Die optimistischen Szenarien des Lufthansakonzerns sind nicht eingetreten. Nicht einmal die vorsichtigen Prognosen von True Economics haben sich bestätigt: Die Realität sieht leider noch viel unappetitlicher aus, denn auf absehbare Zeit wird deutlich weniger geflogen – und kaum eine Luftgesellschaft kann ihren Betrieb aus eigener Kraft aufrechterhalten. Betriebswirtschaftlich ist ein Downsizing alleine nicht zu schaffen, also ist man auf Staatshilfe angewiesen. Also lieber schon heute ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende: Die Swiss müsste vernünftigerweise jetzt grounden.
Es wird nicht geflogen
Gemäss neuen Schätzungen der Swiss wird demnächst 60-70 % weniger geflogen als 2019. Bisher lag die Prognose bei 50% – eine immer noch sehr sportliche Annahme.
Zurzeit werden rund 50% der früheren Flugziele angeflogen, allerdings mit ausgedünnter Kadenz und oft leeren Fliegern, zudem kaum auf den lukrativen Langstrecken. Das Passagieraufkommen insgesamt liegt heute schätzungsweise bei minus 85% zum Vorjahr.
Die Kurzarbeit für die Swiss Crew soll gemäss Bund noch bis Ende 2021 verlängert werden. Und dann vielleicht nochmals? Und nochmals? Damit wird die Swiss zwar sehr schön von den Personalkosten entlastet. Aber es ist nur ein Pflaster, denn fast alle anderen Kosten laufen weiter, viele sind zum Teil gar nicht beeinflussbar (wie die Abschreibungen z.B.).
Die vorsichtige Schätzung von True Economics im Frühjahr 2020 war sogar noch zu optimistisch: Damals korrigierten wir die Prognose der Swiss klar nach unten (siehe Chart). Nun müssen wir die Prognose leider nochmals nach unten korrigieren (siehe unterste Linie im Chart).
Unsere Prognose für den Luftverkehr:
Erst 2022 wird wieder richtig geflogen, denn bevor nicht eine mehr oder weniger flächendeckende Corona-Impfung kommt, wird nichts laufen, denn der freie Reiseverkehr bleibt bis dann abgewürgt. Der Tourismus wird sich dannzumal zudem auf einem deutlich tieferen Level einpendeln, 2022 und 2023 auf vielleicht 75%, verglichen mit 2019. Die Anzahl Geschäftsflüge wird indessen noch tiefer liegen – die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten mit allen ihren Lerneffekten werden massiv auf die künftigen Reisepläne durchschlagen. 2022 und 2023 wird das Passagieraufkommen hier vielleicht bei 60% liegen.
Düstere Aussichten für die Swiss
Der Faktor Geschäftsreisen wird ertragsmässig besonders stark ins Gewicht fallen, denn die Swiss verdiente das Geld bislang vor allem mit den Tickets der Business und der First Class. Ein deutliches Downsizing ist also angesagt, für den gesamten Betrieb. Bedeutend weniger Personal kann beschäftigt werden, eine markante Reduktion der Flotte ist angesagt. Leider können die überzähligen Flieger auf dem Weltmarkt kaum verkauft werden; Abschreibungs- und Unterhaltskosten laufen also weiter. Der Frachtverkehr ist von der Misere kaum betroffen. Aber das hilft der Swiss auch nicht weiter, denn in diesem Geschäft war die Airline eh nie besonders stark.
Point of no Return?
Mit der stark reduzierten Auslastung wird also unmöglich rentabel gewirtschaftet werden können, ergo werden sich neue Verluste zu neuen Schuldenbergen auftürmen. Auf dem Kapitalmarkt sind mit derlei düsteren Aussichten keine vernünftigen Finanzierungen zu bewerkstelligen, also müsste der Staat wieder einspringen. Und immer wieder. Und wenn sich der Staat dann mal so richtig reingekniet hat, wird das ganze Drama politisch zu einem Point of no Return – und es wird weiter unterstützt.
Ein Unternehmer würde den Stecker ziehen
Nun, was macht ein Unternehmer, welcher täglich Millionenverluste erzielt und sich einem kurz- und mittelfristigen Budget gegenübersieht, bei dem sich nur Abgründe auftun? Die unangenehme Antwort lautet: Er zieht den Stecker. Das ist auch richtig so. Denn einmal mit der schieren Unmöglichkeit konfrontiert, auf absehbare Zeit je wieder positive Zahlen zu liefern, muss konsequenterweise die Aufgabe der Geschäftstätigkeit anvisiert werden, sofern keine erfolgsversprechende Diversifikationsstrategie besteht, die das Kerngeschäft markant stützen könnte – und es sieht ganz danach aus, als dass eine solche inexistent ist. Genau an diesem Punkt steht die Swiss heute. Die weltweiten Überkapazitäten (viele davon werden mit massiver staatlicher Unterstützung aufrechterhalten) werden zudem noch während Jahren auf die Flugpreise drücken. Quintessenz: Es wird nie mehr so sein wie gestern.
Doch die kognitive Wahrnehmung des Swiss Managements sieht offenbar anders aus: So möchte man, wie in diesen Tagen kommuniziert, „1‘000 Stellen binnen zwei Jahren abbauen“. Das sind 5% pro Jahr. Liegt hier ein kleines Missverständnis vor…? Wird hier jemand vom Teufel geritten, ist naiv – oder versucht einfach nur chancenlose Zuversicht zu verbreiten?
