Waldmeyer und das Geheimnis der Seltenen Erden

Den Frieden in der Ukraine konnte Trump zwar nicht binnen 24 Stunden, wie versprochen, herstellen. Es mag nun etwas länger dauern, bis die Kuh vom Eis ist, und der Deal wird ausserdem ganz anders aussehen, als dies Europa geplant hatte. Vielleicht träumt Trump, in seiner kognitiven Wahrnehmung, bereits vom Friedensnobelpreis. Der Hintergrund des Deals, so wird immer klarer, ist allerdings kein militärischer, schon gar nicht ein humanistischer. Es ist ein ganz anderer, es ist ein simples Geschäftsmodell. Waldmeyer hinterleuchtet.

Wir ahnten es schon: Der Ukraine-Friedensdeal der USA ist de facto ein banaler Handelsdeal! Trump möchte sich wertvolle Rohstoffe und die Seltenen Erden der Ukraine krallen. Es geht indessen nur vordergründig um die Ukraine, es geht um Geschäfte mit Russland. Aber alles der Reihe nach.

Die ganze Welt hat ein Problem mit diesen begehrten Metallen und Seltenen Erden – weil sie eben selten sind. Aber sie sind matchentscheidend, um Hochtechnologie-Güter herzustellen. Es geht dabei nicht nur um Silizium oder Lithium, Halbmetalle und Metalle, zwar begehrt, aber nicht so selten. Seltene Erden kennen wir namentlich kaum, weil sie, nicht überraschend, so selten sind, sie heissen beispielsweise Erbium oder Yttrium, Cer oder Terbium.

Waldmeyer verbrachte letzten Sonntagmorgen zusammen mit seinem besten neuen Freund, der KI. Er machte sich, zusammen mit ChatGPT, schlau betreffend diese Seltenen Erden. Er schaute gleichzeitig aus seinem Bürofenster in Meisterschwanden und blickte auf die Wiesen, die sein bescheidenes Anwesen vom Hallwilersee trennen. Unter den satten, grünen Wiesen steckt auch Erde, aber wohl nicht seltene, denn sonst würde der Hablützel Ruedi hier mit Sicherheit graben und nicht die Kühe weiden lassen, überlegte Waldmeyer. Waldmeyer weiss, dass ein paar dieser raren Erden in Elektroautos verbaut werden. «Zum Glück haben wir nie so einen blöden Tesla gekauft, sonst wären wir auch von diesen Seltenen Erden abhängig!», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

«Du bist so oder so abhängig, lieber Max», erwiderte Charlotte, «in deinem iPhone steckt Europium, in den LED-Lampen Terbium, im Katalysator deines Autos (Anm. der Red.: Porsche Cayenne, schwarz, innen auch) wurde Cer verbaut und in der Überwachungskamera Lanthan!» Waldmeyer war erst verblüfft, dann aber beruhigt, als er entdeckte, dass Charlotte sich inzwischen auch bei Chat auf ihrem Tablet eingeloggt hatte.

Waldmeyer erkannte, dass Seltene Erden tatsächlich unverzichtbar sind für moderne Technologien – für viele Elektro- und Elektronikgeräte, über Fahrzeug- und Medizinaltechnik, Windräder, Glasfaserprodukte, bis hin zur Raumfahrt.

Die Krux liegt nun darin, dass fast die Hälfte des Weltvorkommens dieser kostbaren Metalle in China liegen. Und nicht genug, China möchte die absolute Kontrolle darüber erlangen. Die 2013 gestartete Belt and Road Initiative war natürlich kein humanitäres Projekt. Es ging einerseits darum, sich weltweit Abbaustätten zu sichern, andererseits auch, um die Transportwege, raffiniert getarnt als «neue Seidenstrasse», dafür zu gewährleisten. Nicht vergeblich investiert China in ganz Asien, Afrika und Südamerika in allerlei Projekte, handelt Knebelverträge aus und sichert sich so seine industrielle Beschaffung.

Die Seltenen Erden sind das neue Gold: Sie sind ungemein wertvoll und man kommt um sie einfach nicht mehr herum. Wer sie hat, ist in der Lage, technologisch anspruchsvolle Güter zu produzieren. Wer sie nicht hat, muss Käse oder Uhren oder Pillen herstellen und exportieren, wie die Schweiz. Und ist dann darauf angewiesen, die Seltenen Erden teuer irgendwo einzukaufen. Noch eleganter ist es, wenn man gleich die fertigen Produkte kauft, teuer allerdings, in denen diese ominösen Erden stecken – dann ist es vielleicht einerlei, wer sie wo reingetan hat.

Leider liegen die Seltenen Erden nur an wenigen Orten in Europa und in den USA. Schon interessanter ist da Kanada, dort gibt es attraktive Vorkommen. Kein Wunder also, würde die neue US-Administration Kanada gerne als 51. Staat aufnehmen. Man muss ja nur auf die Landkarte schauen, denn da stimmt etwas nicht. Alaska, ganz oben links auf dem Kontinent, ist durch dieses störende riesige Gebiet, angeschrieben mit «Kanada», von den anderen US-Staaten abgetrennt, zum Teil mit einer willkürlich gezogenen, ganz geraden Staatsgrenze.

    Dass unter der dicken grönländischen Eisdecke unter anderem Neodym, Praseodym oder Dysprosium liegen – wichtige Stoffe für die Herstellung von Hightech-Magneten und Elektroautos – ist ebenso interessant. Keine Überraschung also, ist Donald der Auserwählte scharf auf diese Super-Metalle und die ganze Insel (welche praktischerweise eh schon auf der amerikanischen Kontinentalplatte liegt).

In diesem Kontext begreifen wir nun auch diesen schelmischen Ukraine-Deal besser, welcher u.a. Sicherheit gegen die Abtretung von 50% der Vorkommen diverser Rohstoffe und Seltener Erden an die USA vorsieht: Wenn schon der Kanada-Deal und auch der Grönland-Deal nicht in trockenen Tüchern sind, macht es durchaus Sinn, es in der Ukraine zu versuchen. Da schlummern zum Beispiel bemerkenswerte Vorräte an Neodym, wie erwähnt ein unverzichtbarer Stoff für die Herstellung in der Elektronik.

Trump und seine Oligarchenfreunde sind dabei nicht nur die Details eines «Friedensdeals» oder die Hegemoniebestrebungen Russlands egal. Ihnen ist auch egal, mit einem Paria-Staat wieder zu kooperieren. Wenn die NATO zerfällt, ist das auch egal, die war immer defizitär in ihren Augen, und wenn der Westen zusehends auseinanderbricht, ist das ebenso einerlei.

Egal ist auch, wenn sich Russland, nach einem Friedensschluss mit der Ukraine, nicht so genau an einen Friedensplan halten wird. Gleichzeitig werden die Störmanöver in vielen ehemaligen und heute freien Ostblockländer vermutlich fortgesetzt: In Georgien beispielsweise. Oder in der Moldau, mit der Beeinflussung der freien Wahlen. In Rumänien versuchte man, einen russlandfreundlichen Oligarchen mittels Trolls, Fakenews und viel Geld als neuen Präsidenten zu installieren. In Bulgarien wird gedreckelt, auch in den serbischen Provinzen von Bosnien-Herzegowina. Serbien selbst erhält direkte Unterstützung, Marine Le Pen früher mit Sicherheit. Die AfD und die FPÖ unterhalten rege freundschaftliche Kontakte mit Russland, Ungarn und die Slowakei eh. Die hybride und verdeckte Kriegsführung Russlands gegenüber europäischen Staaten ist eine weitere Tatsache: Unterseekabel werden gekappt, Drohnen in den Westen geschickt, gar klandestine Anschläge verübt. Der neuen US-Führung ist das alles egal, denn das findet weit weg statt und ist ein europäisches Problem. China ist die neue Bedrohung, der Kontrollverlust im pazifischen Raum ein viel wichtigeres Thema. Über dem Scheiterhaufen der jüngsten Geschichte wird, was die Ukraine betrifft, einmal ein Schild prangen mit dem Wort „Friede?“, allerdings mit einem grossen Fragezeigen.

Aber zurück zum möglichen Rohstoff-Pakt mit der Ukraine: Das wäre tatsächlich ein super Deal. Die Europäer müssten sich verpflichten, den Frieden in der Ukraine zu garantieren, und die USA würden sich der kostspieligen Unterstützung der Ukraine entledigen – im Gegenzug ungestört in der Lage sein, diese feinen Mineralien ausbuddeln zu können. Ja, so sehen lukrative Deals aus: Die Kosten müssen outgesourct, die Gewinne selbst eingestrichen werden. Trump ist ja nicht blöd, er ist ein gewiefter Geschäftsmann.

Jetzt kommt allerdings das dicke Ende: Die Ukraine ist nämlich nur die Spitze des vorteilhaften Deals. In Wahrheit geht es um viel, viel mehr, nämlich um den künftigen Handel der USA mit Russland. Die USA werden davon ausgehen, dass mit einem Friedensplan in der Ukraine diese lästigen Sanktionen gegenüber Russland vom Tisch sind. Putin, Kriegsverbrecher und bedeutendster Angriffsaggressor seit Hitlers Überfall auf Polen 1939, wird rehabilitiert werden. Der Kremlherr wird wohl auch nicht verpflichtet werden, Reparationszahlungen an die Ukraine abzudrücken. Das Land wird selbstredend nur von den Europäern wieder aufgebaut werden. Auch die Schweiz wird ihren Beitrag leisten, so könnte sie beispielsweise ein ordentliches Bankensystem aufbauen, eine Schaukäserei erstellen oder aufzeigen, wie man kantonale, komplizierte Verfassungen realisiert. Sie könnte auch einen Vorschlag für ein verkehrsfreies Kiew ausarbeiten und ausgediente Verkehrsradars liefern.

Aber aus Sicht der USA ist ein Wiederaufbau des versehrten Landes gar nicht nötig. Das bringt nämlich überhaupt nichts für die geplanten Bergbau-Aktivitäten. Die feinen Mineralien liegen ja nicht in den Städten, die hatte der Herrgott glücklicherweise eher etwas ausserhalb angesiedelt. Und «ausserhalb» ist ziemlich gross, rund 15-mal grösser als Helvetien.

Waldmeyer hatte sich die Mühe genommen, sich etwas in den von den USA ausgearbeiteten Rohstoffvertrag einzulesen, der Selensky zur Unterschrift vorgelegt wurde. Grosszügigerweise stand da auch noch etwas von Aufbauhilfe – allerdings nur für die Abbaugebiete der Rohstoffe…

Waldmeyer wandte sich nun wieder Russland zu. Da stimmt etwas nicht mit dem Handelsvolumen zwischen den USA und Russland. 2011 betrug dieses noch 43 Milliarden USD pro Jahr, heute nur noch gut 4 Milliarden. Zum Vergleich: Mit der Schweiz liegt es heute bei 70 Milliarden.

Schuld an dem kümmerlichen Handelsaustausch mit Russland sind vor allem die Sanktionen. Das wird jetzt neu als eine Verschwendung betrachtet, denn die USA könnten ihre grossen schönen Fahrzeuge und die Steaks liefern, im Gegenzug könnte Russland Rohstoffe verschicken. Russland verfügt über die zweitgrössten Reserven der Welt an Seltenen Erden. Über grosse Mengen an Yttrium beispielsweise oder Lanthan, beides unverzichtbare Metalle für die Produktion von Bildschirmen oder Elektromotoren.

Elon Musk wird wohl auch scharf sein auf Dysprosium und Praseodym: zwei Seltene Erden, die sowohl in ukrainischen als auch in russischen Böden schlummern und die in der Raumfahrtindustrie gebraucht werden. Elon wäre entzückt, er könnte sie für seine Raketenspiele verwenden.

Insgesamt könnte sich ein Handelsvolumen USA/Russland von 100 bis 200 Milliarden ergeben. Aber kein Deal ohne Ukraine-Frieden, erst müssen die Russland-Sanktionen weg – und zwar subito.

Ja, wir sollten uns ein Beispiel an den USA nehmen. Die denken strategisch, die tun was. Sie sind einfach geschäftstüchtig, da sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Bundesrat Parmelin, unser Wirtschaftsminister, sollte das US-Konzept einmal genauer studieren. Wir könnten wieder unsere schönen Uhren nach Moskau liefern, im Gegenzug erhalten wir dann ebenso schönes, silbern-funkelndes Yttrium. Waldmeyer kratzt sich am Kopf: Sollten wir wirklich so dazulernen?

Waldmeyer und die Psyche der Deutschen

Der wirtschaftliche Niedergang unserer Nachbarn ist ärgerlich, weil das auch auf Helvetien abfärbt. Und es werden allerlei dumme antikapitalistische Ideen importiert. Italien und Frankreich scheinen heute kaum mehr regierbar zu sein, und Deutschland, der bei weitem wichtigste Handelspartner der Schweiz, kommt aus dem Schlamassel nicht heraus. Max Waldmeyer sieht dafür tiefere Gründe und lässt sich von Rebecca Carpenter interviewen.

 

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, du hast schon mal den etwas plakativen Begriff der «teutonischen Kernschmelze» geprägt. Wir wollen der Sache nochmals etwas auf den Grund gehen. Welches Psychogramm müsste denn ein Bürger haben, um ein optimales Wirtschaftssubjekt darzustellen? Oder: Eignet sich der Deutsche überhaupt, um eine Volkswirtschaft vorwärtszubringen? Und: Auf der Welt gibt es ganz unterschiedliche Charaktere der Völker. Was sind denn die ausschlaggebenden Ausprägungen für einen wirtschaftlichen Erfolg?

 

Max Waldmeyer: Ja, die Unterschiede sind nur schon im kleinen Europa mit Händen zu greifen. Wenn wir, leicht überzeichnet, sehen, wie z.B. die Italiener sind: nämlich Chaoten, aber oft mit viel Improvisationskunst. Die Franzosen sind zwar arrogant, aber das muss sich wirtschaftlich nicht per se negativ bemerkbar machen. Die Griechen, so wird kolportiert, halten es mit der Ehrlichkeit nicht immer genau, was sich zwangsläufig nachteilig auswirkt. Die Engländer haben gar nie richtig arbeiten müssen, die hatten ihre Kolonien, ein geniales System von Outsourcing wurde da entwickelt. Die Spanier haben die Siesta erfunden, was sich allerdings immer wieder hemmend im Arbeitsverhalten manifestiert. Die Portugiesen dagegen waren dem rauen Atlantik ausgesetzt, die durften also nicht mediterran sein, sie mussten immer etwas mehr arbeiten, hatten am Ende ihrer Kolonialzeit allerdings alles verloren. Die Amerikaner, Kanadier und die Australier waren alles rührige Einwanderer aus Europa, die meisten aus dem Vereinigten Königreich und aus Irland. Da waren jedoch auch ein paar deportierte Pferdediebe dabei – aber zur Verschiffung gelangte schon mal eine arbeitssame Auslese. Die Chinesen sind unglaublich leistungsfähig und geldgetrieben, das hilft bei der Entwicklung. Die Japaner andererseits waren einfach gezwungen, clever zu sein, verfügten sie doch über keine Rohstoffe, sie gehören heute zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen – wenn sie auch ausgesprochen humorlos sind.

