Oder wenn die Büchse der Pandora digital wird
Wenn die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, als ehemalige Kinderärztin eine digitale europäische Währung in Aussicht stellt, so ruft das zumindest Stirnrunzeln hervor. Von wem sie sich wohl beraten und beeinflussen lässt? Von den Finanzministern klammer Staaten, oder von Geldschöpfungs-Berserkern, wie den Verfechtern der MMT (Modern Monetary Theory)? True Economics beleuchtet die Hintergründe und zeigt auf, wie brandgefährlich solches Tun ist.
Was haben der gute alte Biden, der Staatskapitalist Xi Jinping, der ehemalige Licence-to-kill Agent (Putin), die Juristin Lagarde (Europäische Zentralbank), und eben die Kinderärztin gemeinsam? Erstes träumen sie alle von einer digitalen Währung, zweitens sind sie alle keine Ökonomen, und drittens verstehen sie nichts davon. Auch der deutsche Finanzminister Scholz, ansonsten nicht gerade ein Ausbund an Dynamik, eher schon die Inkarnation eines altsozialistischen Langweilers, hatte kürzlich für einmal etwas Spannendes von sich gegeben: Er sei gegen dieses „Libra“, aber für eine europäische Digitalwährung. Unserer Ex-Konzertpianistin Sommaruga ist immerhin zugute zu halten, dass sie sich, im Moment noch als Bundespräsidentin, in der Causa „Digitaler Schweizerfranken“ (noch nicht) geäussert hat. Ein besonderes Lob müssen wir unserem Finanzminister Ueli Maurer aussprechen, denn auch er schweigt zu dem Thema. Dabei wäre gerade er noch halbwegs berufen, sich in dieser Sache zu melden – sind bei ihm doch immerhin ein paar dünne ökonomische Spuren in seinem CV auszumachen (KV, führte den Volg). Auch Mutti schweigt. Obwohl es vielleicht gerade der Atomphysikerin Angela Merkel noch zuzutrauen wäre, in dieser komplexen mathematischen und digitalen Mengenlage Kompetenz zusammenzuklauben.
Natürlich könnten wir nun alle diese Protagonisten in Schutz nehmen und anführen, dass Staatsführer nicht alles selber verstehen müssen – es gibt ja Stäbe, Berater und Spezialisten, auf die man zurückgreifen kann. Aber verstehen auch alle diese Berater diese digitalen Vorgänge…? Erkennen sie die Gefahren?
Immer neue Digitalwährungen
Neue digitale Währungen, wie Bitcoin etwa, stellen eine neue Dimension an Werten dar, weil diese eben in Konkurrenz zu bisherigen Währungen treten. Nach Bitcoin und anderen Kryptowährungen kam nun Libra noch dazu (neu „Diem“), die neue digitale Währung von Facebook: vordergründig die Lösung für Milliarden von Menschen weltweit, die nicht über ein Bankkonto verfügen, hintergründig natürlich als raffiniertes Vehikel, um Kommunikation und Konsum auf einen neuen und lukrativen Level zu führen.
China und die USA wollen sich offenbar in einen Wettlauf in Sachen Einführung von digitalen Staatswährungen begeben. China gar überlegt sich längerfristig die Abschaffung des Bargelds, der digitale Ersatz soll mittels Blockchain-Technik erfolgen – die totale staatliche Kontrolle wäre so perfekt, George Orwells „1984“ Kinderliteratur dagegen.
Sind wir alle überfordert…?
