Braucht die Schweiz einen Staatsfonds?

Oder warum unter dem Deckmantel eines Staatsfonds der Staatskapitalismus gefördert werden könnte

Immer wieder kommt die Idee eines Staatsfonds auf den Tisch: vor Jahren schon, als der Bund regelmässig Überschüsse im Staatshaushalt erzielte. Und kürzlich wieder, als man nicht wusste, wohin mit den fetten Überschüssen der Nationalbank. Und jetzt wieder, im Lichte Coronas: Der Staat könnte doch mittels eines Fonds kranke „systemrelevante“ Unternehmen übernehmen… In allen Fällen krankt es jedoch an nachhaltigem Denken: Staatsfonds lassen sich nur rechtfertigen, wenn man wirklich nicht mehr weiss wohin mit dem Geld! True Economics analysiert.

Die Idee ist verführerisch: Sollte ein Staat tatsächlich über überflüssige Einnahmen verfügen, könnte man das Geld doch in einem separaten Fonds bunkern. Für schwere Zeiten, für später, für die kommenden Generationen. Man entzieht die Mittel der – wo vorhanden – demokratischen Kontrolle und spart sie. So werden sie zumindest nicht unnütz verschwendet. Ein eleganter Gedanke an sich.

Nur: Die wenigsten Staaten kommen je in die beneidenswerte Lage, dass sie mehr einnehmen als sie ausgeben können. Trotzdem gab es ein paar Länder, die sich in den letzten Jahren in dieser Situation befanden und die Gunst der Stunde nutzten. Entweder handelte es sich um eine Situation von brillantem Staats-Management (in Singapur z.B.), oder um Glück aufgrund übermässig sprudelnder Ölquellen.

Hier ein paar Beispiele der grössten Staatsfonds der Welt:

Norwegen beschloss, einen Gutteil seiner Erdölerträge für spätere Generationen in dem weltweit grössten und billionenschweren eigenen Staatsfonds zu bunkern – eine gute Sache.

Oder Saudi Arabien, Kuwait, die Emirate, Katar: Die Golfstaaten unterhalten alle gut gefüllte Fonds-Schatullen. Allerdings müssen diese nun geplündert werden, da sich aufgrund der erodierenden Erdölpreise gigantische Defizite in den Staatshaushalten auftun.

Auch China, Singapur oder Hong Kong unterhalten gut dotierte Fonds. Am meisten Ruhm (wenn auch im negativen Sinne) brachte sein Staatsfonds allerdings Malaysia ein: Sein 1MBD Fund hatte sich als Abgrund von Korruption und Regierungsversagen erwiesen. Womit sich uns die Grenzen des Fonds-Managements offenbaren: Es braucht demokratische Kontrollen. Allerdings keine demokratische Einflussnahme im Fonds-Management, sonst wird das Vehikel zum Spielball politischer Partikular-Interessen.

Die reiche Schweiz könnte doch einen fetten Staatsfonds aufbauen

Der Ideen waren schon viele. Insbesondere während Zeiten von nachhaltigen Überschüssen im Staatshaushalt kamen immer wieder Ideen für die Gründung eines Staatsfonds auf. In solchen Fällen zumindest diskussionswürdig.

Variante 1: Der Staatsfonds mit Schuldenaufnahmen

Oft werden Ideen zum Fondsaufbau jedoch mit gefährlichen Pferdefüssen versehen: Die SP zum Beispiel lancierte jüngst die Idee, einen Staatsfonds mit grosszügiger Schuldenaufnahme zu finanzieren. Aus Sicht eines Bankers zum Beispiel (hier machte die SP betreffend Sichtweise wohl eine ideologische Ausnahme) könnte dies Sinn machen: Zu Negativzinsen extrem langfristige Milliardenschulden aufnehmen, dann klug zu investieren – in Aktien, Anleihen, Fremdwährungen, Immobilien, etc. Die Rendite müsste doch extrem positiv sein, also könnte man mit dieser soziale Ausgaben bestreiten. Nur: Der Staat sollte es sich nicht leisten, einen solchen gigantischen Hedgefonds mit der Wette auf Zeit und Erfolg zu unterhalten. Und: Wieso sollte dies der Staat besser tun als private Unternehmen?

Variante 2: Der Staatsfonds zur Stützung systemrelevanter Unternehmen

Die CVP gab sich erst kürzlich ins staatskapitalistische Abseits: Sie schlug einen Staatsfonds vor, welcher „systemrelevante“ Firmen unterstützen oder übernehmen könnte. Wir ahnen schon, wie dies dann vonstatten gehen würde: Die Systemrelevanz würde mit Sicherheit äusserst politisch ausfallen, es müsste dann basisdemokratisch ausgejasst werden, was alles als systemrelevant gelten soll. Am Schluss vielleicht alles. Tür und Tor würden geöffnet für staatliche Übernahmen und Beteiligungen. Wie in Frankreich – oder schlimmer. Ordnungspolitische Sündenfälle wären absehbar.

Variante 3: Staatsfonds aus Überschüssen

Sollten die Schulden einmal nahezu abgebaut sein, könnte ein Staatsfonds in der Tat angedacht werden. Anstatt Überschüsse unnötig zu verpulvern oder irgendwo zu parken, könnte in einem solchen Fall tatsächlich an einen professionell geführten Staatsfonds gedacht werden. Eine Ausnahmesituation, wie sie sich etwa in Norwegen ergab.

Der Weg zum Staatskapitalismus ist kurz

In allen drei Fällen droht das Übel, dass die Staatsfonds Verstaatlichungen oder zumindest ungebührliche Staatseinflüsse fördern, sofern sie deren Manager sich bei den Anlageentscheiden nicht als kluge und unabhängige Investoren betätigen, sondern als staatskapitalistische Gestalter. Das Risiko ist hoch, dass ein Staatsfonds nicht apolitisch gemanagt wird. Norwegen und Singapur sind die wohl wenigen löblichen Ausnahmen, welche die Regeln begriffen haben.

Die höchste Entwicklungsstufe eines Staatsfonds ist wohl dann erreicht, wenn der Staat gleich grosse Teile der Wirtschaft besitzt und verwaltet. Der Fonds ist der Staat – bzw. der Staat ist der Fonds. Die de facto Verschmelzung der beiden Gebilde heisst dann weder „Fonds“, noch „Staat“. Das staatliche Gebilde ist dann einfach Besitzer und Lenker eines Grossteils der Wirtschaft.

Frankreich liegt heute schon bei einer besorgniserregenden Staatsquote von 56%, Deutschland bei 45%. Die Nach-Corona-Ära wird vermutlich aufzeigen, wie stark die Quote allein im 2020 gewachsen sein wird. Die Schweiz liegt Gott sei Dank nur bei rund 35%, allerdings mit steigendem Trend. (Kiribati, die klamme Pazifikinsel, liegt übrigens bei über 150% – ein Fingerzeig, dass die Skala gegen oben durchaus offen sein kann. Im Falle dieses merkwürdigen Eiland-Staates zum Beispiel, indem man – dank ausländischer Hilfe und explodierenden Schulden – tatsächlich nur schon als Staat jährlich mehr ausgibt als das komplette BIP hergibt.)

Wir kennen das Resultat: unproduktiver Staatskapitalismus. Die Eurozone wird 2020 wohl bei 50% liegen. Das heisst, dass der Staat mit seinem eigenen Konsum die Hälfte zum BIP beiträgt. Nur logisch, dass der verstärkte Einsatz von Staatsfonds die Prozentzahl weiter gegen oben drücken würde.

Fazit:

Ein Staatsfonds für die Schweiz könnte erst dann Sinn machen, wenn die Staatsschulden auf ein unerhebliches Mass abgesunken sind, der Bund aber immer noch Überschüsse erzielt. In diesem Fall dürfte ein Fonds indessen nicht risikobehaftetes Leverage betreiben (also nicht Fremdkapital aufnehmen, um die Rendite zu verbessern). Ausserdem müsste der Fonds durch Dritte und völlig apolitisch gemanagt werden. Und da sich alle diese Einschränkungen und Konstellationen in den nächsten Jahren kaum ergeben werden, können wir das Thema Staatsfonds getrost erst einmal auf die Seite legen!

Schaden der Bundesrat und das BAG der Schweizer Wirtschaft?

Der Bundesrat und das BAG profilieren sich seit Monaten durch erratisches Handeln. Vergessen wir die frühere Maskenlüge. Heute geht es um mehr, denn Agieren und nicht langsames Reagieren in wesentlichen Wirtschaftsfragen ist angesagt. Einerseits hat der Bundesrat den Kantonen eine zum Teil willkürliche Führung der Krise ermöglicht, andererseits kokettiert er immer mehr mit strukturerhaltenden Finanzhilfen. Macht er es einfach nicht gut – oder schadet er gar? True Economics geht der Sache ungeschönt auf den Grund.

Willkürliche Schutzmassnahmen

Nur wenige Wochen ist es her, dass der Bundesrat die Bewilligung für Grossanlässe gelockert hatte, just zum Zeitpunkt, als die Corona-Fallzahlen wieder in die Höhe schnellten. Ein PR-Gau, welcher sehenden Auges eingeleitet wurde.

Inzwischen wissen wir wie sich – weltweit – Hotspots ergeben: u.a. in Clubs, bei Events, Festen, etc. Also verhängte die Züricher Regierung nun auch, im Zuge eines Schildbürgerstreiches quasi, in den menschenleeren Museen eine Maskenpflicht. Die Clubs aber sind immer noch offen, auch das frivole Leben in den Rotlichtquartieren geht mehr oder weniger weiter. Wir wissen neu auch um die rasche Verbreitung des Virus in den Schulen. Trotzdem ist eine Maskenpflicht an diesen Orten kaum angedacht.

Wir vermissen die top-down Entscheide. Wieso können die Probleme und die Verbreitungsrisiken der Pandemie und die Hotspots nicht apolitisch definiert werden, um den Rest des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu verschonen? Die Kantonsregierungen sind offenbar der politischen Willkür ausgeliefert oder – im besten Fall – einfach überfordert. Aber wenn der Bundesrat in diesen Fällen nicht eingreift, nimmt er seine Rolle nicht wahr. Er führt nicht. Und er tut dies unter dem Deckmäntelchen des unantastbaren Föderalismus. Leider ist das Corona-Virus indessen kein kantonales Virus. Alle Entscheide – und Fehlentscheide – diesbezüglich haben nationale Auswirkungen. Es fehlen klare Empfehlungen an die Kantone, und die Koordination müsste bedeutend stärker gefördert werden. Abweichler müssten ins Gebet genommen werden. Das wäre Führung. Es darf nicht sein, dass wir uns in einer Krise mit bedeutender wirtschaftlicher Auswirkung (für den Staat, für Unternehmen und Bürger) mit Achselzucken hinter föderalistischen Strukturen verstecken.

Keine Führung des BAG

Dass das Bundesamt für Gesundheit heillos überfordert ist, ist inzwischen ziemlich evident. Es gibt in Fällen von solchen Defiziten jedoch eine Lösung: Der Kopf der betreffenden Institution müsste eingreifen – also der Bundesrat. Aber er tut es nicht. Damit schadet er uns – mit  schlechtem Management in seinem Departement sowie eigener Führungsarmut.

Unsere Infektions-Fälle steigen. Unabhängig von deren medizinischer Relevanz (oder Nicht-Relevanz) hat dies bedeutende Auswirkungen: Bald dürfen Schweizer in noch mehr Staaten nicht mehr frei einreisen, und die Erholung im Tourismus ist gefährdet. Dass „andere Länder ähnliche Probleme haben“, dürfen wir nicht als Benchmark akzeptieren. Wir müssen ja nicht wie die anderen sein – wir könnten es besser machen.

Fazit: Der Bundesrat führt nicht.

BAG pflegt eine absurde Länderliste

Südafrika wird neu von der Risikoliste genommen, obwohl das Land noch ganz tief im Coronasumpf steckt. Russland befindet sich nicht auf der Liste – ein Land, das sich noch mitten in der Infektionskrise befindet. Dafür wurden Aruba, Guam oder Cooks Island, zu welchen zur Zeit kaum Verkehrsverbindungen bestehen, auf die Risikoliste gesetzt. Hier herrscht dann Quarantäne bei der Einreise. Das BAG bezieht sich immer noch auf das Verhältnis positiv Getestete vs. Population – ungeachtet des Umstandes, dass die Testintensität der massgebende Faktor für die Resultate ist. Wenn kaum getestet wird, gibt es keine Fälle – der Trump‘sche Vorschlag sei in Erinnerung gerufen.

Und wie wird mit Frankreich umgegangen, wo die Fallzahlen schon lange im roten Bereich liegen? Mit dem Land, mit dem wir einen äusserst relevanten Grenzverkehr unterhalten? Die Schweizer Aussengrenze wird einfach gegen aussen verschoben. Dafür werden aber die oben genannten Mickey Mouse-Inseln auf der Risikoliste gelassen. Bei dieser Inkonsequenz treten nicht nur Fragezeichen auf, sondern sollten alle Alarmglocken läuten.

Ist die Länderliste des BAG nur einfach amüsant?

Ist diese Risikoländerliste nur amüsant – und deren Auswirkungen gar nicht so schlimm? Nein, die Liste ist nicht nur peinlich, sondern eben falsch und in ihrer Wirkung äusserst negativ. Erstens führt derlei Missmanagement zu erodierendem Vertrauen in die Behörden, und zweitens entfällt damit jegliche Planbarkeit für Reisen. Reisen ist wichtig für die Wirtschaft, Zoom kann nun mal nicht alles ersetzen. Der freie Reiseverkehr für Geschäftsreisende und Dienstleister ist ein Multiplikator für das Wirtschaftsgeschehen. Auch medizinisch wird mit diesen falschen Restriktionen Sinnlosigkeit produziert, denn die wahren Risiken des Personenaustausches werden durch die willkürliche Länderliste nur bedingt erfasst.

Der Bundesrat gibt neuerdings zu, dass die Liste des BAG vielleicht nicht perfekt ist. Aber sie sei konstant, basiere auf den Daten, die man nun einmal habe. Lieber Bundesrat: konstant falsch, leider!

Kaum Tests

Im Vergleich zu anderen Ländern wird in der medizinisch hochentwickelten Schweiz lächerlich wenig getestet. Tests könnten andere Massnahmen ersetzen, z.B. Quarantänen. Es wird auch nirgends Fieber gemessen – obwohl dies ein Indikator für eine Infektion wäre. In vielen Ländern, insbesondere in Asien, wird konstant Fieber gemessen, um so Infektionsfälle quasi nach dem Zufallsprinzip rauszuziehen. Es funktioniert.

Auch unsere Covid-App muss heute als Flop deklariert werden. Das BAG und der Bundesrat propagieren sie kaum mehr – es ist merkwürdig still geworden um sie. Haben sie wohl Angst, sich den Themen Freiheitsberaubung und digitaler Überwachung auszusetzen? Tatsache ist, dass Infektionsfälle der App-Administration kaum gemeldet werden, die App de facto also wenig bringt. Taiwan und Südkorea hatten das besser hingekriegt. Im Frühjahr dieses Jahres schon.

Absurde Strukturerhaltung

Nun soll also auch den Reisebüros geholfen werden. Wer hat noch nicht, wer will noch mal. Auch der Eventbranche soll geholfen werden. Bei beiden Branchen pflegt der Bund nichts anderes als Strukturerhaltung. Im Falle der Reisebüros muss einfach akzeptiert werden, dass diese schon vor der Krise in einem schmerzhaften Strukturwandel standen – Corona macht deren Existenz leider auf absehbare Zeit nun definitiv ziemlich obsolet. Der Markt für Reisebüros würde noch auf Jahre hinaus so oder so in rasantem Tempo schrumpfen. Der Staat jedoch versucht diesen Prozess, welcher zu einem Gutteil nicht nur durch den implodierten Flugverkehr, sondern ganz einfach durch die fortschreitende Digitalisierung geprägt ist, krampfhaft aufzuhalten. Als Lektüre empfehlen wir dem Bund und dem Parlament Schumpeters Ansatz der „schöpferischen Zerstörung“ – vielleicht würden diese Gedanken zu gewissen Erleuchtungen führen. Im Moment meidet der Bundesrat solche Gedanken wie der Teufel das Weihwasser. Aber so kann nichts Neues entstehen.

Dass auch die Eventbranche jetzt arg gebeutelt wird, ist durchaus bedauernswert, ist der Markt doch fast auf null eingebrochen. In Unkenntnis darüber, wann dieser Markt – und in welcher Grössenordnung –je wieder existieren wird, darf der Staat indessen eine einzelne Branche nicht einfach durchfüttern. Wenn später die Veranstaltungen wieder möglich sind, werden wieder innovative und initiative Unternehmer auftauchen, welche Events organisieren werden. Es werden vielleicht nicht die gleichen Firmen sein – aber so viel Marktglaube sollte der Regierung eben zugetraut werden, dass sich neue Strukturen in einer offenen Marktwirtschaft wie der unseren sofort konstituieren werden. Inzwischen muss notgelandet werden – tragisch, aber der Situation geschuldet. Das Gleiche gilt für Gastronomen und Clubs: Schliessen sie heute, ist auch dies bedauernswert. Aber es werden wieder neue auftauchen, ohne staatstragende Lücken zu hinterlassen.

Firmenblase, Arbeitsblase

Führung würde bedeuten, dass dieses Big Picture betreffend längerfristigen Überlebenswahrscheinlichkeiten vorhanden wäre. Ist es aber nicht. Wenn also dringend notwendige Strukturanpassungen verhindert und zu viel Geld für Strukturerhaltung ausgegeben werden, dann schadet der BR der Volkswirtschaft – in systemischer und in monetärer Hinsicht.

Im Moment werden Zombie-Firmen am Leben erhalten, die teilweise auch ohne Coronakrise nicht überlebt hätten. Dennoch werden sie durchgefüttert.

Das Gleiche gilt für die Arbeitslosigkeit: Bis Ende 2021 möchte die Regierung nun die Kurzarbeit verlängern. Kein Wunder, lag True Economics mit ihrer Schätzung der Arbeitslosigkeit (zu Beginn der Krise) falsch: Beim besten Willen konnte man nicht erahnen, dass der Bundesrat die Kurzarbeit auf bis fast zwei Jahre verlängern würde. Der Effekt ist vordergründig nur ein soziales Pflaster, hintergründig jedoch nichts anderes als ein hinausgeschobener Wandel. Arbeitsplätze, die auch in Monaten nicht mehr erhalten werden können, werden mittels Kurzarbeit geschützt. Entlassene Arbeitsnehmer könnten sich heute jedoch schon – mit Hilfe von Arbeitslosenunterstützung, klar – am Markt neu orientieren, wenn sie eben jetzt schon freigestellt würden. Jeder Einzelfall einer Entlassung mag einem leid tun. Aber wenn die Arbeit mittelfristig einfach nicht mehr da ist, ist es für alle Beteiligten besser, den so oder so notwendigen Schnitt frühzeitig zu vollziehen. 

Dauerhilfen werden zu Immerhilfen

Es scheint eben, dass da und dort der ordnungspolitische Kompass verloren ging. Krisen lassen sich nicht mit Geld eliminieren – vorübergehende Hilfen ausgenommen. Alles Weitere führt indessen zu planwirtschaftlichen Auswüchsen, denn es wird ungefragt ins Marktgeschehen eingegriffen. Dauerhilfen drohen zu Immerhilfen zu mutieren. Beispiel Swiss: deren Überleben am Markt in der derzeitigen Form ist unmöglich, aber dennoch wird aus vorgeschobenen Gründen der „Systemrelevanz“ erst mal durchfinanziert. Wetten, dass uns das Thema Swiss noch länger beschäftigen wird? Und noch teurer wird.

Weite Teile der Wirtschaft stehen unter Schutz

Der Ruf nach noch mehr Staat wird deutlich, nachdem gewisse Politiker jüngst einen Staatsfonds vorschlugen, welcher sich an systemrelevanten und serbelnden Unternehmen beteiligen sollte. Also nochmals ein Schritt in Richtung mehr Staatswirtschaft. Unsere Meinung hier ist klar: Staaten und deren Protagonisten sind schlechtere Manager als Unternehmen und deren Lenker – also soll der Staat die Finger davon lassen und seine Staatsquote möglichst tief halten!

