Waldmeyer verbessert seine persönliche Ökobilanz

Angesichts der vielen hehren politischen Ziele, Klima und Umwelt weniger zu belasten, nahm sich auch Waldmeyer vor, diesbezüglich ein paar wichtige persönliche Entscheide zu fällen. Dabei berücksichtigte er, dass die helvetischen Umweltziele sich vor allem auf das eigene Land beziehen.

Auch Waldmeyer spürt die Klimaerwärmung: In Meisterschwanden war es diesen Sommer wirklich schön warm. Der Klimawandel, das ist offensichtlich, ist heute Tatsache. Man mag sich da und dort noch über die Ursachen streiten. Sicher ist jedoch, dass der weltweite CO2-Ausstoss nicht förderlich ist. 

So oder so: Energiefragen sind etwas sehr Komplexes. So lassen sich beispielsweise Kühe nicht mit Solarstrom betreiben. Aber dazu später.

Waldmeyer versuchte erst einmal, sich einen globalen Überblick zu erschaffen. China ist weltweit die führende Dreckschleuder, 30% des CO2-Ausstosses gehen auf seine Rechnung. Das Land treibt unter anderem den Ausbau seiner Kohlekraftwerke massiv voran. Dass gleichzeitig die Produktion von Elektroautos beschleunigt wird, hat andere Gründe: Die sollen nämlich exportiert werden. Denn insbesondere Europa stellt sein ganzes Leben auf elektrische Energie um. Die Chinesen klopfen sich dabei auf die Schenkel. Sehenden Auges deindustrialisiert und schwächt sich so beispielsweise Deutschland, und gleichzeitig wird es in ganz Europa künftig an elektrischer Energie fehlen.

China, die USA und Indien produzieren über die Hälfte des globalen CO2-Ausstosses. Der grösste Schmutzfink allerdings ist Russland. Obwohl das Land nur über eine Bevölkerung von einem Zehntel derjenigen Chinas oder Indiens verfügt und heute ein lächerliches BIP von lediglich dem Doppelten der Schweiz produziert, landet es auf Platz vier der weltgrössten Verursacher von Treibhausgasen. Dass Putin seine Erdgasproduktion zuweilen auch einfach abfackeln lässt (da gerade kein Abnehmer), macht die Sache nicht besser.

Waldmeyer fragte sich also, warum er mit Tempo 30 durch die Schweizer Städte schleichen muss. Ja, vermutlich geht es um die Luftsäule, die gerade über seinen Aufenthaltsorten sauber gehalten werden muss. Oder, positiv gedacht: Die Passatwinde werden dann unsere saubere Luft schon in dreckige Gebiete tragen und dort zu einer Verbesserung beitragen. Dass wir die 30 km/h künftig nur noch elektrisch zurücklegen sollen, trägt weiter zu diesem Effekt bei. Dass unsere Gefährte dann u.a. auch mit schmutzigem Kohlestrom aus dem Ausland aufgeladen werden, ist ein kleiner Nebeneffekt, den unsere Politik elegant ignoriert.

Sollte Waldmeyer nun tatsächlich seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) gegen ein Elektrofahrzeug eintauschen – vielleicht sogar gegen ein chinesisches? Wenn, dann würde er dieses indessen nur mit seinem eigenen Solarstrom aufladen. Alles andere wäre Augenwischerei. Waldmeyer hat sich noch nicht entschieden.

Überhaupt, die Solarpanels: Damit lässt sich gutes Geld verdienen – aber alles der Reihe nach. Waldmeyer studierte nämlich ein Projekt für sein Haus in Meisterschwanden. Es sollte jedoch nicht ein kleines «Balkonkraftwerk» werden, sondern ein richtig grosser Solarpark auf dem Dach seines bescheidenen Anwesens. Die Ertragsrechnung brachte indessen vernichtende Ergebnisse zutage: Von November bis Februar liegt die monatliche Solarproduktion bei nur 10% des Monates Juni. Das ist ärgerlich, denn die energiefressende Wärmepumpe braucht den Strom hauptsächlich im Winter. Was sich der Habeck wohl ausgedacht hatte, wie es im Winter künftig aussehen wird in Deutschland, wenn für die Elektrofahrzeuge und die Heizungen nicht genügend Strom produziert werden kann? Natürlich gibt es da noch die Windräder. Aber was ist, wenn kein Wind weht? Dann herrscht eben diese berühmte «Dunkelflaute».

Waldmeyer müsste den Strom nachts und im Winter also von Erwin Ramsauer beziehen, seinem Bekannten im EW in Meisterschwanden. Diese Elektroenergie kommt dann von irgendwo her. Vielleicht von einem Atomkraftwerk aus Frankreich, von einem Kohle- oder Gaskraftwerk aus Deutschland (falls der Habeck dann noch liefern kann), bestenfalls von unserer Wasserkraft, vielleicht auch von den letzten helvetischen Atomkraftwerken, bevor diese abgeschaltet werden.

Tatsache ist, dass die Solarpanels lächerlich wenig Strom liefern im Winter, und leider scheint nachts die Sonne nicht. Waldmeyer könnte sein Fahrzeug also nur am Tag aufladen, vielleicht gerade dann, wenn er mit der Elektrokarre unterwegs ist. Und im Januar reichts überhaupt nicht zum Aufladen mit dem eigenen Solarstrom. 

Die Speicherung der Sonnenenergie ist kaum gelöst. Eine immens dimensionierte Hausbatterie könnte allenfalls noch den Tag-/Nachtausgleich schaffen. Aber bestimmt nicht einen saisonalen Ausgleich. Im Januar wäre sogar der Tag-/Nachtausgleich nicht gewährleistet – auch nicht mit einer wirklich grosszügigen Solaranlage und einer ebenso grosszügigen Batterie. 

Die Schweiz importiert im Winter 40% ihres Strombedarfs. Also würde Waldmeyer dann eben auch Importstrom beziehen – woher auch immer. Rein energetisch erwies sich sein Solarprojekt damit als sehr unbefriedigend. Aber es gab einen ökonomisch positiven Lichtblick: Waldmeyer erhält grosszügige Förderbeiträge für die Installation der Anlage, auch kann er den Überschussstrom, so insbesondere tagsüber und im Sommerhalbjahr, dem Ramsauer verkaufen. Ramsauer weiss dann zwar nicht, was er mit dem Zuviel an Strom anfangen soll. Aber so sind nun mal die Gesetze und Bestimmungen in der Schweiz. 

Abgesehen von solaren Massnahmen gibt es noch viele andere Möglichkeiten, um den CO2-Abdruck zu reduzieren. Zum Beispiel mit weniger Fliegen. Zwar verursacht der weltweite Flugverkehr nur 2% der Treibhausproduktion. Ein Businessflug produziert allerdings den doppelten Ausstoss. Die weltweite Digitalisierung aber noch mehr. Trotzdem: Sollte Waldmeyer nicht doch weniger fliegen?

Charlotte schlug zudem vor, weniger Fleisch zu essen. Der Vorschlag war berechtigt, denn Waldmeyer schätzte, dass unsere Schweizer Viehwirtschaft ebenso viel Treibhausgase verursacht wie der ganze Verkehr, insbesondere, wenn noch die Produktion der importierten Dünge- und Futtermittel aufgerechnet wird. Kühe furzen und rülpsen nun mal den ganzen Tag und stossen so immense Mengen an Methangas aus. Hmm, also tatsächlich weniger Fleisch essen? Sollte Waldmeyer jetzt Tofu-Rezepte studieren?

Waldmeyer könnte auch auf die im Winter aus Südafrika importierten Erdbeeren verzichten. 

Oder er könnte darauf achten, nicht übergewichtig zu werden. Mehr Gewicht belastet die Umwelt in mehrfacher Sicht: Man isst mehr, muss grössere Kleidergrössen tragen, verbraucht mehr Transportenergie, man fährt vielleicht auch mehr zum Arzt.

Ja, man sollte auch keine Kinder mehr kriegen. Jedes zusätzliche Kind auf der Erde produziert wieder mehr CO2. Ein schwieriges Thema. Die Zeit unter der heissen Dusche zu verkürzen, ist da schon einfacher.

Weniger Abfall zu produzieren, ist auch hilfreich. Dieser wird zum Teil in unseren Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt. Diese gelten gar als «klimaneutral», das hat der Bund so definiert. Allerdings wissen wir, dass viel Haushalt- und Industrieabfall aus Mitteleuropa in osteuropäischen Ländern landet, welche auch tüchtig Geld dafür erhalten. Der Müll wird dann in Bulgarien einfach abgefackelt oder in Albanien in einen Bergsee gekippt. Waldmeyer meinte gar, anlässlich einer ausgedehnten Balkanreise, einmal eine leere Flasche Terre Brune auf einer Abfalldeponie ausserhalb Tiranas entdeckt zu haben. Diese Flasche könnte tatsächlich aus seinem Weinkeller in Meisterschwanden stammen.

Zusammenfassend, aus Sicht der nationalen Politik, sollte offenbar möglichst viel für das eigene Land getan werden. Waldmeyer versuchte alles einzureihen und rang nach einer Lösung. Einer individuellen Lösung:

Also überlegte er, wie er nun seinen CO2-Fussabdruck vorab in unserem schönen Land reduzieren könnte.

Erstens wird Waldmeyer – trotz der zweifelhaften Ökobilanz – seine Solarpanels installieren lassen. Die Förderbeiträge sind zu attraktiv, neu auch die Vergütungen für die Einspeisung. Es ist ein interessantes Businessmodell. In der Nacht wird er dann den Dreckstrom aus deutschen Kohlekraftwerken beziehen. Das ist indessen nicht tragisch, weil die Luftsäule über der Schweiz so sauber bleibt. 

Von November bis Februar wird er den Strom ebenso aus dem Netz beziehen, der kommt dann immer aus französischen Atomkraftwerken oder wiederum von ausländischen Dreckschleudern. Aber auch hier: Immerhin bleibt die Schweiz sauber.

Die Überproduktion an Strom im Hochsommer stört ihn nicht, denn die Elektrizitätswerke werden ihn für gutes Geld abnehmen. Erwin Ramsauer wird ihn dann zum Teil zu Negativpreisen verkaufen müssen. Notfalls werden mit dem Überstrom auch die Weichen der SBB geheizt, denn dieser blöde Strom muss auf Teufel komm raus vernichtet werden. Waldmeyer würde im Juli also die SBB-Weichen beheizen…? Es scheint danach auszusehen. Waldmeyer kann jedoch gut damit leben, denn der Negativeffekt ist zu vernachlässigen.

