Waldmeyer und das Ende der Wokeness

Waldmeyer hat überhaupt kein Problem mit Gleichstellungen. Oder Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Ausser, beispielsweise, mit militanten Feminist:innen. Aber vielleicht ist der Trend schon wieder am Abklingen?

 

Hatte vielleicht Ex-Bundesrat Berset an der Street Parade letzten Jahres tatsächlich geholfen, das Ende der Bewegung einzuläuten? Könnte diese spätestens schon dann den Marketingtod gestorben sein? Alain Bersets Auftritt war dermassen inklusiv, dass es schon peinlich war. Wenn ein Chefminister da mitmacht, so könnte man meinen, sind eigentlich schon alle Ziele einer Bewegung erreicht. Kein Wunder, war auch die Teilnehmerzahl an der diesjährigen Zurich Pride deutlich geringer.

Der Wokeness-Bewegung ergeht es wie den Gewerkschaften

Es ist wie bei den Gewerkschaften: Wofür kämpfen die eigentlich noch in der Schweiz? Alle wichtigen Ziele der «Arbeiterschaft», falls es eine solche heute überhaupt noch gibt, sind in unserem Land erreicht worden. Natürlich kann man noch für eine 35-Stunden-Woche kämpfen, für 100% Homeoffice für alle oder für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber die wichtigen Meilensteine der «Arbeitenden» sind wohl erreicht. Also konzentriert man sich auf neue Themen, so auf den Ausbau der AHV, die Verbilligung von Krankenkassenprämien und anderes. Kostenpunkt: jeweils Milliarden.

Jetzt geht es weiter mit Finetuning

So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass ein Angestellter einer deutschen Firma, welcher in Basel ein Fenster einsetzt, am selben Arbeitstag auch den Schweizer Tagesspesen-Ansatz erhält – und nicht den deutschen. Andernfalls wird, so in den Augen der Gewerkschaft Unia beispielsweise, «der Markt verzerrt». Also wird man notfalls unseren neuen Vertrag mit der EU bodigen.

Waldmeyer hat in seinem Berufsleben erkannt, dass der Markt meistens dann verzerrt wird, wenn er nicht spielen darf. Wenn der Staat mittels Mikromanagement an den Stellschrauben dreht. Solche Minithemen werden von unseren Gewerkschaften als letzte Strohhalme bewirtschaftet. Und sie sind eben dermassen wichtig, dass sie damit sogar ein Schweizer EU-Abkommen opfern würden.

Das Ablaufdatum ist gesetzt

Die Gewerkschaften haben also ein Ablaufdatum. Und so ist es auch bei der Wokeness: Das «Aufwachen» und die «Awareness», dass es noch andere Ansichten, Gesellschaftsformen und Genderformen gibt, sind ja bei uns angekommen. Sogar bei Waldmeyer. Und wenn es bei Waldmeyer angekommen ist, letztlich zwar ein aufmerksamer, aber doch eher bürgerlicher Beobachter des Geschehens, dann sollte der Fall eigentlich erledigt sein.

Aber es geht natürlich um mehr: Wokeness ist Opposition. Es hat ein Eigenleben, welches in der Aussenwirkung als cool wahrgenommen werden soll. Allerdings verselbständigt es sich nun, insbesondere bei Behörden, fundamentalistischen Parteien, Politikern etc.

 

Waldmeyer pflegt seine eigene Opposition

Waldmeyer hat inzwischen seine eigene Opposition entwickelt: Er wird sich beispielsweise kein Lastenrad zulegen. Er wird sein Geschlecht nicht ändern. Er hängt an seiner Villa in Meisterschwanden keine Regenbogen-Fahne auf. Er wird seinen künftigen Enkeln aus einem Winnetou-Band vorlesen. Alles wichtige Einzelentscheide.

Und Waldmeyer geht weiter: Er liest zum Beispiel Zeitungsartikel nicht zu Ende, sobald eine dieser dämlich inklusiven Schrift:formen auftritt. Und er bricht die Lektüre eines Artikels blitzartig ab, wenn anstelle der allgemeinen Form nur die feminine Form verwendet wird. Wenn eine fundamental-feministische Journalistin nur die weibliche Form (z.B. «Pilotinnen») stellvertretend für alle Piloten (gemeint sind offenbar PilotInnen) verwendet, ist das Mass für ihn jeweils voll. In solchen Fällen liest Waldmeyer den Satz nochmals durch, ob er vielleicht etwas falsch verstanden hat. Anschliessend überprüft er den Kontext nochmals. Dann kontrolliert er, wer den Artikel verbrochen hat. Ist der Name des Journalisten (der Journalistin) feminin, ist der Fall klar. Ein kurzer Wikipedia-Besuch oder eine kleine Google-Recherche betreffend die Person (Person_in?) bringt es i.d.R. an den Tag: Diese Person (wieso eigentlich nicht der oder dasPerson?) steht oft vermurkst in der gesellschaftspolitischen Landschaft. Nein, Waldmeyer macht da nicht mit, bei dieser Geschlechtsumwandlung der deutschen Sprache.

Die inklusive Schreibweise ist total verkrampft

Die inklusive Schreibweise ist natürlich nur der Ausdruck eines verkrampften inklusiven Verhaltens – welches in der Regel vollkommen inkonsequent ist. Wieso spricht denn niemand von «Mörderinnen», wenn es allgemein um Mörder geht? Oder zumindest von «Mörder:innen» oder ähnlich. Oder – das wäre das Minimum – von «Mörderinnen und Mördern». Waldmeyer findet es schon auffällig und ungerecht, dass gerade negativ besetzte Berufe, so eben jener des Mörders, auch jener des Einbrechers oder des Terroristen, vorab nur in der männlichen Form erscheinen. Waldmeyer findet es zudem schade, dass bei der Form des Binnen-I (so bei PilotInnen) mitten im Wort bei dessen Aussprache nicht nur kurz innegehalten wird, sondern dass auf den Knacklaut, welcher ursprünglich angedacht war, verzichtet wird. (Ja, die feministisch maximal durchtränkte Sprachwissenschaftlerin Louise Pusch hatte 1985 einen solchen Knacklaut, just bei der Artikulierung des Binnen-Is, tatsächlich vorgeschlagen.)

Wokeness mangels echter Probleme?

Die Bewegung der Wokeness konnte sich wohl nur etablieren, weil die ganz grossen Probleme der Gesellschaft offenbar gelöst sind? Oder liegen diese nur zu weit weg? Oder können sie gar nicht gelöst werden? Oder werden sie nicht verstanden? Waldmeyer denkt an die Fragen der Entwicklung des weltweiten Klimas, an die geopolitischen Veränderungen, an die ungelösten Energiefragen. Es geht dabei nicht einmal um die Dürre in der Sahelzone – denn davon sind wir nicht unmittelbar betroffen. Aber selbst, wenn wir uns nur auf nahe Probleme in unserer Gesellschaft konzentrieren, stellen wir fest, dass diese alles andere als gelöst sind. Zum Beispiel das Damoklesschwert der Demografie-Entwicklung: Wir werden immer älter, die Altersversorgung kann nicht mehr finanziert werden, die Gesundheitskosten laufen aus dem Ruder etc.

Die Wölfe sind wichtiger

Diese echten Probleme sind offenbar viel zu kompliziert. Die Wohlstandsfalle gebietet es nämlich, dass wir, möglichst von der sozialen Hängematte aus, uns um nahe Probleme kümmern. Es geht also um die Diskussion um Wolfsabschüsse (doch, doch, auch dies ist Wokeness, denn die Biodiversität, das Recht auf Leben für alle usw. müssen in die woke Denke einbezogen werden). Es geht auch darum, dass in gewissen Schweizer Städten die Behörden den Bau von drei Toiletten für die Kindergartenstufe vorschreiben (männlich, weiblich, divers). Natürlich ist es den Fünf- und Sechsjährigen sch…egal, auf welchen Topf sie gehen. Aber den verqueren Behördenvertretern, zumeist noch nie gestählt in der normalen Welt draussen und seit je am Tropf des Staates hängend, ist es wichtig, den Kleinen schon frühzeitig zu suggerieren, dass sie vielleicht ein Problem mit dem eigenen Geschlecht haben könnten.

Hafermilch ist auch woke

Tempo 30-Zonen müssen errichtet werden, um die Luftsäule über der entsprechenden Strasse zu retten (und damit das Weltklima), Verkehr und Energie müssen auf Teufel komm raus auf elektrisch umgestellt werden, obwohl die saubere Energie dazu gar nicht vorhanden ist, Themen der «kulturellen Aneignung» bewegen uns enorm (Winnetou geht nicht mehr, auch Dreadlocks sollten wir nicht tragen usw.). Zum Wokesein gehört auch die bedingungslose Unterstützung der palästinensischen Bewegung. Vegansein (oder zumindest ein vegetarisches Leben) sind ebenso hilfreich für die positive Aussenwirkung eines generell woken Images. Hafermilch zum Beispiel weist einen besseren CO2-Abdruck auf als herkömmliche Milch. Deshalb ist Hafermilch heute woke.

Oder ist Wokeness doch noch nicht am Abklingen?

Aber nun scheint sich der Wind etwas zu drehen: Wir haben genug von Klimaklebern, für die offenbar bis vor kurzem andere Demokratieregeln galten. Grüne Politiker_innen werden abgewählt, und strenge pazifistische Ansichten erscheinen heute als Schimäre – angesichts weltweiter Annexions- und Terrorbedrohungen.

Aber vielleicht greift Waldmeyer da etwas vor? Ist das mit dem Abklingen der Wokeness nur ein erstes Signal und noch kein Trend? Waldmeyer blickte auf sein blinkendes iPhone mit der Textnachricht von Charlotte: «Bringst du dann noch Hafermilch mit aus dem Bioladen, Schatz?»

Waldmeyer und die Kraft des Montags

Waldmeyer mag den Montag. Das hat allerdings einen speziellen Grund, welcher sich klar abhebt von demjenigen der Gewerkschaften oder Linksparteien. Dort hat die Woche fünf Montage.

Waldmeyer steuerte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Office. Die Strasse war an diesem Montag nahezu leer. Ob wohl alle im Homeoffice sassen? Draussen, also rund um seinen schweren Achtzylinder herum, war wunderbar Frühling, die Sonne schien. Waldmeyer blinzelte und setzte seine alte Ray-Ban auf. Sein Fahrzeug verfügt noch über eine CD-Anlage, also legte er „Monday, Monday“ ein (1966). Herrlich, so ein Montag. Charlotte hatte ihn frühmorgens noch daran erinnert, dass heute eigentlich Pfingstmontag sei, aber er wollte gar nicht erst hinhören.

Warum sollte ein Montag schlecht sein?

Waldmeyer begriff nicht, was an einem Montag denn schlecht sein sollte. In den Augen der Gewerkschaften, beispielsweise, ist ein Montag ein grottenschlechter Tag, weil der Montag Arbeit bedeutet, und Arbeit bedeutet Ausbeutung. Vor allem im Übergang vom wohlverdienten Sonntag zum Montag entsteht so ein besonders schlechtes Gefühl. In der kognitiven Wahrnehmung der Gewerkschaften hat eine Arbeitswoche, gefühlt, nur Montage, also deren fünf – und ungerechterweise nur zwei schöne richtig freie Tage. Montage sind einfach unbeliebt. Es gibt deren zu viele und jeder einzelne Montag dauert zu lange. Noch besser sind Ferienwochen. Aber auch davon gibt es zu wenig. Wir arbeiten einfach zu viel.

Amerikaner arbeiten gut 1800 Stunden im Jahr, Schweizer etwa 1500, die Deutschen nochmals rund 200 weniger. Letztere mühen sich an mindestens zwei, bzw. fünf (echten) Montagen weniger ab als Schweizer, bzw. Amerikaner. Sie sind deshalb aber nicht glücklicher.

Der schale Montagsgeschmack

So oder so hat sich die Montagszählung verwischt, seit die westliche Welt das Homeoffice erfunden hat. Auch der Freitag hatte bisher diesen schalen Montagsgeschmack, nicht nur der echte Montag: An beiden Tagen geht man nicht gerne zur Arbeit und versucht heute deshalb, diese als Homeoffice rauszuschlagen. Homeoffice ist ja, gefühlt, wie ein halber freier Tag. Die Deutschen kennen übrigens den Freitag schon lange als ein Fake-Arbeitstag, denn um 12:00 ist i. d. R. Schluss. Somit, de facto, eigentlich am Donnerstagabend. Waldmeyer weiss von seinen Geschäftsfreunden in der Bundesrepublik, dass sich die Chefs dort besonders unbeliebt machen, wenn sie auf Freitagmorgen noch eine Teams-Sitzung anberaumen, um die überall im Homeoffice herumlungernden Mitarbeiter zusammenzutrommeln. Das stört natürlich enorm.

Deutsche sind Weltmeister im Montagverdrängen

Die Deutschen sind in der Arbeitsverdrängung also fast am weitesten. Die Reduktion der Arbeitsstunden hat dazu geführt, dass das Land immer weniger wettbewerbsfähig wurde und der Fachkräftemangel sich noch akzentuierte. Empfindungsmässig wurden so ungeliebte Montage vernichtet, eine Woche hat nun, in der teutonischen Wahrnehmung, einfach mehr Donnerstage, ein paar Mittwoche vielleicht noch, und schon ist wieder Wochenende.

Wir in der Schweiz sind noch nicht auf diesem Level. Jedoch fordern unsere Gewerkschaften mantramässig eine Reduktion der Arbeitsstunden, mehr Ferientage, mehr Mutterschafts- und Vaterschaftstage. Städtische und kantonale Verwaltungen sind als Arbeitgeber:innen deshalb besonders fortschrittlich und beliebt, deren Grosszügigkeit wird einfach auf dem Buckel der Steuerzahler abgeladen, und die Privatwirtschaft verliert als Arbeitgeberin so an Wettbewerb.

Die hohe Schule: neun Montags-freie Tage

Die jungen Grünen haben erst kürzlich, neben einem Komplettumbau von Wirtschaft und Gesellschaft, eine 24-Stunden-Woche angedacht, und echte Feministinnen fordern freie Menstruationstage. Behörden haben diese teilweise bereits eingeführt, so sind in gewissen Kantonen drei freie Mens-Tage eigentlich fix eingeplant (in der Stadt Zürich sind es gar fünf). In den Genuss kommen bekanntlich nicht nur Frauen, sondern, gendergerecht, alle «menstruierenden Personen».

Eine in der Mens zu liegen kommende optimale Arbeitswoche einer städtischen Angestellten in Fribourg beispielsweise sieht so aus: Montag und Freitag Homeoffice, Dienstag bis Donnerstag Menstruation. Die gefühlte Arbeitswoche ist also an einem Donnerstagabend zu Ende und beginnt erst wieder am Dienstag in der übernächsten Woche! Das sind neun Tage hintereinander ohne Montagsgefühl.

