Waldmeyer, die Kampfjets und die Schwangerschaft

Bei Mäusen dauert die Schwangerschaft rund 22 Tage, bei Elefanten 22 Monate – sie stellen den Rekord auf. Aber verglichen mit der Reaktionszeit in unseren Bundesämtern ist das eine extrem kurze Zeitspanne. Für die Beschaffung von Kampfjets lassen wir uns auch mal 22 Jahre Zeit. Waldmeyer versucht, solche extremen Schwangerschaften einzuordnen.

2008 geschah es: Der Bundesrat erklärte, nach mehrjähriger reiflicher Überlegung, dass unsere Armee neue Flieger braucht. Die F-5 Tiger und die F/A-18 würden doch langsam in die Jahre kommen – zudem waren schon etliche runtergefallen. Tatsächlich sollte der Beschaffungsprozess dann, bis zur endgültigen Auslieferung im Jahr 2030, ganze 22 Jahre dauern. Inzwischen werden sich mindestens fünf, wenn nicht sechs Departementchefs die Klinke in die Hand gegeben haben. Die Walliser Rechtsanwältin Viola Amherd, während sechs Jahren im Amt, hatte einen besonders schweren Stand. Nicht, weil sie noch nie eine Armee von innen kennengelernt hatte und damit noch nie eine grosse Zerlegung unseres Sturmgewehrs in 90 Sekunden schaffen musste. Auch nicht, weil sie in Sachen Verteidigung oder Geopolitik ziemlich unbedarft war. Nein, diesbezüglich müsste man sie eher entschuldigen, denn erstens konnte sie ihr Departement nicht selbst auswählen und zweitens lässt sich das Leben im Wallis ja auch nicht mit dem Leben ausserhalb des Wallis vergleichen. Was während ihren sechs Jahren der Regentschaft ganz einfach gravierend war, war diese Menge an Management-Fehlern.

Doch zurück zu dieser 22-jährigen Geburt. Vorab stellte Waldmeyer fest, dass eine Auslieferung der schönen neuen Jets im Jahr 2030 ja gar nicht sicher ist. Vielleicht wird Donald the Chosen One im letzten Moment entscheiden, dass er die Flieger woanders dringender einsetzen möchte als im helvetischen Alpenraum. Ausserdem muss offenbar ein sogenannter «Fixpreis» erst mal nachfixiert werden. Was fixiert wurde, war der USD-Kurs für den Kauf, nämlich 0.95. Waldmeyer stellt fest: stolzer Vogel, stolzer Preis, stolzer Dollarkurs.

Leider ging dabei die Bestellung einer adäquaten Bewaffnung für den Flieger vergessen. Unser Kässeli reichte nur für die Bestückung mit einer einzigen AIM- Luft-Luft-Rakete pro Flugzeug (ja, eine = 1). Dänemark hat für den baugleichen Jet, welcher 2016 bestellt und 2023 ausgeliefert wurde, insgesamt 11 AIM-Raketen pro Flugzeug geordert. Für die Schweiz sind zudem nur Luft-Luft-Raketen vorgesehen, die „Multirole“-Fähigkeit des modernen Jets möchte man nicht nutzen. Also ist keine Bewaffnung mit Bomben, auch nicht mit Luft-Boden-Raketen, vorgesehen.

Wenn der Russe vom Vorarlberg aus mit den Panzern einfährt, müssten die schönen F-35 am Boden bleiben – sie könnten nicht eingesetzt werden. Dafür braucht es Luft-Boden-Raketen.  Hat der Feind dann einmal einen Brückenkopf in St. Margrethen, nur beispielsweise, errichtet, kann dieser auch nicht mit Präzisionsbomben angegriffen werden. In der Schweiz sind solche Handlungen mit „Angriffscharakter“ nicht vorgesehen. Unser Parlament müsste für die Beschaffung solcher Geräte erst mal abstimmen, dann müssten wird diese Spielzeuge bestellen, dann die Vögel damit bestücken, dann würde der Bundesrat den Einsatzbefehl geben – und dann wären die Russen aber schon lange wieder verschwunden, sie wären über die A1 bis nach Genf durchgefahren und wieder zurück. Die tapferen Dänen übrigens können ihre Flieger für Multirole-Einsätze nutzen – sie verfügen über diese coolen Gadgets.

