Waldmeyer und die Shitcoins

Bereits früher hatte Max Waldmeyer überlegt, ob er nicht seine eigene digitale Währung schaffen sollte. Allerdings sind noch einige Fragen offen. Waldmeyer versucht, erst mal eine Auslegeordnung zu erstellen.

Charlotte war letztes Jahr schon ein bisschen beeindruckt, als Max die Rechnung im Tre Fratelli mit „Waldmeyer“ bezahlte – seiner eigenen Währung. Luigi kritzelte dafür lediglich etwas auf einen kleinen Zettel. Nun, das war natürlich erst der Beginn der Idee einer digitalen Währung; Luigi hätte den Betrag auch in sein altes Nokia eingeben können, dann wäre der „Waldmeyer“ wohl etwas digitaler hinterlegt worden.

Das Lustige an den digitalen Währungen (oder Kryptowährungen) ist, dass sie eigentlich jeder produzieren kann.Nebst ein bisschen Informatik brauchte es dazu offenbar nur ein gesundes Mass an Unverfrorenheit und genügend Überzeugungskraft. Die digitale Währung muss auch nicht mit irgendeiner Reservewährung hinterlegt oder abgesichert werden – man schafft sie einfach. Aus dem Nichts.

Befeuert wird dieser Hype durch die starken Kryptowährungen, die zum Teil durch die Decke gingen. Wie Bitcoin, Tether oder Ethereum. Im Umfeld Waldmeyers gab es plötzlich Leute, die damit unanständig viel Geld verdienten. Ungefähr die gleichen Leute verloren allerdings später ebenso viel Geld damit. Zur Erinnerung: Bitcoin startete einmal bei fast null, stieg dann 2021 bis auf über 60’000 USD, fiel dann 2022 wieder dramatisch, rappelte sich nun wieder etwas auf und dümpelt nun bei gut 20’000 dahin. Je nach Expertenmeinung wird es wieder steil nach oben gehen – oder auf null runter. „Da kannst du ja gleich ins Casino nach Baden gehen“, meinte Charlotte. Stimmt. Aber trotzdem, das Thema sollte einmal richtig zerlegt werden.

Nun also zu Waldmeyers Auslegeordnung, die die Zukunft dieser Währungen doch etwas in Frage stellt:

  • Kryptowährungen werden zu einem hohen Prozentsatz für kriminelle Zwecke verwendet. Sie weisen damit alle einen Seriositäts-Malus auf.
  • Deren „Geldmenge“ kann jederzeit manipuliert werden. Wird zu viel produziert, sinkt der Wert. Eine Kontrolle diesbezüglich besteht nicht.
  • Digitale Währungen basieren in der Regel auf nichts. Auf keinem Eigenkapital, keiner Reservewährung, keinem Währungskorb, keinem Rohstoffbasket, auch nicht auf Gold.
  • Die Entwicklung der digitalen Währungen gefällt den Notenbanken nicht, denn die systemischen Risiken sind augenfällig. Notenbanken könnten künftig Verbote in die Wege leiten. Nur schon, um alternativ eigene, digitale Währungen zu lancieren. China wartet nur darauf – in der Hoffnung, den US-Dollar als Leitwährung einmal ablösen zu können.
  • Die Volatilität der digitalen Währungen ist sehr hoch. Deren Werte befinden sich seit Jahren auf einer Achterbahn. Starke Währungen sind indessen stabil. So musste auch Elon Musk das Projekt aufgeben, seine Elektroschlitten mit Bitcoins kaufen zu lassen. Auch die Globus Delicatessa, so Waldmeyers Überlegung, würde sich davor hüten, sein Tunatatar mit Bitcoins bezahlen zu lassen. Zu unsicher.
  • Jede fünfte digitale Währung streckte bereits die Waffen. Die Wahrscheinlichkeit von Totalverlusten ist nicht unerheblich.
  • Es besteht einfach zu wenig Vertrauen in die Währungen. Selbst bei Bitcoin weiss man nicht, wer tatsächlich dahintersteckt. Während Waldmeyers Konto bei der ZKB (früher bei CS) dauernd durchleuchtet wird, hat man keine Ahnung, wer bei Bitcoin das Sagen hat. Ob man etwa mal irgendwo irgendjemanden anrufen könnte?

Es wird kolportiert, dass zwei clevere Österreicher hinter Bitcoin stecken. Sie klopfen sich wohl täglich auf die Schenkel. 

  • Falls es sich um „echte“ Kryptowährungen handelt, mit end-to-end Verschlüsselung und auf der Blockchain-Technologie basierend, verbrauchen deren Transaktionssysteme heute bereits so viel Elektrizität wie ganz Spanien. Eine weltweite Ausweitung dieser Währungen (zur Kompensation bisheriger Währungen) wird damit zum Scheitern verurteilt sein.

Und nun das Fazit Waldmeyers: Eigentlich handelt es sich bei den Digitalwährungen um „Shitcoins“.

Zusammenfassend: Die Kryptowährungen – oder die digitalen Währungen generell – sind ihm nicht geheuer. Und sicher sind sie so oder so auch nicht.

Aber trotzdem, eine eigene digitale Währung zu lancieren, ist etwas anderes, das hat durchaus seinen Reiz. Denn dann sind die Risiken ausgelagert. Also was soll das Lamentieren über digitale Währungen, wenn man – proaktiv – selbst eine schaffen und von der Gier oder der etwas vernebelten Zukunftsvision Dritter profitieren könnte!

Waldmeyer beschloss, das Projekt nun nicht nur auf dem Stand einer lustigen Idee zu belassen, sondern tatsächlich eine eigene digitale Währung zu lancieren. Kein Shitcoin, sondern etwas Beständiges: Den „Waldmeyer“.

Zu Beginn sollte ein „Waldmeyer“ einem Franken entsprechen. Nachher würde er natürlich viel teurer werden. Und einen „Waldmeyer“ würde er in Hundert „Rohnerli“ unterteilen. Ein „Rohnerli“ ist also nicht viel wert. Dies quasi als Hommage an den früheren CS-Präsidenten, welcher in seinem Unvermögen und seiner Ignoranz den Wert der CS-Aktie über Jahre quasi vernichtet hatte.

„Und wer soll denn „Waldmeyer“ kaufen?“, fragte Charlotte. 

„Nun, jeder, der rasch viel Geld verdienen möchte“, antwortete Waldmeyer. „Zum Beispiel ganz normale Leute, die eben auch ins Casino in Baden gehen. Es sind wohl einfach Spieler.“

„Oder komische Leute, die CS-Aktien gekauft hatten“, warf Charlotte ein. Etwas betreten senkte Waldmeyer den Blick und antwortete nicht.

Waldmeyer und die Menstruation

In Europa herrscht Krieg, die Inflation klopft an die Türe, es drohen Energieengpässe, das Klima muss gerettet werden, und unsere Behörden versenken den Schweizer Finanzplatz. Inmitten dieses Sturms gibt es glücklicherweise besonnene Politiker, welche sich um Menstruationsprobleme kümmern.

Die Stadtparlamente in den grösseren Schweizer Städten nehmen sich immer wieder den ganz grossen Problemen an. So auch in Zürich. Es behandelte jüngst die Menstruationskosten. Hintergrund der Debatte war einmal mehr die Gleichstellung der Geschlechter. SP und Grüne forderten nichts weniger als Gratis-Tampons und Binden für Frauen. Gendergerecht wurde allerdings nicht von „Frauen“ gesprochen, sondern von „menstruierenden Personen“. Diese erfahren eine wirklich ungerechte Benachteiligung, da sie während ihres gesamten menstruierenden Lebens offenbar rund 2‘200 Franken für Hygieneartikel ausgeben müssen. Diese sollten in Zürich künftig nun gratis abgegeben werden.

Waldmeyer dachte sofort an einen alternativen Vorstoss für eine Gratisabgabe von Rasierklingen an Männer. Allerdings müsste der Kreis der Begünstigten korrekter definiert werden. Transpersonen zumindest müssten ebenso profitieren können. Oder allgemein einfach Personen, welche eine Haarentfernung wünschen – wobei wir hier wieder bei einer schwierigen, geschlechterübergreifenden Definition landen würden. „Haarentfernungsträchtige Personen“? 

Waldmeyer verwarf die Idee und überlegte weiter, was mit Zürich jetzt passieren wird: Ob nun wohl ein reger Menstruations-Tourismus in die Stadt einsetzen wird …?

Die Menstruationsdebatte kommt nicht von ungefähr. Kürzlich gab ein Vorstoss zu reden, welcher die Sprechdauer von Männern und Frauen kontrollieren sollte. Es bestand die verstörende Vorstellung, dass Männer im Gemeinderat länger sprechen könnten als Frauen. Nur schon aufgrund des Frauenanteils von 39% lag das zwar auf der Hand – aber offenbar strebte man eine gerechtere Verteilung der Voten mit 50/50 an. Dabei ging offenbar ganz vergessen, wie der Sprechanteil der LGBTQ-Fraktion garantiert werden sollte. Auch könnten Gemeinderäte mit Migrationshintergrund benachteiligt sein – man müsste dieser Gruppe konsequenterweise ebenso die ihnen zustehende Sprechquote sichern. Oder gewissen Berufsgruppen. Oder eben auch menstruierenden Personen. Waldmeyer stellte fest: Es wird noch ein langer Weg sein, bis alle Gesellschaftsgruppen gerecht berücksichtigt werden.

Und noch etwas verwirrte Waldmeyer: Die Eingabe im Gemeinderat, dass für Zürcher Hallenbäder künftig eine genderneutrale Badebekleidungsordnung gelten soll. Übersetzt bedeutet dies, dass Frauen auch oben ohne schwimmen dürfen. Allerdings nicht nur Frauen, sondern, wie es gendergerecht formuliert wurde, „Menschen mit einer weiblich gelesenen Brust“.