Waldmeyer wird zweitens kein Elektrofahrzeug anschaffen. Solange die Speicherung der Solarenergie nicht besser gelöst ist, macht es keinen Sinn. Er darf also weiter seinen Porsche Cayenne bewegen.

Ein weiterer Entscheid: Waldmeyer wird ab sofort die Businessflüge zwischen Zürich und Genf streichen. Er würde diese Strecke zwar gar nicht mit dem Flugzeug zurücklegen. Aber irgendwie muss man sich eben einschränken.

Ausserdem wird er seinen BMI bei genau 25 stabilisieren. Das hatte Waldmeyer sich zwar eh schon vorgenommen. Aber es ist immerhin ein Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase.

Auch das mit dem Abfall ist gelöst: Wenn sein persönlicher Abfall in der Schweiz verbrannt wird, ist er sauber. Und wenn er exportiert wird, betrifft es nicht die Schweiz.

Aber da wäre noch das mit dem Fleischkonsum: Waldmeyer beschloss, ab sofort nur noch importiertes Fleisch zu essen. Die feinen Stücke aus Uruguay, beispielsweise, sind nämlich nicht zu verachten, und deren Produktion fällt nicht in der Schweiz an. Ja, man muss sich halt ein bisschen einschränken. 

Und noch was: Charlotte hatte Waldmeyer überredet, im Garten einen Baum zu pflanzen. Es sollte ein Kirschbaum sein, dieser blüht wunderbar im Frühjahr, der Früchteertrag reduziert die Importe und der Baum vernichtet CO2. Das wäre ein sehr schönes Projekt. Vielleicht sollte es ein ganzer Hain werden? Zudem schlug Waldmeyer vor, den Rasen nicht mehr zu mähen. Das dann wachsende Moos würde längerfristig CO2 speichern, und die Energie für den Rasenmäher könnte eingespart werden. Waldmeyer würde auch weniger Kohlenhydrate verbrauchen, wenn der mühsame Mähvorgang entfällt. Ja, man muss eben das Big Picture sehen. 

Waldmeyer und die Blackbox

Oder: Der Staat als Copilot? Nein danke!

Kommt jetzt der gläserne Autofahrer? Es scheint einen Plan des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) zu geben, künftig alle Fahrzeugbewegungen überwachen zu wollen. So soll es künftig eine Blackbox in jedem Auto geben. Aber es kommt noch schlimmer. Waldmeyer überlegt nun verzweifelt, wie er reagieren soll.

Das Bundesamt für Strassen plant jetzt, durch die Hintertüre einer einfachen Verordnung, ganz klandestin, ab 2024 eine Blackbox für jedes neue Fahrzeug vorzuschreiben. Hintergründe für diesen Plan gibt es verschiedene.

Erstens einmal zerbricht sich der Bundesrat den Kopf, wie Elektroautos künftig besteuert werden sollen. Es soll ja auch für elektrisches Fahren künftig eine ordentliche Verkehrsabgabe geben. Dieses Ansinnen mag einer gewissen Logik gehorchen, denn dem Staat schwimmen die Felle davon: Die Steuern auf fossilen Treibstoffen werden bald versiegen, wenn nur noch Elektrofahrzeuge verkehren. Der Bund wünscht sich am liebsten eine Abgabe pro Kilometer, die Ansätze sollen gestaffelt nach Fahrzeuggrösse definiert werden. Die Krux nur: Diese Kilometer müssen erfasst werden. Und damit landen wir genau bei einem ziemlich hässlichen Überwachungsproblem. Denn wenn Autos schon mal alle über eine Blackbox verfügen, liesse sich dies künftig viel besser einrichten. Die Blackbox wäre dann so gescheit, dass sie nicht nur die Kilometer aufzeichnet, sondern auch zwischen verschiedenen Strassenarten (und somit unterschiedlichen Tarifen) unterscheiden könnte, und die Verrechnung der Verkehrsabgaben könnte auch gestaffelt nach Zeitfenstern erfolgen. Der Tarif während der Rush Hour könnte beispielsweise höher angesetzt werden oder mitten in der Nacht gäbe es einen Discount. Auch so lässt sich, gut versteckt, das bisher von den Bürgern immer abgeschmetterte Roadpricing einführen.

Und was ist, wenn wir ins Ausland fahren? Dies könnte die Blackbox, allenfalls mit geometrischer Ausrüstung auf den Meter genau, spielend erheben. 

Aber auch dies möchte Waldmeyer nicht. „Den Staat soll es einen Dreck angehen, wo ich wann bin und wieviel ich fahre!“, meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

 „Vielleicht solltest du dir doch ein Lastenrad zulegen, Max“, meinte Charlotte lakonisch, „damit kannst du vielleicht auch ins Ausland, ohne dass es jemand merkt“.

So einfach mit der totalen Überwachung wird die Sache allerdings nicht sein. Schon für die Einführung einer elektronischen Vignette (in anderen Staaten seit einem Dezennium in Betrieb), musste der Bund Kompromisse eingehen. So wird es neben unserer elektronischen Vignette parallel auch weiter eine Klebeetikette geben. Zwei Systeme, zweimal die Kosten. Die Verkehrsminister in Singapur oder Dubai werden sich totlachen. Doch: was kostet die Welt… 

Die elektronische Vignette zumindest könnte man relativ einfach mit allen Sicherheiten zur Wahrung der Privatsphäre ausstatten. Aber mit der Blackbox, welche alle Daten aufzeichnen kann, wird das schwierig.  

2035 kommt das „Verbrennerverbot“ in der EU. Ab dann sollen nur noch Fahrzeuge produziert, importiert und neu in Verkehr gesetzt werden, welche ohne fossile Treibstoffe betrieben werden. Also nur noch Elektroautos. Gemessen, ob fossil oder nicht, wird bekanntlich nur am Auspuff: Dass die elektrische Energie vermutlich auch dannzumal noch aus einem dreckigen Kohlekraftwerk kommt, ist einerlei. Die Schweiz, als Ministaat mitten in Europa, wird sich diesem Verbrennerverbot nicht entziehen können. Mit anderen Worten: Auch Waldmeyer wird dann kaum mehr ein Fahrzeug kaufen können, welches konventionell angetrieben wird.

Für Deutsche mag die Vorstellung von einer Blackbox im Auto nicht so schlimm sein. Sie haben sich bereits daran gewöhnt, dass ihnen der Staat jederzeit ins Bankkonto reinschauen kann. Der gläserne Bürger ist für sie bereits Realität und die ganz klare Durchsicht wird nur dadurch gebremst, dass das Land immer noch eine digitale Wüste ist.

In der Schweiz kennen wir diese inkriminierte Blockbox bereits: Freiwillig lassen wir sie teilweise von den Versicherungen in unserem Fahrzeug installieren, mit dem Zückerchen einer Prämienvergünstigung. Im Falle eines Unfalles weiss die Versicherung dann ganz genau, was im Auto stattgefunden hat: Geschwindigkeit, Beschleunigung, Lenkradeinschlag, Bremsbetätigung – alles.

Schon heute speichern viele Fahrzeughersteller viele Fahrdaten. In Deutschland kürzlich musste ein Tesla-Fahrer nach einem Unfall per Gerichtsbeschluss alle Fahrdaten outen. Tesla lieferte bereitwillig. Solche gespeicherte Informationen können für einen Fahrer selbstredend positiv oder negativ sein. Aber mit dem Kauf eines Fahrzeuges würde Waldmeyer immer auch sein Einverständnis für die Speicherung sämtlicher Daten geben – allenfalls auch für deren Verwendung.

Künftig jedoch würde die Auswertung einer Blackbox durch die Behörden also genau aufzeigen können, wo, wann und in welchem Fahrmodus man sich genau aufgehalten bzw. bewegt hat. Unser Banker Pierin Vincenz müsste also nicht einmal seine Kreditkartenabrechnung offenlegen, der Staat wüsste bereits zeitnah, vor welchem Nachtclub er parkiert hätte.

Natürlich müsste eine Blackbox künftig dazu nicht umständlich ausgebaut und untersucht werden – wie die Blackboxes nach einem Flugzeugabsturz. Denn alle Daten wären in Echtzeit bereits in einer Cloud gelandet. Waldmeyer stellte sich vor, dass er morgens um sieben Uhr einen Anruf erhielte: „Herr Waldmeyer, sie haben gestern in Zürich vor dem Tre Fratelli parkiert und die Parkzeit um mehr als zwei Stunden überzogen, nachher sind sie mit 43 anstatt mit 30 km/h durch die Stadt gerast, und an der Ecke Europabrücke/Winzerstrasse haben sie den Blinker nicht betätigt. Dürfen wir jetzt noch ihren Restalkohol überprüfen bitte? Ein Patrouillenfahrzeug ist zu Ihnen nach Meisterschwanden unterwegs.“

Noch ist nicht klar, wieviel Daten gesichert werden und wieviel davon die Behörden künftig auslesen dürfen. Es wird davon abhängen, in welchem Masse wir uns als Bürger dagegen sträuben werden. Der Staat müsste vielleicht etwas mehr in die Unfallstatistiken blicken, denn eigentlich müsste er nur genau dort eingreifen, wo die Bürger am meisten geschützt werden müssen. Dann würde er erkennen, dass ein Grossteil der Unfälle heute mit Bikes, E-Bikes und Motorrädern erfolgt. Waldmeyer nahm den Gesprächsfaden mit Charlotte wieder auf und schlug vor, dass zuerst einmal alle Lastenräder eine Blackbox erhalten sollten. Charlotte erwiderte nichts.

Dieses Eigenleben des ASTRAs ist schon merkwürdig, ja bedenklich. Der Trick mit den Überwachungsprojekten wurde noch zu Zeiten unserer Konzertpianistin (Simonetta Sommaruga) iniziiert. Aber vielleicht wusste sie gar nicht, was da hintenherum auf der Klaviatur gespielt wurde?

Waldmeyer kann nur hoffen, dass alle diese neuen Vorschriften nicht gleich zeitnah greifen. Aber Waldmeyer hofft vergeblich, denn ab Anfang 2024 wird Big Brother definitiv auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Denn ab diesem Zeitpunkt muss jedes neu immatrikulierte Fahrzeug über einen „Ereignisdatenspeicher“ verfügen. Zu Beginn, als raffinierter Trick eben, wird es sich um ein Aufzeichnungssystem handeln, welches nur alle Fahrzeugdaten kurz vor und nach einem Unfall speichert.  

