Oder: Warum der Merz ein totes Pferd reitet – und: Ist Deutschland eventuell ein Übernahmekandidat?
Wer dachte, dass die neue deutsche Regierung nach Jahren des Ampel-Chaos nun endlich durchstarten würde, sieht sich bitter getäuscht. Statt Aufbruch herrscht wieder Vermerkelung. Es ist wie bei einem Haus, das man nur notdürftig abgestützt hat: Die Fassade bleibt, aber innen regiert der Schimmel. Waldmeyer analysiert – auch warum Neu-Kanzler Merz nun eine Marienkäfer-Krawatte trägt.
Waldmeyer schaut liebend gerne in die deutsche Politik rein. Er sieht sich sozusagen als Voyeur. Aber er tut dies auch mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein, denn was in unserem Nachbarland passiert, hat direkten Einfluss auf die Schweiz: sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. Vor allem, weil wir in der Regel viele Fehler kopieren – die zeigen sich bei uns dann einfach ein paar Jahre später.
Aber nun zu Merz und der neuen Regierung: Was auf dem Papier nach «Change» aussieht, entpuppt sich in der Realität als Mülldeponie der alten Fehler. Friedrich Merz, der grosse Oppositionsredner und angekündigte Liberalisierer, reitet ein totes Pferd. Nur merkt er es nicht. Die neue Regierung, ein Monster aus politischem Klein-Klein, wird getragen von einer Koalition, zu derer Zusammenstellung mehr als Stirnrunzeln aufkommt. Die SPD mit 16% Wähleranteil gibt den Takt vor, während die Union devot nickt. Und das Volk? Schaut zu. Oder wandert ab.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Epoche Merkel ist nie zu Ende gegangen. Sie wurde lediglich in schlechterer Rhetorik, schwächerer Vision und grosser Kompromissbereitschaft neu aufgelegt. Die Politik des Aussitzens wurde durch die Kunst der Ankündigung ersetzt. Wenig wird entschieden, alles wird verwaltet. Der Kompass fehlt, dafür gibt es ein 400-seitiges Koalitionspapier, das jede Verantwortung in Ausschüsse und Arbeitsgruppen delegiert. Und währenddessen bröckelt das Land. Waldmeyer versuchte sich etwas einzulesen in diesem Regierungspamphlet und stellte fest: Es ist etwa so spannend wie das Studium eines Telefonbuches. Und es strotzt von Konjunktiven: Man „kann“, „könnte“ usw. Soweit die gemeinsam gesetzten Ziele – oder eben Nicht-Ziele.
Der neue Säckelmeister aus der Soziologen-Gruft heisst Lars Klingbeil. Wenn man einen Finanzminister sucht, könnte man vielleicht etwas ökonomisches Grundwissen und Grundverständnis erwarten. Deutschland jedoch hat den Lars gekriegt: Historiker, Soziologe, immerhin einst Schulsprecher. In seiner neuen Funktion als oberster Geldverwalter wird er sich nun mit Geldmengen, Kryptos und dem globalen Finanzmarkt herumschlagen müssen. Good Luck, lieber Lars! So visionär besetzt die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt also ihre Schlüsselpositionen in der Regierung.
Waldmeyer bezeichnet die neue deutsche Regierung als Marienkäfer-Koalition: rot mit schwarzen Punkten. Diese Koalition ist das Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn man politische Gruppierungen nur noch nach Posten und Quoten zusammenstellt und auf Gedeih und Verderben möglichst rasch eine Koalition hinkriegen möchte. Fachkompetenz? Zweitrangig. Ministerien wurden zu einem Gutteil wie Gummibärchen im Kindergarten verteilt. Hauptsache Ostquote, Hauptsache Parität. Friedrich Merz musste zusehen, wie ihm zu grossen Teilen ein fremdes Kabinett vor die Tür gesetzt wurde: Das House of Lars. Und jetzt soll der Friedrich trotzdem liefern. Viel Spass.
Ein Schlüsselelement der künftigen Politik scheint das «Sondervermögen» zu sein, ein Euphemismus des Jahrzehnts. Was früher Schulden hiess, nennt man heute «Sondervermögen». Ein intellektueller Taschenspielertrick. Oder, um es beim Namen zu nennen: Bilanzfälschung. Vermögen ist normalerweise etwas, das man besitzt, es handelt sich um „Assets“. Deutschland jedoch nennt Schuldenbescheide jetzt «Aktiva». Das 500-Milliarden-Sondervermögen soll eine Investitionsoffensive werden, so für Infrastruktur, Klima, Digitalisierung, Kindergärten, Jugendzentren etc. Dieses Vermögen verbraucht man jedoch einfach, es gehörte streng genommen also in die Erfolgsrechnung eines Staates, mit Aufwandpositionen. Ein an der Börse kotiertes Unternehmen würde man bei einer solchen Bilanzfälschung mit einem Kurssturz bestrafen.
Und bei all diesen Ausgabentricks denkt man nur am Rande ans Sparen! Auch an Steuerentlastungen denkt man kaum, diese wurden verschoben, denn offenbar wollte man den europäischen Podestplatz in Sachen höchsten Steuern (für Personen wie für Firmen) nicht gefährden.