Wir kennen das Resultat: unproduktiver Staatskapitalismus, nicht funktionierende planwirtschaftliche Auswüchse usw. Länder mit hohen Staatsquoten zeigen uns, wohin es nicht gehen sollte: Frankreich z.B., mit einer Staatsquote von stolzen 56%. La Grande Nation unterhält nicht nur Infrastrukturunternehmen wie die marode Air France oder die Electricité de France, sondern auch Rüstungs- und Kommunikationsunternehmen sowie zahlreiche Beteiligungen an Industrieunternehmen. So beispielsweise an Renault, in einem wohl wenig staatsverwandten Feld. Für die Staatsquote besonders schwer ins Gewicht fallen allerdings nicht nur die staatlichen Beteiligungen, sondern der staatliche Konsum, welcher sich nur mit jährlich höheren Schulden (und damit noch höheren Defiziten) finanzieren lässt. Frankreich bietet uns einen Ausblick, wohin die Reise eben nicht hingehen darf.

Corona als Brandbeschleuniger zur Erhöhung der Staatsquote

Die Coronakrise wird nun leider als Brandbeschleuniger für die Erhöhung der Staatsquoten wirken, denn die staatlichen Rettungs- und Unterstützungsmassnahmen werden in vielen Ländern den Staatsanteil am BIP in die Höhe treiben. Die Schweiz bleibt nicht verschont. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesrat künftig mehr Augenmass bei den Hilfeleistungen behält und auch das Parlament aufhört, das Füllhorn über nicht erhaltenswerten Branchen auszuschütten.

Fazit:

Die eingangs gestellte Frage muss leider mit JA beantwortet werden: Durch Missmanagement und Führungsschwäche schaden unsere Bundesregierung und insbesondere das BAG unserer Wirtschaft. Und durch Strukturerhaltung und massiven Schuldenaufbau schaden sie ein zweites Mal. Durch eine immer mehr dirigistische und planwirtschaftliche Wirtschaftspolitik – welche realistischerweise weiter abzusehen ist –  erleidet unsere soziale Marktwirtschaft nachhaltigen Schaden.

Das Parlament und der Bundesrat täten gut daran, sich nicht mit marktverzerrenden Geschenken zu überbieten, sondern flexiblere ordnungspolitische Leitplanken zu definieren – diese kurbeln die Wirtschaft nämlich erwiesenermassen nachhaltiger an. Und sie kosten erst noch nichts.

Neue Steuern braucht das Land

Oder eben nicht… ?

Die Pandemiekrise hat nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Staat Milliarden gekostet. In den Staatskassen rund um den Globus tun sich riesige Löcher auf; die Verschuldungen steigen überall stark an. Einsparungen allein werden hier nicht viel bringen – also wird über neue Steuern nachgedacht. Auch in der Schweiz. Doch: Ist das wirklich nötig? True Economics meint: Nein, es wäre gerade falsch. Mit ein paar wenigen Ausnahmen vielleicht…

Teure Krise

Das Pandemiejahr 2020 wird ein grosses Loch in die Bundeskasse reissen. Die Hochrechnungen sind noch vage, jedoch werden es am Ende des Jahres wohl gut 20 Milliarden sein, die fehlen. Die Schweizer Staatsverschuldung wird damit von bescheidenen 40% (je nach Rechnungsweise) des BIP auf schätzungsweise gegen 50% steigen. Dazu müssen die Defizite der Kantone und Gemeinden dazugerechnet werden – deren Kassenwarte stochern noch im Nebel.

Der konsolidierte Rechnungsabschluss des Unternehmens Schweiz wird erst im Laufe des ersten Semesters nächsten Jahres vorliegen. Insbesondere die verringerten Steuereinnahmen werden vielleicht noch ein paar negative Überraschungen bringen.

2021 wird nicht besser

Massive Unterstützungsmassnahmen des Staates werden auch im nächsten Jahr fortgeführt, und die verringerten Steuereinnahmen werden sich auch im 2021 fortpflanzen. Das Staatsdefizit wird also nochmals steigen, denn ein ausgeglichenes Ergebnis ist wohl frühestens im Jahre 2022 zu erwarten.

Andere Staaten sind Konkurs…

Verglichen mit anderen Staaten steht die Schweiz hervorragend da. Italien wird seine Staatsverschuldung auf gegen 160% hieven, Griechenland wird es vielleicht sogar schaffen, die 200er-Marke zu knacken. Spanien ist noch am Rechnen, da sieht es nach dem missglückten Lockdown in militanter Franco-Manier besonders düster aus. Frankreich und die USA lassen ihre aufgestauten Defizite auf deutlich über 100% hochschnellen, Deutschland von mustergültigen 60% wohl auf gegen 75%.

Einzelne EU-Staaten (wie Italien, Spanien und Griechenland) sind de facto bankrott – sie können sich nur noch mit EU-Hilfe refinanzieren. Doch Staatsbankrotte werden uns nächstens so oder so noch begleiten: Argentinien, Libanon, Ecuador, usw sind vermutlich nur die Vorboten… Länder wie Indien, Südafrika oder die Türkei sind auch auf dem Radar, sie werden sich wohl demnächst in die Arme des IMF schmeissen müssen.

Da erscheint unser Loch in der Bundeskasse geradezu als Gentleman-Delikt.

Wie saniert man einen Staat?

Die Frage ist natürlich eine rhetorische: Man saniert entweder mittels Einsparungen und/oder mittels mehr Steuereinnahmen. Kurzfristig wählen die meisten Staaten allerdings eher einen einfacheren, einen dritten Weg nämlich: Man saniert mit Vorliebe mittels erhöhter Schuldenaufnahme. Geld kostet ja nichts, und Schulden müssen vielleicht nie zurückbezahlt werden – so die Denke vieler Politiker und Regierungen heute.

Ein Staat sollte zur Sanierung natürlich auch die Wirtschaft ankurbeln. Das wäre längerfristig die eleganteste und intelligenteste Sanierungsmethode. Nur wird der Vorgang leider oft falsch verstanden. Anstatt sich von vielen administrativen und anderen Fesseln zu entledigen, die vor allem die Unternehmen beuteln, lanciert man z.B. in Deutschland in alter Keynesianischer Manier teure Konjunkturprogramme. Oder man versucht mit ebenso falsch verstandenen konjunkturpolitischen Methoden den Konsum anzukurbeln, indem beispielsweise die deutsche MwSt. während 6 Monaten um 2 bzw. 3% gesenkt wird. Natürlich hoffnungslos. True Economics hatte schon früher vorgerechnet: Der Becher Joghurt vergünstigt sich so (sofern die Steuer-Reduktion auch an die Konsumenten weitergegeben wird) um genau einen Cent. Natürlich ist dadurch zu befürchten, dass gleich alles leerverkauft wird…

Mittelfristig steigt der Steuerdruck

Mittelfristig wird der Steuerdruck mit Sicherheit wieder steigen. Die heutigen Hochrechnungen der Staaten schliessen nämlich den Umstand oft aus, dass das Steuersubstrat in den nächsten Jahren weiter schmelzen wird.

Wie in vielen anderen Ländern auch, können die Verlustvorträge der Firmen – in der Schweiz während den kommenden sieben Jahren – mit Gewinnen kompensiert werden. Ergo ist damit zu rechnen, dass auch in kommenden Jahren das Steuersubstrat reduziert wird. Denn die Höhe der Unternehmensverluste im 2020 und vermutlich auch 2021 sind noch nicht abzuschätzen, werden jedoch erheblich sein und noch während Jahren fiskalisch nachwirken.

Da der Staat es also nicht schafft zu sparen oder die Wirtschaft gescheit anzukurbeln, werden kurzfristig weiter Schulden aufgenommen. Geld wird vermutlich sogar verstärkt von den Zentralbanken mehr oder weniger direkt in den Staatshaushalt umgeleitet werden – ein gefährlicher Frevel. Das Fed und die EU machen es vor. Doch irgendwann wird Schluss sein mit lustig, hohe Inflationsraten könnten drohen.

Die MMT (Modern Monetary Theory) meint zwar, dass ein Staat gar nie richtig Konkurs gehen kann und dieser fast unbeschränkt Schulden aufnehmen und/oder Geld drucken kann. Diese Theorie ist Gift. Die Geschichte zeigt uns, wohin das führen kann. Und es gibt keinen Grund, dass die Geschichte jetzt plötzlich ausgehebelt wird und rund um den Globus 195 monetäre staatliche Perpetuum mobile entstehen könnten.

Steuern in der Krise zu erhöhen, ist kontraproduktiv. Dass der Staat neue Einkommen braucht, ist andererseits keine neue Erkenntnis, der Forderungen dafür gibt es deshalb viele. Somit ist es klar: Irgendwann brechen die Regierungen jeweils ein und die Steuern werden erhöht – auch im dümmsten Moment. Doch ist das die Lösung?

Die intelligente Sanierung scheitert – also doch Steuern?

Wir sind uns also einig: Die Staaten werden es kaum schaffen, ihre Einnahmen effizienter einzusetzen, Schulden können nicht ewig aufgenommen werden, und Einsparungen kriegen sie auch nicht richtig hin. Insbesondere in südlichen Ländern können die Steuern gar nicht umfassend eingetrieben werden, es blüht zudem die Schattenwirtschaft. Wo soll also angesetzt werden, um notfalls trotzdem neue Steuern einzutreiben zu können?

Wir werden darauf verzichten, nun die zum Teil haarsträubenden Steuerprobleme aller Staaten zu beleuchten. Konzentrieren wir uns im Folgenden auf die Schweiz.

  1. Einkommensteuern erhöhen?

Die effektive Steuerlast in der Schweiz ist im Vergleich zu vielen andern Staaten einigermassen moderat. Aber die Spitzensteuersätze in einzelnen Kantonen haben bereits Höhen erreicht, welche sich kontraproduktiv auswirken: Sie führen zu Abwanderungen. Und zwar nicht einfach in günstigere Kantone, sondern auch ins Ausland. An der Steuerschraube zu drehen, ist also gefährlich. Wenn aufgrund höherer Steuerlast keine direkte Abwanderung der Steuerzahler erfolgt, so wird zumindest die Einkommens-Abwanderung vermehrt mittels raffinierter Steuerkonstrukte erfolgen. Money talks, money walks.

Ein schönes Vorbild dafür ist Deutschland, die maximale Progression greift bereits ab 56‘000 Euro Jahreseinkommen. Kein Wunder, überlegen sich viele, gar nicht mehr zu verdienen und ziehen es vor, in der sozialen Hängematte zu liegen. Oder sie kommen ganz gerne zu uns in die Schweiz. Da lohnt sich das Geldverdienen noch einigermassen.

Unsere SP spielt mit dem Feuer, wenn sie mit der Idee kokettiert, eine „Reichensteuer“ für Einkommen ab CHF 300‘000 pro Jahr einzuführen. Leute mit solchen hohen Einkommen sind in der Regel in der Lage auszuweichen. François Hollande wollte 2013 eine Reichensteuer von 75% auf Einkommen von über einer Million Euro durchboxen. Die Steuer wurde nie eingeführt, vorsorglich hatten sich aber bereits hunderte von Topverdienern ins Ausland abgesetzt.

Also Hände weg vom Drehen an der Steuerschraube. Umverteilung im grossen Stil funktioniert nicht. Sie treibt Gutverdiener in die Flucht und fördert nur die Demotivation, mehr zu arbeiten, mehr Risiken einzugehen – und damit mehr zu verdienen.

2. Vermögenssteuer erhöhen?

Die SP möchte auch eine Vermögensabgabe auf ganz hohen Vermögen einführen. Die serbelnde Partei mit den altsozialistisch verbrämten Umverteilungsideen vergisst jedoch, dass es in ganz Europa – ja weltweit – kaum Vermögensteuern gibt. In Europa werden nur noch in Norwegen Vermögenssteuern erhoben, in Frankreich und Spanien gibt es Vermögenssteuern auf Immobilien. Sonst sind Vermögensteuern weltweit fast  tabu, auch in den USA gibt es keine. Nicht einmal in Deutschland!

Vermögenssteuern verhindern die Ansiedelung von Gutbetuchten und vertreiben reiche Schweizer – z.B. Besitzer von grossen Unternehmensteilen, für deren Werte, je nach Kanton, Vermögenssteuern erhoben werden, welche bisweilen sogar zu Zwangsverkäufen von solchen Unternehmensteilen führen können.

Vermögensteuern wirken oft kontraproduktiv. Eine Erhöhung würde das Gesamt-Steuersubstrat letztlich reduzieren. Eine paar teure Kantone bekommen dies schon seit Jahren zu spüren.

3. Einmalige Vermögensabgabe?

In der Folge der Finanzkrise hatte Christine Lagarde als IMF-Chefin die impertinente Idee lanciert, eine einmalige Vermögensabgabe von 10% auf allen Individualvermögen zugunsten der Staatshaushalte einzufordern. Wetten, dass die Juristin (sie ist keine Ökonomin) als heutige EZB-Chefin dieses Thema demnächst nochmals aufgreifen wird?

Thomas Piketty (nochmals ein etatistischer Franzose) wird als Starökonom zurzeit etwas gar gefeiert. Er mag in einigen Dingen recht haben: Es ist in der Tat stossend, dass die 1% Reichsten der Bevölkerung rund 50% besitzen. Die Schere ging in den letzten Jahren insbesondere in den USA weiter auseinander. Piketty fordert jedoch einen unrealistischen und radikalen Ausgleich von Vermögenswerten.

In der Schweiz hat sich die Vermögens-Schere nicht weiter aufgetan. Hoffen wir, dass dieser Kelch einer Vermögensabgabe an uns vorübergehen wird. Zumal die wahren Probleme der Staaten mit einer solchen Umverteilung gar nicht zu lösen wären – die propagierte „Wiedergutmachung zwecks Chancengleichheit“ bleibt ein abenteuerlicher Traum.

4. Kapitalertragssteuern erhöhen?

Kapitalerträge werden in der Schweiz bereits sehr hoch besteuert, sie unterliegen der normalen Steuerprogression – welche je nach Kanton bis zu 40% gehen kann. Selbst in Deutschland werden Kapitalerträge (etwa Dividenden) pauschal nur mit 25% besteuert.

Keine gute Idee also, hier anzusetzen.

5. Kapitalgewinnsteuern einführen?

Die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer wird von linker Seite immer wieder gefordert. Die meisten europäischen Staaten kennen sie. Dabei bleiben oft gleich zwei Punkte vergessen: Erstens ist die Erhebung und Administrierung einer solchen Steuer sehr aufwendig, zweitens haben wir in der Schweiz die Kapitalgewinnsteuer quasi mit unserer Vermögenssteuer substituiert. Zweimal auf Kapitalien abliefern geht nicht.

Also auch keine realistische Idee.

6. „Reichensteuer“ einführen?

Das Thema haben wir bereits unter Punkt 1 abgehandelt. „Reichensteuern“, „Reichtumssteuern“, „Milliardärssteuern“ – der Wunschbegriffe gibt es viele. Hoffentlich bleiben es Wünsche, denn deren Auswirkungen sind nur kontraproduktiv.

7. Erbschaftssteuern einführen und/oder erhöhen?

Die SP – schon wieder – forderte im Zuge der Pandemie-Finanzierung eine Steuer auf hohen Erbschaften. Vor Jahren hatte das Stimmvolk ein solches Begehren bereits abgelehnt. Schon damals jedoch wirkte nur schon die Abstimmungsinitiative als Brandbeschleuniger: Zahlreiche Vermögensteile wurden noch vor der Abstimmung verschoben.

Die Erbschaftssteuern sind kantonal sehr unterschiedlich und bewirken sogar Wohnortwechsel. Selbstredend auch global, nicht nur von einem Kanton in den andern.

Zu hohe Erbschaftssteuern führen nicht nur zur Abwanderung oder verhindern Zuzüge, sie fördern auch die Errichtung von Umgehungskonstrukten. (Kein Wunder, steckt ein Grossteil der Vermögen von britischen Bürgern in Trusts auf illustren Inseln, denn die Erbschaftssteuer von 40% für direkte Nachkommen ist in der Tat absurd.)

Auch Deutschland hat ein Problem mit seinen 19% Erbschaftssteuern für Ehepartner oder direkte Nachkommen. Auch wenn unter gewissen Auflagen Steuerreduktionen gewährt werden, können KMUs zum Teil nicht überleben, weil bei deren Übergabe die Nachkommen die hohen Steuern schlicht nicht aufbringen können.

In der Schweiz weist das Erbschaftsrecht ebenso Defizite auf und müsste dringend modernisiert werden: Zum Teil absurd hohe Steuern bis zu 50% für nicht-verwandte Begünstigte (z.B. auch für Lebenspartner) oder unnötig hohe Pflichtteile entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist.

Andererseits wäre es verträglich, eine minimale Erbschaftssteuer im einstelligen Bereich auch für direkte Nachkommen zu erheben. Eine solche Steuer würde den Staaten-Wettbewerb kaum verzerren und auch nicht zu Abwanderung führen. In den nächsten Jahren werden enorm hohe Milliardenbeträge der Babyboomer-Generation weitergegeben. Eine moderate Abgabe auf Bundesebene für direkte Nachkommen wäre in der Tat verträglich. True Economics – ansonsten eher der Steuerphobie verschrieben – könnte hier sogar einwilligen!

8. Sozialabgaben erhöhen?

Sozialversicherungen wie die Arbeitslosenkasse oder die AHV sind klamm. Die erste ist pandemiebedingt bald illiquid, die zweite aus demografischen und systemischen Gründen langfristig nicht mehr zahlungsfähig. Also bräuchte es mehr Abgaben oder Steuern? Eine Erhöhung der Sozialabgaben verringert allerdings die Wettbewerbsfähigkeit und schmerzt Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sehr direkt. Deshalb ist es zu bevorzugen, einerseits Systemanpassungen vorzunehmen, andererseits die Alimentierung dieser Sozialkassen eher aus dem Bundeshaushalt sicherzustellen. Die entsprechenden Steuereinnahmen dazu könnten – so diese tatsächlich zusätzlich notwendig werden, weil die Systemanpassung aus politischen Gründen nur mühsam greift – ziemlich elegant mittels Mehrwertsteuer finanziert werden (siehe Punkt 17, Mehrwertsteuer).

9. Immobiliensteuern erhöhen und/oder einführen?

Die SP denkt auch immer wieder darüber nach, neue Steuern auf Immobilien einzuführen – so z.B. für kommerzielle Immobilienanbieter. Ein solches Begehren gilt es klar abzuwenden, es führt auch hier zur Wettbewerbsbehinderungen und zu Kapitalverlagerungen. Es reicht schon, dass wir in der Schweiz unter dieser unsäglichen Eigenmietwertbesteuerung leiden – eine helvetische Sondersteuer notabene, die es fast nirgends gibt, nicht einmal in der germanischen Steuerhölle.

10. Firmensteuern erhöhen?

Der internationale Druck steigt, damit gewisse Mindeststeuern für Firmen eingeführt werden. Wir haben es in der Schweiz geschafft, diesem Druck etwas nachzugeben, indem wir dank klugen Reformen trotzdem ein attraktiver Steuerort geblieben sind. Kantone, die heute zu hohe Firmensteuersätze kennen, werden mittelfristig leider an Steuersubstrat verlieren. Sie werden es bereuen.

Die SP – schon  wieder – hat bereits laut über einen Pandemie-Zuschlag von 5% auf den Unternehmenssteuern nachgedacht. Ein sehr kurzsichtiger Plan natürlich. Die Firmensteuern dürfen wir auf keinen Fall erhöhen. Firmen haben kein soziales Umfeld, sie wandern deshalb noch schneller ab als Individuen.

11. „Pandemiesteuer“ einführen?

Eine besonders verquere Idee kam kürzlich auf: Die „Gewinner der Pandemie“ sollten  besteuert werden. Also Online-Anbieter und andere „digitale Profiteure“, auch Pharmafirmen, etc. – Firmen also, welche in der Krise Ausserordentliches geleistet haben.