Was der aufmerksame Leser inzwischen bestimmt schon weiss: Allerlei nötige Umrüstungen und Updates für die Vögel sind im Preis noch gar nicht eingerechnet! Und Waldmeyer fragt sich, warum die Dänen es schafften, diesen Flieger im Jahr 2016 zu bestellen und ab 2023, also nach sieben Jahren, zu erhalten. Bei der Schweiz dauern solche Prozesse doppelt so lange. Kein Wunder, erhält man da nicht mehr frische Ware. Es ist wohl so, wie wenn sich Waldmeyer mit Charlotte während einer Dekade über die Wahl eines neuen Audi A4 (schwarz) gestritten hätten, sie dieses Auto dann mit einer Lieferfrist von 10 Jahren bestellt und sich Charlotte dann wundern würde, dass sie eine Karre erhält ohne Digitalradio und ohne USB-Stecker, dafür mit einem CD-Wechsler.

Das F-35-Bestell-Debakel ist tatsächlich peinlich und grosso modo nur auf Management-Fehler zurückzuführen: Wir brauchen 22 Jahre für eine Beschaffung, erhalten veraltetes Material und fast nur „blutt“, ohne Bewaffnung. Und dann wundern wir uns, wenn sich das Projekt um Milliarden verteuert hat.

Aber eventuell kommt ohnehin alles anders, denn vielleicht ergreifen die grünen und linken Parteien in der Schweiz nochmals eine Initiative, weil sie das Geld lieber für Palästinenserhilfe ausgeben wollen und blasen die ganze F-35-Übung ab. Wie dem auch sei, 2030 bleibt zumindest ein vager Anhaltspunkt, wann die Flieger einsatzbereit sein könnten.

Waldmeyer fragte sich, warum die Schweiz es nicht schafft, einfach so mal ein paar Flugzeuge zu kaufen, wenn man sie braucht. Solche komplexen Entscheide dauern bei uns jedoch so lange wie bei einem Sechsjährigen, der eingeschult wird und bereits daran denken sollte, dass sein Lego-Flieger fertiggestellt ist, wenn er sein zweites Kind einschult. Die Cheops-Pyramide benötigte eine Bauzeit von nur 20 Jahren – um ein weiteres Bild zu bedienen.

Doch blenden wir nochmals zurück, um die ganze Blamage in allen Details geniessen zu können: Die erste Flieger-Wahl fiel, es war irgendwann kurz nach der Lehman-Brothers-Zeit, auf den schwedischen Gripen. Dem Schweizer Volk indessen, eine ganz spezielle Population, die nur aus ausgewiesenen Armeespezialisten besteht, war der Vogel nicht genehm und schoss ihn ab. Also zurück auf Feld eins. So sieht nun mal direkte Demokratie aus, und notfalls müsste ein Krieg dann eben warten.

Die nächste Warteschleife ging bis 2016, als das neue Projekt nun auf Air 2030 umgetauft wurde. Nun sollte es jedoch nicht nur um Flugzeuge gehen. Nein, wir wollten auch unsere kleine industrielle Selbstverwirklichung realisieren: Endmontage daheim, ein paar Schrauben in Schweizer Fabriken festziehen – das sichert dann „Hochtechnologie“ für unser Land. „Swiss Finish“ nennt sich das. Das verteuert zwar jedes Projekt, aber wird dann viel besser, und allerlei darbende Industriebetriebe kriegen Büez. Andere Länder nennen das «Protektionismus», bei uns läuft das bescheiden unter «Helvetisierung».

Ja, und so ziehen die Jahre ins Land. Das gleiche Prinzip gilt für viele andere Beschaffungsprojekte. Politische Kommissionen setzen sich zusammen, der Bundesrat darf mehrmals neue Pläne vorstellen und der Bürger wieder an die Urne. Zwischendurch ändern sich die äusseren Umstände und der Bedarf. Aber auch die Namen der Hersteller und die Farbe der Papierstapel. Aber dazu später.

