Waldmeyer und die schöne, heile Welt

Oder: Das künftige Leben im „Gutstaat“

Die westliche Welt wird künftig anders aussehen – in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Sie wird besser werden, stressfreier. Und viel sozialer, auch inklusiver. Waldmeyer malt sich ein Bild, wie die nahe Zukunft aussehen könnte.

Waldmeyer findet es nicht schwer, sich eine Welt vorzustellen, welche alle positiven ökonomischen und sozialen Errungenschaften vereint. Eine bessere Welt einfach, vielleicht so in zehn Jahren erst – eine gewisse Transformationszeit muss man einer Gesellschaft ja zugestehen.

Waldmeyer blickt zurück auf das Jahr 2024

Rückblickend stellt Waldmeyer fest, dass die ersten Schritte 2024 erfolgten. Wenn man jeden Schweizer Bürger gefragt hätte, ob er im Lotto gewinnen möchte, hätte er Ja gesagt. Die Frage damals lautete ähnlich: Möchtest du nicht eine 13. AHV erhalten? Mit deutlichem Mehr hatte das Volk damals, seiner Logik folgend, mit einem Ja geantwortet und sich nicht auch noch um die Finanzierung der Ausgaben gekümmert. Dafür ist schliesslich der Staat zuständig. Und so könnte sich die Gesellschaft in den Folgejahren weiter verändert haben. Dabei musste vorab das eigene Glück im Vordergrund stehen. Es ging bei dieser Transformation um viel mehr als eine gute Work-Life-Balance. Es ging um einen Umbruch.

Man wird sich künftig um naheliegende Themen kümmern

Wir werden uns künftig viel weniger um politische Themen gekümmert haben. Vor allem nicht um solche, die weit weg von uns liegen – z.B. in der Ukraine. Die Russen machen eh, was sie wollen. Was sollen wir uns in der Schweiz um etwas kümmern, das wir gar nicht beeinflussen können! Wenn sie kommen, dann kommen sie. Unsere Armee könnte ohnehin nichts ausrichten. Die der Deutschen erst recht nicht, die ist noch weniger einsatzfähig. Und die Franzosen sahen kürzlich ein, dass sie mit ihren Geräten und der Munition gerade einmal 80 Kilometer Grenze – und dies nur während ein paar Tagen – verteidigen könnten.

Endlich wird die Gesellschaft inklusiver

Also kümmern wir uns richtigerweise um Themen, die etwas näher liegen: Um die Pflege der Diversitäten in der Gesellschaft, beispielsweise. Wir pflegen auch eine diverse Sprache, mit «Innen» und Doppelpunkten und vielem mehr. Jeder darf, wie er will.

Selbstzweifel? Das Rezept: Durch mehr Zuwanderung kann man sich positiv verändern. Deshalb auch die neuen Ramadan-Beleuchtungen, die in Deutschland und Frankreich in den Städten errichtet werden. Das ist dann nicht kulturelle Aneignung, sondern einfach inklusive, umsichtige Denke. Ja, man muss sich gutstellen mit den Bürgern und Einwohnern anderer Kulturen. Deshalb hatte Deutschland der Ukraine nach dem russischen Einmarsch erst mal ein paar Helme versprochen. Mit weitergehender Hilfe wollte man es sich mit Putin nicht verscherzen. So sieht professionelle Umsicht und Weitsicht aus.

Die Schweizer Jusos machen es vor

Die Jusos sind noch mutiger. In einem Positionspapier forderten sie bereits 2024 einen kompletten Umbruch von Wirtschaft und Gesellschaft: die Vergemeinschaftung von Vermögen, die Konzentration auf ein inklusives Leben, die Einführung der 24-Stunden-Woche. Das war konsequent. Malochen bringt einen nicht wirklich weiter. Der mutige Juso-Entwurf ist damit eine innovative Weiterentwicklung ur-kommunistischen Gedankengutes, Karl Marx’ einfach gestrickte Ideen erhalten so eine ganz andere Qualität. Die neue Erbschaftsinitiative der irrlichternden Partei spricht Bände.

Über allem stehen die Klimaziele

Die neue aufgeklärte Gesellschaft verfolgt ein Netto-Null-Ziel in Sachen CO2, bis 2050 soll es erreicht sein. Dabei kümmert man sich nicht um die grossen Umweltbelastungen im grossen Rest der Welt; Mikro-Management wird bevorzugt. Nun, man muss eben auch mal den Schneid haben, mit gutem Beispiel voranzugehen!

So fühlen wir uns leichtherzig mit jeder Fahrt im ÖV, und jede Aufhebung eines Parkfeldes und mit jeder neuen 30er-Zone in einer Hauptstrasse verbessert sich das Empfinden in der Gesellschaft. Der Einbau einer Wärmepumpenheizung verschlingt zwar Unmengen an Strom, den es künftig gar nicht zur Genüge geben wird. Aber diese Entscheide, einer Übersprunghandlung gleich, geben uns ein gutes Gefühl. Auch der Betrieb eines Elektrofahrzeuges erfüllt uns mit Stolz, denn wir schaffen es, gleichzeitig auszublenden, dass dieses zum Teil mit schmutzigem Strom aus dem Ausland fährt. Waldmeyer versucht seit Jahren, seiner Nachbarin Bettina Honegger (Verschwörungstheoretikerin, Impfgegnerin, gegen 5G, fährt einen weissen Elektro-Golf) zu erklären, dass ihr Gefährt eigentlich eine Dreckschleuder ist, betrieben, unter anderem, mit importiertem Kohlestrom aus Polen und Deutschland. Aber die Kunst Bettinas – und vieler anderer – besteht gerade darin, Waldmeyers Kritik komplett auszublenden. Und Waldmeyers Schwester Claudia (frühpensionierte Primarlehrerin, Kurzhaarschnitt, lustige farbige Brille) hockt den ganzen Tag vor ihrem PC und spielt mit Chat-GTP, welches gigantische Mengen an Strom benötigt, setzt sich aber politisch für strenge Energieziele ein.

Die Verkehrswende

Waldmeyer versuchte weiter, zehn Jahre positiv vorauszudenken. Er würde sich dann konsequenterweise nicht daran stören, künftig mit dem Velo oder dem Lastenrad in den Städten rumzukurven. So geläutert, würde er endlich die Ruhe und die gesunde Luft geniessen können. Die Abschaffung der individuellen Verkehrsmittel gegen Mitte der 2030er Jahre war schliesslich überfällig gewesen. Überland würden dann nur noch elektrisch betriebene Uber- und Bolt-Fahrzeuge unterwegs sein, mit jungen und gutaussehenden Fahrerinnen und Fahrern, die ihre Arbeit freiwillig verrichten. Es werden allerdings nur ganz kleine Fahrzeuge sein, denn der Strom ist knapp im Land. In der Nacht wird die Fahrt auf fünf Kilometer pro Fahrt beschränkt werden, denn dann, das hatte man herausgefunden, produzieren die Sonnenkollektoren nichts. Das ist aber egal, denn zuhause ist es auch schön. Im Winter gelten die gleichen Regeln, aber dann ist ohnehin 90% Homeoffice für alle angesagt, man muss also gar nicht raus. Im November werden sich die meisten Mitarbeiter der Firmen eh schon zur «Workation» abgemeldet haben, sie arbeiten dann von Thailand oder von Bali aus. Sie kommen später im Februar glücklicher und reich an Lebenserfahrung zurück an den Arbeitsort und haben viel zu erzählen. Das befruchtet nicht nur das Arbeitsklima, sondern auch die Firmen zehren dann von diesen wertvollen neuen Erfahrungsschätzen.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird Realität

Die Summe aller Sozialleistungen für Bedürftige wird ein Level erreichen, welches einem bedingungslosen Grundeinkommen entspricht. Der Staat nimmt, der Staat gibt. Aber er tut dies als verantwortungsvoller Geber. Wäre der Staat ein Mensch, wäre er ein Gutmensch. Damit wird der Begriff des «Gutstaates» neu definiert. Der Gutstaat garantiert nicht nur ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern auch ein bedingungsloses Vermögen, die Idee wurde kurzerhand von intelligenten Vorstössen in Deutschland abgekupfert.

Fortschrittlichere Arbeitsmodelle

Die Optimierung der Work-Life-Balance wird neu nicht mehr im Mittelpunkt der Arbeitnehmer stehen, sondern endlich auch die Arbeitgeber erreicht haben. Die Firmen werden erkannt haben, dass Arbeiten allein die Arbeitnehmer nicht glücklich macht. So wird jeder so viel arbeiten können, wie er möchte – selbstredend auch von zuhause aus. Die Firmen selbst haben inzwischen ihre Ziele geändert: Es geht jetzt nicht mehr darum, Gewinne zu erwirtschaften, sondern darum, a) Klimaziele zu erreichen, b) möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen, c) um Arbeitnehmer glücklich zu machen und d) sich nötigenfalls abzuschaffen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden können. Glücklicherweise wird es einen «Staats-Coach» geben, der die Firmen beim Erreichen dieser Ziele begleitet und der die diversen sozialen Auffangbecken bereithält, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Das Erbe gehört dem Staat

Zu Beginn dieses gesellschaftlichen Umbruchs hatte man sich allenthalben Sorgen gemacht, dass diese soziale Weiterentwicklung nicht finanziert werden kann. Das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen, und die Nachkommen brauchen die Kohle auch nicht, denn der Staat sorgt für sie. Also soll das Erbe dem Staat gehören – nicht zu 50% für grosse Vermögen, wie eine Juso-Initiative im Jahr 2024 wenig mutig vorsah, sondern zu 100%. Ein geniales Konzept, denn so kommt laufend unheimlich viel Geld in die Staatskasse. Grosszügig bezahlte Staatsangestellte können das Geld anschliessend wieder grosszügig verteilen, vielleicht vom Homeoffice aus und auf der Basis einer 24-Stunden-Woche.

Den Anfang machte tatsächlich die Juso-Initiative, welche 2026 vom Volk überraschenderweise, entgegen allen Prognosen, doch noch angenommen wurde; ab dann wurde eine staatliche Erbschaftssteuer von 50% auf hohen Vermögen erhoben. Sie brachte zwar kaum etwas ein, da sich die grossen Erblasser schon früher aus dem Staub gemacht hatten. Aber das Signal war wichtig: Die Bürger hatten erkannt, dass Erbschaften eigentlich dem Staat gehören.

Endlich weniger Leistungsdruck

Ja, vieles wird sich in den nächsten Jahren zum Guten verändert haben. Nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch davor, in der Schule, wo endlich der Leistungsdruck zurückgenommen wurde.

Bis zur Matura werden neu keine Noten mehr vergeben. Die Forderung von gewissen Kreisen, nun konsequent eine 20-Stunden-Woche für Arbeitseinsteiger einzuführen, wird auf grosses Interesse gestossen haben. Ein Drittel der urbanen Jugendlichen hatte bereits 2024 Depressionen, einige Jahre später waren sie erst recht überfordert. Völlig unverantwortlich wäre es deshalb, sie in den Armeedienst zu schicken. Überhaupt, die Armee sollte Frieden verbreiten. Eine SP-Vertreterin stellte fest (es war ebenso 2024), dass die Armee eigentlich keine Bewaffnung braucht. Auch Drohnen sollten nicht bewaffnet werden, so die gleiche Politikerin in der Aussenpolitischen Kommission.

Der Westen irrlichtert

Waldmeyer war zufrieden mit seiner weitsichtigen Vision für eine heile Welt. Der vermeintliche Weg zum Glück besteht also darin, dass wir gute Handlungen vornehmen und gleichzeitig die Absurditäten dahinter verdrängen. Das leuchtet ein. Wir nennen es dann Fortschritt und wähnen uns auf einem höheren Zivilisationsniveau.

Diese perfekte Welt wurde schon viel angedacht, von Karl Marx bis zu linken und grünen Weltverbesserern in Politik und Gesellschaft. Weder Karl Marx noch die Kibbuz-Erfinder noch die neuen Protagonisten einer besseren und glücklicheren Gesellschaft sind schlechte Menschen. Aber sie lagen und liegen einfach falsch.

Waldmeyer versteht seine wirre Vision nur als Mahnung. Er will lediglich aufzeigen, in welche zum Teil absurde und ökonomisch suizidale Richtung sich unsere westliche Gesellschaft bewegt. Der Rest der Welt wird indessen Freude an unserer Entwicklung haben, denn so werden wir noch schneller überholt werden. Insbesondere erfolgreiche Staaten in Asien klopfen sich auf die Schenkel. Wie sagte doch Waldmeyer schon zu seinem Sohn Noa: «Du wirst sehen, die Asiaten werden dereinst unsere Villen bewohnen und du wirst sie putzen müssen!»

Waldmeyer und der neue Staat Israel

Die Lage im Nahen Osten ist verzwickt: Seit bald 80 Jahren gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, eine friedliche Koexistenz der Völker aufzubauen. Waldmeyer wagt, mit dem Risiko eines Shitstorms, einen Befreiungsschlag.

 

Eine aussichtslose Lage

Seit 1948 gelang es der Weltgemeinschaft nicht, eine Lösung für eine friedliche Koexistenz zwischen dem jüdischen und dem palästinensischen Volk zu etablieren. Die UNO, der Westen, Israel und die muslimischen Völker haben schlichtweg versagt. Fast 80 Jahre lang wurde nun rumgedoktert – für nichts und wieder nichts. Die Sache mit der Zweistaaten-Lösung ist dermassen verfahren, dass sie kaum gerettet werden kann. Ein formeller Palästinenserstaat, selbstverwaltet und prosperierend? Angesichts der Hamas und der Hizbullah, welche, sekundiert vom Gottesstaat Iran, die Errichtung eines eigenen palästinensischen Staates gar nicht zum Ziel hat, sondern schlichtweg nur die Vernichtung des Staates Israel, verkommt ein solches Ansinnen zur Schimäre. Lustigerweise befeuern westliche Staaten immer noch verabscheuenswürdige Pläne der Hamas, indem sie Schulbücher finanzieren, welche schon auf den ersten Seiten die Vernichtung des jüdischen Staates propagieren. Auch die Schweiz hat diese Lehrmittel mit Millionenbeiträgen unterstützt. Und die UNO verurteilt heute konsequent Israel, fasst indessen Iran und seine Milizenschergen nur mit Samthandschuhen an.