Wir sind auf dem besten Weg, künftig weniger Präsenz zeigen zu müssen und letztlich auch weniger zu arbeiten. Und wir schaffen den Montag ab.

Weniger arbeiten kann teuer werden

Leider verteuert sich damit unsere Wertschöpfung. Natürlich könnte man gewissen Kreisen folgen, welche darzulegen versuchen, dass ein Mensch viel produktiver ist, wenn er eine Viertagewoche hat. Numerisch geht das leider nicht auf, vor allem, wenn er dann für die vier Tage noch den vollen Lohn erhält. Wenn das mit der Steigerung der Produktivität so einfach wäre, hätten clevere Arbeitgeber schon lange auf eine Reduktion der Arbeitszeiten gedrängt. Haben sie aber nicht, denn sie wissen, dass sich die Produktivität (abgesehen von der Motivation oder dem Umfeld) nun mal darin misst, zu welchen Kosten und mit welchem Zeiteinsatz eine Leistung erbracht wird – welche sich dann zum entsprechenden Gestehungspreis auf dem Markt absetzen lässt.

Montage sind auch ein Generationenproblem

Immerhin arbeiten die Schweizer, laut Umfragen, einigermassen gerne. Bei der Generation Z ist sich Waldmeyer diesbezüglich nicht so sicher, diese Generation steht ja unter grossem Druck, offenbar leiden auch viele der Jungen an Depressionen. Also wird um schonendes Anhalten gebeten. Die noch jüngere Generation Alpha macht Waldmeyer zusätzlich Sorgen: Sie sei nur noch mit sich selbst beschäftigt, noch fragiler und kommuniziere nur noch spärlich. Oder nur noch mit dem Handy oder via soziale Medien. Da kommen also schwierige Zeiten auf uns zu. Waldmeyer hofft deshalb auf die Generation Beta, welche ab 2025 das Licht der Welt erblicken wird. Wenn sie einmal da ist, wird diese bestimmt grosse Freude an der Arbeit entwickeln, sich kaum mehr für die sozialen Medien interessieren und laufend Extra Miles erbringen. Vielleicht.

Waldmeyers Kraft des Montags

Aber zurück zu Waldmeyers Montage. Eine Woche später, nach Pfingsten und dem wunderbar ruhigen Montag im Office, hatte Waldmeyer Charlotte versprochen, am Sonntag endlich die Garage aufzuräumen. Aber er wird sein Versprechen leider nicht einhalten können, es sind ein paar wichtige Calls mit der Firma dazwischengekommen – trotz Sonntag. Und Waldmeyer freut sich schon jetzt, sich am Montag dann wieder ins Büro absetzen zu können. Da wird er den ganzen Tag kaum gestört und kann in Ruhe wichtigen Dingen nachgehen. Man würde ihn zwar nicht vermissen im Office, aber er würde das Office vermissen.

Auch Waldmeyers Woche hat manchmal fünf Montage. Aber er hat die Montage eben ganz gern.

Waldmeyer und die Sezession

«Separation» oder «Sezession» kennen wir in der Schweiz bestens: Der neu geschaffene Kanton Jura ist das beste Beispiel dafür. Nur: Darf sich jeder abspalten – oder gar einen eigenen Staat gründen? Genau das wollen die Deutschen Reichsbürger. Und nun kommen sie auch in die Schweiz!

 

Waldmeyer faszinierte dieser Hermelin-Mantel. Da lässt sich doch dieser bizarre Peter Fitzek in Deutschland einfach zum König krönen, dazu noch in dieser royalen, hermelinen Kluft!

Deutschlands «Reichsbürger» haben sich tatsächlich einiges vorgenommen, so wollen sie, ganz unbescheiden, einen eigenen Staat gründen. Aber die Organisation wird nun verboten, wegen «Staatszersetzung». Das ist ein bisschen schade, denn damit werden ein paar nützliche Denkanstösse abgewürgt. Deutschland hätte es doch verdient, sein ziemlich aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen etwas neu aufzumischen. Was spannend ist: Die Bewegung hat schon einen Anker in die Schweiz geworfen. Aber dazu später.

Könnte Korsika ein Staat sein?

Sezessionen oder Staatsgründungen sind für uns nicht neu. Es sei an die Gründung des Kantons Jura erinnert. Auch Kantonswechsel von Gemeinden gibt es regelmässig. Wir sind eben ein demokratisches Land, und Reisende sollte man ziehen lassen.

Dass die Schotten einen eigenen Staat möchten, ist auch nicht neu. Das Vorhaben wäre zudem gar nicht abwegig, sie könnten dann wieder in die EU eintreten und müssten sich über anachronistische Staatsformen (wie die Monarchie) nicht ärgern.

Das Gleiche könnte für Katalonien, das Baskenland oder die Korsen gelten. Das nennt sich dann Sezession oder Separation. Was in vielen Staaten der Welt völlig undenkbar ist, ist in westlichen Staaten zum Teil möglich, in vielen allerdings gar nicht sauber geregelt. Darf man sich abspalten? Spaniens und Frankreichs Verfassungen sehen das leider nicht vor; sie stehen damit im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne der UNO.

Was Waldmeyer nur unterstützen wird: Appenzell möchte seine Gemeinden fusionieren. Was man als Firma schon lange getan hätte, ist hier überfällig. Auch die Fusion der beiden Halbkantone wäre der Effizienz geschuldet.

Eine richtige Staatsgründung geht natürlich weiter. Wir sprechen dabei nicht von den mehr oder weniger aus Jux ausgerufenen neuen Staaten (wie zum Beispiel von «Sealand», einer verlassenen Ölplattfarm vor der Küste Grossbritanniens). Interessanter sind die ernst gemeinten, echten Staatsgründungen. Nur: Was darf man wirklich?

New Tibet?

Waldmeyer erkennt, dass in diesem völkerrechtlichen Dickicht oft kein einheitliches Urteil gefällt werden kann. Was in Sachen Separation Rumäniens von der Sowjetunion 1991 noch ziemlich klar war, würde spätestens beim Tibet nicht mehr klar sein.

Entscheidend ist die Selbstbestimmung. Wenn die Tibeter heute einen eigenen Staat ausrufen würden, hätten sie ein Recht dazu? Sie könnten sich indessen kaum auf die Vergangenheit beziehen, als sie vor rund 75 Jahren noch nicht unter der chinesischen Fuchtel waren. Seit den 50er Jahren wird das Gebiet mehr oder weniger zwangsweise von China verwaltet. Ist das in Ordnung? Darf man jetzt, nach alle den Jahren, ein Gebiet, im Sinne einer Sezession wohl, noch zurückfordern? Der Völkerrechtler würde hier ganz klar mit einem Jein antworten. Die geschichtliche Basis bringt also nichts. Aber das Selbstbestimmungsrecht der UNO könnte zum Tragen kommen. Leider dürfen die Tibeter aber nicht abstimmen. Die Katalanen auch nicht.

Wann kommt das Kalifat?

Wenn nun die deutschen Reichsbürger einen eigenen Staat ausrufen, ist das schon eher tricky. Und wenn in Berlin im Rahmen einer palästinafreundlichen Demonstration von ein paar Protagonisten ein Kalifat ausgerufen wird, geht das selbstredend nicht. Das Problem ist nur, dass der Staat dann offenbar keinen Mumm hat, einzugreifen. Hier wäre der Tatbestand der «Staatszersetzung» wohl eindeutig gegeben.

Darf Genf zu Frankreich wechseln? Oder einen eigenen Staat ausrufen?

Wenn sich Genf nun entscheiden würde, zu Frankreich zu wechseln: Dürften die das? Der Wunsch wäre vielleicht gar nicht so absurd, der Ausländeranteil im Kanton Genf beträgt 41%, zu einem guten Teil handelt es sich eh um Franzosen. Genf nennt sich ohnehin „République de Genève“. Wir würden von einer solchen Abspaltung gar nicht viel merken im Rest der Schweiz, der Genfersee würde zu einem Grossteil immer noch uns gehören, und unsere Jugend in der Deutschschweiz würde weiter auf Englisch mit den «Welschen» kommunizieren. Auch wenn Genf einen eigenen Staat ausruft, mithin nur die Konsequenz ihrer «République de Genève», würde das wohl nicht so viel ändern.

Spreitenbach als Nation?

Wenn in Spreitenbach ein eigener Staat ausgerufen würde, und zwar auf ganz demokratische Weise, würde dies vielleicht durchgehen? Der Ausländeranteil in Spreitenbach liegt bei über 50%. Es könnte hier also, ebenso ganz selbstbestimmt, ein muslimischer Ministaat entstehen. Alles wäre vorhanden, Coop, Migros, gar ein ganzes Einkaufszentrum. Es gibt auch bereits eine kleine Moschee. Die Sache mit den Grenzübergängen zur Schweiz müsste noch geklärt werden. Aber auch hier: Dürften die das?

Abtrennung von Landesteilen?

Die Westschweiz könnte eigentlich zu Frankreich gehören, das Tessin zu Italien. Dann wäre – in beiden Fällen – das Problem mit den Grenzgängern ein für alle Mal gelöst. Sollten sich diese Landesteile aufgrund einer gut legitimierten, demokratischen Bewegung entscheiden, das Land zu wechseln, und sollten sich sowohl Frankreich wie Italien nicht dagegenstemmen, so müssten wir die Leute wohl ziehen lassen. So sieht nun mal moderne demokratische Selbstbestimmung aus. Für das Oberwallis (wo bekanntlich nicht Französisch, sondern eine Art Schweizerdeutsche Geheimsprache gesprochen wird), müsste im Falle eines Landeswechsels der Westschweiz natürlich eine faire Lösung gefunden werden. Die Gebietsinsel Oberwallis würde, zumindest verkehrstechnisch gesehen, nahezu eine Art helvetische Exklave darstellen – das wäre aber nur vordergründig tragisch. Denn erstens sind die Oberwalliser ein relativ verwurzelter Menschenschlag, der sein Gebiet vielleicht gar nicht verlassen möchte, und zweitens könnten die Deutschschweizer im Norden immer noch via Lötschbergtunnel, ohne Grenzübertritte, elegant in die schönen Skigebiete einreisen. Oder sollte das Oberwallis gleich einen eigenen Staat ausrufen?

Ist Abessinien definitiv verloren für Italien?

Abessinien gehörte einst zu Italien. Ist der Gebietsanspruch Italiens nun wirklich verwirkt? Natürlich könnten die heutigen verarmten Bewohner Äthiopiens einen Antrag an Italien auf Rückabwicklung stellen. Das wäre eventuell gar nicht so dumm, denn dann würden sie zur EU gehören, viel Geld erhalten und müssten gar keine mühseligen Asylreisen unternehmen.

Und was ist mit Nordkorea? Dem Problem des eigenen Staatsrechtes hatte sich die UNO schon mal angenommen. 1977 sprach sie mit einer Resolution Klartext, indem sie einem Volk ein klares Selbstbestimmungsrecht einräumte. Das war eine Ansage, immerhin. Aber die Selbstbestimmung müsste demokratische Strukturen und nötigenfalls Hilfe von aussen voraussetzen, um sie durchsetzen zu können. Im Falle Nordkoreas würden wir dann aber wohl nicht von einer Sezession sprechen müssen, sondern von einer neuen Staatengründung, bzw. eines Umsturzes. Einer Gesamt-Sezession sozusagen.

Die Kurden müssen auch warten

Kurdistan existiert nicht, die armen Kerle haben tatsächlich keinen eigenen Staat. Die UNO-Resolution hat hier offenbar nicht gegriffen. Nun, das wäre so ein Fall, wo eine Sezession und eine eigene Staatsbildung legitim wäre. Aber es hapert wohl an der Durchsetzung, es wären zudem vier Staaten betroffen.

Waldmeyers Meinung:

  • Ja, die beiden Appenzell sollen doch zu einem eigenen «Bundesstaat» fusionieren, die einzelnen verzettelten Mini-Gemeinden könnte man sogar aufheben. Das wäre der Effizienz geschuldet.
  • Ja, eine Gemeinde soll weiter einen Kanton wechseln dürfen.
  • Ja, Genf dürfte nach Frankreich abhauen – so dies denn demokratisch umgesetzt würde.
  • Ja, das Oberwallis, immer schon ziemlich renitent, dürfte einen eigenen Staat ausrufen. Wenn ein gescheites Konzept vorgelegt würde (mit der Pflege der eigenen, wenn auch wenig verständlichen Sprache beispielsweise), so sollte das erlaubt werden.
  • Tibet: Die Zeit ist wohl abgelaufen. Es wäre ganz einfach zwecklos, hier den eigenen, verlorenen Staat wieder auszurufen.
  • Spreitenbach: Rein rechtsstaatlich wäre eine eigene Staatsgründung vielleicht möglich. Unter Umständen auch nicht falsch: Es ergäbe sich nämlich eine sehr homogene, friedliche, grösstenteils muslimische Bevölkerungsgruppe, hoch konzentriert, allerdings mit einer eigenen Grenze rundherum.
  • Äthiopien kann nicht in die EU kommen. Ausser demokratische Prozesse in Italien und in der ehemaligen afrikanischen Kolonie würden die nötigen Voraussetzungen dazu schaffen. Das südamerikanische Französisch-Guyana gehört auch zur EU, ebenso die portugiesischen Azoren. Also warum nicht.
  • Die tüchtigen Kurden hätten einen eigenen Staat verdient. Allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen, ihr Gebiet zieht sich heute vom Osten der Türkei über den Norden Syriens, Iraks und Irans.
  • Den Katalanen müsste man prinzipiell einen eigenen Staat zugestehen. Eine saubere demokratische Abstimmung mit einem nachhaltigen Plan für eine eigene Staatlichkeit wäre die Voraussetzung. Restspanien müsste das schlucken – auch wenn es die Verfassung noch nicht vorsieht. Das gleiche Problem haben die französischen Basken und Korsika: La Grande Nation verbietet eine Sezession.

Jetzt «Neue Deutsche Mark» kaufen von den Reichsbürgern!

Es ist schon bemerkenswert, was für eine bizarre Unverfrorenheit diese Gruppe der Reichsbürger umtreibt. Oder sollte ihren Anliegen, nur schon wegen der UNO-Charta von 1977, nicht trotzdem Gehör geschenkt werden? Eine Analyse Waldmeyers kommt indessen zu einem anderen Schluss: Die Reichsbürger planen erstens gar keine demokratische Ordnung und zweitens verfügen sie über keine richtige Homebase: Es fehlt ihnen ein einigermassen homogener Landstrich.