2021 bestellte die Schweiz dann endlich die schon vor Jahren durch unsere Armeespezialisten und Parlamentsausschüsse konfigurierten F-35. Und die ersten Jets sollen, wenn der Wind günstig steht und der Alpsegen es erlaubt, am Ende dieses Jahrzehnts anrollen. Die einzige Frage, die dannzumal noch bliebe: Wer ist bis dahin noch im Amt, um die Zündungsschlüssel für die Vögel feierlich entgegenzunehmen? Vielleicht der Enkel von Bundesrat Samuel Schmid, der anno 2008 so voller Hoffnung die erste Beschaffungs-Sitzung leitete?

Waldmeyer kennt noch viele andere Beispiele von geplanter Schweizer Präzision und Verzögerung, welche in Sachen Armeebeschaffung echte Highlights darstellen. Sie gemahnen an spannende Netflix-Dramen aus der World of Defense. Wer allerdings dachte, das mit den Kampfflugzeugen sei schon der Gipfel, dem sei versichert: Es gibt noch viel mehr, was so alles in die Hose gehen kann. Waldmeyer nennt ein paar ausgewählte weitere Muster aus unserem helvetischen Absurdistan:

  • Das Flugabwehr-System Patriot gilt als ziemlich erprobte Anlage. Die Beschaffung solcher Verteidigungsanlagen erscheint mehr als dringlich, denn seit Jahren kann sich die Schweiz gar nicht gegen feindliche Raketen wehren, geschweige denn gegen diese heimtückischen Drohnen. Das in den 80er Jahren beschaffte Rapier-System diente im besten Fall für langsam und tief fliegende Eindringlinge. Es galt jedoch bald schon als hoffnungslos veraltet und wurde 2022 sogar ausser Dienst gestellt. Genauer: kurzerhand abgeschaltet. Seither verfügt die Schweiz über keine funktionierende Luftabwehr mehr. Die Schweizer Soldaten müssten wohl mit dem Sturmgewehr in die Luft schiessen – oder der Bundesrat müsste entscheiden, gelegentlich eine Starterlaubnis für eine alte F/A-18 zu erteilen. Allerdings wären feindliche Raketen schon längst eingeschlagen, bevor irgendwo ein Pilot aus seinem Picket-Schlummer geweckt worden wäre. Konkret: Eine Hyperschall-Rakete, von Kaliningrad abgefeuert, hätte in acht Minuten vielleicht bereits in Payerne eingeschlagen, vielleicht gerade in einen Hangar mit unseren veralteten Vögeln – und dies, bevor sich unser Pilot in sein Kombi gezwängt hätte und dann allerdings gemerkt hätte, dass er schlichtweg nichts gegen eine solche Rakete hätte ausrichten können.

2017 erfolgte eine längere Evaluationsphase für ein neues Flugabwehr-System. 2021 fand man dann heraus, mit Sukkurs unserer Walliserin, dass – Surprise! – das weltbeste Patriot-System das tatsächlich weltbeste ist und bestellte mal fünf Einzelstücke. Das Auslieferungsdatum wurde inzwischen noch etwas verschoben, Patriots scheinen eben andernorts noch dringender gebraucht zu werden. Und so soll es dann 2028 werden, bis die ersten WK-Soldaten daran üben dürfen. Militärhistorisch werden die 2020er Jahre wohl als willkommenes Nichtangriffs-Jahrzehnt in die Geschichte eingehen. Und, ach ja, die bestellte Munition würde gerade mal für einen Nachmittag reichen. Das ist eben so wie mit den Tintenstrahldruckern: Die werden immer mit halbleeren Patronen verkauft. Viola kannte dieses Prinzip natürlich nicht, denn sie musste wohl nie selbst etwas drucken, sie liess immer drucken in ihrem schönen Bundesamt.