Doch das scheint nur der Beginn der Überwachung zu sein. Denn dass die ganze künftige Verkehrsüberwachung durch den Bund nicht nur eine Vision ist, zeigt sich darin, dass bereits ein gigantisches Projekt für eine „Mobilitätsdateninfrastruktur“ angestossen wurde. Dafür will der Bund sogar eine eigene Bundesanstalt schaffen. Dutzende von Vollzeitstellen werden nun geschaffen, ein monströses IT-Millionenprojekt wird aufgegleist. Ob das wohl gut ausgehen wird…? Wir hatten ja schon einige Probleme mit unseren staatlichen IT-Ausflügen – meist endeten sie in einem teuren Fiasko. Ein solches Fiasko könnte vielleicht einen Hoffnungsschimmer darstellen, dass dieser toxische Kelch mit der Überwachung an uns vorübergeht?

Natürlich soll mit der Erfassung der Mobilitätsdaten der Verkehr später aktiv gesteuert werden. Spannend ist deshalb das übergeordnete Ziel dieses dunkelrot und dunkelgrün eingefärbten Projektes: Das Endziel soll sein, so wörtlich, „auf ein eigenes Fahrzeug zu verzichten“. Hallelujah, schöne neue Welt.

Waldmeyer wird sich künftig also den ihm zugewiesenen Parkplatz vom Netz holen, er wird für unterschiedliche Streckenabschnitte unterschiedlich zur Kasse gebeten, oder er wird seine Karre eben zuhause lassen, weil ihm kein Slot zugeordnet wird. So könnte, so um das Jahr 2036, nach dem Verbrenner-Aus, Waldmeyers Smart Watch (11. Generation), plötzlich melden: “Max, in 15 Minuten beginnt dein Slot WM836-5-YZ. Du darfst von 07:30 bis 08:15 dein Fahrzeug verwenden. Alternativ morgen 03:15 bis 04:00 mit Slot WM837-5-ZZ. Wähle 1 für Slot 1, wähle 2 für Slot 2.»

Aber vielleicht wird es zu all diesen garstigen Szenarien gar nie kommen? Vermutlich wird es nämlich gar nicht genügend Strom geben, um alle Fahrzeuge elektrisch zu bewegen. Und alle Heizungen, künftig auf Wärmepumpenbasis mit viel Input an elektrischer Energie. Strom aus Deutschland wird dann auch keiner mehr erhältlich sein, denn der Habeck braucht ihn selbst im Land. Wenn dann keine Sonne scheint, die Windräder nicht drehen – also eine „Dunkelflaute“ herrscht und die Energie nicht gespeichert werden kann, werden die Elektrofahrzeuge stillstehen und das mit der Blackbox wird sich erübrigt haben.

Waldmeyer fragte sich: Wieso gibt es keinen Aufschrei aufgrund all dieser offensichtlich geplanten staatlichen Überwachungspläne? Das ASTRA macht natürlich nicht viel Aufhebens um seine Schlachtpläne, möchte man doch nicht schlafende Hunde wecken. Deshalb auch diese heimtückische Einführung der Mobilitätsüberwachung, ganz gemein in eine einfache Verordnung eines Bundesamtes verpackt. Doch wieso haben die bürgerlichen Parteien das Thema noch nicht aufgegriffen? Sind sie wirklich so naiv und wollen das Thema etwa den Freiheitstrychlern überlassen? Diesmal geht es nämlich um echte Kontrolle durch den Staat!

Waldmeyer ist der dezidierten Meinung, dass er sich vom Staat weder ins Portemonnaie noch ins Schlafzimmer gucken lässt. Und vor allem: schon gar nicht ins Auto!

Waldmeyer beschloss, seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch), nicht zu ersetzen. Auf ein neues Fahrzeug – mit einem troyanischen Pferd, geritten von staatlichen Überwachungsbehörden – wird er verzichten. Der Staat als Copilot…? Nein, danke. Er wird sein schon in die Jahre gekommenes Fahrzeug einfach behalten, for ever.

Waldmeyer und die Luftschutzkeller

Krieg mitten in Europa: Ein Szenario, dass bis vor Kurzem undenkbar war. Aber wir sind vorbereitet in der Schweiz. Die Sturmgewehre warten im Schrank, man rückt regelmässig zur Übung in den WK ein. In mehreren Jahren kommen auch die neuen Flieger, etwas später die neue Flugabwehr. Aber vor allem: Wir haben Bunker. 

Deutschland zählt seit Monaten seine Luftschutzbunker. Schon Christine Lamprecht, die vormalige Verteidigungsministerin, Typ Handarbeitslehrerin, hatte mit diesem wichtigen Projekt begonnen. Der Neue, Pistorius, etwas forscher, zählt weiter. Man wird vielleicht Ende Jahr wissen, wo man steht. Das ist wichtig, denn verteidigen kann sich Deutschland kaum mehr selbst. Die einigermassen einsatzbereiten Geräte und Waffen wurden in die Ukraine geliefert und werden nun dort verheizt. Etwas neue Ausrüstung ist bestellt, ist aber noch nicht eingetroffen. Der Iron Dome zum Beispiel, die neue Luftabwehr aus Israel. Sie soll 2025 kommen. Das ist wichtig, denn eine Rakete aus dem russischen Kaliningrad braucht nur fünf Minuten, um beim Scholz in Berlin einzuschlagen. Deutschland wusste das schon immer, aber erst mit dem Ukrainekrieg fiel es unseren Nachbarn wie Schuppen von den Augen, dass hier plötzlich eine nicht unrealistische Bedrohung besteht. In der Not setzt Deutschland nun einfach auf die Nato. Und die Bunker. Wenn man sie denn findet und einen Überblick kriegt.

In der Schweiz sieht es nicht viel besser aus in Sachen Gesamtverteidigung. Wir setzen auf die Gamellenpolitik: Unsere Wehrkraft ist, wenn wir ehrlich sind, mehr oder weniger nur Nostalgie. Unsere Sturmgewehre und die Gefechtspackungen liegen zwar bereit (inklusive der Gamelle), wir wissen auch genau, wohin wir bei einer Mobilmachung einrücken müssen, in der Regel zu einem Gehöft auf dem Land oder in eine Turnhalle, von wo aus wir dann in der nahen Kaserne das 50-jährige Kriegsgerät holen. Dem Marschbefehl wird ein SBB-Billet beiliegen. So hat alles seine Ordnung.

Leider finden Kriege heute jedoch kaum mehr an der Grenze statt, sondern mit kontinentalen und interkontinentalen ballistischen Mitteln, mit Cyber-Waffen, Trolls und politischer Unterminierung. Rein numerisch verfügen wir zwar über eine der grössten Armeen in Europa. Unglücklicherweise zum Teil indessen ausgerüstet mit Uraltgerät, worüber sich ein Ukrainer heute totlachen würde. Über eine brauchbare Luftwaffe werden wir leider erst 2030 verfügen, etwas später dann über eine einigermassen wirksame Luftabwehr. Ein „Iron Dome“ ist nicht geplant. Im Notfall könnte aber unser Bundespräsident mit dem Scholz telefonieren, der würde dann vielleicht helfen. Der Anruf müsste indessen rasch erfolgen, die Rakete braucht zwar etwas länger zum Bundeshaus in Bern anstatt nach Berlin, aber es werden auch nicht mehr als neun Minuten sein. Tatsache ist: Heute und auch auf absehbare Zeit könnten wir uns tatsächlich nur beschränkt verteidigen. Deshalb hegen und pflegen wir unsere Neutralität, dann passiert uns nichts.

Es war ein ganz normaler Samstagmorgen, als sich Waldmeyer für den Rest des Tages verabschiedete: „Charlotte, ich bin dann mal im Luftschutzkeller“. Endlich wird da mal aufgeräumt, dachte Charlotte. Die Pritschen stehen seit Jahren in der Ecke, noch in der Originalverpackung und nicht zusammengebaut. Ebenso das Trocken-WC. Und die Vorräte liegen irgendwo dazwischen. Höchste Zeit also, den Luftschutzkeller neu einzurichten.

Die Schweiz ist wohl der einzige Staat auf der Welt, der bei den meisten Bauvorhaben zwingend die Erstellung von Luftschutzkellern vorschreibt. Das Land ist in der Folge flächendeckend mit Atombunkern überzogen. Vor einigen Jahren wurde eine Lockerung dieses vermeintlichen Anachronismus verworfen. Nicht zuletzt war es die Bauindustrie, die hervorragend lobbyiert hatte, um die teuren Einbauten weiter vorzuschreiben. Wie dem auch sei: Wir Schweizer können uns nun sicher fühlen. 

Deutsche haben immerhin U-Bahnen, in deren Stollen man Zuflucht suchen kann. In Kiew hat sich eine halbe Stadt dort mehr oder weniger häuslich eingerichtet – so gut es eben geht.

Die minuziöse teutonische Zählung der Bunker in unserem Nachbarland macht also Sinn. Vermutlich wird man auch die U-Bahn-Stollen dazurechnen, das hilft bei der Zählung, braucht aber wohl nochmals etwas mehr Zeit. Viele deutsche Städte haben U-Bahnen. Dieses horrende Tempo der Schutzplatz-Erfassung kann uns indessen gleich sein. Denn was Deutsche nicht wissen: Wir Schweizer müssen gar nicht erst zählen. Wir haben unsere Plätze. Fast jedes Haus verfügt über einen Luftschutzkeller. Wirklich, fast jede Immobilie. Im Notfall nehmen wir die Tunnels dazu – davon gibt es viele, denn das Mittelland und die Alpen sehen heute, verkehrstechnisch, wie Emmentalerkäse aus: nur noch Löcher. Aber das sind Tunnels, in denen wir überleben können. Allerdings sind wir Schweizer nicht sehr kollektiv denkende Menschen, wir sind eher Individualisten. Deshalb schätzt jeder seinen eigenen Luftschutzbunker. Der Tunnel wäre nur ein Notfall-Zufluchtsort. Für Ausländer, Asylanten vielleicht, oder grüne Hausbesetzer. Der „normale“ Schweizer verfügt über einen persönlichen Ort des Schutzes, mit Proviant, Notschlafstelle und Trocken-WC. Jeder. Tatsächlich, und das wissen wir eben bereits (im Vergleich zu den Deutschen), verfügen wir über neun Millionen Schutzplätze – etwas mehr also, als die Bevölkerung zählt. Im Notfall hätte es so noch etwas Platz für ein paar versprengte und gut zahlende Touristen.