Das sagt man auch von den Deutschen.

Japaner sind nicht lustig. Deutsche aber auch nicht immer. Es fehlt oft an Humor. Im Süden Deutschlands ist noch etwas vorhanden, gegen Norden flacht es ab, insbesondere im deutschen Rustbelt (Anmerkung der Redaktion: im erweiterten Ruhrgebiet, in der Region mit Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln etc.). Im Norden dann blitzt so was wie ein bisschen englischer schwarzer Humor auf, die Hamburger z.B. weisen einen durchaus intelligenten Stil auf. Im Osten Deutschlands dann grassiert die absolute Humorlosigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Geschichte geschuldet ist, aber es ist so. Generell gilt: Deutsche sind anders. No grey area, only black and white. Da ist immer etwas Absolutes dabei, oft etwas Verstocktes. Das ist natürlich nicht sehr hilfreich für eine prosperierende Entwicklung einer offenen Volkswirtschaft.

Vielleicht liegt einfach alles im zufälligen Verlauf der Historie?

Manchmal lohnt sich tatsächlich ein Blick zurück in der Geschichte. Da gab es allerdings Hochkulturen, die sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Vor allem wirtschaftlich.

Von den Mayas und den Azteken sprechen wir heute überhaupt nicht mehr. Die hochentwickelten Perser, heute Iraner, steinigen ihre Frauen. Die Imperien der Griechen und der Römer sind versunken.

Aber es waren nicht nur Hochkulturen, die eine grosse wirtschaftliche Blüte erschufen. Frankreich beispielsweise war nie eine Hochkultur, auch wenn die Gallier ein Auslaufprodukt der Römer sind; sie kolonialisierten aber ziemlich erfolgreich die Welt und organisierten ihren Laden zuhause ganz leidlich. Die Briten ebenso, die haben es fast noch besser gemacht, sie profitieren noch heute von den Pfründen ihres Commonwealth, König Charles z.B. darf mit Vergnügen seine Untertanen in Australien besuchen.

Nun, jetzt bewegen wir uns langsam auf dünnem historisch-philosophischem Eis!

Auf jeden Fall: Die Deutschen waren nie Bürger einer Hochkultur. Aber da gab es bisweilen schon ein paar ganz erhellende Zeitabschnitte. Dieser Ludwig der II. zum Beispiel war ein lustiger Kerl. Oder was die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen hatten, war beachtlich – wenn auch aus der Not heraus und nur dank dem Marschallplan.

Es wird immer wieder die Theorie vertreten, dass ein Land möglichst wenig Rohstoffe haben sollte, um innovativ und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ja, ich sehe das, mit Einschränkungen, auch so. Die Schweiz beispielsweise hatte gar keine Wahl, sie musste sich mit Fleiss, Erfindergeist und Handel behelfen. Hätte sie es nicht getan, wäre sie heute immer noch ein bedauernswertes Volk aus Bauern und Söldnern. Das Land würde sich vielleicht, geografisch bedingt, als grosser Mittelempfänger in der EU wiederfinden. Die Deutschen übrigens hatten immer mehr Rohstoffe als wir, ein Grossteil der Bevölkerung wohnt ja heute noch auf einem riesigen Kohleberg, der fleissig abgebaut wird. Ein Teil des Landes arbeitet so noch im Primärsektor, auf der untersten Entwicklungsstufe der Makroökonomie. Und von den Russen bezogen sie während Jahren fast uneingeschränkt billiges Öl und Gas, als ob es ihnen gehören würde. Das ist der Fluch der Rohstoffe: Wenn die im Überfluss und günstig zu haben sind, tritt Lethargie ein. Man müsste den Ländern die Rohstoffe wegnehmen, dann würden sie sich vielleicht ordentlicher entwickeln. Vielleicht sollte man den Deutschen die Kohle wegnehmen.

 

Du sprichst den Fluch des Erdöls an: Gewisse Staaten auf der Welt sind damit stinkreich geworden, erlangten aber nie einen gesunden Status einer Volkswirtschaft.

So ist es: Nigeria oder Venezuela könnten auf der Entwicklungsstufe der Emirate stehen, hätten sie die Pfründen der Erdöleinnahmen etwas anständiger verteilt. Die Rohstoffe verhindern in der Regel immer echte Wertschöpfung. Hätte die Schweiz Erdöl gehabt, gäbe es vielleicht das Schweizer Taschenmesser gar nicht. Die Russen übrigens haben noch nie was Gescheites produziert, sie exportieren nur Erdöl, Erdgas, Waffen und Trolls. Nicht mal Wodka, darin sind die Schweden gut.

Jetzt schweifen wir aber etwas ab. Also zurück zu Deutschland und zur Psyche des Bürgers: Ist diese nun gut oder schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich denke, diese Analyse ist schon wichtig. Weniger die Frage, ob Humor mehr Wirtschaftsleistung produziert. Wir müssen indessen irgendwie begreifen, wie sich der Deutsche in der Welt und im Markt, im Wettbewerb bewegt. Dann verstehen wir die Resultate. Die Psyche der Unternehmer und der Arbeitnehmer spielt da schon eine Rolle. Es mag heute vielleicht zwei erfolgreiche Ausprägungen einer volkswirtschaftlichen Entwicklung geben, die auf der Psyche der Gesellschaft basiert: die offene, innovative Haltung – so in den USA, ausgeprägt beispielsweise in Kalifornien – und die disziplin- und geldgetriebene Psyche der asiatischen Länder. Deutschland hat nichts von beidem. Früher wurden diese Mankos durch eine arbeitssame Haltung kompensiert. Wie wir wissen, ist das vorbei, denn jeder bastelt heute nur noch an seiner Work-Life-Balance rum. Da kommt dann, makroökonomisch gesehen, nicht mehr viel raus.

 

Natürlich ist es offensichtlich, dass eine Volkswirtschaft leidet, wenn nur noch auf Zuruf gearbeitet wird. Nine-to-five sozusagen. Am Freitag to-twelve.

Für einen Teil der Industrie mögen nicht zu profund denkende Heerscharen von Arbeitenden vielleicht hilfreich sein. Das war aber eher früher ein günstiger Umstand, zu Beginn der Industrialisierung, da war etwas Kadavergehorsam ganz willkommen. Ein Gutteil der deutschen Bürger schätzt es auch heute noch, in einem grossen Räderwerk einer grossen Firma unterzugehen. Alles ist durchgetaktet, jeder weiss genau, was er zu tun hat, und Obrigkeitshörigkeit herrscht vor. Jeder führt aus. Die grossen Konzerne profitieren durchaus von dieser Denke, vor allem die Firmen, die weniger innovationslastig sind. Also die Mid-Tech-Industrie, die Chemie, die Pharmabranche. Da braucht es weniger kluge Nerds im Kapuzenpullover, die geniale Inputs einbringen.

Du willst doch nicht sagen, dass das Outfit der Arbeitnehmenden einen Einfluss auf die Volkswirtschaft hat?

Doch, indirekt schon! In den klassischen deutschen Konzernen springt das vorab männlich dominierte Management immer noch im Dreiteiler rum, mit Krawatte, mit akkurat gebundenem doppelten Windsor-Knoten. Also nichts von Rollkragenpullover und Sneakers. Das mögen Äusserlichkeiten sein, aber es sind eben die Insignien des Stillstandes. Da wird auf Distanz gemacht.

In Kalifornien begrüsst man sich mit «how you’re doing», das Gegenüber antwortet dann auch mit «how you’re doing». Vielleicht lässt man in den Korridoren der Firma auch nur ein «Hi» fallen. In Deutschland ist das anders: «Guten Tag, wie geht’s Ihnen». «Danke, gut, und Ihnen?» «Nichts zu beklagen, danke». Das wäre ungefähr die Minimalkonversation, welche indessen bereits ein paar wertvolle Sekunden Arbeitszeit verbraucht hat, nur Distanz zementiert und sicher keine Basis für ein innovatives Brainstorming ist. Und dann kommt noch etwas hinzu, z.B. in Kalifornien: Man würde dann auf dem Korridor, am Freitagmorgen, gleich noch etwas Positives mitteilen: «I‘ll try to finish the profile for this project M4 till tonight!” “Great.”

Und wie würde eine solche Konversation denn in Deutschland ablaufen?

Nun, zum Beispiel so: “Ich mach dann mittags mal Schluss, ich fahr noch südwärts». «Toll. Ich hol die Kleine von der Schule, dann geht’s ab in den Streichelzoo.»

Also: Es geht um die unterschiedliche Haltung, die Bereitschaft, eine Extra Mile zu leisten. Nicht alles ist perfekt in anderen Ländern, beileibe nicht, es gibt auch viel Misere. Aber die Deutschen sind definitiv in der Wohlstandfalle angekommen – obwohl der Wohlstand dort ja gar nicht flächendeckend verbreitet ist.

Hat das deutsche Modell also ausgedient?

Im Moment ja, ganz klar. Aber das urdeutsche Modell, so wie es nach dem Krieg bis anfangs der 70er Jahre bestanden hatte, hätte überhaupt nicht ausgedient. Es wurde jedoch komplett verwässert, denn der allmächtige Staat kam, der allen die Verantwortung klaute. Im Gegenzug hat er eine verblüffende Regeldichte erstellt.

Zum Glück hatte Deutschland die Chance, über eine sehr starke Grossindustrie zu verfügen. Diese Räderwerke konnten immer viel Umsatz abspulen. Sie wurden vom Staat die ganze Zeit stark unterstützt, politisch, mit wirtschaftlichen Hilfen, Steuererleichterungen etc. Währenddessen verbluteten allerdings die KMU. Das Resultat sieht man heute: Es gibt nach wie vor ein paar sehr erfolgreiche Grosskonzerne, auch im Dienstleistungsbereich, währenddessen die kleineren Firmen verkümmern. Ich glaube, wenn ich etwas nicht sein wollte, dann wäre es ein mittelständiger Unternehmer in Deutschland. Vielleicht wäre ich deshalb eher Chef eines Grosskonzerns – dann müsste ich mich allerdings mit den Gewerkschaften, einer verqueren Politik und Bürgern rumschlagen, die ganz anderes als Arbeiten im Kopf haben.

Mit dem Regierungswechsel soll nun ja alles anders werden.

Ich bin ebenso froh, nicht Teil dieser neuen Regierung zu sein. Denn die hat ein grosses Problem: Sie kann ja das Volk nicht auswechseln.

Nun, Du wirst kein mittelständisches Unternehmen führen müssen, auch keine Regierung. Zu solchen Strafen werden wir dich nicht verdonnern, Max! Herzlichen Dank für die erhellenden Einblicke in deine Analysen!

Waldmeyer und Trumps Attacke auf die Schweiz

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Attacke ist noch nicht da. Aber Waldmeyer ist überzeugt, dass diese zeitnah kommen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Schweiz hat ein grosses, latentes und noch wenig bewirtschaftetes Problem. Irgendjemand wird es Trump flüstern, und dann wird sich unsere Regierung warm anziehen müssen.

Trump wird sich zu Beginn seiner Regentschaft nun vieles vorknöpfen – schliesslich muss er doch einige Versprechen einlösen. Dass er – wie versprochen – gleich den Benzinpreis halbieren und die Lebensmittelpreise senken wird, ist natürlich eine alberne Vorstellung. Vorab wird er sich erst einmal an seinen Widersachern im Wahlkampf rächen. Und dann wird er zahlreiche Dekrete unterschreiben.

Waldmeyer weiss, dass das Dekrete-Unterschreiben eine Lieblingsbeschäftigung des «Chosen One», also des Auserwählten, ist. Der Präsident tut dies mit Inbrunst, am liebsten im Scheinwerferlicht und mit seinen berühmten grossen schwarzen Filzstiften. Die Unterschriften sind ebenso gross und weisen zugegebenermassen eine gewisse Grandezza auf. Was Trump unterschreibt, ist ihm im Detail nie so ganz klar. Aber er tut es. Waldmeyer erinnern diese Episoden an Nachrichten-Schauen aus vergangenen Zeiten, auch aus Entwicklungsländern: Dort sieht man jeweils, wie wichtige Staatsdiener regieren, sie laden ebenso wichtige Gäste ein, halten Hof oder steigen aus fetten schwarzen Limousinen aus. Alles wird von pathetischer und triumphaler Musik begleitet. Und ja: Sie unterschreiben dann diese wichtigen Dekrete.

So viel zur starken Aussenwirkung, optimales Regieren vorausgesetzt. Trump versteht es. Und immerhin tut er was – das muss Waldmeyer anerkennend würdigen.

Aber nun zu den wichtigen Regierungsgeschäften. Der neu-alte Präsident ist diesmal besser vorbereitet. Sein Plan steht. Es ist die «Agenda 47». Diese sieht vor, dass dem amerikanischen Volk künftig einiges an Last abgenommen wird. Denn der Chosen One wird viel mehr entscheiden können. Die Institutionen, Gesetze und Dekrete werden so zurechtgebogen, dass Donald Trump weitgehend frei walten und schalten kann.

Es gibt viel zu tun: Immigranten rauswerfen, Zölle erhöhen, Golf spielen, Ministerien abbauen, bei Putin den Gang einlegen, das Oval Office neu dekorieren und vieles mehr.

Seine Berater – und diesmal hat er sie bewusster ausgewählt – flüstern ihm laufend neue Sachen ein. Waldmeyer meint dabei nicht nur den Chef-Berater Elon Musk. Dieser konzentriert sich eher auf einen «Haircut» im Beamtendschungel, was, zumindest partiell, sich wohl tatsächlich wohltuend auf das horrende Budgetdefizit der grössten Volkswirtschaft der Welt auswirken wird. Musk allerdings, so ist Waldmeyer überzeugt, hat nur eine begrenzte Halbwertszeit, denn die beiden Alphatiere Trump und Musk werden sich in absehbarer Zeit bestimmt noch in die Haare geraten.

Waldmeyer meint, dass die anderen Berater ebenso wichtig sind. Zum Beispiel die von Trump ernannten Männer fürs Grobe, die sich um den Welthandel mit den USA kümmern müssen. Im Vordergrund steht China, denn da verzeichnen die USA ein Handelsdefizit von jährlich 280 Milliarden USD.