Einsatz, Risikobereitschaft (und generell: unternehmerisches Denken) müssen auch in Zukunft weiterhin belohnt werden.

Abstruse Ideen wie „Pandemiesteuern“ müssen blitzartig beerdigt werden.

12. Energiesteuern erhöhen?

„Energiesteuern“ kennen wir schon heute. Sie sind zum Teil auch sinnvoll, sofern sie den Energieverbrauch tatsächlich nachhaltig reduzieren – und nicht nur staatliche Abschöpfung darstellen. Wichtig ist, dass solche Abgaben einfach und transparent erhoben werden, sodass damit auch edukative Effekte erzielt werden. „Energiezertifikate“ zum Beispiel begreift niemand, eine CO2-Abgabe schon eher. Die Abgabe auf einem Liter Heizöl oder Benzin oder auf einer Kilowattstunde Strom lässt sich erklären. Solche Steuern müssen jedoch international wettbewerbsfähig bleiben, Alleingänge können Schäden anrichten.

Tatsächlich könnte zum Beispiel überlegt werden, ob bei stark sinkenden Erdölpreisen nicht eine Teil-Abschöpfung durch den Staat erfolgen könnte. Es müsste dafür jedoch ein intelligentes Modell entwickelt werden, welches sich einfach umsetzen lässt und nicht sofort zu individuellen Ausweichmanövern führt.

13. Finanztransaktionssteuer einführen?

Eine solche Steuer hat sich als kaum umsetzbar erwiesen, auch nicht die Variante mit der „Mikrosteuer“: Die Administrierung solcher Abgaben ist zu aufwendig. Ausserdem können diese nur international erhoben werden, andernfalls sind sofortige Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen.

Hier lässt sich also nichts holen.

14. Online-Steuern einführen?

Online-Steuern sind schwierig zu erheben, die meisten Anbieter verfolgen heute den Ansatz der Omni-Channels – also den Verkauf sowohl online als auch über stationäre Kanäle, wobei der Warenbezug zum Teil in gemischter Form erfolgen kann. Den Online-Umsatz spezifisch besteuern zu können, ist damit eine Illusion.

Tatsache ist indessen, dass internationale Online-Anbieter kaum Steuern bezahlen – ein durchaus stossender Umstand. Mit zunehmendem Online-Anteil wird sich das Problem noch verschärfen, damit allerdings auch der internationale Wille, hier anzusetzen.

National lässt sich eine Online-Steuer nicht einführen. Frankreich kämpft gerade mit US-Retorsionsmassnahmen, weil La Grande Nation sich diesbezüglich in ein Minenfeld begeben hat.

Aus diesen Online-Töpfen wird man sich demnächst also nicht bedienen können.

15. Stempelabgaben und ähnliche Steuern erhöhen?

Solche Steuern sind nur im Rahmen eines Schutzes der guten internationalen Wettbewerbsfähigkeit sinnvoll. Also bräuchten wir in der Schweiz eher einen Abbau solcher Abgaben.

16. Negativverzinsung erhöhen?

Die Negativverzinsung ist eigentlich eine Art Steuer, und zwar eine ziemlich gemeine: Sie führt zu einer schleichenden Erosion des individuellen Vermögens, während der Staat – bzw. die Nationalbank – kassiert. In ihrer Wirkung also tatsächlich eine Fiskalabgabe. Allerdings keine sehr gute, sie führt zu Abwanderung von Vermögen, zu Immobilien- und anderen Spekulationsblasen und aufgrund der zinsbedingt erodierenden Renditen zu ungesicherten Renten. Junge Leute können mittels Sparen zudem kaum mehr Kapital anhäufen. Negativzinsen sind in ihrer Wirkung sehr unsozial, denn nur die grossen Kapitalbesitzer können mit klugen Investitionen ausweichen.

Wenn die eingesackten Negativzinsen der Nationalbank dann in den Staatshaushalt gekippt werden, ist der Fiskalvorgang abgeschlossen. Keine schöne Sache generell – und keine gute Idee, auf diesem Weg noch mehr einnehmen zu wollen.

17. Mehrwertsteuer erhöhen?

Die Mehrwertsteuer hat den Vorteil, dass sie ziemlich flächendeckend erhoben werden kann. Klamme Länder erhöhen diese Steuer in der Regel als erstes.

Aber Vorsicht: Steigt die MWST z.B. über 12%, wirkt sie plötzlich als Katalysator für die Schattenwirtschaft. Nicht umsonst ist diese sogar in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in der Schweiz  (schliesslich ist die MWST dort auch doppelt so hoch). Länder wie  Spanien (21%), Italien (22%) oder Griechenland (24%) haben diese Steuer bereits mehr als ausgereizt. Kein Wunder, grassiert hier die Schattenwirtschaft besonders stark. Bevor Griechenland dem Binnenmarkt beitrat, betrug die Steuer sogar 36% – wenig erstaunlich, dass sie selten abgeliefert wurde.

Insbesondere südliche Länder werden des öfteren von MWST-Betrügereien gebeutelt. Je höher die Steuer, desto höher liegt die Versuchung, doch lieber ein schnelles Bargeschäft ohne Rechnung und Quittung zu tätigen. Deshalb ist die aktuelle Idee von einigen verträumten spanischen Politikern, die MWST auf 30% zu erhöhen, wohl nicht sehr zielführend. Saudi Arabien verdreifachte jüngst die MWST über Nacht auf 15% – zu viel auf einmal natürlich, denn jetzt wird auf Teufel komm raus betrogen.

In der Tat könnte die Schweizer MWST durchaus erhöht werden. Gewisse Kreise betrachten dies allerdings als einen sehr unsozialen Plan. Rund 50% der Schweizer Steuerzahler liefern keine Bundessteuer ab, weil ihre Einkommen zu tief sind. Also sollte man diese Gruppe wohl auch weiter schonen – so die generelle Denke der Gegner von Mehrwertsteuern und deren Erhöhungen. An sich ein hehrer Gedanke. Nur: Eine moderate Erhöhung der MWST wäre kaum spürbar.

Der starke Franken und die einhergehende Deflation aufgrund günstigerer Importe führen mittelfristig wohl zu weiter sinkenden Preisen. Umso mehr wäre eine Erhöhung der MWST verträglich. Viele Produkte sind in der Schweiz massiv teurer als im Ausland. Beispiel Nivea, Pampers oder Waschmittel: Oft bezahlen wir das Doppelte oder Dreifache für gewisse Artikel. Die Abschöpfung findet dabei bereits beim Produzenten im Ausland statt. Eine MWST-Erhöhung würde also zum Teil wohl gar nicht weiterverrechnet, sie käme beim Konsumenten gar nicht an. Die Produzenten würden vermutlich auf einen kleinen Teil ihrer eh zu üppigen Margen verzichten.

Eine MWST-Erhöhung wäre nicht wettbewerbsverzerrend, mit dem rekordtiefen Schweizer Satz von heute 7.7% hätten wir noch viel Ausbaupotential. Wettbewerbsverzerrend sind eher die generell hohen Schweizer Preise. Wenn schon, müsste hier angesetzt werden!

In der Tat: Falls überhaupt Steuererhöhung, so könnte eine solche ziemlich schmerzfrei via Erhöhung des MWST-Satzes stattfinden. Könnte.

Steuererhöhungen? Wenig Ausbeute, aber ein bisschen schon.

Gouverner, c’est prévoir. Die wahren Staatsaufgaben sollten darin bestehen, den Staatsapparat effizient zu führen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Wirtschaftsaktivitäten zu fördern. (Abgesehen von den vielen andern Aufgaben aus den Bereichen Sicherheit oder Wohlfahrt zum Beispiel.)

Tatsächlich verbleiben nur wenige intelligente Steuerlösungen, so denn die Steuern doch erhöht werden müssten: Bei der MWST könnte man sich alimentieren, bei den Energiesteuern, allenfalls bei den Erbschaftssteuern.

Fazit:

Die Steuern müssen gar nicht erhöht werden. Und wenn, dann – notfalls! – höchstens in Teilbereichen wie bei der MWST, allenfalls bei Energie- oder den Erbschaftsteuern.

Die pandemiebedingten Budgetdefizite dürfen wir in der Schweiz vorerst getrost in der Bilanz stehen lassen, die Refinanzierung bleibt wohl auch längerfristig zinslos.

Ersparnisse im öffentlichen Haushalt sollten mittels mehr Effizienz beim staatlichen Konsum erreicht werden, nicht jedoch bei den staatlichen Investitionen (in die Infrastruktur z.B.). Steuererhöhungen jedoch – insbesondere in einer Wirtschaftskrise – sind alles andere als zielführend. 

Die Schweizer Landwirtschaft abschaffen…?

Oder: Warum uns der helvetische Agrarluxus pro Jahr 21 Milliarden kosten soll

Wenn man das teure Prinzip der helvetischen Landwirtschaft in Frage stellt, begibt man sich automatisch in ein besonders tückisches Minenfeld. Nun, tun wir‘s trotzdem! Unser Vorschlag also: Die derzeitige Landwirtschaft gehört abgeschafft. Sie kostet unsere Volkswirtschaft jährlich Milliarden und ist ineffizient. Mit dem Einsatz von fünf Franken erzielen wir einen Output von einem einzigen Franken. Hallelujah. Ein Anachronismus, der dringend durch ein zielorientierteres System ersetzt werden muss.

21 Milliarden für die Landwirtschaft

Soviel kostet uns laut Avenir Suisse die Schweizer Landwirtschaft: CHF Mia 20.7 pro Jahr. Ein wahrlich teurer Luxus. Zölle, nicht-tarifäre Importrestriktionen, Subventionen, Direktzahlungen, andere Beiträge, Vergünstigungen, eine aufgeblähte Verwaltung, Planwirtschaft, viele Folgekosten: So kommen in der Tat fast 21 Milliarden Schweizerfranken an direkten und indirekten Kosten zusammen.

Heute arbeiten nur noch 150‘000 Beschäftigte im Agrarsektor – auf Vollzeit umgerechnet sind es bescheidene 2.5% von 5.1 Mio Beschäftigten im Land. Es läppern sich schwindelerregende CHF 200‘000 pro Beschäftigten zusammen, sofern wir die Gesamtkosten tatsächlich auf die Belegschaft umrechnen.

Absurde Geldvernichtung

Noch absurder wird der Vergleich, wenn wir den BIP-Beitrag der Landwirtschaft (nämlich nur 0.6%) ins Verhältnis zu den 21 Milliarden Kosten setzen: Wir setzen also tatsächlich 21 Milliarden ein, um einen landwirtschaftlichen Output von rund 4 Milliarden zu erzielen!

Diesen Vergleich scheint bis heute noch niemand gewagt zu haben, True Economics tut es. Offenbar scheinen diese Zahlen einfach nicht sozialverträglich zu sein?

Tatsache ist, dass das staatliche Manna, das über der Landwirtschaft ausgeschüttet wird, sowohl unsere Staats-, also auch unsere Lebenshaltungskosten deutlich verteuert. Leider wird deshalb auch unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.

Warum unterstützen wir die Landwirtschaft mit diesen Unsummen?

Zusammenfassend sind – jetzt einmal ganz unwissenschaftlich, unpolitisch und nur gefühlt – insgesamt fünf Ziele für dieses groteske Tun auszumachen:

  1. Autonomie betreffend Nahrungsversorgung
  2. Die „Qualität“ der Lebensmittel muss gewährleistet werden
  3. Der Wunsch nach „Landschaftsgärtnern“
  4. Die Landwirtschaft muss als touristisches Juwel gepflegt werden
  5. Und überhaupt

Etliche Sünden in der Landwirtschaftspolitik

An irrwitzigen Beispielen mangelt es kaum. Beispiel Nummer 1: Der Tabakanbau im Tessin wird subventioniert und die Tabakimporteure dazu verdonnert, den mehr als mittelmässigen Schweizer Blend den in der Schweiz verkauften Tabakwaren zwangs-beizumischen. Gleichzeitig wird viel Geld für Anti-Raucherkampagnen eingesetzt, und die AHV darf von den Tabaksteuern profitieren.

Beispiel Nummer 2: Fast amüsant erscheinen die Beträge des Bundes für besonders intelligente Werbekampagnen zur Konsumsteigerung von Schweizer Fleisch (Betrag 2018: fünf Millionen CHF). Gleichzeitig investieren gewisse Bundesämter Geld für Aufklärungsarbeiten zur Reduktion des Fleischkonsums.

Beispiel Nummer 3:  Der Bund fördert den biologischen Anbau und die ökologisch saubere Tieraufzucht mit massiven Summen. Gleichzeitig reduziert er für die Bauern die Mehrwertsteuer auf (schädlichen) Pflanzenschutzmitteln.

Beispiel Nummer 4: Der Anbau von Zuckerrüben wird durch den Staat grosszügig gefördert – gleichzeitig laufen teure Kampagnen zur Reduktion des Zuckerkonsums.

Beispiel Nummer 5: Der Weinanbau wird ebenso kräftig gefördert, als ob beispielsweise die Fendant-Produktion im Wallis systemrelevant wäre (wobei anzumerken wäre, dass die Walliser den regelmässigen Konsum ihres mittelmässigen Weissweins tatsächlich als schützenswertes Kulturgut betrachten.) Wie dem auch sei, nebst der Produktionsförderung von Alkohol versucht der Staat gleichzeitig dessen Genuss einzudämmen – mit erheblichen Ausgaben.

Beispiel Nummer 6: Mit zum Teil absurd hohen Zöllen wird der Import von ausländischen Nahrungsmitteln zum Teil regelrecht abgewürgt. An Zöllen bringt dies verhältnismässig wenig ein, denn wenn Importe massiv unterbunden werden, fallen die Zölle gar nicht an. Der Trick mit den Zöllen erinnert uns an den unseligen deutschen Finanzminister Steinbrück, als er das Gleichnis der Kavallerie benutzte, die gar nicht erst ausreiten muss.

An allen Fronten sind also sowohl teure Förderungen, als auch teure Eindämmungen auszumachen. Die Logik würde es gebieten, auf beiden Seiten einfach massiv den Rotstift anzusetzen. 

Doch zurück zu den eingangs aufgeführten fünf landwirtschaftlichen Zielen:

Zu Argument 1: Autonomie

Während der Pandemiekrise wurden verschiedene Stimmen laut, welche mehr „Autonomie“ für unsere Nahrungsmittelbeschaffung forderten. Eigentlich forderten sie nur mehr Landwirtschaft. Ob sie wohl an eine Anbauschlacht wie im 2. Weltkrieg dachten? Vielleicht sollten also mehr grosse Anbauflächen bereitgestellt werden, um die Autonomie zu gewährleisten? Aber wo…? Es bräuchte nämlich eine ziemlich grosse Zahl von km2 für Getreide, Gemüse und Obst. Eine solche Autonomie wäre – theoretisch – nur realisierbar, wenn wir auf die flächenintensive Fleischproduktion verzichten und auf jedem freien m2 Kartoffeln anbauen würden.

Fakt ist nun mal, dass die „Graue Agrarfläche“ (die theoretische Anbaufläche, die wir für die Produktion unserer Lebensmittelimporte im Ausland beanspruchen) deutlich grösser ist als die eigene. Eine Autonomie wäre also unmöglich. Sie würde auch zu einem ökologischen Gau führen, die Ausbeutung der letzten Böden mit Einsatz von viel Wasser, Energie und nötigen Düngern und Pestiziden wäre ein Albtraum. Was wohl das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL dazu meint?

Die meisten Produktionsmittel der Bauern werden heute übrigens importiert. So zum Beispiel der überwiegende Teil der Futtermittel. Soviel also zur autonomen Versorgung.

Natürlich wird die „Systemrelevanz“ vorgeschoben, wenn es um den Schutz der Landwirtschaft geht. Die nicht realisierbare Autonomie und die heute einfach nicht mehr umkehrbare Abhängigkeit von ausländischen Produzenten für Saatgut, Produktionsmittel, Dünger, Mittel zur Schädlingsbekämpfung und letztlich fertigen Nahrungsmitteln muss einfach akzeptiert werden – alles andere ist blauäugig. Oder eben politisch motiviert.

Wir wären in der Schweiz nicht einmal mehr fähig, unser eigenes Bier zu brauen: Da wäre in der Tat Hopfen und Malz verloren (denn beide Produkte müssen fast zur Gänze importiert werden).

Die „Sicherung der Landesversorgung“ kann einzig gewährleistet werden, indem grössere  Pflichtlager gehalten werden und die Beschaffung im Ausland diversifiziert wird, um nicht in lokale Abhängigkeiten zu geraten.

Fazit: „Unsere“ Landwirtschaft gibt es schon lange nur noch partiell, die Autonomie ist eine Illusion.

Zu Argument 2: Qualität

Nur Schweizer Produkte garantieren für Qualität – so die vorherrschende Meinung an vielen Orten. Schweizer Fleisch zum Beispiel sei einfach per se besser. Unsere Produkte sind sauberer als die importierten, unsere Aufzucht tiergerechter. Es geht um den Bevölkerungsschutz – was soweit in Ordnung wäre. Qualität kann indessen nicht nur mit eigener Produktion erzielt werden, sondern auch mit Qualitätsnormen, welche für den Verkauf gelten. Wir wollen in der Tat keine Chlorhühner oder mit Antibiotika vollgepumpte Filets. Aber das lässt sich mit Deklarationspflichten und Qualitätsstandards beim Verkauf regeln. Dazu braucht es nicht einmal Importrestriktionen – eine politisch eh immer heikle Angelegenheit.

Fazit: Das Qualitätsargument ist nur ein vordergründiges.

Zu Argument 3: die Landschaftsgärtner

Es stimmt: Jemand muss die Wiesen mähen, die Wälder pflegen, die Bäume zurückschneiden. Aber dafür müssen nicht 200‘000 CHF pro Kopf ausgegeben werden. Flächenbeiträge für die Pflege der Landschaft würden nur einen Bruchteil kosten. „Landschaftsgärtner“ könnte doch ein angesehener Beruf sein! Beitragsempfänger könnten nicht nur Bauern oder grosse Landbesitzer sein – sondern auch Kooperationen oder andere pflegewillige Individuen oder Institutionen.

Fazit: Das Argument zieht einfach nicht, das Problem – so denn eines bestünde – lässt sich lösen.

Zu Argument 4: touristisches Juwel erhalten

Dieses Argument wird oft ins Feld geführt. Es lässt sich selbstredend kaum quantifizieren, und eigentlich könnte es in Argument 3 untergehen: Ja, ein gewisses landwirtschaftliches Image zu pflegen ist dem touristischen Gesamtbild der Schweiz sicher nicht abträglich. Aber wieviel darf dies kosten? Wir würden von einer Fraktion der Subventionssummen sprechen, wenn es nur darum ginge, für die Chinesen und Inder ein bisschen Heidi zu spielen. Schön adrett sollten die Wiesen aussehen, die Fassade des Bauernhofes müsste gepflegt sein, ein bisschen Vieh müsste rumstehen.

Fazit: Falls dieses Argument wirklich wichtig sein sollte, liessen sich Lösungen bestimmt günstiger finden.

Zu Argument 5: und überhaupt

Hier das vielleicht wichtigste Argument: Es geht ums Prinzip. „Wir müssen doch eine anständige Landwirtschaft haben“. „Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Pfeiler unserer helvetischen Demokratie“. „Für unsere Bauern sollten wir schon etwas tun.“ Dahinter stecken oft eine falsch verstandene Heimatliebe und die im Parlament über-repräsentierte Landwirtschaftsbranche. Deren Lobby ist stark und setzt sich im Bundeshaus meistens durch.

Zudem verursacht die Agrarbürokratie in jedem Kanton und beim Bund leider immense zusätzliche Kosten.

Oft geht es nur um Partikularinteressen oder um „Switzerland first“ – und Nostalgie. Vorgeschoben wird, wie so oft in letzter Zeit, die Systemrelevanz. 

Fazit: Mit Heimatliebe lässt es sich nicht rechtfertigen, 21 Milliarden auszugeben.

Gefährliche Suggestivfragen

Befragungen in der Bevölkerung resultieren in der Regel zugunsten der Landwirtschaft. Man kann einfach nicht gegen die Bauern sein… Sollte man nicht auch die Krokodile besser schützen? Wer möchte denn wirklich dagegen sein…?