  • Ein weiteres Beispiel ist die „Digitale Transformation“. Ein guter und dringend notwendiger Plan. Aber bitte Zeit einplanen bis 2050! Es erfolgten und erfolgen immer neue Pannen. So geht es unter anderem um Kommunikationssysteme, die sich weigern, miteinander zu sprechen und Server, die lieber Siesta halten. Das Projekt wurde – und ist immer noch – ein echtes Paradebeispiel für Hochtechnologie im Papiertempo. Inzwischen wurden schon Milliarden versenkt. Notfalls würden unsere Soldaten wohl einfach auf das persönliche Handy zurückgreifen, um im entscheidenden Moment so den Befehl abzuwarten, eine Nebelgranate zu werfen und sich aus dem Staub zu machen.
  • Ähnliches gilt es von der Beschaffung von Radaranlagen zu berichten: Seit Jahren angekündigt, unzählige Male verschoben. Geplant waren Radare, die laut Pflichtenheft bis zum Mond sehen können – wenn sie denn mal funktionieren. Bis jetzt zeichnen sie zuverlässig nur den Flug der eigenen Ausreden auf. Und es wird alles immer teurer.
  • Das schönste Beispiel wollte Waldmeyer für den Schluss aufsparen: Das Drohnen-Debakel. Jeder braucht Drohnen heute, logisch. Kleine, grosse, bewaffnete, unbewaffnete. Pazifistische Kreise im Parlament wollten eigentlich nur unbewaffnete Drohnen, und Waldmeyer kann sich nicht mehr erinnern, ob sie sich durchsetzen konnten. Schon 2014 entschied man sich für die sehr schönen grossen Geräte aus Israel und bestellte diese dann Jahre später auch mit viel Pathos. Allerdings sollte die Software erst einmal „helvetisiert“ werden. Die Elektronik sollte nämlich Gleitschirmflieger erkennen, die zufällig in die Flugbahn geraten könnten. Schweizer Drohnen werden also für den Frieden optimiert: Gefährliche Zivilisten wie Basejumper, Gleitschirmflieger oder Ballonfahrer müssen identifiziert werden, bevor sie in Konflikt mit der Drohne geraten. Inzwischen konnte die Software immer noch nicht fertig programmiert werden. Es ist nun auch erst 10 Jahre später. Der zuständige Beschaffungsleiter gab aber glücklicherweise schon Entwarnung: Jede Drohne bekommt beim Einsatzstart nun einen Begleit-Helikopter – zum Aufpassen. Das ist ja ganz lustig, wenn es nicht so ernst wäre.

Und noch was: Der Bundesrat überlegt nun, die ganze Beschaffung abzubrechen. Leider wurden schon 300 Millionen ausgegeben. Ein weiterer Schuss in den Ofen also. Martin Pfister, der Neue, sollte vielleicht mal überlegen, ob er nicht ein paar Drohnen bei den Ukrainern bestellt. Sofort, ab Stange, und günstig.

Waldmeyer versuchte zu analysieren, warum sich in der Schweiz diese langen Schwangerschaftszeiten und sogar Fehlgeburten ergeben. Er sortierte fünf Hauptgründe aus:

Die hohe Hürde, so erstens, liegt bei unserer direkten Demokratie und den politischen Stolpersteinen. Die heutige Ausprägung unseres Systems gemahnt an eine grosse Firma mit einer zu grossen Mitbestimmung durch die Mitarbeiter. Das kann nicht gut gehen. Zu wenig schnell, zu wenig professionell, zu kompliziert.

Der zweite Grund liegt in der falschen Vorstellung, dass es überall einen „Swiss Finish“ braucht. Oder zumindest eine Endmontage in der Schweiz, die dann als Swiss Finish verkauft werden kann. Der Traum von unserer technischen Überlegenheit und Präzision kann so zum Albtraum werden. Dahinter versteckt sich natürlich auch Industriepolitik.

Der dritte Grund liegt in unserer ebenso falschen Vorstellung, dass die Schweiz komplett anders ist als der Rest der Welt. Deshalb brauchen wir diese Helvetisierung, die Anpassung an unsere ganz besonderen Verhältnisse. Das erklärt auch, warum ein Polizeifahrzeug bei uns doppelt so viel kostet wie in unseren Nachbarländern. Nie und nimmer würden wir ab Stange kaufen. Auch hier versteckt sich dahinter natürlich eine fehl geleitete protektionistische Industriepolitik. Dass dies zu ausufernden Mehrkosten führt, liegt auf der Hand.

Der vierte Grund liegt im Unvermögen, Bedrohungslagen effektiv zu erkennen – und laufend anzupassen. Wir verwenden auch falsche Zeithorizonte. So soll die F-35 bis 2060 im Einsatz bleiben. Diese Betriebszeit von 30 Jahren beisst sich natürlich mit unseren acht Legislaturperioden, die während dieser langen Zeit ins Land ziehen. «Defense» verändert sich heute dagegen rasend schnell. In der Ukraine werden alle drei Monate neue Drohnen-Generationen entwickelt. Mit solchen Geschwindigkeiten kommen wir leider nicht klar.