Aber zurück zur Menstruation. Wie so oft, lohnt sich ein Blick ins Ausland. Nach Schottland beispielsweise. Hier müssen per Gesetz seit 2021 Hygieneartikel für Frauen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz wurde als „Leuchtfeuer zum Wohle der Menschheit“ bezeichnet. Allerdings: Das mit der genauen Definition der „Frauen“ ging etwas verloren. Das war aber auch erst 2021. Im Jahr 2023 ist man da weiter, zumindest bereits in Zürich, denn die richtige Bezeichnung für die Verwender*innen von solchen Hygieneartikeln ist nicht „Frauen“, sondern „menstruierende Personen“. In Neuseeland und Kenia werden die inkriminierten Hygieneartikel an Schulen gratis verteilt. Waldmeyer nahm sich vor, der Sache nicht weiter nachzugehen.

Das delikate Thema darf indessen nicht auf diese Gratisabgaben reduziert werden. Es geht selbstredend auch um freie Menstruationstage. In Spanien dürfen Frauen deshalb einfach zuhause bleiben. Sie bestimmen mehr oder weniger selbst, wie lange eine Menstruation dauert. Das neue Gesetz war ein willkommenes Zückerchen der sozialistischen Regierung für die Frauen – damit sie die künftigen Stimmzettel auch „richtig“ auszufüllen wissen.

Der aktuelle politische Menstruations-Vorstoss in der Schweiz liegt also durchaus nicht quer in der Landschaft. In den grossen Schweizer Städten – mit der Speerspitze Zürich – sehen weitere Vorstösse künftig freie Periodentage vor.  Ein bis fünf Tage sollen künftig pro Monat als Freitage bei Periodenschmerzen gelten. In Zürich soll dies zumindest für städtische Angestellte gelten, finden zwei grüne Protagonistinnen im Gemeinderat. Das leuchtete Waldmeyer ein: Städtische Angestellt_innen leiden offenbar überdurchschnittlich stark während ihren Tagen.

Waldmeyer machte sich nun Sorgen: Bei all diesen Vorstössen könnten nicht-binäre Personen vergessen gehen. Doch auch daran hatten die Zürcher Grünen gedacht, denn laut ihrem Vorstoss kommen die freien Tage auch „binären und Trans-Personen“ zugute. Waldmeyer atmete auf: Ja, so sieht Gerechtigkeit aus!

Max Waldmeyer, Meisterschwanden, überlegte also, was wäre, wenn er sich jetzt plötzlich als nicht-binär erklären würde. Er könnte damit alle Vorteile von Mann und Frau vereinen. 

Charlotte unterbrach jäh Waldmeyers singuläres Brainstorming: „Max, wolltest du dieses Wochenende nicht die Garage aufräumen…?“

„Das geht nicht, Schatz, ich habe meine Tage“, antwortete Waldmeyer. „Es sind nur Phantomschmerzen, aber ich muss nun mal etwas aussetzen.“

Waldmeyer und das Pensionsalter 75

Wir werden immer älter, und die Kasse der staatlichen Altersversicherung wird immer leerer. Seit Dezennien wird nach Lösungen gerungen, aber keine passt. Waldmeyer beschloss, eine offene Auslegeordnung mit allen Optionen zu erstellen. Er machte insgesamt sieben Lösungen aus.

Um es gleich vorwegzunehmen: Fast alle Lösungen sind gar nicht sozialverträglich. Zum Beispiel die Option Nummer eins, die AHV-Einzahlungen substanziell zu erhöhen. Wer möchte das schon? Der Bürger? Die Firmen?

Aber alles der Reihe nach.

Seit 1948 liegt das AHV-Alter bei 65 Jahren. Damals betrug die Lebenserwartung der Männer 66 Jahre, das der Frauen 71, im Schnitt knapp 69. Heute liegen die entsprechenden Werte bei 82, bzw. 86 Jahren, im Schnitt bei 84.

Insbesondere die Männer waren 1948 also, AHV-technisch gesehen, sehr günstig, denn durchschnittlich traten sie bereits nach einem guten Jahr Pension ab. Heute erst nach 17 teuren AHV-Jahren (Frauen nach 21, im Schnitt sind es 19 Jahre). Die Restlebenserwartung hat sich also fast verfünffacht!

Wenn Waldmeyer nun todesfrei die 65er-Hürde schafft, beträgt seine statistische Lebenserwartung sogar fast 20 Jahre. Waldmeyer nahm sich vor, diesen Wert zu übertreffen, schliesslich hatte er noch einiges vor. Charlotte meinte nur, dass er damit das ganze Problem noch zusätzlich verschärfe. Man solle vielleicht mal einen Blick ins Ausland werfen, wie die denn das Problem so lösen.

Stimmt. Beispielsweise Russland. Die Russen sind nämlich sehr vernünftig: Die Frauen werden 76, die Männer nur 65. In Sibirien gar nur 58. Kriminalität und Suff raffen sie einfach früher dahin. Der Blutzoll in der Ukraine wird das Durchschnittsalter der russischen Männer nun noch weiter senken – mit dem Vorteil eben, dass sie später dann nicht mehr durchgefüttert werden müssen.

Diese zweite Option allerdings, nämlich die Lebenserwartung generell zu senken, entfiel selbstredend ebenso.

Damit müsste die nächste Option geprüft werden, die Senkung der Renten. Waldmeyer war indessen sofort klar: Ein politisch unmögliches Unterfangen.

Nun also zur vierten Option: mehr Kinder kriegen. Mehr Kinder verbessern das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Beitragsnehmern. Eine patente Lösung. Aber, aus staatlicher Sicht, schwierig durchzusetzen. Der Prozess wäre auch zu langsam. Lösung müssen jetzt her.

Damit zur fünften Option: Mehr Einwanderung zulassen. Als Alternative einfach zur Option vier. Aber: Wer möchte sich heute noch die Finger verbrennen an diesem Thema?

Waldmeyer steuerte also die Option sechs an, die mehr oder weniger logischste: Erhöhung des Rentenalters.Sicher sollte man zuallererst mit diesen schädlichen Frühpensionierungen aufhören. Und die freiwillige Weiterarbeit nach 65 sollte attraktiver gestaltet werden. Diese Leute weisen nämlich den Vorteil auf, dass man sie gar nicht erst teuer ausbilden muss. Ein frühzeitiger Rückzug aus dem Erwerbsleben kommt einer grossen Verschwendung gleich. Wieso erhalten diese älteren Semester, gerade die Fachkräfte, nicht die doppelte AHV für die geleisteten Überjahre? Sie bezahlen ja auch noch weiter ein, ohne je davon zu profitieren. Die AHV wird so zur Steuer. Waldmeyer ist überzeugt, dass mit einem Systemwechsel der Return on Investment (mit zusätzlichen Steuererträgen beispielsweise und einer Verminderung des Fachkräftemangels) ganz interessant wäre. Der Staat sollte das mal durchrechnen. Oder die „Manager“ des Staates. In diesem Fall wäre Herr Berset betroffen – aber unser Bundesrat ist wohl immer noch mit dem Ausmisten im Bundesamt für Gesundheit beschäftigt, mit dem Entfernen der letzten Faxgeräte, beispielsweise.

Ja, wir müssen künftig wohl einfach ein paar Jahre länger arbeiten. So viele Ukrainer können wir nämlich gar nicht ins Land lassen, um die Pensionen der Alten zu finanzieren.

Wie meinte doch Charlotte: Man sollte einfach ins Ausland schauen und dort allfällige intelligente Lösungen abkupfern. Oder abschreckende Beispiele anschauen, um es dann gerade nicht so zu machen. Zum Beispiel wie die Franzosen, wo nicht einmal eine Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre mehrheitsfähig ist. Die Misere begann allerdings schon viel früher, so etwa als Präsident Mitterand 1982 das Rentenalter von 65 auf 60 Jahre senkte, eine Uraltforderung der Arbeiterschaft. Im Jahre 2000 folgte dann die 35-Stunden-Woche. Beide Massnahmen strapazieren die Staatskasse noch heute. Ein Lokomotivführer darf mit 52 in Rente, ein Zugbegleiter immerhin mit 57. Bei der französischen Bahn gibt es dann eine satte Rente, welche fast dem doppelten der Durchschnittsrente entspricht. Und weil bei der Berechnung der Rentenhöhe die letzten sechs Monate zählen, werden aus lauter Gefälligkeit für diese Periode noch allerlei Lohnerhöhungen und Beförderungen ausgesprochen. Frankreich ist also ein abschreckendes Beispiel, wie man es genau nicht machen sollte. 

Also zu den positiven Beispielen: Die Neuseeländer etwa kennen schon länger ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren, die Japaner gar von 67.5 Jahren. Die Dänen beschlossen, klugerweise bereits 1956, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu knüpfen. Heute liegt das Pensionsalter in Dänemark bei 67 Jahren, 2040 vermutlich bei 70. Waldmeyer extrapolierte kurz: Im Jahre 2051 könnte es, bei weiter steigernder Lebenserwartung, gar bei 75 Jahren liegen. Vielleicht doch nicht eine so gute Aussicht?

Es bliebe nun noch die Option Nummer sieben, die ganz persönliche Option, nämlich das Auswandern. Es wäre sozusagen die Nuklearoption – allerdings hätte sie Waldmeyer schon viel früher wahrnehmen sollen. Einfach ein Land wählen mit einer sehr attraktiven Pensionsform. Saudi-Arabien könnte einer genaueren Prüfung unterzogen werden, hier wird man bereits mit 47 pensioniert. Allerdings ohne Alkohol.

Waldmeyer hätte auch Kampfpilot in der deutschen Bundeswehr werden können. Pension mit 40! Zusätzlich finanziert der Staat anschliessend noch ein Studium. Aber Waldmeyer legte den Plan wieder auf die Seite, er ist nicht ganz schwindelfrei.

Also warf er nochmals einen Blick nach Frankreich. Heureka! Waldmeyer hätte Tänzer werden sollen an der Pariser Oper. Pension mit 42!