Suggestivfragen führen oft zu einem wenig überraschendem JA, wenn nach „höherem Selbstversorgungsgrad“ geforscht wird. Würde man die Frage stellen, ob die Landwirtschaft CHF 200‘000 pro Beschäftigten kosten darf, so wäre die Antwort allerdings mit Sicherheit ein dickes NEIN.

Die Umweltschleuder Landwirtschaft

Oft geht vergessen, dass unser Agrarsektor einer der ganz grossen Energieverschwender ist. Zudem ein grosser Umweltverschmutzer: Schweizer Traktoren und alle landwirtschaftlichen Geräte zum Beispiel dürfen dreckig sein, sie sind von strengen Abgasnormen praktisch ausgenommen. Ein grosser Teil der Wasserverschmutzung geht auf den Einsatz von Pestiziden und der zum Teil massiven Düngung zurück.

Ineffiziente Betriebsgrössen führen ebenso zu einem teuren und wenig umweltverträglichen Einsatz von Produktionsmitteln, inklusive Energie. In einem eng besiedelten Raum wie der Schweiz wirkt sich das besonders nachteilig aus.

Gesalzene Rechnung

Wer bezahlt nun eigentlich diese 21 Milliarden? Einerseits der „Staat“ mit den vielen Subventionen. Den grössten Teil aber berappt der Konsument. Aber de facto eigentlich dieselben Subjekte: die Bürger.

Nebst den ziemlich gut messbaren Kosten an Beiträgen und Vergünstigungen für die Landwirtschaft gehen andere Kosten bei der wahren Kostenberechnung oft verloren. Die Importhindernisse für die meisten landwirtschaftlichen Produkte beispielsweise provozieren aufgrund der damit einhergehenden inländischen Preiserhöhungen einen ausufernden Einkaufstourismus im Ausland. Dieser führte nicht nur zu Verlusten an heimischem Agrarumsatz, sondern insgesamt zu einem rund 10-Milliardenverlust an generellem Einzelhandelsumsatz. Wenn das Schnitzel nur die Hälfte kostet im nahen Ausland, wird dieses Schnitzel eben zur Benchmark – und löst generell eine Schoppingwut ennet der Grenze aus. Ein Lehrstück, wie man sich selber schaden kann. Man kauft nebst dem Schnitzel nämlich auch gleich andere Konsumgüter, für welche man die Unbill mit der Fahrt über die Grenze eigentlich gar nicht in Kauf genommen hätte. Eine typische negative Rückkoppelung, welche meistens dann eintritt, wenn das Big Picture verloren geht. Planwirtschaft geht eben oft ins Auge. So wird der von einer breiten Schicht vertretene aktive Protektionismus mit dem derzeitigen Agrar-Regime tatsächlich zum Schuss ins eigene Bein.

Unsere Landwirtschaft konnte bereits zwei wichtige Freihandelsabkommen (USA und Mercosur) bodigen oder einbremsen. Sie scheiterten in der Tat an der Agrarlobby. Die Landwirtschaft produziert also auch Kollateralschäden, welche in den 21 Milliarden noch gar nicht eingerechnet sind.

Schweizer Landwirtschaftsprodukte als Exportschlager?

Nur zu oft wurde die Strategie kolportiert, landwirtschaftliche Spezialitäten zu produzieren, welche auch exportfähig sind. Käse, Milch, geräucherte gastronomische Preziosen, und so weiter. Ja, Skalenerträge sollten her: Wenn wir nur genügend Volumen hinkriegen, könnten wir günstiger produzieren. Also Export.

Ein hehrer Anspruch. Aber warum sollte dies der Staat fördern? Er könnte ebenso eine heimische und exportfähige Automobilproduktion fördern. Es darf nun einmal nicht am Staat sein, solche Aufgaben zu übernehmen. Wenn sich Schweizer Bauern auf einzelne Spezialitätenprodukte konzentrieren, welche sich im Ausland tatsächlich absetzen lassen, ist das erfreulich. Aber der Bürger sollte dafür nicht bezahlen müssen. Wieso auch sollten wir einen Käse subventionieren, der schliesslich in Shanghai verkauft wird?

Die wahren Export-Champions für Nahrungsmittel sind so oder so die Industrien: Nestlé zum Beispiel ist zum weltweit grössten Exporteur von Kaffee aufgestiegen. Aus der Schweiz raus, ohne eigenen Kaffeeanbau – und ohne Subventionen.

Vergessen wir also die Exportförderung von Nahrungsmitteln. Ein kleinflächiges Land mit atomisierten Anbauflächen, nur mittlerem sonnigem Klima und hohen Löhnen kann nun einmal nicht mithalten im Agrar-Weltmarkt. Ausser eben mit ein paar Nischenprodukten.

Die Lösung?

Ein Umbau der helvetischen Landwirtschaft müsste umfassend angegangen werden. Nachfolgend ein 5-Punkte-Programm, welches mit gewissen Übergangsfristen realisiert werden könnte:

  1. „Autonomie“ mittels eigener Landwirtschaft ist in der Schweiz gar nicht möglich – also müssen wir uns davon verabschieden. Alternativ müssen die Pflichtlager erhöht werden, damit auch der Versorgungsgrad verbessert wird. Pflichtlager können der Bund selber, Importeure oder der Grosshandel halten. Auch die Industrie musste aktuell lernen, mehr Redundanz in der Versorgung zu erzielen. Strengste „Just in time“-Prinzipien sind krisenanfällig – das hat sich gerade aktuell gezeigt. Das gilt auch für die staatliche Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung.
  2. Die meisten Subventionen müssen massiv reduziert werden. Auch alle Direktzahlungen, Zölle und alle anderen protektionistischen Hilfen sollten massiv abgebaut werden. Der bescheidene BIP-Beitrag von 0.6% würde sich vielleicht noch weiter verringern. Auch würden weitere Bauernhöfe eingehen, die heimische Fleischproduktion würde sich reduzieren. Natürlich würde der Bauernstand leiden – ganz klar. Das wäre zwar bedauerlich, wäre indessen mit gewissen Übergangsfristen zu verantworten. Und wir würden Milliarden sparen.
  3. Die Qualität der Lebensmittel muss durch Normen auf Grosshandels- und Einzelhandelsstufe sichergestellt werden. Inhaltsstoffe, Produktionsmethoden, etc.  können (wie heute schon) vorgeschrieben werden – nur würden diese künftig für alle gelten, nämlich auf der Stufe der Verteilung kurz vor dem Verzehr – und nicht ab der Grenze. Die ausländischen Produkte werden heute nämlich oft genauer beurteilt als die einheimischen oder via zahlreiche „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ benachteiligt.
  4. Die Schweizer Landwirtschaft soll sich auf biologisch hochwertige Produkte konzentrieren und dafür Bewirtschaftungsbeiträge pro Hektare erhalten. Keine neuen Staatsangestellten sollten geschaffen werden, sondern effiziente kleine Unternehmen. Diese müssten sich vermehrt auf den lokalen Direktvertrieb konzentrieren. Wenn Handelsstufen umgangen werden können, ergeben sich auch andere Margen, und die höheren Produktionskosten fallen weniger ins Gewicht. Regional, klein und fein: innovative Biobauern. Es würde sich lohnen, wenn allenfalls sogar der Bund hier Institutionen unterstützt, welche Marketing und Vertrieb dieser Betriebe mit Nischencharakter professionalisieren. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist heute schon bereit, für regionale und ökologisch überzeugende Produkte etwas mehr auszugeben. Gleichzeitig müssen wir uns von den klassischen Bauernbetrieben verabschieden, welche nur teuer, aber wenig ökologisch und den ausländischen Produzenten qualitativ kaum überlegen sind.
  5. Für die Pflege der Landschaft braucht es ein neues Konzept – das der Landschaftsgärtner. Wie immer auch ein solches Programm ausfallen könnte: Im Vergleich zu heute würde es nur einen Bruchteil der bisherigen Kosten verursachen.

Und was machen wir dann mit dem eingesparten Geld?

Wenn es uns gelingt, mit dem Grossteil der eingesparten Milliarden Steuern zu senken, Schulden abzubauen oder mehr in sinnvolle und zukunftsgerichtete Projekte zu investieren, können wir nur gewinnen. Und wenn sich gleichzeitig die Nahrungsmittel in der Schweiz deutlich verbilligen, sinken unsere Lebenshaltungskosten und unser Preis-/Lohngefüge wird wettbewerbsfähiger. So könnten wir sogar doppelt gewinnen.

Fazit:

Die Pandemiekrise konnten wir nicht wegen unserer tollen Landwirtschaft meistern. Die Versorgung blieb fast immer lückenlos gewährleistet – dank den logistisch hervorragend aufgestellten Detailhändlern, welche sich zum grossen Teil auch im Ausland eindecken. Das Argument der „Autonomie“ oder der „Systemrelevanz“ wird überstrapaziert. Der Staat und die Konsumenten könnten mit einem Umbau der Landwirtschaft immense Summen sparen. Für die Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und der Lebensmittel-Qualität gibt es Lösungen, auch für die nötige Pflege der Landschaft.

Unsere kleine offene Volkswirtschaft könnte mit einem klaren Paradigmawechsel nur Vorteile erzielen, denn mit dem Abbau von Zöllen und anderen protektionistischen Winkelzügen stünde unser Land besser da. Vermehrt wären Freihandelsabkommen möglich, und die Effizienz in Beschaffung und Produktion könnte sich erhöhen.

Es gäbe ganz wenige Verlierer – aber viele Gewinner. Wann wohl diese politische Reife einkehren wird?

Die Globalisierung wird nicht abnehmen, sondern zunehmen!

Oder was passiert, wenn China amerikanische Firmen klaut?

Schliesslich sei die Globalisierung an der wirtschaftlichen Misere schuld, welche die Pandemie hervorgerufen hat. In der Tat ist es offensichtlich, wie plötzlich unterbrochene Lieferketten zu punktuellen Engpässen führen konnten. Medikamente wurden knapp, medizinische Ausrüstungen fehlten. Auch im Supermarkt fehlten vorübergehend ein paar Artikel. „Das hat man nun von der Globalisierung.“ Die Pandemie wird zu einem Abgesang auf die Globalisierung führen, Industrien werden heimgeholt. Autonomie ist jetzt angesagt. Soweit viele Stimmen. Alles falsch: Es wird das Gegenteil eintreten, die Globalisierung wird weiter zunehmen! Und wer sich ihr entgegenstellt, wird verlieren.

Der nationale Egoismus nimmt zu

Zur offensichtlich gewordenen, grossen internationalen Abhängigkeit kommt hinzu, dass sich einzelne Staaten in der Krise plötzlich ziemlich egoistisch verhalten: Sie klauen einander Masken, horten Medikamente, kaufen sich bei Impfstofffirmen mit exklusiven Belieferungsverträgen ein. Die Grenzen werden ohne Absprache geschlossen, Risikogebiete zum Teil willkürlich definiert und Quarantänen ohne Absprache und Koordination verhängt. Die Stimmen werden lauter, dass die Globalisierung nun vielleicht Geschichte sein könnte. Wirklich…?

Globalisierungsgegner auf dem Holzweg

Schon vorher gab es (zumeist etwas verklärte) Globalisierungsgegner. Oder die Verschwörungstheoretiker, die eine Weltregierung aufziehen sahen – also sollte die Globalisierung raschmöglichst gestoppt werden. Leider lässt sich die fortschreitende Digitalisierung indessen nicht aufhalten, die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten, die Onlinesysteme, welche den ganzen Globus plötzlich zum persönlichen Supermarkt und Informationszentrum machen. Die fortschreitende Vernetzung lässt sich nun mal nicht per Dekret, Wunsch oder Überzeugung stoppen. Paradoxerweise legt die Corona-Krise die Globalisierung nicht nur offen und macht sie sichtbarer, sondern wird sie auch fördern: Die Abstimmung der einzelnen Staaten aufeinander wird zwangsmässig eher zunehmen, Forschung und Entwicklung von Impfstoffen werden globaler aufgestellt, der Informationsaustausch zwangsmässig ebenso intensiviert. Einzelne egoistisch-nationale Aktivitäten werden das nicht stoppen können.

Das zum Teil kollektive Versagen in der Pandemiebekämpfung und die – vielleicht erst später – einzugestehenden Fehler werden die Globalisierung ebenso eher fördern. Die Pandemiekrise ist nun einmal ein Weltthema.

Globalisierung ist zum Teil technologiegetrieben

Die technologische Entwicklung der einzelnen Branchen und Gesellschaften wird ebenso wenig aufzuhalten sein wie deren globale Verbreitung. Damit wird der Austausch von Information und Wissen beschleunigt und so auch Wertschöpfungs- und Lieferketten noch stärker globalisiert. Auch die Verzahnung der Finanzsysteme wird durch diesen Austausch weltweit gefördert. Diese selbstlaufenden Tendenzen lassen sich genau so wenig aufhalten wie einen Tsunami. 

Die Einwegmentalität bröckelt

Zwar steigt das Nachhaltigkeitsdenken (zumindest in einigen reifen Volkswirtschaften), welche gewisse wenig sinnvolle Globalisierungsexzesse berechtigterweise in Frage stellen. Trotz aller Wegwerfmentalität wird sich damit, zumindest in diesen sozialen Umfeldern, längerfristig vermehrt Qualität durchsetzen. Diese wird sich verbessern, je mehr Anbieter auf den Plan kommen. Es muss in der Tat nicht alles made in China sein. Auch made in Vietnam oder made in Malaysia kann weiterhelfen – für die Qualität, für die Auswahl, zur Reduktion der Abhängigkeit. Der Markt wird die Globalisierung damit jedoch nicht behindern, sondern eher fördern.

Wenn China richtigerweise in der Kritik steht betreffend seiner Zivilrechtsordnung sowie seinem globalen Umgang mit den „Intellectual Properties“ und nun handelspolitisch von den USA ausgebremst werden soll, wird das die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt nur anspornen, noch besser zu werden. Wer war übrigens fähig, binnen Wochen eine weltweite Maskenproduktion in Milliardenhöhe hochzufahren? China. Ob die Firma Flawa in der Schweiz wohl inzwischen die Maschinen (aus China übrigens) für die Maskenproduktion angeworfen hat?

Ist die EU nur etwas „Geografisches“?

Der „coronitte“ Digitalisierungsschub hat alles näher gebracht. Die globale Kommunikation wird selbstverständlicher. Damit wird nicht nur der Austausch von Information gefördert, sondern auch der Austausch von Waren und Dienstleistungen. Die Lieferketten vernetzen sich so nur noch mehr.

Doch da funkte einiges dazwischen in der Krise: Der mangelnde Zusammenhalt in der EU zum Beispiel. Dieser war ziemlich offenkundig. Sehr plakativ erscheinen im Moment die gegenseitig und unkoordiniert verhängten Reise- und Quarantänebestimmung, welche zum Beispiel den Schengenraum als inexistent erscheinen lassen. Mit Verwunderung beobachten wir das alles. Ebenso wundern wir uns heute, dass die Infizierten und Toten der EU nie zu einem Total in der EU zusammengezählt wurden – ein durchaus symptomatischer Vorgang. Offenbar gibt es „Europa“ also gar nicht, und bleibt denn dieses Europa letztlich nur etwas Geografisches? Sollte gerade dieses nationalistische Verhalten ein Zeichen der Entflechtung reflektieren und damit den Abgesang auf die Globalisierung einläuten? Nein, das wäre ein Trugschluss. Selbst ein Auseinanderbrechen der EU hätte nichts mit „Entglobalisierung“ zu tun. Denn ein allfälliges Auseinandergehen würde letztendlich den Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Informationen wenig hemmen. Die damit einhergehenden Egalisierungseffekte zwischen den Staaten würden grösstenteils bleiben, ungeachtet vieler politischer und sozialer Risse – zumal viele technologiegetrieben und damit nicht aufzuhalten sind. Mehr Föderalismus fördert in der Regel auch den Wettbewerb und die Effizienz. Eines der besten Beispiele dafür ist der kantonale Steuerwettbewerb in der Schweiz.

Verlierer: die USA

Wenn sich die USA mit ihrem nicht sehr erfolgreichen Handelskrieg gegen China und einer verstärkten „America first“-Attitüde weiterhin profilieren wollen, so werden sie damit langfristig nur verlieren. Und alle andern ebenso, die sich vergleichbar abzukapseln versuchen.

Ein neues Konfliktzeitalter ist mit dem Fall TikTok angebrochen: Die Zwangsveräusserung der chinesischen Tochtergesellschaft an einen amerikanischen Konzern stellt staatliches Raubrittertum dar. In dieser Grössenordnung fand ein solcher Vorgang zum letzten Mal in Venezuela statt, als Hugo Chavez die Ölindustrie verstaatlichte. Auch dies ist – etwas sarkastisch – eben Globalisierung: Man klaut sich global Firmen zusammen. Dass Blackrock und andere Finanz-Heuschrecken ziemlich unverfroren und global agieren, muss in einer einigermassen freien und marktwirtschaftlichen Welt hingenommen werden. Dass jedoch die grösste Volkswirtschaft der Welt, welche persönliche und unternehmerische Freiheit auf ihr Banner schreibt, ausländisch dominierte Firmen unter dem Vorwand des Datenschutzes annektiert, ist ein starkes Stück. Was wohl die mögliche neue Eignerin Microsoft, dieser etwas behäbig gewordene Bürosoftware-Konzern, mit den Daten der jungen Nutzer machen wird? Nun, Microsoft wird sie nutzen… Dies entspricht letztlich nichts anderem als dem Geschäftsmodell von TikTok: nämlich aufgrund der Nutzerprofile Algorithmen entwerfen, welche anschliessend Nutzerangebote vorschlagen und passende Werbung platzieren. Microsoft würde alle Nutzerdaten also fein säuberlich speichern und verwenden, wo immer es geht – mit dem Einverständnis der Nutzer gar. Diesen ist es so oder so ziemlich egal, was mit ihren Daten passiert. Was der chinesische Staat (nicht nur die Firma TikTok) wohl mit den Daten gemacht hätte, hätte er tatsächlich Zugriff darauf? Wohl dasselbe: nutzen? Aber wie und wofür? Es herrscht doch etwas Erklärungsbedarf.

Was passiert, wenn China amerikanische Firmen klaut?

Man stelle sich vor, die chinesische Regierung erpresst einen amerikanischen Konzern, um dessen chinesische Tochterfirma in Shanghai (welche einen mehrfachen Milliardenwert darstellt) an einen chinesischen Konzern zu verkaufen. Wenn nicht, so binnen fünf Wochen, würde die Firma geschlossen. Donald Trump würde in einem solchen Erpressungsfall wohl ziemlich überstürzt die amerikanische Botschaft in Peking schliessen und einen Flugzeugträger losschicken. Genau dies tut er jedoch selber mit den chinesischen Eigentümern von TikTok.

Die wahre Qualität dieses Firmenklaus von TikTok wurde jedoch erst augenscheinlich, als der amerikanische Präsident eine fette Kommission von Microsoft für diesem inflagranten Deal einforderte, so dieser zustande kommen sollte.

Das „Nachhauseholen“ von Industrien könnte nun vordergründig als Zeichen der globalen Entflechtung interpretiert werden. Die Stigmatisierung von Huawei geht z.B. in dieselbe Richtung. Es handelt sich meistens um Einzelmassnahmen, insbesondere der amerikanischen Administration. Vorgeschoben werden (berechtigte oder unberechtigte) Vorwürfe der Datenspionage; tatsächlich geht es indessen vorab um „America first“ – also um blanken Protektionismus zugunsten der einheimischen Industrie.

Es gibt genügend Anschauungsunterricht, wohin Protektionismus schliesslich führt: letztlich immer zu Ineffizienz, zu technologischem Rückschritt und am Ende zu einer reduzierten Wettbewerbsfähigkeit. Offene Volkswirtschaften waren schon immer erfolgreicher – das lehren uns nicht nur die meisten Ökonomen, sondern das lehrt uns auch die Geschichte. Wenn die USA nun vermehrt auf Protektionismus setzen, werden sie aus diesem Spiel als Verlierer hervorgehen.

