Oder warum Aufholen schwieriger ist als Verlieren
Die Passagierauslastung der Swiss lag letztes Jahr bei etwas über 30%; scharf gerechnet fehlen also 70%. Aber an reinem Flug-Umsatz und -Profit fehlten mehr, denn erstens konnte ein leidlich laufendes Frachtgeschäft das Bild etwas verschönern und zweitens fehlten die lukrativen Langstrecken sowie die fetten Margen der Businessflüge. Im klassischen Fluggeschäft gälte es, rund 80% Umsatzeinbruch aufzuholen. Das könnte jedoch in 4 Jahren, würden in Folge schöne 20%-Steigerungen hingelegt, kompensiert werden. Wirklich? Waldmeyer rechnete kurz nach: Richtigerweise würde es fast 9 Jahre mit kontinuierlichen 20%-Schritten brauchen, bis die flügellahme Airline das Ergebnis von 2019 übertroffen hätte. Waldmeyer war entsetzt – um ein Haar wäre er der Prozentillusion erlegen.
Die ganze Misere verhält sich eben so wie mit Waldmeyers UBS-Aktien. Vor dem Kaminfeuer sitzend, liess er (zum wiederholten Male) diese Bank-Agonie Revue passieren – bzw. versuchte, sein persönliches Investitions-Desaster zu verarbeiten: Einst als vorsichtige, langfristige Anlage bei CHF 40 gekauft (es mag vor gut 20 Jahren gewesen sein), überschritt die UBS-Aktie 2007 den Peak von CHF 70. Heute dümpelt sie bei rund CHF 15 rum. Also über 60% unter Einstand und fast 80% unter dem Allzeithoch. Und hier zeigt sich eben das bekannte Prozentdrama: Aufholen ist immer schwieriger als Verlieren. Eine theoretische Aufholjagd bis rauf wieder zu Waldmeyers Einstand würde ein Wachstum von 167% bedingen, zu schaffen zum Beispiel in 6 Jahren mit kontinuierlichen 20%-Sprüngen. Oder zurück zum Peak mit einer fetten 367%-Steigerung, zu schaffen vielleicht mit 20%-Sprüngen in fast 9 Jahren. 2030 etwa wäre es dann soweit. Good luck. Waldmeyer schenkte sich gleich etwas Cognac nach. Aber er rechnete weiter.
Das ganze Unterfangen schien sich durch eine gewisse Hoffnungslosigkeit auszuzeichnen. Vor allem, wenn sich dazwischen wieder mal ein kleiner Crash einordnen würde, zum Beispiel von 40%, der sich im folgenden Jahr nur mit einem Plus von 67% ausbügeln liesse. Aber eigentlich nur mit einem Gewaltssprung von 100%, um auf dem 20%-Pfad zurückzukehren.
Bei der CS Aktie, so rechnete Waldmeyer kurz durch, sieht es auch nicht besser aus: Der Peak wurde 2007 mit einem Kurs von fast CHF 90 erreicht, vor übrigens 20 Jahren stand die Aktie auch schon einmal dort. Heute, ein Jammer, liegt der Kurs bei rund CHF 10. Die virtuelle 20%-Aufholjagd würde tatsächlich bis 2033 dauern, müsste das Allzeithöchst wieder erreicht werden. Verlorene 30 Jahre wären dann zu verzeichnen. Aber das gilt natürlich nicht für alle: Das oberste Bankenkader konnte in diesem Zeitraum sehr schöne Millionen-Boni einstreichen.
Die Deutsche Bank übrigens liegt im gleichen Fahrwasser wie die helvetischen Institute: Dort würde die Aufholjagd, nach Waldmeyers 20%-Muster, auch fast 12 Jahre dauern.
Mit der Swiss nun mag es ähnlich sein. Deren Aktienkurs – also der der Lufthansa, denn die Swiss gehört ja nicht mehr zu uns – stand schon mal bei 30 Euro, die Zahl 7 hatte sie auch schon gesehen, zurzeit werden 11 dafür bezahlt. Immer noch beachtlich, bei diesen Milliardenverlusten.
Wenn Mutti Merkel und ihr SPD-Adlat Scholz, quasi als finanzielle Copiloten, nicht im Cockpit hocken würden, würde der Kurs wohl den Boden berühren. Waldmeyer hatte schon im März vor einem Jahr geraten, die Swiss, diesen Kranich mit dem Schweizerkreuz, zu grounden. Niemand wollte auf ihn hören.
Unabhängig von den mannigfaltigen Rentabilitätsproblemen gälte es heute bei der Swiss, die CHF Mia 1.85 Umsatz von 2020 wieder auf die Mia 5.1 von 2019 hochzubringen. Der Umsatzverlust von 80% im klassischen Passagiergeschäft könnte, wie eingangs von Waldmeyer berechnet, elegant mit 20%-Schritten in 9 Jahren wieder wettgemacht werden. Klar, vielleicht würde man noch 7 Jahre lang Verluste verzeichnen, bis ein Break-even wieder erreicht ist. Und, einverstanden, vielleicht könnte 2022 auch ein 30%-Plus drin liegen; aber dann später, auch im 9. Jahr, immer noch zweistellige Zuwachsraten hinzulegen, grenzt schon eher an Woodoo-Zauber.
Auf diesem sportlichen theoretischen Aufholpfad (nehmen wir uns Waldmeyers 20%-Schritte vor) dürfte es allerdings auch hier, wie bei den Banken, nie einen Unterbruch geben. Waldmeyer seufzte. Ein solcher Plan würde wohl zu einem Irrweg ins Nirwana verkommen. Leider vermutlich auch bei der UBS. Und bei der CS.
„Charlotte, die UBS sollten wir verkaufen, es ist hoffnungslos!“, meldete Waldmeyer zum andern Fauteuil vor dem Kamin rüber. „Ja, wer sollte denn so eine Bank kaufen?“, fragte Charlotte ratlos.
„Wir fragen den Scholz“, entgegnete Waldmeyer und schenkte sich nochmals Cognac nach.