„Charlotte, wärst du mit mir, damals, nach Paris gezogen …?“

Waldmeyer, die Arbeitszeit und der Konsumverzicht

Das grüne und linke Lager fordert mantramässig eine Reduktion der Arbeitszeiten. Um die Finanzierung dieser Spässchen sorgen sie sich nicht. Waldmeyer überlegte sich, wie er selber einen Beitrag zur Finanzierung leisten könnte.

Protagonisten der Jungen Grünen forderten kürzlich die 24-Stunden-Woche. Und die SP schwadroniert schon seit geraumer Zeit von der 35-Stunden-Woche. Auch die Unia, die stärkste und militanteste Gewerkschaft der Schweiz, nie um weltfremde und klassenkämpferische Forderungen verlegen, fordert mantramässig Ähnliches. 

Was allen Forderungen gemeinsam ist: Die Arbeitszeitverkürzung soll bei gleichbleibendem Lohn erfolgen. Brave new world.

Je nach Tagesaktualität werden dazu die Argumente gereicht: Die Arbeit muss einerseits besser verteilt werden, damit alle auch Arbeit haben (angesichts des Personalmangels überall und der rekordtiefen Arbeitslosenrate wird dieser Ansatz zurzeit weniger berücksichtigt). Andererseits braucht es mehr Zeit „zum Leben“ – die Arbeitsbelastung ist einfach zu hoch. Auch ist die Erde zu klein, die Ressourcen sind begrenzt und wir müssen vom Konsum wegkommen. Natürlich geht es, wenn nach der Finanzierbarkeit der schönen Pläne geforscht wird, immer auch um Umverteilung: Von Kapital zu Arbeit. Ohne Klassenkampf ist da nichts zu machen.

In Frankreich beispielsweise wird ja sehr überzeugt und flächendeckend wenig gearbeitet, seit Jahren kennt man die 35-Stunden-Woche. Die Deutschen arbeiten 37.5 bis 40 Stunden pro Woche, bei den Italienern und Spaniern weiss man es nicht so genau. In der Schweiz sind es im Schnitt knapp 42 Stunden. Belgien versucht es derzeit mit einer 38-Stunden-Woche, verteilt auf vier Tage.

Soll unsere helvetische Überproduktivität nun reduziert werden? Insbesondere die Vertreter von völlig überarbeiteten Angestellten des Staates, der Kantone oder der Gemeinden sind offenbar dieser Meinung. Die SP in Baselstadt brachte jüngst eine Motion in den Grossen Rat, die gebeutelten Beamten nur noch 38, anstatt 42 Stunden arbeiten zu lassen. Unter anderem „wegen dem Fachkräftemangel“, weil man „konkurrenzfähig bleiben müsse“. Nun, vielleicht müssen die vier Stunden gar nicht durch neue, nicht zu findende Fachkräfte kompensiert werden – weil es diese gar nicht braucht.

Auch die Zürcher AL und die SP bleiben nicht untätig, denn mittels gleich zwei Vorstössen lancieren sie für städtische Angestellte einen Pilotversuch für die 35-Stunden-Woche. Flankiert wird der Test mit einer Viertageswoche.

Den Versuch mit der Viertageswoche hatte VW in Deutschland übrigens schon vor Jahren wieder abgebrochen. Plötzlich fehlte es an nämlich an Fachkräften, um die Produktion am Laufen zu halten. 

Aber zurück in die Schweiz. Waldmeyer überlegte sich, wo denn die unterste Benchmark für die Arbeitszeit liegen könnte: vielleicht bei einer Zweitageswoche? Die Erosion der Arbeitsmotivation könnte so allerdings schon im Laufe des Dienstags stattfinden und die Erholungsphase dann bis Montagmorgen dauern.

Selbst wenn es gelänge, die Industrieproduktion mit so viel Raffinesse zu planen, dass fast nur noch Roboter an der Arbeit sind und die Gesellschaft vorab zu Hause hocken dürfte: Bei vielen politischen Weltverbesserern geht offenbar vergessen, dass wir heute eine Dienstleistungsgesellschaft sind. Waldmeyer beispielsweise möchte keinen Roboter als Zahnarzt. Es reicht ihm schon, wenn er im Baumarkt dazu gedrängt wird, seine Einkäufe selbst zu scannen.

In der Schweiz arbeiten 75% der Beschäftigten im Dienstleistungssektor. Und in vielen Bereichen findet Dienstleistung nun mal an sieben Tagen in der Woche statt:  in der Hotellerie und der Restauration, im öffentlichen Dienst, bei vielen digitalen Supportleistungen, im Spital, etc., etc. Am Donnerstagabend kann also nicht Schluss gemacht werden. Da ist einiges an Koordination nötig, was sich mit einer Reduktion der Arbeitszeit schon logistisch nur mühsam regeln lässt.

Nun zurück zur Unia und der 35-Stunden-Woche. Mit immer wieder den gleichen Argumenten wird diese lanciert – so der Reduktion der hohen Belastung, der Verbesserung der Work-Life-Balance, der gerechteren Verteilung der Arbeit.

Was Waldmeyer allerdings nachdenklich stimmt: 80% der Schweizer arbeiten „eher gerne“, 20% „eher nicht gerne“. Ähnliche Untersuchungen in Deutschland oder Frankreich zeigen leider ein anderes Bild: 80% geben an, eigentlich nicht so gerne zu arbeiten. 

Waldmeyer seufzte. Arbeitet man also lieber, wenn man mehr arbeitet? Oder arbeitet man mehr, weil man gerne arbeitet? Verfliegt die Lust an der Arbeit eventuell mit abnehmender Arbeitsbelastung? Seltsam. Zumindest eine Beobachtung hatte Waldmeyer schon gemacht: Unterbeschäftigte Beamte beispielsweise neigen dazu, plötzlich aufkommende Arbeit als zu viel zu betrachten.

Ein Lieblingsthema Waldmeyers sind die vielen „sozialen Hängematten“ in europäischen Ländern. Nebst der Rundumversorgung durch den Staat kommen hohe Absenzen dazu, viele Frei- und Urlaubstage, ausgedehnte Elternurlaube, etc. Spanierinnen erfreuen sich an regelmässigen freien Menstruationstagen und Italienerinnen im gebärfähigen Alter müssen, bei intelligenter Kinderplanung, eigentlich während Jahren gar nie arbeiten – sie profitieren aber trotzdem von Lohnfortzahlungen. Der Franzose andererseits lässt sich gerne schon mit Mitte 50 pensionieren. 

Das kostet natürlich alles. Den Staat, die Gesellschaft, die Firmen. Frankreich, nun auch nur wieder beispielsweise, hat sich inzwischen quasi de-industrialisiert. La Grande Nation ist in vielen Bereichen nicht mehr wettbewerbsfähig. Das liegt nicht nur an der verlorenen Innovationskraft, sondern auch an den zu teuren und zu wenigen Arbeitsstunden. 

Der Staat hat den Bürgern in vielen Ländern täglich suggeriert, dass er für alles verantwortlich ist und Arbeit eben nur eine lästige Nebenerscheinung der modernen Wohlfahrtsgesellschaft ist.

Waldmeyer erkennt: Wir haben also Nachholbedarf in der Schweiz. Wir arbeiten zu viel. Wir haben zu wenig Ferien. Auch keinen richtigen Elternurlaub. Wir sind zu wenig krank. Wir müssen uns trotz Menstruation ins Büro schleppen. Und das Schlimmste: Wir arbeiten zu allem noch ganz gerne!

Waldmeyer nahm sich vor, die Psyche der Forderungsprotagonisten aus gewissen grünen und linken Ecken genauer zu studieren: Arbeiten diese vielleicht selbst nicht gerne? Oder ist es tatsächlich nur ihr politisches Spiel, um wiedergewählt zu werden? Oder handelt es sich doch um zwar weltfremde, aber gutmeinende Fundis, die ehrlich an ihre abenteuerlichen Programme glauben? 

Waldmeyer dachte dabei auch an seine ältere Schwester Claudia (frühpensionierte Lehrerin, SP, praktischer Kurzhaarschnitt, lustige farbige Brille, altes Nokia). Tatsächlich ist sie der Meinung, mit ihrem heutigen Konsumverzicht, allerdings mit einer komfortablen staatlichen Rente, der Welt Gutes zu tun.

Aber auch Waldmeyer selbst, so stellte er fest, hat schon viel Gutes für die anderen getan: Er hat jahrelang gemalocht, eine Firma aufgebaut, Arbeitsplätze geschaffen und viel Steuern bezahlt. Auch hat er immer tüchtig ausgegeben, der Gesellschaft also das Geld zurückgegeben. Mittels Multiplikatoreffekt hat er tatsächlich die Wirtschaft, wenn auch nur im Nanobereich, angekurbelt.

Wenn die Arbeitskosten zu hoch sind, sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Das schlägt auf das BIP und letztlich auf das verfügbare Einkommen des Bürgers. Die unteren Schichten trifft dies dann bekanntlich überdurchschnittlich. Auch ein flächendeckender Kosumverzicht, das weiss jeder Ökonom heute, würde unsere Gesellschaft in ein Desaster stürzen. 

Waldmeyer fasste nun einen Management-Entscheid: Da er nicht mehr voll im Berufsleben steht, möchte er trotzdem weiter etwas für die Gesellschaft tun. Das Beste, was ihm im Moment einfiel, war, seinen Konsum nicht einzuschränken. Ja, der Motor der Wirtschaft muss weiterlaufen, damit die Gesellschaft ihren Bedarf, mit allerlei Spässchen und Forderungen, finanzieren kann. Und Waldmeyer, als winziges Rädchen in diesem Getriebe, wollte dabei sicher nicht als Spassbremse auftreten! 

„Charlotte, wir sollten mehr Geld ausgeben“, meldete Waldmeyer zu seiner Frau in ihr Arbeitszimmer rüber.

