Waldmeyer und der Trick mit der Inflation

Reichtum macht nicht glücklich, meint Waldmeyer, kein Geld aber auch nicht. Besonders ärgerlich ist es, wenn man bereits Geld hat, dieses sich indessen durch Inflation verflüchtigt. Jetzt setzt Waldmeyer zum Handeln an.

Waldmeyer ärgert sich seit geraumer Zeit: Die Staaten rund um den Globus erhöhten in den letzten Jahren ihre Schulden massiv, an Rückzahlung allerdings denkt niemand. Bei null Zinsen ist das natürlich easy. Tiefe Zinsen und eine Ausweitung der Geldmenge führen indessen mittelfristig immer zu Inflation. So hatte es Waldmeyer einst gelernt. Aber irgendwie stimmte das bis vor kurzem nicht mehr, denn seit Jahren hauten die Notenbanken Unsummen von billigem Geld raus – und nichts passierte. Das Wunder von Bern, Frankfurt und New York in einem. 

Aber nun ist sie trotzdem da, die Inflation. 2% hätten es bisher maximal nur sein sollen, so liessen es die meisten Notenbanker unisono verlauten. Und kein Prozent mehr, sonst solle dann Schluss sein mit der Nullzins-Politik – versprochen. Denkste! Es fand anders statt.

In den USA beträgt die Geldentwertung zurzeit plötzlich fast 8%, in Deutschland rund 7%. In der Schweiz ist die Inflation auf wundersame Weise kaum angekommen, klopft nun aber doch an die Tür.

Geldentwertung ist bekanntlich schlecht, weil sie Ersparnisse und Renten vernichtet. Und sie führt i.d.R. zu einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale, welche die Wirtschaft eines Landes in die Bredouille bringt. Die Leute kaufen dann auf Teufel komm raus noch mehr Sachwerte, die Immobilienpreise steigen noch schneller, ein Eigenheimerwerb wird damit für die meisten Kreise noch schwieriger. Und der Van Gogh, den sich Waldmeyer ohnehin nie leisten konnte, bleibt dann erst recht unerschwinglich. Ein Drama. In Venezuela wird Geld heute nur noch gewogen – nicht mehr gezählt. Für eine Schubkarre voll gibt es kaum ein Dinner. Nun, soweit muss es ja nicht kommen bei uns. Aber nur schon 7%-Inflationsraten vernichten die Kaufkraft erheblich, nach zehn aufeinanderfolgenden Jahren verbleibt real weniger als die Hälfte im Portemonnaie. Der irrlichternde Erdogan in der Türkei kann ein Lied davon singen: Mit der falschen Währungspolitik (wie unrealistisch tiefen Zinsen) verbucht er heute rund 50% Inflation, und er hat der türkischen Lira, im Verhältnis zum Schweizer Franken beispielsweise, in den letzten zehn Jahren einen Wertverlust von sage und schreibe 90% eingebrockt. Und was Putin demnächst noch blüht in Sachen Inflation in seinem Despotenreich, können wir uns kaum ausmalen.

Jemand allerdings freut sich auf jeden Fall über Inflation: die Staaten selbst nämlich, denn so entwerten sich ihre Schuldenberge. Nicht nominell, aber kaufkraftmässig. Dann ist es also gar nicht so schlimm, wenn man weiter – heute oft unter dem Deckmäntelchen von Corona-Investitionen, steigenden Energiepreisen und militärischem Aufrüstungsdruck – Schulden macht? Sie vernichten sich quasi von selbst, mit der Inflation?! Angeführt von dem Italiener Draghi, der ehemaligen Kinderärztin von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin, und sekundiert von der Juristin Lagarde (Europäische Zentralbank) werden sich die Schuldenberge in Europa noch weiter auftürmen, die billigen Geldmengen ebenso. Macron befeuert die Sache zusätzlich, die Franzosen waren nämlich schon immer blinde Etatisten, sie lieben den Einfluss des Staates und kümmern sich einen Deut um horrende Staatsschulden.

In vielen EU-Ländern übersteigt die Staatsquote (also der Anteil des Staatskonsums am gesamten Konsum der Volkswirtschaft) inzwischen die gefährliche Marke von 50%. Da gehen alle roten Lampen an, meint Waldmeyer, denn der Staat müsste dann gleichzeitig auch 50% der ganzen volkswirtschaftlichen Leistung einnehmen (mit Steuern, etc.), falls alles im Gleichgewicht bleiben soll.

Das alles funktionierte bisher genau so lange, als man fahrlässigerweise die Zinsen – allen ökonomischen Regeln zum Trotz – bei null beliess. Der Schlamassel ist nun angerichtet, denn die Inflation steigt. Jetzt müsste man die Zinsen dringend raufsetzen, und der Staat müsste sparen. Müsste… Ein Blick Richtung Bosporus zeigt, wohin das führen kann, wenn man nicht handelt.

Im Moment verstecken sich die europäischen Notenbanken, Regierungen und Politiker immer noch hinter der Theorie, dass die aktuelle Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Es würde sich nur um ins Stocken geratene Lieferketten handeln, die Inflation sei gar nicht hausgemacht, einfach nur exogen verursacht durch die Pandemiekosten und die Ukraine-Wirren. Alles würde sich demnächst normalisieren, dann könne man wieder die „gesunde“ und optimale 2%-Inflation anvisieren. Wirklich? Vielleicht?

Die massive Verschuldung mit der fortwährenden Tiefzinspolitik ist zudem eine zusätzliche Sünde: Die jungen Generationen werden bei einem Zinssatz von null nämlich nie mehr richtig sparen können. Bald, so ist Waldmeyer überzeugt, wird die Zinseszins-Rechnung aus den Schulbüchern gestrichen. Es braucht sie schlichtweg nicht mehr.

„Charlotte, jetzt ist genug!“, meinte Waldmeyer zu seiner Frau. „Jetzt machen wir auch Schulden. Wir sind ja nicht blöd. Der Staat überzieht da laufend, und wir sollen einfach zuschauen?“

Stimmt, Geld kostet nichts. Waldmeyer wird also demnächst mit seinem alten Banker Pierin Caduff sprechen und überlegen, ob er massiv Hypotheken beantragen soll (vielleicht würde er sogar einen negativen Zinssatz kriegen?) und damit, mit minimalem Eigenkapitaleinsatz, ein paar fette Immobilien kaufen. Was kostet denn schon die Welt! Natürlich kurbelt Waldmeyer damit die ganze Misswirtschaft nur noch an. Aber die Letzten beissen bekanntlich die Hunde.

Nur, obacht: Waldmeyer ist sich nicht ganz sicher, ob er selbst dann nicht auch zu den Letzten gehören könnte.

Waldmeyer an der Expo in Dubai (Teil 2)

Oder: Wie absurd eine Weltausstellung ist

Expo-Ausflug in Dubai, Tag zwei: Waldmeyer knöpfte sich die Pavillons eher weniger bekannter, unbedeutender oder rückständiger Länder vor. Dabei sollten, so der Plan, auch ein paar „Shithole-Countries“ besucht werden. Es sollte ein eindrücklicher Tag werden.

Weltausstellungen sind nicht nur Prestige-Veranstaltungen, sie haben auch edukativen Charakter. So war es zumindest früher. Damals galt es, die weite Welt in den Vorgarten des Bürgers zu bringen. Expos waren zu jener Zeit eigentlich Vorreiter des Internets – nur wusste es niemand. So konnte z.B. eine schwarze Eingeborenenfrau ausgestellt werden: Das war etwas, das die Leute zuvor noch nie gesehen hatten.

Heute ist eine Weltausstellung eher ein Anachronismus. Was soll man denn noch zeigen, wenn schon alles auf dem Web ist? Trotzdem profilieren sich Staaten immer wieder mit solchen Prestigeübungen. Sie kosten Unsummen, sind alles andere als rentabel und hinterlassen in der Regel nur Narben in Gelände und Infrastruktur. Selbst für ein hoch entwickeltes Land ist es schwierig, so stellte Waldmeyer bereits bei seinem Vortagesbesuch auf dem Ausstellungsgelände fest, sich spannend darzustellen.