Damit landen wir – fünftens – beim Personalproblem: Wenn wir nicht bereit sind, Profis anstatt Politiker an die richtigen Schaltstellen zu setzen, werden wir die Kurve wohl kaum kriegen.

Der «Schweizer Weg» ist sehr demokratisch und sehr gründlich, aber eben auch sehr langsam und sehr, sehr teuer.

Die Schweiz mag zurzeit keine Angriffe befürchten müssen. Der Russe steht noch nicht im Vorarlberg. Auch hat er noch keinen unmittelbaren Cyberangriff geplant. Die kriegerische direkte Bedrohung hält sich also in Grenzen. Die grösste Bedrohung für die Landesverteidigung ist jedoch ihre eigene Bürokratie und das Missmanagement. Am Ende dieses Jahrzehnts wird die Schweiz – vielleicht – über eine einigermassen funktionierende Abwehr verfügen. Derweil trifft sich Ueli der Maurer mit seinen Jasskollegen in Hinwil und debattiert über die weltbeste Armee. Und Viola Amherd flaniert, als Hauptverantwortliche der letzten Verfehlungen und falschen Entscheide, vielleicht gerade in Brig im tiefen Wallis durch die Einkaufsstrassen. Es ist gerade Ausverkauf. Sie unterhält sich in einer Geheimsprache (Walliserdialekt) mit den Leuten auf der Strasse und überlegt sich, wann und wo sie heute das erste Glas Fendant geniessen soll. Ja, schöne, heile Welt. Aber nicht nur in Hinwil oder im Wallis, auch generell in Helvetien. Oder heisst das Land jetzt doch Absurdistan?

Waldmeyer und der neue Shah

Waldmeyer fragte sich, wie es nun weitergehen sollte im Iran. Das unsägliche Mullah-Regime ist noch nicht vertrieben, und eine alternative Regierung wird sich demnächst nicht konstituieren. Die USA hatten in der Regel allerdings nie einen Plan B, wenn sie in einem Land militärisch zuschlugen. Das war in Libyen so, in Afghanistan oder im Irak. Aber vielleicht hat Präsident Trump einen intuitiven Plan, im Sinne eines Deals?

Vordergründig wollten die USA bei ihren geopolitischen Scharmützeln in der Regel immer die Demokratie verbreiten. Hintergründig ging es natürlich um Kontrolle, um Seilschaften, um Rohstoffe. Donald dem Chosen One ist die Demokratie ziemlich schnurz – ob zuhause oder «abroad». Es geht ihm nur um seine Deals und um sein persönliches Ego. Wenn es nicht funktioniert oder zu lange dauert, verliert er das Interesse daran. So mit seiner Idee, den Gazastreifen in ein glamouröses Resort zu verwandeln, oder lukrative Deals mit Putin abzuschliessen, weshalb es in Ordnung wäre, dafür die Ukraine zu opfern. Nun, da die Israeli den ersten Dirty Job im Iran erledigt und die USA vermutlich einen Grossteil der Nuklearproduktion zugebombt haben, die Mullahs aber immer noch nicht klein beigeben, wird die Erkenntnis reifen, dass man doch noch etwas nachhelfen müsste. Also doch Regimewechsel. Das ist in der Causa Iran schwierig, denn ein Wechsel setzt ja voraus, dass schon ein neues Regime in den Startlöchern sein sollte – was offensichtlich nicht der Fall ist. Trump erinnerte sich aber plötzlich an den Shah – den einstigen König und Kaiser Irans, des früheren Persiens.