Wandmeier kam, pünktlich zur Apérozeit, abgekämpft wieder aus dem Keller hoch. „Alles erledigt, alles neu eingerichtet!“

„Was hast du denn so alles gemacht, Max?“, fragte Charlotte skeptisch – im Wissen darum, dass sie selbst inzwischen Einkaufen war, das Dinner vorbereitet, zwei Ladungen Wäsche erledigt, die Garageneinfahrt gekehrt, Zahlungen gemacht und einem Kunden die Offerte über das neue Interior Design für die Büros in Zürich-West geschickt hatte (inklusive Gym-, Still- und gendergerechtem Begegnungsraum).

„Also“, erklärte Waldmeyer, „alles ist neu eingerichtet. Die Bordeaux sind an der Wand ganz hinten, sortiert nach Trinkreife. Die Riservas aus der Toscana alle links, die Chilenen und Argentinier für die Gäste hinten rechts, aber Achtung, nur die unteren Regale für die Gäste. Die Spanier sind vorne rechts. Der Terre Brune ist gleich beim Eingang links auf Griffhöhe.“ 

Charlotte erwiderte nichts. Immerhin hatte Max einen realistischen Überlebensplan entworfen.

Waldmeyer, der Städtebau und der Organhandel

Die Lage spitzt sich zu in der Schweiz: Wir haben zu wenig Wohnraum – und dieser ist erst noch zu teuer. Der grosse Wurf fehlt eben, wir blockieren uns selbst. Waldmeyer stellt einen Zusammenhang her mit der längsten Stadt der Welt und dem Organhandel.

Es war wieder einmal eines dieser Sonntagmorgengespräche, am späten Frühstückstisch. Waldmeyers Sohn Noa brachte die Augen kaum auf, offensichtlich war er intensiv daran, den Restalkohol vom gestrigen Abend zu verarbeiten. Lara sah auch nicht viel fitter aus. Trotzdem schnitten sie ein Problem an: Wohnraum.

Tatsächlich ist die Misere mit Händen zu greifen, denn ohne etwas «Old Money» werden junge Generationen kaum je ein Eigenheim besitzen können. Selbst für ordentlich verdienende und gut ausgebildete junge Menschen wird die herangesparte Eigenkapitalbasis nicht ausreichen, binnen nützlicher Frist die Finanzierung für eine eigene Immobilie sicherzustellen. Ohne eine Anschubleistung von aussen wird das zur Makulatur. Auch zehn Jahre lang netto jährlich CHF 20’000.- zu sparen, also CHF 200’000 auf die Seite zu legen, wird in unseren Ballungsräumen kaum für ein adäquates eigenes Zuhause reichen.

Noa meinte, mit Sparen würde man nur alt werden, aber kaum je eine eigene Hütte besitzen. Da müsste man schon gescheit in Kryptowährungen investieren, Zuhälter werden oder in den Drogenhandel einsteigen. Vor allem mit synthetischen Drogen. Noa empfahl Flakka. Das bringt Marge.

Lara (sie studiert neu Ethnologie in Basel) meinte, Human Trafficking bringe auch was ein. Besser noch der internationale Organhandel. Da könne man echt Kohle verdienen.

Charlotte sagte nichts. Waldmeyer rollte nur die Augen und verkniff sich die Bemerkung, dass man mit Ethnologie bestenfalls mal ein Asylantenheim führen, aber nie eine Wohnung kaufen könnte.

Aber die Kids hatten schon recht: Es gibt zu wenig erschwinglicher Wohnraum. Die linksgerichteten Stadtregierungen in der Schweiz suchen die Lösung daher in der Förderung von sozialem Wohnungsbau. Städte wie Basel oder Genf beginnen, die Mieten zu plafonieren, Berlin plant gar die Enteignung von Wohnraum in grossem Stil. Investoren treten bei all diesen Massnahmen die Flucht an und die Probleme verstärken sich noch.

Gründe für die Misere kennen wir: Zwar wächst die Bevölkerung leicht (nämlich um rund 1% pro Jahr) und der individuelle Bedarf an Wohnquadratmeter steigt kontinuierlich. Doch der wahre Grund des Mankos an Wohnraum liegt bei der mangelnden Produktion. Die Auflagen und Behinderungen mit einem Dickicht an Gesetzen und Verordnungen verhindern rascheres Bauen. Die teure Bauweise in der Schweiz, diverse Abschottungen und Kartelle, plus das bereits bestehende Missverhältnis von Angebot und Nachfrage treiben die Preise in die Höhe – kein Wunder. 

Kommt hinzu, dass viele Industriebrachen unberührt in den Agglomerationen liegen, aber nicht umgezont werden dürfen. Und ein immenses Überangebot an Büroflächen ziert die meisten grossen Städte. Aber dort ist Wohnen nicht vorgesehen, Umnutzungen dauern oft Dezennien.

Waldmeyer überlegte weiter: Auch in der Gegend um Payerne oder Porrentruy, oder auch im Thurgau, wäre noch viel Platz zum Bauen vorhanden. Man müsste einfach auf ein bisschen Landwirtschaft verzichten (welche eh nur defizitär und nicht nachhaltig ist).

«Wir sind einfach zu langsam», warf Charlotte ein. Stimmt. Für ein neues Schulhaus braucht es 20 Jahre. Der Ausbau des Gubrist brauchte länger. Waldmeyer wird auch kaum mehr durch die neuen Gotthardröhren rauschen können. Bis der neue Tunnel fertig und der alte renoviert ist, wird er über 80 Jahre alt sein. Vielleicht darf er dann eh nur noch mit dem Lastenrad rumkurven. Mit dem Timing von grossen Wohnsiedlungen ist es genau gleich, alles geht eine Ewigkeit.

Ja, Politik und Regierung sollten mal ihre Komfortzone verlassen und grössere Würfe wagen!

Wie sagte doch Churchill: Never waste a good crisis. Man sollte also über den Tellerrand hinausschauen und studieren, was andere Länder so machen. China beispielsweise realisierte ganz grosse Würfe, komplett neue, riesige Städte wurden ins Land gestellt. Auch Despotenstaaten lancieren oft Grossprojekte; sie bauen z.B. eine neue Hauptstadt in den Dschungel. Oder auch Athen, um ein realistischeres Bespiel zu nennen: Athens Riviera ist ein ganz neuer, riesiger Stadtteil, er wurde in den letzten Jahren richtiggehend aus dem Boden gestampft. Und das in einem EU-Land mit einer demokratisch legitimierten Regierung. Es geht also doch?

„Kennt ihr Neom?“ warf Waldmeyer in die sonntägliche Runde, um etwas vom Lamentieren über den Schweizer Wohnraum abzulenken. In der Tat ist es interessant, was Saudi-Arabien so plant: nämlich eine komplett neue Stadt in der Wüste. Neom soll sie heissen, auch The LINE genannt. Sie soll vom Ort Neom aus am Roten Meer quer durch die Wüste führen, 170 Kilometer lang und 200 Meter breit. Da soll Wohn- und Arbeitsraum für neun Millionen Menschen entstehen. Und dies alles mit einer Ausdehnung von nur 34 Quadratkilometern – was ungefähr der bescheidenen Fläche des Zugersees entspricht. Drei unterirdische Ebenen für den motorisierten Verkehr, für eine U-Bahn und für die Fussgänger sind geplant. Ein begrüntes Atrium über der Siedlung dient als Naherholungsraum und sorgt für angenehme Kühlung. Energetisch soll die Stadt eh CO2-frei sein. Wasserstoff, produziert aus Sonnenergie, wird die nötige Energie liefern. Alles nur eine Vision? Nein. Denn Tausende von Bauarbeitern buddeln bereits den Sand auf. Der Spass wird bis zu 500 Millarden kosten, allein für den ersten Abschnitt. Aber diese Zahl muss relativiert werden, denn die Credit Suisse war alleine einmal 100 Milliarden wert. 

„Ja, wir sollten uns mal eine Scheibe von den saudischen Projekten abschneiden», meinte Waldmeyer zum Frühstückstisch.

„Wir haben in der Schweiz bereits eine längere Stadt als die Saudis“, warf Charlotte ein. „Unsere Stadt beginnt in St. Margrethen und führt bis Genf. Entlang der Autobahn ist alles bebaut, wir haben vielleicht die längste Wurmstadt der Welt. Es sind genau 384 Kilometer. Wir schlagen die Saudis bei weitem.“

Stimmt. Aber leider ist unsere Wurmstadt nicht so gelungen. Linke Aktivisten werden zum Beispiel bemängeln, dass sie nicht verkehrsfrei ist. Es können auch nur beschränkt Lastenräder zirkulieren. Der Wurm wird vorab mit elektrischer Energie betrieben, die zu einem Gutteil aus deutschen Kohlekraftwerken stammt. Und vielleicht ist diese helvetische LINE auch nicht gendergerecht. Öffentliche Bauten sollten künftig nämlich gendergerecht geplant werden, so die politischen Vorstösse in der Stadt Zürich. Noch ist nicht klar, was das genau bedeuten soll, die Initianten waren auch noch nicht imstande, es zu formulieren.

„Diese Wurmstadt zählt nicht, Charlotte“, warf Waldmeyer ein, „die ist nicht genderkonform.“ Damit war die Diskussion betreffend eine bessere Stadtplanung vorerst beendet. Waldmeyer musste auch eingestehen, dass Neom nur dank sprudelnder Erdölquellen gebaut werden kann und der Bevölkerung stark subventioniert hingestellt wird. Rahmenbedingungen, von denen die Schweiz nur träumen kann. Die Saudis müssen sich auch nicht gegen die Fallstricke der direkten Demokratie wehren und eine Unzahl von bürokratischen Hindernissen überwinden. Und ob es in Neom dann Alkohol gibt, steht in den Sternen.

Neom dient also nicht als Vorzeigemodell für die Schweiz, stellte Waldmeyer ernüchtert fest. Wir müssten das Problem selbst lösen oder eben individuelle Strategien festlegen, um an ein Eigenheim zu kommen. «Ich hätte Verständnis dafür, wenn Lara in den Organhandel einsteigt», meinte Waldmeyer zu Charlotte. Charlotte antwortete nicht. Lara auch nicht, zumal sie den Tisch schon ab der Sequenz Neom verlassen hatte.

