer tippte auf letzteres. Aber die Sache mit dem Gendern wird immer komplizierter. Wie soll man einen Stern (bei Bürger*innen beispielsweise) aussprechen? 

Das Gendern ist vielleicht ganz gut gemeint, allerdings stehen dahinter oft auch fundamentalistische LGBT-Aktivisten (oder Aktivistinnen?). Waldmeyer versuchte sich Übersicht zu schaffen über all die sprachlichen Entgleisungen.

Erste Entgleisung: Bürger*innen. Waldmeyer findet das einfach nicht schön. Und: Wie spricht man den Stern aus? Soll man sich dabei jeweils kurz an die Nase tippen?

Zweite Entgleisung: BürgerInnen. Auch dies ist eine alles andere als formvollendete Schreibweise. Und erfordert ebenso ein Nasentippen.

Dritte Entgleisung: Der Gender_Gap. Es ist vielleicht die hässlichste Form von allen Schreibweisen. Er artet dann aus bis zu ein_e Slowfood-Gastronom_in. Beim Aussprechen könnte, zur Unterscheidung anderer Schreibweisen, kurz am linken Ohrläppchen gezogen werden.  

Vierte Entgleisung: Wohl aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung von ein paar besonders leidenden Feministinnen wird nun auch noch der Doppelpunkt eingeführt: Schweizer:innen (dann rechtes Ohrläppchen).

Fünfte Entgleisung: Es wird nur noch die weibliche Form verwendet. Unsere Politikerin Anita Fetz beispielsweise spricht generell nur von Baslerinnen. Sie meint damit alle. Waldmeyer ist kein Basler, aber wäre er einer, fühlte er sich diskriminiert. Allerdings, ein Pluspunkt beim Aussprechen: Die Gebärdensprache entfällt.

Der Leseflusskiller

Praktischerweise lautete bisher der Ausweg oft: Bürgerinnen und Bürger. So wie es de Gaulle pflegte. Allerdings wollte er vermutlich nur sicherstellen, dass ihm auch die Französinnen aufmerksam lauschten – es war also nur ein rhetorischer Trick. Auf jeden Fall kommt man um diese aufzählende Bezeichnungen (Bürgerinnen und Bürger) heute fast nicht mehr herum.

Leider ist diese „inklusive“ Sprache, insbesondere mittels Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt ganz einfach ein Leseflusskiller. Oder handelt es sich eher um eine Killerin? Oder eben Leseflusskiller*innen. Diese pseudo-elitäre und verkrampfte Sprache, so die Beobachtung Waldmeyers, wird insbesondere von links-feministischer Seite mit grosser Freude benutzt. Nur zu oft jedoch sind es einfach Möchtegern-Akademikerinnen, die uns zu dieser Vergewaltigung von Schrift und Sprache nötigen.

Und nicht nur Waldmeyer, sondern wohl die deutliche Mehrheit findet, dass insbesondere diese Sonderzeichen potthässlich sind. Einfach nicht stilvoll.

Und wo sind die Gästinnen?

Irgendetwas geht einfach nicht auf mit diesen Sprachanpassungen. Gäste z.B. könnten ja nur als männlich wahrgenommen werden. Der Gast. Mehrzahl: die Gäste, also eine Ansammlung von männlichen Gästen? Falls schon Bürger*innen, sollte es dann nicht auch Gäst*innen geben? Oder doch Gast*innen?

Waldmeyer hatte allerdings bemerkt, dass es dort, wo es die Notwendigkeit wirklich erfordert, bereits einen korrekten Begriff gibt. Zum Beispiel Pilot, Pilotin. Nur: Was ist mit der Piloten-Gewerkschaft, dürfen da auch Pilotinnen rein? Und wie lautet der Gesamtbegriff der Künstler und Künstlerinnen? Kunstpersonen?

Im Immobilienverkauf werden oft „Architektenhäuser“ angeboten. Aber, um Himmels Willen, was ist, wenn dieses nun von einer Architektin erbaut wurde? Muss dann die Bezeichnung auf Architektinnenhaus geändert werden? Nein, meint Waldmeyer. Konsequenterweise müsste ein Begriff verwendet werden, welcher für alle gilt. Also ein Architekt*innenhaus? Oder ein ArchtektInnenhaus? Nein, noch schöner: ein Architekt_innenhaus. „Das ist nicht ästhetisch, so ein Haus würde ich nicht mal anschauen“, meinte Charlotte. Und sie musste es ja wissen, als Innendesignerin. „Würdest du denn einen Designerpreis entgegennehmen?“, fragte Max. „Klar!“, antwortete Charlotte – und erschrak dann plötzlich.
„Siehst du!“

Kaum Gegenbewegungen

Die Gendersprache ist an Frankreichs Bildungsstätten nun per Dekret verboten worden. Eine weise Massnahme. Leider ist im deutschen Sprachraum nicht viel an Gegenbewegung auszumachen. Zaghaft hat sich zwar kürzlich unsere Bundesverwaltung geäussert: kein Genderstern oder –doppelpunkt oder –unterstrich mehr. Nur Lehrerinnen und Lehrer, notfalls die Lehrerschaft. Aber das gilt eben nur für die Bundesverwaltung.

Bei der deutschen Sprache (… schwere Sprache, eh schon) kommt verkomplizierend hinzu, dass seit den verschiedenen Rechtschreibreformen nun parallel, gemäss Duden, oft mehrere Versionen als  korrekt gelten. Aber nicht immer. Wer heute ein falsches Wort plaziert, macht sich verdächtig, etwa über ein sehr hohes Alter zu verfügen oder sich als Querulant, im besten Fall als Ignorant zu outen.

Übersetzer beklagen sich, dass der deutsche Text immer länger wird, sie aber auf der Basis des kürzeren Ausgangstextes bezahlt werden. Liegt damit etwa eine weitere Diskriminierung einer Randgruppe vor? Aber warum betrifft es fast nur die deutsche Sprache? Was gibt es denn diesmal zu verarbeiten…?

Bombenleger*innen – ein Schuss ins Bein?

Vielleicht unterschätzen die mehrheitlich weiblichen Sprachfundamentalist*innen, dass mit der „Feminisierung“ der Begriffe plötzlich auch alle negativ besetzten Worte als feminin wahrgenommen werden: Killer*innen, Vergewaltiger*innen, Mörder*innen, Bombenleger*innen – und so weiter. Killer war neutral besetzt, zumindest bisher. Neu gibt es also nur noch Killer*innen, da konsequenterweise nur noch dieser Begriff gesellschaftsfähig sein darf. In der sprachlichen Wahrnehmung findet also eine „Verweiblichung“ statt. Ob die Erfinder der neuen gendergerechten Sprache das wirklich so wollen…? Wenn schon, dann sollte es wirklich durchgezogen werden – für alle Begriffe. Auch z.B. für Burkaträger*innen.

Waldmeyer sagt Stopp

Wenn sich Feministinnen bei der Anrede „liebe Bürger“ nicht abgeholt fühlen, ist das natürlich ein Problem. Man könnte sie dann als Wählerinnen, Kundinnen oder Konsumentinnen verlieren. Nur deshalb vermutlich (und nicht aus Anstand) haben wir uns mehr oder weniger flächendeckend zur langatmigen Form „Bürgerinnen und Bürger“ durchgerungen. Und genau hier sagt Waldmeyer „Stopp“! Bis hierher und nicht weiter. Alles andere findet er aufgesetzt, entstellend, unnötig und schlichtweg unästhetisch.

