Eigentlich versucht Waldmeyer immer, apolitisch zu denken. Er zieht es vor, die Dinge konsequent aus betriebswirtschaftlicher, nötigenfalls aus volkswirtschaftlicher Sicht zu betrachten – und auch zu hinterfragen. In der Regel geht es ihm immer um einen sinnvollen Mitteleinsatz. Mit Freude nahm er deshalb zur Kenntnis, dass ab dem 1. Januar 2021 die Schweizer Luftwaffe nun nicht mehr nur zu Bürozeiten einsatzbereit ist, sondern rund um die Uhr – und dies sogar mit zwei (2!) Fliegern. Allerdings, und das entsetzte Waldmeyer wiederum, nur „innerhalb von 15 Minuten“.
Ob die Piloten erst geweckt, die alten Jets erst vollgetankt oder ob erst auf eine Flugerlaubnis von Viola Amherd gewartet werden muss? Zumal der Dolmetscher – für Viola – rechtzeitig, vielleicht gerade mitten in der Nacht, bemüht werden müsste. Walliser Mundart ist ja nicht jedem in der Befehlskette geläufig. So oder so: 15 Minuten sind eine lange Zeit, vor allem im Ernstfall.
Waldmeyer wusste: Jeder durchschnittliche feindliche Kampfjet bringt es auf Mach 2, also auf eine Geschwindigkeit von über 2‘000 km/h. Dieser legt demnach in 15 Minuten 500 Kilometer zurück. Mit andern Worten: Ein feindlicher Kampfjet dringt zum Beispiel bei Schaffhausen in den Schweizer Luftraum ein, fliegt nach Genf, dreht eine Runde um den Jet d’Eau, steuert dann Basel an und verlässt so wieder den Schweizer Luftraum. Und dies nach genau 15 Minuten. Just in diesem Moment starten dann unsere tollen Flieger (die neuen natürlich erst ab 2030). Biden und Putin hätten während ihrem Gipfeltreffen in Genf ob der virtuosen Flugeinlage der vermeintlichen Schweizer Flugwaffe, die gekonnt den Jet d’Eau umkurvt hätte, nur so gestaunt.
Nun gut, unser Schweizer Krisenszenario sieht ja kaum einen feindlichen Luftkrieg vor. Wir kämpfen schon eher gegen Pandemien. Notfalls holen wir sogar unsere Leute aus Afghanistan raus – aber wir tun das natürlich nicht selber. Dennoch stellen Terrorangriffe trotzdem ein nicht ganz unwahrscheinliches Krisenszenario dar. Taliban-Terroristen beispielsweise sind bereits im Besitz von solch schnellen Kampfjets (die Amis waren nämlich ein bisschen liederlich bei ihrem Abzug). Oder wahrscheinlicher, weil einfacher: Terroristen könnten einen Learjet buchen und, von Hand, eine Bombe über dem Bundeshaus oder über einem einzelnen Bundesamt abwerfen (bedauerlicherweise z.B. über dem BAG). Der Learjet, so rechnete Waldmeyer, würde beispielsweise mit 900 km/h bei Basel einfliegen, in Bern sich seiner risikobehafteten Bombenlast entledigen, dann wieder zurück ins Elsass stechen. Dauert auch gut 15 Minuten. Dann starten unsere zwei Flieger. Vielleicht nur einer, denn das relativ uninteressante BAG-Ziel war eventuell nur ein Ablenkungsmanöver, also würde Viola den zweiten Flieger besser noch zurückhalten – für einen Worst Case.
Das macht alles ja gar keinen Sinn, resümierte Waldmeyer. Denn wenn unser erster Flieger (der zweite, wie wir wissen, würde noch in Emmen warten) in der Luft ist und bei Basel wieder scharf abdrehen müsste, wären die illustren Passagiere des Learjets bereits in Colmar – vielleicht gerade schon beim Gänseleber-Essen.
Waldmeyer hatte im Herbst 2020 zwar für Frau Amherds neue Kampfjets gestimmt. Nun stellte er jedoch, mit der neuen Erkenntnis des Einsatzplanes dieser Geräte (mit der bedauerlichen Abflugverspätung von 15 Minuten), die Investition von sechs Milliarden plötzlich in Frage. Konsequenterweise müssten die ebenso rund sechs Milliarden, die die Schweiz jedes Jahr für die gesamte Landesverteidigung ausgibt, hinterfragt werden. Zumindest müssten die Mittel adäquat einsatzbereit sein. Aus Waldmeyers unternehmerischer Sicht lag hier also entweder eine Fehlentscheidung bei der Investition vor oder es handelt sich um eine fehlerhafte Nutzung dieser Investition. Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit einer mangelhaften Mittelallokation.
Waldmeyer erinnerte sich an die neue EDV-Anlage in seiner Firma, es war im September 1998, die nie zum Laufen kam. Oder an das verfluchte SAP-Programm für die Bestellabwicklung 2005 – alles vergleichbare Mittelverschwendungen. Was die Schweizer Luftwaffe betrifft: Alles andere, als sich solche nicht sofort einsatzfähigen Kampfjets zu leisten, wäre günstiger. Man könnte, für viel weniger Geld sogar (um nur ein Beispiel zu nennen, dass sich vielleicht ganz gut in andere helvetische Absurditäten einreiht), alle Schweizer Militärpiloten einmal wöchentlich ins Elsass fliegen, zum Gänseleber-Essen. Das wäre immer noch günstiger, als alle diese zu spät abfliegenden Vögel instand zu halten.
„Eigentlich ist Gänseleber gar nicht so teuer, Charlotte“, meldete Waldmeyer zu seiner Frau rüber. „Relativ gesehen, meine ich.“ Charlotte antwortete nicht, da sie einerseits keine Gänseleber ass, andererseits heute keine Lust verspürte, Waldmeyers neue Relativitätstheorien anzuhören. Waldmeyer fühlte sich wieder einmal sehr alleine gelassen mit seinen Überlegungen. Die ökonomischen Rätsel häufen sich in letzter Zeit.