Waldmeyer und die Modewörter

2018 waren es noch Genderbegriffe. Max Waldmeyer hatte sich schon damals in die Nesseln gesetzt, als er anlässlich eines Schulbesuches diesen Peter Holenstein (Laras Lehrer) als „Lehrerin“ ansprach. Es kam nicht gut an. 

Waldmeyer hatte schon immer Probleme mit den plötzlich aufkommenden neuen Begriffen. Doch alle Rechtfertigungen nützten nichts, damals, in der Causa Holenstein. Dabei hatte Waldmeyer es nur gut und genderfreundlich gemeint. Seine Tochter Lara hat ihm das bis heute nicht verziehen und rächt sich seither mit ihren Schreibweisen – mit Sternen, Unterstrichen oder diesen dämlichen Wortkombinationen mit „Innen“. Immerhin schaffte es Waldmeyer seither, solche unästhetischen Schreibweisen nie selbst zu verwenden und Zeitungsartikel, welche durchwegs nur die feminine Form verwenden (es gibt dann tatsächlich nur „Lehrerinnen“, vielleicht auch nur „Mörderinnen“) sofort wegzulegen.

„Ich kümmere mich jetzt mal um den Garten“, meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber. Es war ein trüber Samstagmorgen. Gartenarbeit hat den Vorteil, dass man dabei gleichzeitig Gescheites reflektieren kann, freute sich Waldmeyer.

Also stapfte er in seinen Garten in Meisterschwanden und spann seine Gedanken weiter. In Sachen Modewörter eben. Vorletztes Jahr ärgerte er sich über das Wort „Gentrifizierung“. Keine Ausgabe der Tageszeitung, kein gescheiter Aufsatz ohne dieses Wort. Zu Beginn googelte Waldmeyer noch: Mit Gentrifizierung war der sozioökonomische Strukturwandel einer Stadt oder eines Stadtviertels aufgrund allerlei Einflüsse von aussen gemeint. Soho in London beispielsweise produzierte eine ganz angenehme Ausprägung von Gentrifizierung, zumindest für Aussenstehende. Barcelona ist ebenso ein Beispiel für diesen Wandel, die Stadt besteht heute allerdings nur noch aus Touristen, welche Airbnb-Wohnungen suchen; die Einheimischen finden das gar nicht lustig. Zürich-West ist eine weitere – geplante – Gentrifizierungs-Geschichte: Hier versucht die Stadtverwaltung mit allen Mitteln, das bünzlige Aussenquartier in einen hippen Stadtteil zu verwandeln. Was bis heute allerdings nur im Ansatz gelang.

Wenn dann selbst Schweizer Lokalblätter von Gentrifizierung, so beispielsweise einer Agglomeration im Aargau, sprechen, ist der Begriff endgültig durch. Es ist so wie mit der Börse: Wenn die Putzfrau mit Spekulieren beginnt und das Gespräch diesbezüglich mit dir sucht, ist die Sache vorbei – gleichentags noch solltest du in diesem Fall sofort alles verkaufen. Das Gleichnis diente Waldmeyer zur Illustration von Modewörtern: Wenn ein Begriff inflationär gebraucht wird, ist er eben verbraucht. Dessen Verwendung grenzt dann schon fast an Peinlichkeit. 

Das Unwort des Jahres 2021 war „Pushback“, 2020 war es „Corona-Diktatur“. Interessanter 2017: „Alternative Fakten“. Das war immerhin etwas wirklich Einnehmendes, ein richtig starkes Wort: alternative facts. Trump sei Dank. Es läutete ein Zeitalter ein, in dem Fakten sich neu verwischen dürfen: Ab diesem Moment durfte man die Wahrheit umkrempeln und deren neue Darstellung als das Richtige präsentieren. PR-mässig eine Sonderleistung, moralisch etwas vom Verwerflichsten, was die „Zivilisation“ in den letzten Jahrzenten hervorgebracht hat. Der russische Aussenminister Lawrow verdient diesbezüglich auch einen Kaktus.