Waldmeyer meint übrigens, dass der Begriff BürgerInnen gendermässig sehr verletzend sein könnte: Dieser schliesst zwar nebst den männlichen auch die weiblichen Bürger ein, aber, gopfridstutz: Wo sind die Non-Binären? Das Bürger fehlt! Das ist diskriminierend. Oder wären die dann eher drin, wenn der eklige Stern* verwendet würde? Vielleicht sollte man doch besser einen ganz neuen, knackigen Überbegriff schaffen, der wirklich alle einschliesst. Wie wäre es einfach mit Bürger…? 
Waldmeyer nahm sich auf jeden Fall vor, nie mehr zu gendern. Nie und nimmer. In keiner Form. Never! Jamais! Er wird sich also auch künftig nicht einer inklusiven, sondern einer exklusiven Sprache bedienen.
Beim gesprochenen Gendern wird er allerdings eine Ausnahme machen. Das mit der neuen Gebärdensprache (dem Antippen der Nasenspitze beispielsweise) ist doch ganz praktisch. 

Waldmeyer, die Kampfjets und die Gänseleber

Eigentlich versucht Waldmeyer immer, apolitisch zu denken. Er zieht es vor, die Dinge konsequent aus betriebswirtschaftlicher, nötigenfalls aus volkswirtschaftlicher Sicht zu betrachten – und auch zu hinterfragen. In der Regel geht es ihm immer um einen sinnvollen Mitteleinsatz. Mit Freude nahm er deshalb zur Kenntnis, dass ab dem 1. Januar 2021 die Schweizer Luftwaffe nun nicht mehr nur zu Bürozeiten einsatzbereit ist, sondern rund um die Uhr – und dies sogar mit zwei (2!) Fliegern. Allerdings, und das entsetzte Waldmeyer wiederum, nur „innerhalb von 15 Minuten“. 

Ob die Piloten erst geweckt, die alten Jets erst vollgetankt oder ob erst auf eine Flugerlaubnis von Viola Amherd gewartet werden muss? Zumal der Dolmetscher – für Viola – rechtzeitig, vielleicht gerade mitten in der Nacht, bemüht werden müsste. Walliser Mundart ist ja nicht jedem in der Befehlskette geläufig. So oder so: 15 Minuten sind eine lange Zeit, vor allem im Ernstfall.

Waldmeyer wusste: Jeder durchschnittliche feindliche Kampfjet bringt es auf Mach 2, also auf eine Geschwindigkeit von über 2‘000 km/h. Dieser legt demnach in 15 Minuten 500 Kilometer zurück. Mit andern Worten: Ein feindlicher Kampfjet dringt zum Beispiel bei Schaffhausen in den Schweizer Luftraum ein, fliegt nach Genf, dreht eine Runde um den Jet d’Eau, steuert dann Basel an und verlässt so wieder den Schweizer Luftraum. Und dies nach genau 15 Minuten. Just in diesem Moment starten dann unsere tollen Flieger (die neuen natürlich erst ab 2030). Biden und Putin hätten während ihrem Gipfeltreffen in Genf ob der virtuosen Flugeinlage der vermeintlichen Schweizer Flugwaffe, die gekonnt den Jet d’Eau umkurvt hätte, nur so gestaunt.

Nun gut, unser Schweizer Krisenszenario sieht ja kaum einen feindlichen Luftkrieg vor. Wir kämpfen schon eher gegen Pandemien. Notfalls holen wir sogar unsere Leute aus Afghanistan raus – aber wir tun das natürlich nicht selber. Dennoch stellen Terrorangriffe trotzdem ein nicht ganz unwahrscheinliches Krisenszenario dar. Taliban-Terroristen beispielsweise sind bereits im Besitz von solch schnellen Kampfjets (die Amis waren nämlich ein bisschen liederlich bei ihrem Abzug). Oder wahrscheinlicher, weil einfacher: Terroristen könnten einen Learjet buchen und, von Hand, eine Bombe über dem Bundeshaus oder über einem einzelnen Bundesamt abwerfen (bedauerlicherweise z.B. über dem BAG). Der Learjet, so rechnete Waldmeyer, würde beispielsweise mit 900 km/h bei Basel einfliegen, in Bern sich seiner risikobehafteten Bombenlast entledigen, dann wieder zurück ins Elsass stechen. Dauert auch gut 15 Minuten. Dann starten unsere zwei Flieger. Vielleicht nur einer, denn das relativ uninteressante BAG-Ziel war eventuell nur ein Ablenkungsmanöver, also würde Viola den zweiten Flieger besser noch zurückhalten – für einen Worst Case.

Das macht alles ja gar keinen Sinn, resümierte Waldmeyer. Denn wenn unser erster Flieger (der zweite, wie wir wissen, würde  noch in Emmen warten) in der Luft ist und bei Basel wieder scharf abdrehen müsste, wären die illustren Passagiere des Learjets bereits in Colmar – vielleicht gerade schon beim Gänseleber-Essen.

Waldmeyer hatte im Herbst 2020 zwar für Frau Amherds neue Kampfjets gestimmt. Nun stellte er jedoch, mit der neuen Erkenntnis des Einsatzplanes dieser Geräte (mit der bedauerlichen Abflugverspätung von 15 Minuten), die Investition von sechs Milliarden plötzlich in Frage. Konsequenterweise müssten die ebenso rund sechs Milliarden, die die Schweiz jedes Jahr für die gesamte Landesverteidigung ausgibt, hinterfragt werden. Zumindest müssten die Mittel adäquat einsatzbereit sein. Aus Waldmeyers unternehmerischer Sicht lag hier also entweder eine Fehlentscheidung bei der Investition vor oder es handelt sich um eine fehlerhafte Nutzung dieser Investition. Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit einer mangelhaften Mittelallokation.

Waldmeyer erinnerte sich an die neue EDV-Anlage in seiner Firma, es war im September 1998, die nie zum Laufen kam. Oder an das verfluchte SAP-Programm für die Bestellabwicklung 2005 – alles vergleichbare Mittelverschwendungen. Was die Schweizer Luftwaffe betrifft: Alles andere, als sich solche nicht sofort einsatzfähigen Kampfjets zu leisten, wäre günstiger. Man könnte, für viel weniger Geld sogar (um nur ein Beispiel zu nennen, dass sich vielleicht ganz gut in andere helvetische Absurditäten einreiht), alle Schweizer Militärpiloten einmal wöchentlich ins Elsass fliegen, zum Gänseleber-Essen. Das wäre immer noch günstiger, als alle diese zu spät abfliegenden Vögel instand zu halten.

„Eigentlich ist Gänseleber gar nicht so teuer, Charlotte“, meldete Waldmeyer zu seiner Frau rüber. „Relativ gesehen, meine ich.“ Charlotte antwortete nicht, da sie einerseits keine Gänseleber ass, andererseits heute keine Lust verspürte, Waldmeyers neue Relativitätstheorien anzuhören. Waldmeyer fühlte sich wieder einmal sehr alleine gelassen mit seinen Überlegungen. Die ökonomischen Rätsel häufen sich in letzter Zeit.