Die Sache ist komplett aus dem Ruder gelaufen

Wir sind uns wohl einig: Die Taten insbesondere der irangesteuerten Hamas sind absolut niederträchtig. Und Israel verdient eine gesicherte Existenz. Dass Israel nun aber unverhältnismässig zurückbombt, ist auch keine Lösung. Dass sich die Hizbullah trotz UNO-Resolution nie aus dem Süden Libanons zurückgezogen hat und Israel immer noch täglich mit Raketen beschiesst – und so wieder Gegenreaktionen Israels auslöst – ist dem Frieden in der Region selbstredend auch nicht dienlich. Unabhängig von der geopolitischen Notwendigkeit, Iran in Schach zu halten, muss andererseits für die Palästinenser eine adäquate unabhängige Bleibe gefunden werden. Der ganze Nahe und Mittlere Osten, inklusive Iran und der muslimisch geprägten Afrika-Staaten, wird nicht zur Ruhe kommen, bevor dieses verfahrene Nahostproblem nicht gelöst ist.

Der Befreiungsschlag

Leider ist es nun mal so, dass die reine Existenz des Staates Israel den Hass antisemitischer Kreise und deren Gewaltbereitschaft befeuert. Waldmeyer wagt nun einen gefährlichen Gedanken: Würde denn in diesem Teil der Welt Friede herrschen, wenn es Israel gar nicht gäbe? Also rein hypothetisch, ohne davon, bei Gott und bei Allah, irgendwelche Forderungen abzuleiten: Würden alle Staaten in der Region denn in Minne miteinander leben, wenn Israel wegziehen würde? Ein Gedanke, der politisch brisant ist. Aber trotzdem: Falls es so wäre, herrschte dann Friede?

Ja, vielleicht, dachte Waldmeyer, obwohl er sich selbstredend gleich schämte, einen solchen Gedanken einer Umsiedlung überhaupt aufkommen zu lassen. Man müsste für Israel natürlich eine faire und valable Alternative finden.

Waldmeyer entwickelt einen geheimen Plan

Waldmeyer begab sich also, ganz vorsichtig, in diesen bedrohlichen Warteraum des Konjunktivs: Was wäre, wenn…? Man darf ja auch mal unkonventionell brainstormen, nicht? Und kritisch denken heisst auf keinen Fall, antisemitisch zu denken. Das muss sich auch die jüdische Gemeinde nun mal gefallen lassen.

Sicherheitshalber beschloss Waldmeyer, vorerst mit niemandem über seine Idee zu sprechen. Auch mit Charlotte nicht, schon gar nicht mit seiner Tochter Lara. Zumal Letztere nicht durch ihre Eltern, sondern vor allem durch die Sozialen Medien sozialisiert wurde und für Palästina auch mal auf die Strasse geht.

Aber nun zur Sache: Das ganze Projekt mit dem neuen Staat für Israel müsste freiwillig stattfinden. Waldmeyer legt nun seinen Plan vor:

  1. Es müsste für Israel ein neuer Ort auf der Welt gefunden werden, welcher sicher, bewohnbar und genügend gross ist, um dort zu leben.
  2. Die Weltgemeinschaft müsste dahinterstehen und einen „Umzug“ des Staates Israel akzeptieren.
  3. Eine Anschubfinanzierung müsste eingeplant werden, z.B. durch den Westen und durch die Golfstaaten.
  4. Ein Masterplan für den Umzug müsste vorliegen.

Die Geschichte hilft weiter

Die Historie hatte schon einmal ein paar Ideen hervorgebracht, die in diese Richtung gingen. So gab es vor über hundert Jahren bereits einen Plan Chamberlains, der vorsah, einen jüdischen Staat in Afrika zu errichten. Die Idee bestand darin, die damalige relativ uninteressante britische Kolonie Uganda zur Verfügung zu stellen. Der Plan wurde allerdings wieder fallengelassen. Es wäre indessen ganz interessant zu beobachten gewesen, was aus Ostafrika geworden wäre, wenn sich dort ein erfolgreicher jüdischer Staat etabliert hätte. Hätten die tüchtigen Israeli vielleicht den halben Kontinent zu einer wirtschaftlich blühenden Region entwickelt?

Zur gleichen Zeit stand El Arish auf der Liste. Der jüdische Staat wäre damit nur unwesentlich unterhalb des Gazastreifens zu liegen gekommen, an der Küste der ägyptischen Sinai-Halbinsel, auf dem Weg nach Alexandria. Auch diese Idee kam indessen nicht zum Tragen.

Schon früher, 1928, stand der Osten Russlands zur Diskussion, 1939 wurde von den Nazis ein „Madagaskar-Plan“ ausgearbeitet, und Mussolini schlug zur gleichen Zeit einen Teil Äthiopiens vor, damals eine italienische Kolonie – alles relativ charmelose Vorschläge, die schon eher Deportationscharakter hatten.

Da war 1942 der britisch-australische Ansatz, Tasmanien zur Verfügung zu stellen, schon interessanter. Dort gab es, beispielsweise, bereits eine kleine Synagoge. Und viel Land. Aber wie wir wissen, entschied sich die Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg anders. Und so wurde der jüdische Staat 1948 inmitten eines arabischen Umfelds errichtet, mit jüdisch-historischen Wurzeln zwar, aber im Epizentrum einer relativ fundamentalistischen muslimischen Welt. Das konnte ja nicht gut gehen.

Heureka: Es gibt ein ideales Land für Neu-Israel!

Waldmeyer durchforstete den Globus und fand tatsächlich den idealen Ort: Australien. Dort gibt es genügend Fläche, viele fast menschenleere Gebiete. Der Landstrich müsste allerdings einen Meerzugang haben. Die UNO könnte einen Deal mit Australien abschliessen und eine ordentliche Fläche bereitstellen, damit sich der neue Staat wirtschaftlich anständig entwickeln kann. Um künftig eine unkontrollierte israelische Siedlungspolitik zu verhindern, müsste das Land etwa mindestens doppelt so gross sein wie das heutige Israel. Am besten wäre eine Insel, da wäre eine ungebührliche Expansionspolitik zum Vorneherein schwierig. Und so landete Waldmeyer, der Logik folgend, wieder bei Tasmanien, der südlich vor Australien liegenden Insel.

Tasmanien ist ideal

Das australische Tasmanien ist rund dreimal so gross wie das heutige Israel. Es ist fruchtbar, liegt in einer gemässigten Klimazone und hat – da eben eine Insel – mehr als genügend Meerzugang. Der Ort würde also ein deutliches Upgrading darstellen. Waldmeyer wusste auch gleich, wie Neu-Israel gestaltet werden sollte. Mit Australien und der ganzen pazifischen Region müsste es ein Freihandelsabkommen geben. Neu-Israel würde sich in zwei Kantone gliedern, in ein Normal-Israel und ein Ortho-Israel (für die orthodoxen Mitglieder der jüdischen Gemeinde). Der orthodoxe Teil müsste südlicher liegen, weil es auf der Südhalbkugel weiter südlich bekanntlich kühler ist (damit würde man den etwas komplizierten Bekleidungsbräuchen der orthodoxen Juden entgegenkommen).

Die bestehende, bescheidene Population Tasmaniens könnte man im Kanton Normal-Israel integrieren, sollte sie dem Angebot der australischen Regierung für eine Umsiedlung auf den Kontinent nicht nachkommen. Im israelischen Staat leben heute Tausende von Muslimen, also würde die Integration von tasmanischen Nicht-Muslimen mit Bestimmtheit umso eleganter vonstattengehen. An die koscheren Malzeiten würden sich die verbleibenden Tasmanier sicher gewöhnen können, zumal ihre heutige gastronomische Basis doch eher bescheiden ist.

Es gibt doch noch Fragezeichen

Je weiter Waldmeyer indessen reflektierte, umso nachdenklicher wurde er. Ja, was wäre, wenn…? Würde in Nahost mit der Verlegung Israels tatsächlich Friede und Prosperität einkehren? Könnte sich der Westen ganz zurückziehen aus diesem Teil der Welt? Da wären doch noch einige Zweifel angebracht. Sunniten und Schiiten sind sich spinnefeind in der Region. Waldmeyer verstand den Unterschied zwischen den verschiedenen muslimischen Ausrichtungen nicht ganz. Offenbar bestand dieser vorab darin, dass unterschiedliche Meinungen über die Nachfolge des Propheten Mohammed herrschen. Es handelt sich also um ganz feine Nuancen, wie sie etwa zwischen Katholiken und Protestanten bestehen. Um Nuancen allerdings, die zu unüberbrückbarer Unversöhnlichkeit führen. Die schiitischen Iraner beispielsweise würden in der ganzen Region wohl weiter mit dem Feuer spielen. Und die Palästinenser kämen allein vermutlich immer noch nicht klar, hatten sie es doch bis heute, trotz Millionen-Unterstützungen aus der ganzen Welt, nie geschafft, eine funktionierende Gesellschaftsstruktur aufzubauen. Seit bald 80 Jahren konnte keinerlei wirtschaftliche Basis für ein autonomes Leben etabliert werden.

Mit anderen Worten: Es bestehen doch noch ein paar Fragezeichen für ein erfolgreiches Umsiedlungsprojekt. Sollte Waldmeyer nun seinen geplanten Befreiungsschlag wieder auf Eis legen?

«Wo ist eigentlich Lara heute?», fragte Waldmeyer Charlotte.

«An der Demo. Du weisst doch, Palästina und so.»

„Halleluja“, rief Waldmeyer aus. Und er überlegte: Hoffentlich wird seine geheime Neu-Israel-Idee trotzdem irgendwie durchsickern.

Waldmeyer und die Verteilung der fetten Erbschaftssteuern

Es mag unwahrscheinlich sein, dass die absurde Juso-Erbschafts-Initiative vom Stimmvolk angenommen wird. Aber nicht ganz unmöglich. Zumindest findet es Waldmeyer interessant zu überlegen, was mit den vielen neuen Steuergeldern denn so alles angestellt werden könnte.

Gemäss Initiativtext sollen die fetten Einnahmen aus der nationalen neuen Erbschaftssteuer unter anderem dem Klima zugutekommen – nebst einem „Umbau der Gesellschaft“. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Aber irgendwo müsste man ja mal beginnen. Waldmeyer setzte, für einmal mit Charlotte, zu einem Brainstorming an. Sie eruierten verschiedene Massnahmen, die sich für das neue Steuer-Manna herauskristallisieren könnten:

  1. Jeder Haushalt erhält gratis ein Lastenrad. Damit wird der schädliche Autoverkehr nachhaltig bekämpft und die Luftsäule über der Schweiz sauber gehalten.
  1. Der ÖV soll für alle gratis werden. Man muss der Gesellschaft ja auch mal was zurückgeben. Und wir entschleunigen unser Leben (wir wissen jetzt ja, dass wir uns mit dem ÖV in den Städten mit durchschnittlich 8 km/h bewegen).
  1. Schweizer Fleisch wird verboten. Die Kühe in unserem Land produzieren zu viel Treibhausgase. Importiertes Fleisch wird, allerdings mit nochmals erhöhten Zöllen, weiter toleriert. Das Klima weltweit wird zwar so nicht gerettet, aber dem Initiativtext wird Folge geleistet. Die Schweizer Landwirte werden grosszügig abgefunden und erhalten eine kostenlose Schulung als KI-Berater.
  1. Für Übergewichtige (BMI über 30) gibt es in allen Parks und auf den Gemeindeplätzen gratis jeden Tag Fitnessangebote. Ähnlich wie in China – nur flächendeckender.
  1. Anstatt den European Song Contest zu subventionieren, wird in jeder grösseren Stadt monatlich ein SSC (Swiss Song Contest) veranstaltet. Es wird kein Dress-Code erlassen, aber Rüschenröcke und pinkfarbene Strumpfhosen für die Zuschauer sind willkommen.
  1. Bei allen durch Kraftwerke oder andere Massnahmen unterbrochenen Flussläufen in der Schweiz werden Fischtreppen installiert. Das Bauvolumen wird einer breiten Bevölkerungsschicht zugutekommen.
  1. Die 14. und 15. AHV werden eingeführt. Wer über 90 wird, erhält eine 16. Ausschüttung.
  1. Der Einbau von diversen (also gendergerechten) Toiletten in Privaträumen wird mit 120% Subvention gefördert.
  1. Deutschland erhält eine Milliardenspende, um seine heruntergekommene Bahn zu renovieren und endlich ein flächendeckendes Mobilfunknetz zu installieren.
  1. Generell soll mehr für das Ausland getan werden, indem der globale Süden massiv unterstützt wird. Unter anderem mit dem Ausbau des Asylwesens. Es wird sogar die Zwangsunterbringung von Wirtschaftsflüchtlingen aus der ganzen Welt in privaten Häusern und Wohnungen geprüft. Familie Sonderegger wird sich künftig um eine somalische kleine Sippe in ihrem Haus in Hochstetten kümmern, Famille Maréchal in ihrer Wohnung in Le Locle um die netten Algerier. Unsere Gesellschaft wird also inklusiver.
  1. Bei all den Ausland-Unterstützungen sollen die eigenen Städte jedoch nicht vergessen gehen: Diese werden renaturiert, die letzten Parkplätze aufgelöst. An 360 Tagen im Jahr wird es einen autofreien Sonntag geben. Die Bahnhofstrasse in Zürich, die Freie Strasse in Basel und die Marktgasse in Bern werden zu einer Magerwiese umfunktioniert, eingangs und ausgangs der schönen Boulevards werden Gratisstiefel verteilt, um bei regnerischem Wetter unbehelligt zu den wenigen verbleibenden Geschäften stapfen zu können. Im fortschrittlich-linken Lausanne wird man sich, trotz schwieriger Hanglagen, für Ackerbau in der ganzen Innenstadt entschieden haben (die Produktion von Hafermilch wird besonders gefördert). In St. Gallen wird die Multergasse zum Gender-Flanierweg umfunktioniert (man streitet sich noch darum, was das baulich zu bedeuten hätte).
  1. Im Sinne des geforderten «Umbaus der Gesellschaft» werden alle privaten Dachgärten in den Städten der Bevölkerung zugänglich gemacht. Es wird in der Folge in der Schweiz so etwas wie eine aufgeräumte Kibbuz-Stimmung herrschen. Ein Meilenstein in dem Umbau-Prozess – genau so, wie sich dies die irrlichternden Jusos das vorgestellt hatten.