Ja, das waren noch Zeiten, als der Shah dieses flamboyante Leben führte in dem Land! Trump findet auch seinen Sohn, den ungekrönten Kronprinzen Reza, obwohl heute ohne Staat und im Exil, echt cool. Er ist Milliardär. Mit ihm kann man sicher Deals machen. Überhaupt, die ganze Pahlavi-Familie kann sich sehen lassen, ihr Vermögen wird auch heute noch auf rund 20 Milliarden USD geschätzt. Bis zu ihrem Sturz 1979 lebte die Shah-Familie im Iran wie ein orientalisch-westlicher Hochadel, mit einem Hang zur extravaganten Selbstdarstellung, prunkvollen Festen und westlicher Dekadenz – einfach in einem persischen Gewand. Es war eine Mischung aus Versailles, Las Vegas und Beverly Hills. Der damalige Shah selbst – Mohammad Reza Pahlavi – sah sich als „Licht der Arier“ und „König der Könige“. Ein Höhepunkt seiner Regentschaft war seine selbst inszenierte Krönung zum Kaiser. Der strenge Autokrat war militärisch geprägt, aber auch besessen von Imagepflege, Moderne und Statussymbolen, besass eine der teuersten Autosammlungen der Welt und flanierte gerne auch mal mit Jackie Kennedy in Saint-Tropez rum oder empfing Elizabeth Taylor. Farah Diba – die Kaiserin – stand dem in Sachen Grandezza in keiner Weise nach. Sie war westlich gebildet, hatte in Paris Architektur studiert, hofierte Designer wie Christian Dior, gründete Kunstmuseen und brachte moderne Kunst (u.a. Picasso oder Warhol) nach Teheran. Der Hofstaat dort bestand aus über 3’000 Personen. Der gesamte Machtapparat war geprägt von Vetternwirtschaft, Korruption und goldener Selbstbedienung.

Die Feste der Pahlavis waren legendär. 1971, zum 2500-Jahre-Fest des Persisches Kaisertums, wurden für den dreitätigen Pomp in der Wüste Monarchen, Präsidenten, Diktatoren und First Ladies geladen, das Menü von Maxim’s eingeflogen, aus Goldgeschirr gegessen und in edlen klimatisierten Zelten übernachtet. Leider verendeten 50’000 importierte Vögel, weil das ganze Terrain vorher insektizidverseucht wurde. Der Spass kostete 100 Millionen USD – damals eine Unsumme. Und dies in einem Land mit massiver Armut. Aber das alles hatte Stil – was eben auch Präsident Trump nicht verborgen blieb.

Ach ja, Waldmeyer entdeckte auch die ausgesuchten Orte, die die Pahlavis gerne besuchten: Genf und Zürich zum Einkaufen, St. Moritz zum Skifahren, Südfrankreich und Marbella zum Jetsetten. Selbstredend stieg man nicht nur in den feinen Hotels ab, sondern unterhielt nicht ganz unbescheidene Villen an vielen dieser Orte. Kurzum, die Shah-Familie lebte ein hyperglamouröses, westlich geprägtes Leben auf ihrem persischen Thron, mit Hang zu Gigantismus und äusserem Glanz. Das Regime wurde zum Inbegriff einer dekadenten Oberschicht, die sich vom Volk nicht nur entfernt, sondern vollständig entkoppelt hatte – ein idealer Nährboden für die islamische Revolution von 1979.

Der Sturz erfolgte jäh, und der Shah flüchtete, mit Tränen in den Augen, in seiner fetten kaiserlichen Boeing. Über allerlei Umwege zog es die royale Familie letztlich ins Exil in die USA. Dort konnte sie weiter ein Luxusleben führen, auch wenn sie in Sachen Glamour ein paar Abstriche machen musste.

Nicht vergessen blieb, dass der Shah, zuvor 1953, mithilfe der CIA und des MI6 im Iran wieder installiert wurde, nachdem die Herrscherfamilie im Zweiten Weltkrieg abgesägt wurde: Leider hatte sie sich damals mit den Nazis solidarisiert, worauf 1941 die Briten und die Russen im Iran einschritten, die Monarchie kaltstellten und eine pseudo-demokratische Regierung installierten. Aber die neue Truppe war etwas übereifrig, und als die westlichen Erdölfirmen verstaatlicht wurden, wurde es eben Zeit, 1953, den Shah zu rehabilitieren.

Nun wird sich die Geschichte also wiederholen, prognostiziert Waldmeyer: Nach fast 50 Jahren im Exil könnten die Pahlavis wieder zurück an die Macht kommen, wieder von Gnaden des Westens. Trump möchte den Regimechange, und wenn sich The Chosen One etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt er selten nach.