Und jetzt geht es täglich um das „Narrativ“. Alles ist ein Narrativ. In jeder Talksendung, in jedem Artikel wird jetzt ein Narrativ besprochen. Früher gab es offenbar keine Narrative, jetzt laufend. Eigentlich ist der Begriff nichts anderes als eine Abwandlung von Trumps alternative facts: Narrative sind erzählende und sich festhaftende Darstellungen. Clichés, die sich durchgesetzt haben und auf denen aufgebaut wird. „Syrier integrieren sich nicht“, „Franzosen denken nur ans Essen“, „Spanier handeln im Sinne des mañana“. „Der Westen ist selbst schuld, dass die Russen die Ukraine attackiert haben – wegen der Osterweiterung der Nato nämlich“. Das ist zurzeit das beliebteste Narrativ. Es wird von Russland verbreitet und hat sich an vielen Orten festgesetzt. Oder zumindest unterschwellig als Erklärungsteil etabliert. Der rechte Flügel der SVP und andere Putinversteher haben dieses Narrativ übernommen.

Die Fakten sind indessen anders, betreffend der Osterweiterung. Deshalb ärgert sich Waldmeyer besonders über dieses blöde „Narrativ“. Hatte es kürzlich tatsächlich eine Osterweiterung gegeben? Nein! Dass Montenegro etwa, das Exjugoslawienland mit einer Armee von 1‘600 Mann (wohl etwa so viel wie die Feuerwehr in Zürich), vor ein paar Jahren der Nato beigetreten ist, kann beim besten Willen nicht als Osterweiterung taxiert werden – zumal Montenegro südlich liegt. Vor 18 Jahren sind u.a. die baltischen Staaten der Nato beigetreten, aus nackter Angst vor dem post-sowjetischen Imperialismus. Freiwillig. Was wäre wohl geschehen, wenn diese Staaten heute nicht in der Nato wären? Hätte sie sich Putin noch vor dem Frühstück einverleibt? Im Frühjahr 2008 wurden die Nato-Beitrittsgesuche der Ukraine und Georgiens abgelehnt (Deutschland und Frankreich legten ihr Veto ein). Ein paar Monate später wurde Georgien von Russland attackiert und die Gebiete Südossetien und Abchasien erobert – die bis heute unter russischer Kontrolle sind. 2014 war dann die Ukraine an der Reihe, die Krim und der Donbass wurden überfallen und ebenso dem Putin-Reich angehängt. Und 2022 ist nun die ganze Ukraine an der Reihe. So sieht eine Westerweiterung aus. Eine Osterweiterung der Nato fand, seit 2004, nie statt. Aber eben: das Narrativ … Das Narrativ definiert, dass der Westen eine aggressive Osterweiterung der Nato vornimmt – oder plant –, Russland deshalb verärgert ist und es somit Verständnis für seine imperiale Reaktion braucht. Der selbstverliebte Weltwoche-Verleger und SVP-Rechtsaussen Roger Köppel z.B. ist ein Russland-Versteher in diesem Sinne. Aber auch andere irrlichternde Protagonisten bedienen unablässig dieses Narrativ – in kompletter Ausblendung der Geschichte, bis zurück ins Zarenreich. Medwedew, einer der wichtigsten Adlaten Putins, formulierte es kürzlich kristallklar: Er wünschte sich ein „freies Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon“. Russland war immer, ist es und wird es leider auf absehbare Zeit bleiben: imperial. „Osterweiterungen“, sofern es diese denn überhaupt gab, hatten überhaupt keinen Einfluss. Narrative halten sich eben, wenn sie geschickt lanciert werden.

2022 wäre „Zeitenwende“ als Unwort angebracht. Nur schon, weil es insbesondere deutsche Politiker dauernd verwenden, ohne auch die Massnahmen konsequent einzuleiten, die eine Zeitenwende verdient hätte. Immerhin wurde ein Tankbonus verteilt (Kosten: drei Milliarden Euro, mittels Giesskannenprinzip verteilt), um die Wende kurzfristig abzuwenden. 

Wie dem auch sei: Waldmeyer versuchte, sich wieder seinem Garten zuzuwenden. Das Stück Land, das er nun zusätzlich vom Nachbarn abkaufen konnte, wird sein Grundstück in Meisterschwanden schön abrunden. Er arbeitete persönlich an der nötigen Humus-Aufschüttung auf der Morgenseite seines Grundstückes, im Osten also. Eine schöne Aufgabe, so sah man auf jeden Fall nach ein paar Stunden einen Effekt – in der Firma war das eher selten. Und gleichzeitig konnte man Narrative analysieren.

„Bist du jetzt fertig mit der Aufschüttung?“, fragte Charlotte gegen Abend.

„Du meinst die „Osterweiterung …?“, fragte Waldmeyer zurück und erschrak. Hatte er jetzt soeben ein Narrativ bedient?

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