Nur: Leider wird es zu dieser grossen Verteilung gar nicht erst kommen, denn die zu verteilenden Erbmassen werden vorher schon das Weite gesucht haben – mitsamt den vermögenden Personen, die bisher auch noch fleissig Einkommens- und Vermögenssteuern abgedrückt hatten, die AHV alimentiert und, mit ihrem überdurchschnittlichen Konsum, viel MWST abgeliefert hatten. Ja, so weit würde es kommen, wenn die Milchkuh geschlachtet wird. Merke: Man soll die Hand nie beissen, die einen nährt!

Waldmeyer heckt einen Plan B aus

Waldmeyer überlegte sich, wie denn so ein Plan B für die Schweiz aussehen würde. Wenn in dem Land also, bei Annahme dieser absurden Erbschaftsinitiative, plötzlich eine riesige Einnahmenlücke klaffen würde. Dieser Plan B wäre deshalb – leider – ein Sparplan.

Aber als erstes würde die MWST erhöht werden – und zwar kräftig, denn diese Massnahme ist am schnellsten umsetzbar. Anschliessend wird zusammengestrichen: bei den Sozialausgaben, den Investitionen in die Infrastruktur, den vielen Subventionen. Die Anschaffung der neuen F-35 wird auf 2051 verschoben. Die Arbeitszeit würde sofort auf 45 Stunden erhöht (Option: 48 Stunden), die Gebühren für Universitäten und Hochschulen auf ein neues Marktniveau gesetzt werden (Benchmark: britische oder US-Institute). Das würde nicht zuletzt die Jusos treffen, freute sich Waldmeyer, denn bei denen handelt es sich in der Regel um ewige Studenten oder Sozialhilfeempfänger, im besten Fall um weltfremde Teilzeit-Primarlehrer.

Die Spirale würde sich nach unten drehen

Das Vertrauen in die Schweizer Wirtschaft wäre gleichzeitig leider kaputt, der Schweizer Franken würde plötzlich gegen den Erdmittelpunkt rasen. In der Folge würde eine galoppierende Inflation grassieren, welche die Nationalbank mit einem 15-prozentigen Leitzins bekämpfen müsste. Die Hypothekarzinsen würden explodieren, der Mittelstand wäre bankrott, die Häuserpreise würden implodieren. Zeltstädte in den Agglomerationen würden errichtet, das internationale Rote Kreuz würde Suppenküchen bereitstellen. Die Villen in der Schweiz würden von Amerikanern, Norwegern und Chinesen zu einem Spottpreis aufgekauft (wobei sie ihren Wohnsitz, aufgrund der neuen prohibitiven Erbschaftssteuer, selbstredend nicht in die Schweiz verlegen würden). Die vermögenden und zuvor ausgereisten Personen würden mit Belustigung auf die Schweiz blicken, von Dubai, den Bahamas oder Malta aus. Waldmeyer würde zu diesem Zeitpunkt bereits in Südspanien sitzen, auf der Terrasse bei einem kühlen Drink. Er würde sich zwar nicht freuen, die Heimat verlassen zu haben. Aber obwohl nicht in der 50-Millionen-Phalanx, hätte er sich vorsichtshalber schon mal abgesetzt.

Waldmeyer überlegte sich, wie er nun einen noch konkreteren Plan B schmieden könnte. «Charlotte, was meinst du, sollten wir uns nicht Zypern wieder mal anschauen – schon nur der reichen Historie wegen?» Charlotte, nicht verlegen, entgegnete: «Ja, warum nicht, lass uns dort doch gleich diesen Non-Dom-Status prüfen, rein vorsichtshalber!»

Nachtrag der Redaktion: Der zypriotische Non-Dom-Status sieht eine praktisch steuerfreie Wohnsitznahme vor; die fast einzige Bedingung besteht in der Auflage, in dem EU-Staat mindestens 60 Tage im Jahr zu verbringen. Einkommens-, Erbschafts- und Vermögenssteuern entfallen.

Waldmeyer und die Steuerflucht

Oder: Money talks, money walks…

Die Juso-Initiative nimmt vermögende Personen in erbschaftsrechtliche Geiselhaft. Die betroffenen reichen Personen lassen sich das nicht gefallen. Schon werden Fluchtpläne geschmiedet, und Waldmeyer überlegt, was er tun würde, wenn er selbst davon betroffen wäre.

War früher alles besser in der Schweiz? Vor ein paar Jahren noch wurde die 6-Wochen-Ferien-Initiative abgelehnt. Damals noch in staatspolitisch verantwortungsbewusster Form, demokratisch reif und intelligent vorausschauend. Heute ist alles anders. So besteht ein Restrisiko, dass die neue Erbschaftsinitiative tatsächlich angenommen wird. Viele Betroffene mit über 50 Millionen Vermögen werden daher ihren formellen Wohnsitz ins Ausland verlegen. Willkommen in der Ära der Ü-50-Millionäre auf der Flucht! Damit verliert die Schweiz nicht nur Steuersubstrat, volkswirtschaftlich relevante Konsumausgaben und Investitionen, sondern auch die Kontrolle über viele Firmen und viel Vermögen. Demokratie, das stellen wir heute fest, ist nicht immer intelligent.

What, if…?

Waldmeyer gehört nicht in die Phalanx dieser Superreichen, überlegt sich aber, was er tun würde, wenn er plötzlich über 50 Millionen besässe und damit in das Fadenkreuz der Juso-Initiative geriete. Die Amerikaner lieben solche „What, if…?“-Spielchen. Auch Waldmeyer. Also, was wäre, wenn…? Waldmeyer entschliesst sich, Charlotte erst mal aus diesen Gedankenspielen herauszuhalten.

Man sollte die Hand nicht beissen, die einen nährt!

Die Schweiz schiesst sich mit dieser absurden Juso-Initiative selbst ins Knie – und zwar mit einem Volltreffer. Pro memoria: Das reichste 1% der Schweiz bezahlt einen Viertel der Steuern und besitzt 44% des Vermögens. Bei der Bundessteuer bezahlen 5% etwa zwei Drittel. Eine brandgefährliche Ausgangslage. «Deutschland schafft sich ab», wurde in den letzten Monaten, angesichts der bemitleidenswert schlechten Regierung in unserem Nachbarland, zum geflügelten Wort. In der Schweiz befinden wir uns nun, und dies beschleunigt, in einer ähnlichen Situation. Wird die Initiative angenommen, wird die Schweiz nicht mehr dieselbe sein. Ist das Vorgehen auch staatszersetzend? Ja, eindeutig. Aber es ist erlaubt!

Viele Vermögende sind schon jetzt auf der Suche nach einem neuen Steuerdomizil. Und Ja, es gibt wunderschöne Orte auf der Erde, mit freundlichen Steuerbehörden und angenehmem Klima, wo man komfortabel und sicher leben kann – oder zumindest einen Teil des Jahres verbringen kann!

Die Zeit drängt

Die Juso-Initiative sieht bei Annahme bekanntlich eine Wegzugsbesteuerung vor. So werden die Superreichen gezwungen, schon vor der eigentlichen Abstimmung zu reagieren, sonst werden sie erbschaftsrechtlich in Geiselhaft genommen. Also: Money talks, money walks. Die Ü50-Millionäre werden sich dies nicht gefallen lassen, sie werden zeitnah reagieren – lange bevor der Staat sich an ihren Vermögen delektieren wird. Auch Waldmeyer würde sich dies nicht gefallen lassen. Ein Leben lang malochen und dann die Hälfte dem Staat hinwerfen? Laut Juso soll mit den fetten Erbschaftssteuern dann gleich auch ein „Umbau der Gesellschaft“ finanziert werden. Hallelujah.

Die Initiative wird gar nicht angenommen?

Ob die Initiative Erfolg hat, ist unerheblich. Der Schaden ist schon angerichtet, denn die Wegzugspläne werden bereits geschmiedet. Es braucht Zeit für einen gutgeplanten Wegzug, besonders bei komplizierten Firmenstrukturen.

Auch wenn es heute nicht unbedingt danach aussieht, besteht zudem eine nicht unerhebliche Gefahr, dass ein lendenlahmer Bundesrat oder ein irrlichterndes Parlament einen Gegenvorschlag ausarbeitet, einen faulen, guteidgenössischen Kompromiss. Zum Beispiel 10% Erbschaftssteuer ab 1 Million? Warum nicht, wenn es die Mehrheit nicht betrifft? Waldmeyer lief es kalt den Rücken runter.

Viele valable alternative Steuerdomizile

Waldmeyer stiess auf ein interessantes neues Buch: «2.LMP, der zweite Lebensmittelpunkt». Der bisher leider noch wenig bekannte Autor hatte versucht, die besten Orte für ein «Second Home» herauszufiltern – weltweit. Unter dem Aspekt der Steuerbegünstigung definierte er mindestens 17 Orte auf der Welt, wo das Leben nicht nur überwiegend steuerfrei, sondern auch sehr angenehm ist. Heureka, es gibt also intelligente Lösungen! Unter den genannten cleveren Steuerdomizilen figurieren auch weniger bekannte Orte, wo sich ein durchaus komfortables und interessantes Leben einrichten liesse. So kann es auch nach Panama City gehen, nach Phuket in Thailand oder in das wunderbar britisch-koloniale George Town in Malaysia. Alle diese weniger auf dem Radar erscheinenden Orte gelten als de facto steuerfrei.

Wenn Waldmeyer S. aus der Ostschweiz wäre

Wenn Waldmeyer nun nicht Waldmeyer, sondern der Unternehmer S. aus der Ostschweiz wäre: Wohin würde er ziehen? Die steuerfreien Bahamas wären vielleicht etwas zu tropisch, die Bermuda Inseln andererseits zu langweilig. Waldmeyer könnte einen sogenannten Non-Dom Status* in Irland wählen. Dort würde er indessen nur ein paar (vermutlich regnerische) Tage pro Jahr verbringen. Auf Mallorca, auf seinem bescheidenen Anwesen, würde es ihm nämlich besser gefallen, dort könnte er auch mal, bei einem Glas kühler Sangria, eine VR-Sitzung abhalten. In der Schweiz würde er immer noch maximal 180 Tage verbringen dürfen – was kein Problem darstellt, denn länger hatte er sich auch bisher noch nie in der alten Heimat aufgehalten.

Wenn Waldmeyer B. aus Genf wäre

Wäre Waldmeyer andererseits der Unternehmer B. aus Genf, würde er sofort Mauritius als künftiges formelles Domizil wählen. Für Frankophone wird die Auswahl deutlich kleiner sein, denn die meisten attraktiven Steuerdomizile haben eine britische Vergangenheit. Mit dem Nachteil allerdings, dass die Küche dort zuweilen etwas medioker ist (bekanntlich haben die Briten, gastronomisch gesehen, weltweit eine Blutspur hinterlassen). Doch für eine hohe Lebensqualität müssen selbstredend noch viele andere Parameter geprüft werden: Die Sicherheit, die Rechtssicherheit, der Immobilienmarkt, das Klima usw.

 

Weltweite Rasterfahndung nach den besten Fluchtorten

Waldmeyer blätterte weiter in seinem neuen Lieblingsbuch („2.LMP“). Die weltweite Rasterfahndung nach den steueroptimierenden besten Second Homes zeigt auf, dass Orte wie beispielsweise die Cayman Islands keine guten Optionen sind. Sie sind kompliziert zu erreichen, die Zeitverschiebung ist wenig hilfreich, das Leben vor Ort nicht sehr sinnstiftend. Ausser, man richtet sich gleich auf einer eigenen Insel mit eigener grosser Infrastruktur ein, die man angenehm mit dem Helikopter erreichen kann. Das wäre kaum ein Problem, wenn Waldmeyer eben nicht Waldmeyer wäre, sondern beispielsweise Sir Richard Branson: Sir Richard residiert nämlich steuerfrei auf Neckar Island (Teil der britischen Virgin Islands) in einem eigens errichteten Dorf im balinesischen Stil.

Zahlreiche andere vermeintlich tolle Steueroasen eignen sich ebenso wenig, so die karibischen Eilande Anguilla oder Trinidad and Tobago und viele mehr: Erstens handelt es sich oft nur um hervorragende Orte für Offshore-Firmen, nicht aber um Steuerdomizile für natürliche Personen. Oder sie sind hoffnungslos klein und/oder uninteressant, so Bonaire (holländische Antillen), Antigua in der Karibik oder die Pitcairns im Pazifik.

Bye, bye Switzerland?

Fazit ist, dass es sehr wohl einen ganzen Strauss äusserst geeigneter Orte auf der Welt gibt, wo relativ einfach eine neue (Steuer-) Bleibe errichtet werden kann. Die Voraussetzungen sind in der Regel eine überblickbare Immobilien-Investition oder die Erlangung eines Non-Dom-Status. Dubai oder die Bahamas schwingen da obenauf, etwas näher liegen Malta oder Zypern. Oder Monaco, falls man bereit wäre, rund 70’000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche hinzublättern. Doch selbst wenn Waldmeyer sich in einer ganz anderen Vermögensklasse befinden würde: Nein, da wäre er dann doch zu knausrig.

Je nach persönlichen Präferenzen sind jedoch auch Costa Rica oder Montevideo prüfenswert, denn an vielen dieser Standorte wird nur territorial besteuert. Dieses Risiko der Besteuerung von nur örtlichem Einkommen wird indessen klein bleiben. Wäre Waldmeyer beispielsweise der Unternehmer P. aus L. würde er sich kaum als Physiotherapeut in Thailand oder als Schnorchellehrer auf den Philippinen betätigen wollen. Wenn also nichts „territorial“ verdient wird, gibt’s nichts zu versteuern – wie praktisch!

Bye, bye Switzerland für Waldmeyer? Ja, damit wäre zu rechnen. Waldmeyer würde der Schweiz allerdings nicht definitiv den Rücken kehren, sondern nur sein Steuerdomizil verlegen – ohne dort auch das ganze Jahr leben zu müssen. Ganz legal, wohlverstanden. Waldmeyer ist nicht unglücklich, nicht zu diesen Superbetuchten zu gehören, denn so bleibt es beim „What, if…?“. Aber wenn nun ein fauler Kompromiss mit einem Gegenvorschlag des Bundesrates aufs Tapet kommt, sieht die Sache anders aus. Waldmeyer schob das Buch 2.LMP vorsichtig zu Charlotte rüber. „Also Costa Rica würde mir auch noch gefallen. Schau doch mal rein!“

*Anmerkung der Redaktion: Mit einem Non-Dom-Status in Irland, Malta oder Zypern kann eine Tax-Residence erlangt werden, ohne überhaupt richtig dort zu leben – ganz legal, wohlverstanden…

Zum Glück besitzt Waldmeyer schon ein Buch, sonst würde er es sofort bestellen:

Roland V. Weber, 2.LMP – der zweite Lebensmittelpunkt, ca. 79.90, im Schweizer Buchhandel erhältlich. Jetzt zum Spezialpreis für True-Economics-Leser für 59.90 direkt bei redaktion@true-economics.ch. Hardcover, bebildert und mit vielen Charts und Statistiken. Und fast 100 sehr erhellenden Waldmeyer-Kommentaren. Don’t miss it.