Eindrücklicher, am zweiten Tag nun, erschienen Waldmeyer die eher skurrilen Ausstellungen meist kleiner, bildungsferner oder etwas rückständiger Länder. Die Pavillons hatten eines gemeinsam: Sie hatten überhaupt nichts mit dem Expo-Thema zu tun, an dem es im weitesten Sinne um „Sustainability“ gehen sollte. Wer sich nach Details sehnt, hier ein paar herausgegriffene Beobachtungen Waldmeyers, in alphabethischer Reihenfolge:

Afghanistan: Hier gibt es Teppiche zu kaufen und Pelzmäntel.

Albanien: Nach der Betrachtung des Videos wissen wir, dass es nichts Sehenswertes gibt in dem Land.

Belarus: Auch in diesem fünfstöckigen, riesigen Pavillon gibt es nichts ausser lauter nichts. Ein kleines Modell einer Zugkombination von Stadler Rail trägt auch nicht zum Staunen bei. Herr Stadler wird sich zurzeit eh die Haare raufen.

Bulgarien: Jetzt weiss man definitiv, warum man dieses Land nie besuchen möchte. Ausser man interessiert sich für Trachten.

Kuba: Der Pavillon wird von einer Australierin und einer Finnin geführt, an der improvisierten Bar gibt’s allerdings nichts zu trinken. Hemingway würde sich im Grabe umdrehen.

Bosnien-Herzegowina: Man sieht Fotos mit vielen grünen Wäldern. Und auch hier: Trachten.

Gambia: In einer nackten Halle werden ein paar Photos von Löwen gezeigt.

Guyana: Seit der Hintergrund-Zeit des Romans „Papillon“ hat sich offenbar nicht viel verändert in der Region.

Iran: Ein weiterer Teppichladen.

Irak: Das kaputte Land zeigt lediglich ein paar Bilder mit ziemlich hässlicher „moderner“ Kunst.

Kasachstan: Im Erdgeschoss wird eine Steppe gezeigt, weiter oben spielt eine hübsche kasachische Turnerin mit einem Roboter. Und man kann Pferdefleisch essen.

Kosovo: Bei den dürren Informationen auf einzelnen Fotos und in Videos fühlt man sich in die  80er Jahre zurückkatapultiert.

Libyen: Die Warlords haben ein paar unverfängliche Schaubilder von Landschaften platziert.

Mali: Eines der ärmsten Länder der Welt, deshalb gibt‘s dort auch nichts zu sehen.

Marokko: Hier gibt es einen Shop mit allerlei Souvenirs, und man kann Couscous essen.

Rumänien: Der Pavillon besteht im Innern nur aus einem Mega-Screen, auf dem ein Filmchen ein unbekanntes Skigebiet präsentiert. Man steht so nahe an der Leinwand, dass einem sofort übel wird.

Serbien: Hier gibt es eine rätselhafte Ausstellung mit bestickten Kissen.

Somalia: Hier kann man lustige Teeshirts mit Somalia-Flagge kaufen.

Palästina: 360-Grad-Bilder einer schmutzigen Stadt. Da wollen wir auch nicht hin.

Pakistan: Waldmeyer war auf das Schlimmste gefasst. Aber hier die Überraschung: einer der besten Pavillons der ganzen Ausstellung, farbenfroh, gute Qualität, atemberaubende Bilder. Waldmeyer hegt trotzdem keine Urlaubspläne.

San Marino: Der Zwergstaat zeigt u.a. alte Münzen. Waldmeyer ist kein Numismatiker, also ein Zehn-Sekunden-Besuch.

Sudan und Südsudan: Ein paar verlorene Schautafeln, zwei weitere Zehn-Sekunden-Besuche. Nun, was sollen die Kerle schon zeigen?! Sand? Hunger? Etwas Erdöl?

Syrien: Präsident Assad zeigt ein paar unverfängliche Schnitzereien und merkwürdige Tafeln aus Holz.

Ukraine: Im Erdgeschoss kann man Getreide anschauen. Es scheint sich um echte Ähren von den weiten Äckern des Landes zu handeln. (Fatal, dass jetzt russische Panzer durch diese Äcker pflügen.)

Jemen: Wieder verlorene Schautafeln. Ein Rätsel, warum alle diese Staaten mitmachen, nur um nichts zu präsentieren. 

Das Rätsel des nicht-präsenten Staates Liechtenstein konnte Waldmeyer übrigens bis zum Schluss nicht lösen. Vielleicht war der Fürst des Ländles – nebst seinem nordkoreanischen Kollegen Kim Jong-un – ganz einfach der einzige Staatsführer, welcher mit einer Nicht-Teilnahme an der Expo staatsmännisch und richtig entschieden hatte?

Die Expo 2025 soll in Moskau stattfinden. Waldmeyer weiss schon heute: Erstens wird sie nicht stattfinden, und zweitens wäre er auch nicht hingegangen. Er fragte sich, ob der liechtensteinische Fürst wohl überlegt hatte, dass man sein Land einfach googeln könnte. Also googelte Waldmeyer kurz Liechtenstein: ganz sauber und putzig, dieses Zwergenland! Waldmeyer beschloss, 2025 ein nachhaltiges Wochenende im Fürstentum zu verbringen. Einfach so.

Waldmeyer an der Expo in Dubai (Teil 1)

Oder: Warum Weltausstellungen heute ein Witz sind

Waldmeyers Besuch an der Expo in Dubai wurde zu einem bizarren Eintauchen in ein an Komik grenzendes Länder-Marketing. Die schlechte Nachricht vorab: Die meisten Länder-Pavillons sind grottenschlecht. Die gute Nachricht: Sie sind so grottenschlecht, dass der Besuch zu einer äusserst amüsanten Tour de Monde wird! Den Schweizer Pavillon sparte sich Waldmeyer bis zum Schluss auf.

Waldmeyer studierte die letzten Expo-Themen: In Südkorea 2012 ging es um das wenig atemberaubende Thema „lebendiger Ozean“. In Mailand 2015 ums Essen – immerhin, das passte ganz gut. 2017 dann Kasachstan (wir erinnern uns leider nicht mehr).

An der Weltausstellung 2021/2022 in Dubai geht es, wenn man den langfädigen Slogan radikal vereinfacht, um „Sustainability“, also um Nachhaltigkeit. Nur schon das Thema erscheint etwas fragwürdig, denn das Wüstenemirat mag heute zwar durchaus modern aufgestellt sein, dessen ökologischer Fussabdruck indessen ist spitze – allerdings im negativen Sinne.

Weltausstellungen gibt es seit 170 Jahren; London eröffnete den Reigen dieser globalen Shows im Jahr 1851. Seinerzeit ging es darum, „moderne“ Errungenschaften eines Landes zu zeigen. In Erinnerung geblieben ist deshalb auch Paris, wo der Eiffelturm 1889 Zeugnis für die brillante französische Ingenieurskunst ablegen sollte. Leider ging dabei unter, dass der Chefingenieur nicht Monsieur Eiffel, sondern der Schweizer Maurice Koechlin war. 

Doch zurück nach Dubai: Einen brauchbaren interaktiven Übersichtsplan des riesigen Geländes gab es nicht. Waldmeyer, armeegeprüft und auch sonst mit helvetischer Bodenhaftung, studierte deshalb minuziös den Falt-Plan des Expogeländes: 192 Staaten stellen aus. Die UNO zählt weltweit 195 Staaten, inklusive Vatikan und Palästina. Nicht in der UNO-Liste sind Hongkong und Macao (da heute Kolonien Chinas), und Taiwan durfte offenbar nicht ausstellen. Waldmeyer entdeckte weiter: Es fehlt Ecuador (das Land hatte seinen Pavillon schlichtweg nicht fertiggekriegt). Vorsätzlich nicht vertreten an der Expo waren offenbar nur Nordkorea und Liechtenstein. Ja, Liechtenstein – ein Rätsel.