Tatsache ist, dass viele Staaten jetzt kalte Füsse kriegen. Sie haben Angst, dass ihnen die Felle in Sachen Währungskontrolle davonschwimmen, wenn sich immer mehr (private) Konkurrenzwährungen entwickeln. Die Herausgabe von Währungen soll – mehr oder weniger verständlich – staatliches Hoheitsrecht bleiben. Dann doch lieber eigene digitale Währungen lancieren, auch wenn wir die Folgen nicht richtig einordnen können. Und damit sind wir wieder bei der Kinderärztin. In unserer Leserschaft gibt es einige Ökonomen und intelligente Berufsleute, die durch das Stahlbad der Finanzwelt gegangen sind. Doch sie und wir alle (und selbst die schlauesten internationalen Ökonomen) verstehen die Funktion von digitalen Währungen nicht immer à fond. Und sie alle können die langfristigen Folgen der Schöpfung von solchen Werten nicht abschätzen. Was passiert mit der Inflation? Wie sicher ist eine solche Währung in Bezug auf Hacker und Cyberattacken? Oder ganz einfach: Was passiert bei Stromunterbrüchen? Das letzte lässt sich noch am ehesten erahnen. Wir wissen ja, was geschieht, wenn der Kreditkartenterminal ausfällt: Wir ziehen dann unsere Nötli aus dem Portemonnaie. Aber eben: Das Not-Szenario setzt das Vorhandensein von genügend Bargeld voraus – bei jedem persönlich, aber auch im Umlauf.
Elektronische Zahlungsmethoden waren nur die Vorreiter
Wir alle kennen und nutzen die neuen Zahlungsmethoden: ob Kreditkarte, Twint, Google Pay oder andere neuen digitalen Bezahlmittel. Sie sind alle im Vormarsch und verdrängen das Bargeld – Corona hat den Trend noch beschleunigt. Diese neuen elektronischen (oder digitalen?) Bezahlformen sind de facto neue Währungen – zwar in Denomination bekannter Währungen, wie Euro oder CHF. Aber diese Mikroüberweisungen stellen in ihrer Summe bereits Milliarden an neuem künstlichem Geld dar. Es sind de facto bereits Kunstwährungen, welche den Geldumlauf vergrössern. Immerhin basieren sie alle auf unseren Staatswährungen. Aber sie sind dennoch die cybermässigen Vorreiter für parallele digitale Währungen. Die Schnittstelle von traditioneller zu digitaler Währung stellt allerdings einen Quantensprung dar, denn die digitalen Währungen basieren wohl kaum mehr auf reellen Gegenwerten!
Die neuen Währungen könnten auch durch die Hintertüre kommen: als natürliche Weiterentwicklung des elektronischen Geldverkehrs. So würden wir es vielleicht gar nicht merken.
Kryptowährung ist nicht gleich Digitalwährung
Die meisten digitalen Währungen sind heute „Kryptowährungen“, welche i.d.R. auf einer Blockchain-Konstruktion basieren. Zu 50%, so die heutige Schätzung, wird diese heute (so vor allem bei Bitcoin) für kriminelle Zwecke genutzt. Die Zahlungsströme lassen sich nicht „tracen“, benötigen aber einen gigantischen Energiebedarf – was ihre grosse Verbreitung einschränken wird. Das System basiert weltweit auf simultaner Datenverfügbarkeit und verbraucht so eine Unmenge an Energie (bei Bitcoin heute rund den Energieverbrauch Hollands). Ausserdem ist es mit seinem „Mining“-Ansatz volumenmässig limitiert – was immerhin der Kurspflege dient. Solche Blockchain-basierten Digitalwährungen lassen sich also nicht beliebig multiplizieren. Aber das wissen die Notenbanker und Finanzminister der einschlägigen Staaten schon, auch die Kinderärztin. Eine Digitalwährung kann nämlich auch ohne Blockchain funktionieren: Man schafft sie einfach – quasi aus dem Nichts. Man hinterlegt sie nicht mit Gold, eigenen oder Fremdwährungspositionen oder irgendwelchen anderen staatlichen Bilanzwerten. Man stellt sie mehr oder weniger in der richtigen Dosierung einfach ins Netz, wo sie abgerufen werden kann. Zu einfach, um wahr zu sein?
True Economics sagt: Das birgt ein gigantisches Inflationsrisiko in sich. Aber vielleicht wäre gerade dies die beabsichtigte Lösung, um die explodierenden Staatsschulden zu vernichten? Geldentwertung führt ja bekanntlich auch zu Schuldenentwertung.