Waldmeyer analysiert die Impfgegner

Oder: Waldmeyers Impfdurchbruch

Waldmeyer hatte die Nase gestrichen voll von dieser Pandemie. Vor allem genug von all den Einschränkungen. Ihn faszinierte jedoch der neue Begriff „Impfdurchbruch“ (also der Fall einer symptomatischen Erkrankung – trotz Impfung).  Impfgegner sind davon selbstredend nicht betroffen, weil sie eben gar nicht geimpft sind. Sie werden einfach krank. Was Waldmeyer nun indessen besonders interessierte, waren die Impfgegner an sich, deren Psychogramme. Es handelte sich um alles andere als eine homogene Gruppe – im Gegenteil! Es war ein ganz heterogenes Cluster, das er nun analysieren wollte. Nur schon, um seine selbst diagnostizierten Profiler-Kenntnisse zu schärfen.

Waldmeyer entschloss sich, die Welt der Impfgegner in genau acht Gruppen einzuteilen.

Gruppe 1: Die Egoisten

• “I don‘t give a shit!”
• „Ich bin jung und kaum betroffen.“
• „Ich lass mich doch nicht impfen und werde dann zwei Tage krank!“

Vor allem Junge zählen zu dieser Gruppe. Es sind eher ländlich Orientierte oder Bewohner von Agglomerationen der grösseren Städte, viele sind Balkan-Emigranten (1. bis 3. Generation), eher männlich.

Waldmeyer kennt einige, seit sein Sohn Noa mit Bekime zusammen ist. In ihrem Umfeld sind fast alle so.

Gruppe 2: Die Sorglosen

• „Mir passiert schon nichts!“
• „Die Sache wird übertrieben und die Gefahren werden überschätzt.“

Die Menschen in dieser Gruppe 2 sind tendenziell Problemverdränger. Sie sind eher jung, an gesellschaftlichen und vielen Fragen wenig interessiert; es sind eher wenig Gebildete. Sie sind allerdings von ihrem starken Immunsystem überzeugt, welches das Virus nur so raushauen würde.

Waldmeyer kennt persönlich niemanden aus dieser Gruppe. Er weiss aber, dass es sie gibt. Zum Beispiel im Jura. Oder im Toggenburg.

Gruppe 3: Die Überforderten

• keine Zeit
• immer gestresst
• schon mit dem einfachen Leben überfordert

In dieser Gruppe finden sich oft sozial Benachteiligte. Sie kommen schon mit der Organisation des einfachen Alltages nicht klar und sind generell entscheidungsschwach.

Ursula gehört in diese Gruppe (wichtige Anm. der Redaktion: Ursula Sonderegger ist die Frau von Reto Sonderegger, Charlottes Bruder). Die Psycho-Symptome dieser Spezies verstärken sich leider mit dem Alter – ein Prozess, der auch vor Ursula nicht Halt gemacht hat. Heute ist sie mit allem überfordert. Alles ist einfach zu viel. Seit sechs Monaten wollte sie sich eigentlich zum Impfen anmelden, hat es aber immer noch nicht geschafft.

Gruppe 4: Die Misstrauischen

• Angst vor Impfung und Folgen
• „Leute sind schon gestorben an der Impfung!!!“
• „Nützt sie überhaupt?“

Unsichere, eher weniger Gebildete und wenig informierte Menschen gehören in diese Gruppe. Generell ängstliche Leute, eher weiblich.

Waldmeyers Schwester Claudia ist so (frühpensionierte Lehrerin, SP, praktische Kurzhaarfrisur, lustige farbige Brille, altes Nokia). Sie ist zwar nicht bildungsfern, sie hatte in den 70er Jahren immerhin ein Lehrerseminar besucht. Aber sie misstraut eben allen und allem – insbesondere den modernen Errungenschaften der Technik und der Wissenschaft. Und sie hat Angst. Fairerweise muss sie einfach als Impfskeptikerin bezeichnet werden, nicht als Impfgegnerin.

Gruppe 5: Die Esoteriker

• „Impfungen sind schädlich, sie enthalten keine natürlichen Stoffe.“
• „Impfen ist gegen die Natur.“
• „Körper und Geist müssen selbständig in Einklang gebracht werden.“

Die Protagonisten dieser Gruppe rekrutieren sich aus fast allen Gesellschaftsschichten, sind eher weiblich und informieren sich einseitig in ihren eigenen sozialen Netzwerken. Schwer zu erreichen. Auch extrem Religiöse sind darunter („wir sollten nicht eingreifen in den Gang der Schöpfung“).

Carina, die Exfrau von Waldmeyers Freund Ruedi Arnold (jetzt Aussteiger, auf der Alp) ist so. Sie liest komische Bücher zur Selbstfindung, spricht auch schon mal mit Pflanzen und lebt streng vegan – ein nie abzuschliessendes Projekt.

Gruppe 6: Die Freiheitskämpfer

• „Der Staat soll aufhören mit diesen Einschränkungen!“
• „Ich will meine Freiheit!“
• „Wir müssen die Verfassung schützen.“

Bei dieser Gruppe handelt es sich oft um falsch Informierte oder um leicht falsch Beeinflussbare. Die eher ländlich orientierten Menschen haben einen ziemlich diffusen Freiheitsbegriff, den sie selten genau formulieren können. 

Sie rekrutieren sich oft aus dem rechten Lager, auch aus der Rechtsextremen-Ecke. Leider gehören zu dieser Gruppe auch nachweislich über 50% der SVP-Wähler. Sie sind politisch leicht zu beeinflussen und denken tendenziell in einfachen Strukturen. Sie informieren sich vorab am Stammtisch oder über Headlines, tun dies jedoch generell wenig. Sie lesen wenig Zeitung, und sie können Informationen nicht richtig auswerten.

Waldmeyer kennt einige hier. Nicht beim Namen, er sieht sie einfach am Fernsehen. Es sind viele Fahnenschwinger dabei, und sie tragen diese Treicheln, also schwere Kuhglocken; sie versammeln sich und machen Lärm und rufen nach Freiheit und sind „dagegen“.

Gruppe 7: Die medizinisch Eingeschränkten

• Immunisierungsresistente (Impfung nützt nichts)
• Dürfen aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden

Es handelt sich dabei um eine verschwindend kleine Gruppe. Waldmeyer kennt niemanden – es soll sie aber geben. Es soll auch Menschen geben, die generell „allergisch“ sind gegen Impfungen. Es ist allerdings anzunehmen, dass diese Allergie nur im Kopf stattfindet – dieses Cluster müsste folglich einer anderen Gruppe zugeordnet werden, so den Misstrauischen, den Überforderten oder den Esoterikern.