Waldmeyer im Urlaub: Die Yachten und das Unglück

Max Waldmeyer hatte beschlossen, seinen Sommerurlaub bei schönstem Wetter am See zu verbringen, in sicherer Umgebung, mit hervorragender Gastronomie und mit Zugriff auf einen gut bestückten Weinkeller: nämlich zu Hause, in Meisterschwanden. Gleichzeitig konnte er sich so bestens philosophischen Tagträumen hingeben.

Waldmeyer blickte von seiner Terrasse zum Hallwilersee runter und überlegte, dass Schiffe in der Regel nur Unglück bringen.

«Abramovichs Yacht würde hier nicht reinpassen», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber, die anstatt in der brütenden Hitze jetzt lieber in Grönland sitzen wollte. Sie antwortete nicht. 

«Wenn du viel Geld hättest, Charlotte, ich meine wirklich sehr, sehr viel Geld, was würdest du dir kaufen…?» Bei diesen grundsätzlichen, fast philosophischen Fragen pflegte Charlotte in der Regel zu antworten, deshalb legte Waldmeyer nun so auch seine Fragefallen aus.

«Ich würde einen Fonds errichten und etwas Gescheites damit anfangen. Vielleicht etwas Soziales». 

«Wenn du aber keinen Fonds errichten könntest und du gezwungen wärst, das Geld auszugeben, ich meine, im grossen Stil, was würdest du dir kaufen?», bohrte Waldmeyer nun weiter.

«Zeit. Vielleicht auch Zeit ohne dich», antwortete Charlotte. Waldmeyer kannte diese provokativen Antworten und liess sich nicht beirren.

«Was würdest du zum Beispiel mit einer fetten Rolex machen?»

«Ich würde Sie sofort verkaufen.»

«Was mit einem Lamborghini?»

«Hätte ich gar nie gekauft.»

«Ich kauf dir ein Schloss!»

«Brauch ich nicht.»

«Einen Privatjet?» 

«Würde ich sofort grounden».

«Eine Yacht?»

«Bringt nur Unglück.»

Waldmeyer gab auf. Zumal Charlotte recht hatte. Yachten sind zwar das ultimative Aushängeschild von Luxus, es ist die perfekteste aller Visitenkarten der Arriviertheit. Der Yachtbesitz ist das ultimative Statement. Über Yachten spricht man. Pro forma versuchen Superreiche, die Besitzstruktur einer Yacht zu verschleiern, indessen nur in der Hoffnung, dass der Besitzer entdeckt und in den Medien breitgeschlagen wird.

Man weiss, dass Yachten ein Vermögen kosten, bei grösseren Yachten rechnet man um eine Million pro Meter Länge. Bei ganz grossen Schiffen darf es durchaus auch mehr sein. Privatjets und/oder Schlösser verblassen daneben in einer Aussenwirkung, die fast den Insignien des Mittelstandes entspricht. 

Die Credit Suisse hatte sich auf die Finanzierung von Yachten spezialisiert, ein Milliardengeschäft. An sich ist es rätselhaft, wieso Milliardäre ihre Superyachten nicht selbst finanzieren wollen. Die grössten Schiffe sind über 150 Meter lang und kosten über 500 Millionen Dollar. Aber wenn man mehrere Milliarden besitzt, so sollte man doch meinen, könnte so ein Kahn doch aus der Portokasse bezahlt werden. Offenbar nutzen Milliardäre ihr Cash jedoch, um clever alternativ zu investieren und damit noch mehr Rendite zu erzielen; also «hypotheziert» man eben eine Yacht. Der Credit Suisse hatte dieses Spezialgeschäft indessen kein Glück eingebracht. Erstens zeigte sich, dass Oligarchen, Scheichs und auch ganz normale Despoten die Zinsen auf diesen Yachthypotheken nur unregelmässig entrichten. Dem Geld anschliessend in Saudi-Arabien oder in Russland nachzurennen, erwies sich indessen als ziemlich tricky. Zweitens implodierte der Markt für Superyachten aufgrund der Sanktionen gegen russische Oligarchen seit dem Beginn des Ukrainekrieges. Die Kredite für Yachten lagen plötzlich höher als ihr Wert. Und jetzt wirft man der Pleitebank auch noch vor, in Sachen Yachtfinanzierung Sanktionen umgangen zu haben. Nichts als Unglück also für die Credit Suisse. Wie die UBS nun damit wohl umgehen wird…?

Insbesondere die Superyachten der Russen bescheren wohl auch den Russen immer weniger Glück. Aufgrund der Sanktionen gibt es kaum mehr attraktive Häfen, wo man seine Yacht zeigen kann. In Dubai ist das Anlegen für die Oligarchen zwar noch möglich, allerdings mit reduzierter Aussenwirkung, denn dort liegen inzwischen so viele Yachten, dass die eigene meistens im Schatten der allergrössten liegt. Und à propos Schatten: Abramovich lässt seine Yachten (er besitzt tatsächlich mehrere dieser grossen) im Sommer natürlich nicht in Dubai anlegen – bei gegen 50 Grad Hitze. Er wählt Bodrum in der Türkei oder Montenegro. Aber dann ist Schluss mit der Hafen-Auswahl. Ausser er würde Anker werfen vor Novosibirsk (der eisfreie Hafen in Sibirien), was indessen jeglicher Attraktivität und Imagegewinnung entbehrt. Nichts als Sorgen also mit den Superyachten.

Sorgen bereiten auch die Unterhaltskosten. Yachten kosten, so die Faustregel, pro Jahr rund 10% des Kaufpreises. Für die Crew, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen, etc. etc. 

Die intrinsischen Gewinne einer Yacht, also das Zurschaustellen von Reichtum und das Geniessen dieser Einzigartigkeit in den Schaufenstern der obersten Liga, haben sich heute also sozusagen sublimiert.

Waldmeyer freute sich, Yachten zu «konsumieren», indem er diese auf «MyShipTracking» studierte. Er stellte zwar fest, dass auf dem Hallwilersee keine von diesen Yachten auszumachen war. Aber weltweit eben schon. Diese geniale App kann alle Schiffe global tracken, sie meldet die Standorte, die Bewegungen, die Eckdaten jedes grösseren Kahns. Ja, so können Yachten – und sogar Superyachten – auch glücklich machen: Indem man sie nicht besitzt.

Mit Entsetzen entnahm nun Waldmeyer der Zeitung, dass die UBS entschieden hatte, das inkriminierte Yachtfinanzierungsgeschäft der Credit Suisse fortzuführen. Ob das der UBS wohl Glück bringen wird? Waldmeyer meldete zu Charlotte rüber: «Willst du nicht deine UBS-Aktien verkaufen? Die Yachten bringen kein Glück.». Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer cancelt die Sozialen Medien

Waldmeyer stellte sich vor, wie es wäre, wenn er sich von all den Sozialen Medien fernhalten würde. Stattdessen würde er wieder vermehrt die klassische Kommunikation wählen: also Briefe schreiben, telefonieren. Allenfalls das persönliche Gespräch suchen. Man könnte alle wichtigen Sachen, die man ins Netz stellt, persönlich rüberbringen.

Nicht alles wollte Waldmeyer canceln. Im Laufe der medialen Entwicklung hatten sich auch ein paar ganz praktische Dinge entwickelt. So wurde der Brief durch E-Mail ersetzt und das Faxgerät, beispielsweise, durch WhatsApp. Heute verfügen bedeutend mehr Leute über ein WhatsApp Account als über ein Faxgerät. Ausser in Alain Bersets Krankheitsdepartement.

Waldmeyers Fazit nun: Briefpost ist heute nicht mehr lebensnotwendig, E-Mail aber schon. Und WhatsApp auch.

Nachrichten via sms indessen verschickt heute niemand mehr, ausser Banken und Kreditkartenfirmen in Form von Pins. Und ausser Waldmeyers Freund Ruedi Arnold aus der Innerschweiz.

Waldmeyer überlegte nun, wie eine lebensnotwendige Triage aussehen könnte und beschloss, vorerst auf alle Sozialen Medien wie Facebook, Instagramm, TikTok, Pinterest oder gar LinkedIn zu verzichten. LinkedIn war für Waldmeyer ohnedies nicht mehr relevant, weil er sich als aussteigender Unternehmer nie mehr bewerben wollte oder müsste. Die restlichen genannten Sozialen Medien könnte er einfach als unnötig qualifizieren – denn es geht auch ohne sie. Auf die geposteten unwichtigen Inhalte an eine nicht zu kontrollierende Zahl von Empfängern könnte er versuchsweise verzichten.

Zudem hatte es ihn schon länger gestört, bei Facebook so etwas wie eine freiwillige persönliche Stasiakte anzulegen, transparent für die ganze Öffentlichkeit. 

Man könnte gar, so Waldmeyers singuläres Brainstorming weiter, der öffentlichen Kommunikation komplett entsagen und sich die neue virtuelle Brille von Apple zulegen. Er könnte durch Meisterschwanden wandeln mit dieser läppischen Skibrille auf dem Kopf, für ebenso läppische 3‘500 US-Dollar erstanden, und die Welt nur noch virtuell und animiert, auf Bestellung sozusagen, wahrnehmen. Aber dieser Plan kommt zu früh, das merkwürdige Ding gibt es erst in einem Jahr. 

Damit zurück zu den heute verfügbaren Optionen, um frei zu kommunizieren, ohne die Sozialen Medien zu nutzen:

Es müssten echte Alternativen her. Also beschloss Waldmeyer, ab sofort alle wichtigen Informationen, mit denen er bisher sein Umfeld quälte, persönlich mitzuteilen. Einerseits telefonisch, andererseits auch im öffentlichen Raum. So nicht nur an der Bushaltestelle in Meisterschwanden, sondern auch an der Bahnhofstrasse in Zürich, in der Freie Strasse in Basel, an der Hertensteinstrasse in Luzern oder in der Multergasse in St. Gallen. An den Schweizer Hotspots sozusagen, um eine maximale Anzahl von Adressaten zu finden, welche sich gar nicht für seine Mitteilungen interessierten. Heureka! Das war eine Übungsanlage, die genau dem analogen Pendant zu den Sozialen Medien entsprach. Die meisten Leute wären unbekannt, man würde ein qualitativ ähnliches Informationsziel erreichen.

Und dann wollte er eben die telefonischen Kontakte wieder mehr pflegen. Diese waren immer schon wertvoller, denn das Gegenüber kann den Auslassungen kaum entrinnen, ohne unanständig zu wirken. Es herrscht, so im Marketing-Jargon, eine Situation der „Captive Audience“. Waldmeyer könnte also aus seinen über 2‘000 Kontakten auf dem Handy jede halbe Stunde random-mässig eine Nummer wählen und dann etwas Wichtiges mitteilen. Z.B. eine Schilderung der gelungenen Geburtstagsparty seiner Tochter Lara, das Umrechnungsverhältnis von CS in UBS-Aktien oder einfach „My Way“ von Franky Sinatra ins Handy flöten. 