“Ich hätte eigentlich lieber etwas mehr freie Zeit, Schatz!“, kam es sofort zurück.

Waldmeyer war verwirrt. Die Sache ist offenbar komplizierter. Er nahm sich vor, seinen Ansatz nochmals zu überdenken.

Waldmeyer und wie man verhandelt

Oder: Was Aschenputtel mit dem CS-Deal zu tun hat

Die Schweiz verfügt neu über ein Schulbeispiel, wie man nicht verhandeln sollte. Oder wie man eben verhandeln sollte – je nachdem, auf welcher Seite man steht. So konnte die UBS den fettesten Fisch ever an Land ziehen, während unsere Behörden mit ihrem dilettantischen Handeln eine neue negative Benchmark setzten.

Das Psychogramm eines Schweizers weist Züge auf wie „langweilig“, „zuverlässig“, „risikoscheu“, „vorsichtig“ – oder tendenziell gar eher „rückwärts orientiert“. Wir sind keine Dealmaker. Wir können nicht pokern. Wir können zwar opportunistisch sein, auch egoistisch. Wir sonnen uns auch in einer heilen Scheinwelt, wir schotten beispielsweise unsere Märkte ab, weil wir der hehren Überzeugung sind, dass wir alles besser machen und können als alle andern.

Der UBS/CS-Deal wird in die Geschichtsbücher eingehen. Ein ausgebuffter Banker (der UBS VR-Präsident, der Ire Colm Kelleher) konnte einen kompletten Bundesrat, inklusive Finma und unseren Notenbanker, über den Tisch ziehen. 

Waldmeyer versuchte nun zu analysieren. Die Ursache dieses peinlichen Ablaufs des Verhandlungspokers lag vermutlich nicht nur in der Überlegenheit des cleveren Iren, welcher sich wohl die berühmte Spieltheorie zu eigen machte. Bei der Spieltheorie werden künftige Entscheidungsschritte in Szenarien antizipiert – eine wissenschaftlich untermauerte Disziplin, welche Waldmeyer schon in Sachen Toilettenpapier während der Coronazeit analysierte.

Die Ursache des jüngsten CS-Verhandlungsdesasters lag in der Unbedarftheit unserer Bundesratstruppe, welche nicht einen einzigen richtigen Ökonomen in ihren Reihen hat. Keines der Mitglieder hat auch nur einen Hauch von Finanzwissen, Erfahrung im Geldmanagement oder aus dem normalen Leben der Wirtschaft. Wie wir wissen, besteht unser Bundesrat u.a. aus Winzern, Ärzten, DolmetscherInnen oder Sozialarbeiter:innen. 

Eine andere Ursache liegt in der falschen Annahme, dass schweizerische Lösungen immer besser sind. Es geht also nicht nur um schieres Unvermögen, sondern auch um beharrliche Rückwärtsorientierung, eine erschreckend weltfremde kognitive Wahrnehmung des globalen Geschehens, auch um mangelnde strategische Finesse.

Das Resultat des grössten Finanzdeals aller Zeiten liegt nun vor: Es ist ziemlich kontraproduktiv, weil ein zu grosser Finanzkoloss entsteht und die Überschneidung der kombinierten Bank zu einem viel grösseren Abbau von Arbeitsplätzen führen wird. Deutsche Bank, HSBC, etc., als Alternative zur UBS, wären zwar Topkandidaten gewesen, die den Wettbewerb in Helvetien wohl munter aufgemischt hätten – sie waren indessen nicht genehm. Weil eben ausländisch. Ein Glück für die UBS, der einzigen Gewinnerin in diesem Trauerspiel.

Die Variante, dass die Nationalbank vorübergehend den kontaminierten CS-Haufen hätte übernehmen können, ihn dann elegant filetieren und wieder geschickt hätte platzieren können, wurde mit Inbrunst verworfen. Aufgrund der „Risiken“. Jordan, unser Notenbanker, hatte wohl kalte Füsse, hatte er im letzten Jahr doch bereits schwindelerregende 132 Milliarden Franken verbraten, mehr als der gesamte Schuldenberg der Eidgenossenschaft. Jordan wollte nicht. Damit war auch das illustre Grüppchen mit den sieben Bundesräten und der Finma sofort der gleichen Meinung. Heute hat die Staatsführung einem Deal zugestimmt, welcher der UBS insgesamt erschreckende 209 Milliarden Risikogarantien gibt. Waldmeyer googelte gleich nach einem sinnvollen Vergleich: Die Summe entsprach ungefähr dem BIP Griechenlands. Oder zweihundert Mal dem BIP des Kantons Appenzell Innerrhoden. Der Kauf der CS dagegen hätte nur eine lächerliche Fraktion davon gekostet, und die Risiken dabei wären überschaubar geblieben. „Da hätten wir doch gleich Griechenland kaufen können“, meinte Waldmeyer zu Charlotte. Charlotte antwortete nicht.

Die dritte Ursache dieser Malaise liegt im offensichtlichen Unvermögen, zu verhandeln. Damit kam Waldmeyer nun zu dem Lehrstück, das eben in die Geschichte eingehen wird: wie dieser raffinierte Ire das Fähnlein der sieben Aufrechten um den Finger wickeln konnte, mitsamt ihren Finanz-Adlaten und den Geldverbrennern der Notenbank.

Nummer eins in diesem Lehrstück: Kein Interesse zeigen. Obwohl die UBS natürlich gierig nach der CS trachtete, vor allem nach deren Filetstücken, zeigte der kluge Ire kein Interesse. Also erst mal mürrische Ablehnung vortäuschen. „Nein, kein Interesse“, liess der Banker verlauten.

Nummer zwei: Entnervt eine provokativ tiefe Offerte vorlegen. Kelleher warf also, während eines Restaurantaufenthaltes offenbar, salopp mal telefonisch eine Milliarde für den Kauf der ganzen CS in den Ring. Angesichts der vermutlichen Bilanzwerte von 20 bis 40 Milliarden eine lächerliche Summe. Damit konnte man Entsetzen produzieren – bei der CS und bei unseren Staatsdienern. Der Schock war offenbar derart gross, dass man nicht mal prüfte, zu welchem Wert denn der Bund selber eine Kaufofferte hätte machen können.

Nummer drei: Die Offerte leaken. Die Presse nahm die Information betreffend der Ein-Milliarden-Offerte dankend auf. Sofort entstand der Eindruck, dass die gebeutelte CS vielleicht tatsächlich nichts mehr wert war.

Nummer vier: Den Wert des Kaufgegenstandes erhöhen. Der Ire, nun immer noch Leiden vermittelnd angesichts des Damoklesschwerts einer „Forced Marriage“, schlug offenbar vor, die AT1-Anleihe der CS von 16 Milliarden einfach als wertlos zu erklären. Damit verbesserte sich die Bilanz der CS-Braut auf einen Schlag. 

Nummer fünf: Offerte kurz vor Ablauf des Zeitfensters etwas verbessern. Kelleher wusste, dass die Schweizer Truppe unbedingt den Deal mit der UBS wollte – und möglichst keinen andern. Und es war klar, dass dieser Deal unbedingt rechtzeitig vor der Börseneröffnung am Montagmorgen stehen musste. Kelleher warf also, in einem Anflug von Grosszügigkeit sozusagen, nun erst mal zwei, dann ganze drei Milliarden in den Ring. Er tat dies, indem er immer noch wenig Interesse mimte, sozusagen aus reiner Pietät. Und so wurde der Sack zugemacht und der Deal stand.

Dabei ging ganz vergessen, dass die Besitzer der CS kalt enteignet wurden. Aber bei einem solchen Deal darf das keine Rolle spielen. Kelleher ging es einzig um ein maximales Verhandlungsresultat, welches er tatsächlich brillant erzielen konnte. Nun darf nicht der Bund oder die Notenbank die CS filetieren, sondern die UBS. Im Sinne einer Umkehr des Aschenputtel-Systems: die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen.

Waldmeyer überlegte, was wir in der Schweiz daraus lernen könnten. Bessere Leute wählen in unsere Staatsführung und -verwaltung? Wir sind nun mal, leider, ein ausgeprägter Schönwetterstaat. Unsere Bedächtigkeit hatte dabei, immerhin, über Jahrhunderte Fehler verhindert. Das Gute an Politikern ist doch, dass sie oft nicht entscheiden – und damit nicht falsch entscheiden. Aber wenn’s brennt, funktioniert das nicht mehr. Unser System ist damit nicht krisenresistent. Sei es in einer Pandemie, einer Strommangellage, dem Umgang mit einem Krieg mitten in Europa, der notwendigen Auslegung unserer Neutralität – oder eben einer plötzlichen Finanzkrise. Desillusioniert stellte Waldmeyer fest, dass wir kaum lernfähig sind und es künftig auch kaum sein werden. 

Alternativ reflektierte Waldmeyer nun, was er denn selbst lernen könnte aus diesem Lehrstück. Er könnte zum Beispiel zum Steuerkommissär in Meisterschwanden gehen, bluffen und sagen, er sei bankrott. Er hätte zum Beispiel eine amerikanische Sammelklage am Hals und könnte so die Steuern für das laufende Jahr nicht bezahlen. Aber er könne einen Deal anbieten: 20% der Steuersumme bezahlen, und das sofort. 80% Nachlass.

Charlotte war nicht überzeugt von dem Deal: „Du musst bessere Argumente finden, Max. Sag doch einfach, du seiest enteignet worden, durch den Bundesrat. Er war es ja, der dir den Aktienkurs der CS in den Keller geschickt hatte. Dein Vermögen hat sich damit drastisch reduziert.“

Charlotte hatte recht: Man sollte mehr und bessere Deals machen. In der Hoffnung einfach, dass die Gegenseite unbedarft ist. Er dachte an diesen Herrn Vonlanthen, den Steuerkommissär von Meisterschwanden. Er beschloss, einen Versuch zu wagen.