MMT: Gift für die Geldstabilität
Die „Modern Monetary Theory“ basiert auf dem Glauben an die fast unlimitierte Schöpfung von Geld und folgenlose Schuldenmache durch den Staat. Dieser sich munter verbreitende Ansatz kommt einigen Staaten im Moment gerade gelegen.
Der Produktionsfaktor Kapital wird also künftig, nachdem de facto auch der Zins nahezu abgeschafft wurde, nichts mehr kosten. Eine wichtige Forderung von Karl Marx wäre damit bereits erfüllt: Das Kapital zumindest gehört jetzt allen. Wenn dann allerdings Inflation droht, ist es zu spät, um die Geldmenge zu regulieren. Würden die Zinsen drastisch erhöht, würden die Ersatzkredite, welche die auslaufenden fortschreiben, zu plötzlich hohen Kosten führen. Staaten mit hohen Krediten, Kommunen und Infrastrukturen wären dann nicht mehr in der Lage, die Zinsen zu stemmen. (Wie in Italien: Wenn das Land für seine Staatsschulden normale Marktzinsen zu entrichten hätte, wäre es schon gestern bankrott gewesen.)
Dass sich Präsident Madura einer Rekordinflation (von 20‘000 Prozent 2019) gegenübersieht, ist nicht einfach gottgewollt. Inflation schleicht sich ja nicht heimlich ins Haus, oder steigt, wie bei Corona, klandestin mit dem Samichlaus durch den Kamin rein. Inflation ist fast immer hausgemacht und ist fast ohne Ausnahme das Resultat von unkontrolliertem Gelddrucken – unter der Fuchtel der Politik.
Das war schon immer so. Nur kommt jetzt der neue digitale Hebel dazu, welcher die wundersame Geldvermehrung befeuern könnte.
Wie sicher sind digitale Währungen?
In einer ersten Phase könnte ein E-Euro (mit der gleichen Denomination, also 1 Euro = 1 E-Euro) nur dem institutionellen und zwischenstaatlichen Verkehr dienen. Anschliessend der Wirtschaftswelt, dann erst den Privaten. Die digitale Währung würde später die traditionelle schleichend ersetzen. Und, das zusätzliche Risiko nun: zum grossen Teil – oder auch ganz? – am Ende das Bargeld ersetzen. Eine Vision nur? Eine Verschwörungstheorie? Ein Schreckensgespinst für uns traditionell Denkenden? Angenommen, dies wäre das beabsichtigte Szenario: Dann müssten wir uns nun, zumindest persönlich, vorsehen.
Es sind generell grosse Risiken auszumachen, denn digitale Währungen werden noch mehr als die elektronischen Zahlungssysteme Hackern und/oder Cyberattacken durch Terroristen oder verfeindeten Staaten ausgeliefert sein. Ausserdem besteht das Risiko, dass der Staat die totale Kontrolle über das Konsumverhalten der Bürger übernimmt. Und es kommen staatliche Enteignungsrisiken dazu, insbesondere dann, wenn mittels Einschränkung des Bargeldumlaufes den Negativzinsen nicht mehr zu entrinnen ist. Digitale Währungen im Portefeuille würden unser Leben wohl kaum sicherer machen.
Die Grenzen des Cybergeldes liegen im Vertrauen
Die Hoffnung vielleicht: Die Geldschöpfung wird wohl doch noch endlich sein, wenn das Vertrauen in eine Währung nicht mehr besteht. Wenn also Erdogan z.B. eine digitale türkische Lira auf den Markt wirft, wird das in der Finanzwelt im besten Fall Schenkelklopfen auslösen. Potential für eine Überlebensfähigkeit im globalen Markt hätten nur grosse Währungen wie der US Dollar, der chinesische Renminbi, der Euro und der Yen. Und vielleicht noch der Schweizer Franken und das britische Pfund, in dritter Linie einigermassen starke Nischenwährungen wie der Singapur Dollar oder der kanadische Dollar. Aber auch alle diese Währungen würden ihren Kredit relativ rasch verspielen, wenn übertrieben und grenzenlos Cybergeld geschaffen wird. Die Geschichte lässt sich nicht ausblenden, damit auch nicht eine potentielle Inflation und Geldentwertung. Was uns jedoch nachdenklich stimmen muss: Die Staaten wollen ja gerade Inflation…! (Aber bitte nur ein bisschen, nicht zu viel.)