Diesen einzelnen „Entglobalisierungs-Erscheinungen“ steht ein Übermass an nicht aufhaltbaren Globalisierungsfortschritten gegenüber. Einzelne nationalistische Tendenzen fallen also nicht sehr ins Gewicht.

Keine Erdbeeren mehr…?

Einzelne Regierungen können die weiteren Globalisierungsschritte nicht aufhalten. Es ist so, wie wenn man einen Markt steuern wollte – das funktioniert selten. Die Marktteilnehmer möchten die Globalisierung nämlich nicht stoppen. Im Gegenteil, sie tragen täglich entweder mit ihrem Konsum oder als Produzent oder Dienstleister dazu bei. Die Globalisierung ist nun einmal an einem „Point of no return“.

Alle national verbrämten Ideen, „die Industrien zurückzuholen“, sind eine Illusion. Davon träumen vielleicht ein paar populistische Politiker, nicht aber Unternehmer. Übrigens, damit wir es nicht vergessen: Erfolgreiche Unternehmen werden fast ausnahmslos von Unternehmern und nicht von Staaten geführt!

Wenn Renault nun fünf Mia Euro vom Staat erhält, um sich fit zu trimmen, wird dies wohl kaum funktionieren. Produktionen und die Teile- und Knowhow-Beschaffung sollen nach Frankreich repatriiert wird. „Rénationalisation“ oder „réindustrialisation“? Bonne chance.

Natürlich kann jedes Individuum zur weltweiten Ökobilanz im positiven Sinne betragen, wenn wir im Supermarkt im Winter keine Erdbeeren aus Südafrika kaufen oder darauf verzichten, bei Alibaba in China ein Paar Turnschuhe zu bestellen. Selbst eine ansehnliche Summe solcher westlichen vernünftigen Einzelentscheide wird die fortschreitende Vernetzung der globalen Lieferketten jedoch nicht stoppen. Wenn Granitfliesen aus China in unserem Hof verlegt werden, ist das wohl wenig sinnvoll. Wenn die Transportkosten energiebedingt längerfristig jedoch steigen, wird sich das Problem vielleicht von selbst lösen – aufhalten können wir diese zum Teil irrwitzigen Beschaffungswege jedoch kaum.

Alle zum Teil gut gemeinten subjektiven vernünftigen Verhaltensmuster und Handlungen oder einzelne verquere politische Nationalisierungsentscheide sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein, um die Globalisierung zu verzögern. Globalisierung kann nicht gestoppt werden.

Die Pandemie ist letztlich ein Brandbeschleuniger der Globalisierung

Die Pandemiekrise zeigt, dass man diese Krise nicht national lösen kann. Abschottung wird uns nämlich weder die medizinischen Ausrüstungen, noch Medikamente, noch Impfstoffe oder einen ungehinderten wissenschaftliche Zugang garantieren. Eigentlich hat uns Cocid-19 nicht nur de facto, sondern auch psychologisch mehr Internationalität gebracht: Die ganze Welt war plötzlich in unserem Wohnzimmer zu Gast.

Auch aus Sicht der Firmen wurde die globale Vernetzung gefördert: Lieferengpässe und unterbrochene Lieferketten mussten blitzartig behoben werden. Man lernte – und zwar sehr rasch.

Natürlich lernte man auch, wie ohnmächtig abhängig wir sind von diesen perfekt getakteten Just-in-time-Lieferungen, diesen fein austarierten Netzen aus globalen Anlieferungen.

Die Konsequenzen heute sind klar: mehr Redundanz. Das heisst allerdings, eben nicht nur auf Eigenproduktion abstellen, sondern die Beschaffung diversifizieren. Das bedeutet Ausweichen auf möglichst unabhängige Märkte – auf globaler Basis.

Primär- und Zwischenprodukte, aber auch Dienstleistungen (wie z.B. Software) dürfen eben nicht nur von einem einzigen Ort bezogen werden – an sich eine Binsenwahrheit. Es brauchte wohl diese Pandemie-Krise, um die Klumpenrisiken sichtbar zu machen. Die künftigen multiplen Absicherungen werden etwas Geld kosten, jedoch die internationale Vernetzung nur fördern!

Die singuläre Abhängigkeit von sich selbst wäre nicht sehr intelligent

Abgesehen von einzelnen protektionistischen Spielen à la Trump werden längerfristig die Handelsschranken zwischen den Staaten eher abgebaut werden. Der Druck der Industrie auf die Politik wird steigen, die weltweiten Beschaffungsströme möglichst ungehindert fliessen zu lassen. Güter durchlaufen während ihren Entstehungsprozessen bekanntlich oft mehrmals die Länder, quer durch die Welt. Im Zuge der künftigen diversifizierten Beschaffung wird sich dies noch verstärken. Der Abbau von Handelsschranken – und auf einer globalen Basis wird dies kommen, trotz punktueller Handelstreitigkeiten –  wird die Versorgungssicherheit der Industrie nur verbessern. Das gilt übrigens auch für die Landwirtschaft, bzw. die Versorgungssicherheit eines Staates mit Nahrungsmitteln. Gouverner c’est prévoir: Dazu gehört auch die Sicherstellung einer gewissen Autonomie – welche sich mit nationalistischen Manövern gerade nicht erzielen lässt. Die singuläre Abhängigkeit von sich selbst ist nun einmal nicht sehr intelligent, eine breite Aufstellung bringt mehr Sicherheit.

Renationalisierungen und der Abbau der Globalisierung sind einfach zu teuer. Ein paar Politiker möchten diese zwar herbeireden – aber realistisch sind sie nicht. Und wer sollte diese Massnahmen denn, falls tatsächlich in Angriff genommen, bezahlen? Der Staat? Wohl kaum. Das „System“? Der „Markt“? Eine Illusion.

Die Globalisierung wird also fortschreiten. Das können auch ein paar Handelskriege nicht bremsen, denn Handel ist nicht gleich Globalisierung. Die Globalisierung hat uns – trotz ein paar negativen Nebeneffekten – Wohlstand gebracht. Wer sich der Globalisierung in den Weg stellt, kann nur verlieren.

Management von grossen Krisen in einer Volkswirtschaft

Teil 3: Der Bundesrat ist nicht mehr zuständig!

13. Februar 2025:

Bundespräsident Parmelin lädt in den Situation Room. Eigentlich war es das übliche Bundesratszimmer, aber gefühlt war es heute ein wichtiger real-time Setup. Der neueste Bericht der WHO wurde nämlich an die getäferte Wand projiziert. Der frisch gebackene WHO Präsident, Hans-Ruedi Gutzwyler, liess offenbar nichts anbrennen: Covid-25 war erst vor 11 Tagen in Myanmar ausgebrochen, ein ca. dreimal so gefährliches Virus wie Covid-19. Übertragung Fledermaus-Wildschwein-Schwein-Mensch. Ein Klassiker. Das Virus verbreitete sich rasend schnell; eine neue Pandemie-Gefahr wurde nun sofort und frühzeitig ausgerufen. Es blieb kurz ruhig im Bundesratszimmer, alle blickten immer noch konsterniert auf den WHO-Bericht.

„Merde, pas de nouveau!“, entfuhr es Parmelin. Als früherer Winzer dachte er sofort an die Weinproduktion in seiner Heimatregion. «J‘éspère qu’il ne faut par fermer les restaurants.“

Sommaruga meinte lakonisch, man könnte die Restaurants ja draussen offen lassen. Sie schaute zum Fenster hinaus: Es schneite. In Gedanken war sie jedoch bereits im Homeoffice am Klavierspielen. Bundesrat Berset richtete sich im Sessel auf und vermeldete staatsmännisch: „Isch werde alle Schweizer zurückolen, aus allen Ländern, je vais m’en occuper“. Seit 2023 führte er das Aussendepartement; Bundesrat Cassis hingegen erhielt von Berset zur gleichen Zeit das Departement des Inneren. Denn 2023, nach allen Corona-Aufräumarbeiten, geriet der einstige Corona-Star Berset unter Druck. Nicht alles war gut gelaufen im BAG. Vorbereitungsmängel, Kommunikationsmängel, Führungsmängel. Deshalb der Switch mit Cassis, zumal sich der Mediziner eh wohler fühlte in der Nähe des BAG. Karin Keller-Suter war nicht an der Sitzung, sie weilte am grossen Hooligan-Prozess in Genf.

Tony Epper, der neue stramme und hemdsärmelige Finanzminister, warf ein: „Das wird wieder sau-teuer“. Und Bundesrätin Viola Amherd, gegen ihren Willen immer noch Verteidigungsministerin, meinte: „Isch güet, iise Truppe si bereit“. „Es ischt nischt an dir zu dezidieren, chère Viola, on a changé de méthode!“, unterbrach sie Parmelin mahnend. Parmelin war nun schon seit mehreren Jahren Bundespräsident und versuchte seither, mit eher mässigem Erfolg, den Lead zu übernehmen. Der jährliche Chef-Wechsel im Bundesrats-Gremium hatte sich während den letzten Krisen nicht bewährt. Aber auch als Bundespräsident war er nun für das kommende Krisenmanagement nicht mehr zuständig. Deshalb blieb die Stimmung an der Bundesratssitzung ganz entspannt. Der Bundesrat konnte das Krisenmanagement nämlich ganz elegant an den neuen integralen Krisenstab abgeben. Den sieben Magistraten oblag nur noch eine Kontrollpflicht. Die Neuerung wurde 2023 beschlossen: Nachdem die Corona-Krise erst im Sommer 2023 gebannt war (dann war endlich genügend Impfstoff vorhanden), musste man leider auf viele Fehlleistungen zurückblicken. Man kam zur Erkenntnis, dass künftig nur ein professioneller Krisenstab eine Katastrophe dieses Ausmasses meistern kann.

Sämtliche bisher für Krisen verantwortliche Behörden, Ämter, Stäbe und Task Forces wurden in der Folge zusammengelegt. Armee, Zivilschutz und Bevölkerungsschutz bildeten nun eine Einheit unter der Führung eines permanenten Krisenstabes.

„J’donne un coup d’fil à Ronny Zumstein, si vous êtes d’accord », meinte Parmelin. Alle nickten. Damit sollte Ronny Zumstein, zurzeit Chef des Krisenstabs, die Führung des umfassenden Katastrophen-Managements übernehmen. Zumstein, Mitte 40, war führungserfahren, mehrsprachig, kommunikationsfest, unpolitisch. Seine jährliche Entschädigung war der eines Bundesrates gleichgestellt. Sein Stab umfasste Mitglieder aus allen möglichen Bereichen und Disziplinen. Natürlich war auch ein Epidemiologe dabei, aber ebenso Wirtschaftsvertreter, Koordinatoren für die Kantone, Gemeinden und Behörden, Armeevertreter, Psychologen, Strategen, Cyberspezialisten. Das Team war eingespielt; in den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Krisenübungen absolviert, von Hochwasserkatastrophen über Terrorangriffe bis zu neuen Pandemien. Die Leute waren quasi von Berufs wegen Krisenmanager – und Ronny Zumstein führte sie.

Top-down Führung einfach überlegen

Eine gute Portion Armeekultur ins Management zu tragen war nie falsch. Es geht dabei lediglich um die Denke betreffend klaren Ausführungsstrukturen, um „vorbehaltene Entschlüsse“, generell um zielorientiertes Handeln. Und um Effektivität und Geschwindigkeit. Wenn es um politische Führung während einer Schönwetter-Situation geht, mag dieser Ansatz mitunter falsch sein. Er ist jedoch mit Bestimmtheit besser geeignet in einer Krisenlage. Klavierspielerinnen und Rebbauern mögen in gewissen Konstellationen in einer stark konsensorientierten und kompromissverliebten westlichen Regierung einen Platz haben – nicht aber in einem Katastrophen-Umfeld.

Autokratien haben es in Krisen leichter

Wenn Bolsonaro, von seinem Schimmel herunterwinkend, an seinen jubelnden Anhängern vorbeireitet, wiegt er sich – als Autokrat – in Sicherheit. Autokratien sind nun mal effizientere Führungsmodelle zur raschen Krisenbekämpfung als demokratische. Natürlich bergen sie die Gefahr in sich, dass falsch entschieden wird. Also wären „professionelle und gute Autokratien“, zu welchen Brasilien im Moment offensichtlich nicht zählt, besonders gut für Krisen aufgestellt. Natürlich ein etwas gewagter Ansatz… Aber dennoch lässt sich festhalten: Professionell geführte Regierungen mit Machtfülle eignen sich leider besser in Krisenfällen. So etwa in Vietnam: Dank der militärischen Kommandostruktur der Regierung gelang es, das Land ohne einen einzigen Toten durch die Corona-Krise zu manövrieren. Chapeau.

Aber auch in Demokratien geht straffe Führung im Krisenmodus

Während der Coronakrise wurden in Israel die Geheimdienste sofort mit Aufgaben betraut: mit Tracing-Aktionen, mit Quarantäne-Überwachungen, generell mit koordinierenden Stabsaufgaben. Der Mossad beschaffte gar im Rekordtempo Masken. Südkorea oder Taiwan, beides einigermassen vorbildliche Demokratien, gelang es, dank guter Vorbereitung und straffer Führung, die Krise relativ rasch mit den richtigen, zielorientierten Massnahmen in den Griff zu bekommen – und zwar ohne flächendeckende Lockdowns. Auch Uruguay, die „Schweiz Südamerikas“ und das demokratischste Land auf dem Halbkontinent, bot der Corona-Gefahr mit raschen und intelligenten Massnahmen und mit klarer Führung vorbildlich die Stirn.

Föderale Strukturen sind ein Hindernis

Diese Beispiele nötigen uns zu einem Vergleich mit unseren eigenen Konsens-Strukturen: Leider waren und sind sie in der Krise unterlegen. Und die Auswirkungen führen zu bedeutend höheren Kosten. Für eine Katastrophenbekämpfung sind insbesondere föderale Strukturen, wie wir sie in der Schweiz haben, ein Hindernis. Logischerweise werden auch militärische Krisen nie direkt von einer ausgeprägt demokratischen Regierung gelöst: Sie übergibt die Verantwortung an die Armeeführung. In einer echten Krise reichen übrigens auch reine Empfehlungen an die Bevölkerung nicht. Nur ein top-down Führungsmodell wird solchen Lagen gerecht – geführt von Leuten, die sich für solche Situationen auszeichnen.

Abschaffung der Demokratie? Nein, kurz aussetzen!

Eine rasche Bewältigung einer (grossen) Krise setzt die Einsicht einer Regierung voraus, die Katastrophenführung abzutreten. Dafür müssen auch gewisse demokratische Strukturen – vorübergehend! – ausgesetzt werden. Dies ist vertretbar, wenn eine Katastrophe so effizienter und mit höherem Tempo bewältigt werden kann. Höhere Effektivität im Handeln führt in der Regel auch zu tieferen Kosten. Dies ist ein zweiter Rechtfertigungsgrund, demokratische Rechte vorübergehend auszusetzen. Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen, alle Bürger zu Beginn der Corona-Krise obligatorisch eine App hinunterzuladen zu lassen, um die Nachverfolgung von Infektionen raschmöglichst mit konsequenten Quarantänen zu bekämpfen? Die App – wenn auch nicht perfekt – hat anfangs März 2020 schon bestanden, man hätte sie z.B. von Taiwan, Südkorea oder Israel übernehmen können. Falls sich ein flächendeckender Lockdown mit Milliardenkosten, hohem BIP-Einbruch und Arbeitslosigkeit damit begrenzen liesse: Wäre also eine App nicht zumutbar gewesen? Wäre das Risiko der kurzzeitig reduzierten, persönlichen Datenkontrolle nicht zu rechtfertigen gewesen – zumal Herr Zuckerberg uns eh schon konstant ins Smartphone reinschaut? Wir sehen schon: Die richtige Balance muss gefunden werden. Es geht dabei fast weniger um einen Interessenkonflikt „Medizin versus Wirtschaft“, sondern „Gutes Krisen-Management versus Bürgerrechte“.

In Krisen lechzt die Bevölkerung nach Führung

Demokratien sind bekanntlich die beste von allen schlechten Regierungsformen – nicht aber im Katastrophenfall. Da sind autokratische und militärische Formen überlegen. Das hören vielleicht viele Kreise nicht gerne. Andererseits lechzen gerade die gleichen Bevölkerungsschichten in Krisen oft nach starker Führung.

Die Aussetzung von Bürgerrechten lässt sich jedoch nur in Staaten rechtfertigen, in denen von Grund auf vertrauenswürdige Demokratien bestehen. Nur wenn die Gewissheit herrscht, dass eine Rückkehr zur Normalität nach einer ausgestandenen Katastrophe raschmöglichst und zu 100% erfolgt, funktioniert ein Time-out der demokratischen Ordnung.

Voraussetzung für eine allseits respektierte, delegierte Krisenbekämpfung ist auch die Erkenntnis und das Wissen in der Bevölkerung, mit welchen Krisen wir rechnen müssten. Der Glaube an die grosse militärische Krise und der allfällige Rückzug in den anachronistischen Luftschutzbunker sind dabei nicht hilfreich. Nur wenn realistische Gefahren begriffen werden und eine Regierung und ein Krisenstab zu Beginn einer Katastrophe offen, klar und glaubwürdig kommuniziert, funktioniert die „Führung“ der Bevölkerung.

Krisenstufen für alle – keine politischen Einzelmanöver

Alarmstufe 1, 2, 3, 4, 5: Je nach Grad der Katastrophe – oder je nach Katastrophenverlauf – könnten Massnahmen ausgelöst werden. Im Armee-Jargon wären es wieder die berühmten „vorbehaltenen Entschlüsse“, in der Unternehmungsführung könnten „Contingency Plans“ als Vergleich herangezogen werden.

So wäre es möglich, verschiedene Landesteile oder Regionen jeweils in die zweckmässigen Alarmstufen zu versetzen. Um ein abschreckendes Beispiel zu nennen, wie es nicht gemacht werden darf: Im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung entscheidet zurzeit jeder Kanton separat, welche Massnahmen sinnvoll sind: Freibäder schliessen, Maskenpflicht, Versammlungseinschränkungen, etc. Eine apolitische Ursachenliste der Virusverbreitung würde sicher die Personendichte an die oberste Stelle stellen. Also müssten sich alle Massnahmen diesem Sachverhalt apolitisch und pyramidenförmig unterordnen. Für Alarmstufe 1 könnten z.B. Hygiene- und Abstandsempfehlungen abgegeben werden, für Stufe 2 könnte dies Abstandspflicht, Tracing und Apps, Maskenpflicht und Homeoffice-Empfehlung bedeuten, für Stufe 3 die Schliessung von Bars, Clubs, Kirchen, Kinos und Versammlungseinschränkungen, für Stufe 4 die Schliessung der Gastronomie und Schulen, erst für Stufe 5 käme ein weitergehender Lockdown mit der Schliessung von gewissen Einzelhandelstypen mit hohem Dichterisiko zum Tragen (Coiffeure z.B. oder Kosmetikstudios, nicht aber normale Läden oder Fachmärkte – zumal die Lebensmittelläden eh offen bleiben müssen).

Krisenstufen müssten für jede Krisenart vorbereitet werden, damit sie situationsgerecht ausgelöst werden können. Je nachdem auch regional: Glarus Stufe 2, Süd-Tessin Stufe 4 – und alle wissen sofort, wie’s läuft. Das wäre echtes Krisen-Management – und nicht föderalistischer, wirrer Aktionismus – oder Nichtstun. Ein Krisenstab könnte nach Absprache mit den Kantonen praktisch per Knopfdruck die Region der Stadt Zürich auf Stufe 3 setzen, und am nächsten Tag würden eben die virenfreundlichen Clubs wieder zugehen. Gerade das Beispiel Zürich zeigt, wie erst einmal lange überlegt, dann ebenso lange mit allen geredet wird. Und anschliessend werden nochmals Meinungen eingeholt – damit dann die verantwortlichen und heillos überforderten Stellen in der Folge möglichst nichts tun müssen. Oder es wird eine andere Massnahme ergriffen, welche nicht einmal der Krisenstufe gerecht wird (z.B. ein Freibad schliessen, Clubs aber offen lassen). Unser Urteil: Das ist Missmanagement.