Effizienter allerdings ist schon die Strasse. Die lässt sich am ehesten mit Facebook vergleichen. Waldmeyer wollte aber auch nicht mehr auf TikTok sein. Weniger, weil Xi Jinping täglich die TikTok Meldungen weltweit überprüft (und so mit Sicherheit auch Waldmeyers Account), sondern weil die Beiträge in der Regel ausgesprochen infantil und unnütz sind. Wirklich selten lustig. 

Ohne Facebook, Instagram, Linkedin und ohne TikTok wäre Waldmeyer digital befreit. Charlotte würde sich um die täglich notwendigen Logins kümmern, welche ihm beinahe schon den digitalen Nahtod beschert hatten. Er würde sich auf die Strasse konzentrieren und die Leute würden ihn cool finden. Er könnte wildfremden Leuten über seine Katze berichten, ein Foto mit der eingebundenen verletzten Pfote von Felix zeigen und zustimmende verbale Likes erhalten. Er würde Charlottes neuen Lippenstift vorführen (sie wechselte kürzlich von YSL auf Chanel, wirklich!), er würde zeigen, wie man ein Fahrrad aufpumpt. Und anstatt allen ein Foto von sich mit seinem neuen Fahrradhelm zu verschicken, würde er diesen Helm einfach tragen. In der Fussgängerzone. Er könnte auch Winnetou spielen und mit Federschmuck die Bahnhofstrasse runtertanzen, als Antiperformance zum gehypten Thema der kulturellen Aneignung – und beobachten, ob er Likes in Form von direkter Zustimmung vor Ort oder in Form von Stinkefingern erhält.

Nur: Die Leute würden ihn vielleicht verfolgen. Till Eulenspiegel würde vor Neid erblassen. Unter den Followern wären allerdings auch ein paar Psychiater, Sozialhelfer, Randständige oder wütende, bildungsferne Anhänger der jungen SVP, welche das konservative Leben gestört sähen. 

Also verwarf Waldmeyer den Gedanken wieder. Neugierig schaute er auf sein Handy, was inzwischen reingekommen war.

Waldmeyer, die junge Generation und die Wirtschaft

Die junge Generation, so Waldmeyer, scheint eine von Pessimismus durchtränkte Stimmung zu verbreiten, der Zukunftsglauben ist verloren gegangen. Krieg in Europa, Pandemien, Energieknappheit, Ressourcen weg, Klima kaputt, Welt kaputt. Waldmeyer ringt nach Erklärungen.

Charlotte hatte Waldmeyer verboten, den Satz „früher war alles besser“ weiter auszusprechen. Aber tatsächlich vermeinte Waldmeyer wahrzunehmen, dass die heutige Generation, auch Generation Z genannt, sich vor allem, wenn nicht im Konsum, denn in Problemen suhlt. Die Digitalisierung nimmt sie dabei gelassen hin, die damit einhergehende Überwachung und der Verlust an Privatsphäre ist ihnen ziemlich egal. 

Kein Wunder, meinte Waldmeyer, wird uns China so überholen! Asien so oder so. In China läuft zwar manchmal etwas aus dem Ruder, beispielsweise in Sachen Menschenrechte oder Demokratie. Aber die Menschen dort haben Drive (oder werden zum Drive angehalten), sie sind zukunftsgläubig und money-minded. Ob das so gut ist? Egal, die Wirtschaft wird dergestalt gepuscht. Viele machen die berühmte „extra mile“. Natürlich kommt man so weiter als Staat. Schon des öfter hatte Waldmeyer seinen Sohn Noa gewarnt, dass die Chinesen dereinst in unseren Villen hocken werden und wir (also auch Noa) diese putzen würden. 

Wenn man wirklich frei sein möchte, dann muss man denken – und nicht arbeiten. Die Idee geht auf Aristoteles zurück. Was die Protagonisten der jungen Generation allerdings gar nicht wissen, denn sie schöpfen ihr Bedürfnis aus dem Moment – welcher ihnen diese verzweifelte Suche nach der optimalen Work-Life-Balance diktiert.

Weniger arbeiten und dafür die Welt verändern, aber trotzdem tüchtig konsumieren, geht indessen nur, wenn entweder Old Money da ist oder zumindest laufend ausreichend Kohle reinkommt. Womit wir beim deutschen Philosophen Hegel sind, welcher, in der Waldmeyer’schen Verkürzung, die wahre Freiheit nur bei einem Stand von einem gewissen Reichtum sah. Aber in dieser Klarheit hat das die berühmte Generation Z (Jahrgang 1995 bis 2010) natürlich ebenso wenig auf dem Schirm. Sie ist einfach anders.

Sie lechzt nach ihrer eigenen Interpretation von Freiheit. Und der Nanny-Staat trägt das seine dazu bei, mit seinen sozialen Hängematten und Rundumversicherungen. Frankreich, beispielsweise, hat es diesbezüglich besonders weit gebracht, aber auch Deutschland. So kann man sich, in der Adoleszenz, aufs Wesentliche konzentrieren, so zum Beispiel Klimakleber werden. 

In der Schweiz führt Zürich den grossen Generationen-Wandel an. Der Kanton, aber insbesondere die Stadt, ist die Speerspitze des Pessimismus und der falschen Problembewältigung: Die rot-grüne Regierung kümmert sich um die Abschaffung des Individualverkehrs, mit dem Ziel, das Weltklima zu retten. Baucontainer sollen künftig begrünt werden, um die Biodiversität der Stadt zu verbessern. Nicht bewilligte Demos sind immer erlaubt. Der Stadtrat plant die 35-Stunden-Woche für seine hoffnungslos überforderten Beamten. Und für die ganze Bevölkerung, zumindest (gendergerecht formuliert) für die „menstruierende Bevölkerung“, so gewisse Vorstösse, soll es künftig Gratis-Tampons und -Binden geben. Kurzum: Die Gesellschaft scheint, im Bestreben, eine bessere Welt zu schaffen, im Mikro-Management zu degenerieren.

Plötzlich schrammte auch Waldmeyer knapp an einem depressiven Moment vorbei. Bahnt sich da also der Niedergang der westlichen Gesellschaft an? Oder besser: Wo befinden wir uns auf diesem heiklen Pfad des Verfalls? In Italien beispielsweise ist dieser Abstieg schon sehr augenfällig. Im klassischen Theater findet der Höhepunkt bekanntlich am Ende des dritten Aktes statt, Italien befindet sich indessen mit Sicherheit schon im vierten Akt. Die Staatsgläubigkeit ging verloren, es herrscht eine Selbstbedienungsmentalität der Staatsdiener, die jungen Leute verlassen das Land, die Italiener sind lendenlahm geworden und zeugen keine Kinder mehr, und das schöne Land ist eigentlich schlichtweg unregierbar geworden. 

So viel zu den „westlichen Werten“, die in Europa zurzeit sehr oft angeführt werden, beispielsweise, wenn es darum geht, unseren kleinen Kontinent vom Rest der Welt abzugrenzen.

Lara, Waldmeyers Tochter, studiert Kunst in Basel. „Wann ist Lara endlich fertig mit dem Studium, Charlotte?“, fragte Waldmeyer. „Sie bleibt einfach dran, Schatz, mach dir keine Sorgen“, antwortete Charlotte. Waldmeyer antwortete nicht, denn er wusste, dass Charlotte noch hundert Gründe finden würde, warum Lara noch mehrere Semester anhängen müsste. Das waren ganz normale Schutzinstinkte einer Mutter, welche ihre Tochter verteidigt. 

Sohn Noa (welcher künftig vielleicht diese chinesischen Villen putzen muss) studiert immer noch Betriebswirtschaft. Sein Ziel ist es, einmal so richtig Geld zu verdienen – allerdings, und das zeichnet sich heute schon ab, möglichst ohne zu liefern. Das hatte sich schon früher gezeigt, als Noa während der Pandemie in die Homeoffice-RS einrücken sollte. Und er – Waldmeyer – an seiner Stelle einrückte.

„Ja, diese Schneeflocken-Generation“, seufzte Waldmeyer. „Die Jungen sind nicht mehr belastbar“, meldete er zu Charlotte rüber. Waldmeyer erinnerte sich an seine eigene Jugend: Auch da nahm man Weltprobleme wahr. Man sprach von Ressourcenknappheit, man lauschte den Ideen des Clubs of Rome. Oder man stellte Berechnungen an, ob Russlands Volkswirtschaft die USA überrunden könnte. War die kommunistische Planwirtschaft etwa gar nicht so falsch? Zumindest während gewissen Perioden lagen die jährlichen Zuwachsraten der Sowjetunion über denjenigen der USA; daraus resultierte eben diese Hochrechnung, wann denn die Russen die Amis überholen könnten. Im gleichen Zeitraum, damals, hängte das Damoklesschwert eines Atomkrieges über der Zukunft der Gesellschaft. 

Ein Teil der jungen Gesellschaft ab 1968 probierte es mit Make Love, not War und Drogen. Der andere Teil der jungen Gesellschaft indessen plante seine Karriere. Von Pessimismus keine Spur, bei beiden Teilen. Der erste Teil wechselte dann alsbald ins zweite Lager, und alles ging munter weiter aufwärts. 

Und heute eben diese Schneeflocken-Generation. Ein Jammer. „Quiet quitting“, nur noch Dienst nach Vorschrift. Zum Glück sind Waldmeyers Kinder da ganz anders. Wenn auch, bedauerlicherweise, nicht so wie er früher.

Waldmeyer fasste zusammen: Die westliche Welt befindet sich definitiv im Niedergang. Beschleunigt wird diese Degeneration durch eine Jugend, die keine Leistung mehr erbringen möchte. Sie erwartet indessen ein Maximum vom Staat.

Er stellte indessen ebenso fest: Wenn er seine Restlebenszeit klug plant und nicht zu alt wird, könnte er um die negativen Auswirkungen der Pessimismus-Generation vielleicht noch rumkommen. Zumindest seine Generation! 