Umso erfreulicher deshalb, dass sogar Somalia, Mali oder Afghanistan Pavillons betrieben. Oder selbst Zwergstaaten wie San Marino, oder Mini-Inselstaaten in der Karibik oder im Pazifik, so St. Kitts and Navis, die Salomonen-Inseln, Kiribati oder Tonga. Aber: Warum nur, um Himmels Willen, stellen die aus…? Und Liechtenstein andererseits nicht…?

Waldmeyer fasste einen Plan: Am ersten Tag wollte er vorab nur „normale“ Staaten besuchen. Und erst am Schluss des Tages, so das Konzept, wollten er und seine Frau Charlotte dann bei der Schweiz vorbeischauen – als krönender Abschluss des Ausflugs quasi. Am zweiten Tag wollte er sich dann die etwas weniger bekannten Staaten vorknöpfen. Auch ein paar richtige „Shithole Countries“ sollten dann dabei sein.

Waldmeyer Family parkte also ihr nicht gerade „sustainable“ SUV auf dem Sustainable Parking (so ausgeschildert), das so gross ist wie das Appenzellerland, und schwang sich dort auf den mit schmutzigem Diesel betriebenen „Sustainable Shuttle“, welcher sie bis zum „Sustainable Entry Portal“ führte.

Die paar Solarzellen, die da und dort an einzelnen Ausstellungspavillons angebracht worden waren und die vereinzelten „nachhaltigen“ Themenübernahmen trösteten marginal darüber hinweg, dass die ganze Übungsanlage selbstredend nicht sehr sustainable ist. Auch wenn störrisch behauptet wird, dass die traurigen Infrastrukturüberbleibsel der gigantischen Anlage nach der Expo in ein neues sustainable Hightech-Quartier überführt werden sollen.

Dennoch: Der Besuch lohnte sich allemal! In der Tat gibt es allerlei Belustigendes zu betrachten. Für Interessierte hier ein Auszug aus Waldmeyers Beobachtungen, vorab aus der Liste mit mehr oder weniger „normalen“ Ländern:

Deutschland: Hier kann Bier getrunken werden. Das eher wenig elektrisierende Thema „Wissen, Forschen und Begegnung“ gerät dabei leicht in den Hintergrund. Unser Nachbarland hat es immerhin geschafft, auf ihrem „Campus“ das Expo-Thema zu streifen.

Frankreich: Historische Bücher, eine Frau lädt einen elektrischen Renault auf, es gibt Lacoste-Polos zu kaufen, ein Pain au Chocolat gibt‘s für vier Franken.

Italien: Von einem riesigen nackten David wird nur der Oberkörper gezeigt. Ob sein mageres Gemächt bei den Macho-Arabern Bedauern hervorgerufen hätte? Auf jeden Fall gibt es einen ganz guten Espresso an diesem Stand.

Holland: Im Untergrund des Pavillons wird etwas künstlicher Regen erzeugt. Die Vermittlung des Themas bleibt geheimnisvoll.

Spanien: Es geht um die ehemalige Grösse des spanischen Reiches, die Conquistadores, etc. Es kommt einem spanisch vor.

UK: Ziemlich verwirrend, denn die Halle ist komplett leer. Man darf ein frei gewähltes Wort digital abgeben, welches dann später, irgendwann nach der Expo, mittels Künstlicher Intelligenz zu einem Gedicht zusammengefügt wird. Pretty strange…

Slowakei: Der beste Pavillon der ganzen Expo, findet Waldmeyer. Denn es gibt allerlei Interessantes aus der Autoindustrie zu sehen und die mit Abstand hübschesten Hostessen. In der Warhol-Bar auf dem Rooftop gibt es eine robuste Auswahl an Drinks.

USA: Ganz praktisch, man wird auf Gepäckbändern durch die Ausstellung befördert – man geht keinen Schritt zu Fuss!

Russland: Der Pavillon prangt perverserweise in der Nähe der Ukraine, und die digitale Präsentation fabuliert von „connecting people“. No comment.

Japan: Die anspruchsvolle Stahlkonstruktion des Pavillons ist leider made in Germany, drinnen wird Papier gefaltet („Origami“).

Korea: In der riesigen leeren Halle gibt es nur Dutzende von QR-Codes (mit wenig spannenden Informationen).

VAE: Der vermutlich grösste Pavillon des Gastgeberlandes scheint nur etwas für Kinder zu sein. Zumindest wurde die Kommunikation (mit vielen Cartoons) so ausgerichtet.

Baden-Württemberg: Ja, merkwürdig, das Bundesland wird hier offenbar als Staat gehandelt. Es werden moderne Trachten und Holz gezeigt, die Biergarten-Terrasse wird gut besucht.

Waldmeyer hatte sich, wie schon gemeldet, den Schweizer Pavillon bis zum Schluss seiner Exkursion aufgespart. Der glänzende, 16.5 Millionen teure Kubus besteht eigentlich nur aus einem Fussweg im Inneren, der in künstlich erzeugtem Nebel in die Höhe führt. Am Ende der Nebel-Show locken ein paar QR-Codes, mit welchen man extrem spannende Informationen der Firma Schindler herunterladen kann. Und dann, plötzlich, blitzt dem Besucher ein riesiges Plakat von Novartis entgegen. Ja, das ist die Schweiz, dachte sich Waldmeyer. Wir sind Novartis! Ob das wohl intelligentes Zielgruppen-Marketing für die Millionen-Besucher ist? Werden diese ab jetzt nur noch Novartis-Produkte konsumieren? Etwas betreten wandte sich Waldmeyer an Charlotte: „Kennst du ein Novartis-Produkt?“. Charlotte antwortete nur: „Komm, wir gehen jetzt zum Thailänder, da gibt es sicher etwas Anständiges zum Essen!“

(Anm. der Red.: Im nächsten Beitrag in einer Woche wird Waldmeyer über die skurrilen Präsentationen eher rückständiger Staaten berichten.)

Waldmeyer fordert den Nato-Beitritt!

Das tapfere Helvetien hatte sich gut gehalten im Zweiten Weltkrieg. Die eingenommene Position „neutral“ war genial. Die Zeit damals war indessen noch nicht digital, sondern nur analog. Waldmeyer weiss, warum wir jetzt schleunigst der Nato beitreten sollten.

Erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kam raus, dass die Schweiz auf alle Seiten, immer unter dem Deckmäntelchen der Neutralität, die ganze Zeit ein bisschen beschissen hatte. Aber eben: too late to cry.  Informationen konnten damals einfach besser unter dem Deckel gehalten werden. Heute wissen wir in real time fast alles. Das digitale Zeitalter beeinflusst jedoch nicht nur die Verfügbarkeit von Informationen, sondern auch die Gefahrenlagen.

Ein Blick auf die Karte liess Waldmeyer erschaudern: Fast ganz Europa ist in der Nato! Die wehrhafte kleine Schweiz, mittendrin, allerdings nicht. Es gibt jedoch verschiedene Lücken auszumachen:

Lücke Nummer eins ist Finnland. Ein Nato-Beitritt ist für das Land ausgeschlossen. Zu spät. Bis 1917 gehörte Finnland noch zum Zarenreich – ein Umstand, der Putin noch heute ärgert. Finnland verfügt über eine gemeinsame Grenze mit Russland von weit über 1‘000 km. Erst kürzlich feuerte der irrlichternde und unberechenbare Ex-KGB-Mann im Kreml wieder einen Warnschuss ab: Finnland dürfe nicht einmal daran denken, der Nato beizutreten.

Lücke Nummer zwei ist Schweden: Die Schweden könnten, eventuell, gerade jetzt noch der Nato beitreten. Denn historisch gehörte das Land nie zum Zarenreich, zur Sowjetunion auch nie. Die Schweden waren auch nie so hardcore-mässig neutral. Sie sollten sich die Sache mal genauer ansehen. Möglichst bald allerdings, denn das Fenster könnte sich rasch schliessen! 

