Was sich unsere Politiker hinter die Ohren schreiben sollten: Diese neue US-Administration funktioniert anders, nämlich nicht der Logik und den Fakten folgend, sondern der Erratik. Aber unsere Volksvertreter verstehen das nicht. Dabei könnte es einen raffinierten Ausweg geben, überlegt Waldmeyer.
Lustig, wie unsere Regierungsleute in der Schweiz auf den Trump’schen Zollhammer reagiert hatten. Rechtsaussen-Politiker vermuteten erst mal einen «Rechnungsfehler» und ein «Missverständnis», das man den USA nun erklären müsste. Natürlich war es nicht so, sondern nur eine bewusste Provokation, um etwas herauszuholen – wobei es in der Regel gar nicht um Zollabbau ging, sondern a) um das «Zurückholen» der Industrieproduktion in die USA und b) tatsächlich auch darum, Einnahmen zu generieren. Zölle können tatsächlich viel Geld ins Land reinspülen, die Versuchung ist also gross, dieses Manna, so es denn vom Himmel fällt, zu nehmen, zu behalten oder gleich kunstvoll wieder einzusetzen. Das deckt sich mit dem weitverbreiteten Planungshorizont der Amerikaner, welcher ein Quartal selten übersteigt. Die Chinesen denken in hundert Jahren. Die Europäer, zumindest was die Politiker anbelangt, liegen irgendwo dazwischen, so in etwa bei dem Horizont einer Wahlperiode. Die Schweizer legen den Horizont situativ fest; er liegt meistens dort, wo er am wenigsten Probleme bereitet, sie schlängeln sich quasi zwischen den Widerwärtigkeiten der Welt hindurch.
Aber die Schweizer Politiker lagen, was Trump anbelangt, komplett falsch. Da wurde die exzellente Zusammenarbeit mit den USA aufgrund eines Besuches von Ueli Maurer in Washington glorifiziert, denn dieser durfte dem US-Präsidenten bereits 2019 die Hand schütteln. Trump und Maurer konnten sich damals zwar, sprachlich bedingt, kaum austauschen, aber es war, aus Schweizer Sicht, ein sehr erfolgreiches Ereignis. Auch unsere sympathische Magdalena Martullo-Blocher sah bis vor kurzem noch keinen Anlass zur Besorgnis in Sachen Zöllen: Trump habe die Schweiz sehr gern. So viel zur Naivität unserer sogenannten Classe politique und zur Wahrheit – welche sich leider so gestaltet, dass die neue US-Regierung auf wirklich niemanden Rücksicht nimmt und in Sachen Zöllen querbeet die ganze Welt in die Pfanne haut. Unser Winzer und Bundesrat Parmelin konnte sich zu einem „ungerechtfertigt“ durchringen und Karin Keller-Sutter war «enttäuscht» (sic)… Trump hat diese Statements sicher beeindruckt.
Dass die Schweiz erst kürzlich sämtliche Industriezölle abgeschafft hatte, kratzte die Trump-Administration überhaupt nicht – und verschonte die Eidgenossen nicht von einem sehr hohen «reziproken» Strafzoll. Kurzum: Unsere Politiker im Glashaus glauben immer noch an Facts and Figures, an die Logik und an die Wahrheit. So viel zu ihrer kognitiven Wahrnehmung.
Auslegeordnungen und tatsachenbasierte Erklärungen sind nutzlos. Donald Trump spielt ein Spiel, einen Poker, er amüsiert sich köstlich dabei – und alles ist erlaubt. Dieses Psychogramm, das hinter einer solchen Strategie steht, passt unseren aufrechten Beamten natürlich gar nicht.
Und immer wieder wird das so freundschaftliche Verhältnis mit den USA ins Feld geführt. Ueli der Maurer, um nochmals seinen berühmten Besuch im Oval Office zu erwähnen, durfte sich sogar in die Gästeliste eintragen. „Sänkiu, Mister Präsident!“
Nun, vielleicht merken inzwischen langsam auch alle Magdalenas unserer verklärten Trömp-Anhänger: „There is no free löntsch.“ Und solange die USA Europa als Quasikolonie betrachten, da verteidigungsmässig hoffnungslos ausgeliefert, wird sich das nicht ändern. Das gilt auch für die Schweiz. Ja, so kommen wir langsam bei den Fakten an – bei den real facts, nicht den „alternative facts“. Ob sich Christoph Blocher daran erinnert, dass er einst den Anschluss an die NAFTA vorschlug, zusammen mit Mexiko und Kanada – als Alternative zum EWR quasi? Zollmässig stehen diese beiden Länder gegenüber den USA heute, wie wir wissen, in deep shit.