Gruppe 8: Die Verschwörungstheoretiker

• Die Pandemie wurde erfunden
• Alles ist gesteuert, von Bill Gates, Soros, etc.
• Mit der Impfung wird man auch gleich „gechippt“ (Anm. der Redaktion: Es wird gleichzeitig mit der Spritze ein Chip zur Überwachung eingesetzt) 
• Der Staat und/oder „das System“ möchte nur noch mehr Kontrolle über uns ausüben („die“)
• Der Hype wird von der internationalen Pharma gesteuert

Hintergrund der Menschen in dieser Gruppe: oft reduzierte Bildung, das Glas immer halb leer. Es sind des Öftern von der Gesellschaft Benachteiligte, zu Depressionen Neigende, und alle sind gut empfänglich für Fake News. Eine Untergruppe ist zum Teil auch übertrieben religiös und/oder neigt zu Sektierertum.

Waldmeyer kennt einige aus dieser irrlichternden Gruppe, so z.B. Bettina Honegger, seine Nachbarin. Früher war sie gar bei den Zeugen Jehovas. Bettina ist immer noch überzeugt, dass die Pandemie u.a. durch die 5G-Antennen verbreitet wurde.

Die Verschwörungstheoretiker gehören zu Waldmeyers Lieblingsgruppe.

Waldmeyer war zufrieden mit seiner Auslegeordnung. Es war ihm noch nicht ganz klar, was er nun anstellen sollte mit seiner Analyse. Zumindest konnte er nun Charlotte ärgern, indem er jede Person auf der Strasse, im Restaurant oder im Tram genau einteilen konnte: „Siehst du, Gruppe 6! Und dort Gruppe 4!“ – oder ähnlich. Oder noch besser: „Und hier ein Hybrid, eine Mischung aus Gruppe 5 und 8 – Esoterik/Verschwörung!“ Der Habitus und die Physiognomie der verschiedenen Impfgegner waren für Waldmeyer jetzt, dank seiner brillanten Gruppeneinteilung, einfach zu deuten. Immerhin konnte er so seine Profiler-Begabung schärfen. Auch wenn sie kaum überprüfbar bleibt.

Im Übrigen wartet Waldmeyer immer  noch auf den „Impfdurchbruch“. Er meint damit nicht den Durchbruch der Impfung, also die Erkrankung trotz Impfung, sondern den echten Impfdurchbruch, sozusagen den Dammbruch zur Impfbereitschaft – bei den Impfgegnern.

Waldmeyer, die Briefpost und die inverse Nachfragekurve

Charlotte, kennst du Roberto Cirillo?“, fragte Waldmeyer seine Frau.
„Du meinst den Designer?“

„Nein, den Postchef. Er ist von Beruf Monopolist und erhöht jetzt die Briefpost-Tarife, obwohl keine Sau mehr Briefe verschicken möchte.“

Charlotte hörte bereits nicht mehr zu, als Waldmeyer ihr das Geheimnis der Preis-/Mengenkurve näherbringen wollte. Er tat dies zuerst anhand des Schweizer Taximarktes: Kein Mensch fährt mehr Taxi in der Schweiz. Ausser in einer Notlage. Die Taxipreise in Zürich sind inzwischen die höchsten weltweit; Tokyo, London oder Beverly Hills sind günstiger. Das war nicht immer so. Aber als die Preise (vor Jahren schon) stiegen, wurde plötzlich weniger Taxi gefahren. Und um den Umsatzrückgang zu kompensieren, beschlossen die mit staatlichem Sukkurs kartellmässig organisierten Taxiunternehmer, einfach die Preise zu erhöhen. Heute sieht man nur noch selten Taxis auf der Strasse. In der Regel stehen sie und warten. Alle Taxifahrer könnten während den kumulierten Wartezeiten in ihren Fahrzeugen locker ein Physikstudium bewältigen. Sie tun es indessen nicht, sondern, wenn sie nicht gerade rauchen, warten sie einfach. Für Waldmeyer stellt dies die Inkarnation einer betriebswirtschaftlichen Ineffizienz dar, denn Mensch und Maschine liegen brach.

Nun aber zurück zur Post: Seit dem Jahr 2000 ging die Briefpostmenge um fast die Hälfte zurück. Das liegt unter anderem daran, so überlegte Waldmeyer, dass ältere Menschen, die früher noch Postkarten schrieben, jetzt wegsterben.

Nun werden also zehn Rappen mehr verlangt für einen  A-Post-Brief. Sollten wir also alle doch besser definitiv umsteigen auf Mail-Korrespondenz? So oder so: Wieso soll man abends noch mit dem SUV zum Briefkasten fahren und dort einen Brief einwerfen, der trotz A-Post am nächsten Tag nicht ankommt? Schneller, kostengünstiger und umweltschonender geht’s in der Tat per Mail – natürlich. Selbst, wenn es eine Rechnung ist. Die Online-Anbieter machen es vor.

Im ersten Semester Volkswirtschaftslehre durfte Waldmeyer allerlei Basics studieren. So der Trick mit dem Angebot und der Nachfrage, auch die Korrelation von Preis und Menge. Steigt der Preis, geht logischerweise das Verkaufsvolumen zurück. Keine neue Erkenntnis, aber die Makroökonomie versteht es, dies kompliziert darzustellen.

Für Leser, die vielleicht nur humanistisch gebildet sind und nicht durch das Stahlbad einer betriebs- oder volkswirtschaftlichen Schulung gingen: Nun gibt es Güter, die kaum preissensibel sind. Wir duschen z.B. kaum weniger lang, wenn der Wasserpreis etwas steigt. Oder wir tanken immer noch voll, obwohl der Benzinpreis um 10 oder 20% gestiegen ist. Und nun dieses besondere Phänomen der inversen Nachfragekurve: Es beschreibt Güter, deren Preis/Menge sich invers zu jeder Logik verhält. Wenn der Preis erhöht wird, steigt ihre Nachfrage! Bei Louis Vuitton beispielsweise ist das so, bei diesen Plastiktäschchen. Wenn man das geschafft hat, ist man im Olymp des Marketings angekommen. Ja, das ist dann gekonntes Branding. Wenn der Preis für das Täschli sinken würde – z.B. um 95%, also nahe an den Produktionspreis in Fernost (von vermutlich 5% des Endverkaufspreises), dann würde kein Hahn mehr nach den Plastikteilen krähen. Also merke: Auf keinen Fall den Preis senken, wenn das Produkt hip ist!

Nun wieder zurück zur Briefpost: Warum wird denn nun der Preis erhöht, obwohl die Nachfrage zurückgeht? Und warum gerade jetzt, wo der ehemalige Gewerkschafter und SP-Protagonist Daniel Levrat Verwaltungsratspräsident der Post geworden ist? Nun gut, er kam ja auch wie die Jungfrau zum Kind zu diesem Job, und vielleicht hat er sich mit dem Designer (Cirillo) noch nicht abgesprochen. Vielleicht kam ja sein B-Post-Brief an ihn noch nicht an. Waldmeyer überlegte: Ist ein Brief vielleicht keine profane Taxifahrt, sondern etwas Hippes? Wird der Preis nun erhöht, damit mehr Briefe verschickt werden? Vielleicht unterschätzen wir den Cirillo? Vielleicht hat er einen Geheimplan? Einer mit der inversen Nachfragekurve vielleicht: Briefe verschicken wird bald so cool, dass wir bereit sind, noch mehr dafür zu bezahlen. Ja, und dann würden wir auch wieder mehr Briefe schreiben, klar. Dieser Cirillo, das ist vielleicht der neue Hayek der Post, ein ganz schlauer Hund!