Und was nun die Pläne der Reichsbürger in der Schweiz betrifft: Sie sollen bitte in Deutschland bleiben. Bei uns gibt es für sie keine liberale Legitimation. So erfrischend die Idee auch ist – und so schön auch dieser Hermelinmantel des neuen Königs. Und so kreativ auch die Idee, schon jetzt eine neue Währung eingeführt zu haben (denn bereits kann ein Konto eröffnet werden mit «Neuer Deutscher Mark»).

Wählt Meisterschwanden die Sezession?

Da hätte es Meisterschwanden schon einfacher: Basierend auf der UNO-Charta könnte Waldmeyer, als künftiger Gemeindepräsident und aufgrund einer sauberen demokratischen Abstimmung, Autonomie ausrufen. Die Gründung eines neuen Kantons würde Waldmeyer allerdings nicht ausreichen. Er würde auf dem Gemeindegebiet einen eigenen Staat ausrufen. Die Schweizer Verfassung sähe hier keine Hindernisse vor.

Waldmeyer könnte anschliessend alle falschen Entscheide in der Gemeinde wieder rückgängig machen, mit einer neuen, eigenen Verfassung, gescheiten Gesetzen und schlanken Verordnungen. So könnte beispielsweise der ungeliebte Kreisel beim Coop unten wieder aufgelöst werden, die 30er-Zone an der Panoramastrasse ebenso, Lastenräder würden aus Sicherheitsgründen verboten, die lächerliche Gender-Toilette in der Gemeindekanzlei würde aufgelöst. Der Coop dürfte auch am Sonntag immer geöffnet bleiben. Auswärtige müssten einen Eintritt beim Zugang zum Hallwilersee bezahlen. Der Franken würde beibehalten, aber die Mehrwertsteuer würde abgeschafft (zu kompliziert). Statt gemeine progressive Einkommenssteuern würde eine faire Flattax eingeführt (die Steuererklärung hätte auf einem Bierdeckel Platz). Erbschaftssteuern entfielen komplett. Asylanten müssten arbeiten, und die AHV gäbe es leider erst mit 70 (dafür ist deren Finanzierung in trockenen Tüchern). Der Rest des Uferhügels würde zu einem hochwertigen Wohngebiet umgezont, damit reiche Deutsche künftig hier angesiedelt werden können – und ihre Steuern hier bezahlten. Selenski würde zu einem Talk an der Gemeindeversammlung eingeladen, und die Hamas würden sofort als Terrororganisation verurteilt.

Ja, Meisterschwanden würde plötzlich im geopolitischen Fokus stehen, und die Restschweiz würde vielleicht das ganze Konzept übernehmen.

Schade, wird heute nicht mehr über Sezession gesprochen.

Waldmeyer und der Fachkräftemangel im Bundesrat

Bei der Besetzung der Bundesratspositionen geht es bekanntlich nie um Kompetenzen der Kandidaten. Am Schluss landen alle in einem Departement, das sie nicht verstehen. Die Fachkräftekrise ist damit nicht neu in der Schweiz: Seit Jahren schon hat sie auch den Bundesrat erreicht.

Das neue Bundesratsfoto zeigt die acht Mitglieder. Das heisst die sieben Bunderats-Mitglieder, plus den Bundeskanzler. Waldmeyer ist der Name des neuen Bundeskanzlers entfallen. Bundeskanzler haben es in anderen Ländern einfacher: Da sind sie bekannter. Weil sie dort der Chef sind – so in Deutschland. Was sie dann allerdings nicht davon abhält, nichts zu tun. Also scheint das Schweizer Prinzip vielleicht doch besser zu sein, keinen Chef zu haben? Ja, es gibt die Bundespräsident:innen. Oder Bundespräsident*innen. Oder Bundespräsident_innen. Oder BundespräsidentInnen. (Einigen wir uns auf den inklusiven Begriff des Bundespräsidenten.) Diese wechseln, zum Erstaunen ausländischer Regierungen, jedes Jahr. Auch hier geht es dann nicht um Chefqualitäten, sondern um einen einfachen Turnus. Wer genügend lange im Club bleibt, darf zweimal ran.

 

Wir dürfen Bundesräte nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen

Wie wir wissen, müssen Bundespräsidenten nicht viel tun. Es geht bei dem Job eher um allerlei unwichtige Eröffnungen und um Reisen. Dafür gibt es auch ein bisschen mehr Spesen für ein ganzes Jahr – obwohl eigentlich schon alles bezahlt ist. Ausser der Garderobe. Frau Amherd wird deshalb anfangs Januar, vielleicht im Ausverkauf in Brig, noch kurz vor dem WEF, ihre Garderobe aufgebessert haben. Im Laufe des Jahres wird das dann nicht so ersichtlich sein, aber wir sollten ja unsere Landesvertreterinnen und –vertreter auch nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen. Sondern an den Leistungen. Waldmeyer erinnerte sich an den etwas abgestandenen Witz betreffend die Garderobe einer Ex-Bundesrätin: Was macht Ruth Dreyfuss mit ihren alten Kleidern? Ja, sie trägt sie!

Falsche Personen am falschen Ort?

Aber zurück zu den Leistungen. Nun, gerade hier liegt die Sache im Argen: Leistungsbemessungen werden schwierig, wenn die Voraussetzungen gar nicht stimmen. Wenn also die falsche Person am falschen Ort eingesetzt wird.

Die Grundvoraussetzungen für eine wählbare Person in den Bundesrat hängt bekanntlich von der Parteizugehörigkeit, dem Kanton, dem Geschlecht, der Landessprache etc. ab. Am Schluss bleibt deshalb nur noch eine vernachlässigbare Schnittmenge mit wenigen Kandidaten. Waldmeyer weiss, dass noch neue Voraussetzungen hinzukommen werden: Es müssen künftig auch verschiedene Genderformen berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass allein Facebook 60 verschiedene Formen nennt und heute (vermutlich) nur zwei davon in der Landesregierung vertreten sind, ist eine sträfliche Diskriminierung. Zumindest eine queere Variante sollten wir schon aufweisen.

Kleine Schnittmenge möglicher Kandidaten

Auch sollte der Religionshintergrund künftig besser berücksichtigt werden. Zumindest einen muslimischen Bundesrat sollte es schon geben, sonst ist diese rasch wachsende Gemeinde unterrepräsentiert.

Dass zurzeit auch in Sachen Hautfarben im Bundesrat nicht alles zum Besten steht, lässt sich schon auf dem Foto mit den Glorious Eight – oder Seven – erkennen.

Zudem müssten künftig auch diverse Invaliditätsformen besser repräsentiert werden. Auch Krankheiten psychischer Natur (nicht versteckte, die es unter Umständen heute schon gibt, sondern auch offensichtliche) sollten besser vertreten sein.

Kurzum, die Schnittmenge der Kandidaten wird immer kleiner, schlimmstenfalls würde sich dann nur noch ein einziger Kandidat eignen: Zum Beispiel eine schwarze, lesbische, muslimische, junge Mutter mit vier Kindern aus dem Kanton Glarus mit dem Parteibuch der Mitte (ex CVP). Im Idealfall wäre ihre Muttersprache zudem serbokroatisch. Bei einer anderen Wiederwahl in den Bundesrat müsste dann ein beinamputierter jüdischer SP-Vertreter aus dem Tessin mit Muttersprache Deutsch herhalten. Was wichtig ist: Man sollte sich bei der Wahl nie von den Fragen nach fachlicher Eignung oder Führungsstärke ablenken lassen.

Möglichst viele Handarbeitslehrerinnen?

Dieses Prinzip der optimierten Besetzungen, bar jeder Fachkompetenz, ist nicht neu. In Deutschland wird es seit Jahren zelebriert. Bundeskanzler Scholz verstand es zu Beginn seiner Regierungsbildung, möglichst viele Personen des Typs Handarbeitslehrerin unterzubringen. Die grosteskeste Besetzung war wohl Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin. Sie brachte ein absolutes Maximum an Nichtwissen mit für den Job. Und genauso scholzt der Bundeskanzler weiter. Sein wichtigster Minister ist der Jugendbuchautor Habeck, jetzt Wirtschafts- und Umweltminister.

Dieses Prinzip der maximal schwachen Ministerbesetzung hatte bereits Mutti Merkel erfunden. Das hat System, denn so kommt dem Prinzip der eigenen Machtfülle niemand zu nahe. Man ist mit dem Umstand schon voll absorbiert, den eigenen Job nicht hinzukriegen. Ja, jeder soll kriegen, was er am wenigsten versteht.

In der Schweiz haben wir ein anderes System, es wird nicht gescholzt. Das Prinzip beruht auf der Idee, diese komplett verquere Schnittmenge aus aussenstehenden Faktoren anzustreben, die letztlich eine ganz lustige Besetzung fördert. Gehen wir doch unsere Landesvertreter der Reihe nach kurz durch:

Viola Amherd repräsentiert das Wallis. Das sieht man schon an der Frisur (Coupe Brig-Glis), man hört es auch – oder man sieht es, wenn beim Gespräch mit deutschen Regierungsvertretern ein Dolmetscher hermuss. Sie ist ledig, was schon mal gut ist, denn vielleicht bildet sie eine der vernachlässigten Genderformen ab, hat es uns indessen noch nicht gebeichtet. Früher verfocht sie auch schon mal, als Frau, die Idee eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubs – was Waldmeyer als «inklusives» Zeichen deutete.

Viola führt die Armee. Sie ist auch für den Sport im Land verantwortlich. Zu diesem Job kam sie wie die Jungfrau zum Kind, sie hatte ja noch nie was am Hut gehabt mit Verteidigungspolitik, noch nie musste sie eine grosse Zerlegung eines Sturmgewehres vornehmen oder geopolitische Gefahren studieren, und aufgrund ihrer Optik hatte sie früher vermutlich auch nichts mit Sport zu tun (allenfalls mit Raclette-Kampfessen im Wallis). Sie ist die einzige Juristin an Bord, also könnte sie eventuell das Justizdepartement führen. Aber die Verteilung der Ämter funktioniert eben so gerade nicht in unserem Land.

 

Karin Keller-Sutter ist die bestangezogene Frau in diesem Siebner-Club. Sie trägt Akris. Sie spricht auch ein paar Sprachen, wenn auch nicht die eventuellen Landessprachen der nahen Zukunft (unter anderem vielleicht albanisch?). Sie gibt sich echt Mühe, lächelt etwas wenig, führt aber zumindest ganz leidlich. Sie hatte letztes Jahr die Finanzen übernommen. Waldmeyer weiss, dass dies vermutlich das wichtigste Fachgebiet im Bundesrat ist – also müsste eine ausgewiesene Finanzkraft dieses Departement führen. Ein Studium der Nationalökonomie, Finanz- und Rechnungswesen oder ähnlich und mehrere Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet würden da nicht schaden. Karin ist indessen ausgebildete Dolmetscherin, sie wird sich also noch während ein paar Jahren einarbeiten müssen. Kein Wunder, hatte sie an jenem Wochenende im März die CS für ein Apfel und ein Ei an die UBS verschenkt, alles andere wäre zu kompliziert gewesen.

Elisabeth Baume-Schneider ist ausgebildete Sozialhelferin, kommt aus dem Jura, hält Schwarznasenschafe, und ihr Mann ist Taxifahrer. Das muss nicht schlecht sein, denn so repräsentiert sie vermutlich die ländliche Arbeiterklasse. Ihre Besetzung mit dem Justizdepartement vor einem Jahr war indessen doch etwas vermessen. Da man sich bei Bedarf und Wechseln im Club etwas Neues aussuchen darf, hat die frühere bekennende Marxistin nun das Departement des Inneren gewählt. Waldmeyer weiss natürlich, dass das die schlechtestmögliche Besetzung sein wird, um die letzten Faxgeräte aus dem BAG zu entfernen, die Digitalisierung dort voranzutreiben, die völlig aus dem Ruder gelaufenen Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen und unsere Demografie-Probleme zu lösen. Sie ist eine grosse Anhängerin der 13. AHV-Rente, vielleicht wird sie die Refinanzierung der AHV so angehen?

Beat Jans ist der Neue. Und der Neue hat bei der Verteilung der Jobs immer die A-Karte zu ziehen. Also musste Ex-Landwirt Beat das ungeliebte Justiz- und Polizeidepartement übernehmen. Baume-Schneider, Keller-Sutter, Sommaruga: Alles Vorgängerinnen, alle relativ glücklos, zufälligerweise alles Nicht-Juristen, alle hatten sich hier die Zähne ausgebissen. Wirklich nicht zu beneiden, der Beat. Aber er strahlt immer. Und er ist Basler. Ja, das war ganz wichtig, denn jetzt waren die Basler wieder mal dran.

Unser Guy Parmelin führt das Wirtschaftsdepartement. Hier ergibt sich insofern eine positive Korrelation zwischen Beruf und Verantwortung, als er als ehemaliger Winzer bestimmt einen Link zur Gastronomie, also zur «Wirtschaft», gefunden hat. Natürlich ist er kein echter Wirtschaftsfachmann. Er versteht die Ökonomie auch nicht im Sinne des Managements einer Volkswirtschaft – sondern vielleicht eher als Önologie und im Sinne der «Ökonomie der Kräfte» betreffend sein Engagement. Aber er ist Westschweizer. Und Landwirt. Und verfügte damals über das richtige Parteibuch. Dann darf man eben auch mal Bundesrat sein.

Ignazio Cassis ist (nebst Elisabeth aus dem Jura) eigentlich die Lieblingsfigur Waldmeyers. Ignazio ist Arzt, Fachgebiet Onkologie. Er macht immer alles ein bisschen falsch, und grundsätzlich haben alle Bedauern mit ihm. Dass er das Aussendepartment führt, hat sich eben auch so ergeben. Was man ihm zugutehalten muss: Er ist absolut harmlos, denn er befindet sich, gefühlt, in einem Wachkoma. Natürlich erreicht er so auch nichts. So schaffte er es bis heute nicht, die Hamas-Schlächter als Terrororganisation zu klassifizieren. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass man den Beruf des Aussenministers nicht einfach so erlernen kann. Es gibt keine Aussenministerschule. Oder einen Master in Aussenministersein. Man muss es einfach können, meistens weil man etwas polyglott ist, die globalen Zusammenhänge versteht, über ein gutes weltumspannendes Netzwerk verfügt und im Verhandlungspoker ein Ass ist. Also nicht ein «ass» im englischen Sinne, sondern einfach ein Crack bei diesen kosmopolitischen Spielen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch das Bedauern erklären, denn Ignazio konnte das alles beim besten Willen nicht mitbringen.