Lücke Nummer drei ist Moldawien. Der vergessene europäische Staat gehörte bis 1991 zur Sowjetunion. Das Land hat den Natobeitritt verpasst, denn Transnistrien, der östliche Teil Modawiens, ist bereits unter russischer Kontrolle – ein Expansions-Konzept, das Putin auch mit der Krim und Donbass in der Ukraine verfolgt hatte. Dieser üble Wladimir wird sich diesen lächerlichen Kleinstaat, im Sandwich zwischen Rumänien und der Ukraine, noch ganz krallen. Für Waldmeyer ist ein solcher Schritt so sicher wie das Amen in der Kirche. Wladimir Putin, der neue grosse Despot Europas, hätte dann seine Grenze zu den „richten“ West-Staaten erheblich vergrössert. Georgien, Armenien und Aserbeidschan sind übrigens in einer ähnlichen Situation: Am liebsten wären sie in der EU. Aber leider liegen die Staaten auf dem asiatischen Kontinent. Und was die Nato betrifft: Putin würde eine Natomitgliedschaft dieser Länder nie akzeptieren. Auch hier hatte er sich schon Teile von deren Staatsgebieten einverleibt (so beispielsweise Südossetien und Abchasien von Georgien) oder er zündelt in Aserbaidschan in der Provinz Bergkarabach. Alle diese Länder stehen auf Putins Speisezettel. Das Prädikat „Nato-Lücke“ verdient realistischerweise jedoch nur Moldawien. Ein Blick auf die Karte spricht Bände, die Grenze zu Rumänien ist 700 km lang.

Lücke Nummer vier ist Irland: Diese Lücke ist allerdings irrelevant. Die zum Teil etwas rückständige Insel, auf der man mehr Schafe als Einwohner zählt, interessiert den Kremlherrn nicht.

Lücke Nummer fünf ist Österreich: Da im Moment – geografisch – noch ziemlich weit weg von den neuen Grenzen der wiedererwachenden Sowjetunion, könnte sich für das neutrale Land ohne nennenswerte Armee noch kurzzeitig ein Türspalt zur Nato auftun. Ja, Österreich könnte gerade jetzt noch, klandestin fast, in die Nato reinschleichen. Im Moment könnte Putin dies noch nicht als richtige „Osterweiterung“ der Nato werten und einfach durchwinken!

Waldmeyer entdeckte nochmals etwas: Die Nicht-Nato-Mitglieder Finnland, Schweden, Irland und Österreich profitieren vom weitgehend unbekannten „EU-Beistandspakt“: immerhin auch eine valable Rückversicherung. 

Abgesehen von ein paar unerheblichen Staaten in Ex-Jugoslawien mit beschränktem strategischem Wert gibt es dann eben noch die Nato-Lücke Nummer sechs, die Schweiz: Ja, die Eidgenossenschaft ist immer schön neutral geblieben. 1939 war das in der Tat nicht nur raffiniert, sondern wohl auch richtig. Die Taktik hatte sich über einen langen Zeitraum bewährt. Man musste nie richtig Stellung beziehen und konnte sich überall wunderbar durchmogeln. Nur: Heute ist eben nicht gestern. Stellung gegen ein Unrechtregime zu beziehen, ist per se kein Neutralitätsbruch. Für Waldmeyer ist klar: Es wäre nicht nur ein Gebot der Stunde, sondern auch intelligent, jetzt einen Natobeitritt zu prüfen. Künftige Bedrohungen kann die Schweiz kaum mehr allein meistern. Erstens ist ihre Armee nur bedingt einsatzfähig: Das Material ist veraltet (neues Gerät ist zwar bestellt, aber mit Lieferdatum ca. 2030). Die Flugabwehr in der Ukraine, nur einen Tick schlechter als diejenige der Schweiz, wurde beim Einmarsch der Russen binnen zwei Stunden landesweit ausgeschaltet. Das gibt nicht nur Waldmeyer zu denken. Auch einen grossen Cyberangriff könnte die Schweiz allein nicht abwenden. Die Nato könnte in diesem Fall nicht kurzfristig angerufen werden. Denn erstens würde vielleicht niemand den Hörer abnehmen, und zweitens sind wir „neutral“. Und wie sich unsere Truppen, zum Teil im Homeoffice ausgebildet, tatsächlich bewähren würden, steht in den Sternen.

Max Waldmeyer sieht jedoch ein Problem: Unsere helvetischen Rechtsaussen-Hardliner könnten, mangels Reflexionsvermögen, einen Nato-Beitritt mit einem EU-Beitritt oder sonstigem EU-Abkommen verwechseln. Die weitverbreitete Ablehnung dieser Gruppen zu allem könnte die Frage eines möglichen Nato-Beitritts bereits im Keime ersticken. Aber ein Blick über den Tellerrand und damit über die Grenzen hinweg zeigt: Es geht! Norwegen beispielsweise ist nicht in der EU, aber in der Nato. Es wird Zeit, diesen übersteigerten Begriff der „Neutralität“, der sich in der Eidgenossenschaft offenbar komplett verselbständigt hat, abzulegen und zu erkennen, dass die Schweiz zum Westen gehört – wohl unwiderruflich.

„Charlotte, wir müssen in die Nato – schnellstmöglich, noch haben wir Zeit dafür“, meldete Waldmeyer aus seinem Eames Chair zu seiner Frau rüber. Tatsächlich, heute wäre dies noch möglich. Putin hat zurzeit andere Sorgen, er würde wohl auf ein Njet verzichten. Und die restlichen Russenkonten bei der Credit Suisse wären davon nicht betroffen, denn die Nato interessiert sich nicht für wirtschaftliche Sanktionen. 

Aber Charlotte hatte einen Einwand, dem Waldmeyer nichts widersetzen konnte: „Ja, Max, so ein Natobeitritt wäre wohl nicht dumm. Allerdings dürfte die Ostschweiz nicht mitmachen. Das wäre eine Osterweiterung!“

Waldmeyer und der Strom

Oder: Wie künftig Blackouts vermieden werden

Es ist der 27. Februar 2038. In Waldmeyers Garage steht ein Elektrofahrzeug. Trotzdem wird er heute sein Lastenrad nehmen, um die Einkäufe im Dorf unten in Meisterschwanden zu besorgen. Es ist Teil eines Konzeptes.

Waldmeyers Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) gab es schon lange nicht mehr. Das war weiter nicht tragisch, denn ins Büro nach Zürich musste Waldmeyer seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr. Erstens hatte er die operative Führung seiner Firma schon vor Jahren abgegeben, zweitens hockten eh wieder einmal alle im Homeoffice, Covid-36 grassierte, jetzt schon in der elften Welle. Warum er nun aber im Schneeregen mit dem elektrifizierten (und subventionierten) Lastenrad behände ins Dorf runterschlitterte, hatte einen anderen Grund. Doch alles der Reihe nach.

Blenden wir zurück: Schon in den 20er Jahren hatte es mit den Blackouts begonnen. In ganz Europa wurde ein Grossteil der Kernkraftwerke abgeschaltet, Kohlekraftwerke waren verboten, und der Bedarf an Elektrizität war enorm gestiegen. Auch Rasenmäher waren verboten – soweit sie nicht elektrisch betrieben wurden. Freddy Honegger, Waldmeyers Nachbar, wurde trotzdem einmal verhaftet. Zwar hatte er einen elektrischen Rasenmäher, aber es fehlte ihm das Zertifikat (der Beweis, dass sein Strom vollkommen grün war). 

Die Schweiz hatte zwar vorgesorgt: Mit einem verblüffenden Hauruck-Entscheid hatte sich das Parlament durchgerungen, 29 neue riesige Stauseen in den Alpen anzulegen, verbunden mit Pumpspeicherkraftwerken. 29-mal Grande-Dixence etwa. Diese produzierten allein dreimal so viel Strom wie früher die letzten vier Kernkraftwerke. Der Rückgang der Gletscher hatte sich ab 2026 dermassen akzentuiert, dass es eh keine Rolle mehr spielte, wenn die schroffen und versteckten neuen Täler geflutet wurden. Die Schweiz hatte damit ein geniales neues Geschäftsmodell entwickelt: Das kleine Land konnte zu gewissen Zeiten auch ganz Deutschland mit Strom versorgen. Insbesondere in der Nacht, wenn die Germanen regelmässig in der Dunkelflaute verkümmerten (wenn weder die Solarpanels noch die Windräder Strom produzieren konnten). 