Waldmeyer, das Ribeye und die französische Linke

Der Kauf eines Stück Ribeyes beim Metzger betrachtet Waldmeyer mitunter als eine klassische Management-Aufgabe. Es gilt nicht nur den Zuschnitt, die Herkunft und die Qualität zu beachten, sondern auch den finalen Entscheid, ob es wirklich ein Ribeye sein soll. Die jüngsten Pläne der neu formierten französischen Linken könnten dabei einen Einfluss haben.

Der Auftrag Charlottes an Max Waldmeyer war klar an diesem Samstag: Er möchte bei der Rückfahrt von der Tankstelle doch bitte beim Gschwend noch ein paar schöne Hohrücken oder Entrecôtes mitnehmen. Aber nur vom Gschwend.

Nur vom Gschwend!

Gschwend, das ist wichtig zu wissen, ist der angesagteste Metzger der Region. Wenn die Nachbarn Freddy und Bettina Honegger (Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, auch gegen 5G, was aber in diesem Zusammenhang nichts zur Sache hat) dann abends zum Grillen kommen – sie hatten sich erst gestern selbst eingeladen – und fragen, woher das feine Fleisch sei, muss es von Gschwend sein. Waldmeyer hatte schon früher spekuliert, ob er nicht trotzdem beim Coop oder, ganz klandestin, beim Denner reinschauen sollte, unten am Kreisel (Ersparnis: glatte 20%). Er liess die Idee aber wieder fallen, denn mit der süffisanten Bemerkung Freddys «ich hab deinen Wagen beim Kreisel gesehen» wollte er nicht konfrontiert werden.

Hohrücken, Entrecôte oder Ribeye?

Also Gschwend. Bei Gschwend sei das Fleisch «besser abgehangen», alles Bio, und überhaupt. Von all den kolportierten Alleinstellungsmerkmalen Gschwends ist nur eines sicher: Er ist teurer. Und sein Fleisch kommt nicht nur von glücklichen Schweizer Kühen, sondern zum grossen Teil auch aus dem Ausland.

«Ich werde mir dann besser mal das Ribeye ansehen», antwortete Waldmeyer auf Charlottes Einkaufsorder. Waldmeyer suggerierte so elegant, dass er sehr wohl zu unterscheiden weiss zwischen Hohrücken, Entrecôte und Ribeye. Der Unterschied könnte auch einem Jungmetzger beim Gschwend, z.B. dem netten Ahmed, die Schweissperlen auf die Stirn treiben. Tatsache ist jedoch, dass sich die feinen Differenzen der Rücken-Fleischstücke verwischen und, etwas grosszügig interpretiert, die Steaks sich alle hintereinander auf dem Rücken eines armen Rindleins platzieren.

Netto ist nicht brutto

Aber eigentlich hatte Waldmeyer an diesem Morgen etwas ganz anderes im Kopf: Die vereinte neue Linke in Frankreich möchte offenbar die Rente wieder subito auf 60 runtersetzen, die Preise für Nahrungsmittel und Energie kurzerhand einfrieren, die Löhne fest an die Inflation koppeln und den Minimallohn von 1‘400 auf 1‘600 Euro erhöhen. Unverändert bleiben sollen selbstredend die mantramässig vorgetragenen Forderungen nach einer weiteren Reduktion der Arbeitszeit (die 35-Stunden-Woche lastet bereits schwer auf der Psyche des Franzosen). Wie immer wurden die neuen Ideen ohne Finanzierungsvorschlag präsentiert. Aber die fortlaufende Deindustrialisierung Frankreichs konnte auch Emmanuel Macron I. inzwischen nicht aufhalten, sie geht einfach weiter, und Frankreich ist derweil zu einem ziemlich unattraktiven Produktionsstandort geworden. La Grande Nation ist damit sogar weiter gediehen als Deutschland – dort droht allerdings eher eine Verscholzung, dachte Waldmeyer, als er seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Gschwend navigierte.

Die Franzmänner denken nur netto

Es war Punkt 10:00 Uhr, also wechselte Waldmeyer von „It never rains in Southern California“ auf SRF1. Und da wieder die gleiche Meldung, das neue Parteiprogramm dieser weltfremden Franzmänner: 1’600 Euro – netto! Waldmeyer stand auf dem Parkplatz bei Gschwend und hörte sich in Ruhe nochmals die Nachrichten an. Wenn Honegger nun auch einen Einkaufsauftrag hätte, würde er Waldmeyers schweren SUV beim Vorbeifahren beim Gschwend entdecken. Tant mieux.

Also 1’600 Euro netto. Aber warum «netto»? Die denken heute also alle nur noch „netto“, die Franzmänner? Auch in Deutschland ist das jedoch gang und gäbe – zumindest bei den unteren Gehaltsstufen. In beiden Ländern werden die Steuern sicherheitshalber nämlich monatlich vom Lohn abgezogen.

In der Schweiz denkt man brutto

In der Schweiz herrscht zum Glück noch sichtbar „brutto“. Ausser bei einem Reinigungsinstitut, dort erhält, beispielsweise Fatima Berisha, „netto“ ausbezahlt, und sie denkt auch nur in netto. Aber in der Regel kennen wir Eidgenossen die Differenz zwischen netto und brutto haargenau. Das ist auch gut so, weil edukativ. Denn so wissen wir jeden Monat, wieviel wir für die Sozialkosten abdrücken. Wir überlegen dabei auch, als aufgeklärte und verantwortungsbewusste Bürger, wieviel wir für die Steuern zurücklegen sollten.

Und notfalls können wir die Differenz zwischen brutto und netto an der Urne korrigieren.

Gschwend hat keinen Minimallohn

Schwierig wird es natürlich in Ländern, wo ein Grossteil der Staatsbürger nur den Minimallohn bezieht. Gschwend hat wohl kaum einen Minimallohn, überlegte Waldmeyer. Der Preis für ein gutes Ribeye in der Schweiz liegt bei fast 100 Franken pro Kilo, in Deutschland bei der Hälfte. Aber das Schweizer Fleisch ist bestimmt auch besser, also darf es mehr kosten. Wir haben ja auch andere Löhne. Die Preisdifferenz ergibt sich allerdings aus purem Protektionismus: Wir erheben schwindelerregende Zölle auf dem importierten Fleisch, um das (bessere und gesündere) Schweizer Fleisch zu schützen. Gschwend ist de facto also ein Subventionsempfänger. Und dies, obwohl sein Fleisch durchaus vergleichbar ist mit jenem in einer guten Metzgerei in Deutschland oder Frankreich, zuweilen kommt es sogar aus der gleichen Produktion. Das hatte Waldmeyer schon mehrmals auch Bettina Honegger zu erklären versucht. Sie meint dazu aber immer: „Ja, aber trotzdem…“. Und ja, im Ausland würden sie vermutlich viel mehr Antibiotika verwenden bei der Rinderaufzucht. Vielleicht sogar reinimpfen.

Doppelte Kalkulation in der Schweiz

Tatsache bleibt, dass bei Gschwend bei dieser doppelten Schweizer Kalkulation, befeuert durch die staatliche Protektionismus-Hilfe, am Schluss auch eine doppelte Marge verbleibt. Gschwend jedoch ist Unternehmer, überlegte Waldmeyer und konstruierte damit ein gewisses Verständnis für den rührigen Metzger.

Aber Waldmeyer grübelte weiter: Die 100 Stutz für das Kilo Ribeye müssen erst mal erarbeitet werden – und zwar netto. Bei Waldmeyers, gute Doppelverdiener und mit der Heiratsstrafe belegt, damit irgendwo in der obersten Steuerprogression angesiedelt, liegt die Brutto-Netto-Rechnung natürlich im Argen. Die Grenzbelastung, also die Belastung des „obersten“ zusätzlich verdienten Frankens, unter Einrechnung der Steuern und aller Sozialabgaben, inklusive der Pensionskasse, liegt bei annähernd 50%. Das heisst, zwischen brutto und netto sublimiert sich beim zusätzlich verdienten Franken die Hälfte. Und genau dort, nämlich mitten in diesen verlorenen 50%, bei diesem Entscheidungsfenster pro oder contra einem Ribeye, liegt das Problem. Mit anderen Worten: Das Ribeye kostet, hochgerechnet auf brutto, gefühlt 200 Franken.

Der Management-Entscheid an der Fleischtheke

Waldmeyer lief es kalt den Rücken hinunter, als er vor der Fleischtheke stand: Tatsächlich 100 Stutz für das Ribeye. Oder 200, ehrlich gerechnet. Nein, einmal ist Schluss. Waldmeyer musste nun einen Management-Entscheid fällen – und zwar verzögerungsfrei. Er machte sofort drei Optionen aus. Option eins: Ribeye-Portionen verkleinern, also magere «Lady’s Cuts». Option zwei: ein Downgrading (Huft?). Option drei: doch noch zum Denner rüber (Angus-Aktion, hatte er gestern in der Werbung gesehen)?

Als Waldmeyer seine Einkäufe in der Küche ablieferte, versuchte er Charlotte seine Brutto-Netto-Theorie zu erklären. «Weisst du, das Ribeye war brutto bei 200 Stutz, aber die Bratwürste sind doch auch ok, nicht?». Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer und das Ende der Wokeness

Waldmeyer hat überhaupt kein Problem mit Gleichstellungen. Oder Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Ausser, beispielsweise, mit militanten Feminist:innen. Aber vielleicht ist der Trend schon wieder am Abklingen?

 

Hatte vielleicht Ex-Bundesrat Berset an der Street Parade letzten Jahres tatsächlich geholfen, das Ende der Bewegung einzuläuten? Könnte diese spätestens schon dann den Marketingtod gestorben sein? Alain Bersets Auftritt war dermassen inklusiv, dass es schon peinlich war. Wenn ein Chefminister da mitmacht, so könnte man meinen, sind eigentlich schon alle Ziele einer Bewegung erreicht. Kein Wunder, war auch die Teilnehmerzahl an der diesjährigen Zurich Pride deutlich geringer.

Der Wokeness-Bewegung ergeht es wie den Gewerkschaften

Es ist wie bei den Gewerkschaften: Wofür kämpfen die eigentlich noch in der Schweiz? Alle wichtigen Ziele der «Arbeiterschaft», falls es eine solche heute überhaupt noch gibt, sind in unserem Land erreicht worden. Natürlich kann man noch für eine 35-Stunden-Woche kämpfen, für 100% Homeoffice für alle oder für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber die wichtigen Meilensteine der «Arbeitenden» sind wohl erreicht. Also konzentriert man sich auf neue Themen, so auf den Ausbau der AHV, die Verbilligung von Krankenkassenprämien und anderes. Kostenpunkt: jeweils Milliarden.

Jetzt geht es weiter mit Finetuning

So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass ein Angestellter einer deutschen Firma, welcher in Basel ein Fenster einsetzt, am selben Arbeitstag auch den Schweizer Tagesspesen-Ansatz erhält – und nicht den deutschen. Andernfalls wird, so in den Augen der Gewerkschaft Unia beispielsweise, «der Markt verzerrt». Also wird man notfalls unseren neuen Vertrag mit der EU bodigen.

Waldmeyer hat in seinem Berufsleben erkannt, dass der Markt meistens dann verzerrt wird, wenn er nicht spielen darf. Wenn der Staat mittels Mikromanagement an den Stellschrauben dreht. Solche Minithemen werden von unseren Gewerkschaften als letzte Strohhalme bewirtschaftet. Und sie sind eben dermassen wichtig, dass sie damit sogar ein Schweizer EU-Abkommen opfern würden.

Das Ablaufdatum ist gesetzt

Die Gewerkschaften haben also ein Ablaufdatum. Und so ist es auch bei der Wokeness: Das «Aufwachen» und die «Awareness», dass es noch andere Ansichten, Gesellschaftsformen und Genderformen gibt, sind ja bei uns angekommen. Sogar bei Waldmeyer. Und wenn es bei Waldmeyer angekommen ist, letztlich zwar ein aufmerksamer, aber doch eher bürgerlicher Beobachter des Geschehens, dann sollte der Fall eigentlich erledigt sein.

Aber es geht natürlich um mehr: Wokeness ist Opposition. Es hat ein Eigenleben, welches in der Aussenwirkung als cool wahrgenommen werden soll. Allerdings verselbständigt es sich nun, insbesondere bei Behörden, fundamentalistischen Parteien, Politikern etc.

 

Waldmeyer pflegt seine eigene Opposition

Waldmeyer hat inzwischen seine eigene Opposition entwickelt: Er wird sich beispielsweise kein Lastenrad zulegen. Er wird sein Geschlecht nicht ändern. Er hängt an seiner Villa in Meisterschwanden keine Regenbogen-Fahne auf. Er wird seinen künftigen Enkeln aus einem Winnetou-Band vorlesen. Alles wichtige Einzelentscheide.

Und Waldmeyer geht weiter: Er liest zum Beispiel Zeitungsartikel nicht zu Ende, sobald eine dieser dämlich inklusiven Schrift:formen auftritt. Und er bricht die Lektüre eines Artikels blitzartig ab, wenn anstelle der allgemeinen Form nur die feminine Form verwendet wird. Wenn eine fundamental-feministische Journalistin nur die weibliche Form (z.B. «Pilotinnen») stellvertretend für alle Piloten (gemeint sind offenbar PilotInnen) verwendet, ist das Mass für ihn jeweils voll. In solchen Fällen liest Waldmeyer den Satz nochmals durch, ob er vielleicht etwas falsch verstanden hat. Anschliessend überprüft er den Kontext nochmals. Dann kontrolliert er, wer den Artikel verbrochen hat. Ist der Name des Journalisten (der Journalistin) feminin, ist der Fall klar. Ein kurzer Wikipedia-Besuch oder eine kleine Google-Recherche betreffend die Person (Person_in?) bringt es i.d.R. an den Tag: Diese Person (wieso eigentlich nicht der oder dasPerson?) steht oft vermurkst in der gesellschaftspolitischen Landschaft. Nein, Waldmeyer macht da nicht mit, bei dieser Geschlechtsumwandlung der deutschen Sprache.