Albert Rösti ist einer der Neuen. Durchs Band früher ein relativ glückloser Politiker, hat er nun vielleicht seine Rolle gefunden. Er verwaltet Energie und Umwelt. Da man die damit zusammenhängenden Probleme in unserem basisdemokratischen Land eigentlich gar nie lösen kann, kann er auch gar nichts falsch machen. Als ausgebildeter Agraringenieur hat er sich leidlich eingearbeitet in die vertrackte Materie. Die grossen Solaranlagen und die Erhöhung der Staumauern dürfen nicht gebaut werden, aber es ist wirklich nicht seine Schuld. Und wenn die Energie teurer wird, auch nicht. Er kümmert sich jetzt vor allem um die Wölfe. Beziehungsweise um deren Abschüsse. Auch da kann man eigentlich fast alles nur falsch machen, weil die Umstände etwas kompliziert sind, also fallen allfällige Misserfolge nie auf einen zurück. Vielleicht ein Traumjob?

Waldmeyer ist leider keine Fachkraft

In der Summe, so meinte Waldmeyer gegenüber Charlotte, ist eigentlich nicht nur Ignazio harmlos. Alle sind harmlos. Und alle können nichts dafür, dass sie einen Job gefasst haben, von dem sie wenig verstehen. Es ist systemimmanent. Deshalb müssen wir sie entschuldigen. Diese Leute sind nun einfach wegen der Schnittmenge da.

Nun müssen sich aber diese glorreichen Sieben mit einigen der ganz grossen Probleme unseres Landes auseinandersetzen: Der Überalterung, der Einwanderung, dem Fachkräftemangel, der sinkenden Motivation zu arbeiten (ja, wegen der Work-Life-Balance)  etc. Um solche Probleme zu lösen, braucht es Fachkräfte als Entscheidungsträger. Aber wie soll das Fachkräfteproblem im Bundesrat von Nicht-Fachkräften gelöst werden?

Charlotte meinte, einmal mehr, Waldmeyer solle sich doch zur Verfügung stellen. Aber Waldmeyer weiss: Er ist keine Fachkraft. Er ist nur Beobachter.

Waldmeyer und die helvetische Neutralität

Waldmeyer schaute entsetzt auf die Europakarte: Die Schweiz ist, verteidigungsmässig, tatsächlich eine Insel. Was wäre, wenn der Super-Gau einträfe und eine taktische Nuklearbombe über unserem Land niederginge? Wie würden wir uns verteidigen? Wären wir immer noch neutral?

 Die Schweiz ist tatsächlich eine Verteidigungsinsel. Sie ist weder in der Nato, noch profitiert sie von einer EU-Beistandspflicht. Die Schweiz ist eben neutral. Aber was würde das im Verteidigungsfall bedeuten? Waldmeyer stellte sich vor, wie wir uns in einem echten Kriegsfall wehren könnten. Ob die Neutralität, der wir de facto ja gar nicht nachleben, ausreichen würde?

Putin sucht sich ein neues Ziel aus

Waldmeyer malte sich den weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine aus. So könnte Russland auf dem Gefechtsfeld immer mehr in die Bredouille geraten, die Unterstützung der NATO-Länder zugunsten der Ukraine für Putin langsam zum Problem und die eingefrorenen russischen Vermögen für den Kriegstreiber im Kreml immer mehr zu einem Ärgernis werden. Auch würden die Sanktionen langsam so richtig greifen. Ein Befreiungsschlag müsste her.

Und dann würde Putin wahrmachen, womit er immer gedroht hat: mit einer nuklearen Attacke. Allerdings wäre er nicht so dumm, einen NATO-Staat zu bestrafen – das hätte unweigerlich, aufgrund des Artikels 5 des NATO-Beistandspaktes, eine Gegenreaktion ausgelöst. Die Alternative, nämlich ein westliches Nicht-NATO-Land zu attackieren, das jedoch in der EU ist, wäre ebenso töricht (so z.B. Österreich). Hier gilt bekanntlich die EU-Beistandspflicht. Putin würde auch nicht die unabhängigen Länder Liechtenstein oder den Vatikan angreifen, die Länder sind zu klein und es würde Kollateralschäden in den Staaten rundum geben. Putin hätte sich also von seinen Generälen, die ja alle sehr bereist sind und die Geografie in Europa bestens kennen, beraten lassen. Sie hätten ihm vermutlich einen raffinierten Doppelschlag vorgeschlagen!

Der fiese Plan des Kremlherrn

Mit einem Doppelschlag würde der Kremlherr erstens mit einer taktischen kleinen Nuklearbombe das ukrainische Lwiw (ja, das schöne Lemberg im Westen des Landes) bestrafen. Und zweitens, im Herzen Europas, einen weiteren Nuklearsprengkopf über Bern zur Explosion bringen. Die Schweiz blieb leider als einzige Option übrig, alle anderen wären von Aussenminister Lawrow und den alten Sowjetgenerälen aus politischen und taktischen Gründen verworfen worden. Zuerst stand noch Basel auf dem Plan, zumal dort bei der BIZ einiges an russischem Vermögen eingefroren ist. Aber es wäre unklug gewesen, die Bankeninfrastruktur gerade in Basel zu beschädigen. Die russischen Spione, welche in der Schweiz (aus Gründen der Neutralität) frei rumlaufen dürfen, hatten also gute taktische Vorbereitungspläne zusammengestellt. Und so verblieb tatsächlich nur ein Ziel mitten in der Schweiz: Bern.

Die taktische Nuklearbombe

Waldmeyer studierte die Wirkungen einer taktischen Nuklearwaffe. Er war etwas beruhigt, die Schäden wären nicht so wie in Hiroschima oder Nagasaki. Taktische Nuklearwaffen können relativ präzise gegen Truppenverbände, Gebäude oder allerlei Einrichtungen eingesetzt werden.

Putin würde die Aktion als «taktische Nuklearabschreckung» taxieren und den Begriff «Atombombe» tunlichst vermeiden. Die Nato wäre natürlich «not amused», wegen Lemberg. Aber die Causa Lemberg würde keinen gleichgerichteten Schlag auslösen, denn Lemberg hat nun mal nichts mit der Nato zu tun. Die Nato wäre auch «not amused» betreffend Bern. Aber sie würde auch hier stillhalten, denn es würde sich ebenso wenig um einen Bündnisfall handeln.

Für die gut 1’200 Kilometer von Kaliningrad nach Bern braucht eine russische Cruise Missile übrigens nur ein paar Minuten. Putin würde, anständigerweise, nur eine halbe Kilotonne einsetzen, der Feuerball würde aber dennoch 40 Meter Durchmesser aufweisen, und schwerste Druckschäden könnten bis 100 Meter weit reichen und alles platt machen. Die Gebiete darüber hinaus wären bis zu einem halben Kilometer mittelschwer beschädigt. Ein elektromagnetischer Impuls würde zudem im selben Umkreis alle elektronischen Geräte lahmlegen. Die Verstrahlung wäre punktuell verheerend, im weiteren Umfeld jedoch rasch abklingend.

Die Nuklearexplosion über dem BAG

Putin würde nicht das Bundeshaus Ost wählen, das ginge zu weit. Er würde ein Ziel aussuchen, das der Bevölkerung selbst ein Dorn im Auge ist, so das gut zwei Kilometer entfernte BAG, das Bundesamt für Krankheit. Er würde ausserdem einen nächtlichen Zeitpunkt wählen, so beispielweise die Neujahrsnacht. Die Gebäude des BAG wären dann eh leer, das Risiko, dass ein Beamter Überstunden leistete, würde gegen Null tendieren. Natürlich würden im BAG alle Faxgeräte kaputtgehen. Und die neue Departementsvorsteherin Elisabeth Baum-Schneider würde ihre Einführungstage wohl erst mal im Homeoffice verbringen.

Der nukleare Fallout wäre jedoch begrenzt, zumal die Neujahrsnacht relativ windstill sein könnte. Hier würde sich Putins Umsicht zeigen, nicht Basel gewählt zu haben (wegen der Grenznähe zu den NATO-Ländern Deutschland und Frankreich).

Verhaltene internationale Reaktionen

Weder die ukrainische noch die helvetische Malaise würden also einen Gegenschlag der Nato auslösen. Natürlich würde die NATO sofort in Alarmbereitschaft versetzt werden. In einzelnen Ländern würde dies allerdings wenig auslösen, so etwa in Deutschland. Verteidigungsminister Pistorius würde in der Neujahrsnacht seine Generäle eh nicht erreichen, und eigentlich gibt es in Deutschland kaum Truppen, deren Bereitschaftsgrad erhöht werden könnte.

Präsident Macron würde umgehend reagieren, er würde «cher Président Alain Berset» seine Betroffenheit aussprechen und versichern: «Je vais parler avec ce Putin.» Allerdings wäre am 1. Januar 2024 bereits Viola Amherd Bundespräsidentin. Im Ausland hat man unser merkwürdiges Rochadenprinzip noch nie durchschaut.

Amherd würde vielleicht gar nicht geweckt werden, denn es wäre Neujahr und so oder so keine Bürozeit. Sie wäre ohnehin kaum erreichbar im Wallis, hätte sie doch noch einen schweren Bauch vom Neujahrsfondue und einen ebenso schweren Kopf vom Fendant. Gegen Abend am 1. Januar würde sie vielleicht mit Jens Stoltenberg, dem NATO-Oberbefehlshaber telefonieren. Dieser würde ihr dann klaren Wein einschenken: «Look, Viola, das ist kein NATO-Fall, sorry. Du wolltest ja neutral bleiben, nicht wahr? Aber wir schicken dir ein paar Ambulanzen und wir helfen auch bei den Aufräumarbeiten, of course!»

Kanzler Scholz würde nichts sagen. Und Präsident Erdogan würde, zusammen mit Orban, zu mehr Verständnis aufrufen.

Guteidgenössische Reaktionen

Am 1. Januar hätte auch unser Arzt aus dem Tessin, Aussenminister Ignazio Cassis, noch mit dem Restalkohol des Merlots zu kämpfen, ausserdem würde er sich den Tag verwünschen, an dem er in diesem Verteilpoker der Departemente die A-Karte des Aussenministers gezogen hatte. Aber gleichzeitig wäre er froh gewesen, nicht das BAG zu führen – lag das Gebäude doch jetzt in Trümmern.

Linke und grüne Parlamentarier, ein Grossteil von ihnen tief durchtränkt mit Pazifismus, würden sofort auf «Deeskalation» plädieren. Noch wäre nicht klar, was das denn auslösen würde, aber es wäre ein Statement.

Kurz darauf würde Cassis indessen doch noch reagieren. So am 2. Januar, dann, wenn er sich in corpore mit allen Bundesräten besprochen hätte, würde er den russischen Botschafter ins Bundeshaus Ost zitieren. Er würde erst ein Alka-Seltzer und zwei Jodtabletten einwerfen und dann dem Russen deutlich mitteilen, noch mehr Russenvermögen einzuziehen, wenn das so weiterginge. Und die Eidgenossenschaft würde nicht zögern, ein paar weitere russische Chalets mit einer Verkaufssperre zu belegen.

Viola Amherd müsste in ihrer Rolle als Verteidigungsministerin zwangsläufig handeln. Sie würde eine kleine Teilmobilmachung auslösen. Noa, Waldmeyers Sohn, müsste wahrscheinlich in einer Turnhalle in Wattwil einrücken. Die weiteren Schritte würden dann besprochen werden.

Der Gesamtbundesrat würde gelegentlich, bei einer weiteren Sitzung, auf die Neutralität setzen. Eine Gegenreaktion würde zwar diskutiert. Leider indessen, ohne eine brauchbare Lösung zu finden.

Das Parlament würde zum Frieden auf der Welt aufrufen. Und unser Armeechef würde sofort die Armeereform 2033 in Angriff nehmen. Nur unser Arzt aus den Tessin würde Klartext sprechen: „Es wird Zeit, dass wir überlegen sollten, in welcher Form wir über die Interpretation der schweizerischen Neutralität nachdenken sollten.“

Die Bedrohungslagen sind nicht mehr so wie 1939

Tatsache ist, dass sich die Schweiz in einem solchen Fall unmöglich verteidigen könnte. Waldmeyer stellte fest: Wir sind zwar neutral, könnten aber in fast allen Bedrohungslagen nichts ausrichten.

Der Krieg heute ist nicht der Krieg von gestern. Waldmeyer machte in einer Auslegeordnung folgende Kriegstypen ausfindig:

  • Konventionelle Kriege (wie in der Ukraine)
  • Asymmetrische Kriege (so im Nahen Osten, Stichwort Hamas, Hizbullah, Iran)
  • Terroristische Attacken (weltweit)
  • Hybride Kriegsformen (wie in der Ostsee, Stichwort Nordstream)
  • Cyberkriege (Stichwort Russland)
  • Politische Unterminierungen (Stichwort Russland, Trolls)

Die Schweiz liebt den konventionellen Krieg – notabene nur einen der sechs Kriegstypen. Als die kaputten Panzer bei uns zur Debatte standen, die wir eigentlich verschrotten wollten, aber nicht an Dritte liefern durften, führten unsere Vertreter von Rechtsaussen eine «dringend nötige eigene Aufstockung» ins Feld. Ja, so setzen unsere Landesführer die Prioritäten.

Von allen Kriegsformen könnten wir uns also, wenn auch nur notdürftig, lediglich im Falle eines konventionellen, aber lokalen Feindkontaktes wehren. Oder sollte unsere Milizarmee bei einer grossen Cyberattacke einrücken? Fakt ist, dass wir uns gegen die meisten Bedrohungslagen nicht allein wappnen können. Wenn unsere Armee da schon nichts ausrichten könnte, ob denn die Neutralität zu einer Problemlösung führen würde? 

Wir verstecken uns hinter der Neutralität

Im ganzen Vorfeld der obigen fiktiven Nuklearattacke hätten wir uns immer hinter der Neutralität versteckt. Nur: Was vor über 80 Jahren noch ganz schlau war, als unsere direkten Nachbarstaaten sich die Köpfe einschlugen, machte in der Folge wenig Sinn. Die Welt hatte sich inzwischen komplett verändert. Die Schweiz gehört zum Westen, und allfällige Gefahren lassen sich heute relativ einfach verorten, denn sie liegen in Russland, allenfalls noch weiter östlich, und sie sind geopolitischer Natur. Unsere helvetische Strategie lässt sich aktuell irgendwo zwischen Aussitzen, Verzögerungstaktik und Verstecken ansiedeln, gegen aussen wird dabei immer ein Neutralitätsschild aufgehalten. Und es geht ganz klar um wirtschaftliche Interessen. Am Rande auch, vordergründig und ziemlich verklärt, um unsere heilige Mission als Vermittlerin. 

Die Schweiz als Friedensstifterin?