Waldmeyer im Urlaub: Glück ist relativ

Max Waldmeyer sass in einer Strandbar in Südspanien. Die heissen dort Chiringuitto und servieren auch Tapas und gegrillten Fisch. Seltsamerweise bieten alle haargenau dasselbe Menu an. Waldmeyer verglich es mit den Märkten in Afrika und Fernost: Der USP fehlt eben, also die „unique selling proposition“ – das „Alleinstellungsmerkmal“, wie unsere deutschen Nachbarn zu formulieren pflegen. Bei den Chiringuittos handelt es sich offenbar um eine besonders raffinierte und bewusste Absprache, vielleicht sogar um ein Kartell. Waldmeyer war es egal. Er schaute raus aufs Meer. Weit draussen lag eine grosse Yacht.

Der Co-Founder von Microsoft, Paul Allen, starb bereits 2017. Aber nun lag seine Yacht dort draussen vor Anker. Heute gehört das opulente Schiff, so recherchierte Waldmeyer, einer gewissen Jody Allen. Vielleicht die Witwe? Oder eine Tochter? Oder eine Schwester? Die Schwester erinnerte eher an eine Handarbeitslehrerin, so hatte Waldmeyer ergoogelt. Konnte das sein…? Auf jeden Fall vergnügte man sich dort draussen mit seinem Erbe.

Yachten sind nicht nur teuer, sie kosten auch sau-viel im Unterhalt. Für Betrieb und Unterhalt muss man mit jährlich 10% des Anschaffungswertes rechnen. Crew, Küche, Treibstoff, Gebühren – alles kostet ein Vermögen. Teuer sind auch die Ankerplätze in den Häfen. Wohl darum lag die Octopus jetzt etwas ausserhalb – ganz einfach um Kosten zu sparen? Die Octopus verfügt wohl deshalb über ein 12 m langes Schnellboot, mit dem man den nahen Hafen zügig erreichen kann. Damit kann die Crew locker und elegant an die Uferpromenade gelangen, um dort, nur zum Beispiel, eine Auswahl von Plastiktäschchen von Louis Vuitton zu kaufen, an welchen man sich dann auf der Octopus, inzwischen durchtränkt mit Langeweile, ergötzen könnte.

„Wieso haben wir uns nie ein Boot zugelegt?“, meinte Max zu Charlotte.

„Es reicht, Kinder zu haben. Und ein Schiff ist wie ein Pferd: Es braucht immense Betreuung.“

Stimmt, dachte Waldmeyer und studierte nochmals an den 10% rum. Die Octopus kostet 200 Mio USD, also kommt der Spass auf 20 Mio jährlich zu stehen. Da sind selbst Kinder günstiger.

Und noch etwas erkannte Waldmeyer: Man kann zwar mit einer teuren Rolex oder einem Rolls Royce Cabriolet ein Statement gegen aussen abgeben und so vorführen, dass man vermögend ist. Oder man lacht sich eine teure und repräsentative Villa an, die dann womöglich noch in einer Illustrierten mit einer Homestory gepostet wird. Möchte man indessen so richtig markieren und darstellen, dass man sich in der obersten Liga befindet, so wird die Luft dünn. Da braucht es dann schon einen Privatjet – mit dem Nachteil allerdings, dass man den fast nie vorführen kann. Die intrinsischen Gewinne in Sachen Image sublimieren sich dann quasi in der Luft. Die fette Yacht indessen ist das ultimative Statement. Denn die kann man zeigen, an allen wichtigen Hotspots auf der Erde. Falls man nicht von immer willkommenen Paparazzis abgelichtet wird, würde man notfalls an der Uferpromenade in Cannes oder St. Tropez ankern und an Deck (dieses gegen die Promenade gewandt) ostentativ ein Glas Dom Pérignon schlürfen, um wenigstens so gesehen zu werden.

Mit der App „MarineTraffic“, so entdeckte Waldmeyer, lässt sich übrigens bestens eruieren, über welche Daten jede Yacht verfügt. Dann kann man weitergooglen und entdeckt mit einigem Glück, wer der Eigner der Yacht ist. Oder eben die Eignerin – wie im Falle der Octopus. Ganz praktisch.  

Das Bier, welches Waldmeyer souverän mit „una caña por favor“ bestellt hatte, kostete nur 2 Euro. Charlotte schlürfte einen hervorragenden trockenen Cava: 4.50 Euro.

Und gleichzeitig konnte man – gratis – diese Yachten konsumieren, mittels MarineTraffic. Die Octopus weist eine Länge von 126 Metern auf, hat 38 Angestellte, zwei Helilandeplätze, ein U-Boot und eben dieses Louis Vuitton-Beiboot. In dieser Kategorie muss man mit 1.5 Mio USD pro Meter Schiffslänge kalkulieren. Die 200 Millionen USD konnten also stimmen. 

Charlotte sah blendend aus. Braungebrannt und schlank blinzelte sie gegen die Sonne, genoss ihren Cava und war ganz relaxed. Ja, fast zutraulich und heute weniger bissig als sonst. Die Nachbestellung der dritten Caña liess sie kommentarlos durchgehen – einfach so.

„Nöd gschenkt“, meinte Waldmeyer. Er meinte natürlich nicht die Caña, sondern die Octopus. Was für eine Erleichterung, dass Waldmeyer keine solche Yacht besass!

„Und wenn‘s stürmt, hängst du kotzend an der Reeling und verfluchst die 200 Mio. Dann noch lieber ein Pferd“, analysierte Waldmeyer weiter. Das leuchtete auch Charlotte ein, sie konstatierte jedoch: „Auch Meisterschwanden ist schön – zumindest im Sommer. Wieso sind wir jetzt nicht zuhause?“

„Erstens kostet dann eine Stange Bier 6 und ein Cüpli 18 Franken. Und zweitens schafft es Paul Allans Yacht nicht bis zum Hallwilersee – und wir könnten uns nicht über diesen Kahn amüsieren!“

Ja, schön, besass Waldmeyer keine eigene 200-Millionen-Dollar-Yacht. Manchmal ist Nicht-Besitz attraktiver. Und ja, Glück ist relativ, dachte sich Waldmeyer und war zufrieden über seine Erkenntnis. Er winkte dem Kellner und wollte erst ein beiläufiges „la cuenta por favor“ lancieren. Er besann sich im letzten Moment anders: „Una caña más, por favor!“

Waldmeyers Länderanalyse (Teil IV)

Oder: Könnte der Body Mass Index ein Entscheidungs-Parameter für die Wahl des zweiten Wohnsitzes werden?

Waldmeyer wollte Charlotte schon früher erklären, dass er eigentlich am liebsten in ein Land mit einem möglichst niedrigen Body-Mass-Index (BMI) ziehen würde. Es wäre ja nicht sehr erbauend, wenn sich durch die hübschen Einkaufsstrassen und an den schönen Boulevards und Stränden nur übergewichtige Leute schleppen würden. Waldmeyers ketzerische Frage also: Sollte der BMI bei der Auswahl des „Second Homes“, also für den besten zweiten Lebensmittelpunkt (2.LMP) ein eigener Parameter darstellen? 