Waldmeyer und die kalte Enteignung durch den Bundesrat

Max Waldmeyer war bis jetzt überzeugt, dass in keinem Land das Eigentum besser respektiert und geschützt wird als in der Schweiz. Aber Waldmeyer sollte nun eines Besseren belehrt werden. Denn nun wurde er, mittels staatlicher Unterstützung und über Nacht, kalt enteignet.

An jenem Sonntag kamen sie zusammen: Eine ausgebildete Sozialhelferin und ehemalige Marxistin (welche Schwarznasenschafe hält), eine ausgebildete Dolmetscherin, die sich neu um die Finanzen eines Staates kümmert, eine Juristin, welche sich zurzeit mit Fliegern, Panzern und Munition rumschlägt, ein Arzt, der sich als Aussenminister betätigt, ein Winzer, der sich u.a. um Bildung kümmert, ein Agraringenieur, der weiss, wie man Solarpanels aufstellt und ein Schmalspurökonom (im Moment deren aller Chef), welcher sich in letzter Zeit vor allem als Skandaljäger profiliert hatte. Sekundiert wurde die illustre Schar von ein paar Finanzspezialisten und einem Notenbanker, welcher im letzten Jahr einen absolut rekordverdächtigen Milliardenverlust von sagenhaften 132 Milliarden produziert hatte. Banker der UBS und CS waren, sozusagen als Statisten, auch noch dabei.

Und dann geschah es, an jenem schwarzen Sonntag, der in die eidgenössische Geschichte eingehen wird: Die beiden Banken wurden, gegen ihren Willen, zwangsverheiratet. Unser Bundesrat war offenbar der Meinung, dass nur eine schweizerische Lösung opportun sei. Er schaffte damit ein noch grösseres Problem, als wir im Land schon hatten: nämlich mittels einer „Shotgun Wedding“ die Entstehung eines überdimensionalen, riesigen Finanzkolosses, welcher in absolut keinem Grössenverhältnis mehr zur Wirtschaftskraft des Landes steht. Zudem schuf das ansonsten wirtschaftsliberale Helvetien so eine Quasi-Monopolsituation mit einer einzigen Grossbank, welche nun, für das internationale Geschäft insbesondere, keine valable Konkurrenz mehr zu fürchten hat. Ein ordnungspolitischer Sündenfall erster Güte.

Gleichzeitig vernichtete der Bundesrat an jenem Sonntag das Vermögen von Tausenden von Aktionären. Diese waren nur Stunden zuvor noch der Meinung, einen Teil einer zwar maroden Firma zu besitzen, aber immerhin Eigner von „Werten“ zu sein (je nach Schätzungen insgesamt zwischen 20 und 40 Milliarden Franken). Der Bundesrat gab den Segen dazu, dass es ab sofort nur noch 3 Milliarden sein sollten – der Preis eben, den UBS für den heruntergewirtschafteten CS-Haufen zu bezahlen bereit war.

Sämtliche andere Optionen waren nicht genehm: Zum Beispiel eine vorübergehende Verstaatlichung und Sicherung der Werte, bis solvente Käufer gefunden werden. Das wäre auch kein schöner Vorgang gewesen, auch nicht sehr helvetisch – aber er hätte ordnungspolitisch letztlich ein besseres Resultat produziert. Oder die vernünftigste Option: Die Übergabe dieser kranken Bank an ein ausländisches Institut. Da gab es valable Anwärter – für das Ganze oder Teile davon. So die Deutsche Bank, HSBC, etc. Aber diese Anwärter, welche für eine gesündere Bankenstruktur in der Schweiz gesorgt hätten und zudem bestimmt mehr bezahlt hätten, waren einfach nicht genehm. Weil ausländisch. Die schweizerische Abschottungspolitik wurde damit in ihrer vollendeten Form durch einen offenbar überforderten und blinden Bundesrat zelebriert.

Waldmeyer überlegte sich nun die aus dieser Malaise resultierenden Optionen, nachdem er mit Entsetzen konstatieren musste, dass seine CS-Aktien jetzt kaum mehr das Papier wert waren. 

Option 1: Er würde die Aktien einfach behalten, die Herausgabe verweigern und warten, bis sie wieder ihren wahren, inneren Wert erhielten.

Option 2: Er könnte sich mit den Saudis, den Kataris und Blackrock, den Grossäktionären  der untergehenden CS, verbinden, streiken und protestieren.

Option 3: Er könnte sich einer Sammelklage anschliessen.

Option 4: Er könnte sich die CS-Aktien physisch herausgeben lassen und öffentlich verbrennen, so auf dem Paradeplatz.

Die Option 1 schied sofort aus. Denn Waldmeyer wird gar nicht gefragt werden, ob er einverstanden sei mit der Zwangsfusion und dem Discountpreis für den Verkauf seiner Aktien. Die Aktionärsrechte werden durch den Bundesrat mittels schnell geschaffenem Spezialgesetz einfach ausgehebelt. Für 22 CS-Aktien wandert bei ihm nun ungefragt eine einzige, lumpige UBS-Aktie ins Depot. Waldmeyer rieb sich die Augen: Ist er in einer Bananenrepublik aufgewacht, welche plötzlich per Dekret regiert wird …?

Option 2 entfällt ebenso. Waldmeyers Depotbestand reicht einfach nicht aus, um seine Miteigner am Golf oder in den USA ans Handy zu locken.

Die Option 3 – die Sammelklage – wird sich als zu schwierig erweisen. Zumal Sammelklagen in der Schweiz gar nicht zugelassen sind. Waldmeyer könnte allenfalls hoffen, dass sich die Amerikaner in dieser Sache bewegen.

Leider entfällt auch die Option 4, die Verbrennung der CS-Aktien. Waldmeyer besitzt ja plötzlich nur noch UBS-Aktien.

Max Waldmeyer, Meisterschwanden, entschied sich für Option 5: Die öffentliche Verbrennung von UBS-Aktien. Aber nicht auf dem Paradeplatz, sondern auf dem Bundesplatz in Bern.

„Ich komme mit“, meinte Charlotte. Für einmal war sie gleicher Meinung wie Waldmeyer, was ihn doch erstaunte. Was er allerdings noch nicht wusste: Auch Charlotte besass CS-Aktien. Sie hatte sich vor ein paar Wochen ein paar Tausend ins Depot gelegt. „Du hattest doch gesagt, Max, es kann nur noch aufwärts gehen mit dem Kurs!?“

Offenbar gibt es noch mehr Charlotten auf der Welt, welche über Nacht kalt enteignet wurden. Vielleicht machen sie alle mit bei der Verbrennungsaktion in Bern …?

Waldmeyer und die Lieferkette

Die Welt ist heute nicht mehr dieselbe wie vor der Pandemie. Oder vor der Ukrainekrise. Plötzlich fehlt es an allem, Lieferungen stocken, die Preise gehen rauf. Max Waldmeyer überlegte sich, wie er persönlich reagieren sollte.

Just-in-time-Lieferungen waren bis vor kurzem noch das Mantra aller Betriebswirtschafter und CEOs auf dem Globus: Man sollte nicht so blöd sein und Lager halten, wenn man die Ware doch gerade rechtzeitig anliefern lassen kann. Outsourcing war der Trick, die Verantwortung für die Anlieferung von allerlei Produkten und Dienstleistungen überträgt man kurzerhand an andere. So sieht intelligentes „Supply Chain Management aus“. Ein Teil des „Lean Managements“ – das leuchtete jedem ein.

Was sich nun aber gezeigt hat: Die Abhängigkeit von einem einzigen oder wenigen Lieferanten ist fatal.

„Wir können ja froh sein, gibt es nicht nur die Migros in der Schweiz“, meinte Waldmeyer zu Charlotte. Charlotte antwortete nicht. Waldmeyer wollte nur verdeutlichen, dass auch für seinen Haushalt in Meisterschwanden – nicht nur für alle Firmen auf dieser Welt – Lieferketten-Überlegungen angestellt werden sollten. Wenn man auf Coop, notfalls auf Denner, Lidl, Aldi, etc. ausweichen kann, ist das angenehm. Oder unter verschiedenen Tankstellen wählen kann. Allerdings: Wenn es bei der Grundproduktion stockt (also beispielsweise generell bei der Erdölproduktion oder -lieferung), nützt alles nichts: Dann gibt es an allen Tankstellen keinen Sprit mehr, bzw. nur noch sauteuer. Oder es gibt nirgends mehr Toilettenpapier (vgl. Waldmeyers Analyse vom Frühjahr 2020). Die Lagerhaltung zu erhöhen, funktioniert zudem auch nicht immer – Waldmeyer möchte z.B. kein eigenes Treibstoff-Tanklager betreiben.

Just-in-time war also einmal. „Die Resilienz muss erhöht werden“, meinen nun gescheite Ökonomen. Waldmeyer versuchte, es weniger gestelzt auszudrücken: Jetzt müssen einfach mehr Lager aufgebaut und die Lieferantenabhängigkeit reduziert werden. Dumm ist nur, dass das meistens etwas Zeit in Anspruch nimmt. Dass Deutschland fast seinen gesamten Gasbedarf von einem einzigen Lieferanten bezogen hat, war natürlich ein sträflicher Fehler, der sich kurzfristig nicht korrigieren lässt. Die Japaner beispielsweise machen es da schon besser, denn sie hatten das Glück, von Fukushima zu profitieren: Aus der damals stockenden Industrieproduktion und Versorgungsengpässen hatte man gelernt, die Lieferanten zu diversifizieren und sie einzubinden in ein engmaschiges Kontroll- und Coaching-System. Toyota produzierte letztes Jahr als fast einziger Automobilhersteller munter weiter, kaum etwas fehlte. VW und andere deutsche Hersteller dagegen brachten die Autos nicht raus, weil unter anderem beispielsweise die Kabelbäume fehlten (fatalerweise kamen sie allesamt von einem einzigen ukrainischen Hersteller). 