Aber vielleicht konnte Fritze Merz noch gar nicht richtig loslegen? Er hat nämlich noch gar kein vollständiges Kanzleramt zusammen. Unter seinem Vorgänger Scholz wuchs es bis am Schluss auf 852 Köpfe an. Man stelle sich einen Konzernstab dieser Grösse vor! Wir sind gespannt, was sich Merz hier noch einfallen lässt.
Friedrich Merz ist kein Sympathieträger. Muss er auch nicht sein. Er liess sich zwar schon einmal vor seinem Privatflieger ablichten, als Inkarnation des «Mittelstandes». Das kam nicht so gut an. Aber nun diese Schmach, dass er, für die Führung des Landes, nicht mal seine Mannschaft auswählen darf. Natürlich ist das systemimmanent, offenbar entspricht dies der deutschen Interpretation von Demokratie. Nun sitzt er einem Kabinett vor, das so viele SPD-Genossen wie CDU-Leute zählt. Es würde also durchaus Sinn machen, wenn er wenigstens seinen direkten Stab, das Kanzleramt, verscholzen würde: mit der Benchmark von 852 Angestellten.
Die neue Wirtschaftspolitik bleibt so, mit dem neuen Personal, weiter ein kompliziertes Geflecht zum betreuten Ausgeben. Die Regierung setzt auf Wachstum durch Konsum. Und wie schon erwähnt: «Sparen» ist dabei ein Unwort. Blöd nur, dass die Leute zurzeit nicht etwas mehr ausgeben wollen. Zu hoch die Steuern, zu tief das Vertrauen. Unternehmen wandern ab, Junge auch. Deutschland bildet hervorragend aus, aber nicht für den Eigenbedarf. Die Schweiz dankt, jeder abwandernde Mediziner ist ein Gewinn für unsere Spitäler, und jeder Programmierer zusätzlich senkt unsere Wartezeiten in den helvetischen Portalen.
Es kommt ein weiteres Hindernis hinzu: Auch ohne Regierungsbeteiligung sind die Grünen nicht totzukriegen. Baerbock, Habeck & Co. melden sich mit Wärme, Weltethos und Wokeness zur Stelle, und Blockieren liegt in ihrer DNA. Manchmal blockieren sie sich sogar selbst. Die Klimapolitik ist nach wie vor Religion, das ökonomische Denken ein Abfallprodukt bürgerlicher Engstirnigkeit. Und wenn der Strompreis steigt, erklärt man das zur «notwendigen Transformationsschwelle».
Das System Merkel wird also «reloaded». Eine Politik, die sich nicht entscheiden kann, ist keine Politik. Es ist Verwaltung mit Presseabteilung. Die Probleme liegen auf dem Tisch: Rente, Energie, Migration, Infrastruktur, Bildung, Verteidigung, Bürokratie. Und was tut die neue Regierung? Sie setzt Ausschüsse ein, erstellt Eckpunktepapiere, veranstaltet Gipfel, jagt die AfD. Wenn Management durch Meetings ersetzt wird, kann man auch gleich einen Ethikrat regieren lassen. Publikumsfreundlich werden Ankündigungen präsentiert – zur Übertünchung der Misere. Oder es wird mal ein Dutzend abgewiesener Asylanten abgeschoben, wortreich und mit viel Presseunterstützung. In ganz Germanien lümmeln jedoch noch Hunderttausende von Ausreisepflichtigen rum. Sie werden, und dies formell, „geduldet“. Ankündigungspolitik, immerhin, muss man der neuen Koalition nicht lehren.
Aus Schweizer Sicht könnte diese Regierung jedoch ein Glücksfall sein. Deutschland schwächelt, wir profitieren. Das Humankapital flieht über den Rhein, das Kapital gleich mit. Wir bekommen die Arbeitskräfte, die Motivation, die Kreativität. Deutschland bekommt zurück: Bürokratie, Schulden und eine Klimapolitik, die die Industrie grillt.
Und Merz? Der reitet weiter das tote Pferd. In der Hoffnung, dass es irgendwann aufsteht. Vielleicht hat er ja recht. Vielleicht ist Deutschland das erste Land der Welt, das durch einen Koalitionsvertrag in den Aufschwung stolpert. Man darf ja träumen. Derweil hat sich der frischgebackene Kanzler auf dem heissen Stuhl bei Zoll-Zampano Trump ganz leidlich geschlagen – allerdings musste er auch kaum etwas sagen, denn Donald the Chosen one lieferte ein flottes Selbstgespräch. Die wichtigen Themen (wie das Zoll-Drama) mussten dergestalt gar nicht erst angesprochen werden, und das innenpolitische Resultat für Deutschland war so einfach gar keines.
Wäre Deutschland ein Unternehmen, so stünde es auf dem Zettel von aktivistischen Investoren. Deutschland, der Übernahmekandidat? Wenn der Shareholder Value schrumpft, die Schulden wachsen und das Management sich öffentlich streitet, wäre das die logische Folge. Kein CEO dieser Welt könnte so arbeiten. Aber in Deutschland nennt man das Demokratie.