Tatsache ist, dass die Welt zusehends verfettet. Ein Länder-Ranking würde Fürchterliches zutage bringen, selbst bei der Beschränkung dieser Beobachtung auf ein paar reduzierte Länderoptionen: Die USA, Neuseeland und Australien liegen weit vorne, sie sind die Adipositas-Anführer. Sie buhlen zusammen mit Kuwait und Samoa um die höchsten Werte. Weiter vorne liegen nur noch ein paar ganz kleine pazifische Inseln.

Waldmeyer forschte nach den Ursachen. So verglich er die BMI-Rangliste mit dem Zivilisationsindex der Länder – was aber keinerlei Korrelation ergab. Auch das Prokopfeinkommen schien kaum ein massgebender Faktor zu sein, welcher die Essgewohnheiten – und damit den BMI –  stringent beeinflusst. 

Eine gesunde und ausgeglichene Ernährung sei eine Frage des Bildungsstandes, meinte Charlotte, und er solle doch bitte ablassen von diesen erniedrigenden Betrachtungen in Sachen BMI. Aber das mit dem Bildungsstand stimmt eben nur bedingt, denn warum verfügt Deutschland in Europa über den höchsten BMI, die Schweiz und die Niederlande über den niedrigsten? Studien kamen zum Schluss, dass es wohl „sozioökonomische Faktoren“ seien, welche den BMI eines Landes beeinflussen. Das hilft allerdings auch nicht weiter, um die handfesten Ursachen zu erkennen, welche Waldmeyers Länderbewertung bestimmen würden.

Waldmeyer entging es nicht, dass die Bevölkerung Italiens und Frankreichs über einen sehr tiefen BMI verfügt, übrigens auch Vietnam und Thailand (vielleicht genetisch bedingt?). Portugal, Spanien, Griechenland und Zypern dagegen verzeichnen nur mittlere Werte; das ging nicht nur aus den Statistiken hervor, sondern deckte sich durchaus mit Waldmeyers Beobachtungen an den verschiedenen Strandabschnitten in diesen Ländern. 

Plötzlich fiel es Waldmeyer wie Schuppen von den Augen: Es ist die Gastronomie!

Richtig, hier gibt es eine klare Korrelation, denn Länder mit einem tiefen gastronomischen Level haben einen hohen BMI, Länder mit einer guten Wertung in Sachen Food & Beverage haben eine schlankere Bevölkerung. Und dieser F&B-Index wiederum, so hatten wir in früheren Beiträgen bereits erfahren, liess sich auf die unterschiedliche Kolonialisierung der Welt zurückführen. Die Briten hinterliessen, historisch gesehen, nämlich weltweit diese gastronomische Blutspur, die Franzosen hingegen kolonialisierten (rein gastronomisch gesehen) sehr intelligent.

Waldmeyer war beruhigt. Es braucht also keinen neuen Parameter für seine Länderbewertungen, die BMI-Betrachtung war in seinen Analysen bereits berücksichtigt, sozusagen „eskomptiert“, wie Waldmeyers früherer Anlageberater, Pierino Caduff, es formulieren würde. Man könnte nun ganz einfach die Gastronomie-Wertung zu Rate ziehen, dann würden automatisch Länder in der Gesamtbewertung nach vorne rücken, welche über ansprechende Strassen- und Strandbilder verfügten.

Waldmeyer war sich dieser sozial heiklen Erkenntnisse durchaus bewusst. Er meinte deshalb gegenüber Charlotte, er wolle das BMI-Thema nicht weiter verfolgen – im geheimen Wissen darum, dass die ausgewählten Länder mit guten Küchen eben gleichzeitig auch über weniger optische Defizite verfügen. „Es hat sich erledigt, Charlotte, wir konzentrieren uns besser auf die F&B-Wertungen!“

Ist Max Waldmeyer paranoid? (Teil II)

Oder: Waldmeyer veröffentlicht seine 13 Theoreme in Sachen Katastrophen-Vorsorge

Katastrophen haben es nun einmal in sich, dass sie sich leider selten ankündigen. Sie sind etwa mit der gleichen Genauigkeit vorauszusehen, wie Bankanalytiker den Verlauf der UBS Aktie prognostizieren. Also gilt es, bestmöglichst Vorsichtsmassnahmen zu treffen. Von einem Katastrophenfall kann man z.B. auch während einer Reise erfasst werden. Frei nach Murphy’s Law könnte beispielsweise der Vesuv genau dann ausbrechen, wenn sich Waldmeyer in Neapel befindet. Wenn wir uns nur etwas weiter von zu Hause entfernen, laufen wir in vielen Fällen eher Gefahr, wenn nicht von Katastrophen, so doch zumindest von Infrastrukturdefiziten heimgesucht zu werden. Wir müssen uns also vorsehen. Waldmeyer hat dafür eine Checkliste ausgearbeitet, welche fairerweise nichts mit Paranoia, sondern einzig mit intelligenter Umsicht zu tun hat. 

Seit dem 8. Januar 2021 wissen wir, wie nahe wir an einem Blackout vorbeigeschrammt sind. Der Bundesrat hatte schon vor Jahren definiert, welche möglichen Krisen die höchsten Wahrscheinlichkeiten aufweisen. An erster Stelle steht dabei gerade eine Strommangellage. An zweiter Stelle eine Pandemie. Hohe Wahrscheinlichkeiten weisen beispielsweise auch Cyberattacken auf. Andererseits fehlen auf dieser Krisenliste klassische militärische Kriegsszenarien – so etwa die Gefahr, dass die Russen den Rhein überschreiten. Waldmeyer amüsierte sich, dass wir in der Schweiz jährlich sechs Milliarden für die Armee ausgeben – für ein Szenario also, dass der Bundesrat selbst gar nicht mehr als solches aufführt. Und das Peinliche nun: Für ein echtes Krisenszenario mit einer selbst deklarierten hohen Wahrscheinlichkeit – so einer Pandemie – waren wir nicht vorbereitet.

Waldmeyer ist überzeugt, dass wir auch auf eine Strommangellage nicht vorbereitet wären. Der Bundesrat würde dann wieder vor die Presse treten und wahrscheinlich erneut lügen. So wie bei den Masken. Er würde erklären, dass es Strom gar nicht braucht. Strom würde generell überschätzt, und der Bundesrat würde die Lage ausserdem studieren. Vermutlich würde man auf Bundesrat Bersets bewährte Formulierungen zurückgreifen: „Wir müssen jetzt einfach schauen, dass wir gut studieren können, wie wir dann entscheiden sollen…“ Oder ähnlich. Leider würde es im Falle eines Blackouts beispielsweise, einfach departementbedingt, insbesondere Simonetta Sommaruga treffen; sie wird als ausgebildete Pianistin vielleicht keine Traumbesetzung für die oberste Infrastruktur-Krisenchefin sein, aber sie wird bestimmt wieder dazu beitragen, dass ein Ruck durch die Bevölkerung geht. Nur wird damit das Licht nicht wieder angehen.

Genau deshalb meint Waldmeyer: „Selbst ist der Mann“ und hat dafür die 13 Waldmeyer’schen Theoreme entworfen (die sog. WM-Theoreme 1 bis 13). Im Wissen darum im Übrigen, dass die meisten künftigen Krisen wohl strombedingt sein werden.  