Eine staatliche Digitalwährung hätte wohl nur Erfolgschancen, wenn diese die „Papierwährung“ 1:1 abbildet und deren Schöpfung klar definierten monetären Regeln unterordnet; so kann sie nicht unendlich multipliziert werden. Ohne Vertrauen in die Währung geht es letztlich nicht. Unsere Kinderärztin und die Juristin bei der EZB tun also gut daran, sich profund beraten zu lassen, bevor sie den E-Euro ins Netz stellen.
DMMT: der gefährliche Cocktail
Die Verbindung nun von MMT und digitaler Währung führt zu einem brandgefährlichen Cocktail: MMT alleine und digitale Währungen alleine bergen schon Sprengstoff. Der Cocktail aus beiden wird jedoch noch explosiver. Durch den Staat geschaffenes Cybergeld müsste erst recht gar nie zurückbezahlt werden. Der Staat dürfte mit vollen Händen das Geld verteilen, seine Staatsquote damit erhöhen und die Staatsdefizite ins Unendliche wachsen lassen. Das wäre dann in den Augen der Staatsführer wohl gar nicht tragisch, denn ein Schuldendienst ist eh nicht vorgesehen. Gleichzeitig könnte der Staat bzw. die Zentralbank den Geschäftsbanken (und damit der Wirtschaft) noch ungehinderter fast unbegrenzt billiges Cybergeld zur Verfügung stellen.
Der gesunde Menschenverstand sagt uns: So ein Perpetuum mobile kann doch längerfristig gar nicht funktionieren! Vielleicht weiss es jedoch unsere Kinderärztin. Natürlich, sie ist unter Druck: Es fehlt an Geld, die Wirtschaft soll angekurbelt werden, viele Staaten im südlichen Europa sind kaum noch zahlungsfähig, die Schulden sollen deshalb verallgemeinert werden. Vielleicht kommt da so eine Digitalwährung gerade recht?
Der Cocktail aus Digitaler Währung und MMT – nennen wir es DMMT – könnte einem Öffnen der Büchse der Pandora gleichkommen: nämlich zu Finanzsystemen führen, die komplett ausser Kontrolle geraten. Die Geldschöpfung wäre fatalerweise und schlechterdings zu simpel: Der Staat stellt einfach Geld ins Netz, das z.B. zinslos abgerufen werden kann. Unbegrenzt.
Schon heute wird in vielen Staaten die Erbsünde begangen, dass die Zentralbanken nicht mehr unabhängig sind, dass sich die Finanzpolitik in die Notenbankpolitik einmischt. Wenn spendable Politiker also auf das System von DMMT zugreifen können, wird der Teufel los sein.
Fazit: Mit der Schaffung von digitalen Staatswährungen besteht tatsächlich die Gefahr, dass das Weltfinanzsystem ausser Kontrolle gerät. Zudem sind die Risiken aufgrund von elektronischen Pannen oder Cyberangriffen nicht zu verharmlosen. Wie stabil eine digitale Währung sein wird, wissen wir – und auch die schlauesten Ökonomen – heute schlichtweg nicht. Es fehlen die Erfahrungswerte. Wir wissen nur eins: Je elektronischer und digitaler der Zahlungsverkehr wird, desto kontrollierter wird auch die Überwachung von Kapital, Einkommen und Ausgaben. Und desto unkontrollierter werden auch die Finanzsysteme. Aber nicht genug: Stehen wir heute etwa vor der faktischen Abschaffung des Bargeldes? True Economics bleibt dran und wird der Sache im nächsten Beitrag vertiefter nachgehen.