Aber die Berater werden Trump noch weitere Dinge einflüstern: So die zu hohen Handelsdefizite mit weiteren Ländern. Dabei geht es, beispielsweise, nicht um die EU, welche Trump auch schon mal, es mag einiges früher gewesen sein, gelobt hatte («Brussels is a nice country»). Es geht um einzelne Länder. Man wird Trump also vorrechnen, dass allein Deutschland einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber den USA von 63 Mia aufweist: Da werden zwar Waren im Wert von 158 Mia aus Deutschland eingeführt, aber viel weniger ausgeführt (95 Mia). Das ist ungerecht, in den Augen Trumps. Die Deutschen sollten also mehr US-Waren kaufen. Aber, um Gottes Willen, was denn? Ketchup, amerikanische Pickups, iPhones? Waldmeyer erinnert sich, dass er vor Jahren auch mal Wein aus dem Nappa Valley bezog. Seine alten 501-Jeans sind US-Style – aber sie kommen direkt aus Indien. Also, was, for God’s sake, sollten die Deutschen denn noch kaufen von den USA? Nun, vielleicht Dienstleistungen! Deutsche könnten mehr Urlaub machen in den USA, das trägt auch zur Verbesserung des Handelsbilanzdefizits bei. Aber eben nicht viel. Trump ist es zudem egal, wie im Detail das Handelsbilanzdefizit (aus US-Sicht) runtergebracht, bzw. der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber den USA verringert wird. 63 Milliarden sind eine Menge Geld. Das sind 750 USD pro Kopf der deutschen Bevölkerung, alle türkischen und syrischen Einwanderer eingerechnet.

Aber nun zum tatsächlichen Fiasko: Ein weiterer Einflüsterer wird Trump nämlich erklären, dass das grösste von allen Handelsdefiziten von der Schweiz ausgeht!

“Why do we have a problem with Sweden”, wird Trump antworten. Aber man wird ihm die Unterschiede zwischen Sweden, Swasiland und Switzerland anschliessend genau erklären. Und dann die Zahlen nennen. Da werden nämlich Waren im Wert von 48 Mia von der Schweiz importiert, das kleine Land kauft aber US-Waren nur im Wert von 14 Mia. Tatsächlich beträgt der Handelsbilanzüberschuss, inklusive Dienstleistungen, der Schweiz gegenüber den USA rund 35 Mia USD. Das ist halb so viel wie der Überschuss Deutschlands. Aber pro Kopf ist dieser Saldo gigantisch, es sind fast 4’000 USD. Die Einflüsterer werden ihrem Chef noch unter die Nase binden, dass die Vergleichssumme bei den Chinesen nur 230 USD beträgt. Helvetien verzeichnet damit einen Weltrekord. «Mister President, these cheese eaters produce a deficit per capita which is 17 times higher than the Chinese one. Switzerland is the problem, not China!”

Was nun folgen wird, ist vorgezeichnet: Trump wird auf den Zug aufspringen. «Why the f… do they export to us, but they do not import?”

Dann wird der Druck aufgebaut. Die Medien-Maschine wird angeworfen, Restriktionen für Aktivitäten von Schweizer Firmen in den USA angedroht. Aussenminister Cassis wird ins Weisse Hause beordert und abgekanzelt. Guy Parmelin, notabene der Wirtschaftsminister und damit verantwortlich für diese ungebührlichen Exporte, wird sich die amerikanischen Zeitungsberichte gelegentlich ins Französische übersetzen lassen. Bundespräsidentin Keller-Suter wird, notabene in gutem Oxford-English, was leider eben nicht gut ankommt in den USA, die Sache bei der neuen US-Botschafterin zu glätten versuchen. Vergeblich, natürlich wird sie dort auf Granit beissen. Der Bundesrat wird diverse Task Forces ins Leben rufen und einen runden Tisch einberufen. Die SVP wird sich empören und mit Wirtschaftssanktionen drohen. Ex-Bundesrat Blocher wird einen strengen Visumszwang für US-Bürger vorschlagen und US-Studenten auffordern, doch zuhause – und nicht in der Schweiz – zu studieren. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello wird den Bundesrat zur sofortigen De-Eskalation aufrufen, und die Jungen Grünen werden uns alle daran erinnern, dass wir ein Null-Wachstum anstreben und so auch weniger exportieren sollten.

Die Amerikaner werden alle unsere internen Vorschläge jedoch gar nicht wahrnehmen. Die Schweizer Banken mit Ausrichtung Private Banking für amerikanische Kunden werden gewaltig unter Druck kommen. Trump wird zusätzlich eine Spitze gegen die Schweiz abschiessen, dass sie zu wenig für die Verteidigung ihres Landes beiträgt, das 2%-Minimum des BIP wird nie und nimmer erreicht, obwohl das die Vorgabe für alle NATO-Länder ist. Also könnte die Schweiz doch etwas mehr Armeegüter aus den USA ordern? Die Schweiz ist nicht in der NATO, aber wie sollte Trump das wissen…? Die Swiss könnte auch mehr Flugzeuge von Boing kaufen. Die verlieren zwar zuweilen die Türen und können die Fahrwerke nicht ausfahren oder glänzen durch andere Unzuverlässigkeiten. Aber es muss ja nicht immer ein Airbus sein. Das wäre zumindest ein Anfang. Auf jeden Fall wird The Chosen One seine Forderung präsentieren, den Handelsbilanzüberschuss abzubauen. Und zwar subito.

Der Polit-Tsunami, der über Helvetien hereinbrechen wird, wird zahlreiche Wirtschaftszweige erfassen. «The pills are the problem, Mister President», wird man Trump dann noch stecken. Und tatsächlich: Die Schweiz exportiert pro Jahr für fast 30 Milliarden Pharmaprodukte in die USA. Trumps Gesundheitsminister, der mehr als umstrittene Robert F. Kennedy jr., wird seinem Chef vorschlagen, dass diese Cheese Eaters die Preise um 50% senken sollten – das käme nämlich auch dem verkorksten US-Gesundheitswesen zugute. Kurzum, der Tsunami wird nicht eingedämmt werden, obwohl die Schweiz noch länger davon träumen wird, das Problem aussitzen zu können.

Waldmeyer weiss, was in diesen Fällen zu tun ist: Da man auf den Bundesrat, das Parlament oder die Wirtschaft im Allgemeinen nicht zählen kann, muss man eben selbst entscheiden und in Eigenregie einen Beitrag leisten. Einen amerikanischen Pickup möchte Waldmeyer allerdings nicht kaufen – sein Nachbar Freddy Honegger würde zu viele Fragen stellen. Vielleicht sollte man einfach im Kleinen beginnen?

«Wieviel Ketchup haben wir noch im Kühlschrank, Charlotte», fragte Waldmeyer, «vielleicht sollten wir etwas aufstocken?»

«Wenn du das Handelsbilanzdefizit mit den USA ansprichst, lieber Max: Dann sollten wir im Herbst besser Urlaub in den USA machen und deine Wein-Reise in die Toscana streichen.  Das ist effizienter, damit bringen wir die Zahlen rascher runter!»

Waldmeyers Protest war vergeblich. Auch sein Vorschlag, alternativ zwei neue iPhones zu kaufen, zerpflückte Charlotte in Nu, da diese vorab in China gefertigt werden. «Es sind die Pillen, Max, wir müssen wohl dort ansetzen. Steck das doch mal dem Parmelin!»

Waldmeyer und das bizarre Trump Kabinett

Trump stellt nur loyale Personen ein. Alternativ Geldgeber. Oder gute Kommunikatoren, welche seine Ideen verkaufen können. Trump stellt sich als künftige Regierungsform vermutlich so etwas wie ein westliches Kalifat vor. Nicht umsonst hatte er seinen Wählern im Abstimmungskampf versprochen, dass sie nur noch einmal, ein letztes Mal also, zu wählen hätten. Waldmeyer durchleuchtet nun das neue Kabinett.

2025 tritt ein erfahrener Mann die Präsidentschaft des wichtigsten Landes der Welt an. Seit den 80er Jahren hat er schon rund 4000 Prozesse geführt, er hat sechs Bankrotte seiner Spielkasinos und Firmen hinter sich, und er ist ein verurteilter Straftäter. Als gewiefter Geschäftsmann war er bekannt dafür, dass er Schulden nur ungerne zurückzahlt. 70 verschiedene Banken mussten ihre Forderungen schon abschreiben. Viele weitere private und firmenbedingte Prozesse stehen noch an. Immerhin kann er auf die Erfahrung einer Präsidentschaft zurückblicken, während der er die Staatsschulden um gigantische Summen aufgebläht hatte: nämlich um fast acht Billionen USD – mehr als je ein anderer Präsident.

Und nun also nochmals Trump. Der Mann ist jedoch entscheidungsfreudig. Und selbst wenn er nicht alles versteht, so könnte er doch zumindest ein gutes, professionelles Kabinett um sich herumscharen.

16 Kabinettsmitglieder gilt es zu bestimmen, plus weitere Schlüsselpositionen. Die Ernennungen müssen sitzen, denn anschliessend muss ja gar nicht mehr gewählt werden. So sieht es Trumps Geheimplan «Project 47» vor, der allerdings gar nie geheim war. Der Plan sieht vor, die Kompetenzen neu zu bündeln – nicht überraschend beim Präsidenten. Die Ernennungen machen in diesem Lichte durchaus Sinn, weil so der «Auserwählte» (Eigenwerbung Trump, «the chosen one») definitiv übernehmen kann. Der Erfinder der «alternative facts» soll es richten.

Die Kabinetts-Liste und die Kommentare Waldmeyers dazu sind leider bereits sehr lange. Und die Auflistung befand sich bei Redaktionsschluss noch in Dauerbearbeitung. Bestimmt werden noch ein paar zusätzliche seltsame Ernennungen nachgereicht. Waldmeyer analysiert die Personalien des bisher definierten bizarren Kabinetts:

So stellte Waldmeyer fest, dass auch erfolgreiche Hedgefund-Manager und Investoren der Wall Street Schlüsselpositionen im neuen Kabinett ergattern können. Scott Bessent hatte 1992, so wie George Soros, ein Vermögen mit der Wette gegen das britische Pfund verdient. Heute ist er im Hauptberuf Milliardär. Aber er war auch ein hervorragender Fundraiser für Trump, er brachte Dutzende von Millionen für den Wahlkampf zusammen. Nun die Belohnung: Scott wird Finanzminister, eine durchaus prestigeträchtige Arbeitsstelle.

Dem neuen Präsidenten war es wichtig, die Gewerkschaften ruhigzustellen. Und weil die Arbeiter im Rustbelt Trump an der Wahlurne entscheidend geholfen hatten, gehört es sich schliesslich, die versprochene Halbierung der Lebensmittelpreise und die drastische Senkung des Benzinpreises wahr werden zu lassen. If you can’t beat them, join them. Also musste ein Vertreter der Phalanx der Arbeiter auch in die Regierung – so lassen sich Veränderungen eleganter realisieren. Trump hatte aber noch eine zusätzliche Verpflichtung: Er musste sich bei allen Latinos bedanken, die ihm auf den Leim gekrochen sind. Also galt es, eine Person zu finden, die beides verkörpert: nämlich gewerkschaftsfreundlich ist und aus der Latinoecke kommt. Raffiniert wäre natürlich, wenn diese Person zusätzlich eine Frau wäre. Trumps HR-Gehilfen wurden fündig und präsentierten die Kunstfigur Lori: arbeiterfreundlich, Latina, trumpergeben. Lori Chavez-DeRemer wird nun, zumindest auf unbestimmte Zeit, Arbeitsministerin werden.

Auch Afroamerikaner sollten integriert werden. Schön wäre es, einen professionellen Footballspieler zu finden, dazu noch superloyal. Und eben schwarz. Trumps HR-Team fand auch hier den richtigen Kandidaten: Scott Turner. Er ist leidlich schwarz, sieht ganz gut aus und hatte schon mal einen Job unter Trump im Weissen Haus. Da soll noch einer sagen, Minoritäten hätten keine Chance! Scott erhält den Posten als Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung.

Wenn man Politstrategin ist und eine Denkfabrik leitet, die wie Trump denkt, kann das sehr hilfreich sein. Und so geschah es auch: Brooke Rollins bekommt den Job als Landwirtschaftsministerin. Sie hatte mit Landwirtschaft bisher selbstredend nichts am Hut. Aber sie scheint loyal zu sein.

Auch jüdische Wähler und die israelische Diaspora muss man auf seiner Seite haben. Also fahndete man nach einem geeigneten CV. Der Kandidat sollte auch ein bisschen vermögend sein, wenn möglich ein erfolgreicher Banker. Und im besten Fall noch ein zu belohnender Gönner Trumps im Wahlkampf. Man stiess deshalb auf Howard Lutnick. Howard darf nun Handelsminister spielen: Eine ganz interessante Stelle, denn da ist künftig Verhandlungspoker angesagt.

Um den Handelskrieg mit China noch etwas anzuheizen, brauchte es indessen noch eine zusätzliche Personalie: jemand, der sich in Sachen Zöllen bereits die Sporen abverdient hatte während Trumps erster Regentschaft. Deshalb wird Jamieson Greer Handelsbeauftragter.

Kinderreiche Familien sind immer beliebte Vorzeigemuster – in den Augen des neuen US-Präsidenten erst recht. Wenn ein Kandidat noch zusätzlich konservativer, erfolgreicher Fernsehmoderator ist (und neun Kinder hat), könnte er sich auch als Verkehrsminister eignen. Und so kam Sean Duffy zu seinem neuen Job wie die Jungfrau zum Kind.

So sollte sich auch ein bekannter Fernseharzt als Regierungsmitglied eignen. Wenn er zusätzlich noch die Bevölkerung der Einwanderer abholen kann (er hat türkische Wurzeln), kann das nur von Vorteil sein. Dass er medizinische Produkte ohne Nutzen anpreist, spielt keine Rolle – das passt ganz gut ins Bild der «alternative facts». Mehmet Oz wird künftig die staatlichen Gesundheitsversicherungen leiten. Warum er sich das antut, bleibt schleierhaft. Aber irgendein positiver Nutzen (im Vergleich zu denen seiner Scharlatan-Produkte) wird sich mit Bestimmtheit noch ergeben.

Die Förderung der fossilen Energie ist ein Lieblingsprojekt Trumps. Damit hatte er auf einen Schlag eine grosse Bevölkerungsgruppe und gleich mehrere Gliedstaaten auf seiner Seite. Wenn ein Protagonist dieser Förderer gleichzeitig noch ein grosser Wahlkampfspender ist, muss er auch belohnt werden: Der ziemlich vermögende Doug Burgum darf künftig das Amt des Innenministers bekleiden, kann ungehindert Fracking fördern und den Benzinpreis runterbringen.

Ein Fox-Moderator, der gleichzeitig noch Kriegsveteran ist, könnte sich doch als Verteidigungsminister des stärksten Landes der Welt qualifizieren – so die messerscharfe Analyse Trumps. Da spielt es auch keine Rolle, wenn jegliche politische Erfahrung fehlt. Pete Hegseth wurde nun zum Verteidigungsminister ernannt. Leider hat Pete keine Führungserfahrung. In seinem Job warten allerdings fast drei Millionen Angestellte darauf, geführt zu werden. Wenn das nur gut geht.

Auch ein ehemaliger kampferprobter Offizier der Green Berets kann sich gut machen in einem Kabinett. Er ist, wie Trump, der Meinung, dass man den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden beenden kann. Das Geheimnis diesbezüglich harrt noch seiner Lüftung. Auf jeden Fall wird Officer Mike Waltz jetzt Sicherheitsberater – ebenfalls eine absolute Schlüsselstellung in der Regierung.