Waldmeyer wird also weiter seinen Weinkeller pflegen, sich auf den Urlaub in der Toscana freuen (Italien ist nämlich gar nicht so schlecht!), seinen Tisch morgen Abend bei Luigi buchen und seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) bewegen. Er wird auch in den kommenden Jahren brav seine Steuern bezahlen, damit dieses falsche Mikro-Management der Gesellschaft, die diese Endzeitstimmung verbreitet, noch ein bisschen weiter gepflegt werden kann. Gleichzeitig wird er das Weltgeschehen auch in Zukunft aufmerksam beobachten – allerdings ohne Pessimismus. Als Voyeur quasi.

„Früher war alles besser“, meinte Waldmeyer jetzt doch noch zu Charlotte rüber und nippte an einem Glas Terre Brune. Charlotte antwortete nicht. Aber etwas später dann doch: „Lara wird übrigens die Studienrichtung wechseln. Ethnologie.“

Waldmeyer verschluckte sich kurz. „Womit habe ich das verdient …?“

Waldmeyer und die Shitcoins

Bereits früher hatte Max Waldmeyer überlegt, ob er nicht seine eigene digitale Währung schaffen sollte. Allerdings sind noch einige Fragen offen. Waldmeyer versucht, erst mal eine Auslegeordnung zu erstellen.

Charlotte war letztes Jahr schon ein bisschen beeindruckt, als Max die Rechnung im Tre Fratelli mit „Waldmeyer“ bezahlte – seiner eigenen Währung. Luigi kritzelte dafür lediglich etwas auf einen kleinen Zettel. Nun, das war natürlich erst der Beginn der Idee einer digitalen Währung; Luigi hätte den Betrag auch in sein altes Nokia eingeben können, dann wäre der „Waldmeyer“ wohl etwas digitaler hinterlegt worden.

Das Lustige an den digitalen Währungen (oder Kryptowährungen) ist, dass sie eigentlich jeder produzieren kann.Nebst ein bisschen Informatik brauchte es dazu offenbar nur ein gesundes Mass an Unverfrorenheit und genügend Überzeugungskraft. Die digitale Währung muss auch nicht mit irgendeiner Reservewährung hinterlegt oder abgesichert werden – man schafft sie einfach. Aus dem Nichts.

Befeuert wird dieser Hype durch die starken Kryptowährungen, die zum Teil durch die Decke gingen. Wie Bitcoin, Tether oder Ethereum. Im Umfeld Waldmeyers gab es plötzlich Leute, die damit unanständig viel Geld verdienten. Ungefähr die gleichen Leute verloren allerdings später ebenso viel Geld damit. Zur Erinnerung: Bitcoin startete einmal bei fast null, stieg dann 2021 bis auf über 60’000 USD, fiel dann 2022 wieder dramatisch, rappelte sich nun wieder etwas auf und dümpelt nun bei gut 20’000 dahin. Je nach Expertenmeinung wird es wieder steil nach oben gehen – oder auf null runter. „Da kannst du ja gleich ins Casino nach Baden gehen“, meinte Charlotte. Stimmt. Aber trotzdem, das Thema sollte einmal richtig zerlegt werden.

Nun also zu Waldmeyers Auslegeordnung, die die Zukunft dieser Währungen doch etwas in Frage stellt:

  • Kryptowährungen werden zu einem hohen Prozentsatz für kriminelle Zwecke verwendet. Sie weisen damit alle einen Seriositäts-Malus auf.
  • Deren „Geldmenge“ kann jederzeit manipuliert werden. Wird zu viel produziert, sinkt der Wert. Eine Kontrolle diesbezüglich besteht nicht.
  • Digitale Währungen basieren in der Regel auf nichts. Auf keinem Eigenkapital, keiner Reservewährung, keinem Währungskorb, keinem Rohstoffbasket, auch nicht auf Gold.
  • Die Entwicklung der digitalen Währungen gefällt den Notenbanken nicht, denn die systemischen Risiken sind augenfällig. Notenbanken könnten künftig Verbote in die Wege leiten. Nur schon, um alternativ eigene, digitale Währungen zu lancieren. China wartet nur darauf – in der Hoffnung, den US-Dollar als Leitwährung einmal ablösen zu können.
  • Die Volatilität der digitalen Währungen ist sehr hoch. Deren Werte befinden sich seit Jahren auf einer Achterbahn. Starke Währungen sind indessen stabil. So musste auch Elon Musk das Projekt aufgeben, seine Elektroschlitten mit Bitcoins kaufen zu lassen. Auch die Globus Delicatessa, so Waldmeyers Überlegung, würde sich davor hüten, sein Tunatatar mit Bitcoins bezahlen zu lassen. Zu unsicher.
  • Jede fünfte digitale Währung streckte bereits die Waffen. Die Wahrscheinlichkeit von Totalverlusten ist nicht unerheblich.
  • Es besteht einfach zu wenig Vertrauen in die Währungen. Selbst bei Bitcoin weiss man nicht, wer tatsächlich dahintersteckt. Während Waldmeyers Konto bei der ZKB (früher bei CS) dauernd durchleuchtet wird, hat man keine Ahnung, wer bei Bitcoin das Sagen hat. Ob man etwa mal irgendwo irgendjemanden anrufen könnte?

Es wird kolportiert, dass zwei clevere Österreicher hinter Bitcoin stecken. Sie klopfen sich wohl täglich auf die Schenkel. 

  • Falls es sich um „echte“ Kryptowährungen handelt, mit end-to-end Verschlüsselung und auf der Blockchain-Technologie basierend, verbrauchen deren Transaktionssysteme heute bereits so viel Elektrizität wie ganz Spanien. Eine weltweite Ausweitung dieser Währungen (zur Kompensation bisheriger Währungen) wird damit zum Scheitern verurteilt sein.

Und nun das Fazit Waldmeyers: Eigentlich handelt es sich bei den Digitalwährungen um „Shitcoins“.

Zusammenfassend: Die Kryptowährungen – oder die digitalen Währungen generell – sind ihm nicht geheuer. Und sicher sind sie so oder so auch nicht.

Aber trotzdem, eine eigene digitale Währung zu lancieren, ist etwas anderes, das hat durchaus seinen Reiz. Denn dann sind die Risiken ausgelagert. Also was soll das Lamentieren über digitale Währungen, wenn man – proaktiv – selbst eine schaffen und von der Gier oder der etwas vernebelten Zukunftsvision Dritter profitieren könnte!

Waldmeyer beschloss, das Projekt nun nicht nur auf dem Stand einer lustigen Idee zu belassen, sondern tatsächlich eine eigene digitale Währung zu lancieren. Kein Shitcoin, sondern etwas Beständiges: Den „Waldmeyer“.

Zu Beginn sollte ein „Waldmeyer“ einem Franken entsprechen. Nachher würde er natürlich viel teurer werden. Und einen „Waldmeyer“ würde er in Hundert „Rohnerli“ unterteilen. Ein „Rohnerli“ ist also nicht viel wert. Dies quasi als Hommage an den früheren CS-Präsidenten, welcher in seinem Unvermögen und seiner Ignoranz den Wert der CS-Aktie über Jahre quasi vernichtet hatte.

„Und wer soll denn „Waldmeyer“ kaufen?“, fragte Charlotte. 

„Nun, jeder, der rasch viel Geld verdienen möchte“, antwortete Waldmeyer. „Zum Beispiel ganz normale Leute, die eben auch ins Casino in Baden gehen. Es sind wohl einfach Spieler.“

„Oder komische Leute, die CS-Aktien gekauft hatten“, warf Charlotte ein. Etwas betreten senkte Waldmeyer den Blick und antwortete nicht.

Waldmeyer und die Menstruation

In Europa herrscht Krieg, die Inflation klopft an die Türe, es drohen Energieengpässe, das Klima muss gerettet werden, und unsere Behörden versenken den Schweizer Finanzplatz. Inmitten dieses Sturms gibt es glücklicherweise besonnene Politiker, welche sich um Menstruationsprobleme kümmern.

Die Stadtparlamente in den grösseren Schweizer Städten nehmen sich immer wieder den ganz grossen Problemen an. So auch in Zürich. Es behandelte jüngst die Menstruationskosten. Hintergrund der Debatte war einmal mehr die Gleichstellung der Geschlechter. SP und Grüne forderten nichts weniger als Gratis-Tampons und Binden für Frauen. Gendergerecht wurde allerdings nicht von „Frauen“ gesprochen, sondern von „menstruierenden Personen“. Diese erfahren eine wirklich ungerechte Benachteiligung, da sie während ihres gesamten menstruierenden Lebens offenbar rund 2‘200 Franken für Hygieneartikel ausgeben müssen. Diese sollten in Zürich künftig nun gratis abgegeben werden.

Waldmeyer dachte sofort an einen alternativen Vorstoss für eine Gratisabgabe von Rasierklingen an Männer. Allerdings müsste der Kreis der Begünstigten korrekter definiert werden. Transpersonen zumindest müssten ebenso profitieren können. Oder allgemein einfach Personen, welche eine Haarentfernung wünschen – wobei wir hier wieder bei einer schwierigen, geschlechterübergreifenden Definition landen würden. „Haarentfernungsträchtige Personen“? 

Waldmeyer verwarf die Idee und überlegte weiter, was mit Zürich jetzt passieren wird: Ob nun wohl ein reger Menstruations-Tourismus in die Stadt einsetzen wird …?

Die Menstruationsdebatte kommt nicht von ungefähr. Kürzlich gab ein Vorstoss zu reden, welcher die Sprechdauer von Männern und Frauen kontrollieren sollte. Es bestand die verstörende Vorstellung, dass Männer im Gemeinderat länger sprechen könnten als Frauen. Nur schon aufgrund des Frauenanteils von 39% lag das zwar auf der Hand – aber offenbar strebte man eine gerechtere Verteilung der Voten mit 50/50 an. Dabei ging offenbar ganz vergessen, wie der Sprechanteil der LGBTQ-Fraktion garantiert werden sollte. Auch könnten Gemeinderäte mit Migrationshintergrund benachteiligt sein – man müsste dieser Gruppe konsequenterweise ebenso die ihnen zustehende Sprechquote sichern. Oder gewissen Berufsgruppen. Oder eben auch menstruierenden Personen. Waldmeyer stellte fest: Es wird noch ein langer Weg sein, bis alle Gesellschaftsgruppen gerecht berücksichtigt werden.

Und noch etwas verwirrte Waldmeyer: Die Eingabe im Gemeinderat, dass für Zürcher Hallenbäder künftig eine genderneutrale Badebekleidungsordnung gelten soll. Übersetzt bedeutet dies, dass Frauen auch oben ohne schwimmen dürfen. Allerdings nicht nur Frauen, sondern, wie es gendergerecht formuliert wurde, „Menschen mit einer weiblich gelesenen Brust“.