Immer wieder wird argumentiert, dass es unsere wichtige Rolle als Friedensstifterin gebietet, neutral zu bleiben. Dabei verbindet sich skurrilerweise Rechtsaussen mit Linksaussen. Und Putinversteher stehen plötzlich auf der gleichen Seite wie unverbesserliche Pazifisten.

Die Position der Schweiz als vermittelnde Friedensstifterin ist jedoch ein Mythos. Immerhin bieten wir schöne Orte zum Verhandeln, so in Genf beispielsweise, dort gibt es auch schöne Hotels. Wir sind zuweilen auch politische Briefträger – so war es im Koreakrieg, oder heute zwischen dem Iran und der USA. Wir vermitteln aber nicht, wir sind mit unseren «Guten Diensten» bestenfalls Postbote. Kein Politiker der Welt würde der Schweiz zutrauen, im Ukraine- oder Gazakonflikt zu vermitteln. Da profilieren sich heute schon eher Katar, Saudi-Arabien, die Türkei oder China. Alles im Übrigen keine neutralen Staaten und schon gar keine freiheitsbewahrenden Demokratien. Sollen wir nun tatsächlich die Neutralität so hochhalten, damit Cassis vermitteln kann? Cassis who…?

Und: Gegenüber wem sollten wir nun neutral bleiben? Auch gegenüber dem Westen, tatsächlich?

Neutralität nur aus Wirtschaftsinteressen

Die Frage müsste letztlich sein, welche Art von Neutralität uns am meisten Sicherheit bietet. De facto lassen wir uns jedoch von (kurzfristigen) Wirtschaftsinteressen leiten, welche die Neutralität als Feigenblatt verwenden. Neutralität ist bei uns Aussenpolitik, Aussenpolitik ist Interessenpolitik, und Interessenpolitik ist Wirtschaftspolitik. Waldmeyer meint: Ergo dient die Neutralität einzig den Wirtschaftsinteressen. Voilà.

Fakt ist, dass eine Diskussion betreffend Neutralität in der Schweiz fast unmöglich ist. Fakt ist aber auch, dass wir nicht mehr in Zweiten Weltkrieg sind und die Welt heute eine andere ist. Der gesamte Westen, an dessen Werte wir uns halten, wird u.a. von Russland bedroht, aber die Eidgenossenschaft hat sich immer noch nicht angepasst. Diese nasse Zündschnur ist gefährlich. Der Reduit-Gedanke überwiegt immer noch, und die Europakarte Waldmeyers wird offenbar nicht studiert.

Russland könnte sein Ziel erreichen

Das Risiko eines Atomkrieges muss realistischerweise als sehr gering eingestuft werden – es würde tatsächlich keine Gewinner geben. Der Abwurf einer taktischen Nuklearbombe durch Russland auf sorgsam ausgewählte Gebiete wäre allerdings ein gar nicht so absurdes Szenario. Lemberg würde reichen, das BAG könnte wohl noch verschont bleiben. Die Auswirkungen wären vor allem politisch fatal. Allein mit der Lemberg-Bombe würde die ganze westliche Welt in eine Schockstarre versetzt. Und sie würde in der Folge keine symmetrischen Reaktionen auslösen. Genial. Russland käme seinen Zielen näher, denn es würde sich sofort in einer komfortablen Verhandlungsposition mit der Ukraine und dem ganzen Westen befinden. Sanktionen wären vielleicht bald vom Tisch.

Und was würde die Schweiz tun – welche selbstredend, aus Neutralitätsgründen, unabhängig entscheiden würde? Sie würde sich, vielleicht, tatsächlich überlegen, ob sie nun zum Westen gehört und wie sie das mit der Neutralität künftig handhaben würde. Dieses bizarre Selbstbild eines souveränen Staates müsste sie wohl dringend vergessen.

Waldmeyer nahm sich vor, nun mit Noa nochmals zu sprechen. Nicht wegen der Neutralität. Er wollte ihn nur fragen, ob er wirklich wüsste, wo diese Turnhalle in Wattwil liegt.

Waldmeyer und die helvetische Zeitlupe (Teil I)

Waren es doch die Eidgenossen – und nicht die Spanier – die das «Mañana» erfunden hatten? Warum nur herrscht in unserer Staatsführung und auf Behördenstufe ein dermassen langsames Tempo? Waldmeyer ist verzweifelt. 

Passiert irgendetwas auf der Welt, das entschiedenes Handeln erfordert, braucht die Schweiz erst mal viel Zeit. Wenn Nachbarländer bereits Massnahmen ergriffen oder entschieden haben, wird hierzulande sofort und mit Inbrunst reagiert: Aber nur, indem erst mal Reflexion und Diskussion gefordert wird. Und in der Hoffnung, von den äusseren Einflüssen eh verschont zu bleiben, wird eingangs nichts getan. Dieses Konzept funktionierte über viele Jahre. Leider ist nun weltweit ein anderes Tempo angesagt. 

Insbesondere auf der internationalen Ebene wird die Schweiz eingeholt. Wenn es beispielsweise darum geht, eine funktionierende Taskforce für die Verfolgung russischer Korruptionsgelder zu bilden, verweisen wir in erster Linie mal auf die Zuständigkeit der Kantone. Der bei uns verantwortliche ehemalige Winzer Guy Parmelin braucht eben ein bisschen Zeit, um die Brisanz der Lage zu erkennen. Wenn es darum geht, der Taskforce der G7 beizutreten, wird erst einmal gebockt. Inhaltlich gibt es keinen Grund, hier nicht mitzumachen. Im Gegenteil, es würde unserem Ansehen dienen. Aber dieses von Rechtsaussen überzeichnete Bild der „fremden Richter“ verfängt immer wieder und dominiert unsere Entscheide. Oder eben Nicht-Entscheide. Also erst mal abwarten. Wir werden dann so oder so nachgeben müssen, einfach etwas später. 

Das war auch so mit den Sanktionen gegen Russland: Erst mal, mit dem Vorwand der „Neutralität“, nichts tun. Unser netter Onkologe aus dem Tessin, zurzeit Aussenminister der Eidgenossenschaft, meinte, er könnte sich mit Abwarten durchschummeln. Ökonomische Interessen sprachen ja für eine solche Strategie. Dann aber, nur zwei Tage später, schwoll der Druck aus dem Ausland an, und wir mussten nachgeben. Hatte man plötzlich gemerkt, dass wir zum Westen gehören? Nun, es war weniger diese Reflexion als die Erkenntnis, dass ein Abseitsstehen uns diplomatische „Grande Merde“ eingebracht hätte.

Und wie ist es denn mit den Waffenlieferungen? Ein ganz unangenehmes Thema. Also besser mal Aussitzen und schauen, wer wieviel Druck, national und international, ausübt. Waldmeyer hat zumindest erkannt: Waffen und Munition dürfen in der Schweiz zwar produziert, vor allem auch verkauft werden, indessen sollten diese Erzeugnisse möglichst nicht genutzt werden. Also Umsatz ja, aber keine Verwendung und keine Weitergabe an einen Drittstaat – auch dann nicht, wenn dieser überfallen worden ist und die ganze westliche Welt einhelliger Meinung betreffend seinem Verteidigungsrecht ist. Diese Haltung, so meint Waldmeyer, ist ein gefährlicher Cocktail aus pazifistischer Denke und falsch verstandener oder populistischer Interpretation von „Neutralität“. Inzwischen haben wir uns nach Monaten durchgerungen, ein paar brachliegende kaputte Panzer, die zu unserem grossen Erstaunen noch gar nie in der Schweiz waren, an Deutschland weiterzugeben. Nach langem internem Gezänke – aber selbstredend erst unter Druck von aussen. 

Immerhin wollten wir schon 2022 ein bisschen Medikamente an die Ukraine liefern. Swissmedic stellte eine „Prüfung der Ausfuhr“ in Aussicht, es brauche indessen 6 bis 18 Monate. Diese Behörde sollte sich schämen. Wer diese Antwort wohl gegeben hat? Ein subalterner Sachbearbeiter? Oder die Spitze? Tatsache ist: Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf. Zuständig für dieses Debakel ist unser Krankheitsdepartement, geleitet von Chef-Lavierer Alain Berset.

Waldmeyer kennt unzählige Beispiele, die unser Langsamkonzept belegen. Hier ein weiteres: Der ganze Westen, Europa und die USA haben die Hamas richtigerweise als Terrororganisation eingestuft. Die Schweizer Haltung, sich hier „neutral“ zu verhalten, ist nun über Nacht zu einem schlechten Witz verkommen. Die Meinung, das „neutrale“ Abseitsstehen der Schweiz diene dem Image unseres Landes, ist eine doch sehr merkwürdige Vorstellung. Noch merkwürdiger ist, dass der Bundesrat immer noch daran glaubt, die Schweiz so als eloquente Vermittlerin zwischen Israel und der Hamas zu positionieren. Diese Selbstüberschätzung, immer noch angeführt von unserem netten Onkologen, ist bemerkenswert. 

Einen meuchlerischen Aggressor auf die gleiche Stufe zu stellen wie einen Angreifer, ist gerade nicht neutral. Die Kunst besteht aber offenbar darin, möglichst nie Stellung zu beziehen. Aber langsam zeichnet es sich ab: Die Schweiz schadet sich damit.

Doch wenn die Schweiz unter Druck ist, handelt sie. In der Regel mit einem Ablenkungsmanöver. Die Antwort also, ob wir die Hamas nun doch als Terrororganisation einstufen sollten (oder doch besser als NGO?) wird deshalb zurzeit „geprüft“. Der Term „Prüfen“ ist sehr beliebt in unserem Land. Damit signalisieren wir, dass wir das Problem erkannt haben und daran arbeiten. So gewinnt man wunderbar Zeit und muss trotzdem nicht entscheiden. Steigt der Druck, wird – mit vorgetäuschtem Führungsanspruch – sofort eine Kommission ins Leben gerufen. Kommissionen brauchen Zeit, deren Output liegt dann bestenfalls vor, wenn sich das Problem bereits von selbst erledigt hat. Andernfalls gibt man die heisse Kartoffel ans Parlament weiter. Ja, raffiniert, dieses Verzögerungskonzept. Aber letztlich weder der Sache, noch unserem Image dienlich. 

Inzwischen hat allerdings unser neuer Bundesrat, Albert Rösti, reagiert. Die ganze internationale Gemeinschaft hatte auf sein Statement gewartet. Und es kam – halleluja. Albert Rösti verurteilte die Gewalt in diesem Konflikt. Ja, er war klar dagegen! Ein Raunen ging durch die internationale Medienwelt. Breaking News: Switzerland against violence! Was darauf folgte in der Schweiz, betreffend Reaktionen oder Handlungen, löste ebenso ein diplomatisches Erdbeben aus: Es geschah nämlich nichts. Die ganze Welt wird jetzt auf die Schweiz schauen. Wow. Der Bundesrat bekennt Farbe!

In unserem Parlament gibt es einige offene Hamas-Unterstützer. Da scheinen sich ein paar irrlichternde Politiker in einer obskuren Parallelwelt zu bewegen. Zu ihrer Entschuldigung möchte Waldmeyer allerdings anführen, dass sie in der Regel eh schon alle am Trog des Staates hängen und die Welt draussen – auch die reale Arbeitswelt – oft noch nie gesehen haben. Sie wollen sie auch nicht sehen, denn das würde ihr surreales Weltbild beschädigen. Ihre Einbringungen lähmen indessen unsere Entscheidungen im Staat. Sie verlangsamen sie eben, sie befeuern quasi unser Zeitlupenkonzept. Sie tragen dazu bei, dass wir nicht entschlossen handeln können.

Seit 1985 wird mit der EU über einen gescheiten Vertrag verhandelt, der festlegen sollte, wie wir uns unter Nachbarn organisieren könnten. 1991 wurde der EWR-Vertrag unterschrieben, anschliessend aber gleich wieder versenkt. Die Nachteile eines quasi vertragslosen Zustandes werden nun langsam lästig, Abkommen in Sachen Forschung, Bildung oder Energie fehlen. Natürlich werden wir deshalb irgendwann einlenken – der Grad der Nachteile ist im Moment allerdings noch zu wenig ausgeprägt. Also wird bis auf weiteres alles verschoben.

Waldmeyer fand gleich noch ein weiteres Beispiel für robustes und entschlossenes eidgenössisches Handeln: Seit Monaten ist bekannt, dass es in der Schweiz nachweislich 80 russische Spione gibt. Ein guter Teil der in Europa akkreditierten Diplomaten, die nachweislich klandestin für Putins Reich arbeiten, schätzen den Standort Schweiz. Da wird man in Ruhe gelassen. Und was tut unsere Regierung? Nichts. Natürlich befürchtet sie Gegenmassnahmen, vielleicht sogar wirtschaftlicher Natur – das wäre das Schlimmste.

Sanktionen gegen China? Nein, das soll die EU machen. Das ist soweit in Ordnung, wir sind ja ein souveräner Staat. Aber: Bringt uns das wirklich weiter? Geht es etwa um das zweifelhafte Freihandelsabkommen, das wir mit China abschliessen konnten? Dieses stellte so etwas wie einen Nebenarm der Belt and Road Initiative unseres grossen gelben Mannes dar, Meister Xi Jinping. 

Waldmeyer fragt sich also: Ist unsere Demokratie ein Auslaufmodell? Nein, die Führung ist einfach schwach. Die Verhandlungsführungen, auch die Führung der Departemente, die kommunikative Führung des Landes ebenso. Waldmeyer gibt dem Bundesrat die Note 3.5. Also ungenügend.

Da sind die grünen und linken Politiker schon schneller. Im Sinne eines Mikromanagements wird die Welt gerettet. Sie beschränken sich oft auf die Schweiz, glücklicherweise. (Waldmeyer wird sich in einer späteren Reflexion betreffend die Zeitlupe in Sachen nationaler Entscheidungen äussern.)            

Die Welt draussen könnte untergehen, und wir hätten immer noch den Glauben daran, dass es uns nicht betreffen würde. Wie meinte doch Waldmeyers Korporal in der Rekrutenschule: „Numme nid gsprängt!“ 

Es ist historisch verbrieft, dass es die Spanier waren, welche das Mañana erfunden hatten. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht hatten die Spanier dieses praktische Langsamkonzept einfach bei den Eidgenossen abgekupfert? 

Waldmeyer übernimmt Land auf dem Mars

Die Wohnungsnot in der Schweiz ist mit Händen zu greifen. Die Politik verspricht dauernd Abhilfe, aber es geschieht nichts. Und die Nachfrage wird laufend grösser: Der persönliche Bedarf an Wohnfläche steigt und die Bevölkerung wächst. Waldmeyer entwickelt innovative Ideen. 