Also wieder die Deutschen. Was ist nur mit den Deutschen los …? Die Germanen, so Waldmeyers Eindruck, verkörpern doch quasi die Inkarnation der Organisation. Die sind durchgetaktet, funktionieren perfekt top-down. Der deutsche Arbeitnehmer arbeitet zu 80% zwar nicht gerne (der Schweizer offenbar nur zu 20% nicht), aber er tut es trotzdem. Die teutonische Obrigkeitshörigkeit ist legendär. Allerdings laufen sie dann wie Lemminge hinter allem her. „Das mit dem Gas oder dem Kabelbaum wäre mir nie passiert“, meinte Waldmeyer zu Charlotte. „Du warst eben weder Kanzler Deutschlands noch CEO bei VW, lieber Max!“ Stimmt. 

Lieferkettenprobleme und/oder generell Krisen haben natürlich auch Vorteile, reflektierte Waldmeyer weiter. Siehe Fukushima und Toyota. Denn Veränderungen bringen immer auch Gewinne für bestimmte Marktteilnehmer. Irgendjemand kann immer aus Verwerfungen profitieren – z.B. die Banken. Ob die Zinsen rauf- oder runtergehen: Die Boni der Banker bleiben immer gleich. Auch in der Industrie gibt es Vorteilsnehmer in Krisen, denn neue Lieferanten kommen zum Handkuss, weil die alten nicht liefern können. Die Frage, die Waldmeyer nun umtrieb, war die: Wie könnte er nun persönlich von der jetzigen Lieferketten-Krise profitieren? Sollte er in Lagerräume investieren? Oder in Lagerkonzepte? Oder in Firmen, welche Logistik-Dienstleistungen anbieten? Oder einfach einen Toyota kaufen und dann gleich wieder an den Nachbarn verkaufen, weil der seit sechs Monaten auf seinen BMW wartet (sein schon lange gebuchtes Fahrzeug steht nämlich unfertig in irgendeiner Werkhalle und wartet auf ein elektronisches Teil, dass immer noch im Hafen von Shanghai liegt). 

Die Kunst des Geldverdienens besteht also darin, genau dort zu sitzen, wo sich etwas verändert. Wenn die Häuserpreise raufgehen, verdient der Makler weiter. Wenn sie runtergehen, ebenso. Der ökonomische Trick könnte, ganz lapidar, nämlich sein, so Waldmeyers Analyse, Veränderungen zu antizipieren – und dann genau dort einzuhaken, wo etwas in Bewegung gerät. 

„Wir sollten besser unsere eigene Versorgungslage in Ordnung bringen, bevor wir jetzt von Mangellagen profitieren, Max“, fasste Charlotte zusammen. Stimmt, dachte nun auch Waldmeyer: Es ging nicht nur um den Kühlschrank-Nachschub, sondern auch um so profane Dinge wie Toilettenpapier. Oder generell um intelligentes Lagermanagement. Konsequenz: Die Lagerhaltung müsste erhöht werden. Wie lautete das Sprichwort schon wieder? Kaufe jetzt, so hast du in der Not …?

Plötzlich lief Waldmeyer ein kalter Schauer über den Rücken. Was ist mit dem Weinkeller? Ein Lieferketten-Problem beim Weinnachschub wäre wirklich sehr ärgerlich. Die Reblaus beispielsweise könnte die Weinstöcke in ganz Europa vernichten – so wie vor 150 Jahren. Oder die Klimaerwärmung und der Wassermangel die Ernten einbrechen lassen. Waldmeyer nahm sich vor, noch besser zu diversifizieren: Man kann, beispielsweise, nicht nur auf Terre Brune setzen. Spanien, Italien und Frankreich sind zwar gut vertreten in seiner Bodega in Meisterschwanden. Aber er wollte nun noch ein paar Bestellungen aus ganz anderen Regionen aufgeben, so Australien, Argentinien oder Kalifornien. Gleichzeitig plante er, die ganze Lagerhaltung massiv hochzufahren. Waldmeyer war zufrieden: Ja, so sieht Resilienz in Meisterschwanden aus! 

Waldmeyer und der Fluch des Erdöls

Waldmeyer steuerte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) über die Autobahn. Nur kurz zuvor hatte er für eine Tankfüllung ein kleines Vermögen bezahlt. Erdöl scheint niemandem Glück gebracht zu haben, ging es ihm durch den Kopf – weder den Erdöl produzierenden Ländern noch ihm selbst.  

«Wieviel?», fragte Charlotte, als Waldmeyer wieder in den schweren Wagen kletterte. «200 Stutz!». Charlotte grinste. Waldmeyer meinte nur: «Schono blöd, hatten wir 2020 nicht in Erdöl investiert.»

Ja, im Frühjahr 2020 lag der Erdölpreis kurzfristig sogar unter null. Natürlich hätte er damals in Ölkontrakte oder einfach in Rohstofffonds investieren sollen. Er hätte seine CS-Aktien verkaufen und das Geld so intelligenter parkieren sollen. Und dann einfach warten … Ja, hätte …

Aber auch den Erdöl produzierenden Ländern hatten die vielen Barrels während den letzten Dezennien kaum Glück gebracht:

In Venezuela, mithin das Land mit den grössten Erdöl-Reserven der Welt, konnte sich dank den hohen Exporteinnahmen ein korruptes Regime am Ruder halten. Der ehemalige Busfahrer Maduro plündert und knebelt sein Volk gnadenlos. Ohne Öl wäre er – bestenfalls – noch immer Busfahrer und würde wohl seine lotterige Karre zwischen den Schlaglöchern auf den kaputten Strassen von Caracas durchzirkeln. Vielleicht wäre er und das Volk glücklicher. Vielleicht. 

Libyen würde ohne die munter sprudelnden Erdölquellen heute kaum von Warlords regiert, welche sich nur um dieses Öl streiten, und ein Aufstieg Gaddafis wäre gar nie möglich gewesen. Vielleicht würde Gaddafi noch heute auf einem Kamel, Dattel kauend und umgeben von glücklichen Eingeborenen in weissen Gewändern, über die Dünen reiten.

In Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten halten sich islamisch verbrämte Regime nur dank Erdöl an der Macht; die immensen Einkommen hatten jegliche Entwicklung einer «normalen» wirtschaftlichen Produktion blockiert. Nun werden Mega-Projekte in der Wüste geplant, um dem einfachen Volk die Grandezza des Staates zu erklären. Waldmeyer nahm sich vor, später darüber speziell zu berichten.

Nur die Vereinigten Arabischen Emirate scheinen es verstanden zu haben, den Erdölsegen einigermassen gescheit zu verteilen und zumindest in Handel, Finanzen und Tourismus zu investieren.

Die einzige echte Ausnahme, welche das Erdöl-Privileg richtig verstanden hat, scheint Norwegen zu sein: Die cleveren Skandinavier verprassen das Manna des Öls nicht, sondern legen es tunlichst in einem Fonds für spätere Generationen an. 

Ob KasachstanNigeria oder viele andere Länder mit Erdölsegen: In der Regel profitieren nur immer eine Nomenklatur oder einzelne Familien mit ihrem kleptokratischen Umfeld von den Rohstoffeinkommen. Und immer wieder verhindert der unkontrollierte Geldsegen die natürliche Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Schwer lastet der Fluch des Erdöls auch auf dem Iran: Der Gottesstaat mit seinem irrlichternden Klerus kann sich nur dank Erdöleinkommen an der Macht halten, und das schwarze Gold hat inzwischen auch die letzten Spuren des alten persischen Intellekts verwischt.

Die USA sind das Land mit der weltgrössten Erdölproduktion. Die Amerikaner haben sich heute das Leben mit der billigen Energie ganz bequem eingerichtet. Die Bevölkerung bewegt sich durchs Band fast nur in benzinfressenden Ungetümen, heizt und kühlt auf Teufel komm raus, und bei steigenden Preisen für die Gallone droht fast ein Regierungssturz. Immerhin stellt die Erdölproduktion nur ein geringer Teil der Wirtschaftsleistung dar, sodass der ökonomischen Entwicklung nichts im Wege stand. Die «Vergiftung» mit dem Erdöl fand also nur partiell statt, reflektierte Waldmeyer. Es geht wohl um die «letale Dosis», die in diesem Fall nicht ausreichte, um genügend Fluch über das Land zu bringen.

Ganz anders indessen in Russland: Der heutige Despoten-Staat exportiert, nebst Gewalt, nur Rohstoffe. Der zweitgrösste Ölproduzent der Welt würde wohl ohne die exportierten Barrels und andere Ressourcen nur aus Bauern bestehen, die der Taiga mühsam ein paar landwirtschaftliche Erzeugnisse abringen. Putin hätte nicht mal seine KGB-Schule besuchen können, er würde heute wohl mit Rheuma in einer kärglichen und kalten Datscha hocken und um ein Gnadenbrot betteln. Zuvor hätte er sich vielleicht als Hilfskoch in einer Kolchose verdingt (was nur der historischen Logik entsprechen würde, arbeitete sein Grossvater doch in der Küche Stalins).

Waldmeyer kann sich nicht daran erinnern, je ein Produkt mit dem Label „Made in Russia“ gesehen zu haben. Tatsächlich ist das BIP des alten Sowjetstaates nur gut doppelt so hoch wie jenes der Schweiz, gerade einmal vergleichbar mit jenem Spaniens. Das kriegsführende Land wird massiv überschätzt. Ausser Krieg, Waffen, Rohstoffe und Trolls scheint das Land tatsächlich nichts exportieren zu können. Und auch hier gilt: Das Erdöl hat letztlich nur Wenigen Segen gebracht und das Land nicht wirklich weitergebracht – weder wirtschaftlich noch politisch noch moralisch.