Nationale und internationale Katastrophen müssen ebenso national und international bekämpft werden

Die teilweise Delegation des Covid-19-Managements an die Kantone grenzt mitunter an Absurdität. Führung wäre in einer Krise das A und O, insbesondere wenn diese Krise internationalen Charakter hat. Krisen-Management kann leider nicht on the job erlernt werden. Deshalb kann eine Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes eines Kantons nicht plötzlich Krisenmanagement betreiben. Und – um das Bild leider wiederholen zu müssen – auch eine Klavierspielerin, ein Winzer oder eine Juristin eignen sich dafür nicht per se. Führung in einer Krise kommt von oben – jedoch von führungsgewandten und krisentauglichen Köpfen. Die künftigen, wirklich grossen Krisen werden wohl eher internationale Krisen sein. Also kann nur ein permanenter und professioneller Krisenstab die Vernetzung mit nationalen und internationalen Institutionen sicherstellen. Die Aufsicht über den Krisenstab müsste – als demokratische Rückversicherung – beim Bundesrat liegen. Aber bitte nur die Aufsicht – nicht das Management.

Doch zurück zum Bundesratszimmer:

„Messieurs, Ronny Zumstein ne prend pas son Natel », orientierte Parmelin seine Bundesratskollegen, inzwischen beim Kaffee. Die neue Bundeskanzlerin, Swetlana Oberholzer, servierte. Viola Amherd blickte zu Guy Parmelin und schnappte sich ein drittes Croissant: „Lüeg doch mal üf di Television, Guy, iische Ronny hett scho losgeleit“. In der Tat: Der Krisenstabchef sprach bereits live auf allen Kanälen und verlas sein 10-Punkte-Programm, flankiert von seinem gesamten Krisenstab.

Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen?

Teil 2 unserer Trilogie: Für die richtige Krisenvorbereitung braucht es eine richtige Krisentruppe!

Wir müssen erkennen: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Aber vielleicht ist die nächste Krise eine ganz andere. Krisenvorbereitung bedeutet in einem ersten Schritt, dass wir die möglichen Katastrophen erst einmal erkennen. Dafür hatten wir uns im 1. Teil unserer Trilogie bereits die 11 fatalsten Gefahren auflisten lassen, welche unsere Volkswirtschaft in die Bredouille bringen könnten. Wir sprechen dabei nicht von normalen wirtschaftlichen Krisen – sondern von Katastrophen-Szenarien. Leider mussten wir erkennen, dass wir für eine militärische Krise vielleicht ganz leidlich vorbereitet sind, nicht aber für die meisten anderen Krisen. Also wäre ein Umdenken mehr als angesagt. Folglich müsste eine breit aufgestellte hybride Krisentruppe geschaffen werden. Sollte dafür gar die Armee abgeschafft werden…?

Warum wir uns schon wieder mit Krisenthemen beschäftigen? Ganz einfach, weil diese die grösste Gefahr für unsere Volkswirtschaft darstellen. Nicht die kleinen ökonomischen Defizite sind es, die uns zu schaffen machen, sondern die grossen, nachhaltigen Verwerfungen. Deshalb lohnt es sich, sich vorzusehen. Es ist ganz einfach günstiger…

Lernen aus der defizitären Krisenbewältigung

Eine globale Rundumsicht führt uns ziemlich dramatisch vor Augen, wie Krisen schlecht gemanagt werden können. Wir möchten jedoch das Brennglas nicht zu sehr auf die USA, Brasilien oder Indien richten, sondern bleiben mal in der Schweiz: Obwohl unsere Regierung allenthalben gelobt wurde, die Pandemiekrise „in Ruhe“ angegangen zu sein, zeigen sich heute offensichtliche Defizite: Es fehlte an professionellen Krisenstäben und zuständige Behörden waren weder materiell noch organisationsmässig genügend vorbereitet. Die Kommunikation verlief zum Teil sehr politisch und unglaubwürdig (im Sinne von: Wenn es keine Masken gibt, dürfen sie auch nichts nützen, und wenn es nicht genügend Testmöglichkeiten gibt, darf es auch keine Dringlichkeit geben, umfassend zu testen, usw.). Der Blick ins Ausland war verstellt, obwohl es hervorragende Beispiele gegeben hätte, um zu lernen (von Taiwan oder Südkorea z.B.). Die Krisen-Organisation wurde quasi in einer Unterabteilung des Bundesamtes für Gesundheit belassen und nach dem Krisen-Peak, rechtzeitig vor den Sommerferien des Bundesrates, elegant an die Kantone abgeschüttelt. Unsere Wertung: So brillant war weder das Krisen-Management, noch – vor allem – die Krisen-Vorbereitung.

Die Armee abschaffen…?

Angesichts der Tatsache, dass eine klassische militärische Gefahr gar nicht mehr als prioritär eingestuft werden muss, ergibt sich die Frage nach dem Sinn – oder zumindest nach dem Stellenwert – einer Armee von selbst. Allerdings sind gewisse terroristische Gefahren nicht ohne Militär abzuwehren oder ein unkontrollierter Flüchtlingsstrom, der über das Land schwappt, ebenso wenig. Und der mit der Armee gekoppelte Zivilschutz ist gleichermassen wichtig, insbesondere im Falle von Naturkatastrophen. Die 11 grossen möglichen Krisen – von einer Strommangellage bis zu Cyberangriffen oder einer Atomkatastrophe – gilt es jedoch zu bewältigen, und dieser „Kampf“ gegen die Krisen erfordert „Truppen“. Aber eine solche Organisation zur Krisenbekämpfung muss ganz anders aussehen als wie sie sich mit den heute zumeist bescheiden dotierten Stellen darstellt. Der militärische Teil innerhalb einer solchen Organisation müsste erhalten bleiben – jedoch wohl in einer modernisierten und verkleinerten, professionelleren Form.

Die neue hybride Krisentruppe

Für Armee- und Zivilschutz werden jährlich rund 10 Milliarden CHF ausgegeben. Angesichts der definierten 11 Bedrohungslagen müsste dieses Geld wohl differenzierter eingesetzt werden. Es müsste eine hybride Krisentruppe geschaffen werden, welche möglichst alle Szenarien einer Krise abdeckt. Warum nicht eine Stromausfall-Division kreieren? Truppen, die darauf getrimmt werden, solche Katastrophen professionell anzugehen? Eine Cyber-Abteilung sollte ebenso her, eine Pandemie-Truppe, usw. Man könnte sich Flüchtlings-Scouts vorstellen, „Special Forces“ also für jeden Krisentyp.

Armee und Zivilschutz könnten zusammengelegt und neu organisiert werden. Die einzelnen Special Forces könnten sich auf die entsprechenden Katastrophenszenarien spezialisieren. Das heisst jedoch nicht, dass deren Funktionen nicht überlappend sein dürfen und dass ein gewisser Austausch von Teilen der „Truppe“ nicht möglich wäre. Falls Bedarf, könnte ein „Flüchtlingssoldat“ eben auch für den Aufbau eines Drive-in-Centers für Covid-25 zum Einsatz kommen. Der Cyber-Offizier kann bei einer Terrorbekämpfung mithelfen, oder der Flutkatastrophen-Ranger bei einem Atomunfall. Wichtig wäre die sofortige Einsatzbereitschaft dieser Special Forces, welche den Lead in der Katastrophenbekämpfung übernehmen und verwandte Truppenteile zu integrieren vermögen. Die rasche Mobilmachung der Armee hat während der Corona-Krise hervorragend funktioniert; das Konzept ist kopierwürdig.

Mehr Motivation für den Dienst

Jungen Leuten würde eine besser zu vermittelnde Perspektive für einen „Dienst“ gegeben, wenn dieser eben nicht per se ein „Militär-Dienst“ ist. Die Rekrutenschule in einer Katastrophen-Truppe zu absolvieren, wäre für viele sogar sinnstiftend. Der Milizgedanke könnte hier hervorragend einfliessen: Die jungen Nerds werden ihren Dienst dann in der Cybertruppe absolvieren und ihre neuesten Erkenntnisse aus der Tech-Welt einbringen, die Stromausfall-Truppe wird ihre Ranger bei den geeigneten Handwerkern und Ingenieuren holen. Und nebst all den Krisen-Bataillonen braucht es selbstredend auch klassische Armeetruppen.

Zurück zum Requisitionssystem

Zur Krisenvorbereitung gehört auch, jederzeit über die nötigen Mittel und Installationen zu verfügen, welche im Katastrophenfall nötig sind. Die Günstig-Variante ist dabei nicht der immense Aufbau von allen Strukturen und der Unterhalt von Systemen und Material. Wie die Armee es früher umfassend pflegte, kann auch mit dem Mittel der Requisition Krisenvorbereitung garantiert werden: Private können sich bereit erklären, Gebäude, Fahrzeuge, Installationen etc. im Krisenfall sofort zur Verfügung zu stellen. Dafür werden sie entschädigt. Ein gutes Geschäft für alle!

Was ist mit den Arbeitslosen und Kurzarbeitenden?

In fast allen Krisenfällen kommt es zu einer erhöhten Zahl von Erwerbslosen und Kurzarbeitenden. Im April 2020, im Peak der Corona-Krise, waren es in der Schweiz über zwei Millionen (!), rund 40% der Erwerbstätigen waren betroffen. Der Staat bezahlte ihre Löhne, erhielt aber nichts dafür. Viele dieser Nicht-Beschäftigten könnten im Krisenfall eingesetzt werden: zu Koordinations- oder Überwachungszwecken, für soziale Dienste, etc. Ist das zumutbar? Wir meinen ja – im Krisenfall. Warum sollte ein arbeitsloser Callcenter-Mitarbeiter nicht für den Staat beim Tracing von Infizierten mithelfen, wenn er eh vom Staat bezahlt wird? Eine kurzarbeitende Flight Attendant nicht als erste Ansprechperson im genannten Drive-in für Covid-25-Tests? Dieses System des Einbezugs von Nicht-Beschäftigten müsste jedoch vorbereitet werden, Strukturen und Pläne könnten dieses Humanpotenzial kostengünstig und kurzfristig aufnehmen und einsetzen.

Permanenter Krisenstab vonnöten

Statt einer klassischen Armeeführung bedarf es künftig vielleicht eines permanenten Krisenstabes, welcher ein breites Feld von Katastrophen abdecken kann. Im Bedarfsfall – je nach Katastrophe – kann dieser Stab um Spezialisten und Vertreter aus Behörden und Wirtschaft (und einem geeigneten Bundesrat) ergänzt werden. Was entscheidend ist: Der Stab und die Kommunikationswege müssten bereits bestehen und kurzfristig einsatzbereit sein. Es kann nicht sein, dass (wie während der Corona-Krise) untergeordnete Beamte aus einer Behörde plötzlich zu Krisen-Zampanos arrivieren – das funktioniert nicht.

Die derzeitigen Strukturen für Katastrophenbekämpfung sind in unserem Land ungemein komplex aufgebaut. Es gibt unzählige Krisenstäbe auf allen Ebenen und in allen Ämtern und Behörden. In der Betriebswirtschaft wird bekanntlich zwischen Aufbau- und Ablauforganisation unterschieden. Genau so müsste auch eine Struktur für eine Krisenbewältigung aussehen. Heute gleicht diese indessen eher einer politischen Struktur, ist alles andere als top-down ausgerichtet und sieht eher wie eine wirre Matrixorganisation mit endlosen Ebenen aus. Die Organisation wäre ein Gau für jeden Konzernchef. So sind auch die Kompetenzen im Falle von Krisen heute mannigfaltig verteilt: beim Bundesrat, der Armee, dem Zivilschutz, beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, bei weiteren Bundesämtern (wie im Pandemiefall beim Bundesamt für Gesundheit), bei kantonalen Behörden. Und es gibt Koordinationsgremien, Task Forces, Berater… Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine schlagkräftige Krisenvorbereitung, denn zu viele Köche verderben den Brei. Eine effiziente Struktur kann nur so aussehen, dass diese von oben geführt wird, und dann wird allenfalls bottom-up gearbeitet und rapportiert. Das wäre nicht zu verwechseln mit einem zentralistischen Modell (à la Frankreich) – es würde nur das in unserer Privatwirtschaft bestens  funktionierende schweizerische, „partizipative“ Modell reflektieren – wenn auch mit einer starken Führung.

Krisenvorbereitung heisst auch Krisenvermeidung

Einzelnen Krisen kann nicht nur mit Krisentruppen begegnet werden. Die Krisenvermeidungwäre an sich die eleganteste Form der Krisenvorbereitung. Der Ausbruch des Vesuvs (mit fatalen Klimafolgen), die Vermeidung eines katastrophalen Sturms oder eines Meteoriteneinschlags lassen sich selbstredend nicht vermeiden. Aber die Wahrscheinlichkeit einer Atomkatastrophe kann beeinflusst werden, ebenso die Risikominimierung einer Strommangellage: Sollten wir beispielsweise bereit sein, unsere Wasserkraftwerke massiv auszubauen, Speicherkraftwerke zu errichten und redundante Gas- und Biogaskraftwerke zu errichten, so machen wir uns unabhängiger und betreiben Krisenvermeidung. Wenn der Staat hier – als Ausnahme nur! – etwas dirigistischer eingreifen würde, wäre das sicher zielführend (es würde den Bürger nur ein paar Rappen pro KWh kosten). Oder: Unsere teure Luxus-Landwirtschaft noch mehr zu subventionieren, wird uns nicht über allfällige kurzfristige Versorgungsengpässe hinweghelfen – ein besser ausgebautes Pflichtlager-System indessen schon. Nochmals: Sind die Krisenszenarien mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten und der Ereignisschwere einmal apolitisch und realistisch definiert, kann ebenso apolitisch umgesetzt werden. Nun ja: könnte…

Notrecht ist ok

Grosse Krisen können nur bekämpft werden, wenn rasch und kompetent gehandelt wird. In solchen Fällen müssen – vorübergehend – demokratische Strukturen ausgesetzt werden, ebenso politische, föderalistische und andere Bremsklötze entfernt werden. Sollte demokratische Einigkeit herrschen betreffend einer Krisentruppe und eines ausgewogenen Krisenstabes, kann eine moderne und entwickelte Gesellschaft mit Notrecht gut leben. Voraussetzung ist jedoch, dass Krisenszenarien bekannt sind, Krisenpläne bestehen (welche zum Teil auch durchaus transparent sein können) und das Führungs- und Kompetenzmodell bekannt ist. Ein Schweizer Taschenmesser sozusagen: zuverlässig, kompetent, allzeit bereit. Nur so kann dieser neuen Organisation Respekt entgegengebracht und von einer Demokratie getragen werden.

Risiko-Management vonnöten

Parlament und Behörden müssen ein permanentes Risiko-Management betreiben, welches die Krisenszenarien laufend überprüfen und die Krisen-Vorbereitung anpassen. Diese Szenarien und deren Bekämpfungskonzepte müssen wissenschaftlich fundiert und – nochmals – vollkommen apolitisch sein. Katastrophen selber sind ja auch nicht politisch. Wenn also definiert wird, dass eine Strommangellage das schlimmste Katastrophen-Szenario darstellt, muss die Krisenvorbereitung dies auch reflektieren. Regierung und Parlament sind also gefragt, die vorbereitenden Strukturen und Pläne zu schaffen. Und zur Umsetzung gehört auch Übung. Also sind Katastrophenübungen vonnöten, wie wir sie vor Jahren in der Armee hatten (zum Beispiel die Gesamtverteidigungsübungen).

Fazit: Unsere Krisenvorbereitung ist höchst mangelhaft. Unsere Strukturen fokussieren sich seit Dezennien auf militärische Krisen, obwohl die Wahrscheinlichkeit für andere Katastrophen höher liegt. Es gilt nun, neue Strukturen zu schaffen, wie zum Beispiel die einer Krisentruppe, welche möglichst viele Gefahren-Ereignisse abdecken kann. Gleichzeitig müssen permanente Krisenstäbe aufgebaut und trainiert werden, welche im Katastrophenfall professionell die Führung übernehmen. Ob wir das alles finanzieren können? Ja, wir sollten nur unsere aktuellen Budgets für Armee, Zivilschutz und andere Institutionen und Ämter einer Razzia unterziehen und neu zusammensetzen – im Hinblick auf die reellen Krisenszenarien. Insgesamt stehen genügend Milliarden bereits zur Verfügung, wir müssen sie nur neu zuordnen. Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem dritten Beitrag mit dem Krisenmanagement auseinandersetzen. Und wir ahnen es auch hier schon: Wir müssen das künftig besser machen. True Economics wird schonungslos Vorschläge unterbreiten.

Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen in unserer Volkswirtschaft?

Teil 1 unserer Trilogie: Die 11 wahren grossen Krisen, mit denen wir zu rechnen haben

Noch haben wir die Pandemiekrise nicht hinter uns. Einige Staaten konnten diese mit wenigen Blessuren bewältigen, andere stecken noch mitten drin – oder sind heillos überfordert. Fast alle Staaten waren schlecht vorbereitet und haben im Rahmen der Krisenbekämpfung schwindelerregende Schulden aufgebaut. Die nächste Krise, welche unsere Volkswirtschaft beutelt, könnte ganz anders aussehen. Ein globaler Ausfall des Internets? Ein massiver Meteoriteneinschlag? Eine nicht mehr aufzuhaltende Flüchtlingswelle, welche unkontrolliert ganz Europa überschwemmt? Für eine kommende Krisenbekämpfung wären die nötigen Mittel zum Teil gar nicht verfügbar. Die Krux liegt darin, dass wir Krisen nur schwer vorhersagen können. Sind wir uns überhaupt bewusst, mit welchen ganz grossen Krisen wir zu rechnen haben? In einem ersten Beitrag unserer Trilogie versuchen wir einen Überblick über die 11 fatalsten möglichen Krisen zu erhalten, mit denen unsere Gesellschaft rechnen muss. Schon vorab: Wahre Krisen sind die, bei denen wir die Entscheidungsgewalt zu deren Bewältigung verlieren. Und: Leider sind wir nur unzureichend vorbereitet.

Erst die Definition der möglichen Krisen, deren Eintretenswahrscheinlichkeit und deren Ereignisschwere wird uns die Steilvorgabe liefern, wie wir uns vorzubereiten haben. Wir denken dabei nicht an einen Staumauer-Bruch der Grand Dixence, welcher in der Tat nur als ein unglücklicher Unfall zu betrachten wäre. Es geht um die ganz grossen Krisen, welche unsere Volkswirtschaft à fond bedrohen würden. Unsere Behörden hatten 1999 sowie nochmals 2015 klar definiert, dass eine Pandemie das zweitgrösste Krisenrisiko darstellt. Dennoch waren alle Institutionen nur sehr mangelhaft vorbereitet. Seit 1999 bestehende Risikoanalysen verschwanden irgendwo in den Schubladen von verstaubten Bundesämtern. Und wir sehen es heute: Defizitäre Vorbereitung und fehlerhafte Krisenbewältigung führen nicht nur zu grossem menschlichem Leid – es kostet auch viel. Volkswirtschaften können so vorübergehend lahmgelegt werden, es kommt zu BIP-Einbussen, es kann über längere Zeit zu einem Wachstumskiller kommen. Es gehen zudem Arbeitsplätze verloren, es provoziert teure staatliche Hilfeleistungen und führt zu einem erheblichen Schuldenaufbau. Ausgaben für Krisenvorbereitungen wären also intelligente Investitionen.

Black Swans – das Feigenblatt für Krisenvorbereitungen

Der Journalist Nassim Taleb hatte den Begriff des Black Swans definiert: Krisen, die ohne Voranmeldung überraschend über uns herfallen und Katastrophen auslösen können. Krisen als Black Swans zu definieren ist damit das Einfachste, um keine Krisenvorbereitung zu treffen. Ein gewaltiger Meteoriteneinschlag z.B. wäre ein Black Swan, da die Bekämpfung des Ereignisses nur beschränkt, wenn überhaupt, möglich ist. Eine Pandemie allerdings, so auch Talebs Definition, stellte keinen Black Swan dar: Es war nämlich ganz einfach vorauszusehen, dass eine solche Krise demnächst eintritt. 1999 beriet Taleb mit seinem Team Singapur und entwickelte ein Modell zur Krisenbekämpfung. Der Stadtstaat konnte das Papier anfangs dieses Jahres aus der Schublade ziehen und bewältigte die Pandemiekrise mustergültig (mit dem fatalen Wermutstropfen allerdings, dass die Gastarbeiter in den Containersiedlungen vergessen gingen…). Die wenigsten wahrscheinlichen Krisen sind Black Swans. Man kann sich also vorbereiten.