WM-Theorem Nummer 1: Der Mensch muss immer genügend Wasserreserven halten. (Wasser kann verseucht sein, die Versorgung gekappt oder lokal aufgrund von Stromunterbrüchen nicht hochgepumpt werden.)

WM-Theorem Nummer 2: Der Mensch darf die Reserven an haltbaren Lebensmitteln nie ganz ausgehen lassen (ebenso wenig die Reserven an Hygienemitteln, wir erinnern uns an die Geschichte mit dem Toilettenpapier).

WM-Theorem Nummer 3: Fahrzeuge sollten nie ohne mindestens eine halbe Tankfüllung stehen gelassen werden (Fahrzeuge müssen auch als Fluchtmittel betrachtet werden).

WM-Theorem Nummer 4: Der Mensch soll vom Netz unabhängige Leuchtmittel immer an den strategisch richtigen Orten bereithalten.

WM-Theorem Nummer 5: Der Mensch sollte immer genügend Bargeld in passender Währung im Safe und in der Brieftasche halten – in nicht zu grossen Noten.

WM-Theorem Nummer 6: Insbesondere der Digitale Mensch sollte unterschiedliche Provider für Mobiltelefone, Laptops und/oder Tablets wählen (nicht alle Anschlüsse über den gleichen Netzanbieter!).

WM-Theorem Nummer 7: Der kluge Mensch notiert alle Notfallnummern nicht nur in seinem Smartphone, sondern steckt zusätzlich einen ganz analogen „Notfallzettel“ mit den lebensrettenden und wichtigen Nummern in die Brieftasche (Aufführen der Blutgruppe nicht vergessen).

WM-Theorem Nummer 8: Der moderne Mensch soll die örtliche Bankverbindung auf zwei unabhängige Banken ausweiten (gilt auch für das Ferienhaus, wo immer sich dieses befindet).

WM-Theorem Nummer 9: Der Mensch muss die Notapotheke immer ausreichend bestückt halten (diese muss auch Schmerz- und Desinfektionsmittel sowie neu auch Masken, Schutzüberzüge und Handschuhe enthalten). 

WM-Theorem Nummer 10: Der umsichtige Mensch muss seine Versicherungsleistungen so anpassen, dass er sich von jedem Ort aus weltweit und jederzeit ins richtige Krankenhaus begeben oder ausgeflogen werden kann.

WM-Theorem Nummer 11: Der kluge Mensch unterhält im Haushalt so wenig wie möglich digitale Systeme: Schliesssysteme und Klospülungen beispielsweise dürfen nur analog vorgesehen werden („smart home“ Lösungen sind i.d.R. alle nicht krisentauglich).

WM Theorem Nummer 12: Der clevere Mensch deponiert Wertsachen, Schlüssel, Pass und wichtige Dokumente (Impfpass, in Papierform, nicht vergessen) zusammen an einem definierten Ort, damit diese jederzeit rasch und komplett greifbar bleiben.

WM-Theorem Nummer 13: Der moderne Mensch hält sich einen Generator. Bei jeder unabhängigen und/oder grösseren Immobilie gehört ein solches Gerät zur zwingenden Grundausstattung. Diese Regel gilt für fast alle Länder, von Florida über alle mediterranen Länder bis Bali. Und seit dem 8. Januar 2021 auch für die Schweiz. Ein Stromunterbruch über mehrere Stunden oder Tage zerstört nicht nur den kostbaren Inhalt des Kühlschrankes oder des Weinkellers, er kappt den Menschen ganz einfach von seiner Aussenwelt. Sogar die Klospülung könnte so lahmgelegt werden, da die Wasserpumpe nicht mehr funktioniert. Und Mobiltelefone und Laptops müssen selbstverständlich immer aufgeladen werden können. Ein paar Kanister Treibstoff gehören ebenso zur Grundausrüstung. Bei der Wahl des Generators gelten zwei Regeln: erstens eher etwas stärker und zweitens das Modell so auswählen, dass der Treibstoff kompatibel mit dem Fluchtfahrzeug ist (also entweder Benzin oder Diesel). 

Das 13. Theorem betrachtet Waldmeyer übrigens als fast das wichtigste, auch wenn er damit in der Nachbarschaft in Meisterschwanden nur Spott erntet. Waldmeyer lächelte und dachte dabei an seine Nachbarin Bettina Honegger (die mit den Verschwörungstheorien), wie sie im Dunkeln angekrochen käme und um zehn Minuten Aufladezeit für ihr Handy betteln würde. Waldmeyer würde die Hilfe vielleicht verweigern und sie daran erinnern, dass so eine Auszeit doch auch der Gesundheit zuträglich sein könnte. Waldmeyer würde Bettina auch daran erinnern, dass es doch 5G-Antennen waren, die (mithilfe Bill Gates) die Pandemie ausgelöst hatten!

Zu seinen 13 Theoremen meint Waldmeyer generell: kleine Vorsichtsmassnahme, grosse Wirkung. Er orientierte Charlotte mittels einer abschliessenden Konklusion: „Und diese Denke gilt auch als Vorbeugung für die nächste Pandemie, so zum Beispiel Covid-27.“

Wieder einmal unterbrach Charlotte dieses singuläre Brainstorming Waldmeyers und erinnerte ihn an die Ferienplanung: „Was ist jetzt mit Italien im September, Schatz?“ Waldmeyer blickte entgeistert zurück: „Aber nicht bis Neapel runter, ja!“

Max Waldmeyer im Gespräch in Sachen weltweiter Gastronomie

Ein Interview mit Daniel Füglister, CEO Hotelfactory AG

Daniel Füglister ist CEO der Gastronomie- und Hotelberatungsfirma Hotelfactory AG. Er versucht, Max Waldmeyer ein paar Statements zu entlocken in Sachen weltweiter Gastronomiegeschichte. Waldmeyer kocht gerne auch einmal selbst – aber er lässt vor allem kochen und kann dabei auf seine polyglotten Erfahrungen zurückblicken. Daniel Füglister versucht, ihn in die Zange zu nehmen.

Daniel Füglister (DF): Max, du erklärst immer, die weltweit unterschiedliche Gastronomie sei einfach „gesellschaftsbedingt“. Die Aussage erscheint mir doch etwas dürftig. Wie meinst du das?

Max Waldmeyer (WM): Nun, schau dir nur mal Europa an. Der Deutsche sieht sich als Kunde des Staates. Der Schweizer als Teil von ihm. Den Briten andererseits ist der Staat völlig egal, solange dieser ihn in Ruhe lässt. Der Franzose sieht den Staat als Gegner, der Spanier ebenso (er hat Angst vor dem Staat). Der Italiener ist frei vom Staat, er hat den Glauben an ihn schon lange verloren und richtet sich autark ein (alternativ glaubt er an die Familie und an die Mafia). 

DF: Schön und gut, aber was, bitteschön, hat das nun mit Gastronomie zu tun?

WM: Gar nichts. Es zeigt nur auf, wie sich die Gesellschaften unterschiedlich entwickelt haben. Genauso wie die Geschichte der Staaten – und entsprechend eben deren Gastronomie.
Und wenn wir schon über Geschichte sprechen: Absolut prägend beispielsweise war die unterschiedliche Kolonialisierung der Welt.