Politiker linker und grüner Couleur versuchen Abhilfe gegen die Wohnungsnot zu leisten, indem sie noch mehr Vorschriften oder Eingriffe in den Markt propagieren. Damit geht der Schuss in der Regel gegen hinten los. Oder sie schlagen vermehrt sozialen Wohnungsbau vor, der dann allerdings gar nie gebaut wird. Bürgerliche Politiker andererseits scheinen das Problem einfach zu meiden. Oder Rechtsaussen-Vertreter poltern gegen eine 10-Millionen-Schweiz und meinen, in naiv-populistischer Manier, mittels einem Einwanderungsstopp das Problem lösen zu können. 

Angesichts dieser Wohnungsmalaise erscheinen die Metaverse-Ideen da geradezu erfrischend. Ja, warum denn über zu wenig Wohnraum lamentieren, wenn es diesen à discrétion in der virtuellen Welt gibt!

Tatsächlich boomt der Markt mit virtuellen Immobilien. Diese Metaversen haben Namen wie „The Sandbox“ „Second Live“ oder „Decentraland“. Private und Firmen haben schon Milliarden in Boden und Immobilien investiert. Viele dieser Projekt kann man mit gut aufgemachten Renderings „besuchen“. Es werden ganze Lifestyle-Modelle entwickelt, mit Freizeitmöglichkeiten, Shoppingcentern und Einkaufsstrassen. Louis Vuitton soll sich kürzlich in einem Laden in „Axie Infinity“ eingemietet haben, und Adidas hat sogar eine aktive Partnerschaft mit The Sandbox bekanntgegeben.

Schön an den virtuellen Immobilien ist, dass man diese nicht real liefern muss. Die Nagelprobe erfolgt somit gar nie, es bleibt eben immer bei der Kunstimmobilie. Für den Immobilienentwickler ganz angenehm – Mängelrügen zum Beispiel sind damit zum Vornherein ausgeschlossen. Und noch ein Vorteil von virtuellem Land: Eine CS-Aktie kann den Wert verlieren oder eine sozialistische Landreform kann eine individuelle Investition pulverisieren; ein Metaverse indessen bleibt – weil es gar nichts Reelles zum Vernichten gibt.

Waldmeyer hatte sich schon über Elon Musk mokiert: Der geniale, aber etwas irre Unternehmer möchte ja unbedingt den Mars bevölkern. Das Vorhaben wird natürlich noch eine Weile dauern – deshalb besteht auch hier kaum je das Risiko der Nagelprobe. 

Interessant fände Waldmeyer nun, bereits jetzt schon Land zu sichern auf dem Mars. Es müsste ja nur ein kleiner, virtueller Abschnitt sein. Dieser lässt sich dann in einer Metawelt – da ja nie geliefert werden muss – elegant entwickeln. Wie wir gesehen haben, ist die Qualität dieser virtuellen Immobilien entscheidend, sie bestimmt den Preis. Die Gestaltung der Landschaft, die Verkehrsverbindungen, das ganze Umfeld, die Nachbarn und vieles mehr definieren den Wert dieses virtuellen Besitzes. Es lag also auf der Hand, etwas auf dem Meta-Mars abzubilden, dass bereits zu Beginn an Perfektion grenzt. 

Heureka! Waldmeyer hatte die Lösung: Man könnte doch einfach die Schweiz abbilden! Alle interessanten Landstriche und alle Gemeinden fänden genügend Raum auf dem kleinen Planeten. Nicht alle Staaten hätten natürlich Platz, aber Gebiete wie Russland, China oder grosse Teile Afrikas könnte man so oder so vergessen. Auch Nordkorea, den Iran oder den Gazastreifen, und die Ukraine müsste mit dem Hinweis „under development“ versehen werden, vielleicht auch die Innerschweiz. Der grosse Unterschied zu anderen Metaversen wäre nun, dass der Mars tatsächlich existiert. Er gehört niemandem, also kann man sich etwas davon nehmen. Das war bei den Siedlern im Wilden Westen auch so. Und auf dem Mars müsste man nicht einmal erst Indianer vertreiben, das Land wäre einfach hier, leer. 

Natürlich, in vielen Jahren, vielleicht, würden andere auch Anteile am Mars reklamieren. Aber man sollte sich nicht darüber aufhalten, was viel später ist. Das machen die Politiker auch nicht. Staaten verschulden sich heute bis über beide Ohren; man verschiebt das brisante Thema einfach auf den Sankt Nimmerleinstag. Das macht die deutsche Regierung auch, sie beschliesst zudem ohnehin immer, nicht zu beschliessen – oder sie beschliesst und liefert nachher nicht. Der grosse Digitalisierungsschub beispielsweise wurde schon vor über zehn Jahren beschlossen, passiert ist noch nichts. Ja, wie wir mit der Bauerei in der Schweiz.

Doch zurück zum Mars. Das Risiko, je einmal reell liefern zu müssen, beurteilte Waldmeyer als vernachlässigbar. Charlotte meinte nur, eher spöttisch: „Dann gründe doch gleich Meisterschwanden auf dem Mars, wenn du schon daran glaubst!“ Nun erlebte Waldmeyer indessen sein zweites Heureka: Ja, warum denn mit der viel zu grossen Kelle anrühren, Meisterschwanden wäre perfekt. Natürlich bräuchte es noch ein paar Finetunings, für diesen Klon auf dem Mars. Waldmeyer würde beispielsweise die lästige Verkehrsberuhigung auf gewissen Strassen rückgängig machen. Und den Steuerfuss senken. Und die Ladenöffnungszeiten verlängern, auch etwas gegen die Überschussgeburten gewisser Neuzuzüger machen, usw. 

Am Samstagnachmittag grüsste Waldmeyer beim Rausgehen wie immer seinen Nachbarn Freddy Honegger. Er war am Rasenmähen, wie üblicherweise samstags. Freddy ist insofern eine interessante Causa, als er gerne Verschwörungstheorien nachhängt. Früher war er mal bei den Zeugen Jehovas (weshalb er auch nie in den WK musste). Covid-19 wurde von Bill Gates und dem alten Soros orchestriert, usw. Honegger sitzt gerne immer falschen Informationen auf. Er glaubt auch, dass der Elektro-Golf seiner Bettina sauber ist (obwohl u.a. mit Kohlestrom aus Deutschland betrieben, via unsere Steckdose). Ja, Freddy würde sich sicher für Waldmeyers Marsprojekt interessieren!

„Freddy, ich habe Meisterschwanden übernommen. Metamars, weisst du.“

„Scheisse, das hätte ich auch gerne gekauft“, erwiderte Honegger wie aus der Pistole geschossen. 

„Sorry, tut mir leid“, meinte Waldmeyer, supponierte sofort einen Telefonanruf und liess Honegger stehen. „No, no, I don‘t sell Meisterschwanden. No, really not.“ Honegger stand da, wie zur Salzsäule erstarrt. Er hatte schon vorher seinen mit Kohlestrom betriebenen sauberen Elektrorasenmäher abgestellt. Hatte er Meta-Meisterschwanden etwa verpasst?

„Tut mir leid, Freddy, ich wusste nicht, dass du auch interessiert gewesen wärst. Ich kann dir aber vielleicht einen Teil im Norden abtreten, aber ohne Seeanstoss. Für den Süden, dort bei der Seerose, du weisst schon, habe ich bereits einen Interessenten. Du, ich muss jetzt weg!“ Waldmeyer entfernte sich hektisch und erinnerte sich an den Kurs „Tactics in Corporate Sales“, den er vor 20 Jahren mal belegt hatte. Ja, so läuft Verkauf.

Am Sonntagmorgen wurden Waldmeyer und Honegger handelseinig. Honnegger kaufte 1/3 von Meisterschwanden, sogar inklusive dem alten Arbeiterstrandbad Tennwil im Norden. Der Preis war stolz, wenn auch einiges unter den derzeit bezahlten in der (reellen) Gemeinde. Waldmeyer versprach, binnen einer Woche ein professionelles Zertifikat zu liefern, und er lud Honegger gleich ein, für ein paar exekutive Funktionen dem Gemeinderat beizutreten (Waldmeyer dachte dabei an die geplante Gratisverteilung von Verhütungsmitteln an Immigranten).

„Siehst du, Charlotte, der Markt funktioniert!“, meinte Waldmeyer triumphierend. „Du darfst einfach nicht der Letzte sein.“

Was weder Honegger noch Charlotte wussten: Nächsten Monat wird Waldmeyer sein Immobilienprojekt „New Meisterschwanden“ im Metamars präsentieren. Hansueli Loosli wird dort vielleicht einen virtuellen Coop betreiben. Und Honegger wird mit Sicherheit eine Wohnung übernehmen. Waldmeyer wird dann, virtuell, mit seinem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) durch Meisterschwanden cruisen und sich an der Prosperität seiner Gemeinde erfreuen. Nur intelligente, schöne und freundliche Leute würden ihm zuwinken.

Waldmeyer reduziert seine Sterbewahrscheinlichkeit

Waldmeyer lag auf dem Sofa und weigerte sich standhaft, den Tisch abzuräumen. Charlotte wirbelte in der Küche. Waldmeyer vertrieb sich die Wartezeit mit allerlei Gedanken betreffend Mortalität. Was war wirklich gefährlich? Wie gestaltete sich seine subjektive Gefährdung? Wie könnte er seine persönlichen Todesfallrisiken runterbringen? 

Unfälle durch Haushaltarbeit könnte Waldmeyer schon einmal ausklammern. Aber die Sache ist komplizierter. Waldmeyer hatte sich das anspruchsvolle Ziel gesetzt, erstens auf natürliche Weise alt zu werden und zweitens nicht schon vorher willkürlich zu sterben. Es galt nun, die beiden Ziele zusammenzuführen.

Dabei hilft natürlich der Staat: Mit allerlei Gesetzen, Vorschriften und Kampagnen verhindert er das vorzeitige Ableben des Bürgers. Und mit der richtigen Gesundheitsversorgung sorgt er auch für Lebensverlängerungen. Nur setzt der Staat an komischen Hebeln an, nämlich nicht dort, wo viel gestorben wird. Waldmeyer wollte deshalb die Sache selbst in die Hand nehmen und so dazu beitragen, ein verfrühtes Ableben zu verhindern. Also nahm er eine Auslegeordnung vor.

Als erstes wollte er Todesursachen ausschliessen, die für ihn nicht passen. Also fast nicht in Frage kommen. Zum Beispiel als russisches Kanonenfutter irgendwo im Ukrainekrieg zu sterben. Oder an einer Fentanyl-Überdosis im Drogenelend in San Francisco zu verenden. Überhaupt, die Amerikaner leben gefährlich, sie sterben viel öfter als wir an Autounfällen, an Fettleibigkeit oder an Schussverletzungen. Deren Lebenserwartung sinkt seit Jahren deutlich, insbesondere bei der schwarzen Bevölkerung – bald auf das Niveau eines Entwicklungslandes.

Insbesondere die Fettleibigkeit scheint ein grosses Todesfallrisiko in sich zu bergen. Mexiko hat diesbezüglich die USA überholt, Diabetes ist zur Todesursache Nummer 1 geworden. Kein Wunder, ein Mensch mit zum Beispiel 597 Kilogramm ist natürlich etwas gefährdet. In Europa leben wir da schön gesünder. Ausser die Deutschen, deren BMI ist der höchste in Europa. Deren Lebenserwartung verhält sich deshalb auch reziprok zu ihrem Gewicht.

Aber zurück in die USA, denn in Sachen Todesfälle sind sie eine besonders interessante Causa. Die meisten plötzlichen Todesfälle ereignen sich durch Waffengewalt. Fairerweise müssen wir den Amerikanern aber zugestehen, dass dies nur die natürliche Folge eines demokratischen Prozesses ist. Dieser sieht ja vor, dass Schusswaffen sogar im Supermarkt einfach erstanden werden können. Männer in den USA werden nur 73 Jahre alt. In Mississippi stirbt man im Schnitt etwa Mitte Sechzig, also rechtzeitig beim Eintritt ins Rentenalter.

In Asien stirbt man da schon an anderen Sachen. Rund 16’000 Menschen sind letztes Jahr bei Bahnunfällen gestorben, die meisten fallen dabei von den Zugdächern.

Sicherer sind da schon die Kreuzfahrtschiffe. Aber trotzdem fallen weltweit jährlich über 20 Menschen über Bord. Die Überlebenswahrscheinlichkeit liegt dabei bei nur 20%, denn meistens wird das Malheur nicht sofort entdeckt.

Mittels eines weiteren Ausschlussverfahrens überlegte sich Waldmeyer, woran er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht sterben würde. Er dachte dabei an einen Meteoriteneinschlag oder an ein abruptes Ausbrechen des Vesuvs, wenn er, auch nur beispielsweise, im nächsten Herbst in Neapel gerade einen Teller Spaghetti alle vongole geniessen würde. 

Überhaupt, das mit dem Essen: Waldmeyers Gedanken kreisten für einmal nicht um den BMI, sondern um die faszinierende Betrachtung der «letalen Dosis». Gift ist nämlich nur ein relatives Problem. Man kann an einer Pilzvergiftung sterben, aber auch an Brot. Die Menge ist auschlaggebend! Wenn man 100 kg Brot auf einmal verzehrt, ist eben auch Brot giftig, die letale Dosis ist dann überschritten. Beim Freitod muss man also genau auf die Art des Giftes achten, noch mehr aber auf die einzunehmende Menge. An Suizid stirbt man in der Schweiz übrigens relativ oft, rund 2’500-mal jährlich. In Grönland liegt die Selbstmordrate jedoch deutlich höher. Aber beide Daten sind unerheblich, denn Waldmeyer sieht sich nicht in der Zielgruppe.

Auch bei einem Motorradunfall ums Leben zu kommen, würde bei Waldmeyer an Wahrscheinlichkeit Null grenzen. Er hatte die Idee mit der Harley Davidson nämlich bereits im Frühling 2006 aufgegeben, nachdem er die Unfallwahrscheinlichkeit mit Todesfolge genauer studiert hatte (über 20-mal höher als beim Autofahren).