Tagsüber gab es europaweit inzwischen genügend Strom. Insbesondere aus Deutschland. Zwei Prozent der Staatsfläche waren seit 2029 mit Windrädern überzogen, weitere zwei Prozent mit Solarpanels – ein hässlicher Anblick. Insbesondere bei schlechtem Wetter, wenn diese Anlagen nutzlos in der Landschaft rumstanden. Tagsüber und wenn die Sonne schien, konnte der Strom allerdings gar nicht vollständig genutzt werden. Aber genau dann half eben die Eidgenossenschaft: Sie nahm den Strom gratis oder gar zu Negativpreisen ab und pumpte mit dieser Günstig-Energie das Wasser aus dem Unterland wieder in die Stauseen rauf – um es dann bei Bedarf durch die Turbinen runterrauschen zu lassen. Mit dem so erzeugten und sauteuer verkauften Strom konnte sichergestellt werden, dass die Deutschen nachts wenigstens ihre Radwege beleuchten konnten. In der Schweiz selbst versuchte man, nachts möglichst wenig Strom zu verbrauchen – das Geschäftsmodell sah richtigerweise vor, in der Nacht zu sparen und besser von den sehr hohen Exportpreisen zu profitieren.

Aber das war nur die eine Seite des neuen mitteleuropäischen Energiekonzeptes. Branka Jovanovic, die neue Bundesrätin und Energieministerin aus der Genderfraktion, hatte bereits 2031 durchgesetzt, dass Privatverkehr fast nur noch in elektrifizierter Form erlaubt war. Mehr oder weniger auf jedem Parkplatz stand deshalb ein Elektrofahrzeug. Dieses allerdings, so die neue Verordnung, durfte am Tag gar nicht benutzt werden. Denn die Fahrzeugbatterien mussten tagsüber mit dem billigen und zu viel produzierten Solarstrom aufgeladen werden, um in der Nacht dann als Batteriespeicher zu dienen. Die „Fahrzeuge“ waren damit de facto nur noch „bidirektionale“ mobile Batteriespeicher, millionenfach verteilt über das Land. In den Garagen standen allerdings nicht immer Fahrzeuge – den Platz hatte oft eine riesige Hausbatterie eingenommen, so gross wie ein Fahrzeug eben. (Anm. der Red.: „bidirektionale“ Elektrofahrzeuge können sowohl Strom aufnehmen als auch abgeben.)

Nun zurück zu Waldmeyers Fuhrpark. Der Porsche Cayenne war, wie gemeldet, schon lange weg. Waldmeyer mag sich erinnern, wie ihn ein Weissrusse an einem schönen Julitag im Jahre 2024 für den Export abholte. Seither stand ein bidirektionales, charmeloses Gefährt in der Garage in Meisterschwanden. Aber es durfte eben nur nachts bewegt werden, am Tag musste es ja den Solarstrom vom Hausdach (und auch von den Deutschen) übernehmen. Deshalb kam tagsüber nur das Lastenrad zum Einsatz.

Waldmeyer zirkelte also mit seinem schweren Lastenrad und mit steifen Fingern wieder den Hang rauf zu seiner Villa. Den letzten Kilometer musste er keuchend fertig pedalen, die Maske nun am Kinn unten. Die Batterie war alle. Aber nächste Woche sollte das Wetter wieder besser werden, dann könnte er vielleicht auch das Lastenrad wieder aufladen.

Waldmeyer fasste nun einen typischen Managemententscheid: Er beschloss, Einkäufe künftig nur noch nachts zu tätigen. Mit dem blöden Elektroauto eben. Wo auch immer man dann einkaufen konnte. Vielleicht hatte Waldmeyers Frau Charlotte recht, als sie bereits in den 20er Jahren bemerkte, dass in Sachen Energie die Zeichen auf Sturm stehen – und dass ein Strom-Desaster eintreten würde. Waldmeyer wollte damals nicht zuhören. Und ja, jetzt bezahlt er es mit diesem Lastenrad.

Waldmeyer, Pierin und das Lehrstück

Der grösste Schweizer Wirtschaftsprozess seit Jahren fesselte auch Waldmeyer. Schade, gibt es wenig Bilder, denn die Argumentationsketten der Kontrahenten präsentieren sich wie in der Netflix-Serie „Suites“ – nur findet das Ganze hier bei uns in der Schweiz statt! Waldmeyer überlegte, was er daraus lernen könnte.

Der Prozess rund um Pierin Vincenz, ex CEO der Raiffeisenbank, erlaubt es uns, in gewisse Abgründe von systematischen Verfehlungen einzelner Wirtschaftsführer fast persönlich reinzuschauen. Natürlich weiss Waldmeyer, dass das mit Voyeurismus zu tun hat. Aber es ist eben auch ganz informativ. Interessant sind zum Beispiel diese raffinierten Bereicherungen, aber auch die Spesenexzesse, diese vielen Nightclubs, die bizarre Tour de Suisse Pierins durch die Rotlichtlokale.

Ebenso beeindruckend sind die Argumentationen der Angeklagten und ihrer Verteidiger: „Es ist nicht so, wie es aussieht.“ In diesen Füdlibars sitzen nämlich auch potenzielle Raiffeisenkunden, oder: Gewisse Kunden erwarten eben, dass man an solchen Orten Geschäftsabschlüsse tätigt. Nun wissen wir auch, dass bei grossen Banken Bewerbungsgespräche mit auf Tinder rekrutierten Kandidatinnen in feinen Restaurants stattfinden. Auch gut: Die Ehefrau musste den wichtigen CEO auf längeren Flugreisen nur begleiten, weil der wichtige CEO vorübergehend an Sehstörungen litt. Und Australien musste nicht ferienhalber besucht werden, sondern nur, um eine Schalterhalle einer fernen Bank zu studieren. 

Einerseits gemahnten die Ausführungen in diesem Prozess an eine Komödie, andererseits waren sie auch ein Lehrstück in Taktik und Unverfrorenheit. Wie in „Suites“ eben – nur durften wir diesmal hautnah dabei sein!

Pierin seine Freunde konnten aufzeigen, wie einfach und raffiniert es ist, sich frühzeitig für einen Apfel und ein Ei an Firmen zu beteiligen, um diese nachher vom eigenen Arbeitgeber aufkaufen zu lassen. Das ist weder „Korruption“ noch „Betrug“, denn der Käuferin – in diesem Fall der Raiffeisen – ist kaum ein nachweisbarer Schaden entstanden. 

Waldmeyer konstatierte: Gilt es etwas abzustreiten, muss die eigene Darstellung einfach konsequent durchgezogen werden. Ein roter Faden der Stringenz sollte sich durch die Argumente ziehen. „Wir können alles erklären.“ Schon früher hatten wir dies von Donald Trump gelernt, dem Erfinder der „Alternative Facts“. Oder von Putin, der bis heute abstreitet, dass es die Russen waren, die verdeckt in die Krim infiltrierten oder heute konsequent behauptet, Truppen rund um die Ukraine nur zusammenziehen, weil sich Russland von der Nato, hunderte von Kilometern weiter westlich, bedroht fühlt.

Ja, dieser Vincenz zieht die Sache einfach konsequent durch, reflektierte Waldmeyer. Er mag den moralischen Kompass dabei aus den Augen verloren haben, aber schliesslich muss er seine Haut retten, und er macht das wirklich gut, so unbeschwert und souverän. Eines muss man ihm lassen, meinte Waldmeyer: Das ist ein brillanter Verkäufer, mit Stehvermögen, Charisma und Kraft.

Die meisten öffentlichen Prozesse in der Schweiz waren bis heute von Langeweile durchtränkt. Entweder wurde einfach kalt abgestritten, oder die Angeklagten zeigten Reue und kamen so mit einem blauen Auge davon. Pierin Vincenz gebührt deshalb Respekt: Er unterhält uns nicht nur bestens, er könnte, mit seinem Lehrstück, gar einen ganzen Reigen an neuen Prozesskulturen eröffnen! Danke, Pierin, dachte sich Waldmeyer, du bringst endlich etwas mehr Drive und Farbe in unsere Kommunikationskultur. Pierin setzt einen Contrapunkt zu unserem hochanständigen, devoten und mit „Exgüsi“ und „Bissoguet“ gepflasterten helvetischen Habitus. „Also dieser Pierin, der macht das schono guet!“, meldete Waldmeyer aus seinem Eames Chair zu seiner Frau Charlotte rüber. Charlotte antwortete nicht.