Aber zurück zur Menstruation. Wie so oft, lohnt sich ein Blick ins Ausland. Nach Schottland beispielsweise. Hier müssen per Gesetz seit 2021 Hygieneartikel für Frauen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz wurde als „Leuchtfeuer zum Wohle der Menschheit“ bezeichnet. Allerdings: Das mit der genauen Definition der „Frauen“ ging etwas verloren. Das war aber auch erst 2021. Im Jahr 2023 ist man da weiter, zumindest bereits in Zürich, denn die richtige Bezeichnung für die Verwender*innen von solchen Hygieneartikeln ist nicht „Frauen“, sondern „menstruierende Personen“. In Neuseeland und Kenia werden die inkriminierten Hygieneartikel an Schulen gratis verteilt. Waldmeyer nahm sich vor, der Sache nicht weiter nachzugehen.

Das delikate Thema darf indessen nicht auf diese Gratisabgaben reduziert werden. Es geht selbstredend auch um freie Menstruationstage. In Spanien dürfen Frauen deshalb einfach zuhause bleiben. Sie bestimmen mehr oder weniger selbst, wie lange eine Menstruation dauert. Das neue Gesetz war ein willkommenes Zückerchen der sozialistischen Regierung für die Frauen – damit sie die künftigen Stimmzettel auch „richtig“ auszufüllen wissen.

Der aktuelle politische Menstruations-Vorstoss in der Schweiz liegt also durchaus nicht quer in der Landschaft. In den grossen Schweizer Städten – mit der Speerspitze Zürich – sehen weitere Vorstösse künftig freie Periodentage vor.  Ein bis fünf Tage sollen künftig pro Monat als Freitage bei Periodenschmerzen gelten. In Zürich soll dies zumindest für städtische Angestellte gelten, finden zwei grüne Protagonistinnen im Gemeinderat. Das leuchtete Waldmeyer ein: Städtische Angestellt_innen leiden offenbar überdurchschnittlich stark während ihren Tagen.

Waldmeyer machte sich nun Sorgen: Bei all diesen Vorstössen könnten nicht-binäre Personen vergessen gehen. Doch auch daran hatten die Zürcher Grünen gedacht, denn laut ihrem Vorstoss kommen die freien Tage auch „binären und Trans-Personen“ zugute. Waldmeyer atmete auf: Ja, so sieht Gerechtigkeit aus!

Max Waldmeyer, Meisterschwanden, überlegte also, was wäre, wenn er sich jetzt plötzlich als nicht-binär erklären würde. Er könnte damit alle Vorteile von Mann und Frau vereinen. 

Charlotte unterbrach jäh Waldmeyers singuläres Brainstorming: „Max, wolltest du dieses Wochenende nicht die Garage aufräumen…?“

„Das geht nicht, Schatz, ich habe meine Tage“, antwortete Waldmeyer. „Es sind nur Phantomschmerzen, aber ich muss nun mal etwas aussetzen.“

Waldmeyer und das Pensionsalter 75

Wir werden immer älter, und die Kasse der staatlichen Altersversicherung wird immer leerer. Seit Dezennien wird nach Lösungen gerungen, aber keine passt. Waldmeyer beschloss, eine offene Auslegeordnung mit allen Optionen zu erstellen. Er machte insgesamt sieben Lösungen aus.

Um es gleich vorwegzunehmen: Fast alle Lösungen sind gar nicht sozialverträglich. Zum Beispiel die Option Nummer eins, die AHV-Einzahlungen substanziell zu erhöhen. Wer möchte das schon? Der Bürger? Die Firmen?

Aber alles der Reihe nach.

Seit 1948 liegt das AHV-Alter bei 65 Jahren. Damals betrug die Lebenserwartung der Männer 66 Jahre, das der Frauen 71, im Schnitt knapp 69. Heute liegen die entsprechenden Werte bei 82, bzw. 86 Jahren, im Schnitt bei 84.

Insbesondere die Männer waren 1948 also, AHV-technisch gesehen, sehr günstig, denn durchschnittlich traten sie bereits nach einem guten Jahr Pension ab. Heute erst nach 17 teuren AHV-Jahren (Frauen nach 21, im Schnitt sind es 19 Jahre). Die Restlebenserwartung hat sich also fast verfünffacht!

Wenn Waldmeyer nun todesfrei die 65er-Hürde schafft, beträgt seine statistische Lebenserwartung sogar fast 20 Jahre. Waldmeyer nahm sich vor, diesen Wert zu übertreffen, schliesslich hatte er noch einiges vor. Charlotte meinte nur, dass er damit das ganze Problem noch zusätzlich verschärfe. Man solle vielleicht mal einen Blick ins Ausland werfen, wie die denn das Problem so lösen.

Stimmt. Beispielsweise Russland. Die Russen sind nämlich sehr vernünftig: Die Frauen werden 76, die Männer nur 65. In Sibirien gar nur 58. Kriminalität und Suff raffen sie einfach früher dahin. Der Blutzoll in der Ukraine wird das Durchschnittsalter der russischen Männer nun noch weiter senken – mit dem Vorteil eben, dass sie später dann nicht mehr durchgefüttert werden müssen.

Diese zweite Option allerdings, nämlich die Lebenserwartung generell zu senken, entfiel selbstredend ebenso.

Damit müsste die nächste Option geprüft werden, die Senkung der Renten. Waldmeyer war indessen sofort klar: Ein politisch unmögliches Unterfangen.

Nun also zur vierten Option: mehr Kinder kriegen. Mehr Kinder verbessern das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Beitragsnehmern. Eine patente Lösung. Aber, aus staatlicher Sicht, schwierig durchzusetzen. Der Prozess wäre auch zu langsam. Lösung müssen jetzt her.

Damit zur fünften Option: Mehr Einwanderung zulassen. Als Alternative einfach zur Option vier. Aber: Wer möchte sich heute noch die Finger verbrennen an diesem Thema?

Waldmeyer steuerte also die Option sechs an, die mehr oder weniger logischste: Erhöhung des Rentenalters.Sicher sollte man zuallererst mit diesen schädlichen Frühpensionierungen aufhören. Und die freiwillige Weiterarbeit nach 65 sollte attraktiver gestaltet werden. Diese Leute weisen nämlich den Vorteil auf, dass man sie gar nicht erst teuer ausbilden muss. Ein frühzeitiger Rückzug aus dem Erwerbsleben kommt einer grossen Verschwendung gleich. Wieso erhalten diese älteren Semester, gerade die Fachkräfte, nicht die doppelte AHV für die geleisteten Überjahre? Sie bezahlen ja auch noch weiter ein, ohne je davon zu profitieren. Die AHV wird so zur Steuer. Waldmeyer ist überzeugt, dass mit einem Systemwechsel der Return on Investment (mit zusätzlichen Steuererträgen beispielsweise und einer Verminderung des Fachkräftemangels) ganz interessant wäre. Der Staat sollte das mal durchrechnen. Oder die „Manager“ des Staates. In diesem Fall wäre Herr Berset betroffen – aber unser Bundesrat ist wohl immer noch mit dem Ausmisten im Bundesamt für Gesundheit beschäftigt, mit dem Entfernen der letzten Faxgeräte, beispielsweise.

Ja, wir müssen künftig wohl einfach ein paar Jahre länger arbeiten. So viele Ukrainer können wir nämlich gar nicht ins Land lassen, um die Pensionen der Alten zu finanzieren.

Wie meinte doch Charlotte: Man sollte einfach ins Ausland schauen und dort allfällige intelligente Lösungen abkupfern. Oder abschreckende Beispiele anschauen, um es dann gerade nicht so zu machen. Zum Beispiel wie die Franzosen, wo nicht einmal eine Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre mehrheitsfähig ist. Die Misere begann allerdings schon viel früher, so etwa als Präsident Mitterand 1982 das Rentenalter von 65 auf 60 Jahre senkte, eine Uraltforderung der Arbeiterschaft. Im Jahre 2000 folgte dann die 35-Stunden-Woche. Beide Massnahmen strapazieren die Staatskasse noch heute. Ein Lokomotivführer darf mit 52 in Rente, ein Zugbegleiter immerhin mit 57. Bei der französischen Bahn gibt es dann eine satte Rente, welche fast dem doppelten der Durchschnittsrente entspricht. Und weil bei der Berechnung der Rentenhöhe die letzten sechs Monate zählen, werden aus lauter Gefälligkeit für diese Periode noch allerlei Lohnerhöhungen und Beförderungen ausgesprochen. Frankreich ist also ein abschreckendes Beispiel, wie man es genau nicht machen sollte. 

Also zu den positiven Beispielen: Die Neuseeländer etwa kennen schon länger ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren, die Japaner gar von 67.5 Jahren. Die Dänen beschlossen, klugerweise bereits 1956, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu knüpfen. Heute liegt das Pensionsalter in Dänemark bei 67 Jahren, 2040 vermutlich bei 70. Waldmeyer extrapolierte kurz: Im Jahre 2051 könnte es, bei weiter steigernder Lebenserwartung, gar bei 75 Jahren liegen. Vielleicht doch nicht eine so gute Aussicht?

Es bliebe nun noch die Option Nummer sieben, die ganz persönliche Option, nämlich das Auswandern. Es wäre sozusagen die Nuklearoption – allerdings hätte sie Waldmeyer schon viel früher wahrnehmen sollen. Einfach ein Land wählen mit einer sehr attraktiven Pensionsform. Saudi-Arabien könnte einer genaueren Prüfung unterzogen werden, hier wird man bereits mit 47 pensioniert. Allerdings ohne Alkohol.

Waldmeyer hätte auch Kampfpilot in der deutschen Bundeswehr werden können. Pension mit 40! Zusätzlich finanziert der Staat anschliessend noch ein Studium. Aber Waldmeyer legte den Plan wieder auf die Seite, er ist nicht ganz schwindelfrei.

Also warf er nochmals einen Blick nach Frankreich. Heureka! Waldmeyer hätte Tänzer werden sollen an der Pariser Oper. Pension mit 42!

„Charlotte, wärst du mit mir, damals, nach Paris gezogen …?“

Keine Waldmeyer-Glosse verpassen!

Ich melde mich für den Newsletter an und erhalte alle zwei Wochen per Email eine kurze Info.

Sie haben sich erfolgreich angemeldet

There was an error while trying to send your request. Please try again.

TRUE ECONOMICS will use the information you provide on this form to be in touch with you and to provide updates and marketing.