Nicht systemrelevant
Wir hatten früher schon festgehalten: Die Swiss ist nicht systemrelevant. Ab Zürich und Genf wird immer geflogen werden, es wird sich immer eine Airline finden, welche Passagiere und Güter transportiert – die Schweiz wird folglich nicht abgeschnitten sein. Der Umkehrschluss, wenn dem nicht so wäre: Er würde nämlich bedeuten, dass die Swiss bisher (aus „Systemgründen“?) unrentable Flugziele bediente, und zwar vorsätzlich. So viel zur Systemrelevanz.
Auch kein Heimatschutz
Aus Heimatschutzgründen lässt sich ein Aufrechterhalten einer deutlich unrentablen Dienstleistung ebenso wenig rechtfertigen – zumal hinter dem Schweizerkreuz der Swiss der deutsche Kranich hockt, notabene ein teilstaatlicher Betrieb. Es gibt also bereits heute keine „Schweizer“ Airline mehr. Wenn gegroundet würde, könnte schon am nächsten Tag wieder geflogen werden. So war’s auch 2001, und das würde auch 2020 funktionieren. Die neue Firma hiesse diesmal vielleicht New Swiss. Oder es wäre eben die Lufthansa, welche Zürich und Genf anfliegt. Die würde das gerne machen, und wir würden es überleben. Wir verherrlichen eh seit Jahren unsere „eigene“ Airline, fliegen aber mit anderen Carriers, so mit Easyjet, Ryanair oder Emirates. Wird die „Swiss“ heute etwa vor allem von Nichtfliegern verherrlicht, während die Vielflieger ziemlich schmerzfrei mit irgendeiner Airline fliegen…?
Grounding lieber jetzt
Ausgehend von einem heute sehr realistischen Szenario (mit einem Passagieraufkommen entsprechend unserem Chart) gibt es fast keinen Ausweg, als die Firma aufzugeben.
Nachdem sich nun der deutsche und der Schweizer Staat ins Cockpit gesetzt haben, wird die Sache indessen schwieriger. Ob damit fast ein Point of no Return impliziert wurde? Die de facto nach Berlin geschickte eidgenössische Hilfs-Milliarde wird schon bald verbrannt sein, das Wehklagen nach weiterem Geld liegt bereits in der Luft.
Nach dem kürzlichen Abgang des CEOs wird sich in dieser Situation heute eh kein Top Manager mehr finden lassen, der dieses Himmelfahrtskommando übernimmt. Also wird der Mutterkonzern wohl einen vorübergehenden Troubleshooter aus Deutschland abkommandieren – vielleicht gar als Strafversetzung…?
Mit einem Grounding könnte die für den Staat sehr teure Kurzarbeit aufgelöst werden. Die Swiss selber könnte sich mit einem Schlag von allen Lasten erledigen: Alle Schulden würden sich sublimieren, alle Personalverträge wären aufgelöst. Bedauerlich für alle Einzelfälle – aber die Einzeldramen werden wohl nur vorgezogen.
Wie läuft ein Grounding ab?
Alle Aktiven und Passiven würden bei einem Grounding dem Insolvenzverwalter „gehören“. Auch die Flieger. Intelligenterweise müsste man am Tage X sicherstellen, dass sich diese dann nicht gerade an einem Ort befinden, wo sich noch unbezahlte Rechnungen aufgehäuft haben – ansonsten die schönen Fluggeräte wohl gleich arrestiert würden.
Richtig vorbereitet, starten am nächsten Tag wieder ein paar Flieger, unter einer neuen Firma. Das Personal wird sich sofort finden lassen, kurzfristig selbst mit provisorischen Anstellungsverträgen. Das Prozedere ist nicht einfach, kann jedoch sauber vorbereitet werden – ganz im Gegensatz zu 2001, als Staat, Banken, Personal und Kunden auf dem linken Fuss erwischt wurden. Es ist also nur zu hoffen, dass heute schon ein Plan B für ein Nach-Grounding-Projekt besteht. In diesem kann vorgängig die künftige realistische Grösse der dann arg verkleinerten Firma festgelegt werden, die Flugziele definiert, die nötigen Flieger könnten aus der hübschen Flotte am Boden herausgepickt werden. Die Finanzierung könnte ebenso sauber im Hintergrund geplant werden. Soweit die betriebswirtschaftliche Theorie zum Ablauf des Neustarts. Nur: Jetzt müssten hier eine entscheidungsarme Angela Merkel und ein von der Politik drangsalierter Ueli Maurer, sekundiert von der eh schon arg strapazierten Pianistin Simonetta Sommaruga, mitplanen. Ob das funktioniert, so im Geheimen…?
Fazit: Vernünftigerweise wäre jetzt ein Grounding angesagt. Die Swiss wird auf Jahre hinaus ohne fremde Hilfe nicht überleben können. Es ist zu befürchten, dass die staatliche Unterstützung also noch sehr lange weitergehen müsste. Der Flugbetrieb und die Infrastruktur der Firma würden während dieser ewig andauernden Agonie in homöopathischen Dosen reduziert, das Personal mit Kurzarbeit noch lange durchgefüttert und ein riesiger Schuldenberg aufgebaut, welcher kaum je getilgt werden kann. Der Staat müsste bezahlen – also wir. Das ist unverantwortlich, sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Also lieber ein Grounding sofort, mit einem realistischen Neustart. Oder eben ohne Neustart – wir würden es überleben.