Natürlich bleibt da die moralische Verurteilung, welche nichts mit der juristischen Wertung der Causa zu tun hat. Obwohl dieser plakative Prozessvorgang vordergründig doch etwas neu ist für uns (auch weil so offensiv und frech verteidigt wird), ist der Vorgang für die Eidgenossenschaft ziemlich systemimmanent. Es gibt nun einmal viel Filz in unserem kleinen Land. Oft als lauteres Netzwerk getarnt, werden Interessen in unserem Milizsystem oft grosszügig vermischt. Da gibt es eine Vielzahl von übergreifenden Verwaltungsratsposten, kombiniert mit Exekutivämtern in Regierung, Verwaltung und Gesellschaft, da zählen wichtige Seilschaften aus Vereinen, Sport und Armee. Wir lassen uns dabei immer wieder überzeugen, dass das alles nichts mit Interessenkonflikten, geschweige denn mit Korruption zu tun hat.

Aber zurück zu Pierin, unserem neuen Lehrmeister in Sachen angriffiger Kommunikation und Gesprächstaktik: Waldmeyer, der sich angesichts dieses frivolen Schwankes am Gericht fast als Bünzli sah, überlegte sich, was er nun abkupfern könnte. Ja, etwas mehr offensives Verhandlungsgeschick könnte er sich vielleicht aneignen, so beispielsweise bei seinen grossen Kunden in der Firma. Ein bisschen weniger Anstand – dafür eine Note mehr überzeugende Nonchalance. 

Das mit den Füdlibars irritierte Waldmeyer jedoch nach wie vor, seine Erfahrung beschränkte sich diesbezüglich auf ein paar Expeditionen während den militärischen Wiederholungskursen. Vielleicht sollte man da trotzdem wieder mal reinschauen?

„Charlotte, die Verwaltungsratssitzung morgen Abend wird im King’s Club stattfinden. Es werden alle kommen. Ausser Elisabeth, sie hat sich aus persönlichen Gründen entschuldigt.“

Charlotte antwortete, gefühlt binnen einer Millisekunde: „Das trifft sich gut, Max, ich habe hier nämlich unsere Frauentennisrunde eingeladen. Und die Chippendales kommen.“

Für einmal war es Waldmeyer, der nicht antwortete.

Waldmeyer erklärt die Hospitalisierung

Oder: Droht den SVP-Wählern bald eine Prämienerhöhung von 50 Stutz…? 

Eigentlich hatte Waldmeyer die Nase gestrichen voll von dieser blöden Pandemie. Trotzdem grübelte er weiter. Er hatte nämlich einen Verdacht: Könnte es einen Zusammenhang geben zwischen Intensivbetreuten und ihrer politischen Haltung?

Die Vermutung war etwas brisant, Waldmeyer war sich auch nicht ganz sicher. Also analysierte er nochmals: Inzwischen hatte sich gezeigt, dass ein Grossteil der hospitalisierten Corona-Opfer ungeimpfte Patienten sind. Statistisch ist das auf den ersten Blick nicht ersichtlich, da in gewissen Spitälern nicht nur Ungeimpfte liegen. Gäbe es indessen überhaupt keine Ungeimpften (und nur Geimpfte), lägen 100% Geimpfte in den Betten. 

Waldmeyer führte seinen persönlichen mathematischen Exkurs weiter: Er ging von einer Impfquote der Bevölkerung aus, die in der Schweiz zurzeit bei rund 68% liegt, bei den Erwachsenen bei rund 80%. Impfskeptiker und Impfgegner, sowie medizinisch nicht „Impfbare“ machen unter der erwachsenen Bevölkerung also nur etwa 20% aus. Von den besonders vulnerablen über 60-Jährigen sind vielleicht 85% geimpft. Das Verhältnis der Geimpften zu den Nichtgeimpften beträgt in dieser Spital-trächtig relevanten Gruppe also etwa 7:1. Würde die Impfung nicht funktionieren, lägen sechs oder sieben Geimpfte im Verhältnis zu einem Ungeimpften in den Intensivbetten. Das Verhältnis ist indessen ein genau inverses (nämlich rund 1:7)! Ein Ungeimpfter liegt damit mit einer Wahrscheinlichkeit von 7×7:1, also 49-mal eher in einem dieser Betten. 

Fazit: Die Impfung – ob man diese nun toll findet oder nicht – scheint im Moment zumindest zu funktionieren. Das würden wohl auch Impfgegner nicht abstreiten. Ausser vielleicht die Hardcore-Coronakritiker, die immer noch an eine Verschwörung glauben. Waldmeyer dachte gleich an Bettina Honegger, seine Nachbarin in Meisterschwanden (ja, Bill Gates, George Soros, 5G, Komplott der Pharmaindustrie, etc.).

So weit, so gut.

Waldmeyer überlegte noch, ob es bei diesen Zahlen vielleicht kantonale Unterschiede gibt. Beispielsweise bei den Korrelationen zwischen Gestorbenen und Intensivbetreuten, oder zwischen Hospitalisierten und dem Infektionsgeschehen. Aber tatsächlich sind zwischen den einzelnen Kantonen keine Unterschiede auszumachen – ausser die Zahlen könnten durch unterschiedliche gesundheitliche Voraussetzungen gestört werden: Ein Städter in Genf beispielsweise könnte über kein so starkes Immunsystem verfügen wie ein gestandener Treichler in Schwyz (was allerdings noch nicht nachgewiesen werden konnte). In der Tat wird die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung aufgrund einer Infektion in jedem Gebiet des Landes etwa gleich sein. Auch das Risiko, intensiv betreut zu werden. Und die Sterbewahrscheinlichkeit einer Person an der Beatmungsmaschine wird wohl ebenso in jedem Kanton identisch sein. Wir nehmen dabei grosszügigerweise an, dass das Spitalpersonal in Burgdorf den gleich guten Job macht wie in Zürich. Ausser in Appenzell Innerrhoden oder in Obwalden: Dort gibt es nämlich gar keine Intensivbetten. Und vielleicht ist es fraglich, ob die bescheidenen sechs Intensivbetten im Jura tatsächlich durch routiniertes Personal bedient werden können (nur schon die Beatmungsmaschine verfügt über ein mehrere hundert Seiten starkes Manual – und dies vielleicht nur auf Deutsch oder Englisch).

Trotz all dieser berechtigten Fragezeichen konnte Waldmeyer eine erste Schlussfolgerung ziehen: Je höher die Inzidenz, desto mehr Hospitalisierungen – und desto mehr Intensivbetreute pro Kanton (in Relation zur Bevölkerung natürlich). Leider auch desto mehr Tote. Dieses Fazit war vielleicht gar nicht so überraschend; Waldmeyer war indessen froh, den Gedankenstrang für sich selbst nochmals so sauber aufzeigen zu können.

Waldmeyer wähnte sich in einer weiteren Phase der absoluten Klarheit; dabei fiel ihm noch etwas auf: Erstens ist bereits seit ein paar Monaten bekannt, dass SVP-Wähler eine tiefe Impfrate aufweisen. Zweitens weisen Kantone mit hoher Inzidenz einen überdurchschnittlichen Anteil an SVP-Wählern auf. Zufall? Beides wird zumindest durch mehrere Medienrecherchen belegt. Aber  noch niemand hat den brisanten Zusammenhang ausgesprochen: Kantone mit einer tiefen Impfrate verfügen über einen höheren SVP-Wähleranteil. Das ist doch ganz interessant, fand Waldmeyer, und er ahnte schon, was er als nächstes überlegen könnte.

In der Tat hatte er nun eine delikate Schlussfolgerung: Es liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr SVP-Wähler in diesen inkriminierten Betten als andere Wähler!