Die USA haben eigentlich gar kein riesiges Handelsbilanzproblem. Die Gesamthandelsbilanz besteht bekanntlich aus der Warenbilanz und der Dienstleistungsbilanz – was Trump allerdings nicht interessiert. Die Dienstleistungsbilanz der USA kann sich nämlich sehen lassen, sie kompensiert zu einem guten Teil das Defizit der Warenhandelsbilanz. Der neue Pate im Oval Office interessiert sich allerdings nur für Warenströme. Ihn stört beispielsweise, dass die Italiener nicht in einem Dodge Ram durch Neapel zirkeln. Die Dienstleistungen beschäftigen ihn nicht – oder er möchte sie einfach nicht erwähnen, das mag zum Verhandlungsspiel gehören. Vielleicht liess sich klein Donald schon von Pippi Langstrumpf inspirieren: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“
Bei den Dienstleistungsexporten ist die USA, wie erwähnt, zumindest im Austausch mit industrialisierten Ländern, ganz gut: Während es bei den Waren für die USA im Verhältnis mit der Schweiz tatsächlich schlecht aussieht (51 Milliarden USD Importe stehen nur 15 Milliarden Exporten gegenüber, macht 43 Milliarden Warenhandelsdefizit), brilliert die USA geradezu bei den Dienstleistungen (Exporte in die Schweiz 54 Milliarden, Importe nur 31 Milliarden, also ein US-Überschuss von 23 Milliarden).
Die Schweiz erzielt also im Dienstleistungshandel mit den USA ein deutliches Defizit, die USA einen deutlichen Überschuss. Rechnet man die beiden Bilanzen zusammen (Waren und Dienstleistungen), sieht die Gesamthandelsbilanz nahezu ausgeglichen aus – vor allem, wenn man noch den zahlenverzerrenden Gold- und Edelsteinhandel rausrechnet. Aber wie schon festgestellt: Donald, der gewiefte Businessman, nimmt sich eben die Zahlen raus, die ihm passen.
Die überragenden Dienstleistungsexporte der USA in die Schweiz betreffen vor allem Software/IT-Produkte, Lizenzen und Finanzdienstleistungen. Microsoft, Apple Services, Google Cloud, Netflix oder Disney beispielsweise erzielen Milliardenumsätze. Dazu kommen Bildungsausgaben (so durch die Zahlungen internationaler Studenten) und der Tourismus und Geschäftsreisen. Der Konsum ausländischer Touristen in den USA wird nun mal als Dienstleistungsexport klassifiziert und hat einen positiven Einfluss auf die Bilanz der USA. Da zählen Waldmeyers Aufenthalte im Hotel in New York, die Badeferien in Miami Beach, die vorzeitig gebuchten Inlandflüge und das Steakrestaurant – alles zählt. Sogar die 21 USD für das ungeliebte ESTA-Formular, um überhaupt einreisen zu dürfen.
Nun zu Waldmeyers durchaus ernst gemeintem Vorschlag: Unsere möglichen Vergeltungsmassnahmen könnten Dienstleistungszölle vorsehen. Es wären dann auch „reziproke“ Zölle – frei nach Donald’s Prinzip: Wer mehr verkauft als kauft, muss blechen. Die Berechnungsmethode dieser neuen Dienstleistungszölle liegt auf der Hand: Wir werden den berühmten Milchmädchen-Schlüssel der Trump-Administration verwenden. Wir berechnen unser Dienstleistungsdefizit in Prozent des gesamten Dienstleistungsaustausches, dividieren durch zwei und erhalten eine beautiful tax. Sie wird sogar sehr fair und bescheiden ausfallen, es wurden 14% errechnet. Gleichzeitig wäre dieser Zoll, gefühlt, gar nicht so dramatisch. 14% auf dem Microsoft-Programm oder auf dem Netflixabo? Das würden wir locker wegstecken. Uns selbst würden wir uns damit nicht gross schaden – dies im Vergleich zu den Amerikanern, welche die 31% auf unserer Schoggi nur spüren sollen!
In Deutschland würde die gleiche Berechnungsmethode, also ebenso nach Trump’scher Manier, einen Zoll von nur 2% auf allen Dienstleistungsimporten aus den USA ergeben. Ein extrem tiefer Wert, verglichen mit der Schweiz. Tatsächlich stehen die bescheidenen Dienstleistungsimporte Germaniens von nur 67 Milliarden USD in keinem Verhältnis zur Schweiz (31 Milliarden). Waldmeyer vermutet, dass vielleicht die vielen türkischen Einwanderer in Deutschland nicht Netflix schauen oder es doch am niedrigen Digitalisierungsgrad des Landes liegt. Aber die Überlegung ist irrelevant, weil die EU, gemäss Trump-Prinzip ohnehin einen generellen Dienstleistungszoll von 8% erheben würde.