Fliegen ist, rein statistisch, wohl am sichersten. Aber auch Autofahren stellt heute überhaupt kein Risiko mehr dar. Die Anzahl der Verkehrstoten im Strassenverkehr sinkt seit Jahren. Anfangs der Siebziger Jahr betrug sie noch über 1’700 pro Jahr, heute sind es nur mehr rund 200 – und dies beim dreifachen Verkehrsaufkommen. Der Strassenverkehr ist damit rund 25-mal sicherer geworden. Erstaunlich, dass der Staat dermassen viel Energie aufwendet, den Verkehr zu überwachen, ihn einzuschränken, Bussen zu verteilen und die Fahrzeugsicherheit zu überprüfen. Daneben sterben jährlich 200 Personen an plötzlichen Sportunfällen, 3’500 an Blutvergiftungen, 2’000 an Haushaltunfällen (also zehnmal mehr als im Strassenverkehr!), weit über 100’000 an frühzeitigen Herzkreislaufproblemen, an Hirnschlägen oder an Krebs. Selbst an Grippe stirbt man deutlich öfter als an Verkehrsunfällen. Am Rauchen stirbt man offenbar in rund 10’000 Fällen, ausserdem lebt man als Raucher sieben Jahre weniger. Aus staatlicher Sicht ist das allerdings vorteilhaft, denn mit den Tabaksteuern nimmt der Staat ein Vermögen ein, und die reduzierte Lebenserwartung der Raucher spart bei der AHV.

An übermässigem Alkoholgenuss starben letztes Jahr 3’500 Personen – also wie an Blutvergiftung. Der Staat tut viel gegen den Alkoholkonsum (nimmt allerdings auch kräftig Steuern damit ein). Aber was tut er gegen Blutvergiftungen…?

Die meisten staatlichen Massnahmen und Millionen-Investitionen konzentrieren sich tatsächlich auf den Schutz des Bürgers vor Verkehrsunfällen – die es fast nicht mehr gibt. Allerdings häufen sich in letzter Zeit die Unfälle mit Elektrobikes und Lastenrädern. Letztere Todesursache (also Sterben an oder mit Lastenrad), würde Waldmeyer für sich ausschliessen. Ausser er würde als einfacher Fussgänger von einem Lastenrad mitten in der Stadt Zürich überrollt.

Waldmeyer entschied, seine Auslegeordnung hier nun abzubrechen. Er zog ein erstes Fazit: Sport ist gefährlicher als Autofahren. Ein Sofortentscheid könnte also sein, nicht übermässig Sport zu treiben. Ausserdem sollte man verhindern, ein übergewichtiger Deutscher, Mexikaner oder Amerikaner zu sein. Vor allem kein schwarzer Amerikaner. Die schlimmste Korrelation würde sich vermutlich dadurch ergeben, dass er als schwarzer Ami zudem homeless in San Francisco leben würde und Fentanyl-süchtig wäre. Die Einschränkung, nie in eine solche Situation zu geraten, fiel Waldmeyer relativ leicht. Er beschloss zudem, nicht mit dem Rauchen zu beginnen. Auch dieser Entscheid kostete ihn nichts.

Schon grössere Sorgen bereitete ihm eine mögliche Krebs- oder Kreislauferkrankung. Es ging einerseits um die Wahrscheinlichkeit, eine solche Krankheit überhaupt zu kriegen, andererseits um die Sterbewahrscheinlichkeit in einem solchen Fall. In der Schweiz sterben jährlich immerhin fast 40‘000 an Krebs – aber die meisten einfach im hohen Alter, was quasi einer natürlichen Todesursache gleichkommt. An Herzversagen sterben rund 8‘000 p.a. 

Interessant fand Waldmeyer, dass nur rund 400 p.a. an Leberzirrhose sterben. 

Sein Alkoholkonsum mochte in der Tat, aber nur subjektiv von aussen betrachtet, etwas überdurchschnittlich sein. Aber erstens hatte er gar keine Leberzirrhose eingeplant und zweitens, so reflektierte Waldmeyer, könnte man z.B. an Terre Brune unmöglich sterben. Auch hier geht es eben um die letale Dosis! Ausserdem hielt er sich an diese geniale Studie von französischen Ärzten, welche eine Dosis von zwei Glas Rotwein pro Tag als medizinisch wertvoll erachteten.

Waldmeyer räkelte sich weiter auf dem Sofa und fand nun zu einer Schlussfolgerung: Für ihn gab es überhaupt kein ausserordentliches Todesrisiko, vielleicht würde er einfach 100 werden und dann an Alter sterben!? 

Waldmeyer nahm sich trotzdem vor, nun etwas gesünder und vorsichtiger zu leben. Folgerichtig wollte er nur noch relativ sichere Tätigkeiten verrichten. Das mit dem Haushaltunfall hatte er zumindest schon mal ausgeschlossen.

«Charlotte, wir sollten ab sofort etwas faktenbasierter und vernünftiger leben – und so die grossen Risiken vermeiden. Wir sollten also mehr fliegen, mehr Autofahren und mehr trinken. Dafür wird das Bahnfahren in Indien ab sofort gestrichen, wir nehmen kein Fentanyl, werden nicht schwarz, hantieren weniger mit Schusswaffen, du wirst nicht fett, und das mit Neapel im Herbst sollten wir überdenken.»

Charlotte, wie so oft, antwortete nicht.

Waldmeyer verbessert seine persönliche Ökobilanz

Angesichts der vielen hehren politischen Ziele, Klima und Umwelt weniger zu belasten, nahm sich auch Waldmeyer vor, diesbezüglich ein paar wichtige persönliche Entscheide zu fällen. Dabei berücksichtigte er, dass die helvetischen Umweltziele sich vor allem auf das eigene Land beziehen.

Auch Waldmeyer spürt die Klimaerwärmung: In Meisterschwanden war es diesen Sommer wirklich schön warm. Der Klimawandel, das ist offensichtlich, ist heute Tatsache. Man mag sich da und dort noch über die Ursachen streiten. Sicher ist jedoch, dass der weltweite CO2-Ausstoss nicht förderlich ist. 

So oder so: Energiefragen sind etwas sehr Komplexes. So lassen sich beispielsweise Kühe nicht mit Solarstrom betreiben. Aber dazu später.

Waldmeyer versuchte erst einmal, sich einen globalen Überblick zu erschaffen. China ist weltweit die führende Dreckschleuder, 30% des CO2-Ausstosses gehen auf seine Rechnung. Das Land treibt unter anderem den Ausbau seiner Kohlekraftwerke massiv voran. Dass gleichzeitig die Produktion von Elektroautos beschleunigt wird, hat andere Gründe: Die sollen nämlich exportiert werden. Denn insbesondere Europa stellt sein ganzes Leben auf elektrische Energie um. Die Chinesen klopfen sich dabei auf die Schenkel. Sehenden Auges deindustrialisiert und schwächt sich so beispielsweise Deutschland, und gleichzeitig wird es in ganz Europa künftig an elektrischer Energie fehlen.

China, die USA und Indien produzieren über die Hälfte des globalen CO2-Ausstosses. Der grösste Schmutzfink allerdings ist Russland. Obwohl das Land nur über eine Bevölkerung von einem Zehntel derjenigen Chinas oder Indiens verfügt und heute ein lächerliches BIP von lediglich dem Doppelten der Schweiz produziert, landet es auf Platz vier der weltgrössten Verursacher von Treibhausgasen. Dass Putin seine Erdgasproduktion zuweilen auch einfach abfackeln lässt (da gerade kein Abnehmer), macht die Sache nicht besser.

Waldmeyer fragte sich also, warum er mit Tempo 30 durch die Schweizer Städte schleichen muss. Ja, vermutlich geht es um die Luftsäule, die gerade über seinen Aufenthaltsorten sauber gehalten werden muss. Oder, positiv gedacht: Die Passatwinde werden dann unsere saubere Luft schon in dreckige Gebiete tragen und dort zu einer Verbesserung beitragen. Dass wir die 30 km/h künftig nur noch elektrisch zurücklegen sollen, trägt weiter zu diesem Effekt bei. Dass unsere Gefährte dann u.a. auch mit schmutzigem Kohlestrom aus dem Ausland aufgeladen werden, ist ein kleiner Nebeneffekt, den unsere Politik elegant ignoriert.

Sollte Waldmeyer nun tatsächlich seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) gegen ein Elektrofahrzeug eintauschen – vielleicht sogar gegen ein chinesisches? Wenn, dann würde er dieses indessen nur mit seinem eigenen Solarstrom aufladen. Alles andere wäre Augenwischerei. Waldmeyer hat sich noch nicht entschieden.

Überhaupt, die Solarpanels: Damit lässt sich gutes Geld verdienen – aber alles der Reihe nach. Waldmeyer studierte nämlich ein Projekt für sein Haus in Meisterschwanden. Es sollte jedoch nicht ein kleines «Balkonkraftwerk» werden, sondern ein richtig grosser Solarpark auf dem Dach seines bescheidenen Anwesens. Die Ertragsrechnung brachte indessen vernichtende Ergebnisse zutage: Von November bis Februar liegt die monatliche Solarproduktion bei nur 10% des Monates Juni. Das ist ärgerlich, denn die energiefressende Wärmepumpe braucht den Strom hauptsächlich im Winter. Was sich der Habeck wohl ausgedacht hatte, wie es im Winter künftig aussehen wird in Deutschland, wenn für die Elektrofahrzeuge und die Heizungen nicht genügend Strom produziert werden kann? Natürlich gibt es da noch die Windräder. Aber was ist, wenn kein Wind weht? Dann herrscht eben diese berühmte «Dunkelflaute».

Waldmeyer müsste den Strom nachts und im Winter also von Erwin Ramsauer beziehen, seinem Bekannten im EW in Meisterschwanden. Diese Elektroenergie kommt dann von irgendwo her. Vielleicht von einem Atomkraftwerk aus Frankreich, von einem Kohle- oder Gaskraftwerk aus Deutschland (falls der Habeck dann noch liefern kann), bestenfalls von unserer Wasserkraft, vielleicht auch von den letzten helvetischen Atomkraftwerken, bevor diese abgeschaltet werden.

Tatsache ist, dass die Solarpanels lächerlich wenig Strom liefern im Winter, und leider scheint nachts die Sonne nicht. Waldmeyer könnte sein Fahrzeug also nur am Tag aufladen, vielleicht gerade dann, wenn er mit der Elektrokarre unterwegs ist. Und im Januar reichts überhaupt nicht zum Aufladen mit dem eigenen Solarstrom. 

Die Speicherung der Sonnenenergie ist kaum gelöst. Eine immens dimensionierte Hausbatterie könnte allenfalls noch den Tag-/Nachtausgleich schaffen. Aber bestimmt nicht einen saisonalen Ausgleich. Im Januar wäre sogar der Tag-/Nachtausgleich nicht gewährleistet – auch nicht mit einer wirklich grosszügigen Solaranlage und einer ebenso grosszügigen Batterie. 

Die Schweiz importiert im Winter 40% ihres Strombedarfs. Also würde Waldmeyer dann eben auch Importstrom beziehen – woher auch immer. Rein energetisch erwies sich sein Solarprojekt damit als sehr unbefriedigend. Aber es gab einen ökonomisch positiven Lichtblick: Waldmeyer erhält grosszügige Förderbeiträge für die Installation der Anlage, auch kann er den Überschussstrom, so insbesondere tagsüber und im Sommerhalbjahr, dem Ramsauer verkaufen. Ramsauer weiss dann zwar nicht, was er mit dem Zuviel an Strom anfangen soll. Aber so sind nun mal die Gesetze und Bestimmungen in der Schweiz. 

Abgesehen von solaren Massnahmen gibt es noch viele andere Möglichkeiten, um den CO2-Abdruck zu reduzieren. Zum Beispiel mit weniger Fliegen. Zwar verursacht der weltweite Flugverkehr nur 2% der Treibhausproduktion. Ein Businessflug produziert allerdings den doppelten Ausstoss. Die weltweite Digitalisierung aber noch mehr. Trotzdem: Sollte Waldmeyer nicht doch weniger fliegen?

Charlotte schlug zudem vor, weniger Fleisch zu essen. Der Vorschlag war berechtigt, denn Waldmeyer schätzte, dass unsere Schweizer Viehwirtschaft ebenso viel Treibhausgase verursacht wie der ganze Verkehr, insbesondere, wenn noch die Produktion der importierten Dünge- und Futtermittel aufgerechnet wird. Kühe furzen und rülpsen nun mal den ganzen Tag und stossen so immense Mengen an Methangas aus. Hmm, also tatsächlich weniger Fleisch essen? Sollte Waldmeyer jetzt Tofu-Rezepte studieren?

Waldmeyer könnte auch auf die im Winter aus Südafrika importierten Erdbeeren verzichten. 

Oder er könnte darauf achten, nicht übergewichtig zu werden. Mehr Gewicht belastet die Umwelt in mehrfacher Sicht: Man isst mehr, muss grössere Kleidergrössen tragen, verbraucht mehr Transportenergie, man fährt vielleicht auch mehr zum Arzt.

Ja, man sollte auch keine Kinder mehr kriegen. Jedes zusätzliche Kind auf der Erde produziert wieder mehr CO2. Ein schwieriges Thema. Die Zeit unter der heissen Dusche zu verkürzen, ist da schon einfacher.

Weniger Abfall zu produzieren, ist auch hilfreich. Dieser wird zum Teil in unseren Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt. Diese gelten gar als «klimaneutral», das hat der Bund so definiert. Allerdings wissen wir, dass viel Haushalt- und Industrieabfall aus Mitteleuropa in osteuropäischen Ländern landet, welche auch tüchtig Geld dafür erhalten. Der Müll wird dann in Bulgarien einfach abgefackelt oder in Albanien in einen Bergsee gekippt. Waldmeyer meinte gar, anlässlich einer ausgedehnten Balkanreise, einmal eine leere Flasche Terre Brune auf einer Abfalldeponie ausserhalb Tiranas entdeckt zu haben. Diese Flasche könnte tatsächlich aus seinem Weinkeller in Meisterschwanden stammen.

Zusammenfassend, aus Sicht der nationalen Politik, sollte offenbar möglichst viel für das eigene Land getan werden. Waldmeyer versuchte alles einzureihen und rang nach einer Lösung. Einer individuellen Lösung:

Also überlegte er, wie er nun seinen CO2-Fussabdruck vorab in unserem schönen Land reduzieren könnte.

Erstens wird Waldmeyer – trotz der zweifelhaften Ökobilanz – seine Solarpanels installieren lassen. Die Förderbeiträge sind zu attraktiv, neu auch die Vergütungen für die Einspeisung. Es ist ein interessantes Businessmodell. In der Nacht wird er dann den Dreckstrom aus deutschen Kohlekraftwerken beziehen. Das ist indessen nicht tragisch, weil die Luftsäule über der Schweiz so sauber bleibt. 

Von November bis Februar wird er den Strom ebenso aus dem Netz beziehen, der kommt dann immer aus französischen Atomkraftwerken oder wiederum von ausländischen Dreckschleudern. Aber auch hier: Immerhin bleibt die Schweiz sauber.