Waldmeyer orientierte sofort sein Frau: „Charlotte, wir sollten eine Befragung bei allen Intensivbetreuten machen und herausfinden, ob in diesen Betten vor allem SVP-Wähler liegen!“ Charlotte antwortete wie immer nicht, rollte aber immerhin mit den Augen.

Waldmeyer überlegte: Sollten SVP-Wähler nun zur Kasse gebeten werden? Sie belasten unser Gesundheitssystem offenbar mehr als „normale“ Wähler. Gerade die SVP schwingt sich doch gerne als Gegnerin von sozialen Ausgleichen auf und vertritt oft den Ansatz des Verursacherprinzips. Für viele Belange findet dies auch Waldmeyer ganz ok. Bei den Müllsäcken beispielsweise funktioniert dieses Prinzip sehr gut. Sollte nun jedem SVP-Wähler vielleicht 50 Stutz oder so bei der Krankenkassenprämie draufgeschlagen werden…? Einfach im Sinne des Verursacherprinzips?

Waldmeyer und das bizarre Übergangskonzept

Oder: Wie man den Dry January richtig plant

Die EU-Kommission möchte Atom- und Gaskraftwerke „übergangsweise“ als Grün einstufen. Waldmeyer überlegte, was auch er „übergangsweise“ aussetzen könnte.

Dass sich die EU, bewehrt mit ihrer germanischen Pfeilspitze, mit ihren unrealistischen Klimazielen schon seit geraumer Zeit hoffnungslos verrannt hatte, war Waldmeyer seit Monaten klar: Man kann nicht in wenigen Jahren schon auf Atom- und Kohlestrom verzichten, indem man Windräder baut und Solarpanels aufstellt – und gleichzeitig erst noch alles auf „Elektro“ umstellt. Die Krux liegt in der „Dunkelflaute“. Einerseits ist diese ganz einfach dem Zustand der Nacht geschuldet, während der bekanntlich keine Sonne scheint, andererseits zeitgleich aber auch kein Lüftchen weht. Wochenlang schlechtes, düsteres Wetter ist ebenso wenig hilfreich. Dann fehlt‘s ganz einfach an Stromproduktion. Vor allem im Winter.

Noch vor kurzem hatte die EU-Kommissionspräsidentin, die ehemalige Kinderärztin von der Leyen, den Green Dealfür ganz Europa verkündet, mit einer baldigen neutralen CO2-Bilanz. Offenbar hat sie nun jedoch den Winter entdeckt. Und die Nacht. Deshalb der Trick mit der raffinierten Umetikettierung: Atomstrom darf jetzt plötzlich Grün sein, zumindest vorübergehend, und Gas ebenso. Gas ist vermutlich ebenso CO2-frei – auch übergangsweise.

In der Schweiz haben wir allerdings das gleiche Problem: Wir haben den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen und dies ohne eine echte Energie-Alternative. Sonne und Wind reichen auch in der Schweiz nicht aus, im Winter importieren wir Strom schon heute bis zu 40%! Die Dunkelflaute wird´s auch bei uns geben. Wie das übergangsmässige Rezept von Simonetta Sommaruga wohl aussehen wird?

Natürlich könnten wir die Wasserkraft ausbauen. Waldmeyer schaute aus seiner Villa auf den Hallwilersee runter: Wenn man diesen mit Staumauern kräftig stauen würde, läge sein Haus sogar näher am See. Im Extremfall wäre gar ein Seeanstoss möglich. Vielleicht ein eigener Strandabschnitt. Charlotte würde sich um die Auswahl der Palmen kümmern.

Waldmeyer verwarf den Gedanken wieder und erinnerte sich an einen alternativen Vorschlag, den er früher schon präsentiert hatte: Man könnte das Wallis stauen. Etwa bei Martigny. Oder gar erst bei Monthey. Lonza, heute noch in Visp, müsste einzig ihre Impfstoff-Fabrik weiter ins Tal hinunter verlegen, und ein paar Walliser müssten etwas höher an den Hang rauf ziehen – mit dem künftigen Vorteil eines schönen Seeblickes allerdings. Auf den Fendant würden sie dann verzichten (die qualitativ eh mittelmässigen Rebstöcke würden natürlich dem Flutungsprozess zum Opfer fallen); sie würden aber zweimal täglich weiter ihre Aperitifzeiten präzise einhalten und sich einfach mit dem mediokren Chasselas aus der Waadt zuprosten.

Mit einem solchen gigantischen Walliser Speicherkraftwerk könnte auch die Schweiz spielend ihren Green Deal kriegen. Wir würden zudem, wie bis anhin, den dreckigen (wenn übergangsweise auch grünen) Atomstrom und den ebenso dreckigen überschüssigen Gasstrom importieren, um mit dieser Energie, auch wie bisher, Wasser in die Stauseen raufpumpen. Wir würden künftig also das Gleiche tun wie bis anhin, nur viel umfangreicher, nämlich im Rahmen eines grossen Geschäftsmodells. Das Wasser würden wir dem Genfersee entnehmen, das fällt nicht so ins Gewicht – zumal die Hälfte den Franzosen gehört. Anschliessend liessen wir, immer schön bedarfsgerecht, das Wasser aus dem grossen neuen Wallisersee wieder runter durch die Turbinen rauschen. So produzieren wir den günstigsten aller Ströme und könnten diesen in der Folge (gewaschen quasi) wieder an die Kinderärztin zurückschicken, welche in der Dunkelflaute hockt. Das Konzept ist ein typisch schweizerisches, denn es ist von Geschäftssinn geprägt und ein klassischer Kompromiss. Wir importieren den im Ausland punktuell zu viel produzierten Strom übrigens schon heute, oft gar zu Negativpreisen, verkaufen ihn dann aber zu Saupreisen zu Spitzenzeiten.

Das mit dem Strom ist nun eine Sache. Das mit den übergangsmässigen Ausnahmen eine andere. Waldmeyer überlegte sich, ob er nicht übergangsmässig auch etwas einführen könnte. Er könnte beispielsweise versuchen, übergangsmässig ein bisschen mehr Steuern zu sparen. Oder die verhasste Gartenarbeit, zulasten von Charlotte natürlich, übergangsmässig auszusetzen. Er beschloss, zumindest übergangsmässig, am Sonntagmorgen nun künftig doch wieder mit dem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) die Brötchen im Dorf unten zu holen. Und nicht mit dem langweiligen E-Bike – womöglich bei Wind und Wetter. Dies im Sinne der Nutzung einer raffinierten „Brückentechnologie“, so wie das jetzt auch die EU-Kommission mit einem semantischen Salto formuliert hatte.

Übergangsweise darf man offenbar vieles tun, da gilt der moralische (und auch logische) Kompass nicht mehr. „Übergangsweise“ ist einfach viel mehr erlaubt. Aber natürlich nur dann. Die Kinderärztin war in der Tat inspirierend, denn Waldmeyer schossen noch ein paar weitere unmoralische Dinge durch den Kopf, die er „vorübergehend“ tun könnte – verwarf diese allerdings wieder.

Waldmeyer hatte eine andere Idee: Eigentlich hatte er nämlich einen „Dry January“ geplant. Was nun folgte, war ein typischer Managemententscheid: Mit sofortiger Wirkung entschied Waldmeyer, diesen Dry January auszusetzen. Natürlich nur „übergangsweise“.

Waldmeyer wird überstimmt

An gewissen Zürcher Schulen sollen demnächst die Schüler bestimmen, welche Lehrer sie wollen. Waldmeyer vermutet, dass das nur der Anfang ist: Vielleicht handelt es sich hier nur um den Beginn eines Umsturzes. Passiert es nun also doch, dass demnächst alle Macht an das Volk geht?

Es könnte tatsächlich nur der Anfang sein. Die Signale sind klar. Denn es ist zum Beispiel nicht vorgesehen, dass auch die Lehrer ihre Schüler auswählen dürfen.