Dass ein 80-jähriger Ex-General und Kriegsveteran nun als Sondergesandte für den Ukrainekonflikt benannt wurde, passt gut in die ganze Ernennungsliste. Ob es Keith Kellogg tatsächlich richten wird?

Der reichste Mann der Welt, erfolgreicher Unternehmer, Selbstdarsteller und Provokateur könnte der Mann fürs Grobe sein. Ausserdem muss man die Leute belohnen, die einen im Wahlkampf an vorderster Front mit Millionenbeträgen (total genau 270 Millionen USD) und offenbar gelungenen Auftritten unterstützt haben. Elon Musk soll deshalb die neue Effizienzbehörde leiten. An sich eine gute Sache, diesen ausufernden Beamtenapparat auszumisten. Aber der Interessenkonflikt ist zu offensichtlich: Musk möchte verhindern, dass seine in China zusammengezimmerten Teslas mit hohen Zöllen belegt werden, ausserdem möchte er die Amerikaner möglichst mit NASA-Geldern mit seinen Raketen der SpaceX auf den Mars schicken. Musk zur Seite wird der schwerreiche Unternehmer Ramaswani gestellt, welcher wohl ein bisschen Abwechslung sucht. Dass letzterer aus der indischen Abteilung kommt, kann der Sache nur förderlich sein, denn auch diese Bevölkerungsgruppe gilt es in irgendeiner Form in einer Regierung abzubilden.

Robert F. Kennedy jr. war ein Störfaktor ohnegleichen im Wahlkampf. Dass er sich bei seinem Rückzug für Trump aussprach, war natürlich das Resultat eines Deals. Nun soll der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker Gesundheitsminister werden – eine der wohl umstrittensten Ernennungen in diesem doch eher bizarren Kabinett.

Bei der Ernennung in das Amt des Justizministers wollte Trump keine Risiken eingehen – zu gross sind seine eigenen Erfahrungen mit den Rechtsbehörden. Also musste eine langjährige Unterstützerin her, voll ergeben, die ihn auch früher schon aus den Medien rausgehauen hatte. Und deshalb wird Pam Bondi jetzt Justizministerin.

Der kurz zuvor ernannte Matt Gaetz musste frühzeitig das Handtuch werfen, die Vorwürfe in Sachen Sex-Trafficking, Sex mit Minderjährigen und Drogenkonsum wogen zu schwer. Vorgänge zwar, die Trump nicht von einer Nomination abschreckten, zu bekannt sind ihm all diese Themen. Aber es war aussichtslos. Also zog er die Ersatzlösung Bondi Pam aus dem Hut – und dies binnen Stunden.

Ergebene Leute sind einfach Gold wert. Wenn sie mit ihren, wenn auch extremen Ansichten, zusätzlich eine grosse Wählergruppe zufriedenstellen können, ist das sehr hilfreich. Tulsa Gebbard ist so eine Figur, eine Putin-Verehrerin und Ukraine-Gegnerin. Sie wird nun Koordinatorin der 17 Geheimdienste. Für Trump kann das ganz praktisch sein: Er ist ja nicht so dumm und wird sich mit 17 einzelnen Behörden, die alle etwas Ähnliches tun, herumschlagen.

Kash Patel gilt als völlig kompetenzlos, als Brandstifter und grosser Anhänger der Verschwörungstheorie des „Deep States“. Warum gerade er nun künftig das FBI mit seinen 35‘000 Mitarbeitern leiten soll, entzieht sich jeglicher Logik. Aber Kash ist ein glühender Trump-Anhänger, er vertreibt sogar Kinderbücher mit Trump-Themen.

Der Posten des Aussenministers ist ein Schlüsselposten. Hier musste ein besonders treuer Trump-Förderer her. Marco Rubin eignete sich dafür hervorragend, denn er ist ein Gegner der Ukrainehilfe und befriedigt zusätzlich die Wahlansprüche der Latinos. Merke: Für den Posten braucht es keine geopolitische Erfahrung, sondern vorab loyale Unterstützung für den Chef.

Die Scharfmacherin und bedingungslose Trump-Unterstützerin Kristi Noem hatte sich vor allem einen Namen mit ihren Abschiebprogrammen für Immigranten gemacht. Nun wird Kristi Ministerin für Heimatschutz.

Loyalität ist wirklich die wichtigste Eigenschaft, die Donald The Chosen einfordert. Wenn man zusätzlich und vorbehaltlos die Theorie der «gestohlenen Wahl 2020» vertritt, eignet man sich in besonderem Masse für höhere Weihen. Elise Stefaniak wird deshalb mit dem Rang einer UN-Botschafterin belohnt.

Die treue Miss Moneypenny   Susie Wieles hatte Trump schon früher gedient. Sie hielt ihm immer den Rücken frei und führte seine Vorzimmer mit eiserner Hand. Qualifikation genug, um als «Ice Maiden» jetzt Stabchefin zu werden.

Da passt ihr Stellvertreter gut dazu, der ultrarechte Scharfmacher Stephan Miller.

Wer CIA-Chef werden möchte, muss es ganz dick hinter den Ohren haben. Also mit allen Wassern gewaschen und nun, im Sinne des neuen Chefs, auch ziemlich konservativ sein. Der umstrittene John Radcliff soll es künftig richten.

Wenn man schon mal das Attribut «Grenz-Zar» erworben hat und sich vehement öffentlich für die Abschiebung “aller illegalen Einwanderer» stark gemacht hat, darf man Grenzschutzbeauftragter werden. Wie die 11 Millionen Illegale, die in der Regel ja nicht rumhocken, sondern irgendwo arbeiten, ersetzt werden sollen, steht in den Sternen. Aber Tom Hogan hat schon mal eine Ansage gemacht.

Dass die (in der Tat zum Teil absurden und weltfremden) Umweltbestimmungen runtergefahren werden müssen, war ein erklärtes Ziel des neuen Präsidenten. Dafür braucht es nun einen weiteren Mann fürs Grobe: Lee Zeldin soll Chef der Umweltbehörde werden, ein Mann also, der sich schon 2020 im angestrebten Amtsenthebungsverfahren als unerschütterlicher Verteidiger Trumps profiliert hatte.

Wenn man ein wichtiger Immobilieninvestor ist, über gute Geschäftsbeziehungen mit dem Nahen Osten verfügt und erst noch jüdischen Glaubens ist, kann man Nahost-Sondergesandte werden. So erging es Steven Witkoff, mithin Trumps Golf-Buddy. Warum er gleich auch noch Massad Boulos, den Schwiegervater seiner Tochter Tiffany zum Berater für den Nahen Osten ernannte, ist ein Rätsel. Er sei auf jeden Fall ein guter „Deal Maker“. Ob es vielleicht um eigene Deals dieser beiden Protagonisten gehen wird? Und, ach ja, die Familie Boulos führt eine grosse Restaurantkette im Libanon. Da müssen doch künftig tatsächlich noch gute Deals anstehen.

Donald der Auserwählte hievt also auch gerne Familienmitglieder in wichtige Positionen. Besonders amüsant sind dabei die Ernennungen der Botschafter. Waldmeyer nennt hier ein Beispiel unter vielen: Charles Kushner, der Vater von Trumps Schwiegersohn, wurde schon am Ende der ersten Regentschaft Trumps von diesem begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen. Jetzt wird er Botschafter in Frankreich. Er sei ein „hervorragender Geschäftsmann“ meinte Trump.

Gerade erfuhren wir, dass der verurteilte Peter Navarro nach seiner Entlassung nun wieder in Trumps Kabinett als Handels-Scharfmacher zurückkommen darf. Mark Burnett (Produzent von Trumps früherer Show „The Apprentice“) erhält einen Schlüsselposten: Er wird Botschafter in Grossbritannien. Und Jared Isaac, Astronaut, soll – mithilfe Musks, notabene – die Amerikaner auf den Mars bringen, deshalb ist er nun der neue NASA-Chef.

Auch Donald Trump jr. darf bei den vielen Ernennungen Wünsche anbringen. So wollte er sich seiner Ex-Verlobten Kimberly, eine ehemalige Fox-Moderatorin, entledigen, da ein Wechsel zu einem jüngeren Model, der hübschen Bettina, anstand. Also sollte die Ex am besten ins Exil. Papa Trump konnte es richten: Kimberly wurde kurzerhand zur Botschafterin in Griechenland ernannt.

Und so weiter. Wir warten noch auf weitere Ernennung und auf die vielen neuen Botschafter, alles verdiente Buddies, die Trump in alle Welt entsenden wird. Wir warten auch noch auf die genaue Rolle für Barron, Trumps 18-jährigen Sohn. Er soll sich um die „social media activities“ für junge Trumpanhänger kümmern. Wir sind gespannt.

Bei aller Kritik muss Waldmeyer indessen eingestehen: Regierungsmitglieder verfügen auch in super-demokratischen Staaten bisweilen über keine Kompetenz. Es sei an das erste Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen von Kanzler Scholz erinnert. Oder in der Schweiz an die Schwarznasen-Züchterin und Sozialhelferin Baume-Schneider, die, erst glücklose Justizministerin, anschliessend Innenministerin wurde. Nun, man kann sich ja entwickeln in einem Amt.

Allerdings: Die Leute um Trump sind schon entwickelt – mit den ihnen besonderen Ausprägungen eben. Sie sind nur entweder befangen oder weird. Nicht alle sind unbedarft, im Gegenteil, da sind ein paar brillante Köpfe dabei. Europa wird sich nun wohl warm anziehen müssen. «Amerika First» wird nicht ohne Folgen bleiben.

«Warum gibt es eigentlich kein «Europe First», bemerkte Waldmeyer gegenüber Charlotte am Tisch und blickte über die leere Flasche Terre Brune hinweg.

«Europa gibt es eben in dem Sinne gar nicht, Schatz», entgegnete Charlotte abgeklärt.

«Und was ist mit Switzerland First?», meinte Waldmeyer resigniert.

«Das gibt es sehr wohl. Wir fördern unsere Landwirtschaft und akzeptieren dabei die doppelten Lebensmittelpreise, verglichen mit dem Ausland. Gewisse Parteien möchten die Einwanderung stoppen, obwohl diese Leute künftig unsere AHV bezahlen werden. Wir leisten uns eine teure Armee, mit der wir uns jedoch allein nicht verteidigen könnten. Aber es ist unsere Wahl. Andere Parteien wollen lieber Staus und sind gegen Autobahnen, weil so das Weltklima gerettet wird. Du siehst, wir haben unseren eigenen Plan für unsere kleine Welt.»

Waldmeyer verschwand wortlos im Keller. Er kehrte, nach einiger Reflektion, mit einer weiteren Flasche Terre Brune zurück. Beim Entkorken überlegte er: Die Amis, die tun zumindest was. Auch wenn was Falsches rauskommen mag.

Waldmeyer und der Stahlkocher

Der Staat nimmt, der Staat gibt. Und wenn ein Problem auftaucht, muss es der Staat lösen. Diese Anspruchshaltung ist natürlich nicht neu, sie akzentuiert sich nur. Kein Wunder, machen Staaten immer mehr Schulden, während der Bürger mit immer weniger Eigenverantwortung leben darf. Zurzeit treibt die Hilfe nach dem Staat besondere Blüten: Der Staat soll nun bitte auch sicherstellen, dass wir unseren eigenen Schweizer Stahl produzieren dürfen!

Mittels Notrecht soll unsere Stahlproduktion der Swiss Steel im beschaulichen Gerlafingen gerettet werden, fordern verzweifelte Gewerkschafter, wohl in einem Anflug von geoökonomischem Weitblick. Die Wirtschaftskommission des Ständerates unterstützte das strategisch wertvolle Vorhaben vorbehaltslos, auch der Nationalrat, einem plötzlichen Helfersyndrom erlegen, sieht Handlungsbedarf. Selbst bürgerliche Politiker stehen hinter dem Ansinnen, hier werden die Argumente der «Kreislaufwirtschaft» bemüht, denn in den mit Sicherheit besonders sauberen Schweizer Stahlwerken soll Altstahl weiter zu neuem Stahl verarbeitet werden. Waldmeyer stellt sich die Frage: Ob der Bürger denn tatsächlich nicht weiss, dass eine solche Verarbeitung auch problemlos irgendwo im nahen Ausland in einem Dutzend bestehender Werke erfolgen kann?

Industriepolitik der Industriestaaten ist nichts Neues. Entweder wird gefördert, verhindert, verstaatlicht oder toleriert. Industriepolitik ist allerdings nur dort berechtigt, wo es um Sicherheit oder Systemrelevanz geht.

Der Schutz der schweizerischen Zuckerrübenproduktion zum Beispiel hat deshalb nur mit Nostalgie oder Stimmenfang in der Landwirtschaft zu tun. Der Staat unterstützt in diesem Fall den Absatz sogar werbetechnisch («Schweizer Zucker!»). Das machte er bis vor kurzem auch beim Fleisch («Schweizer Fleisch, alles andere ist Beilage!») Das waren bisher ganz lustige Interpretationen von Industriepolitik, so, wie sie die Schweiz eben versteht. Echte Industriepolitik betrieb sie bisher fast nie – ausser bei der Stromproduktion, der Wasserversorgung usw., also bei wichtigen staatlichen Dienstleistungen, die sich für ein modernes Land auch gehören. Dass die meisten Kantonalbanken staatliche Institute sind, ist allerdings bereits grenzwertig, und dass die Eidgenossenschaft eine Postbank betreibt und diese miserabel führt, ist gerade ein Beispiel, warum der Staat von solchen Vorhaben einfach die Finger lassen sollte.

Einmal wäre es vielleicht wichtig gewesen, dass man die Produktion unter staatlicher Kontrolle gehalten hätte: Es ging 2022 um den Erhalt der RUAG Munitionsproduktion. Anstatt an die Italiener zu verkaufen, hätte man die Manufaktur tatsächlich behalten können. Die Argumente «Systemrelevanz» und «Erhalt politischer Kontrolle» wären zu vertreten gewesen. Aber der Staat wollte nicht mehr, ausserdem waren die möglichen Auswirkungen des Ukrainekrieges in den Köpfen der Staatsführer noch nicht richtig angekommen. Also verhökerte man das Fabrikli.

Im nahen Ausland wird da ganz anders Industriepolitik betrieben. Bei Renault in Frankreich sitzt der Staat mit im Cockpit, er hockt auch in zahlreichen Redaktionsstuben diverser Medien, in Deutschland pfuscht das Bundesland Niedersachsen bei VW rein. Die italienische Fluggesellschaft wurde schon mehrfach durch den italienischen Staat gerettet und de facto übernommen. Und überall wird Hightech mit viel Geld angelockt. Die Schweiz war da bisher vernünftiger: Die Swiss beispielsweise überliessen wir grosszügigerweise den Deutschen. Und sie fliegt tatsächlich immer noch.