Unsere 14% dürfen nicht unterschätzt werden, denn sie werden auf einem erheblichen Volumen erhoben, tatsächlich würde dies der Eidgenossenschaft Milliarden in die Bundeskasse spülen. Ja, let’s make Switzerland rich!
Bei der Erhebung der Dienstleistungssteuer sollten die US-Touristen nicht vergessen gehen. Alle aus Amerika Einreisende, die in die Schweiz kommen, müssten mit Zöllen und Gebühren überzogen werden. Es beginnt künftig mit einem schweizerischen ESTA-Formular. Dieser elektronische Einreisezettel würde in der Schweiz allerdings 50 Stutz kosten. Ja, bei uns kostet alles ein bisschen mehr, das lässt sich jedoch immer mit der überragenden helvetischen Qualität erklären.
Als besondere Massnahme würde Waldmeyer gerne eine WAT einführen: Eine Weight Added Tax. Sie wird von besonders übergewichtigen US-Bürgern an der Grenze eingezogen, kommt allerdings erst ab 300 Pfund Trockenkörpergewicht zum Tragen (136 kg). Dann mit 100%, aber sie gilt nur für den ÖV. Da die Billetkontrolleure nicht umständliche Waagen mitschleppen können, muss das Augenmass herhalten und die Added Tax wird so eingezogen, dass einfach zwei Billette pro Person gelöst werden müssen. Allerdings dürfen dann im Tram, im Bus oder in der SBB, selbst aufs Schilthorn rauf, auch zwei Plätze pro Person belegt werden. Unsere einheimischen Mitfahrer würden dann den betroffenen Amerikanern anerkennend zunicken – im Wissen darum, dass sie unseren defizitären ÖV ordentlich mitfinanzieren. Ja, man kriegt bei uns also etwas fürs Geld und die Steuer bleibt damit sozialverträglich. Die WAT bietet übrigens einen weiteren Vorteil: Deren Einnahmen werden laufend steigen, denn die Amerikaner werden immer schwerer. Heute gelten bereits 74% der Amerikaner als übergewichtig, Tendenz steigend.
Das Übergewicht ist bei uns ebenso willkommen, wenn es auch das Portemonnaie betrifft. Denn je höher die Ausgaben der amerikanischen Touristen in der Schweiz, desto mehr Tourismus-Zoll müssen sie künftig abdrücken. Verschiedene Ansätze könnten angedacht werden, so eine Raclettesteuer (plus 31% pro Portion), selbstredend auch eine beautiful tax auf allen Hotelübernachtungen. Eine Sondertaste (goldenes „A“) bei den Geräten für die Kreditkartenabrechnungen könnten den Steuereinzug vereinfachen. Bei den Eintritten (Schaukäserei, Swiss Miniature, allenfalls auch bei Sprüngli am Paradeplatz etc.) könnte allenfalls eher die WAT zum Tragen kommen; sie ist verursachergerechter.
Da der Kaugummikauf und andere Ausgaben der Amis in der Schweiz nicht präzise erhoben werden können, werden wir darauf verzichten. Wichtig ist, dass in der Summe die 14% stimmen. Wir möchten ja nicht mogeln. Die Umsetzung mag etwas anspruchsvoll sein, wir müssten also ein bisschen innovativ sein, damit wir direkt und effizient abkassieren können. Zudem ist sich Waldmeyer bewusst, dass wir uns mit der EU und anderen Ländern in Europa abstimmen sollten. Es wäre schade, wenn die Amerikaner nur wegen dieser Dienstleistungszölle in irgendwelche andere Länder ausweichen würden. Mit Albanien, Nordmazedonien usw. müssten wir uns jedoch nicht absprechen, das Ausweichrisiko wäre vernachlässigbar.
Kurzum: Sollte Trump auf den willkürlich erhobenen Zollandrohungen auf Schweizer Waren beharren, sollten wir in der Schweiz, zusammen mit Resteuropa, reziproke Dienstleistungszölle erheben.
Aber wie gedenkt unser Bundesrat nun tatsächlich, die Kuh vom Eis zu bringen? Die Antwort liegt bereits in der Luft: Es wird ein gut-eidgenössisches Rückzugsgefecht geben, mit Ankündigungen, die möglichst nicht umgesetzt werden müssen. Gleichzeitig wird intern weiter von einem fiktiven Freihandelsabkommen fabuliert werden (welches, zum Leidwesen Waldmeyers, Agrargüter inkl. Tomahawk-Steak, ausschliesst). Und was machen wir Bürger und eine ganze Anzahl betroffener Schweizer Unternehmer mit den USA? Waldmeyer meint: „It‘s time to say Goodbye!“. Zumindest mental und vorübergehend, bis sich der Trump‘sche Nebel gelichtet hat.