Und jetzt dieses Drama mit den steigenden Energiepreisen bei uns. Hätte er doch nur diese Terminkontrakte gekauft, schoss es Waldmeyer nochmals durch den Kopf. Er steuerte sein SUV weiter über die Autobahn und wiederholte sein Mantra: «Schono blöd, hatten wir 2020 nicht in Erdöl investiert!» Charlotte antwortete nur lakonisch: «Ich habe an Ostern 2020 in Rohstoff-Fonds investiert. Du hattest doch gesagt, es könne nur noch aufwärts gehen mit den Rohstoffen! Mein Fonds hat sich nun verdreifacht.»

Waldmeyer schien das Blut in den Adern zu gefrieren. Er bremste abrupt ab, brachte den schweren Wagen auf dem Pannenstreifen zum Stehen und starrte entgeistert Charlotte an. Er atmete tief durch. Der Fluch des Erdöls hatte nun auch Waldmeyer eingeholt.

Waldmeyer und die Artificial Intelligence im Aussendienst

Oder: Wie montags ein mikro- und makroökonomischer Gau entsteht

Waldmeyer pflügte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) durch Nebel und Schneeregen Richtung Zürich. Sitzung um 09:00 Uhr. Hartmann, sein neuer CEO, meinte, er solle doch wieder mal reinschauen. Waldmeyer vermutete eine GL-Sitzung mit heiklen Themen. Aber es kam anders.

Offenbar benötigte man Waldmeyers Ratschlag doch noch – ein gutes Gefühl! Gleichzeitig könnte Waldmeyer, so sein Plan, Hartmann wieder ein bisschen kalibrieren. Hartmann war eben noch ziemlich jung, auch ein bisschen führungsscheu.

Waldmeyer versuchte, sich auf die Strasse zu konzentrieren. Seine Beobachtung: Es waren fast nur Aussendienstleute auf der Strasse. Das leuchtete ein, denn an jedem Montagmorgen finden Aussendienst-Sitzungen in der Zentrale statt, und die Zentralen liegen nun mal in Zürich. Zu Beginn der Woche sollen die Leute gebrieft werden. Das hat mit Führung zu tun, Motivieren, Einimpfen. Ja, gerade Einimpfen. Zudem müssen Zielvorgaben vermittelt werden. Und dann raus in den Markt! Rapporte schreiben erst am Freitag – wenn die Kunden möglichst keinen Aussendienst mehr sehen wollen. Und am Montag dann wieder Sitzung in der Zentrale. Das Ritual war Waldmeyer bekannt, in zu viele Unternehmen durfte er schon reinblicken während seiner Karriere – welche er notabene nicht im Aussendienst, sondern als CEO und Unternehmer abrunden durfte. 

Der weisse Skoda Octavia, den Waldmeyer soeben überholte, beförderte eine akkurat frisierte und bebrillte Pharmamitarbeiterin; der etwas ungepflegte schwarze Skoda Octavia den Aussendienstmann für den Liftservice – er hatte einen starren Blick und rauchte. Der silberne BMW-Kombi beförderte den Verkaufsingenieur zur Sitzung; es handelte sich allerdings nur um das 520-er Modell (Waldmeyer erkannte es am dünnen Auspuff und an den schmalen Rädern). Die gelangweilte und übernächtigt wirkende Immobilientante im weissen Golf musste sich nicht vorstellen: Ein fettes Logo ihrer Firma prangte auf den Flanken ihres Gefährts. In den weissen Passat-Kombi von Swisscom wollte Waldmeyer gar nicht erst reinschauen: Das gestresste Gesicht des jungen Internet-Nerds, gezeichnet von den dauernden Betriebsunterbrüchen unseres nationalen Providers, wollte er gar nicht analysieren. Aber offenbar musste auch dieser Passat zur Sitzung.

Waldmeyer überholte sie alle. Das heisst, er schob sich an ihnen vorbei. Alle mussten erst um 09:00 Uhr antreten, der Verkehr verlief, wie immer am Montagmorgen, stockend; dennoch waren alle, weil wir in der Schweiz sind, zu früh dran, also erledigten eben alle in Ruhe ihre Telefone, schrieben wichtige Whatsapp-News oder SMS oder schlürften an einem Redbull. Der Liftmann tippte offenbar seine letzten Besuchsrapporte der vergangenen Woche in ein mit Gummiprofil umrandetes Tablet. Alle taten eben, was man so tut im Auto.

Eigentlich gab es ausschliesslich Aussendienstleute auf der Autobahn, was – wie wir nun wissen – dieser Logik des Sitzungsrituals geschuldet ist. Wenn nicht schweizweit, so vielleicht weltweit. Ein Anachronismus, dachte sich Waldmeyer, ineffizient, teuer. Ein makro- und mikroökonomischer Leerlauf, eine Verschwendung. Ein ganzer Montag ging drauf, in der Summe, übers Jahr, gar 20% der Gesamtleistung. Zu allem Übel gab es am Montagmittag immer den ausgedehnten gemeinsamen Lunch („Team building“). Anschliessend folgte das Schlendern durch die Büros, unauffälligerweise mit ein paar Dokumenten in der Hand, in der vorgetäuschten Absicht, wichtige Koordinationsgespräche zu führen. Je grösser die Firma, desto ausgedehnter das Schlendern, desto grösser das Problem. Vor allem montags.

Waldmeyer war zufrieden über seine profunde Aussendienst-Analyse, welche einen wirtschaftlichen Gau zutage gefördert hatte. Er fuhr behutsam in die enge Tiefgarage und versuchte, seine Gedanken nun wieder in Richtung „schwierige GL-Sitzung“ zu ordnen. Hartmann führte nämlich etwas im Schilde, das war mit Händen zu greifen. Etwas stimmte nicht. Das Piep-piep des Parksensors schreckte Waldmeyer aus seinem singulären Brainstorming auf. Er blieb noch kurz in seinem schweren Achtzylinder sitzen und genoss den Mikrokosmos in Ruhe und Sicherheit, atmete nochmals den Duft des Sitzleders ein und begab sich dann zum Lift.

„Schön, dass Sie wieder mal bei einer Aussendienst-Sitzung reinschauen“, empfing ihn Hartmann. Waldmeyers Blick erstarrte. „Aussendienst …?“

Nach einer kurzen Erholungsphase nahm Waldmeyer seinen CEO zur Seite: „Hartmann, Sie sollten die Aussendienstsitzung auf den Dienstag verlegen. Oder noch besser: überraschend einberufen. Keine Regelmässigkeiten. Und auf keinen Fall am Montag. Aber das ist natürlich Ihre Entscheidung.“ Hartmann murmelte noch etwas im Sinne von „es geht doch heute um Artificial Intelligence im Aussendienst.“ Aber Waldmeyer verstand Hartmann nicht, und Hartmann verstand Waldmeyer nicht. 

Selbstredend fand die nächste Aussendienstsitzung wieder am Montag statt. Waldmeyer seilte sich elegant von einer künftigen Enttäuschung ab, indem er beschloss, nie mehr am Montag in den Büros reinzuschauen.

Waldmeyer und der Fachkräftemangel

In ganz Europa fehlt es allenthalben an Fachkräften, insbesondere in Deutschland und in der Schweiz. Sollten wir nun einfach mehr gut ausgebildete Ukrainer einstellen? Oder die Sechs-Tage-Woche wieder einführen? Waldmeyers Analyse und Ideen sind leider nicht alle sozialverträglich.

Noch bis vor kurzem verkündeten selbsternannte Soziologen, Philosophen und auf Abwege geratene Ökonomen, dass uns die Arbeit ausgehen werde. Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung würden uns die Jobs stehlen. Und die Künstliche Intelligenz würde dann zum endgültigen Aus für Arbeit für alle führen. Die durch KI befähigten Roboter würden alles erledigen, wir wären dem Nichtstun ausgesetzt und würden folglich ökonomisch und sozial verkümmern – ausser wir würden uns in intrinsischen neuen Werten wiederfinden. Also müssten wir schon jetzt, in dieser heiklen Übergangsphase, alle weniger arbeiten, und ausserdem müsste dringend ein unabdingbares Grundeinkommen geschaffen werden. Was allen diesen Prognosen und Ideen allerdings fehlt, ist eine Lösung, wie diese wunderbare neue Work-Life-Balance denn finanziert werden soll. Einer der wenigen Kulminationspunkte in Sachen Finanzierung war die Begründung der NMT (der New Monetary Theory), welche für diesen Umbruch eine staatliche Finanzierung bis zum Abwinken vorsah – weil Schulden einfach ewig produziert werden könnten, ohne sie jemals abbauen zu müssen. Die gleiche Theorie sah auch kein Inflationsproblem mit der ausufernden Gelddruckerei. Nun ist es merkwürdig still geworden um die lauten Protagonisten dieser NMT.

Die Geschichte zeigt, dass Prognosen in Sachen Arbeitsverteilung aufgrund von Technologiesprüngen eh immer falsch lagen: Schon die Erfindung der Eisenbahn, der Elektrizität oder der modernen Industriefertigung führten letztlich, in der Summe, zu keiner Arbeitsvernichtung – sondern nur zu einer Veränderung der Arbeit. Insgesamt blieb der Bedarf an Arbeitskräften gleich. Die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung und die flächendeckende Verbreitung der PCs kreierten ganze Felder neuer Tätigkeiten.

Waldmeyer erinnerte sich, wie in seiner Firma das „papierlose“ Büro, welches sein IT-Chef prognostiziert hatte, zur Makulatur verkam. Generell wurde noch nie so viel Papier produziert und verbraucht wie heute. Und der Headcount in Waldmeyers Firma stieg damals trotz „EDV“ laufend.

Die Gründe, warum es zu unserem aktuellen Defizit an Fachkräften gekommen ist, sind vielfältig. Vordergründig liegt die Erklärung ganz einfach in der Mathematik, der Demographie: Die Babyboomer gehen in Rente, und es fehlt an nachkommenden Arbeitskräften. Unsere Gesellschaft ist hoffnungslos überaltert. Waldmeyer lief es kalt den Rücken hinunter bei der Vorstellung, dass auch er schon bald in dieses Cluster der nichtarbeitenden Senioren gedrängt werden könnte.