Kollapsologie – das zweite Feigenblatt

Die sogenannten Kollapsologen neigen dazu, Krisen als gegeben zu betrachten. Der Weltuntergang sei eh nicht aufzuhalten. Auch der Klimawandel nicht. Diese fatalistische Haltung teilen nicht nur viele Bürger, sondern auch Politiker. Mit langfristigen Überlegungen für Krisenbekämpfungen sind eben auch keine kurzfristigen Meriten zu holen.

Unsere Krisenaufstellung wird Weltuntergangsszenarien ausschliessen, auch den Klimawandel. Unsere heutige Liste wird sich auf einigermassen wahrscheinliche Szenarien konzentrieren, welche in absehbarer Zeit tatsächlich eintreffen könnten. Die Auflistung erfolgt anhand der Eintretenswahrscheinlichkeit, kombiniert mit der Ereignisschwere – so ergibt sich ein Ranking von 11 grossen Krisen:

Grosse Krise Nummer 1: Ausfall des Stromnetzes

Eine sogenannte „Strommangellage“ (oder auch nur schon der regionale Ausfall des Stromnetzes) müssen wir als ein Ereignis definieren, das mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen kann – und das gleichzeitig als ausserordentlich schwer eingestuft werden muss. Sind wir darauf vorbereitet? Die Netzstabilität in Europa ist heute erwiesenermassen nicht mehr gegeben, das intensive Zusammenwirken der supranationalen Stromnetze hat zu einer grossen Abhängigkeit geführt und könnte zu überregionalen Steuerungsausfällen mit gravierenden Kollateralschäden führen. Wer sich in ein solches Szenario hineindenken möchte, dem sei das Buch „Blackout“ von Marc Elsberg empfohlen. Nichts mehr würde funktionieren: weder Kommunikationsmittel, noch Heizung, noch Kühlung. Alle Wirtschaftsabläufe stünden still, der Verkehr ebenso, die Lieferketten sind unterbrochen, die Lebensmittel vergammeln in den Kühlhäusern, das Gesundheitssystem kollabiert innert Kürze. Die Armee müsste auf den Plan, um die Bevölkerung zu schützen – sofern die Armee sich in einer solchen Situation überhaupt noch organisieren kann. Sind wir vorbereitet auf ein solches Ereignis? Leider kaum. Und dies, obwohl eine solche Krise das schlimmste Szenario darstellen würde!

Grosse Krise Nummer 2: Pandemie

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie: Die Wahrscheinlichkeit einer nächsten globalen Virusattacke bleibt hoch, die Auswirkungen können fatal sein – fataler eventuell als bei Covid-19. Eine professionelle Vorbereitung auf eine solche Krise wäre jedoch durchaus möglich. Aber es braucht dazu Pläne, Strategien, Material, Krisenstäbe in Reserve. Im Vergleich zu unseren Armeekosten (von 8 Mia CHF pro Jahr) oder den Kosten für unsere heimatlich geschützte Landwirtschaft (21 Mia CHF pro Jahr) wären die Investitionen für eine Krisenvorbereitung für eine Pandemie fast vernachlässigbar. Es wäre vor allem intellektuelle Vorbereitung gefragt, vergleichbar wenig nur für Infrastruktur und medizinisches Material. Für Covid-25 – um eine virtuelle Benchmark vorzulegen – sind wir nur schon besser vorbereitet, weil wir aus Covid-19 gelernt haben. Aber es reicht noch nicht, um nicht nochmals erratische und zum Teil sehr wirtschaftsfeindliche Entscheide zu treffen und immense Schuldenberge aufzubauen.

Grosse Krise Nummer 3: Cyberattacke

Cyberattacken sind heute fast alltäglich: Viele Firmen waren davon schon betroffen. Die Lerneffekte dabei sind gross, die Gefahr weiterer Angriffe jedoch nicht gebannt. Eine richtige Gefahr ginge von einer Cyberattacke aus, die eine ganze Branche, die Bundesverwaltung oder andere Institutionen oder komplette Providerschnittstellen betreffen. Die ganze Finanzbranche könnte so zum Beispiel in erpresserische Geiselhaft genommen werden. Das Erpressungsrisiko ist indessen nur eine Seite des Desasters, der mögliche Ausfall der Systeme die andere. Sind wir darauf vorbereitet? Wohl nur marginal. Bei der Armee gibt es ein paar Stellen, die sich um eine solche Krisenvermeidung kümmern, bei gewissen Bundesämtern ebenso. Leider ist  jedoch keine richtige Abwehrtruppe auszumachen – obwohl wir es bei diesem Krisenszenario sowohl mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit als auch mit einer nicht zu unterschätzenden Ereignisschwere zu tun haben.

Grosse Krise Nummer 4: Finanzkrise

Die grosse Finanzkrise 2008/2009 steckt uns noch in den Knochen: Nur knapp sind wir an einer Weltfinanzkrise vorbeigeschrammt. Die USA  (damals noch in einer politischen Leader-Verantwortung) konnten, zusammen mit den grössten Industrienationen, das Schlimmste abwenden. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Krise steigt heute mit der globalen Verschuldung und der ungehemmten Geldschöpfung. Ein Zusammenbruch des Weltfinanzsystems wäre fatal und würde der Tragik eines Weltkrieges in nichts nahestehen. Wäre unser Land darauf vorbereitet? Natürlich nicht. Immerhin tun unsere Regierung und die Notenbank bedeutend mehr als die meisten Staaten, um ein solches Szenario nicht zu fördern. Nur schon der Zusammenbruch der elektronischen Zahlungssysteme wäre äusserst unappetitlich. Vielleicht ginge es bei solche Krisen auch darum, sich persönlich vorzusehen: also Reserven an dringend Notwendigem anlegen, Bargeld halten, etwas Gold bunkern…

Grosse Krise Nummer 5: globaler Ausfall des Internets

Wir werden uns gar nicht erst an eine Schätzung wagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein solches Szenario eintreten könnte. Die Auswirkungen wären auf jeden Fall verheerend: Unser Leben stände binnen Tagen schlichtweg still. Je digitaler unsere Gesellschaft wird, desto katastrophaler wäre ein Ausfall des Internets. Natürlich müssten wir in einem solchen Fall nicht nur auf Netflix verzichten – sondern auf fast alle Kommunikationsmittel. Fast jede wirtschaftliche Aktion wäre blockiert, Lieferketten sofort unterbrochen, die Versorgung mit Produktions- und Lebensmitteln zum grossen Teil unterbunden. Viele Steuerungen fielen aus. Was wir dagegen vorkehren können: fast nichts. Der Aufbau von redundanten Systemen wäre illusorisch. Eigentlich können wir zur Schadensbegrenzung nur auf die klassische Katastrophenhilfe zurückgreifen. Die analogen Systeme des Zivilschutzes und anderer Strukturen müssten vorübergehend Nothilfe leisten. Und dann werden wir darum beten, dass ein solcher Unterbruch nicht allzu lange dauert.

Grosse Krise Nummer 6: grosse Naturkatastrophe

Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hochwasser, Hitzewellen, schwere Stürme, Schädlingskrisen…

Die Eintretenswahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass eine dieser möglichen Krisen in absehbarer Zeit eintritt. Wahrscheinlichkeitstheoretiker neigen dazu, solche Fälle nicht in Kombination zu sehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jedoch anzunehmen, dass irgendeine dieser rund ein Dutzend möglicher Katastrophen mit einer nicht zu vernachlässigbaren Perspektive eintritt.

Das Positive an den meisten Naturkatastrophen ist, dass es im Eintretensfall in den meisten Fällen kaum etwas zu entscheiden gibt und die Schwere des Ereignisses – in der Regel – überblickbar bleibt. Es ginge dann nur vor allem darum, die Auswirkungen der Katastrophe einzudämmen und aufzuräumen – klassische „Katastrophenarbeit“ also. Ein weiterer positiver Aspekt: Naturkatastrophen bleiben oft regional beschränkt. Damit können einzelne betroffene Volkswirtschaften Hilfe von aussen holen. Unsere Behörden und der Zivilschutz sind für solche Krisen relativ gut gewappnet, Krisenstäbe üben derlei Katastrophen.

Grosse Krise Nummer 7: überbordende Flüchtlingswelle

Grössere kriegerische Ereignisse, wirtschaftliche Desaster oder Hungersnöte (inbesondere auf dem afrikanischen Kontinent) könnten zu einer plötzlichen Flüchtlingswelle führen, welche uns keine Zeit mehr lässt, polizeilich oder gar militärisch einzugreifen. Kommt hinzu, dass eine hermetische Abriegelung der Grenzen fast unmöglich ist – zumindest für viele südliche Staaten in Europa. Ein solches Szenario birgt ein mehrfaches Risiko in sich: erstens müsste den Flüchtlingsströmen mit Gewalt Einhalt geboten werden, zweitens müssten viele Menschen notfallmässig versorgt werden und drittens müsste das Problem einer Repatriierung gelöst werden. Die Krisenvorsorge müsste also schon an der Grenze beginnen – trotz allem Flüchtlingsleid. Sind wir darauf vorbereitet? In der Schweiz würden wir das vermutlich hinkriegen. Die Grenzen wären dann aber dicht – was wiederum andere wirtschaftliche Kollateralschäden nach sich ziehen würde. Und darauf wären wir wohl kaum vorbereitet. Welcher eingeübte nationale Krisenstab wäre denn dafür zuständig…? Oder müssten sich  einfach die einzelnen Kantone darum kümmern? Oder ein Grenzbataillon, welches allerdings erst einrücken müsste? Auch dieses Krisenszenario hinterlässt ein ungutes Gefühl.

Grosse Krise Nummer 8: überregionaler Terroranschlag

Das Spektrum an möglichen Terroranschlägen ist breit, wir können unsere Phantasien walten lassen: Sprengstoffanschläge, Kontaminierung der Wasserversorgung, Giftgas-Anschläge, Anschläge mit Biowaffen oder Biogas, eine atomare terroristische Verseuchung, die Geiselnahme des Bundeshauses, Erpressung ganzer Staaten, etc., etc. Hollywood mag zusätzliche Vorlagen liefern – auch innovative Ideen zur Nachahmung. In der Regel bleiben Terroranschläge zumindest lokal begrenzt, die Opferzahlen auch. Vergleichen wir 9/11 mit den heutigen Pandemiezahlen in den USA, so waren die Schäden – rein numerisch – durch den Einsturz der Twin Towers ein Klacks. Nicht aber psychologisch. 9/11 hat das Weltbild der grössten Volkswirtschaft der Welt nachhaltig verändert. Sind wir auf Terroranschläge genügend vorbereitet? Zumindest besser als auf viele andere Krisen. Die Problematik liegt darin, dass es eine Unzahl an bösen Szenarien gibt. Gemäss Murphy’s law wird uns dann vielleicht ein Szenario präsentiert, an das wir gerade nicht gedacht haben.

Grosse Krise Nummer 9: internationale staatliche Erpressung

Nicht nur Schurkenstaaten, auch grosse und wenig freundliche Volkswirtschaften könnten uns in wirtschaftliche Geiselhaft nehmen. Die irrlichternde Administration der USA könnte uns plötzlich mit einer kompletten Importsperre belegen, die invasiv denkende EU uns den Zugang zu ihrem Finanzsystem verweigern, ein immer imperialistisch denkendes China uns mit einem totalen Exportstopp von lebenswichtigen Produkten und Halbfabrikaten belegen. Der Hintergrund für ein solches Handeln könnte politisch oder wirtschaftlich sein. Eine unangenehme Aussicht. Bestehen taktische, diplomatische und politische Krisenstäbe für ein solches Szenario? Leider wohl kaum.

Grosse Krise Nummer 9: Atomunfall

Ein Atomunfall in der Schweiz würde wohl eine der fatalsten Katastrophen darstellen, die Auswirkungen wären kaum vorstellbar. Tschernobyl oder Fukushima geben uns den Vorgeschmack. Die Eintretenswahrscheinlichkeit mag gering sein (weshalb diese Krise nur Platz 9 besetzt), Die Folgen für unser Land wären jedoch existenzbedrohend: So könnte das gesamte Schweizer Mittelland nur noch beschränkt bewohnbar werden, die Wirtschaft komplett zusammenbrechen. Gigantische notfallmässige Umsiedlungen wären notwendig und grosse internationale Hilfe müsste angefordert werden. La Suisse n’existe pas… Aber auch ein grosser grenznaher Atomunfall in Frankreich oder Deutschland könnte ähnliche Auswirkungen haben. Szenarien für eine Atomkatastrophe wurden angedacht, die Bewältigung eines solchen Desasters  würde allerdings unsere Krisenvorbereitung sprengen. Das einzig Positive an einem Atomunfall: Dessen Auswirkung bleibt vermutlich einigermassen regional begrenzt. Dennoch unser Fazit: Wir sind nur sehr beschränkt auf eine solche Krise vorbereitet.

Grosse Krise Nummer 10: militärische Krise

In der Liste unserer Behörden figuriert eine solche Krise gar nicht mehr. Die Eintretenswahrscheinlichkeit mag in der Tat gering sein, der Russe wird demnächst wohl kaum den Rhein überschreiten. Schon eher ist mit hybriden Kriegsführungen oder Attacken durch Schurkenstaaten zu rechnen – was eine militärische Krise vielmehr in Richtung Krise Nummer 8 lenken würde (nämlich eine Attacke mit Terrorcharakter). Unsere Armee verschlingt bekanntlich acht Milliarden pro Jahr und wird gut gepflegt – zumindest in Sachen Mittelallokation sind wir hier gar nicht schlecht aufgestellt. Aber hier liegt gerade das Problem: Wir geben das Geld für eine mögliche Krise mit Ranking 10 von 11 aus, für die anderen 10 Krisen sind wir kaum vorbereitet und geben auch kaum Geld aus.

Grosse Krise Nummer 11: ein Meteoriteneinschlag

Kleinste Meteoriteneinschläge könnten ja ganz niedlich sein, zudem von interessantem wissenschaftlichem Wert. Mittlere (so bis knapp einem Kilometer Durchmesser) wäre im besten Fall z.B. mit Hilfe der NASA und Atomsprengungen zu begegnen. Wir erinnern uns an eines der wahrscheinlichsten Szenarios, welches wohl zum Aussterben der Dinosaurier führte: Riesige Staubwolken nach dem Einschlag führten zu einem Klimakollaps und damit auch zu einer Vegetationsänderung. Eine unschöne Aussicht. Wie wir uns vorbereiten können? Eigentlich gar nicht. Nach einem mittleren Einschlag könnten wir zumindest auf die Hilfe von Armee und Zivilschutz zurückgreifen. Ein sehr grosser Meteoriteneinschlag würde in der Tat mit sofortiger Wirkung das Aus für die Zivilisation und damit bedauerlicherweise auch für unseren Newsletter bedeuten…. Glücklicherweise bleibt die Eintretenswahrscheinlichkeit nahe bei null. 

Der Bund pflegt eine andere Liste

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat sich eine andere Liste zurechtgelegt. Auf dieser figuriert zum Beispiel eine Tierseuche, nicht aber eine grosse Cyberattacke. Dies betrachtet True Economics in zweierlei Hinsicht als grundlegend falsch: Erstens stellt eine Tierseuche nicht eine unüberwindbare fatale Krise dar, da dafür dank internationaler Vernetzung Lösungen gefunden werden können. Die Schwere des Ereignisses ist also überblickbar. Ebenso stellt ein Ereignis „Sturm“ (welches der Bund als die sechst-grösste mögliche Krise betrachtet) ein zwar alles andere als willkommenes Ereignis dar, aber es wäre ebenso regional begrenzt und – selbst unter Einbezug der Schäden – nicht ewig anhaltend. Zweitens klammert der Bund gewisse Krisen einfach aus, weil „deren Eintretenswahrscheinlichkeit nicht vergleichbar berechnet werden kann“.  Deshalb fehlt auf der Liste des Bundes auch ein grosser Terroranschlag. Fazit: Die Krisendefinition des Bundes ist stark defizitär. Wir bleiben damit bei unserer eigenen 11-er Liste.

Fazit: Für die meisten Krisen sind wir ungenügend vorbereitet. True Economics hat nun eine Liste mit den 11 wahrscheinlichsten Krisenszenarien vorgelegt. Nun gilt es, diese zu diskutieren und zu werten, um darauf die Abwehrmassnahmen zu definieren. Die Strukturen zur Krisenbekämpfung sind leider sehr defizitär, die Pläne dafür sind mangelhaft, die Krisenstäbe bestehen oft nur virtuell. Ein schlagkräftiges Krisen-Management könnte damit kaum ausgelöst werden. Die helvetische Krisenbewältigung sah seit Dezennien vor allem militärische Krisen vor, deshalb fliesst das Geld noch heute vorab in die Armee und den Zivilschutz. Somit ist jetzt schleunigst Umdenken angesagt!

Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem zweiten Beitrag mit der Krisenvorbereitung auseinandersetzen, etwas später mit dem Krisenmanagement. Und wir ahnen es schon: Auch hier werden wir Defizite ausmachen.

Die nächste grosse Krise: der Ausbruch des Vesuvs…?

Oder wieviel darf eine Volkswirtschaft für die Krisenbekämpfung ausgeben

Es mag etwas voreilig sein, aber wir können heute schon behaupten: Wir konnten die Pandemie-Krise einigermassen gut bewältigen. Allerdings zu derart hohen volkswirtschaftlichen Kosten, dass wir dafür beten werden, dass ein vergleichbares Ereignis nicht demnächst wieder eintreten wird. Eine grosse Atomkatastrophe, ein Cyberkrieg, nochmals eine böse Pandemie – alles Krisen, die global oder regional ein Desaster darstellen würden. Die meisten Volkswirtschaften könnten nicht nochmals so viel Geld aufwerfen für eine Krisenbekämpfung, wie sie es für Corona taten. Nur schon der Ausbruch des Vesuvs zum Beispiel könnte unser Leben verändern. Sind wir solchen Herausforderungen wirklich gewachsen? Und wieviel darf eine Volkswirtschaft ausgeben, um solchen Krisen entgegenzuwirken?

Ein Warnschuss erfolgte im Jahre 2010

Erinnern Sie sich noch an den Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island? Der Himmel ganzer Erdteile war über Tage und Wochen in Vulkanstaub gehüllt, der Flugverkehr über weite Teile lahmgelegt, das Klima beeinträchtigt, lokal die Gesundheit der Bevölkerung. Es war ein kurzes, glücklicherweise nur vorübergehendes Ereignis.

Im Jahr 1815 war es anders. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien hatte schwerwiegende globale Auswirkungen: Amerika und Europa mussten in der Folge nämlich ein „Jahr ohne Sommer“ verzeichnen. Ein grosser Teil der Menschheit litt an Kälteeinbrüchen, Missernten, Überschwemmungen. In der Schweiz brach eine Hungersnot aus. Der russische Zar Alexander I. erbarmte sich und lieferte Getreide und Geld an die Ostschweiz. Ob Präsident Putin uns heute auch helfen würde? Aus Deutschland wanderten aufgrund der grossen Not viele Menschen in den Süden Russlands oder in die USA aus. Und in den USA selbst gab es eine Wanderbewegung vom Osten in den Westen. Das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Ja.

Alle hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch…

Die Wahrscheinlichkeit lehrt uns, dass etwa einmal pro hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch globale Auswirkungen haben könnte. Wir kennen alle die Geschichte vom Aussterben der Dinosaurier. Die Wissenschaft rätselt bis heute, ob es ein grosser Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag war, der aufgrund der reduzierten Sonneneinstrahlung plötzlich einen Klima- und Vegetationswandel auslöste.