DF: Kannst du das ein bisschen erläutern?

WM: Schau dir mal die Briten an: Ihre kulinarische Basis war, historisch gesehen, immer schon sehr bescheiden. Dann zogen sie los und eroberten die Welt – und verbreiteten dabei in ihren Kolonien die schlechte Küche. Überall dort, wo sie ihre Überseegebiete errichteten, zogen sie eine gastronomische Blutspur hinter sich her: in den USA, Australien, Neuseeland, sogar in der Karibik, im Atlantik und im Pazifik. Die Spanier und die Portugiesen machten es übrigens auch nicht besser. Rein kulinarisch gesehen war da die französische Kolonialisierung geradezu ein Segen. Überall dort, wo sie ihre Kolonien bildeten, isst man auch heute noch hervorragend! 

DF: Du erklärst allerdings die italienische und nicht die französische Küche zur besten der Welt. Da bin ich einverstanden, das Statement könnte auch von mir kommen. Aber warum ist das so…?

WM: Schau dir doch nur mal die merkwürdige Geografie des Landes an. Dieser Stiefel hat es in sich, denn insgesamt verfügt das Land über eine Küstenlänge von 7‘600 km. Zur Römerzeit war es natürlich bedeutend mehr. Aber noch heute ist das rekordverdächtig, denn so grenzt Italien mit 7‘600 km an das Mittelmeer. Italien ist also das mediterranste Land der Welt. Geht man nur etwas ins Landesinnere, z.B. in der Toscana, landet man gleich wieder auf der anderen Seite am gleichen mediterranen Meer. Dazwischen liegen nur Weinberge und bestenfalls ein paar Trüffel. Italien ist also durchtränkt mit „mediterran“, mit Olivenöl, Früchten des Meeres, guten Weinen. Kein Wunder, liegt Italien so auf dem 1. Platz.

DF: Mir fehlt nun aber der gesellschaftliche Link.

WM: Anstelle an den Staat glaubt der Italiener wie gesagt an seine Familie, er glaubt an die Kirche und die Mafia. Aber eben vor allem an seine Küche. Die Italiener haben hier einfach einen bemerkenswerten kollektiven Wettbewerbsvorteil – gerade aufgrund dieses fundamentalen Ersatzglaubens. Schade, hatte Italien früher nicht mehr Kolonien.

DF: Italien kolonialisiert die Welt heute vielleicht einfach mittels Export seiner Küche, auch weltweit! Nun, gehen wir nochmals zurück zur französischen Küche. Sie gilt ja als die raffinierteste weltweit. Wie siehst du hier den gesellschaftlichen Hintergrund?

WM: Böse Zungen behaupten, die Italiener hätten ihre Küche nach Frankreich gebracht. Es war jedoch eher so, dass die Haute Cuisine mit ihrer endlosen Menüabfolge einfach aus Langeweile am französischen Hof entstand. Dieser war zudem gesellschaftlich bestimmend in ganz Europa. Ja, und dann haben die Franzosen die Restaurants erfunden. In ihrer monarchischen Denke sind sie heute nicht weiter, und nur schon der Glaube an die Grande Nation hilft ihnen, dauernd an die herausragende Küche zu denken. Paul Bocuse mit seiner marketingmässig exzellent lancierten Nouvelle Cuisine trug dann das Ihre zum Mythos bei. Bocuse war übrigens ein lustiger Kerl, er mischte auch schon mal etwas Kuhmist in ein Gericht.

DF: Ansonsten nehmen die Franzosen ihre Küche natürlich sehr ernst.

WM (seufzt): Todernst. Hier hört der Spass auf. Ich selbst wurde im Restaurant nicht nur einmal von Kellnern zurechtgewiesen.

DF: Hier ein paar Stichworte: Was fällt dir zu Sauce Hollandaise ein?

WM: Ja, diese ist wohl ein Ärgernis für die Franzosen, weil sie nicht Sauce Française heisst. Aber die Holländer verfügten damals wohl einfach über die bessere Butter.

DF: Und Tournedos Rossini?

WM: Dieser Rossini konnte gar nicht kochen; er war nur Komponist.

DF: Und Filet Wellington?

WM: Wir kennen diesen Typ, den Wellington, gar nicht richtig. Er war sicher auch kein Koch. Wohl eher ein zweitklassiger General, der sein totes Pferd aufgegessen hat – zumindest das Filet davon.

Gehen wir besser nochmals zurück zur Kolonialisierung: Während die Briten nur etwas Chutney und Pfeffer nach Hause trugen, brachten die Franzosen viel mehr an Ideen aus der ganzen Welt an den heimischen Herd. Ich meine damit nicht den Couscous, der heute in den Banlieus von Paris gekocht wird. Sondern z.B. die Gewürze und Rezepte, die aus Indochina und Afrika stammen. Das führte sicher zu den Höchstleistungen.

DF: Solche Höchstleistungen gab und gibt es auch immer noch in Fernost!

WM: Einverstanden, die japanische Küche beispielsweise ist hervorragend; die Japaner essen aber einfach viel zu schnell. Ist auch kein lustiges Volk, auch beim Essen nicht. Ebenso hervorragend ist die thailändische Gastronomie – oder die vietnamesische, die notabene gerade dank der französischen Kolonialisierung weiter verfeinert wurde. Auch dürfen wir die Peruaner nicht vergessen, zumal sie die spanischen Konquistadoren zumindest kulinarisch überlebt hatten. Die Peruaner, bzw. die Inkas, kennen „Ceviche“ seit tausend Jahren. Die Spanier klauten den Inkas jedoch nur ihr Silber, nicht aber die Rezepte. Das war ziemlich dumm. Die Spanier frittieren auch heute immer noch alles, ein Jammer.

DF: In vielen Ländern ist der Stellenwert der Küche natürlich eine Frage der Zivilisation.

WM (überlegt kurz): Der neue Internationale Brutvögelatlas hat 1‘000 Seiten. Und Finnwale können bis zu 150 Jahre alt werden.

DF: Max, konzentrier dich bitte aufs Interview!

WM: Was ich damit sagen möchte: Viele Gesellschaften und viele Menschen interessieren sich einfach für ganz andere Dinge, nicht für die Gastronomie. Das ist schade. Beispielsweise die Amerikaner. Sie könnten sich eine anspruchsvollere Küche leisten, tun es aber nicht.

DF: Du meinst, das geht über die historische Schuld der Briten hinaus?

WM: Betreffend der britischen Verantwortung, so denke ich, können sich die Amerikaner heute auf die Gnade der späten Geburt berufen. Nicht aber betreffend der aktuellen Vergehen. Die USA trifft eine kollektive Schuld, nämlich durch die weltweite Verbreitung des Fast Food. Sie sind u.a. verantwortlich für den in vielen Ländern explodierenden BMI (Anmerkung Red.: Body Mass Index).

DF: Danke für das Interview, Max. Genau hier werden wir das nächste Mal unser Gespräch fortsetzen: Wir werden über die schlechtesten Küchen der Welt sprechen!

WM: Gerne, das wird allerdings ziemlich unappetitlich werden!

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