Aber es gibt noch andere Gründe für diesen Fachkräftemangel: Der Wohlstand und die Doppelverdiener-Möglichkeiten führen zu vielen Einzelentscheiden, nur noch Teilzeit zu arbeiten. Insbesondere junge, gut ausgebildete Leute fahnden nach einer optimierten Work-Life-Balance: Man möchte möglichst gut verdienen, möglichst im Homeoffice arbeiten und möglichst nicht zu 100%. Die Schuld am Fachkräftemangel liegt also nicht nur bei der älteren lendenlahmen Generation, welche in Sachen Kinderkriegen glatt versagt hat, sondern auch bei der jüngeren, welche weniger arbeiten möchte.

Waldmeyer formulierte es so: Wir sind zu unserem eigenen Wohlstandsopfer geworden! Ja, und auch die Gewerkschaften sind schuld, denn diese versuchen die Arbeitszeiten laufend runterzubringen, verhindern Sonntagsarbeit, erschweren die Arbeit für grenzüberschreitende Dienstleistungen, usw. So fehlen natürlich wertvolle Arbeitsstunden. Doch Lamentieren bringt nichts, Lösungen sollten her. Waldmeyer gab sich Mühe, das Thema nun zu entpolitisieren. 

Aber gerade darin lag die Krux: Wie sollte beispielsweise das gerechte Renteneintrittsalter definiert werden? Was sollen wir den Jungen Grünen erklären, welche eine 24-Stunden-Woche fordern? Dürfen wir es überhaupt noch wagen, eine Sechs-Tage-Woche anzudenken?

Man könnte die Lösung auch bei sich selbst suchen. Beim Einzelnen – und somit im grossen Ganzen. Wenn jeder für sich selbst bessere Arbeitslösungen findet, könnte ein optimiertes Gesamtkonzept entstehen. Wieso also sollte Waldmeyer nicht ein paar Stunden mehr arbeiten pro Woche? Waldmeyer entschuldigte sich indessen gleich selbst, weil er sich nicht als „Fachkraft“ sah. Als Unternehmer – oder Ex-Unternehmer – sah er sich eher in einer etwas übergeordneten Rolle, schliesslich war es immer an ihm, Fachkräfte einzustellen. Und zudem, so reflektierte er weiter: Wenn er sich wieder vermehrt unternehmerisch betätigen würde, würde er die Auslösung eines weiteren Bedarfs an Fachkräften provozieren und die ganze Misere nur verschlimmern. 

Waldmeyer blickte von seiner Terrasse in Meisterschwanden auf den Hallwilersee runter und fühlte sich darin bestärkt, doch besser Ex-Unternehmer zu bleiben. Ja, nur schon aus gesellschaftspolitischen Gründen.

Also analysierte er weiter. Das Problem lag nämlich, unter anderem, auch bei der allgemeinen Arbeitsquote: Wieso arbeiten in der Schweiz die Männer im arbeitsfähigen Alter nur zu rund 80%? Und noch schlimmer: Wieso die Frauen gar nur zu knapp 70%? Genau, hier liegt ein ungeheures Potential brach! Die meisten Frauen in der Schweiz verfügen über eine Berufsausbildung – fast alle haben nämlich, gefühlt, das KV gemacht, wie Waldmeyer schon früher feststellte. Die könnte man sofort vermehrt einsetzen.

Intelligente Lösungen findet man oft, indem man ins Ausland schaut. Aber man findet hier auch viele abschreckende Modelle, wie man es nicht machen sollte. So hatte die 35-Stunden-Woche in Frankreich letztlich zu einer nicht mehr wettbewerbsfähigen Industrie geführt, oder die Vier-Tage-Woche von VW einen Mangel an zeitlich optimierter Versorgung mit Fachkräften provoziert. Die sozialistisch verbrämte Idee, vermeintlich mangelnde Arbeit auf mehr Köpfe zu verteilen, hat sich fast überall als Rohrkrepierer erwiesen. Geboren wurde die Idee auf der Basis von hoher Arbeitslosigkeit, wobei leider nicht berücksichtigt wurde, dass das Grundübel dieser Arbeitslosigkeit oft in mangelnder Ausbildung lag – oder falscher Ausbildung, welche der Nachfrage der Wirtschaft gar nicht entsprach. 

Und damit sind wir schon beim dritten Punkt, welcher zu diesem Fachkräftemangel führt: Die Schweizer Jugend möchte keine handwerklichen Berufe mehr ergreifen. Waldmeyer dachte zum Beispiel an seine Tochter Lara, welche seit Jahren in Basel Kunst studiert– anstatt, auch nur beispielsweise, schon lange als Zahntechnikerin zu arbeiten. Die extrem hohe Rate an Universitätsabgängern in Italien oder Spanien beispielsweise hilft nicht weiter, wenn es an Kellner, Pflegerinnen, Elektriker (Elektriker*innen?) oder Klempner fehlt.

Waldmeyer forschte weiter nach Lösungen: Das mit dem mangelnden Nachwuchs kann man nicht mehr kompensieren. Es verhält sich so wie mit den heute fehlenden Stauseen und Pumpspeicherkraftwerken, die wir gerade jetzt für die Energieversorgung bräuchten: Man hätte eben 20 Jahre vorausdenken sollen. Solche Fehler lassen sich nicht mehr kurzfristig korrigieren.

Folglich, so führte Waldmeyer sein singuläres Brainstorming fort, müssen wir die Lösung notgedrungen wohl im Ausland suchen, im Import von mehr Arbeitskräften. Also z.B. mehr Ukrainerinnen und Ukrainer?

Die USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder neu auch UK definieren jährlich einfach den genauen Bedarf an Berufen, und mittels Punktesystem wird dann die Immigration gesteuert. Das funktioniert ganz leidlich. Neuseeland könnte für 2024 z.B. 300 Elektriker im Ausland bestellen. 

Das Gegenteil war wohl das „Wir-schaffen-das-Konzept“ von Angela Merkel: Eine fast ungehinderte Einwanderungspolitik mit Arbeitskräften, die nicht der Nachfrage entsprach oder die sich kulturell nie integrieren werden. In Schweden finden in den Ghetto-Vororten zurzeit regelrechte Bandenkriege zwischen schwer integrierbaren Einwanderer aus oft fremden Kulturkreisen statt. Immigration, welche nicht der Nachfrage entspricht, ist keine Lösung. Das hat nichts mit einer Abkehr von einer humanitären Haltung zu tun, sondern mit einer konsequenteren Verhinderung der Immigration von Wirtschaftsflüchtlingen: Wenn diese nicht in ein Bedarfsraster passen, gibt es tatsächlich keinen Grund, ihnen Asyl zu gewähren oder eine Niederlassung zu ermöglichen.

„Ich kann doch keinen tunesischen Hilfsmetzger in meiner Firma einstellen“, klagte Waldmeyer laut weiter. Pro memoria: Waldmeyer hatte diese erfolgreiche digitalisierte HLK-Firma aufgebaut, sich jedoch vor einiger Zeit aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Lukas Hartmann führt nun den Laden als CEO, Waldmeyer funkt indessen immer wieder dazwischen.

„Einen russischen Informatiker würde ich aber sofort einstellen“, ergänzte er. Charlotte überlegte kurz, ob sie antworten sollte. Beide könnten gefährlich sein, der IS-Metzger wie der Hacker-Russe.

Waldmeyer holte gleich weiter aus. Wir alle sollten wieder mehr arbeiten als die weit verbreiteten 40 Stunden pro Woche. Dann hätten wir sofort ein grösseres Arbeitspotential. „Das gilt nicht für mich“, warf Charlotte ein, „inklusive Hausarbeit arbeite ich bereits mehr als 44 Stunden.“ Für einmal war es Waldmeyer, der nicht antwortete. Trotzdem, dachte er, wären mit 44 Stunden 10% mehr Arbeitsvolumen zu realisieren. Man könnte dabei auch 10% mehr verdienen, das führt ja nicht zu Mehrkosten (denn die Einstellung von mehr Personal würde ebenso kosten). 

Charlotte, wie wir wissen, arbeitet Teilzeit als Interior Designerin. „Du könntest etwas aufstocken, Charlotte, du bist eine Fachkraft, und das Land braucht mehr Fachkräfte“, sinnierte Waldmeyer laut weiter.

„Klar, könnte ich schon, Max“, antwortete Charlotte, nun sichtlich genervt, „aber wer macht dann deinen Scheiss-Haushalt? Du bräuchtest sofort eine Köchin, eine Wäscherin, eine Hilfe zum Einkaufen. Alles Fachkräfte. Und eine KV-Angestellte, um das Online-Banking zu erledigen!“

Waldmeyer überlegte kurz, ob das auch eine tüchtige, hübsche Ukrainerin erledigen könnte, behielt den Gedanken jedoch für sich.

Das Fazit aller Reflexionen war für Waldmeyer ernüchternd: Wir sind wohl selbst schuld, dass wir einen Mangel an Fachkräften haben. Wir werden zu alt, kriegen zu wenig Kinder, arbeiten zu wenig und zu wenig lange. Die junge Generation möchte nur noch für saubere Berufsausübungen im Homeoffice hocken und gleichzeitig sind wir nicht bereit, die richtigen Leute ins Land zu lassen.

Waldmeyer nahm sich vor, am Montag gleich mit Hartmann zu sprechen: In der Firma sollten nun sofort mehr gut ausgebildete, arbeitsbereite und integrationsfähige Ukrainer eingestellt werden. Die haben alle Freude an der Arbeit, die machen auch gerne mal Überstunden. Aber Deutsch sollten sie auch sprechen, ausserdem jung, freundlich und gesund sein. Und wenn möglich gut aussehen.

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