Als der Vesuv ca. 79 n. Chr. ausbrach, verschwand Pompeji unter einer 12m hohen Lava- und Ascheschicht. Noch heute gilt der Vesuv als der gefährlichste Vulkan der Welt. Geologen bezeichnen ihn als Zeitbombe.

Der Ausbruch des Vesuvs könnte verheerende Auswirkungen haben

Die Wahrscheinlichkeit für einen richtigen Ausbruch des Vesuvs wird auf 1% geschätzt, dies für den Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Also ein einigermassen überblickbares Szenario. Sollte dieses allerdings eintreffen, wären die Auswirkungen verheerend. Wir würden uns dann nicht nur über eine vorübergehende Beeinträchtigung des Flugverkehrs unterhalten.

Neapel zählt über eine Million Einwohner, der betroffene Grossraum (leider inklusive der schönen Insel Capri) sogar über drei Millionen. Hunderttausende von Todesopfern wären zu beklagen. Die Szenarien sind bekannt, gemacht wird wenig. Analog zu unserer Pandemie-Vorbereitung (Stichwort Masken, Krisenpläne, etc.)… Es gibt zwar seit langem Umsiedlungspläne in der Region, selbst mit Prämien. Praktiziert wird indessen das Gegenteil: In den besonders betroffenen „roten Zonen“ wird nämlich kräftig gebaut. Die heutigen Evakuierungspläne für einen Ausbruch gehen von einer Vorlaufzeit von 14 Tagen aus. Buona Fortuna! Die Evakuierung der Region würde wohl zu einem mehr als italienischen Chaos ausarten, zumal die Fluchtmöglichkeiten beschränkt sind. Elend und Plünderungen wären vorprogrammiert, die Armee müsste eingreifen. Abgesehen von den drastischen ökonomischen Auswirkungen in der ganzen Region wäre der direkte Einfluss auch überregional und würde mit Bestimmtheit auch die Schweiz betreffen. Strom- und Kommunikationsverbindungen können gekappt werden, halb Europa wäre von Hospitalisierungen betroffen. Apocalypse now?

Auch globale Auswirkungen

Ein grosser Vulkanausbruch würde nicht nur einen Aschenregen über die Alpen niedergehen und die Airlines grounden lassen. Der „Flügelschlag des Schmetterlings“ würde Kollateralschäden produzieren, an die wir im ersten Moment kaum denken: Kälteeinbrüche, Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Tsunamis. Die Klimaveränderung könnte auch längerfristig anhalten. Lieferketten könnten unterbrochen werden, Versorgungsengpässe wären vorprogrammiert, globale ökonomische Auswirkungen wahrscheinlich. Und das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Die Frage müssen wir leider nochmals mit Ja beantworten. Das einzig Positive an dem Szenario: Es ist in der Tat wenig wahrscheinlich.

Wieso unterhalten wir uns so lange über den Vesuv…?

Lohnt es sich überhaupt, sich mit wenig wahrscheinlichen Krisen auseinanderzusetzen? Die Krux liegt jedoch darin, dass sich ein ganzer Reigen an Krisen präsentiert: Strommangellagen, Cyberattacken, Atom-Terrorismus, neue Pandemien, etc. Der Bundesrat hatte schon 1999 und nochmals 2015 definiert, welche Krisenereignisse die wahrscheinlichsten sind. Der Russe, der den Rhein überschreitet, war nicht mehr auf der Liste. Die Pandemie indessen schon, sogar auf Platz 2. Und trotzdem waren wir nur knapp vorbereitet. Wir sind also bereit, den Russen zu empfangen, nicht aber eine Pandemie.

Prognosen sollten Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen beinhalten. Sind die Wahrscheinlichkeiten einigermassen hoch, das Ausmass einer Krise ebenso, lohnt es sich, Vorbereitungen zu treffen. Dafür Geld auszugeben stellt anschliessend eine volkswirtschaftliche Investition dar.  Erst kürzlich wurden unsere Behörden für die Bekämpfung von Cyberattacken mit 20 Stellen etwas verstärkt – ein guter Anfang. Was jedoch fehlt: ein umfassendes Management zur Krisenvermeidung und Krisenbekämpfung. Werden wir aus der  Corona-Krise tatsächlich lernen?

True Economics wird sich in weiteren Beiträgen den verschiedenen Krisendefinitionen und den volkswirtschaftlichen Konsequenzen widmen. Ein etwas unappetitliches Thema, dem wir jedoch nicht ausweichen wollen. Die Addition aller möglichen Krisenwahrscheinlichkeiten wird nämlich zur Erkenntnis führen, dass die Summe dieser unabhängigen Eintretens-Wahrscheinlichkeiten und deren Auswirkungen plötzlich ein sehr wahrscheinliches Szenario für eine nächste Krise darstellt. Leider wissen wir kaum, welches Szenario zuerst eintreten wird.

Fazit: Unsere Krisenvorbereitung muss dringend verbessert werden

Krisenvermeidungen sind zum Teil unmöglich – siehe Vesuv. Unsere Volkswirtschaft muss indessen trotzdem überlegen, für welche Krisenerkennung und vor allem Krisenbekämpfung wieviel Geld ausgegeben werden soll. Wir müssen also vorab die wahrscheinlichsten grossen Krisen definieren, ihre Eintretens-Wahrscheinlichkeiten schätzen, die Auswirkungen berechnen und die Krisenbekämpfung planen. Das Ranking der Krisen sollte uns das Mass der Investitionen für die Krisenvorbereitung vorgeben. Unsere Armee kostet rund acht Milliarden pro Jahr – vorab für ein Krisenszenario, welches gar nicht mehr oben auf der Liste figuriert. Wir unterhalten zudem einen Zivilschutz, welcher eine kleinere Flutkatastrophe bekämpfen kann, aber vermutlich viele andere Krisen nicht. Und wir verfügen über nur provisorisch vorbereitete Krisenstäbe. Wir geben zurzeit sehr viel Geld für die Corona-Krisenbekämpfung aus – für die Vorbereitung dieser Krise, obwohl ziemlich wahrscheinlich, liessen wir indessen kaum etwas springen. Und so sind wir auch für die nächsten (wahrscheinlichen) Krisen kaum vorbereitet. Wir müssen umdenken.

Hilfskredite der Staaten: die 10 roten Linien

Oder warum die staatliche Verbilligung eines Joghurtbechers um einen Cent einfach nicht geht.

Unter dem Deckmantel der Coronahilfe – oder auch sonst nur in Form von „Konjunkturhilfe“ – greifen die Staaten tief in die Taschen. Sei es mit Subventionen oder Krediten: Das Füllhorn wird ausgeschüttet. Dabei werden oft rote Linien überschritten. Staaten begehen gerade in Krisenphasen oft ordnungspolitische Sünden oder erlauben sich Grosszügigkeiten, die zuweilen nur politisch motiviert sind. Die vorauseilende Hilfe an die Swiss zum Beispiel war ein solcher Sündenfall, das Zusammenkaufen von Börsenwerten durch das Fed oder das Euro-Manna an kränkelnde Südstaaten. Leider sind die roten Linien oft mit grosser Schuldenbildung verbunden. Unser Beitrag wird 10 rote Linien aufzeigen.

Die Corona-Kredite in der Schweiz konnten in Rekordgeschwindigkeit gesprochen werden – ein Husarenstück der Schweizer Behörden, in der Tat. Die Effizienz wurde für einmal der Geschwindigkeit untergeordnet, Schrotschuss dem genauen Treffen vorgezogen. Das war sicher richtig. Natürlich war eine überaus hohe Dringlichkeit („Krediterteilung in 30 Minuten“) in dieser krassen Form nicht notwendig, hinterliess aber immerhin ein gutes Image. Man hätte es auch etwas differenzierter orchestrieren können, zumal die Geldinstitute die Kredite vergeben mussten: Eine Risikokategorisierung durch die Banken hätte gewisse Firmen ausschliessen können, deren Überleben so oder so nicht gesichert war. Eine Darwin’sche Triage fast, das Regelwerk liess es indessen nicht zu. Als „Pfand“ hätte man auch die Hinterlegung von Aktienanteilen fordern können, die in einem von den Banken und dem Bund verwalteten Krisenfonds hinterlegt werden. Diese Sicherheiten hätte man zum Beispiel binnen eines Monats erbringen können. Aber Achtung: Das Modell hätte berücksichtigen müssen, dass der Staat nie Eigner werden darf. Wie dem auch sei, man ist mit den Kreditvergaben nur knapp an der roten Linie vorbeigeschrammt, hat aber immerhin gehandelt. Wir lassen es durchgehen.

Echte rote Linien wurden jedoch weltweit überschritten. Im Folgenden sollen ein paar aufgeführt werden:

Rote Linie Nummer 1: Hilfe an nicht systemrelevante Betriebe

Für die grossen Investitionen (nicht die Coronakredite) hätte alleine die Systemrelevanz die Hilfsbedürftigkeit diktieren sollen. Die Swiss-Kreditierung war in diesem Sinne weder dringend, noch ordnungspolitisch korrekt. Es wurde eine Firma in ausländischem Besitz subventioniert, deren Aktivitäten hätten ersetzt werden können. Nostalgie und falsch interpretiertes Heimatgefühl sind schlechte Begleiter von Unterstützungsübungen. Systemrelevanter wären die Kitas gewesen: Hilfe an dieser Stelle hätte ermöglicht, dass solche Betriebe in irgendeiner Form beitragen könnten, vor allem Arbeitnehmerinnen berufliche Handlungsfreiheit zu sichern.

Rote Linie Nummer 2: Hilfe an „fallen angels“

Die USA – also das Fed – investiert nicht nur generell an der Börse, sondern kauft sogar morbide Firmen zusammen. Damit wurde eine rote Linie krass überschritten. Auch die EZB macht es nicht besser und übersteigt mit ihrem „quantitative easing“ in nie dagewesener Form sogar – vermutlich – ihre formellen Kompetenzen. Aber auch in der Schweiz gibt es unsinnige Investitionen: Hilfe für schon vor der Krise hoffnungslos operierende Vorortsgastronomen, das Garnihotel ohne Konzept oder Unterstützung für andere ungelenk Operierende und schon früher annähernd dem Tod Geweihte ist sinnlos. Zoombiefirmen zu unterstützen heisst, rote Linien zu überschreiten.

Rote Linie Nummer 3: Verlängerung der Kurzarbeit über eine Krise hinaus

Der Sinn der Kurzarbeit war immer von vorübergehender Natur. Es gilt, momentane Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Wenn Firmen indessen um ein Downsizing oder die Aufgabe ihrer Tätigkeiten mittelfristig gar nicht herumkommen, so nützt auch Kurzarbeit nichts. Es ist nur ein Hinauszögern des Todes, Strukturhilfe oder falsch verstandenes Sozialempfinden. Hier muss besser der Stecker gezogen werden, anstatt den Staat zusätzlich unnütz zu belasten. Man denke besser an Schumpeters „schöpferische Zerstörung“. Mit den falsch verstandenen Hilfen werden nur die nötigen Anpassungen und das Ergreifen von Effizienzmassnahmen aufgeschoben, was weder betriebswirtschaftlich noch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Dem Staat sei also geraten, vor einer Verlängerung der Kurzarbeit in dieser bald post-coronitten Ära genau hinzuschauen. Das könnte so aussehen, dass die Firma nach Bewilligung der ersten Kurzarbeitsphase binnen einem Monat einen kleinen Businessplan vorlegt, wohin die Reise gehen soll. Die Hausbank mag dabei helfen – es wird auch in ihrem Interesse sein. Nur schon die Aufgabestellung für den Businessplan könnte positiv regulierend wirken. Die Schweiz plant nun eine Ausweitung der Kurzarbeit auf 18 Monate – vordergründig vielleicht sympathisch, aber eine Milliardenausgabe, welche sich volkswirtschaftlich in diesem Ausmass kaum rechtfertigen lässt.

Rote Linie Nummer 4: Übertriebene Hilfe an Exponenten in Kultur, Sport und Medien

Diese Institutionen sollten genau die gleichen Rechte haben wie andere, welche von Corona-Krediten profitierten. Es gibt keinen Grund, diesen Exponenten in einer Krise direkte Subventionen zufliessen zu lassen. Die Konditionen für zinslose Kredite sind bereits hervorragend, sie müssen zudem erst in fünf oder sieben Jahren zurückbezahlt werden. Sollten diese Institutionen es nicht schaffen, damit über die Runden zu kommen, werden sie sich neu konstituieren müssen. Eine kleine Bruchlandung und ein Wiederaufbau wäre der Volkswirtschaft zuzumuten. De facto weiss der Bund nämlich, dass selbst eine Beschränkung auf Kredite (also ohne die Verteilung von Subventionen) die Rückzahlung in vielen Fällen eh illusorisch ist – womit allein schon die Hilfskredite einen Apanage-Charakter aufweisen. Weitergehendes Manna, das im Rahmen dieser Krise über diesen Institutionen ausgeschüttet wurde oder würde, lässt sich kaum rechtfertigen – auch wenn diesen Geschenken, auch hier, ein gewisser Sympathiewert nicht abzusprechen ist.

Rote Linie Nummer 5: invasive staatliche Industriepolitik

Eine soziale Marktwirtschaft dürfte sich nicht aktiv in Angebote der Industrie einmischen. Wenn Frankreich nun seine verschlafen agierenden Renault-Werke mit 5 Milliarden unterstützen möchte, wird das kaum nachhaltig sein. Mit Geld allein kann man Märkte und Innovationskultur nicht beschleunigen. Die 35h-Woche und Managementfehler lassen sich damit nicht beseitigen – im Falle Renaults zwei ursächliche Gründe für die Misere, welche selbstredend nicht erst durch Corona produziert wurde.

Auch die bis zu 9‘000 Euro schwere deutsche Kaufprämie für Elektrofahrzeuge ist eigentlich nur verdeckte Industriepolitik: Die ökologische Effizienz ist fragwürdig, zumal die Energiegewinnung im Moment noch alles andere als ökologisch ist. Die den deutschen Fahrzeugbauern aufoktroyierten neuen Technologien setzen sich nicht ab, deshalb die grosszügigen Kaufprämien. Das ist zusätzlich falsch, weil inländische Käufer so (im Vergleich zu ausländischen) subventioniert werden. Selbst mit der Idee oder dem Vorwand, ein „Smartphone auf vier Rädern“ zu fördern: Eine solche „Konjunkturpolitik“ führt zu Marktverzerrung und stellt eine einseitige Begünstigung einer Branche dar. Industriepolitik eben, welche rote Linien überschreitet.

Rote Linie Nummer 6: Hilfe an Staaten ohne Auflagen

True Economics verweist auf den Beitrag von Paul Carpenter vom 1. Juni („Maastricht ist tot“). Euro-Manna auszuschütten über Staaten, welche ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, ist Verschwendung. Wenn Hilfe in Form von Investitionen parallel zu Reformen erfolgt, kann dies sinnvoll sein. Einige Südstaaten in der EU sind jedoch gar nicht aufnahmefähig für Investitionen; „Hilfe“ heisst in diesen Fällen also „Durchfüttern“. Das ist Verrat an den Steuerzahlern der Nordstaaten. Wann wehren sich diese endlich? Es würde nur zu einer klugeren Mittel-Allokation führen und zu einer Stärkung des europäischen Wirtschaftsblockes.

Rote Linie Nummer 7: überbordende Geldschöpfung

Die Notenbanken fast aller Staaten schöpfen nun Geld in absolut unverantwortbarer Weise. Die damit zusammenhängenden Kreditaufnahmen der Staaten für ihre explodierende Verschuldung können nur verkraftet werden, wenn die Zinsen noch für Dezennien auf null bleiben. Auch dies ist Verrat – diesmal  an den künftigen Generationen, welche so um ihre Renten und Sparanstrengungen gebracht werden. Rote Linien werden auch hier überschritten, nicht nur ordnungspolitisch, sondern auch moralisch.

Rote Linie Nummer 8: falsche Konjunkturprogramme

In Krisen bringt Hilfe nur etwas, wenn diese sofort erfolgt. Deshalb verpuffen Konjunkturhilfen oft wirkungslos – sie kommen meistens zu spät, wirken dann bisweilen zyklisch, anstatt antizyklisch. Keynesianische Modelle waren deshalb nur zu oft nicht sehr zielführend. Konjunktur lässt sich selten „kaufen“. Eine Erhöhung der Staatsausgaben bringt das Räderwerk der Wirtschaft nicht nachhaltig zum Laufen – vor allem, wenn es sich nicht um staatliche Investitionen (so zum Beispiel um Infrastrukturprojekte) handelt, sondern nur um staatlichen Konsum. Im Wissen darum, dass dem so ist, da man über die letzten Dezennien ja dazu gelernt hatte, werden mit den falschen staatlichen Konjunkturprogrammen deshalb sehenden Auges rote Linien überschritten.

Wenn die deutsche Regierung nun ihre Mehrwertsteuer vorübergehend vom 1. Juli bis 31. Dezember in homöopathischer Form um zwei bzw. drei Prozent runtersetzt, um die Konjunktur anzukurbeln, wird das ein 15-Milliarden-Schuss in den Ofen sein. Ein Becher Joghurt verbilligt sich so um einen Cent. Ob das wohl eine Nachfragelawine auslösen wird…? Die Regierung weiss doch, dass das Problem derzeit bei der Kauflust generell und bei der erhöhten freiwilligen Sparneigung liegt. Wieso tut sie es trotzdem?

Bei einem Fahrzeugkauf von 100‘000 Euro lohnt es sich indessen, besser zu planen: Der neue BMW wird dann nicht jetzt, sondern mit einem Discount von 3‘000 Euro erst ab dem 1. Juli geordert, und vor dem 31. Dezember wird vielleicht noch schnell ein Kauf getätigt, der für den Januar 2021 geplant war. Wem das am Schluss wohl geholfen hat…?

Die hochindustrialisierten Staaten hängen in der Regel bis zu 50% eh sehr stark vom Export ab. Klassische Konjunkturprogramme helfen also so oder so nur partiell. Im Wissen um alle diese Zusammenhänge – und eben mit der verdeckten Erkenntnis, dass es sich bei diesen Giesskannen-Manövern nur um politische Geschenke handelt – werden tief-rote Linien überschritten!

De facto handelt es sich (wie die vorübergehende deutsche Kinderzulage für alle) nicht um eine Verteilung an Hilfsbedürftige, sondern um teures und nicht punktuell eingesetztes  Helikoptergeld.

Rote Linie Nummer 9: Helikoptergeld

Verschiedene Staaten haben in indirekter Form schon Helikoptergeld abgeworfen. Der Begriff entstand aus dem Bild einer breitflächigen direkten Verteilung von Geld an alle. Es ist ein Verzweiflungsakt, welcher die Stabilität der Währung und des Finanzsystems gefährdet, Geld an sich psychologisch entwertet und zudem sehr unsozial ist. Siehe falsche Konjunkturprogramme Deutschland. Die USA haben im Rahmen der Corona-Krise an alle – alle! – Haushalte Geld verteilt. Donald Trump ist eben ein netter Kerl, die Wähler werden ihn vielleicht mit ihrer Stimme belohnen.

Rote Linie Nummer 10: der Stil…

Nein, hier handelt es sich nicht um eine makroökonomische rote Linie. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass gewisse Regierungschefs gerade in der aktuellen Krise vermehrt auch rote Linien in Sachen Stil und Verkennung von Faktenlagen überschreiten. Wir denken hier keinesfalls an Donald Trump, denn True Economics möchte ja apolitisch bleiben.

Fazit: Werden die roten Linien überschritten, überschreitet der Staat seine ursächlichsten Aufgaben und Kompetenzen. Er produziert Schulden, welche die Zukunft belasten oder verzerrt Angebot und Nachfrage. Corona muss eben für vieles herhalten – vor allem für Probleme und Strukturschwächen, die schon lange vor der Krise bestanden. Was wir dagegen tun können? Wir prangern sie einfach an, diese überschrittenen roten Linien.

Keine Waldmeyer-Glosse verpassen!

Ich melde mich für den Newsletter an und erhalte alle zwei Wochen per Email eine kurze Info.

Sie haben sich erfolgreich angemeldet

There was an error while trying to send your request. Please try again.

TRUE ECONOMICS will use the information you provide on this form to be in touch with you and to provide updates and marketing.