Die Überproduktion an Strom im Hochsommer stört ihn nicht, denn die Elektrizitätswerke werden ihn für gutes Geld abnehmen. Erwin Ramsauer wird ihn dann zum Teil zu Negativpreisen verkaufen müssen. Notfalls werden mit dem Überstrom auch die Weichen der SBB geheizt, denn dieser blöde Strom muss auf Teufel komm raus vernichtet werden. Waldmeyer würde im Juli also die SBB-Weichen beheizen…? Es scheint danach auszusehen. Waldmeyer kann jedoch gut damit leben, denn der Negativeffekt ist zu vernachlässigen.

Waldmeyer wird zweitens kein Elektrofahrzeug anschaffen. Solange die Speicherung der Solarenergie nicht besser gelöst ist, macht es keinen Sinn. Er darf also weiter seinen Porsche Cayenne bewegen.

Ein weiterer Entscheid: Waldmeyer wird ab sofort die Businessflüge zwischen Zürich und Genf streichen. Er würde diese Strecke zwar gar nicht mit dem Flugzeug zurücklegen. Aber irgendwie muss man sich eben einschränken.

Ausserdem wird er seinen BMI bei genau 25 stabilisieren. Das hatte Waldmeyer sich zwar eh schon vorgenommen. Aber es ist immerhin ein Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase.

Auch das mit dem Abfall ist gelöst: Wenn sein persönlicher Abfall in der Schweiz verbrannt wird, ist er sauber. Und wenn er exportiert wird, betrifft es nicht die Schweiz.

Aber da wäre noch das mit dem Fleischkonsum: Waldmeyer beschloss, ab sofort nur noch importiertes Fleisch zu essen. Die feinen Stücke aus Uruguay, beispielsweise, sind nämlich nicht zu verachten, und deren Produktion fällt nicht in der Schweiz an. Ja, man muss sich halt ein bisschen einschränken. 

Und noch was: Charlotte hatte Waldmeyer überredet, im Garten einen Baum zu pflanzen. Es sollte ein Kirschbaum sein, dieser blüht wunderbar im Frühjahr, der Früchteertrag reduziert die Importe und der Baum vernichtet CO2. Das wäre ein sehr schönes Projekt. Vielleicht sollte es ein ganzer Hain werden? Zudem schlug Waldmeyer vor, den Rasen nicht mehr zu mähen. Das dann wachsende Moos würde längerfristig CO2 speichern, und die Energie für den Rasenmäher könnte eingespart werden. Waldmeyer würde auch weniger Kohlenhydrate verbrauchen, wenn der mühsame Mähvorgang entfällt. Ja, man muss eben das Big Picture sehen. 

Waldmeyer und die Blackbox

Oder: Der Staat als Copilot? Nein danke!

Kommt jetzt der gläserne Autofahrer? Es scheint einen Plan des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) zu geben, künftig alle Fahrzeugbewegungen überwachen zu wollen. So soll es künftig eine Blackbox in jedem Auto geben. Aber es kommt noch schlimmer. Waldmeyer überlegt nun verzweifelt, wie er reagieren soll.

Das Bundesamt für Strassen plant jetzt, durch die Hintertüre einer einfachen Verordnung, ganz klandestin, ab 2024 eine Blackbox für jedes neue Fahrzeug vorzuschreiben. Hintergründe für diesen Plan gibt es verschiedene.

Erstens einmal zerbricht sich der Bundesrat den Kopf, wie Elektroautos künftig besteuert werden sollen. Es soll ja auch für elektrisches Fahren künftig eine ordentliche Verkehrsabgabe geben. Dieses Ansinnen mag einer gewissen Logik gehorchen, denn dem Staat schwimmen die Felle davon: Die Steuern auf fossilen Treibstoffen werden bald versiegen, wenn nur noch Elektrofahrzeuge verkehren. Der Bund wünscht sich am liebsten eine Abgabe pro Kilometer, die Ansätze sollen gestaffelt nach Fahrzeuggrösse definiert werden. Die Krux nur: Diese Kilometer müssen erfasst werden. Und damit landen wir genau bei einem ziemlich hässlichen Überwachungsproblem. Denn wenn Autos schon mal alle über eine Blackbox verfügen, liesse sich dies künftig viel besser einrichten. Die Blackbox wäre dann so gescheit, dass sie nicht nur die Kilometer aufzeichnet, sondern auch zwischen verschiedenen Strassenarten (und somit unterschiedlichen Tarifen) unterscheiden könnte, und die Verrechnung der Verkehrsabgaben könnte auch gestaffelt nach Zeitfenstern erfolgen. Der Tarif während der Rush Hour könnte beispielsweise höher angesetzt werden oder mitten in der Nacht gäbe es einen Discount. Auch so lässt sich, gut versteckt, das bisher von den Bürgern immer abgeschmetterte Roadpricing einführen.

Und was ist, wenn wir ins Ausland fahren? Dies könnte die Blackbox, allenfalls mit geometrischer Ausrüstung auf den Meter genau, spielend erheben. 

Aber auch dies möchte Waldmeyer nicht. „Den Staat soll es einen Dreck angehen, wo ich wann bin und wieviel ich fahre!“, meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

 „Vielleicht solltest du dir doch ein Lastenrad zulegen, Max“, meinte Charlotte lakonisch, „damit kannst du vielleicht auch ins Ausland, ohne dass es jemand merkt“.

So einfach mit der totalen Überwachung wird die Sache allerdings nicht sein. Schon für die Einführung einer elektronischen Vignette (in anderen Staaten seit einem Dezennium in Betrieb), musste der Bund Kompromisse eingehen. So wird es neben unserer elektronischen Vignette parallel auch weiter eine Klebeetikette geben. Zwei Systeme, zweimal die Kosten. Die Verkehrsminister in Singapur oder Dubai werden sich totlachen. Doch: was kostet die Welt… 

Die elektronische Vignette zumindest könnte man relativ einfach mit allen Sicherheiten zur Wahrung der Privatsphäre ausstatten. Aber mit der Blackbox, welche alle Daten aufzeichnen kann, wird das schwierig.  

2035 kommt das „Verbrennerverbot“ in der EU. Ab dann sollen nur noch Fahrzeuge produziert, importiert und neu in Verkehr gesetzt werden, welche ohne fossile Treibstoffe betrieben werden. Also nur noch Elektroautos. Gemessen, ob fossil oder nicht, wird bekanntlich nur am Auspuff: Dass die elektrische Energie vermutlich auch dannzumal noch aus einem dreckigen Kohlekraftwerk kommt, ist einerlei. Die Schweiz, als Ministaat mitten in Europa, wird sich diesem Verbrennerverbot nicht entziehen können. Mit anderen Worten: Auch Waldmeyer wird dann kaum mehr ein Fahrzeug kaufen können, welches konventionell angetrieben wird.

Für Deutsche mag die Vorstellung von einer Blackbox im Auto nicht so schlimm sein. Sie haben sich bereits daran gewöhnt, dass ihnen der Staat jederzeit ins Bankkonto reinschauen kann. Der gläserne Bürger ist für sie bereits Realität und die ganz klare Durchsicht wird nur dadurch gebremst, dass das Land immer noch eine digitale Wüste ist.

In der Schweiz kennen wir diese inkriminierte Blockbox bereits: Freiwillig lassen wir sie teilweise von den Versicherungen in unserem Fahrzeug installieren, mit dem Zückerchen einer Prämienvergünstigung. Im Falle eines Unfalles weiss die Versicherung dann ganz genau, was im Auto stattgefunden hat: Geschwindigkeit, Beschleunigung, Lenkradeinschlag, Bremsbetätigung – alles.

Schon heute speichern viele Fahrzeughersteller viele Fahrdaten. In Deutschland kürzlich musste ein Tesla-Fahrer nach einem Unfall per Gerichtsbeschluss alle Fahrdaten outen. Tesla lieferte bereitwillig. Solche gespeicherte Informationen können für einen Fahrer selbstredend positiv oder negativ sein. Aber mit dem Kauf eines Fahrzeuges würde Waldmeyer immer auch sein Einverständnis für die Speicherung sämtlicher Daten geben – allenfalls auch für deren Verwendung.

Künftig jedoch würde die Auswertung einer Blackbox durch die Behörden also genau aufzeigen können, wo, wann und in welchem Fahrmodus man sich genau aufgehalten bzw. bewegt hat. Unser Banker Pierin Vincenz müsste also nicht einmal seine Kreditkartenabrechnung offenlegen, der Staat wüsste bereits zeitnah, vor welchem Nachtclub er parkiert hätte.

Natürlich müsste eine Blackbox künftig dazu nicht umständlich ausgebaut und untersucht werden – wie die Blackboxes nach einem Flugzeugabsturz. Denn alle Daten wären in Echtzeit bereits in einer Cloud gelandet. Waldmeyer stellte sich vor, dass er morgens um sieben Uhr einen Anruf erhielte: „Herr Waldmeyer, sie haben gestern in Zürich vor dem Tre Fratelli parkiert und die Parkzeit um mehr als zwei Stunden überzogen, nachher sind sie mit 43 anstatt mit 30 km/h durch die Stadt gerast, und an der Ecke Europabrücke/Winzerstrasse haben sie den Blinker nicht betätigt. Dürfen wir jetzt noch ihren Restalkohol überprüfen bitte? Ein Patrouillenfahrzeug ist zu Ihnen nach Meisterschwanden unterwegs.“

Noch ist nicht klar, wieviel Daten gesichert werden und wieviel davon die Behörden künftig auslesen dürfen. Es wird davon abhängen, in welchem Masse wir uns als Bürger dagegen sträuben werden. Der Staat müsste vielleicht etwas mehr in die Unfallstatistiken blicken, denn eigentlich müsste er nur genau dort eingreifen, wo die Bürger am meisten geschützt werden müssen. Dann würde er erkennen, dass ein Grossteil der Unfälle heute mit Bikes, E-Bikes und Motorrädern erfolgt. Waldmeyer nahm den Gesprächsfaden mit Charlotte wieder auf und schlug vor, dass zuerst einmal alle Lastenräder eine Blackbox erhalten sollten. Charlotte erwiderte nichts.

Dieses Eigenleben des ASTRAs ist schon merkwürdig, ja bedenklich. Der Trick mit den Überwachungsprojekten wurde noch zu Zeiten unserer Konzertpianistin (Simonetta Sommaruga) iniziiert. Aber vielleicht wusste sie gar nicht, was da hintenherum auf der Klaviatur gespielt wurde?

Waldmeyer kann nur hoffen, dass alle diese neuen Vorschriften nicht gleich zeitnah greifen. Aber Waldmeyer hofft vergeblich, denn ab Anfang 2024 wird Big Brother definitiv auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Denn ab diesem Zeitpunkt muss jedes neu immatrikulierte Fahrzeug über einen „Ereignisdatenspeicher“ verfügen. Zu Beginn, als raffinierter Trick eben, wird es sich um ein Aufzeichnungssystem handeln, welches nur alle Fahrzeugdaten kurz vor und nach einem Unfall speichert.  

Doch das scheint nur der Beginn der Überwachung zu sein. Denn dass die ganze künftige Verkehrsüberwachung durch den Bund nicht nur eine Vision ist, zeigt sich darin, dass bereits ein gigantisches Projekt für eine „Mobilitätsdateninfrastruktur“ angestossen wurde. Dafür will der Bund sogar eine eigene Bundesanstalt schaffen. Dutzende von Vollzeitstellen werden nun geschaffen, ein monströses IT-Millionenprojekt wird aufgegleist. Ob das wohl gut ausgehen wird…? Wir hatten ja schon einige Probleme mit unseren staatlichen IT-Ausflügen – meist endeten sie in einem teuren Fiasko. Ein solches Fiasko könnte vielleicht einen Hoffnungsschimmer darstellen, dass dieser toxische Kelch mit der Überwachung an uns vorübergeht?

Natürlich soll mit der Erfassung der Mobilitätsdaten der Verkehr später aktiv gesteuert werden. Spannend ist deshalb das übergeordnete Ziel dieses dunkelrot und dunkelgrün eingefärbten Projektes: Das Endziel soll sein, so wörtlich, „auf ein eigenes Fahrzeug zu verzichten“. Hallelujah, schöne neue Welt.

Waldmeyer wird sich künftig also den ihm zugewiesenen Parkplatz vom Netz holen, er wird für unterschiedliche Streckenabschnitte unterschiedlich zur Kasse gebeten, oder er wird seine Karre eben zuhause lassen, weil ihm kein Slot zugeordnet wird. So könnte, so um das Jahr 2036, nach dem Verbrenner-Aus, Waldmeyers Smart Watch (11. Generation), plötzlich melden: “Max, in 15 Minuten beginnt dein Slot WM836-5-YZ. Du darfst von 07:30 bis 08:15 dein Fahrzeug verwenden. Alternativ morgen 03:15 bis 04:00 mit Slot WM837-5-ZZ. Wähle 1 für Slot 1, wähle 2 für Slot 2.»

Aber vielleicht wird es zu all diesen garstigen Szenarien gar nie kommen? Vermutlich wird es nämlich gar nicht genügend Strom geben, um alle Fahrzeuge elektrisch zu bewegen. Und alle Heizungen, künftig auf Wärmepumpenbasis mit viel Input an elektrischer Energie. Strom aus Deutschland wird dann auch keiner mehr erhältlich sein, denn der Habeck braucht ihn selbst im Land. Wenn dann keine Sonne scheint, die Windräder nicht drehen – also eine „Dunkelflaute“ herrscht und die Energie nicht gespeichert werden kann, werden die Elektrofahrzeuge stillstehen und das mit der Blackbox wird sich erübrigt haben.

Waldmeyer fragte sich: Wieso gibt es keinen Aufschrei aufgrund all dieser offensichtlich geplanten staatlichen Überwachungspläne? Das ASTRA macht natürlich nicht viel Aufhebens um seine Schlachtpläne, möchte man doch nicht schlafende Hunde wecken. Deshalb auch diese heimtückische Einführung der Mobilitätsüberwachung, ganz gemein in eine einfache Verordnung eines Bundesamtes verpackt. Doch wieso haben die bürgerlichen Parteien das Thema noch nicht aufgegriffen? Sind sie wirklich so naiv und wollen das Thema etwa den Freiheitstrychlern überlassen? Diesmal geht es nämlich um echte Kontrolle durch den Staat!

Waldmeyer ist der dezidierten Meinung, dass er sich vom Staat weder ins Portemonnaie noch ins Schlafzimmer gucken lässt. Und vor allem: schon gar nicht ins Auto!

Waldmeyer beschloss, seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch), nicht zu ersetzen. Auf ein neues Fahrzeug – mit einem troyanischen Pferd, geritten von staatlichen Überwachungsbehörden – wird er verzichten. Der Staat als Copilot…? Nein, danke. Er wird sein schon in die Jahre gekommenes Fahrzeug einfach behalten, for ever.

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