Kürzlich forderte die SP kurzerhand den Kauf von Sandoz (Marktwert: schlappe 15 Mia). Als ob gerade der Staat denn so einen Konzern besser führen und die Medikamentensicherheit nicht alternativ sichergestellt werden könnte – beispielsweise durch Pflichtlager etc. Das Ansinnen geriet denn auch, angesichts der Absurdität, schnell in Vergessenheit.

Und nun soll also die Schweizer Stahlproduktion gerettet werden. Zerfallende Strukturen sollen dem Untergang entzogen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Markt etwas braucht oder nicht. Swiss Steel muss nach eigenen Aussagen die Produktion einfach der Nachfrage anpassen. Hilft der Staat, in welcher Weise auch immer, die Arbeitsplätze zu erhalten, wird sich derselbe Staat damit von der Arbeit befreite Mitarbeiter in Gerlafingen leisten; sie haben dann nichts zu tun und warten auf einen Auftrag, um alsbald die Stahlkocher anzuwerfen. Sie spielen vielleicht Karten oder tauschen auf ihren Handys interessante TikTok Bilder aus, sie schleppen sich von Pause zu Pause und gehen dann um 16:30 erschöpft nach Hause. Vielleicht sind sie aber am Morgen gar nicht ins Werk eingerückt, denn neu könnten die Stahlarbeiter auch im Homeoffice bleiben. Piquet-Dienst, nennt sich das dann. Und anstatt zuhause online einen Umschulungskurs zu machen, Chinesisch zu lernen oder mit einem Physikstudium zu beginnen, lümmeln sie rum und ärgern ihre Ehefrauen.

Am Stammtisch, nach dem Beruf gefragt, geben sie bereitwillig Auskunft: «I bin Piquet, weisch.» Oder lapidar: «Homeoffice, weisch.»

So neu ist die Situation solch staatlicher Hilfe allerdings nicht. Die Landwirtschaft beispielsweise wird in der Schweiz jährlich mit Subventionen und anderen Beihilfen in der Höhe von rund fünf Milliarden bedacht. Jeder Schweizer Haushalt zahlt also durchschnittlich fast einen Tausender ein – die einen nichts, die andern sehr viel mehr. Zusätzlich bezahlen wir noch drauf, weil die landwirtschaftlichen Produkte in der Schweiz fast das Doppelte als im Ausland kosten, denn unser Land hat sich ja wunderbar abgeschottet, mit rekordhohen Zöllen, sodass unsere Bauern die Preise ebenso wunderbar hochhalten können. Das kostet im Schnitt etwa nochmals drei Tausender für jeden Haushalt zusätzlich pro Jahr. Also viertausend Stutz pro Haushalt jährlich für die Landwirtschaft. Den Mitarbeiter aus Gerlafingen trifft es damit besonders hart, denn in seinem Warenkorb befinden sich im Verhältnis zu seinen Gesamtausgaben viele Lebensmittel – nicht, weil er besonders viele Kalorien braucht am heissen Stahlkocher, sondern weil er einfach nicht so viel verdient. Einen Multimillionär trifft es dabei weniger hart, kann er doch auch nur dreimal essen pro Tag und dies mit Ausgaben, die er gar nicht spürt. Die Schweizer Landwirtschaftspolitik ist also etwas sehr Unsoziales. Waldmeyer nahm sich vor, dies einmal den Gewerkschaftsführer:innnen mitzuteilen – sollte er, aus irgendwelchem Grund auch immer, einmal eine solche Person antreffen.

In Sachen Landwirtschaft könnte es, mit den nötigen Sanierungsmassnahmen, auch günstiger gehen: Wir würden einfach etwas mehr importieren, könnten uns etwas weniger umweltversauende Landwirtschaft leisten und ein Teil der Bauern (welche sich zum Beispiel nicht eignen für eine Umschulung zu KI-Spezialisten) könnte Facharbeiter spielen, auf dem Bau oder so – die können nämlich in der Regel alles, diese Bauern, die sind ganz handy. In der Folge hätte a) der Staat (und damit der Steuerzahler) Geld gespart, b) der Bürger müsste weniger Geld für Nahrungsmittel ausgeben, könnte sich also anderes leisten und die Wirtschaft so ankurbeln, c) hätten wir etwas gegen den Facharbeitermangel getan und d) erst noch die eidgenössische Umwelt geschont, weil wir das Problem der Überdüngungen und der Methanproduktionen der Fleischwirtschaft kurzerhand outgesourcet hätten (nach Brasilien beispielsweise).

Aber zurück zu den Stahlkochern: Ein Grund für die Probleme des Schweizer Produktionsstandortes sind auch die Handelshemmnisse beim Export. Hier wäre tatsächlich positive Industriepolitik angesagt, Freihandelsabkommen und gescheite Verträge mit der EU unter anderem.

Aber letztlich verkommt es zu einem Witz, wenn wir im teuersten Land der Welt krampfhaft versuchen, im Primärsektor Strukturen aufrechtzuerhalten. Solche Industrien gehören nämlich in Schwellenländer, bestenfalls noch in wenig entwickelte Industrieländer (nach Serbien, beispielsweise). Stahl produzieren in der Schweiz…? Waldmeyer versuchte, sich dieses Ansinnen auf der Zunge zergehen zu lassen. Selbst wenn es Spezialstähle wären, besonders gute, schöne und exzellente Stahlprodukte, gar mit einem feinen Schweizerkreuz drauf: Die Bewahrung solcher Low-Tech Produktionen in unserem Land grenzt an ausgeprägte Sinnlosigkeit, man könnte ebenso gut eine Kaviar-Zucht aufziehen oder eine Mangofarm betreiben.

Ja, warum sieht der Staat bei diesen Dingen nicht einfach das Big Picture? «Der Bürger ist das Problem», warf Charlotte ein, «der macht auf «Switzerland first», ungeachtet der Kosten.» Charlotte hatte natürlich recht. Und eigentlich müsste man demokratischen Entscheiden immer recht geben. Aber was tun, wenn diese falsch gefällt werden…?

Nun, das mit der Landwirtschaft, das sah Waldmeyer ein, ist ein Sonderfall. Es ist ja auch nicht «Industriepolitik», sondern einfach eine Subventionierung eines offenbar «untouchable» Systems. Das mit der geplanten Unterstützung eines Stahlwerkes allerdings wäre ein ordnungspolitischer Sündenfall höchster Güte. Stahl kann auf der ganzen Welt eingekauft werden, die Idee gewisser Parlamentarier, in Sachen Stahl autonom zu werden, ist ein Ausdruck besonderer Weltfremde. Für einmal dürfen wir hier nicht einmal dem Bundesrat die Schuld geben, was Waldmeyer etwas bedauerte, sondern den Parlamentariern, notabene vom Bürger gewählte Abgesandte. «Der Bürger ist das Problem, Charlotte», fasste Waldmeyer zusammen. «Ich sags ja», seufzte Charlotte. Für einmal waren sich Max und Charlotte einig – was Waldmeyer doch etwas schade fand.

Waldmeyer und die schöne, heile Welt

Oder: Das künftige Leben im „Gutstaat“

Die westliche Welt wird künftig anders aussehen – in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Sie wird besser werden, stressfreier. Und viel sozialer, auch inklusiver. Waldmeyer malt sich ein Bild, wie die nahe Zukunft aussehen könnte.

Waldmeyer findet es nicht schwer, sich eine Welt vorzustellen, welche alle positiven ökonomischen und sozialen Errungenschaften vereint. Eine bessere Welt einfach, vielleicht so in zehn Jahren erst – eine gewisse Transformationszeit muss man einer Gesellschaft ja zugestehen.

Waldmeyer blickt zurück auf das Jahr 2024

Rückblickend stellt Waldmeyer fest, dass die ersten Schritte 2024 erfolgten. Wenn man jeden Schweizer Bürger gefragt hätte, ob er im Lotto gewinnen möchte, hätte er Ja gesagt. Die Frage damals lautete ähnlich: Möchtest du nicht eine 13. AHV erhalten? Mit deutlichem Mehr hatte das Volk damals, seiner Logik folgend, mit einem Ja geantwortet und sich nicht auch noch um die Finanzierung der Ausgaben gekümmert. Dafür ist schliesslich der Staat zuständig. Und so könnte sich die Gesellschaft in den Folgejahren weiter verändert haben. Dabei musste vorab das eigene Glück im Vordergrund stehen. Es ging bei dieser Transformation um viel mehr als eine gute Work-Life-Balance. Es ging um einen Umbruch.

Man wird sich künftig um naheliegende Themen kümmern

Wir werden uns künftig viel weniger um politische Themen gekümmert haben. Vor allem nicht um solche, die weit weg von uns liegen – z.B. in der Ukraine. Die Russen machen eh, was sie wollen. Was sollen wir uns in der Schweiz um etwas kümmern, das wir gar nicht beeinflussen können! Wenn sie kommen, dann kommen sie. Unsere Armee könnte ohnehin nichts ausrichten. Die der Deutschen erst recht nicht, die ist noch weniger einsatzfähig. Und die Franzosen sahen kürzlich ein, dass sie mit ihren Geräten und der Munition gerade einmal 80 Kilometer Grenze – und dies nur während ein paar Tagen – verteidigen könnten.

Endlich wird die Gesellschaft inklusiver

Also kümmern wir uns richtigerweise um Themen, die etwas näher liegen: Um die Pflege der Diversitäten in der Gesellschaft, beispielsweise. Wir pflegen auch eine diverse Sprache, mit «Innen» und Doppelpunkten und vielem mehr. Jeder darf, wie er will.

Selbstzweifel? Das Rezept: Durch mehr Zuwanderung kann man sich positiv verändern. Deshalb auch die neuen Ramadan-Beleuchtungen, die in Deutschland und Frankreich in den Städten errichtet werden. Das ist dann nicht kulturelle Aneignung, sondern einfach inklusive, umsichtige Denke. Ja, man muss sich gutstellen mit den Bürgern und Einwohnern anderer Kulturen. Deshalb hatte Deutschland der Ukraine nach dem russischen Einmarsch erst mal ein paar Helme versprochen. Mit weitergehender Hilfe wollte man es sich mit Putin nicht verscherzen. So sieht professionelle Umsicht und Weitsicht aus.

Die Schweizer Jusos machen es vor

Die Jusos sind noch mutiger. In einem Positionspapier forderten sie bereits 2024 einen kompletten Umbruch von Wirtschaft und Gesellschaft: die Vergemeinschaftung von Vermögen, die Konzentration auf ein inklusives Leben, die Einführung der 24-Stunden-Woche. Das war konsequent. Malochen bringt einen nicht wirklich weiter. Der mutige Juso-Entwurf ist damit eine innovative Weiterentwicklung ur-kommunistischen Gedankengutes, Karl Marx’ einfach gestrickte Ideen erhalten so eine ganz andere Qualität. Die neue Erbschaftsinitiative der irrlichternden Partei spricht Bände.

Über allem stehen die Klimaziele

Die neue aufgeklärte Gesellschaft verfolgt ein Netto-Null-Ziel in Sachen CO2, bis 2050 soll es erreicht sein. Dabei kümmert man sich nicht um die grossen Umweltbelastungen im grossen Rest der Welt; Mikro-Management wird bevorzugt. Nun, man muss eben auch mal den Schneid haben, mit gutem Beispiel voranzugehen!

So fühlen wir uns leichtherzig mit jeder Fahrt im ÖV, und jede Aufhebung eines Parkfeldes und mit jeder neuen 30er-Zone in einer Hauptstrasse verbessert sich das Empfinden in der Gesellschaft. Der Einbau einer Wärmepumpenheizung verschlingt zwar Unmengen an Strom, den es künftig gar nicht zur Genüge geben wird. Aber diese Entscheide, einer Übersprunghandlung gleich, geben uns ein gutes Gefühl. Auch der Betrieb eines Elektrofahrzeuges erfüllt uns mit Stolz, denn wir schaffen es, gleichzeitig auszublenden, dass dieses zum Teil mit schmutzigem Strom aus dem Ausland fährt. Waldmeyer versucht seit Jahren, seiner Nachbarin Bettina Honegger (Verschwörungstheoretikerin, Impfgegnerin, gegen 5G, fährt einen weissen Elektro-Golf) zu erklären, dass ihr Gefährt eigentlich eine Dreckschleuder ist, betrieben, unter anderem, mit importiertem Kohlestrom aus Polen und Deutschland. Aber die Kunst Bettinas – und vieler anderer – besteht gerade darin, Waldmeyers Kritik komplett auszublenden. Und Waldmeyers Schwester Claudia (frühpensionierte Primarlehrerin, Kurzhaarschnitt, lustige farbige Brille) hockt den ganzen Tag vor ihrem PC und spielt mit Chat-GTP, welches gigantische Mengen an Strom benötigt, setzt sich aber politisch für strenge Energieziele ein.

Die Verkehrswende

Waldmeyer versuchte weiter, zehn Jahre positiv vorauszudenken. Er würde sich dann konsequenterweise nicht daran stören, künftig mit dem Velo oder dem Lastenrad in den Städten rumzukurven. So geläutert, würde er endlich die Ruhe und die gesunde Luft geniessen können. Die Abschaffung der individuellen Verkehrsmittel gegen Mitte der 2030er Jahre war schliesslich überfällig gewesen. Überland würden dann nur noch elektrisch betriebene Uber- und Bolt-Fahrzeuge unterwegs sein, mit jungen und gutaussehenden Fahrerinnen und Fahrern, die ihre Arbeit freiwillig verrichten. Es werden allerdings nur ganz kleine Fahrzeuge sein, denn der Strom ist knapp im Land. In der Nacht wird die Fahrt auf fünf Kilometer pro Fahrt beschränkt werden, denn dann, das hatte man herausgefunden, produzieren die Sonnenkollektoren nichts. Das ist aber egal, denn zuhause ist es auch schön. Im Winter gelten die gleichen Regeln, aber dann ist ohnehin 90% Homeoffice für alle angesagt, man muss also gar nicht raus. Im November werden sich die meisten Mitarbeiter der Firmen eh schon zur «Workation» abgemeldet haben, sie arbeiten dann von Thailand oder von Bali aus. Sie kommen später im Februar glücklicher und reich an Lebenserfahrung zurück an den Arbeitsort und haben viel zu erzählen. Das befruchtet nicht nur das Arbeitsklima, sondern auch die Firmen zehren dann von diesen wertvollen neuen Erfahrungsschätzen.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird Realität

Die Summe aller Sozialleistungen für Bedürftige wird ein Level erreichen, welches einem bedingungslosen Grundeinkommen entspricht. Der Staat nimmt, der Staat gibt. Aber er tut dies als verantwortungsvoller Geber. Wäre der Staat ein Mensch, wäre er ein Gutmensch. Damit wird der Begriff des «Gutstaates» neu definiert. Der Gutstaat garantiert nicht nur ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern auch ein bedingungsloses Vermögen, die Idee wurde kurzerhand von intelligenten Vorstössen in Deutschland abgekupfert.