Die inklusive Schreibweise ist total verkrampft

Die inklusive Schreibweise ist natürlich nur der Ausdruck eines verkrampften inklusiven Verhaltens – welches in der Regel vollkommen inkonsequent ist. Wieso spricht denn niemand von «Mörderinnen», wenn es allgemein um Mörder geht? Oder zumindest von «Mörder:innen» oder ähnlich. Oder – das wäre das Minimum – von «Mörderinnen und Mördern». Waldmeyer findet es schon auffällig und ungerecht, dass gerade negativ besetzte Berufe, so eben jener des Mörders, auch jener des Einbrechers oder des Terroristen, vorab nur in der männlichen Form erscheinen. Waldmeyer findet es zudem schade, dass bei der Form des Binnen-I (so bei PilotInnen) mitten im Wort bei dessen Aussprache nicht nur kurz innegehalten wird, sondern dass auf den Knacklaut, welcher ursprünglich angedacht war, verzichtet wird. (Ja, die feministisch maximal durchtränkte Sprachwissenschaftlerin Louise Pusch hatte 1985 einen solchen Knacklaut, just bei der Artikulierung des Binnen-Is, tatsächlich vorgeschlagen.)

Wokeness mangels echter Probleme?

Die Bewegung der Wokeness konnte sich wohl nur etablieren, weil die ganz grossen Probleme der Gesellschaft offenbar gelöst sind? Oder liegen diese nur zu weit weg? Oder können sie gar nicht gelöst werden? Oder werden sie nicht verstanden? Waldmeyer denkt an die Fragen der Entwicklung des weltweiten Klimas, an die geopolitischen Veränderungen, an die ungelösten Energiefragen. Es geht dabei nicht einmal um die Dürre in der Sahelzone – denn davon sind wir nicht unmittelbar betroffen. Aber selbst, wenn wir uns nur auf nahe Probleme in unserer Gesellschaft konzentrieren, stellen wir fest, dass diese alles andere als gelöst sind. Zum Beispiel das Damoklesschwert der Demografie-Entwicklung: Wir werden immer älter, die Altersversorgung kann nicht mehr finanziert werden, die Gesundheitskosten laufen aus dem Ruder etc.

Die Wölfe sind wichtiger

Diese echten Probleme sind offenbar viel zu kompliziert. Die Wohlstandsfalle gebietet es nämlich, dass wir, möglichst von der sozialen Hängematte aus, uns um nahe Probleme kümmern. Es geht also um die Diskussion um Wolfsabschüsse (doch, doch, auch dies ist Wokeness, denn die Biodiversität, das Recht auf Leben für alle usw. müssen in die woke Denke einbezogen werden). Es geht auch darum, dass in gewissen Schweizer Städten die Behörden den Bau von drei Toiletten für die Kindergartenstufe vorschreiben (männlich, weiblich, divers). Natürlich ist es den Fünf- und Sechsjährigen sch…egal, auf welchen Topf sie gehen. Aber den verqueren Behördenvertretern, zumeist noch nie gestählt in der normalen Welt draussen und seit je am Tropf des Staates hängend, ist es wichtig, den Kleinen schon frühzeitig zu suggerieren, dass sie vielleicht ein Problem mit dem eigenen Geschlecht haben könnten.

Hafermilch ist auch woke

Tempo 30-Zonen müssen errichtet werden, um die Luftsäule über der entsprechenden Strasse zu retten (und damit das Weltklima), Verkehr und Energie müssen auf Teufel komm raus auf elektrisch umgestellt werden, obwohl die saubere Energie dazu gar nicht vorhanden ist, Themen der «kulturellen Aneignung» bewegen uns enorm (Winnetou geht nicht mehr, auch Dreadlocks sollten wir nicht tragen usw.). Zum Wokesein gehört auch die bedingungslose Unterstützung der palästinensischen Bewegung. Vegansein (oder zumindest ein vegetarisches Leben) sind ebenso hilfreich für die positive Aussenwirkung eines generell woken Images. Hafermilch zum Beispiel weist einen besseren CO2-Abdruck auf als herkömmliche Milch. Deshalb ist Hafermilch heute woke.

Oder ist Wokeness doch noch nicht am Abklingen?

Aber nun scheint sich der Wind etwas zu drehen: Wir haben genug von Klimaklebern, für die offenbar bis vor kurzem andere Demokratieregeln galten. Grüne Politiker_innen werden abgewählt, und strenge pazifistische Ansichten erscheinen heute als Schimäre – angesichts weltweiter Annexions- und Terrorbedrohungen.

Aber vielleicht greift Waldmeyer da etwas vor? Ist das mit dem Abklingen der Wokeness nur ein erstes Signal und noch kein Trend? Waldmeyer blickte auf sein blinkendes iPhone mit der Textnachricht von Charlotte: «Bringst du dann noch Hafermilch mit aus dem Bioladen, Schatz?»

Waldmeyer und die Kraft des Montags

Waldmeyer mag den Montag. Das hat allerdings einen speziellen Grund, welcher sich klar abhebt von demjenigen der Gewerkschaften oder Linksparteien. Dort hat die Woche fünf Montage.

Waldmeyer steuerte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Office. Die Strasse war an diesem Montag nahezu leer. Ob wohl alle im Homeoffice sassen? Draussen, also rund um seinen schweren Achtzylinder herum, war wunderbar Frühling, die Sonne schien. Waldmeyer blinzelte und setzte seine alte Ray-Ban auf. Sein Fahrzeug verfügt noch über eine CD-Anlage, also legte er „Monday, Monday“ ein (1966). Herrlich, so ein Montag. Charlotte hatte ihn frühmorgens noch daran erinnert, dass heute eigentlich Pfingstmontag sei, aber er wollte gar nicht erst hinhören.

Warum sollte ein Montag schlecht sein?

Waldmeyer begriff nicht, was an einem Montag denn schlecht sein sollte. In den Augen der Gewerkschaften, beispielsweise, ist ein Montag ein grottenschlechter Tag, weil der Montag Arbeit bedeutet, und Arbeit bedeutet Ausbeutung. Vor allem im Übergang vom wohlverdienten Sonntag zum Montag entsteht so ein besonders schlechtes Gefühl. In der kognitiven Wahrnehmung der Gewerkschaften hat eine Arbeitswoche, gefühlt, nur Montage, also deren fünf – und ungerechterweise nur zwei schöne richtig freie Tage. Montage sind einfach unbeliebt. Es gibt deren zu viele und jeder einzelne Montag dauert zu lange. Noch besser sind Ferienwochen. Aber auch davon gibt es zu wenig. Wir arbeiten einfach zu viel.

Amerikaner arbeiten gut 1800 Stunden im Jahr, Schweizer etwa 1500, die Deutschen nochmals rund 200 weniger. Letztere mühen sich an mindestens zwei, bzw. fünf (echten) Montagen weniger ab als Schweizer, bzw. Amerikaner. Sie sind deshalb aber nicht glücklicher.

Der schale Montagsgeschmack

So oder so hat sich die Montagszählung verwischt, seit die westliche Welt das Homeoffice erfunden hat. Auch der Freitag hatte bisher diesen schalen Montagsgeschmack, nicht nur der echte Montag: An beiden Tagen geht man nicht gerne zur Arbeit und versucht heute deshalb, diese als Homeoffice rauszuschlagen. Homeoffice ist ja, gefühlt, wie ein halber freier Tag. Die Deutschen kennen übrigens den Freitag schon lange als ein Fake-Arbeitstag, denn um 12:00 ist i. d. R. Schluss. Somit, de facto, eigentlich am Donnerstagabend. Waldmeyer weiss von seinen Geschäftsfreunden in der Bundesrepublik, dass sich die Chefs dort besonders unbeliebt machen, wenn sie auf Freitagmorgen noch eine Teams-Sitzung anberaumen, um die überall im Homeoffice herumlungernden Mitarbeiter zusammenzutrommeln. Das stört natürlich enorm.

Deutsche sind Weltmeister im Montagverdrängen

Die Deutschen sind in der Arbeitsverdrängung also fast am weitesten. Die Reduktion der Arbeitsstunden hat dazu geführt, dass das Land immer weniger wettbewerbsfähig wurde und der Fachkräftemangel sich noch akzentuierte. Empfindungsmässig wurden so ungeliebte Montage vernichtet, eine Woche hat nun, in der teutonischen Wahrnehmung, einfach mehr Donnerstage, ein paar Mittwoche vielleicht noch, und schon ist wieder Wochenende.

Wir in der Schweiz sind noch nicht auf diesem Level. Jedoch fordern unsere Gewerkschaften mantramässig eine Reduktion der Arbeitsstunden, mehr Ferientage, mehr Mutterschafts- und Vaterschaftstage. Städtische und kantonale Verwaltungen sind als Arbeitgeber:innen deshalb besonders fortschrittlich und beliebt, deren Grosszügigkeit wird einfach auf dem Buckel der Steuerzahler abgeladen, und die Privatwirtschaft verliert als Arbeitgeberin so an Wettbewerb.

Die hohe Schule: neun Montags-freie Tage

Die jungen Grünen haben erst kürzlich, neben einem Komplettumbau von Wirtschaft und Gesellschaft, eine 24-Stunden-Woche angedacht, und echte Feministinnen fordern freie Menstruationstage. Behörden haben diese teilweise bereits eingeführt, so sind in gewissen Kantonen drei freie Mens-Tage eigentlich fix eingeplant (in der Stadt Zürich sind es gar fünf). In den Genuss kommen bekanntlich nicht nur Frauen, sondern, gendergerecht, alle «menstruierenden Personen».

Eine in der Mens zu liegen kommende optimale Arbeitswoche einer städtischen Angestellten in Fribourg beispielsweise sieht so aus: Montag und Freitag Homeoffice, Dienstag bis Donnerstag Menstruation. Die gefühlte Arbeitswoche ist also an einem Donnerstagabend zu Ende und beginnt erst wieder am Dienstag in der übernächsten Woche! Das sind neun Tage hintereinander ohne Montagsgefühl.

Wir sind auf dem besten Weg, künftig weniger Präsenz zeigen zu müssen und letztlich auch weniger zu arbeiten. Und wir schaffen den Montag ab.

Weniger arbeiten kann teuer werden

Leider verteuert sich damit unsere Wertschöpfung. Natürlich könnte man gewissen Kreisen folgen, welche darzulegen versuchen, dass ein Mensch viel produktiver ist, wenn er eine Viertagewoche hat. Numerisch geht das leider nicht auf, vor allem, wenn er dann für die vier Tage noch den vollen Lohn erhält. Wenn das mit der Steigerung der Produktivität so einfach wäre, hätten clevere Arbeitgeber schon lange auf eine Reduktion der Arbeitszeiten gedrängt. Haben sie aber nicht, denn sie wissen, dass sich die Produktivität (abgesehen von der Motivation oder dem Umfeld) nun mal darin misst, zu welchen Kosten und mit welchem Zeiteinsatz eine Leistung erbracht wird – welche sich dann zum entsprechenden Gestehungspreis auf dem Markt absetzen lässt.

Montage sind auch ein Generationenproblem

Immerhin arbeiten die Schweizer, laut Umfragen, einigermassen gerne. Bei der Generation Z ist sich Waldmeyer diesbezüglich nicht so sicher, diese Generation steht ja unter grossem Druck, offenbar leiden auch viele der Jungen an Depressionen. Also wird um schonendes Anhalten gebeten. Die noch jüngere Generation Alpha macht Waldmeyer zusätzlich Sorgen: Sie sei nur noch mit sich selbst beschäftigt, noch fragiler und kommuniziere nur noch spärlich. Oder nur noch mit dem Handy oder via soziale Medien. Da kommen also schwierige Zeiten auf uns zu. Waldmeyer hofft deshalb auf die Generation Beta, welche ab 2025 das Licht der Welt erblicken wird. Wenn sie einmal da ist, wird diese bestimmt grosse Freude an der Arbeit entwickeln, sich kaum mehr für die sozialen Medien interessieren und laufend Extra Miles erbringen. Vielleicht.

Waldmeyers Kraft des Montags

Aber zurück zu Waldmeyers Montage. Eine Woche später, nach Pfingsten und dem wunderbar ruhigen Montag im Office, hatte Waldmeyer Charlotte versprochen, am Sonntag endlich die Garage aufzuräumen. Aber er wird sein Versprechen leider nicht einhalten können, es sind ein paar wichtige Calls mit der Firma dazwischengekommen – trotz Sonntag. Und Waldmeyer freut sich schon jetzt, sich am Montag dann wieder ins Büro absetzen zu können. Da wird er den ganzen Tag kaum gestört und kann in Ruhe wichtigen Dingen nachgehen. Man würde ihn zwar nicht vermissen im Office, aber er würde das Office vermissen.

Auch Waldmeyers Woche hat manchmal fünf Montage. Aber er hat die Montage eben ganz gern.

Waldmeyer und die Sezession

«Separation» oder «Sezession» kennen wir in der Schweiz bestens: Der neu geschaffene Kanton Jura ist das beste Beispiel dafür. Nur: Darf sich jeder abspalten – oder gar einen eigenen Staat gründen? Genau das wollen die Deutschen Reichsbürger. Und nun kommen sie auch in die Schweiz!

 

Waldmeyer faszinierte dieser Hermelin-Mantel. Da lässt sich doch dieser bizarre Peter Fitzek in Deutschland einfach zum König krönen, dazu noch in dieser royalen, hermelinen Kluft!

Deutschlands «Reichsbürger» haben sich tatsächlich einiges vorgenommen, so wollen sie, ganz unbescheiden, einen eigenen Staat gründen. Aber die Organisation wird nun verboten, wegen «Staatszersetzung». Das ist ein bisschen schade, denn damit werden ein paar nützliche Denkanstösse abgewürgt. Deutschland hätte es doch verdient, sein ziemlich aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen etwas neu aufzumischen. Was spannend ist: Die Bewegung hat schon einen Anker in die Schweiz geworfen. Aber dazu später.

Könnte Korsika ein Staat sein?

Sezessionen oder Staatsgründungen sind für uns nicht neu. Es sei an die Gründung des Kantons Jura erinnert. Auch Kantonswechsel von Gemeinden gibt es regelmässig. Wir sind eben ein demokratisches Land, und Reisende sollte man ziehen lassen.