Die Pahlavis leben heute im Exil in Washington D.C. Mama Pahlavi lebt in den USA und in Paris, etwas betagt, aber sie lässt es sich gutgehen. Die drei Töchter des Kronprinzen Reza Pahlavi sind alle gut geraten und gebildet. Konkurrenz in Sachen Shah-Nachfolgerechten hat der Reza keine, denn seine Geschwister sind oder waren entweder Schwestern (hatten also das falsche Geschlecht), erlagen ihrer Drogensucht oder nahmen sich durch Suizid aus dem Rennen (so sein Bruder).

Waldmeyers Prognose: Die bald ausgeräucherten Mullahs werden sich verstecken, das Volk jedoch auferstehen. Und der Westen? Der wird, unter der Regie Trumps, an einem Nachfolgemodell für das iranische Regime basteln – obwohl die Bilanz vergangener «Befreiungsaktionen» eher an eine unvollendete IKEA-Anleitung erinnert. Wie schon bemerkt, fehlte immer ein Plan B bei diesen von aussen initiierten Umstürzen. Doch diesmal, vermutet Waldmeyer, ist alles anders, denn Trump hat einen Plan, und der wird klar «Reza Pahlavi» heissen. Der designierte Comeback-Shah wäre eine sehr genehme Besetzung, das Familienvermögen stimmt und der Lebenslauf sieht wie aus einem Netflix-Casting aus: «Ein toller Typ, grossartige Gene, man kann mit ihm Deals machen – ganz anders als mit den Ayatollahs», wird Trump wohl bald schon verlauten lassen.

Dieser letzte und nun disponierbare Shah hat Jahrgang 1960. Mit ihm könnten die USA (oder besser: Trump mit seiner Familie) tatsächlich lukrative Geschäfte abschliessen. Wahrscheinlich hat Trump, im Oval Office sitzend, totally bored, bereits einen beautiful Trump Tower auf einer dieser uninteressanten geopolitischen Notizen hingekritzelt, die ungelesen auf seinem Schreibtisch lagen. Einen besonders schönen, hohen und prunkvollen Tower, der in Teheran zu stehen kommen könnte. Die Lizenzen für die Erdöl- und Erdgasproduktionen könnten an die USA gehen, in seinem Kabinett sitzen ja bereits Exponenten dieser Branchen. Mobilfunk-, Banken-, Kreditkarten- und Autoimport-Lizenzen könnten vermutlich auch alle an die USA gehen – im besten Fall an Trumps Söhne, denn die werden schon wissen, wer operativ zum Zug kommen sollte. Und eine noch zu definierende Ecke im Iran könnte für die Palästinenser freigemacht werden. Wenn die nämlich endlich ein Stück Land erhielten, wäre der Gazastreifen frei. Genau jetzt könnte sich also ein Slot ergeben, auch dieses Problemchen im gleichen Aufwisch zu lösen.  Die ganz leidlich florierende iranische Drohnenproduktion sollte an Freund Putin gehen, er scheint noch etwas Bedarf zu haben. Und was Trump auch noch entdeckte: Iran verfügt über eine unentdeckte, brachliegende, riesige Riviera am Persischen Golf! Natürlich könnte die sehr schön entwickelt werden. Zusätzlich könnten auch beautiful Golfplätze im grünen Hochland errichtet werden. Ja, das Land verfügt über riesige beautiful opportunities!

Allerdings müsste die Immobilienfrage noch gelöst werden. Waldmeyer fragte sich nämlich, wo denn die Shahfamilie künftig standesgemäss residieren könnte. Aber seine Recherchen gaben gleich Entwarnung: Es gibt noch immer rund zehn Paläste im Iran, die wieder «renaturiert» werden könnten; es sind heute Regierungsgebäude und Museen – das liesse sich bestimmt einrichten.

Bei seinen historischen Analysen stellte Waldmeyer weiter fest: Persien war einst eine beachtliche Hochkultur, in den Jahren weit vor Christus, als das Abendbrot der Schweizer noch aus einer Milchsuppe bestand, die sie in ihren kalten und dreckigen Hütten schlürften. Zu jener Zeit bauten die Perser, lange vor den Römern, bereits Bodenheizungen mit Heissluft in ihre Paläste ein. Es kann recht kühl werden im Winter in Teheran, zeigte Waldmeyers Handy an. Die Perser damals waren auch weit fortgeschritten in den Disziplinen Astronomie und Mathematik. Auch in der Medizin, sie führten anspruchsvolle Gehirnoperationen durch. Sie taten eben das, was man in Hochkulturen so tat. Aber bis vor kurzem steinigten ihre Nachfolger, die Ayatollahs, die Frauen, führten das Land mit allen komischen Ausprägungen eines Gottesstaates und bastelten an einer Atombombe. Ja, so ändern sich die Prioritäten.