Fortschrittlichere Arbeitsmodelle

Die Optimierung der Work-Life-Balance wird neu nicht mehr im Mittelpunkt der Arbeitnehmer stehen, sondern endlich auch die Arbeitgeber erreicht haben. Die Firmen werden erkannt haben, dass Arbeiten allein die Arbeitnehmer nicht glücklich macht. So wird jeder so viel arbeiten können, wie er möchte – selbstredend auch von zuhause aus. Die Firmen selbst haben inzwischen ihre Ziele geändert: Es geht jetzt nicht mehr darum, Gewinne zu erwirtschaften, sondern darum, a) Klimaziele zu erreichen, b) möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen, c) um Arbeitnehmer glücklich zu machen und d) sich nötigenfalls abzuschaffen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden können. Glücklicherweise wird es einen «Staats-Coach» geben, der die Firmen beim Erreichen dieser Ziele begleitet und der die diversen sozialen Auffangbecken bereithält, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Das Erbe gehört dem Staat

Zu Beginn dieses gesellschaftlichen Umbruchs hatte man sich allenthalben Sorgen gemacht, dass diese soziale Weiterentwicklung nicht finanziert werden kann. Das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen, und die Nachkommen brauchen die Kohle auch nicht, denn der Staat sorgt für sie. Also soll das Erbe dem Staat gehören – nicht zu 50% für grosse Vermögen, wie eine Juso-Initiative im Jahr 2024 wenig mutig vorsah, sondern zu 100%. Ein geniales Konzept, denn so kommt laufend unheimlich viel Geld in die Staatskasse. Grosszügig bezahlte Staatsangestellte können das Geld anschliessend wieder grosszügig verteilen, vielleicht vom Homeoffice aus und auf der Basis einer 24-Stunden-Woche.

Den Anfang machte tatsächlich die Juso-Initiative, welche 2026 vom Volk überraschenderweise, entgegen allen Prognosen, doch noch angenommen wurde; ab dann wurde eine staatliche Erbschaftssteuer von 50% auf hohen Vermögen erhoben. Sie brachte zwar kaum etwas ein, da sich die grossen Erblasser schon früher aus dem Staub gemacht hatten. Aber das Signal war wichtig: Die Bürger hatten erkannt, dass Erbschaften eigentlich dem Staat gehören.

Endlich weniger Leistungsdruck

Ja, vieles wird sich in den nächsten Jahren zum Guten verändert haben. Nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch davor, in der Schule, wo endlich der Leistungsdruck zurückgenommen wurde.

Bis zur Matura werden neu keine Noten mehr vergeben. Die Forderung von gewissen Kreisen, nun konsequent eine 20-Stunden-Woche für Arbeitseinsteiger einzuführen, wird auf grosses Interesse gestossen haben. Ein Drittel der urbanen Jugendlichen hatte bereits 2024 Depressionen, einige Jahre später waren sie erst recht überfordert. Völlig unverantwortlich wäre es deshalb, sie in den Armeedienst zu schicken. Überhaupt, die Armee sollte Frieden verbreiten. Eine SP-Vertreterin stellte fest (es war ebenso 2024), dass die Armee eigentlich keine Bewaffnung braucht. Auch Drohnen sollten nicht bewaffnet werden, so die gleiche Politikerin in der Aussenpolitischen Kommission.

Der Westen irrlichtert

Waldmeyer war zufrieden mit seiner weitsichtigen Vision für eine heile Welt. Der vermeintliche Weg zum Glück besteht also darin, dass wir gute Handlungen vornehmen und gleichzeitig die Absurditäten dahinter verdrängen. Das leuchtet ein. Wir nennen es dann Fortschritt und wähnen uns auf einem höheren Zivilisationsniveau.

Diese perfekte Welt wurde schon viel angedacht, von Karl Marx bis zu linken und grünen Weltverbesserern in Politik und Gesellschaft. Weder Karl Marx noch die Kibbuz-Erfinder noch die neuen Protagonisten einer besseren und glücklicheren Gesellschaft sind schlechte Menschen. Aber sie lagen und liegen einfach falsch.

Waldmeyer versteht seine wirre Vision nur als Mahnung. Er will lediglich aufzeigen, in welche zum Teil absurde und ökonomisch suizidale Richtung sich unsere westliche Gesellschaft bewegt. Der Rest der Welt wird indessen Freude an unserer Entwicklung haben, denn so werden wir noch schneller überholt werden. Insbesondere erfolgreiche Staaten in Asien klopfen sich auf die Schenkel. Wie sagte doch Waldmeyer schon zu seinem Sohn Noa: «Du wirst sehen, die Asiaten werden dereinst unsere Villen bewohnen und du wirst sie putzen müssen!»

Waldmeyer und der neue Staat Israel

Die Lage im Nahen Osten ist verzwickt: Seit bald 80 Jahren gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, eine friedliche Koexistenz der Völker aufzubauen. Waldmeyer wagt, mit dem Risiko eines Shitstorms, einen Befreiungsschlag.

 

Eine aussichtslose Lage

Seit 1948 gelang es der Weltgemeinschaft nicht, eine Lösung für eine friedliche Koexistenz zwischen dem jüdischen und dem palästinensischen Volk zu etablieren. Die UNO, der Westen, Israel und die muslimischen Völker haben schlichtweg versagt. Fast 80 Jahre lang wurde nun rumgedoktert – für nichts und wieder nichts. Die Sache mit der Zweistaaten-Lösung ist dermassen verfahren, dass sie kaum gerettet werden kann. Ein formeller Palästinenserstaat, selbstverwaltet und prosperierend? Angesichts der Hamas und der Hizbullah, welche, sekundiert vom Gottesstaat Iran, die Errichtung eines eigenen palästinensischen Staates gar nicht zum Ziel hat, sondern schlichtweg nur die Vernichtung des Staates Israel, verkommt ein solches Ansinnen zur Schimäre. Lustigerweise befeuern westliche Staaten immer noch verabscheuenswürdige Pläne der Hamas, indem sie Schulbücher finanzieren, welche schon auf den ersten Seiten die Vernichtung des jüdischen Staates propagieren. Auch die Schweiz hat diese Lehrmittel mit Millionenbeiträgen unterstützt. Und die UNO verurteilt heute konsequent Israel, fasst indessen Iran und seine Milizenschergen nur mit Samthandschuhen an.

Die Sache ist komplett aus dem Ruder gelaufen

Wir sind uns wohl einig: Die Taten insbesondere der irangesteuerten Hamas sind absolut niederträchtig. Und Israel verdient eine gesicherte Existenz. Dass Israel nun aber unverhältnismässig zurückbombt, ist auch keine Lösung. Dass sich die Hizbullah trotz UNO-Resolution nie aus dem Süden Libanons zurückgezogen hat und Israel immer noch täglich mit Raketen beschiesst – und so wieder Gegenreaktionen Israels auslöst – ist dem Frieden in der Region selbstredend auch nicht dienlich. Unabhängig von der geopolitischen Notwendigkeit, Iran in Schach zu halten, muss andererseits für die Palästinenser eine adäquate unabhängige Bleibe gefunden werden. Der ganze Nahe und Mittlere Osten, inklusive Iran und der muslimisch geprägten Afrika-Staaten, wird nicht zur Ruhe kommen, bevor dieses verfahrene Nahostproblem nicht gelöst ist.

Der Befreiungsschlag

Leider ist es nun mal so, dass die reine Existenz des Staates Israel den Hass antisemitischer Kreise und deren Gewaltbereitschaft befeuert. Waldmeyer wagt nun einen gefährlichen Gedanken: Würde denn in diesem Teil der Welt Friede herrschen, wenn es Israel gar nicht gäbe? Also rein hypothetisch, ohne davon, bei Gott und bei Allah, irgendwelche Forderungen abzuleiten: Würden alle Staaten in der Region denn in Minne miteinander leben, wenn Israel wegziehen würde? Ein Gedanke, der politisch brisant ist. Aber trotzdem: Falls es so wäre, herrschte dann Friede?

Ja, vielleicht, dachte Waldmeyer, obwohl er sich selbstredend gleich schämte, einen solchen Gedanken einer Umsiedlung überhaupt aufkommen zu lassen. Man müsste für Israel natürlich eine faire und valable Alternative finden.

Waldmeyer entwickelt einen geheimen Plan

Waldmeyer begab sich also, ganz vorsichtig, in diesen bedrohlichen Warteraum des Konjunktivs: Was wäre, wenn…? Man darf ja auch mal unkonventionell brainstormen, nicht? Und kritisch denken heisst auf keinen Fall, antisemitisch zu denken. Das muss sich auch die jüdische Gemeinde nun mal gefallen lassen.

Sicherheitshalber beschloss Waldmeyer, vorerst mit niemandem über seine Idee zu sprechen. Auch mit Charlotte nicht, schon gar nicht mit seiner Tochter Lara. Zumal Letztere nicht durch ihre Eltern, sondern vor allem durch die Sozialen Medien sozialisiert wurde und für Palästina auch mal auf die Strasse geht.

Aber nun zur Sache: Das ganze Projekt mit dem neuen Staat für Israel müsste freiwillig stattfinden. Waldmeyer legt nun seinen Plan vor:

  1. Es müsste für Israel ein neuer Ort auf der Welt gefunden werden, welcher sicher, bewohnbar und genügend gross ist, um dort zu leben.
  2. Die Weltgemeinschaft müsste dahinterstehen und einen „Umzug“ des Staates Israel akzeptieren.
  3. Eine Anschubfinanzierung müsste eingeplant werden, z.B. durch den Westen und durch die Golfstaaten.
  4. Ein Masterplan für den Umzug müsste vorliegen.

Die Geschichte hilft weiter

Die Historie hatte schon einmal ein paar Ideen hervorgebracht, die in diese Richtung gingen. So gab es vor über hundert Jahren bereits einen Plan Chamberlains, der vorsah, einen jüdischen Staat in Afrika zu errichten. Die Idee bestand darin, die damalige relativ uninteressante britische Kolonie Uganda zur Verfügung zu stellen. Der Plan wurde allerdings wieder fallengelassen. Es wäre indessen ganz interessant zu beobachten gewesen, was aus Ostafrika geworden wäre, wenn sich dort ein erfolgreicher jüdischer Staat etabliert hätte. Hätten die tüchtigen Israeli vielleicht den halben Kontinent zu einer wirtschaftlich blühenden Region entwickelt?

Zur gleichen Zeit stand El Arish auf der Liste. Der jüdische Staat wäre damit nur unwesentlich unterhalb des Gazastreifens zu liegen gekommen, an der Küste der ägyptischen Sinai-Halbinsel, auf dem Weg nach Alexandria. Auch diese Idee kam indessen nicht zum Tragen.

Schon früher, 1928, stand der Osten Russlands zur Diskussion, 1939 wurde von den Nazis ein „Madagaskar-Plan“ ausgearbeitet, und Mussolini schlug zur gleichen Zeit einen Teil Äthiopiens vor, damals eine italienische Kolonie – alles relativ charmelose Vorschläge, die schon eher Deportationscharakter hatten.

Da war 1942 der britisch-australische Ansatz, Tasmanien zur Verfügung zu stellen, schon interessanter. Dort gab es, beispielsweise, bereits eine kleine Synagoge. Und viel Land. Aber wie wir wissen, entschied sich die Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg anders. Und so wurde der jüdische Staat 1948 inmitten eines arabischen Umfelds errichtet, mit jüdisch-historischen Wurzeln zwar, aber im Epizentrum einer relativ fundamentalistischen muslimischen Welt. Das konnte ja nicht gut gehen.

Heureka: Es gibt ein ideales Land für Neu-Israel!

Waldmeyer durchforstete den Globus und fand tatsächlich den idealen Ort: Australien. Dort gibt es genügend Fläche, viele fast menschenleere Gebiete. Der Landstrich müsste allerdings einen Meerzugang haben. Die UNO könnte einen Deal mit Australien abschliessen und eine ordentliche Fläche bereitstellen, damit sich der neue Staat wirtschaftlich anständig entwickeln kann. Um künftig eine unkontrollierte israelische Siedlungspolitik zu verhindern, müsste das Land etwa mindestens doppelt so gross sein wie das heutige Israel. Am besten wäre eine Insel, da wäre eine ungebührliche Expansionspolitik zum Vorneherein schwierig. Und so landete Waldmeyer, der Logik folgend, wieder bei Tasmanien, der südlich vor Australien liegenden Insel.

Tasmanien ist ideal

Das australische Tasmanien ist rund dreimal so gross wie das heutige Israel. Es ist fruchtbar, liegt in einer gemässigten Klimazone und hat – da eben eine Insel – mehr als genügend Meerzugang. Der Ort würde also ein deutliches Upgrading darstellen. Waldmeyer wusste auch gleich, wie Neu-Israel gestaltet werden sollte. Mit Australien und der ganzen pazifischen Region müsste es ein Freihandelsabkommen geben. Neu-Israel würde sich in zwei Kantone gliedern, in ein Normal-Israel und ein Ortho-Israel (für die orthodoxen Mitglieder der jüdischen Gemeinde). Der orthodoxe Teil müsste südlicher liegen, weil es auf der Südhalbkugel weiter südlich bekanntlich kühler ist (damit würde man den etwas komplizierten Bekleidungsbräuchen der orthodoxen Juden entgegenkommen).

Die bestehende, bescheidene Population Tasmaniens könnte man im Kanton Normal-Israel integrieren, sollte sie dem Angebot der australischen Regierung für eine Umsiedlung auf den Kontinent nicht nachkommen. Im israelischen Staat leben heute Tausende von Muslimen, also würde die Integration von tasmanischen Nicht-Muslimen mit Bestimmtheit umso eleganter vonstattengehen. An die koscheren Malzeiten würden sich die verbleibenden Tasmanier sicher gewöhnen können, zumal ihre heutige gastronomische Basis doch eher bescheiden ist.

Es gibt doch noch Fragezeichen

Je weiter Waldmeyer indessen reflektierte, umso nachdenklicher wurde er. Ja, was wäre, wenn…? Würde in Nahost mit der Verlegung Israels tatsächlich Friede und Prosperität einkehren? Könnte sich der Westen ganz zurückziehen aus diesem Teil der Welt? Da wären doch noch einige Zweifel angebracht. Sunniten und Schiiten sind sich spinnefeind in der Region. Waldmeyer verstand den Unterschied zwischen den verschiedenen muslimischen Ausrichtungen nicht ganz. Offenbar bestand dieser vorab darin, dass unterschiedliche Meinungen über die Nachfolge des Propheten Mohammed herrschen. Es handelt sich also um ganz feine Nuancen, wie sie etwa zwischen Katholiken und Protestanten bestehen. Um Nuancen allerdings, die zu unüberbrückbarer Unversöhnlichkeit führen. Die schiitischen Iraner beispielsweise würden in der ganzen Region wohl weiter mit dem Feuer spielen. Und die Palästinenser kämen allein vermutlich immer noch nicht klar, hatten sie es doch bis heute, trotz Millionen-Unterstützungen aus der ganzen Welt, nie geschafft, eine funktionierende Gesellschaftsstruktur aufzubauen. Seit bald 80 Jahren konnte keinerlei wirtschaftliche Basis für ein autonomes Leben etabliert werden.