Dass die Schotten einen eigenen Staat möchten, ist auch nicht neu. Das Vorhaben wäre zudem gar nicht abwegig, sie könnten dann wieder in die EU eintreten und müssten sich über anachronistische Staatsformen (wie die Monarchie) nicht ärgern.

Das Gleiche könnte für Katalonien, das Baskenland oder die Korsen gelten. Das nennt sich dann Sezession oder Separation. Was in vielen Staaten der Welt völlig undenkbar ist, ist in westlichen Staaten zum Teil möglich, in vielen allerdings gar nicht sauber geregelt. Darf man sich abspalten? Spaniens und Frankreichs Verfassungen sehen das leider nicht vor; sie stehen damit im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne der UNO.

Was Waldmeyer nur unterstützen wird: Appenzell möchte seine Gemeinden fusionieren. Was man als Firma schon lange getan hätte, ist hier überfällig. Auch die Fusion der beiden Halbkantone wäre der Effizienz geschuldet.

Eine richtige Staatsgründung geht natürlich weiter. Wir sprechen dabei nicht von den mehr oder weniger aus Jux ausgerufenen neuen Staaten (wie zum Beispiel von «Sealand», einer verlassenen Ölplattfarm vor der Küste Grossbritanniens). Interessanter sind die ernst gemeinten, echten Staatsgründungen. Nur: Was darf man wirklich?

New Tibet?

Waldmeyer erkennt, dass in diesem völkerrechtlichen Dickicht oft kein einheitliches Urteil gefällt werden kann. Was in Sachen Separation Rumäniens von der Sowjetunion 1991 noch ziemlich klar war, würde spätestens beim Tibet nicht mehr klar sein.

Entscheidend ist die Selbstbestimmung. Wenn die Tibeter heute einen eigenen Staat ausrufen würden, hätten sie ein Recht dazu? Sie könnten sich indessen kaum auf die Vergangenheit beziehen, als sie vor rund 75 Jahren noch nicht unter der chinesischen Fuchtel waren. Seit den 50er Jahren wird das Gebiet mehr oder weniger zwangsweise von China verwaltet. Ist das in Ordnung? Darf man jetzt, nach alle den Jahren, ein Gebiet, im Sinne einer Sezession wohl, noch zurückfordern? Der Völkerrechtler würde hier ganz klar mit einem Jein antworten. Die geschichtliche Basis bringt also nichts. Aber das Selbstbestimmungsrecht der UNO könnte zum Tragen kommen. Leider dürfen die Tibeter aber nicht abstimmen. Die Katalanen auch nicht.

Wann kommt das Kalifat?

Wenn nun die deutschen Reichsbürger einen eigenen Staat ausrufen, ist das schon eher tricky. Und wenn in Berlin im Rahmen einer palästinafreundlichen Demonstration von ein paar Protagonisten ein Kalifat ausgerufen wird, geht das selbstredend nicht. Das Problem ist nur, dass der Staat dann offenbar keinen Mumm hat, einzugreifen. Hier wäre der Tatbestand der «Staatszersetzung» wohl eindeutig gegeben.

Darf Genf zu Frankreich wechseln? Oder einen eigenen Staat ausrufen?

Wenn sich Genf nun entscheiden würde, zu Frankreich zu wechseln: Dürften die das? Der Wunsch wäre vielleicht gar nicht so absurd, der Ausländeranteil im Kanton Genf beträgt 41%, zu einem guten Teil handelt es sich eh um Franzosen. Genf nennt sich ohnehin „République de Genève“. Wir würden von einer solchen Abspaltung gar nicht viel merken im Rest der Schweiz, der Genfersee würde zu einem Grossteil immer noch uns gehören, und unsere Jugend in der Deutschschweiz würde weiter auf Englisch mit den «Welschen» kommunizieren. Auch wenn Genf einen eigenen Staat ausruft, mithin nur die Konsequenz ihrer «République de Genève», würde das wohl nicht so viel ändern.

Spreitenbach als Nation?

Wenn in Spreitenbach ein eigener Staat ausgerufen würde, und zwar auf ganz demokratische Weise, würde dies vielleicht durchgehen? Der Ausländeranteil in Spreitenbach liegt bei über 50%. Es könnte hier also, ebenso ganz selbstbestimmt, ein muslimischer Ministaat entstehen. Alles wäre vorhanden, Coop, Migros, gar ein ganzes Einkaufszentrum. Es gibt auch bereits eine kleine Moschee. Die Sache mit den Grenzübergängen zur Schweiz müsste noch geklärt werden. Aber auch hier: Dürften die das?

Abtrennung von Landesteilen?

Die Westschweiz könnte eigentlich zu Frankreich gehören, das Tessin zu Italien. Dann wäre – in beiden Fällen – das Problem mit den Grenzgängern ein für alle Mal gelöst. Sollten sich diese Landesteile aufgrund einer gut legitimierten, demokratischen Bewegung entscheiden, das Land zu wechseln, und sollten sich sowohl Frankreich wie Italien nicht dagegenstemmen, so müssten wir die Leute wohl ziehen lassen. So sieht nun mal moderne demokratische Selbstbestimmung aus. Für das Oberwallis (wo bekanntlich nicht Französisch, sondern eine Art Schweizerdeutsche Geheimsprache gesprochen wird), müsste im Falle eines Landeswechsels der Westschweiz natürlich eine faire Lösung gefunden werden. Die Gebietsinsel Oberwallis würde, zumindest verkehrstechnisch gesehen, nahezu eine Art helvetische Exklave darstellen – das wäre aber nur vordergründig tragisch. Denn erstens sind die Oberwalliser ein relativ verwurzelter Menschenschlag, der sein Gebiet vielleicht gar nicht verlassen möchte, und zweitens könnten die Deutschschweizer im Norden immer noch via Lötschbergtunnel, ohne Grenzübertritte, elegant in die schönen Skigebiete einreisen. Oder sollte das Oberwallis gleich einen eigenen Staat ausrufen?

Ist Abessinien definitiv verloren für Italien?

Abessinien gehörte einst zu Italien. Ist der Gebietsanspruch Italiens nun wirklich verwirkt? Natürlich könnten die heutigen verarmten Bewohner Äthiopiens einen Antrag an Italien auf Rückabwicklung stellen. Das wäre eventuell gar nicht so dumm, denn dann würden sie zur EU gehören, viel Geld erhalten und müssten gar keine mühseligen Asylreisen unternehmen.

Und was ist mit Nordkorea? Dem Problem des eigenen Staatsrechtes hatte sich die UNO schon mal angenommen. 1977 sprach sie mit einer Resolution Klartext, indem sie einem Volk ein klares Selbstbestimmungsrecht einräumte. Das war eine Ansage, immerhin. Aber die Selbstbestimmung müsste demokratische Strukturen und nötigenfalls Hilfe von aussen voraussetzen, um sie durchsetzen zu können. Im Falle Nordkoreas würden wir dann aber wohl nicht von einer Sezession sprechen müssen, sondern von einer neuen Staatengründung, bzw. eines Umsturzes. Einer Gesamt-Sezession sozusagen.

Die Kurden müssen auch warten

Kurdistan existiert nicht, die armen Kerle haben tatsächlich keinen eigenen Staat. Die UNO-Resolution hat hier offenbar nicht gegriffen. Nun, das wäre so ein Fall, wo eine Sezession und eine eigene Staatsbildung legitim wäre. Aber es hapert wohl an der Durchsetzung, es wären zudem vier Staaten betroffen.

Waldmeyers Meinung:

  • Ja, die beiden Appenzell sollen doch zu einem eigenen «Bundesstaat» fusionieren, die einzelnen verzettelten Mini-Gemeinden könnte man sogar aufheben. Das wäre der Effizienz geschuldet.
  • Ja, eine Gemeinde soll weiter einen Kanton wechseln dürfen.
  • Ja, Genf dürfte nach Frankreich abhauen – so dies denn demokratisch umgesetzt würde.
  • Ja, das Oberwallis, immer schon ziemlich renitent, dürfte einen eigenen Staat ausrufen. Wenn ein gescheites Konzept vorgelegt würde (mit der Pflege der eigenen, wenn auch wenig verständlichen Sprache beispielsweise), so sollte das erlaubt werden.
  • Tibet: Die Zeit ist wohl abgelaufen. Es wäre ganz einfach zwecklos, hier den eigenen, verlorenen Staat wieder auszurufen.
  • Spreitenbach: Rein rechtsstaatlich wäre eine eigene Staatsgründung vielleicht möglich. Unter Umständen auch nicht falsch: Es ergäbe sich nämlich eine sehr homogene, friedliche, grösstenteils muslimische Bevölkerungsgruppe, hoch konzentriert, allerdings mit einer eigenen Grenze rundherum.
  • Äthiopien kann nicht in die EU kommen. Ausser demokratische Prozesse in Italien und in der ehemaligen afrikanischen Kolonie würden die nötigen Voraussetzungen dazu schaffen. Das südamerikanische Französisch-Guyana gehört auch zur EU, ebenso die portugiesischen Azoren. Also warum nicht.
  • Die tüchtigen Kurden hätten einen eigenen Staat verdient. Allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen, ihr Gebiet zieht sich heute vom Osten der Türkei über den Norden Syriens, Iraks und Irans.
  • Den Katalanen müsste man prinzipiell einen eigenen Staat zugestehen. Eine saubere demokratische Abstimmung mit einem nachhaltigen Plan für eine eigene Staatlichkeit wäre die Voraussetzung. Restspanien müsste das schlucken – auch wenn es die Verfassung noch nicht vorsieht. Das gleiche Problem haben die französischen Basken und Korsika: La Grande Nation verbietet eine Sezession.

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Es ist schon bemerkenswert, was für eine bizarre Unverfrorenheit diese Gruppe der Reichsbürger umtreibt. Oder sollte ihren Anliegen, nur schon wegen der UNO-Charta von 1977, nicht trotzdem Gehör geschenkt werden? Eine Analyse Waldmeyers kommt indessen zu einem anderen Schluss: Die Reichsbürger planen erstens gar keine demokratische Ordnung und zweitens verfügen sie über keine richtige Homebase: Es fehlt ihnen ein einigermassen homogener Landstrich.

Und was nun die Pläne der Reichsbürger in der Schweiz betrifft: Sie sollen bitte in Deutschland bleiben. Bei uns gibt es für sie keine liberale Legitimation. So erfrischend die Idee auch ist – und so schön auch dieser Hermelinmantel des neuen Königs. Und so kreativ auch die Idee, schon jetzt eine neue Währung eingeführt zu haben (denn bereits kann ein Konto eröffnet werden mit «Neuer Deutscher Mark»).

Wählt Meisterschwanden die Sezession?

Da hätte es Meisterschwanden schon einfacher: Basierend auf der UNO-Charta könnte Waldmeyer, als künftiger Gemeindepräsident und aufgrund einer sauberen demokratischen Abstimmung, Autonomie ausrufen. Die Gründung eines neuen Kantons würde Waldmeyer allerdings nicht ausreichen. Er würde auf dem Gemeindegebiet einen eigenen Staat ausrufen. Die Schweizer Verfassung sähe hier keine Hindernisse vor.

Waldmeyer könnte anschliessend alle falschen Entscheide in der Gemeinde wieder rückgängig machen, mit einer neuen, eigenen Verfassung, gescheiten Gesetzen und schlanken Verordnungen. So könnte beispielsweise der ungeliebte Kreisel beim Coop unten wieder aufgelöst werden, die 30er-Zone an der Panoramastrasse ebenso, Lastenräder würden aus Sicherheitsgründen verboten, die lächerliche Gender-Toilette in der Gemeindekanzlei würde aufgelöst. Der Coop dürfte auch am Sonntag immer geöffnet bleiben. Auswärtige müssten einen Eintritt beim Zugang zum Hallwilersee bezahlen. Der Franken würde beibehalten, aber die Mehrwertsteuer würde abgeschafft (zu kompliziert). Statt gemeine progressive Einkommenssteuern würde eine faire Flattax eingeführt (die Steuererklärung hätte auf einem Bierdeckel Platz). Erbschaftssteuern entfielen komplett. Asylanten müssten arbeiten, und die AHV gäbe es leider erst mit 70 (dafür ist deren Finanzierung in trockenen Tüchern). Der Rest des Uferhügels würde zu einem hochwertigen Wohngebiet umgezont, damit reiche Deutsche künftig hier angesiedelt werden können – und ihre Steuern hier bezahlten. Selenski würde zu einem Talk an der Gemeindeversammlung eingeladen, und die Hamas würden sofort als Terrororganisation verurteilt.

Ja, Meisterschwanden würde plötzlich im geopolitischen Fokus stehen, und die Restschweiz würde vielleicht das ganze Konzept übernehmen.

Schade, wird heute nicht mehr über Sezession gesprochen.

Waldmeyer und der Fachkräftemangel im Bundesrat

Bei der Besetzung der Bundesratspositionen geht es bekanntlich nie um Kompetenzen der Kandidaten. Am Schluss landen alle in einem Departement, das sie nicht verstehen. Die Fachkräftekrise ist damit nicht neu in der Schweiz: Seit Jahren schon hat sie auch den Bundesrat erreicht.

Das neue Bundesratsfoto zeigt die acht Mitglieder. Das heisst die sieben Bunderats-Mitglieder, plus den Bundeskanzler. Waldmeyer ist der Name des neuen Bundeskanzlers entfallen. Bundeskanzler haben es in anderen Ländern einfacher: Da sind sie bekannter. Weil sie dort der Chef sind – so in Deutschland. Was sie dann allerdings nicht davon abhält, nichts zu tun. Also scheint das Schweizer Prinzip vielleicht doch besser zu sein, keinen Chef zu haben? Ja, es gibt die Bundespräsident:innen. Oder Bundespräsident*innen. Oder Bundespräsident_innen. Oder BundespräsidentInnen. (Einigen wir uns auf den inklusiven Begriff des Bundespräsidenten.) Diese wechseln, zum Erstaunen ausländischer Regierungen, jedes Jahr. Auch hier geht es dann nicht um Chefqualitäten, sondern um einen einfachen Turnus. Wer genügend lange im Club bleibt, darf zweimal ran.