Waldmeyer beobachtet schon länger, wie gewisse Städte in der Schweiz langsam zu einem heiteren, egalisierenden und verkehrsfreien Kibbuz verkommen. Eigentum droht zusehends kollektiviert zu werden, und da und dort wird ein bedingungsloses Grundeinkommen angedacht. Es droht zudem Tempo 30, auch auf grossen Durchgangsachsen – und demzufolge ein Abwürgen des Individualverkehrs. Dafür sollen demnächst Lastenräder subventioniert werden (so die neue Idee des rot-grünen Zürcher Stadtrates). 

Und nun der neue Trick: Wird jetzt mittels einem Geheimplan, mit dem Feigenblatt basisdemokratischer Entwicklung (Beispiel: freie Lehrerauswahl), die Macht doch noch ganz ans Proletariat übertragen? So, wie es unsere kommunistischen Vordenker schon planten?

Das Zürcher Modell ist insofern reizvoll, als weitergedacht werden darf: Sollten nicht auch Mitarbeiter (ja, inklusive der Mitarbeiterinnen…) ihre Chefs oder gar die Besitzer eines Unternehmens auswählen? Unternehmertum würde dann endlich so richtig bottom-up entwickelt. Die guten Ideen entwickeln sich bekanntlich selten top-down, vor allem nicht in grossen Konzernen. Echte Innovationen, wenn nicht in einer Garage im Silicon Valley, entstehen nämlich meistens von unten. Also müsste künftig doch auch die Führung von unten her organisiert werden. Deutschland kennt seit langem schon die Vorstufe zu diesem Modell: Arbeitnehmer hocken in paritätischen Aufsichtsräten und schwatzen bei der Unternehmensstrategie mit (es ist die Umkehr beispielsweise von Elon Musk‘s Ansatz). Vielleicht sieht das Zürcher Modell nun eine weitere Eskalation vor? Aber man sollte nicht nur schwarzsehen, denn eventuell könnte dergestalt gar ein modernes, digitales Proletariat entstehen!?

Waldmeyer blickte von seinem Tablet auf und sah zu Charlotte rüber: „Nächstes Jahr werde ich mich als VR-Präsident in meiner Firma nicht von den Aktionären, sondern von den Mitarbeitern wählen lassen. Die sollen doch mal abstimmen!“

„Und wenn sie dich abwählen und einen andern einsetzen, was dann?“, warf Charlotte ein.

„Das wäre natürlich blöd. Dann müsste ich einfach zum alten Wahlsystem zurückgreifen, wir beide zusammen haben ja die Aktienmehrheit, die Belegschaft hat nur 20%.“

„Und was ist, wenn ich dann mit der Belegschaft stimme…?“, blitzte Charlotte zurück.

Waldmeyer schaute entgeistert.

Waldmeyer schlägt 4G vor

Es ging natürlich nicht um den Handyempfang, sondern um die „Gs“ betreffend Corona. 3G, 2G, 2G+, 1G. Costa Rica beispielsweise verordnete bereits 1G. Waldmeyer wusste, dass das bei uns (noch) nicht geht. Deshalb hatte er nun eine Schweizer Lösung parat: nämlich 4G!

Waldmeyer hatte sich heute nicht wie üblich in die Tagesschau eingeloggt, sondern schaute konzentriert ins Kaminfeuer. Er hielt auch nicht wie sonst ein Glas Terre Brune in der Hand, sondern ausnahmsweise ein grosses Glas Bourbon. Plötzlich entdeckte er, dass das Eis schon stark geschmolzen war. Er stellte das Glas ab, um eine weitere Erwärmung zu verhindern und den Schmelzvorgang zu verzögern. Ja, G wie Geschmolzen. Und der Whisky: G wie Gebrannt. Allerdings wird der amerikanische Bourbon nicht aus Getreide, sondern aus Mais Gewonnen. Aber jetzt Getrunken. Die Gs häufen sich, sinnierte Waldmeyer.

Rundherum experimentieren alle stark demokratisch geführten, aber gleichzeitig unter-geimpften Länder mit der Pandemiebekämpfung: Holland, Belgien, Deutschland, Österreich. Auch die Schweiz sucht händeringend nach Lösungen. Zu viele finden Impfen nämlich nicht lustig.

Jedes Land verfolgt allerdings eine andere Strategie. 3G, 2G, 1G, Impfpflicht, „Impfnachweispflicht“, Lockdowns, Masken, Ausgangssperren, etc. Da dieses schlaue Virus sich in jedem Land offenbar anders verhält, wird es logischerweise überall auch anders bekämpft.

Die Erde zählt 195 Staaten. Alle Länder haben inzwischen den Kampf gegen die Krise angetreten. Ausser Somalia beispielsweise. Sogar ursprünglich Corona-skeptisch und/oder impfskeptisch orientierte Länder haben erkannt, dass nur eine umfassende Durchimpfung aus dem Schlamassel führt. Sogar in Brasilien, angeführt von dem wirren Bolsenaro, wird die Bevölkerung nun im Schnellzugtempo durchgepikst. Eigenartig, dass in Mitteleuropa die Leute oft nicht gegen das Virus kämpfen, sondern gegen die Virus-Bekämpfung. 

Waldmeyer würde sich tendenziell als nicht ausgesprochen emotional bezeichnen. Eher als faktenbasierter Realo. Esoterik zum Beispiel versteht er nicht richtig. Andererseits ist er auch nicht blind wissenschaftsgläubig. Ja, er nimmt gerade gegenüber der Schulmedizin in gewissen Belangen eine ganz kritische Position ein. Allerdings ist er auch kein überzeugter Anhänger der Alternativmedizin. Trotzdem hatte er sich in der Not, um seinen Rücken zu kurieren, ein paar Akupunkturnadeln setzen lassen. Das war im Oktober 2008, kurz nach Lehman Brothers – Waldmeyer erinnerte sich genau. Überhaupt: TCM, Traditional Chinese Medicine, sollte man ernst nehmen.

„Diese Chinesen sollten wir nicht unterschätzen“, meldete Waldmeyer von seinem Eames Chair aus Richtung Charlotte. 

„Bitte beginn nicht wieder mit dem China Virus, Max!“, antwortete Charlotte binnen einer Millisekunde.

Waldmeyer schenkte sich etwas Bourbon nach und holte sich genau zwei neue Eiswürfel (drei halbe hatten im Glas überlebt). Er stellte das Glas behutsam auf das Sideboard, um nicht den gleichen Fehler von vorhin zu begehen. Es gab nämlich schon genügend G-Fehler in der Politik. Auch im Verhalten der Gesellschaft.

Nach 15 Minuten Reflexion hatte Waldmeyer die Lösung: „Heureka, ich hab’s: Wir führen 4G ein! Geimpft, Genesen, Getestet, Gecancelt! Gecancelt ist, wenn du dich quasi freiwillig vom Gesundheitswesen abmeldest. Dann musst du dich nicht impfen lassen. Du kriegst das Zertifikat, im Coronafall aber kein Intensivbett.“

Waldmeyer verfeinerte seinen Plan: Die Gecancelten, also die Gekündigten, könnten zwar hospitalisiert werden, müssten dann aber selbst dafür bezahlen. Ein Intensivbett allerdings wäre nicht mehr drin. In Singapur beispielsweise gilt diese Regel mit der Selbstbezahlung für Ungeimpfte bereits. Ein Prämiendiscount bei der Krankenkasse von 50 Stutz monatlich könnte das Konzept noch perfektionieren. Insbesondere die Leute im Toggenburg zum Beispiel, oder generell die Bevölkerung auf dem Land, könnte dieses Angebot attraktiv finden. Auch die mit den Treicheln, die alle über ein super Immunsystem verfügen, würden bestimmt sofort mitmachen.

„4G, das wäre die Lösung!“, rief Waldmeyer aus. 

„Und was wäre mit denen, die da nicht mitmachen…? Du kannst sie ja nicht zwingen zum Canceln“, warf Charlotte sofort ein, wie immer scharfsinnig,

Waldmeyer schaute in sein Whiskyglas und suchte nach weiteren G-Inspirationen. „Stimmt. Das wäre dann eben 5G: G für Gefängnis. Oder G für Gestorben.“

„Bitte, Max. Jetzt gehst du zu weit!“

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