Mit anderen Worten: Es bestehen doch noch ein paar Fragezeichen für ein erfolgreiches Umsiedlungsprojekt. Sollte Waldmeyer nun seinen geplanten Befreiungsschlag wieder auf Eis legen?

«Wo ist eigentlich Lara heute?», fragte Waldmeyer Charlotte.

«An der Demo. Du weisst doch, Palästina und so.»

„Halleluja“, rief Waldmeyer aus. Und er überlegte: Hoffentlich wird seine geheime Neu-Israel-Idee trotzdem irgendwie durchsickern.

Waldmeyer und die Verteilung der fetten Erbschaftssteuern

Es mag unwahrscheinlich sein, dass die absurde Juso-Erbschafts-Initiative vom Stimmvolk angenommen wird. Aber nicht ganz unmöglich. Zumindest findet es Waldmeyer interessant zu überlegen, was mit den vielen neuen Steuergeldern denn so alles angestellt werden könnte.

Gemäss Initiativtext sollen die fetten Einnahmen aus der nationalen neuen Erbschaftssteuer unter anderem dem Klima zugutekommen – nebst einem „Umbau der Gesellschaft“. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Aber irgendwo müsste man ja mal beginnen. Waldmeyer setzte, für einmal mit Charlotte, zu einem Brainstorming an. Sie eruierten verschiedene Massnahmen, die sich für das neue Steuer-Manna herauskristallisieren könnten:

  1. Jeder Haushalt erhält gratis ein Lastenrad. Damit wird der schädliche Autoverkehr nachhaltig bekämpft und die Luftsäule über der Schweiz sauber gehalten.
  1. Der ÖV soll für alle gratis werden. Man muss der Gesellschaft ja auch mal was zurückgeben. Und wir entschleunigen unser Leben (wir wissen jetzt ja, dass wir uns mit dem ÖV in den Städten mit durchschnittlich 8 km/h bewegen).
  1. Schweizer Fleisch wird verboten. Die Kühe in unserem Land produzieren zu viel Treibhausgase. Importiertes Fleisch wird, allerdings mit nochmals erhöhten Zöllen, weiter toleriert. Das Klima weltweit wird zwar so nicht gerettet, aber dem Initiativtext wird Folge geleistet. Die Schweizer Landwirte werden grosszügig abgefunden und erhalten eine kostenlose Schulung als KI-Berater.
  1. Für Übergewichtige (BMI über 30) gibt es in allen Parks und auf den Gemeindeplätzen gratis jeden Tag Fitnessangebote. Ähnlich wie in China – nur flächendeckender.
  1. Anstatt den European Song Contest zu subventionieren, wird in jeder grösseren Stadt monatlich ein SSC (Swiss Song Contest) veranstaltet. Es wird kein Dress-Code erlassen, aber Rüschenröcke und pinkfarbene Strumpfhosen für die Zuschauer sind willkommen.
  1. Bei allen durch Kraftwerke oder andere Massnahmen unterbrochenen Flussläufen in der Schweiz werden Fischtreppen installiert. Das Bauvolumen wird einer breiten Bevölkerungsschicht zugutekommen.
  1. Die 14. und 15. AHV werden eingeführt. Wer über 90 wird, erhält eine 16. Ausschüttung.
  1. Der Einbau von diversen (also gendergerechten) Toiletten in Privaträumen wird mit 120% Subvention gefördert.
  1. Deutschland erhält eine Milliardenspende, um seine heruntergekommene Bahn zu renovieren und endlich ein flächendeckendes Mobilfunknetz zu installieren.
  1. Generell soll mehr für das Ausland getan werden, indem der globale Süden massiv unterstützt wird. Unter anderem mit dem Ausbau des Asylwesens. Es wird sogar die Zwangsunterbringung von Wirtschaftsflüchtlingen aus der ganzen Welt in privaten Häusern und Wohnungen geprüft. Familie Sonderegger wird sich künftig um eine somalische kleine Sippe in ihrem Haus in Hochstetten kümmern, Famille Maréchal in ihrer Wohnung in Le Locle um die netten Algerier. Unsere Gesellschaft wird also inklusiver.
  1. Bei all den Ausland-Unterstützungen sollen die eigenen Städte jedoch nicht vergessen gehen: Diese werden renaturiert, die letzten Parkplätze aufgelöst. An 360 Tagen im Jahr wird es einen autofreien Sonntag geben. Die Bahnhofstrasse in Zürich, die Freie Strasse in Basel und die Marktgasse in Bern werden zu einer Magerwiese umfunktioniert, eingangs und ausgangs der schönen Boulevards werden Gratisstiefel verteilt, um bei regnerischem Wetter unbehelligt zu den wenigen verbleibenden Geschäften stapfen zu können. Im fortschrittlich-linken Lausanne wird man sich, trotz schwieriger Hanglagen, für Ackerbau in der ganzen Innenstadt entschieden haben (die Produktion von Hafermilch wird besonders gefördert). In St. Gallen wird die Multergasse zum Gender-Flanierweg umfunktioniert (man streitet sich noch darum, was das baulich zu bedeuten hätte).
  1. Im Sinne des geforderten «Umbaus der Gesellschaft» werden alle privaten Dachgärten in den Städten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Es wird in der Folge in der Schweiz so etwas wie eine aufgeräumte Kibbuz-Stimmung herrschen. Ein Meilenstein in dem Umbau-Prozess – genau so, wie sich dies die irrlichternden Jusos das vorgestellt hatten.

Nur: Leider wird es zu dieser grossen Verteilung gar nicht erst kommen, denn die zu verteilenden Erbmassen werden vorher schon das Weite gesucht haben – mitsamt den vermögenden Personen, die bisher auch noch fleissig Einkommens- und Vermögenssteuern abgedrückt hatten, die AHV alimentiert und, mit ihrem überdurchschnittlichen Konsum, viel MWST abgeliefert hatten. Ja, so weit würde es kommen, wenn die Milchkuh geschlachtet wird. Merke: Man soll die Hand nie beissen, die einen nährt!

Waldmeyer heckt einen Plan B aus

Waldmeyer überlegte sich, wie denn so ein Plan B für die Schweiz aussehen würde. Wenn in dem Land also, bei Annahme dieser absurden Erbschaftsinitiative, plötzlich eine riesige Einnahmenlücke klaffen würde. Dieser Plan B wäre deshalb – leider – ein Sparplan.

Aber als erstes würde die MWST erhöht werden – und zwar kräftig, denn diese Massnahme ist am schnellsten umsetzbar. Anschliessend wird zusammengestrichen: bei den Sozialausgaben, den Investitionen in die Infrastruktur, den vielen Subventionen. Die Anschaffung der neuen F-35 wird auf 2051 verschoben. Die Arbeitszeit würde sofort auf 45 Stunden erhöht (Option: 48 Stunden), die Gebühren für Universitäten und Hochschulen auf ein neues Marktniveau gesetzt werden (Benchmark: britische oder US-Institute). Das würde nicht zuletzt die Jusos treffen, freute sich Waldmeyer, denn bei denen handelt es sich in der Regel um ewige Studenten oder Sozialhilfeempfänger, im besten Fall um weltfremde Teilzeit-Primarlehrer.

Die Spirale würde sich nach unten drehen

Das Vertrauen in die Schweizer Wirtschaft wäre gleichzeitig leider kaputt, der Schweizer Franken würde plötzlich gegen den Erdmittelpunkt rasen. In der Folge würde eine galoppierende Inflation grassieren, welche die Nationalbank mit einem 15-prozentigen Leitzins bekämpfen müsste. Die Hypothekarzinsen würden explodieren, der Mittelstand wäre bankrott, die Häuserpreise würden implodieren. Zeltstädte in den Agglomerationen würden errichtet, das internationale Rote Kreuz würde Suppenküchen bereitstellen. Die Villen in der Schweiz würden von Amerikanern, Norwegern und Chinesen zu einem Spottpreis aufgekauft (wobei sie ihren Wohnsitz, aufgrund der neuen prohibitiven Erbschaftssteuer, selbstredend nicht in die Schweiz verlegen würden). Die vermögenden und zuvor ausgereisten Personen würden mit Belustigung auf die Schweiz blicken, von Dubai, den Bahamas oder Malta aus. Waldmeyer würde zu diesem Zeitpunkt bereits in Südspanien sitzen, auf der Terrasse bei einem kühlen Drink. Er würde sich zwar nicht freuen, die Heimat verlassen zu haben. Aber obwohl nicht in der 50-Millionen-Phalanx, hätte er sich vorsichtshalber schon mal abgesetzt.

Waldmeyer überlegte sich, wie er nun einen noch konkreteren Plan B schmieden könnte. «Charlotte, was meinst du, sollten wir uns nicht Zypern wieder mal anschauen – schon nur der reichen Historie wegen?» Charlotte, nicht verlegen, entgegnete: «Ja, warum nicht, lass uns dort doch gleich diesen Non-Dom-Status prüfen, rein vorsichtshalber!»

Nachtrag der Redaktion: Der zypriotische Non-Dom-Status sieht eine praktisch steuerfreie Wohnsitznahme vor; die fast einzige Bedingung besteht in der Auflage, in dem EU-Staat mindestens 60 Tage im Jahr zu verbringen. Einkommens-, Erbschafts- und Vermögenssteuern entfallen.

Waldmeyer und die Steuerflucht

Oder: Money talks, money walks…

Die Juso-Initiative nimmt vermögende Personen in erbschaftsrechtliche Geiselhaft. Die betroffenen reichen Personen lassen sich das nicht gefallen. Schon werden Fluchtpläne geschmiedet, und Waldmeyer überlegt, was er tun würde, wenn er selbst davon betroffen wäre.

War früher alles besser in der Schweiz? Vor ein paar Jahren noch wurde die 6-Wochen-Ferien-Initiative abgelehnt. Damals noch in staatspolitisch verantwortungsbewusster Form, demokratisch reif und intelligent vorausschauend. Heute ist alles anders. So besteht ein Restrisiko, dass die neue Erbschaftsinitiative tatsächlich angenommen wird. Viele Betroffene mit über 50 Millionen Vermögen werden daher ihren formellen Wohnsitz ins Ausland verlegen. Willkommen in der Ära der Ü-50-Millionäre auf der Flucht! Damit verliert die Schweiz nicht nur Steuersubstrat, volkswirtschaftlich relevante Konsumausgaben und Investitionen, sondern auch die Kontrolle über viele Firmen und viel Vermögen. Demokratie, das stellen wir heute fest, ist nicht immer intelligent.

What, if…?

Waldmeyer gehört nicht in die Phalanx dieser Superreichen, überlegt sich aber, was er tun würde, wenn er plötzlich über 50 Millionen besässe und damit in das Fadenkreuz der Juso-Initiative geriete. Die Amerikaner lieben solche „What, if…?“-Spielchen. Auch Waldmeyer. Also, was wäre, wenn…? Waldmeyer entschliesst sich, Charlotte erst mal aus diesen Gedankenspielen herauszuhalten.

Man sollte die Hand nicht beissen, die einen nährt!

Die Schweiz schiesst sich mit dieser absurden Juso-Initiative selbst ins Knie – und zwar mit einem Volltreffer. Pro memoria: Das reichste 1% der Schweiz bezahlt einen Viertel der Steuern und besitzt 44% des Vermögens. Bei der Bundessteuer bezahlen 5% etwa zwei Drittel. Eine brandgefährliche Ausgangslage. «Deutschland schafft sich ab», wurde in den letzten Monaten, angesichts der bemitleidenswert schlechten Regierung in unserem Nachbarland, zum geflügelten Wort. In der Schweiz befinden wir uns nun, und dies beschleunigt, in einer ähnlichen Situation. Wird die Initiative angenommen, wird die Schweiz nicht mehr dieselbe sein. Ist das Vorgehen auch staatszersetzend? Ja, eindeutig. Aber es ist erlaubt!

Viele Vermögende sind schon jetzt auf der Suche nach einem neuen Steuerdomizil. Und Ja, es gibt wunderschöne Orte auf der Erde, mit freundlichen Steuerbehörden und angenehmem Klima, wo man komfortabel und sicher leben kann – oder zumindest einen Teil des Jahres verbringen kann!

Die Zeit drängt

Die Juso-Initiative sieht bei Annahme bekanntlich eine Wegzugsbesteuerung vor. So werden die Superreichen gezwungen, schon vor der eigentlichen Abstimmung zu reagieren, sonst werden sie erbschaftsrechtlich in Geiselhaft genommen. Also: Money talks, money walks. Die Ü50-Millionäre werden sich dies nicht gefallen lassen, sie werden zeitnah reagieren – lange bevor der Staat sich an ihren Vermögen delektieren wird. Auch Waldmeyer würde sich dies nicht gefallen lassen. Ein Leben lang malochen und dann die Hälfte dem Staat hinwerfen? Laut Juso soll mit den fetten Erbschaftssteuern dann gleich auch ein „Umbau der Gesellschaft“ finanziert werden. Hallelujah.

Die Initiative wird gar nicht angenommen?

Ob die Initiative Erfolg hat, ist unerheblich. Der Schaden ist schon angerichtet, denn die Wegzugspläne werden bereits geschmiedet. Es braucht Zeit für einen gutgeplanten Wegzug, besonders bei komplizierten Firmenstrukturen.

Auch wenn es heute nicht unbedingt danach aussieht, besteht zudem eine nicht unerhebliche Gefahr, dass ein lendenlahmer Bundesrat oder ein irrlichterndes Parlament einen Gegenvorschlag ausarbeitet, einen faulen, guteidgenössischen Kompromiss. Zum Beispiel 10% Erbschaftssteuer ab 1 Million? Warum nicht, wenn es die Mehrheit nicht betrifft? Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter.

Viele valable alternative Steuerdomizile

Waldmeyer stiess auf ein interessantes neues Buch: «2.LMP, der zweite Lebensmittelpunkt». Der bisher leider noch wenig bekannte Autor hatte versucht, die besten Orte für ein «Second Home» herauszufiltern – weltweit. Unter dem Aspekt der Steuerbegünstigung definierte er mindestens 17 Orte auf der Welt, wo das Leben nicht nur überwiegend steuerfrei, sondern auch sehr angenehm ist. Heureka, es gibt also intelligente Lösungen! Unter den genannten cleveren Steuerdomizilen figurieren auch weniger bekannte Orte, wo sich ein durchaus komfortables und interessantes Leben einrichten liesse. So kann es auch nach Panama City gehen, nach Phuket in Thailand oder in das wunderbar britisch-koloniale George Town in Malaysia. Alle diese weniger auf dem Radar erscheinenden Orte gelten als de facto steuerfrei.