 

Wir dürfen Bundesräte nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen

Wie wir wissen, müssen Bundespräsidenten nicht viel tun. Es geht bei dem Job eher um allerlei unwichtige Eröffnungen und um Reisen. Dafür gibt es auch ein bisschen mehr Spesen für ein ganzes Jahr – obwohl eigentlich schon alles bezahlt ist. Ausser der Garderobe. Frau Amherd wird deshalb anfangs Januar, vielleicht im Ausverkauf in Brig, noch kurz vor dem WEF, ihre Garderobe aufgebessert haben. Im Laufe des Jahres wird das dann nicht so ersichtlich sein, aber wir sollten ja unsere Landesvertreterinnen und –vertreter auch nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen. Sondern an den Leistungen. Waldmeyer erinnerte sich an den etwas abgestandenen Witz betreffend die Garderobe einer Ex-Bundesrätin: Was macht Ruth Dreyfuss mit ihren alten Kleidern? Ja, sie trägt sie!

Falsche Personen am falschen Ort?

Aber zurück zu den Leistungen. Nun, gerade hier liegt die Sache im Argen: Leistungsbemessungen werden schwierig, wenn die Voraussetzungen gar nicht stimmen. Wenn also die falsche Person am falschen Ort eingesetzt wird.

Die Grundvoraussetzungen für eine wählbare Person in den Bundesrat hängt bekanntlich von der Parteizugehörigkeit, dem Kanton, dem Geschlecht, der Landessprache etc. ab. Am Schluss bleibt deshalb nur noch eine vernachlässigbare Schnittmenge mit wenigen Kandidaten. Waldmeyer weiss, dass noch neue Voraussetzungen hinzukommen werden: Es müssen künftig auch verschiedene Genderformen berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass allein Facebook 60 verschiedene Formen nennt und heute (vermutlich) nur zwei davon in der Landesregierung vertreten sind, ist eine sträfliche Diskriminierung. Zumindest eine queere Variante sollten wir schon aufweisen.

Kleine Schnittmenge möglicher Kandidaten

Auch sollte der Religionshintergrund künftig besser berücksichtigt werden. Zumindest einen muslimischen Bundesrat sollte es schon geben, sonst ist diese rasch wachsende Gemeinde unterrepräsentiert.

Dass zurzeit auch in Sachen Hautfarben im Bundesrat nicht alles zum Besten steht, lässt sich schon auf dem Foto mit den Glorious Eight – oder Seven – erkennen.

Zudem müssten künftig auch diverse Invaliditätsformen besser repräsentiert werden. Auch Krankheiten psychischer Natur (nicht versteckte, die es unter Umständen heute schon gibt, sondern auch offensichtliche) sollten besser vertreten sein.

Kurzum, die Schnittmenge der Kandidaten wird immer kleiner, schlimmstenfalls würde sich dann nur noch ein einziger Kandidat eignen: Zum Beispiel eine schwarze, lesbische, muslimische, junge Mutter mit vier Kindern aus dem Kanton Glarus mit dem Parteibuch der Mitte (ex CVP). Im Idealfall wäre ihre Muttersprache zudem serbokroatisch. Bei einer anderen Wiederwahl in den Bundesrat müsste dann ein beinamputierter jüdischer SP-Vertreter aus dem Tessin mit Muttersprache Deutsch herhalten. Was wichtig ist: Man sollte sich bei der Wahl nie von den Fragen nach fachlicher Eignung oder Führungsstärke ablenken lassen.

Möglichst viele Handarbeitslehrerinnen?

Dieses Prinzip der optimierten Besetzungen, bar jeder Fachkompetenz, ist nicht neu. In Deutschland wird es seit Jahren zelebriert. Bundeskanzler Scholz verstand es zu Beginn seiner Regierungsbildung, möglichst viele Personen des Typs Handarbeitslehrerin unterzubringen. Die grosteskeste Besetzung war wohl Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin. Sie brachte ein absolutes Maximum an Nichtwissen mit für den Job. Und genauso scholzt der Bundeskanzler weiter. Sein wichtigster Minister ist der Jugendbuchautor Habeck, jetzt Wirtschafts- und Umweltminister.

Dieses Prinzip der maximal schwachen Ministerbesetzung hatte bereits Mutti Merkel erfunden. Das hat System, denn so kommt dem Prinzip der eigenen Machtfülle niemand zu nahe. Man ist mit dem Umstand schon voll absorbiert, den eigenen Job nicht hinzukriegen. Ja, jeder soll kriegen, was er am wenigsten versteht.

In der Schweiz haben wir ein anderes System, es wird nicht gescholzt. Das Prinzip beruht auf der Idee, diese komplett verquere Schnittmenge aus aussenstehenden Faktoren anzustreben, die letztlich eine ganz lustige Besetzung fördert. Gehen wir doch unsere Landesvertreter der Reihe nach kurz durch:

Viola Amherd repräsentiert das Wallis. Das sieht man schon an der Frisur (Coupe Brig-Glis), man hört es auch – oder man sieht es, wenn beim Gespräch mit deutschen Regierungsvertretern ein Dolmetscher hermuss. Sie ist ledig, was schon mal gut ist, denn vielleicht bildet sie eine der vernachlässigten Genderformen ab, hat es uns indessen noch nicht gebeichtet. Früher verfocht sie auch schon mal, als Frau, die Idee eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubs – was Waldmeyer als «inklusives» Zeichen deutete.

Viola führt die Armee. Sie ist auch für den Sport im Land verantwortlich. Zu diesem Job kam sie wie die Jungfrau zum Kind, sie hatte ja noch nie was am Hut gehabt mit Verteidigungspolitik, noch nie musste sie eine grosse Zerlegung eines Sturmgewehres vornehmen oder geopolitische Gefahren studieren, und aufgrund ihrer Optik hatte sie früher vermutlich auch nichts mit Sport zu tun (allenfalls mit Raclette-Kampfessen im Wallis). Sie ist die einzige Juristin an Bord, also könnte sie eventuell das Justizdepartement führen. Aber die Verteilung der Ämter funktioniert eben so gerade nicht in unserem Land.

 

Karin Keller-Sutter ist die bestangezogene Frau in diesem Siebner-Club. Sie trägt Akris. Sie spricht auch ein paar Sprachen, wenn auch nicht die eventuellen Landessprachen der nahen Zukunft (unter anderem vielleicht albanisch?). Sie gibt sich echt Mühe, lächelt etwas wenig, führt aber zumindest ganz leidlich. Sie hatte letztes Jahr die Finanzen übernommen. Waldmeyer weiss, dass dies vermutlich das wichtigste Fachgebiet im Bundesrat ist – also müsste eine ausgewiesene Finanzkraft dieses Departement führen. Ein Studium der Nationalökonomie, Finanz- und Rechnungswesen oder ähnlich und mehrere Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet würden da nicht schaden. Karin ist indessen ausgebildete Dolmetscherin, sie wird sich also noch während ein paar Jahren einarbeiten müssen. Kein Wunder, hatte sie an jenem Wochenende im März die CS für ein Apfel und ein Ei an die UBS verschenkt, alles andere wäre zu kompliziert gewesen.

Elisabeth Baume-Schneider ist ausgebildete Sozialhelferin, kommt aus dem Jura, hält Schwarznasenschafe, und ihr Mann ist Taxifahrer. Das muss nicht schlecht sein, denn so repräsentiert sie vermutlich die ländliche Arbeiterklasse. Ihre Besetzung mit dem Justizdepartement vor einem Jahr war indessen doch etwas vermessen. Da man sich bei Bedarf und Wechseln im Club etwas Neues aussuchen darf, hat die frühere bekennende Marxistin nun das Departement des Inneren gewählt. Waldmeyer weiss natürlich, dass das die schlechtestmögliche Besetzung sein wird, um die letzten Faxgeräte aus dem BAG zu entfernen, die Digitalisierung dort voranzutreiben, die völlig aus dem Ruder gelaufenen Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen und unsere Demografie-Probleme zu lösen. Sie ist eine grosse Anhängerin der 13. AHV-Rente, vielleicht wird sie die Refinanzierung der AHV so angehen?

Beat Jans ist der Neue. Und der Neue hat bei der Verteilung der Jobs immer die A-Karte zu ziehen. Also musste Ex-Landwirt Beat das ungeliebte Justiz- und Polizeidepartement übernehmen. Baume-Schneider, Keller-Sutter, Sommaruga: Alles Vorgängerinnen, alle relativ glücklos, zufälligerweise alles Nicht-Juristen, alle hatten sich hier die Zähne ausgebissen. Wirklich nicht zu beneiden, der Beat. Aber er strahlt immer. Und er ist Basler. Ja, das war ganz wichtig, denn jetzt waren die Basler wieder mal dran.

Unser Guy Parmelin führt das Wirtschaftsdepartement. Hier ergibt sich insofern eine positive Korrelation zwischen Beruf und Verantwortung, als er als ehemaliger Winzer bestimmt einen Link zur Gastronomie, also zur «Wirtschaft», gefunden hat. Natürlich ist er kein echter Wirtschaftsfachmann. Er versteht die Ökonomie auch nicht im Sinne des Managements einer Volkswirtschaft – sondern vielleicht eher als Önologie und im Sinne der «Ökonomie der Kräfte» betreffend sein Engagement. Aber er ist Westschweizer. Und Landwirt. Und verfügte damals über das richtige Parteibuch. Dann darf man eben auch mal Bundesrat sein.

Ignazio Cassis ist (nebst Elisabeth aus dem Jura) eigentlich die Lieblingsfigur Waldmeyers. Ignazio ist Arzt, Fachgebiet Onkologie. Er macht immer alles ein bisschen falsch, und grundsätzlich haben alle Bedauern mit ihm. Dass er das Aussendepartment führt, hat sich eben auch so ergeben. Was man ihm zugutehalten muss: Er ist absolut harmlos, denn er befindet sich, gefühlt, in einem Wachkoma. Natürlich erreicht er so auch nichts. So schaffte er es bis heute nicht, die Hamas-Schlächter als Terrororganisation zu klassifizieren. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass man den Beruf des Aussenministers nicht einfach so erlernen kann. Es gibt keine Aussenministerschule. Oder einen Master in Aussenministersein. Man muss es einfach können, meistens weil man etwas polyglott ist, die globalen Zusammenhänge versteht, über ein gutes weltumspannendes Netzwerk verfügt und im Verhandlungspoker ein Ass ist. Also nicht ein «ass» im englischen Sinne, sondern einfach ein Crack bei diesen kosmopolitischen Spielen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch das Bedauern erklären, denn Ignazio konnte das alles beim besten Willen nicht mitbringen.

Albert Rösti ist einer der Neuen. Durchs Band früher ein relativ glückloser Politiker, hat er nun vielleicht seine Rolle gefunden. Er verwaltet Energie und Umwelt. Da man die damit zusammenhängenden Probleme in unserem basisdemokratischen Land eigentlich gar nie lösen kann, kann er auch gar nichts falsch machen. Als ausgebildeter Agraringenieur hat er sich leidlich eingearbeitet in die vertrackte Materie. Die grossen Solaranlagen und die Erhöhung der Staumauern dürfen nicht gebaut werden, aber es ist wirklich nicht seine Schuld. Und wenn die Energie teurer wird, auch nicht. Er kümmert sich jetzt vor allem um die Wölfe. Beziehungsweise um deren Abschüsse. Auch da kann man eigentlich fast alles nur falsch machen, weil die Umstände etwas kompliziert sind, also fallen allfällige Misserfolge nie auf einen zurück. Vielleicht ein Traumjob?

Waldmeyer ist leider keine Fachkraft

In der Summe, so meinte Waldmeyer gegenüber Charlotte, ist eigentlich nicht nur Ignazio harmlos. Alle sind harmlos. Und alle können nichts dafür, dass sie einen Job gefasst haben, von dem sie wenig verstehen. Es ist systemimmanent. Deshalb müssen wir sie entschuldigen. Diese Leute sind nun einfach wegen der Schnittmenge da.

Nun müssen sich aber diese glorreichen Sieben mit einigen der ganz grossen Probleme unseres Landes auseinandersetzen: Der Überalterung, der Einwanderung, dem Fachkräftemangel, der sinkenden Motivation zu arbeiten (ja, wegen der Work-Life-Balance)  etc. Um solche Probleme zu lösen, braucht es Fachkräfte als Entscheidungsträger. Aber wie soll das Fachkräfteproblem im Bundesrat von Nicht-Fachkräften gelöst werden?

Charlotte meinte, einmal mehr, Waldmeyer solle sich doch zur Verfügung stellen. Aber Waldmeyer weiss: Er ist keine Fachkraft. Er ist nur Beobachter.

Waldmeyer und die helvetische Neutralität

Waldmeyer schaute entsetzt auf die Europakarte: Die Schweiz ist, verteidigungsmässig, tatsächlich eine Insel. Was wäre, wenn der Super-Gau einträfe und eine taktische Nuklearbombe über unserem Land niederginge? Wie würden wir uns verteidigen? Wären wir immer noch neutral?

 Die Schweiz ist tatsächlich eine Verteidigungsinsel. Sie ist weder in der Nato, noch profitiert sie von einer EU-Beistandspflicht. Die Schweiz ist eben neutral. Aber was würde das im Verteidigungsfall bedeuten? Waldmeyer stellte sich vor, wie wir uns in einem echten Kriegsfall wehren könnten. Ob die Neutralität, der wir de facto ja gar nicht nachleben, ausreichen würde?

Putin sucht sich ein neues Ziel aus

Waldmeyer malte sich den weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine aus. So könnte Russland auf dem Gefechtsfeld immer mehr in die Bredouille geraten, die Unterstützung der NATO-Länder zugunsten der Ukraine für Putin langsam zum Problem und die eingefrorenen russischen Vermögen für den Kriegstreiber im Kreml immer mehr zu einem Ärgernis werden. Auch würden die Sanktionen langsam so richtig greifen. Ein Befreiungsschlag müsste her.

Und dann würde Putin wahrmachen, womit er immer gedroht hat: mit einer nuklearen Attacke. Allerdings wäre er nicht so dumm, einen NATO-Staat zu bestrafen – das hätte unweigerlich, aufgrund des Artikels 5 des NATO-Beistandspaktes, eine Gegenreaktion ausgelöst. Die Alternative, nämlich ein westliches Nicht-NATO-Land zu attackieren, das jedoch in der EU ist, wäre ebenso töricht (so z.B. Österreich). Hier gilt bekanntlich die EU-Beistandspflicht. Putin würde auch nicht die unabhängigen Länder Liechtenstein oder den Vatikan angreifen, die Länder sind zu klein und es würde Kollateralschäden in den Staaten rundum geben. Putin hätte sich also von seinen Generälen, die ja alle sehr bereist sind und die Geografie in Europa bestens kennen, beraten lassen. Sie hätten ihm vermutlich einen raffinierten Doppelschlag vorgeschlagen!