Doch jetzt wird das Rad der Zeit zurückgedreht. Trump stellte sich für den neuen Iran eine konstitutionelle Monarchie vor. Der Shah sollte, nach einer kurzen Übergangszeit und der Verteilung der Wirtschaftspfründe im Land, ruhig etwas in den Hintergrund treten. Dann wird er nämlich auch wirtschaftlich freier sein. König Charles macht das ja auch, der geht allerlei interessanten Geschäften nach. Er darf das – und gleichzeitig König spielen, das geht hervorragend. Gegen aussen wird Demokratie vorgegaukelt, mit einer klug eingesetzten Regierung. Trump nahm sich vor, Netanyahu zu fragen, wen man als Prime Minister einsetzen könnte – da wird sich sicher jemand finden lassen aus dieser riesigen iranischen Diaspora. Weltweit rund sechs Millionen Iraner im Ausland warten nur darauf, wieder über ein weltliches und ökonomisch fortschrittliches Heimatland zu verfügen, allenfalls auch zurückzukommen und sich wirtschaftlich und politisch zu engagieren. Kurzum: Da wird die Post wieder abgehen in dem Land!

Das Fazit scheint offensichtlich zu sein: Der Westen hat eine gewisse Tradition darin, in Iran Regime zu ersetzen: 1941 wurden die Nazisympathisanten entfernt, 1953 die Ölverstaatlichung rückgängig gemacht und der Shah erhielt seine Rolle zurück, jetzt könnte ein weiteres Comeback des Shahs folgen. Waldmeyer weiss: Reza ist bereit, Trump sowieso, und der Westen liebt es, wenn Ordnung und Öl wieder „geordnet“ zusammenfinden. Ob das iranische Volk das auch so sieht?

Egal – Hauptsache, die PR stimmt und der Thron ist poliert. Wird diesmal alles besser? Wer weiss. Aber wenigstens sieht der neue Monarch auf Instagram besser aus als die grimmigen Ayatollahs. «Reza, taufe doch dein schönes Land wieder in Persien um, Persien war einmal ein beautiful country!», wird Trump seinem neuen Buddy stecken.

Waldmeyer fragte sich, was er nun mit all den Ideen, Informationen und Prognosen anfangen sollte. Er befürchtete schon, dass ihm Charlotte wieder vorhalten würde, «unnützes Wissen zu akkumulieren». Doch nein, Waldmeyer kann das sehr wohl rechtfertigen: Er beobachtet, ist Voyeur und kritisiert. Er wird mitverfolgen, wie im Iran die Mullahs über kurz oder lang doch noch vertrieben werden und es zu einem Regimewechsel kommt. Vielleicht wird das Land dann in einer ersten Phase noch etwas kaputter dastehen. Waldmeyer wird beobachten, wie später in einem neuen, auferstandenen Persien wieder die Kronleuchter aufgehängt werden – bevor die Leute allerdings ihre verlotterten und von Raketen in Leidenschaft gezogenen Dächer reparieren können.

Waldmeyer überlegte, wann er Charlotte eine Reise ins neue schöne Persien vorschlagen sollte. Nicht für einen Urlaub, sondern einfach für eine Studienreise. Und er fragte sich auch, ob er nicht Bundesrat Parmelin anrufen sollte. Ob dieser sich nun nicht für ein Freihandelsabkommen bereithalten sollte? Noch ist das neue Persien ein makroökonomischer Zwerg, sein BIP, trotz fast 100 Millionen Einwohnern, beträgt gerade mal 400 Milliarden USD – nur gut das Doppelte des Kantons Zürich, und pro Kopf erzielt das lädierte Land eine Wirtschaftsleistung auf der Höhe des mausarmen Moldawiens. Aber man sollte früh dabei sein. Wenn die Trump Towers einmal stehen, könnte es zu spät sein.

 

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