Wenn Waldmeyer S. aus der Ostschweiz wäre

Wenn Waldmeyer nun nicht Waldmeyer, sondern der Unternehmer S. aus der Ostschweiz wäre: Wohin würde er ziehen? Die steuerfreien Bahamas wären vielleicht etwas zu tropisch, die Bermuda Inseln andererseits zu langweilig. Waldmeyer könnte einen sogenannten Non-Dom Status* in Irland wählen. Dort würde er indessen nur ein paar (vermutlich regnerische) Tage pro Jahr verbringen. Auf Mallorca, auf seinem bescheidenen Anwesen, würde es ihm nämlich besser gefallen, dort könnte er auch mal, bei einem Glas kühler Sangria, eine VR-Sitzung abhalten. In der Schweiz würde er immer noch maximal 180 Tage verbringen dürfen – was kein Problem darstellt, denn länger hatte er sich auch bisher noch nie in der alten Heimat aufgehalten.

Wenn Waldmeyer B. aus Genf wäre

Wäre Waldmeyer andererseits der Unternehmer B. aus Genf, würde er sofort Mauritius als künftiges formelles Domizil wählen. Für Frankophone wird die Auswahl deutlich kleiner sein, denn die meisten attraktiven Steuerdomizile haben eine britische Vergangenheit. Mit dem Nachteil allerdings, dass die Küche dort zuweilen etwas medioker ist (bekanntlich haben die Briten, gastronomisch gesehen, weltweit eine Blutspur hinterlassen). Doch für eine hohe Lebensqualität müssen selbstredend noch viele andere Parameter geprüft werden: Die Sicherheit, die Rechtssicherheit, der Immobilienmarkt, das Klima usw.

 

Weltweite Rasterfahndung nach den besten Fluchtorten

Waldmeyer blätterte weiter in seinem neuen Lieblingsbuch („2.LMP“). Die weltweite Rasterfahndung nach den steueroptimierenden besten Second Homes zeigt auf, dass Orte wie beispielsweise die Cayman Islands keine guten Optionen sind. Sie sind kompliziert zu erreichen, die Zeitverschiebung ist wenig hilfreich, das Leben vor Ort nicht sehr sinnstiftend. Ausser, man richtet sich gleich auf einer eigenen Insel mit eigener grosser Infrastruktur ein, die man angenehm mit dem Helikopter erreichen kann. Das wäre kaum ein Problem, wenn Waldmeyer eben nicht Waldmeyer wäre, sondern beispielsweise Sir Richard Branson: Sir Richard residiert nämlich steuerfrei auf Neckar Island (Teil der britischen Virgin Islands) in einem eigens errichteten Dorf im balinesischen Stil.

Zahlreiche andere vermeintlich tolle Steueroasen eignen sich ebenso wenig, so die karibischen Eilande Anguilla oder Trinidad and Tobago und viele mehr: Erstens handelt es sich oft nur um hervorragende Orte für Offshore-Firmen, nicht aber um Steuerdomizile für natürliche Personen. Oder sie sind hoffnungslos klein und/oder uninteressant, so Bonaire (holländische Antillen), Antigua in der Karibik oder die Pitcairns im Pazifik.

Bye, bye Switzerland?

Fazit ist, dass es sehr wohl einen ganzen Strauss äusserst geeigneter Orte auf der Welt gibt, wo relativ einfach eine neue (Steuer-) Bleibe errichtet werden kann. Die Voraussetzungen sind in der Regel eine überblickbare Immobilien-Investition oder die Erlangung eines Non-Dom-Status. Dubai oder die Bahamas schwingen da obenauf, etwas näher liegen Malta oder Zypern. Oder Monaco, falls man bereit wäre, rund 70’000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche hinzublättern. Doch selbst wenn Waldmeyer sich in einer ganz anderen Vermögensklasse befinden würde: Nein, da wäre er dann doch zu knausrig.

Je nach persönlichen Präferenzen sind jedoch auch Costa Rica oder Montevideo prüfenswert, denn an vielen dieser Standorte wird nur territorial besteuert. Dieses Risiko der Besteuerung von nur örtlichem Einkommen wird indessen klein bleiben. Wäre Waldmeyer beispielsweise der Unternehmer P. aus L. würde er sich kaum als Physiotherapeut in Thailand oder als Schnorchellehrer auf den Philippinen betätigen wollen. Wenn also nichts „territorial“ verdient wird, gibt’s nichts zu versteuern – wie praktisch!

Bye, bye Switzerland für Waldmeyer? Ja, damit wäre zu rechnen. Waldmeyer würde der Schweiz allerdings nicht definitiv den Rücken kehren, sondern nur sein Steuerdomizil verlegen – ohne dort auch das ganze Jahr leben zu müssen. Ganz legal, wohlverstanden. Waldmeyer ist nicht unglücklich, nicht zu diesen Superbetuchten zu gehören, denn so bleibt es beim „What, if…?“. Aber wenn nun ein fauler Kompromiss mit einem Gegenvorschlag des Bundesrates aufs Tapet kommt, sieht die Sache anders aus. Waldmeyer schob das Buch 2.LMP vorsichtig zu Charlotte rüber. „Also Costa Rica würde mir auch noch gefallen. Schau doch mal rein!“

*Anmerkung der Redaktion: Mit einem Non-Dom-Status in Irland, Malta oder Zypern kann eine Tax-Residence erlangt werden, ohne überhaupt richtig dort zu leben – ganz legal, wohlverstanden…

Zum Glück besitzt Waldmeyer schon ein Buch, sonst würde er es sofort bestellen:

Roland V. Weber, 2.LMP – der zweite Lebensmittelpunkt, ca. 79.90, im Schweizer Buchhandel erhältlich. Jetzt zum Spezialpreis für True-Economics-Leser für 59.90 direkt bei redaktion@true-economics.ch. Hardcover, bebildert und mit vielen Charts und Statistiken. Und fast 100 sehr erhellenden Waldmeyer-Kommentaren. Don’t miss it.

Waldmeyer, das Ribeye und die französische Linke

Der Kauf eines Stück Ribeyes beim Metzger betrachtet Waldmeyer mitunter als eine klassische Management-Aufgabe. Es gilt nicht nur den Zuschnitt, die Herkunft und die Qualität zu beachten, sondern auch den finalen Entscheid, ob es wirklich ein Ribeye sein soll. Die jüngsten Pläne der neu formierten französischen Linken könnten dabei einen Einfluss haben.

Der Auftrag Charlottes an Max Waldmeyer war klar an diesem Samstag: Er möchte bei der Rückfahrt von der Tankstelle doch bitte beim Gschwend noch ein paar schöne Hohrücken oder Entrecôtes mitnehmen. Aber nur vom Gschwend.

Nur vom Gschwend!

Gschwend, das ist wichtig zu wissen, ist der angesagteste Metzger der Region. Wenn die Nachbarn Freddy und Bettina Honegger (Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, auch gegen 5G, was aber in diesem Zusammenhang nichts zur Sache hat) dann abends zum Grillen kommen – sie hatten sich erst gestern selbst eingeladen – und fragen, woher das feine Fleisch sei, muss es von Gschwend sein. Waldmeyer hatte schon früher spekuliert, ob er nicht trotzdem beim Coop oder, ganz klandestin, beim Denner reinschauen sollte, unten am Kreisel (Ersparnis: glatte 20%). Er liess die Idee aber wieder fallen, denn mit der süffisanten Bemerkung Freddys «ich hab deinen Wagen beim Kreisel gesehen» wollte er nicht konfrontiert werden.

Hohrücken, Entrecôte oder Ribeye?

Also Gschwend. Bei Gschwend sei das Fleisch «besser abgehangen», alles Bio, und überhaupt. Von all den kolportierten Alleinstellungsmerkmalen Gschwends ist nur eines sicher: Er ist teurer. Und sein Fleisch kommt nicht nur von glücklichen Schweizer Kühen, sondern zum grossen Teil auch aus dem Ausland.

«Ich werde mir dann besser mal das Ribeye ansehen», antwortete Waldmeyer auf Charlottes Einkaufsorder. Waldmeyer suggerierte so elegant, dass er sehr wohl zu unterscheiden weiss zwischen Hohrücken, Entrecôte und Ribeye. Der Unterschied könnte auch einem Jungmetzger beim Gschwend, z.B. dem netten Ahmed, die Schweissperlen auf die Stirn treiben. Tatsache ist jedoch, dass sich die feinen Differenzen der Rücken-Fleischstücke verwischen und, etwas grosszügig interpretiert, die Steaks sich alle hintereinander auf dem Rücken eines armen Rindleins platzieren.

Netto ist nicht brutto

Aber eigentlich hatte Waldmeyer an diesem Morgen etwas ganz anderes im Kopf: Die vereinte neue Linke in Frankreich möchte offenbar die Rente wieder subito auf 60 runtersetzen, die Preise für Nahrungsmittel und Energie kurzerhand einfrieren, die Löhne fest an die Inflation koppeln und den Minimallohn von 1‘400 auf 1‘600 Euro erhöhen. Unverändert bleiben sollen selbstredend die mantramässig vorgetragenen Forderungen nach einer weiteren Reduktion der Arbeitszeit (die 35-Stunden-Woche lastet bereits schwer auf der Psyche des Franzosen). Wie immer wurden die neuen Ideen ohne Finanzierungsvorschlag präsentiert. Aber die fortlaufende Deindustrialisierung Frankreichs konnte auch Emmanuel Macron I. inzwischen nicht aufhalten, sie geht einfach weiter, und Frankreich ist derweil zu einem ziemlich unattraktiven Produktionsstandort geworden. La Grande Nation ist damit sogar weiter gediehen als Deutschland – dort droht allerdings eher eine Verscholzung, dachte Waldmeyer, als er seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Gschwend navigierte.

Die Franzmänner denken nur netto

Es war Punkt 10:00 Uhr, also wechselte Waldmeyer von „It never rains in Southern California“ auf SRF1. Und da wieder die gleiche Meldung, das neue Parteiprogramm dieser weltfremden Franzmänner: 1’600 Euro – netto! Waldmeyer stand auf dem Parkplatz bei Gschwend und hörte sich in Ruhe nochmals die Nachrichten an. Wenn Honegger nun auch einen Einkaufsauftrag hätte, würde er Waldmeyers schweren SUV beim Vorbeifahren beim Gschwend entdecken. Tant mieux.

Also 1’600 Euro netto. Aber warum «netto»? Die denken heute also alle nur noch „netto“, die Franzmänner? Auch in Deutschland ist das jedoch gang und gäbe – zumindest bei den unteren Gehaltsstufen. In beiden Ländern werden die Steuern sicherheitshalber nämlich monatlich vom Lohn abgezogen.

In der Schweiz denkt man brutto

In der Schweiz herrscht zum Glück noch sichtbar „brutto“. Ausser bei einem Reinigungsinstitut, dort erhält, beispielsweise Fatima Berisha, „netto“ ausbezahlt, und sie denkt auch nur in netto. Aber in der Regel kennen wir Eidgenossen die Differenz zwischen netto und brutto haargenau. Das ist auch gut so, weil edukativ. Denn so wissen wir jeden Monat, wieviel wir für die Sozialkosten abdrücken. Wir überlegen dabei auch, als aufgeklärte und verantwortungsbewusste Bürger, wieviel wir für die Steuern zurücklegen sollten.

Und notfalls können wir die Differenz zwischen brutto und netto an der Urne korrigieren.

Gschwend hat keinen Minimallohn

Schwierig wird es natürlich in Ländern, wo ein Grossteil der Staatsbürger nur den Minimallohn bezieht. Gschwend hat wohl kaum einen Minimallohn, überlegte Waldmeyer. Der Preis für ein gutes Ribeye in der Schweiz liegt bei fast 100 Franken pro Kilo, in Deutschland bei der Hälfte. Aber das Schweizer Fleisch ist bestimmt auch besser, also darf es mehr kosten. Wir haben ja auch andere Löhne. Die Preisdifferenz ergibt sich allerdings aus purem Protektionismus: Wir erheben schwindelerregende Zölle auf dem importierten Fleisch, um das (bessere und gesündere) Schweizer Fleisch zu schützen. Gschwend ist de facto also ein Subventionsempfänger. Und dies, obwohl sein Fleisch durchaus vergleichbar ist mit jenem in einer guten Metzgerei in Deutschland oder Frankreich, zuweilen kommt es sogar aus der gleichen Produktion. Das hatte Waldmeyer schon mehrmals auch Bettina Honegger zu erklären versucht. Sie meint dazu aber immer: „Ja, aber trotzdem…“. Und ja, im Ausland würden sie vermutlich viel mehr Antibiotika verwenden bei der Rinderaufzucht. Vielleicht sogar reinimpfen.

Doppelte Kalkulation in der Schweiz

Tatsache bleibt, dass bei Gschwend bei dieser doppelten Schweizer Kalkulation, befeuert durch die staatliche Protektionismus-Hilfe, am Schluss auch eine doppelte Marge verbleibt. Gschwend jedoch ist Unternehmer, überlegte Waldmeyer und konstruierte damit ein gewisses Verständnis für den rührigen Metzger.

Aber Waldmeyer grübelte weiter: Die 100 Stutz für das Kilo Ribeye müssen erst mal erarbeitet werden – und zwar netto. Bei Waldmeyers, gute Doppelverdiener und mit der Heiratsstrafe belegt, damit irgendwo in der obersten Steuerprogression angesiedelt, liegt die Brutto-Netto-Rechnung natürlich im Argen. Die Grenzbelastung, also die Belastung des „obersten“ zusätzlich verdienten Frankens, unter Einrechnung der Steuern und aller Sozialabgaben, inklusive der Pensionskasse, liegt bei annähernd 50%. Das heisst, zwischen brutto und netto sublimiert sich beim zusätzlich verdienten Franken die Hälfte. Und genau dort, nämlich mitten in diesen verlorenen 50%, bei diesem Entscheidungsfenster pro oder contra einem Ribeye, liegt das Problem. Mit anderen Worten: Das Ribeye kostet, hochgerechnet auf brutto, gefühlt 200 Franken.

Der Management-Entscheid an der Fleischtheke

Waldmeyer lief es kalt den Rücken hinunter, als er vor der Fleischtheke stand: Tatsächlich 100 Stutz für das Ribeye. Oder 200, ehrlich gerechnet. Nein, einmal ist Schluss. Waldmeyer musste nun einen Management-Entscheid fällen – und zwar verzögerungsfrei. Er machte sofort drei Optionen aus. Option eins: Ribeye-Portionen verkleinern, also magere «Lady’s Cuts». Option zwei: ein Downgrading (Huft?). Option drei: doch noch zum Denner rüber (Angus-Aktion, hatte er gestern in der Werbung gesehen)?

Als Waldmeyer seine Einkäufe in der Küche ablieferte, versuchte er Charlotte seine Brutto-Netto-Theorie zu erklären. «Weisst du, das Ribeye war brutto bei 200 Stutz, aber die Bratwürste sind doch auch ok, nicht?». Charlotte antwortete nicht.

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