Der fiese Plan des Kremlherrn

Mit einem Doppelschlag würde der Kremlherr erstens mit einer taktischen kleinen Nuklearbombe das ukrainische Lwiw (ja, das schöne Lemberg im Westen des Landes) bestrafen. Und zweitens, im Herzen Europas, einen weiteren Nuklearsprengkopf über Bern zur Explosion bringen. Die Schweiz blieb leider als einzige Option übrig, alle anderen wären von Aussenminister Lawrow und den alten Sowjetgenerälen aus politischen und taktischen Gründen verworfen worden. Zuerst stand noch Basel auf dem Plan, zumal dort bei der BIZ einiges an russischem Vermögen eingefroren ist. Aber es wäre unklug gewesen, die Bankeninfrastruktur gerade in Basel zu beschädigen. Die russischen Spione, welche in der Schweiz (aus Gründen der Neutralität) frei rumlaufen dürfen, hatten also gute taktische Vorbereitungspläne zusammengestellt. Und so verblieb tatsächlich nur ein Ziel mitten in der Schweiz: Bern.

Die taktische Nuklearbombe

Waldmeyer studierte die Wirkungen einer taktischen Nuklearwaffe. Er war etwas beruhigt, die Schäden wären nicht so wie in Hiroschima oder Nagasaki. Taktische Nuklearwaffen können relativ präzise gegen Truppenverbände, Gebäude oder allerlei Einrichtungen eingesetzt werden.

Putin würde die Aktion als «taktische Nuklearabschreckung» taxieren und den Begriff «Atombombe» tunlichst vermeiden. Die Nato wäre natürlich «not amused», wegen Lemberg. Aber die Causa Lemberg würde keinen gleichgerichteten Schlag auslösen, denn Lemberg hat nun mal nichts mit der Nato zu tun. Die Nato wäre auch «not amused» betreffend Bern. Aber sie würde auch hier stillhalten, denn es würde sich ebenso wenig um einen Bündnisfall handeln.

Für die gut 1’200 Kilometer von Kaliningrad nach Bern braucht eine russische Cruise Missile übrigens nur ein paar Minuten. Putin würde, anständigerweise, nur eine halbe Kilotonne einsetzen, der Feuerball würde aber dennoch 40 Meter Durchmesser aufweisen, und schwerste Druckschäden könnten bis 100 Meter weit reichen und alles platt machen. Die Gebiete darüber hinaus wären bis zu einem halben Kilometer mittelschwer beschädigt. Ein elektromagnetischer Impuls würde zudem im selben Umkreis alle elektronischen Geräte lahmlegen. Die Verstrahlung wäre punktuell verheerend, im weiteren Umfeld jedoch rasch abklingend.

Die Nuklearexplosion über dem BAG

Putin würde nicht das Bundeshaus Ost wählen, das ginge zu weit. Er würde ein Ziel aussuchen, das der Bevölkerung selbst ein Dorn im Auge ist, so das gut zwei Kilometer entfernte BAG, das Bundesamt für Krankheit. Er würde ausserdem einen nächtlichen Zeitpunkt wählen, so beispielweise die Neujahrsnacht. Die Gebäude des BAG wären dann eh leer, das Risiko, dass ein Beamter Überstunden leistete, würde gegen Null tendieren. Natürlich würden im BAG alle Faxgeräte kaputtgehen. Und die neue Departementsvorsteherin Elisabeth Baum-Schneider würde ihre Einführungstage wohl erst mal im Homeoffice verbringen.

Der nukleare Fallout wäre jedoch begrenzt, zumal die Neujahrsnacht relativ windstill sein könnte. Hier würde sich Putins Umsicht zeigen, nicht Basel gewählt zu haben (wegen der Grenznähe zu den NATO-Ländern Deutschland und Frankreich).

Verhaltene internationale Reaktionen

Weder die ukrainische noch die helvetische Malaise würden also einen Gegenschlag der Nato auslösen. Natürlich würde die NATO sofort in Alarmbereitschaft versetzt werden. In einzelnen Ländern würde dies allerdings wenig auslösen, so etwa in Deutschland. Verteidigungsminister Pistorius würde in der Neujahrsnacht seine Generäle eh nicht erreichen, und eigentlich gibt es in Deutschland kaum Truppen, deren Bereitschaftsgrad erhöht werden könnte.

Präsident Macron würde umgehend reagieren, er würde «cher Président Alain Berset» seine Betroffenheit aussprechen und versichern: «Je vais parler avec ce Putin.» Allerdings wäre am 1. Januar 2024 bereits Viola Amherd Bundespräsidentin. Im Ausland hat man unser merkwürdiges Rochadenprinzip noch nie durchschaut.

Amherd würde vielleicht gar nicht geweckt werden, denn es wäre Neujahr und so oder so keine Bürozeit. Sie wäre ohnehin kaum erreichbar im Wallis, hätte sie doch noch einen schweren Bauch vom Neujahrsfondue und einen ebenso schweren Kopf vom Fendant. Gegen Abend am 1. Januar würde sie vielleicht mit Jens Stoltenberg, dem NATO-Oberbefehlshaber telefonieren. Dieser würde ihr dann klaren Wein einschenken: «Look, Viola, das ist kein NATO-Fall, sorry. Du wolltest ja neutral bleiben, nicht wahr? Aber wir schicken dir ein paar Ambulanzen und wir helfen auch bei den Aufräumarbeiten, of course!»

Kanzler Scholz würde nichts sagen. Und Präsident Erdogan würde, zusammen mit Orban, zu mehr Verständnis aufrufen.

Guteidgenössische Reaktionen

Am 1. Januar hätte auch unser Arzt aus dem Tessin, Aussenminister Ignazio Cassis, noch mit dem Restalkohol des Merlots zu kämpfen, ausserdem würde er sich den Tag verwünschen, an dem er in diesem Verteilpoker der Departemente die A-Karte des Aussenministers gezogen hatte. Aber gleichzeitig wäre er froh gewesen, nicht das BAG zu führen – lag das Gebäude doch jetzt in Trümmern.

Linke und grüne Parlamentarier, ein Grossteil von ihnen tief durchtränkt mit Pazifismus, würden sofort auf «Deeskalation» plädieren. Noch wäre nicht klar, was das denn auslösen würde, aber es wäre ein Statement.

Kurz darauf würde Cassis indessen doch noch reagieren. So am 2. Januar, dann, wenn er sich in corpore mit allen Bundesräten besprochen hätte, würde er den russischen Botschafter ins Bundeshaus Ost zitieren. Er würde erst ein Alka-Seltzer und zwei Jodtabletten einwerfen und dann dem Russen deutlich mitteilen, noch mehr Russenvermögen einzuziehen, wenn das so weiterginge. Und die Eidgenossenschaft würde nicht zögern, ein paar weitere russische Chalets mit einer Verkaufssperre zu belegen.

Viola Amherd müsste in ihrer Rolle als Verteidigungsministerin zwangsläufig handeln. Sie würde eine kleine Teilmobilmachung auslösen. Noa, Waldmeyers Sohn, müsste wahrscheinlich in einer Turnhalle in Wattwil einrücken. Die weiteren Schritte würden dann besprochen werden.

Der Gesamtbundesrat würde gelegentlich, bei einer weiteren Sitzung, auf die Neutralität setzen. Eine Gegenreaktion würde zwar diskutiert. Leider indessen, ohne eine brauchbare Lösung zu finden.

Das Parlament würde zum Frieden auf der Welt aufrufen. Und unser Armeechef würde sofort die Armeereform 2033 in Angriff nehmen. Nur unser Arzt aus den Tessin würde Klartext sprechen: „Es wird Zeit, dass wir überlegen sollten, in welcher Form wir über die Interpretation der schweizerischen Neutralität nachdenken sollten.“

Die Bedrohungslagen sind nicht mehr so wie 1939

Tatsache ist, dass sich die Schweiz in einem solchen Fall unmöglich verteidigen könnte. Waldmeyer stellte fest: Wir sind zwar neutral, könnten aber in fast allen Bedrohungslagen nichts ausrichten.

Der Krieg heute ist nicht der Krieg von gestern. Waldmeyer machte in einer Auslegeordnung folgende Kriegstypen ausfindig:

  • Konventionelle Kriege (wie in der Ukraine)
  • Asymmetrische Kriege (so im Nahen Osten, Stichwort Hamas, Hizbullah, Iran)
  • Terroristische Attacken (weltweit)
  • Hybride Kriegsformen (wie in der Ostsee, Stichwort Nordstream)
  • Cyberkriege (Stichwort Russland)
  • Politische Unterminierungen (Stichwort Russland, Trolls)

Die Schweiz liebt den konventionellen Krieg – notabene nur einen der sechs Kriegstypen. Als die kaputten Panzer bei uns zur Debatte standen, die wir eigentlich verschrotten wollten, aber nicht an Dritte liefern durften, führten unsere Vertreter von Rechtsaussen eine «dringend nötige eigene Aufstockung» ins Feld. Ja, so setzen unsere Landesführer die Prioritäten.

Von allen Kriegsformen könnten wir uns also, wenn auch nur notdürftig, lediglich im Falle eines konventionellen, aber lokalen Feindkontaktes wehren. Oder sollte unsere Milizarmee bei einer grossen Cyberattacke einrücken? Fakt ist, dass wir uns gegen die meisten Bedrohungslagen nicht allein wappnen können. Wenn unsere Armee da schon nichts ausrichten könnte, ob denn die Neutralität zu einer Problemlösung führen würde? 

Wir verstecken uns hinter der Neutralität

Im ganzen Vorfeld der obigen fiktiven Nuklearattacke hätten wir uns immer hinter der Neutralität versteckt. Nur: Was vor über 80 Jahren noch ganz schlau war, als unsere direkten Nachbarstaaten sich die Köpfe einschlugen, machte in der Folge wenig Sinn. Die Welt hatte sich inzwischen komplett verändert. Die Schweiz gehört zum Westen, und allfällige Gefahren lassen sich heute relativ einfach verorten, denn sie liegen in Russland, allenfalls noch weiter östlich, und sie sind geopolitischer Natur. Unsere helvetische Strategie lässt sich aktuell irgendwo zwischen Aussitzen, Verzögerungstaktik und Verstecken ansiedeln, gegen aussen wird dabei immer ein Neutralitätsschild aufgehalten. Und es geht ganz klar um wirtschaftliche Interessen. Am Rande auch, vordergründig und ziemlich verklärt, um unsere heilige Mission als Vermittlerin. 

Die Schweiz als Friedensstifterin?

Immer wieder wird argumentiert, dass es unsere wichtige Rolle als Friedensstifterin gebietet, neutral zu bleiben. Dabei verbindet sich skurrilerweise Rechtsaussen mit Linksaussen. Und Putinversteher stehen plötzlich auf der gleichen Seite wie unverbesserliche Pazifisten.

Die Position der Schweiz als vermittelnde Friedensstifterin ist jedoch ein Mythos. Immerhin bieten wir schöne Orte zum Verhandeln, so in Genf beispielsweise, dort gibt es auch schöne Hotels. Wir sind zuweilen auch politische Briefträger – so war es im Koreakrieg, oder heute zwischen dem Iran und der USA. Wir vermitteln aber nicht, wir sind mit unseren «Guten Diensten» bestenfalls Postbote. Kein Politiker der Welt würde der Schweiz zutrauen, im Ukraine- oder Gazakonflikt zu vermitteln. Da profilieren sich heute schon eher Katar, Saudi-Arabien, die Türkei oder China. Alles im Übrigen keine neutralen Staaten und schon gar keine freiheitsbewahrenden Demokratien. Sollen wir nun tatsächlich die Neutralität so hochhalten, damit Cassis vermitteln kann? Cassis who…?

Und: Gegenüber wem sollten wir nun neutral bleiben? Auch gegenüber dem Westen, tatsächlich?

Neutralität nur aus Wirtschaftsinteressen

Die Frage müsste letztlich sein, welche Art von Neutralität uns am meisten Sicherheit bietet. De facto lassen wir uns jedoch von (kurzfristigen) Wirtschaftsinteressen leiten, welche die Neutralität als Feigenblatt verwenden. Neutralität ist bei uns Aussenpolitik, Aussenpolitik ist Interessenpolitik, und Interessenpolitik ist Wirtschaftspolitik. Waldmeyer meint: Ergo dient die Neutralität einzig den Wirtschaftsinteressen. Voilà.

Fakt ist, dass eine Diskussion betreffend Neutralität in der Schweiz fast unmöglich ist. Fakt ist aber auch, dass wir nicht mehr in Zweiten Weltkrieg sind und die Welt heute eine andere ist. Der gesamte Westen, an dessen Werte wir uns halten, wird u.a. von Russland bedroht, aber die Eidgenossenschaft hat sich immer noch nicht angepasst. Diese nasse Zündschnur ist gefährlich. Der Reduit-Gedanke überwiegt immer noch, und die Europakarte Waldmeyers wird offenbar nicht studiert.

Russland könnte sein Ziel erreichen

Das Risiko eines Atomkrieges muss realistischerweise als sehr gering eingestuft werden – es würde tatsächlich keine Gewinner geben. Der Abwurf einer taktischen Nuklearbombe durch Russland auf sorgsam ausgewählte Gebiete wäre allerdings ein gar nicht so absurdes Szenario. Lemberg würde reichen, das BAG könnte wohl noch verschont bleiben. Die Auswirkungen wären vor allem politisch fatal. Allein mit der Lemberg-Bombe würde die ganze westliche Welt in eine Schockstarre versetzt. Und sie würde in der Folge keine symmetrischen Reaktionen auslösen. Genial. Russland käme seinen Zielen näher, denn es würde sich sofort in einer komfortablen Verhandlungsposition mit der Ukraine und dem ganzen Westen befinden. Sanktionen wären vielleicht bald vom Tisch.

Und was würde die Schweiz tun – welche selbstredend, aus Neutralitätsgründen, unabhängig entscheiden würde? Sie würde sich, vielleicht, tatsächlich überlegen, ob sie nun zum Westen gehört und wie sie das mit der Neutralität künftig handhaben würde. Dieses bizarre Selbstbild eines souveränen Staates müsste sie wohl dringend vergessen.

Waldmeyer nahm sich vor, nun mit Noa nochmals zu sprechen. Nicht wegen der Neutralität. Er wollte ihn nur fragen, ob er wirklich wüsste, wo diese Turnhalle in Wattwil liegt.

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