Waldmeyer und der Pakt mit der Ukraine

Die Schweiz, dieses hübsche kleine Land, hat ein Problem: Deren Bewohner meinen, dass es verteidigungsfähig sei. Ist es aber nicht. Verwundert betrachten die Eidgenossen die Welt, die sich rundum verändert. Die Bedrohungslagen sind plötzlich nicht mehr die gleichen und es rumpelt gewaltig in der Geopolitik. Waldmeyer blickt nun über den Tellerrand hinweg und zerschlägt den gordischen Knoten.

Selenski, von Beruf Schauspieler und Präsident, ist ein schlauer Kerl: Neuerdings suggerierte er die Möglichkeit, dass nach einem Waffenstillstand in der Ukraine der Westen über eine zusätzliche neue, schöne starke Armee verfügen könnte. Diese erprobten Truppen könnten künftig nicht nur als Bollwerk gegen Russland funktionieren, sondern zugunsten des Westens auch eine ganz neue Rolle für die umfassende Sicherung der Ostflanke spielen. Vielleicht sogar noch weiter in den Osten rein. Damit soll sich eine weitere Aufrüstung der Ukraine durch den Westen heute auch lohnen, insinuiert der rührige Ukraine-Chef, denn das wäre alles andere als umsonst.

Tatsächlich könnte das Sinn machen, überlegte Waldmeyer.

Weiter analysierte Waldmeyer, mental gestählt durch eine Schweizer Rekrutenschule und weitere militärische Ausbildungen: Erstens stellt die ukrainische Armee mit 200’000 bis 300’000 aktiven Soldaten zurzeit die grösste Truppe in Europa dar (nebst Russland natürlich, sofern wir dieses Land immer noch zu Europa zählen möchten). Frankreich und England verfügen je über ein stehendes Heer von knapp weiteren 200’000 Aktivsoldaten. Die Türkei (ein partiell abtrünniger Partner), Griechenland und Polen stellen weitere robuste Truppen. Von den anderen Ländern sprechen wir lieber nicht. Vor allem nicht von Deutschland – deren Armee stellt so etwas wie das Gegenteil einer Abschreckung dar, denn ihre besten Waffen blieben bis jetzt in den Kisten (so die Taurus Raketen), anstatt sie den Ukrainern zu liefern. Ausserdem fehlt es an Soldaten, Ausrüstung, Ausbildung und Willen für einen Wiederaufbau der Armee. Dieser Pistorius ist ja wirklich nicht zu beneiden, die Rolle des deutschen Verteidigungsministers ist wohl eine der undankbarsten der modernen Geschichte: Er kriegt zu wenig Geld, hat zu wenig Soldaten, fast nur schlechtes Gerät und eine Truppe, die überhaupt nicht motiviert ist. Und ihm waren über Jahre die Hände gebunden, sein verscholzter Chef liess ihn gar nicht walten und der neue ist noch in der Probezeit.

Aber zurück zur Ukraine: Das Land verfügt heute über zum Teil hochmodernes militärisches Spielzeug, aus bekanntem Grund gut trainierte Soldaten und über einen ausgeklügelten «Intelligence Service». Eine Integration in die NATO könnte fast über Nacht erfolgen, das Land arbeitet ja schon eng mit dem Club zusammen. Eine NATO-Aufnahme müsste deshalb formell gar nie stattfinden, denn diese ist operationell schon lange erfolgt. Mit einem Verzicht auf einen offiziellen Beitritt lässt sich zudem allerlei politisches Ungemach verhindern. Es würde, bei einem Waffenstillstand dann, ausreichen, ein paar rumänische und griechische Friedenstruppen in der verbliebenen und versehrten Ukraine zu platzieren (wohl verstanden, nationale Friedenstruppen und nicht solche der NATO). Vielleicht kommen auch Inder oder die Chinesen? Soweit Waldmeyers Analyse zur derzeitigen Lage in Europa.

Es wird vielleicht noch eine Weile dauern, dann wird etwas später US-Präsident Vance (welcher inzwischen Präsident Trump ablösen durfte, der, beispielsweise, an einer Überdosis Cheeseburger verstarb) erkennen, dass er mit der Ukraine praktisch einen neuen Partner an Bord haben wird, welcher ihm bei allerlei Aufgaben zur Hand gehen könnte. Verschiedene Übungen im Osten könnten da noch anstehen, so im Irak, in Syrien, Afghanistan, Libanon etc. Weitere Einsätze könnten im Schwarzen Meer bevorstehen, auch in der Südchinesischen See und im Pazifik. Taiwan oder Nordkorea sind weitere Hotspots, wo beobachtet und notfalls gestört und/oder eingegriffen werden könnte. Herrscht erst einmal Ruhe in der Ukraine, könnten die arbeitslos gewordenen Heerscharen an Soldaten dergestalt neue interessante Aufgaben übernehmen.

«Und warum sollte das die Schweiz interessieren?», antwortete Charlotte auf Waldmeyers Visionen hin, die er gestenreich vor dem Kamin ausbreitete.

Waldmeyer hatte eine rasche Erklärung dafür: «Die Ukraine ist unser neuer Verteidigungspartner – sie wissen es nur noch nicht!»

Waldmeyer äusserte seine Vision jedoch nicht unbedacht und spontan. Er tat es ohne jegliche Theatralik und in Ruhe, zwischen zwei Schlucke Cognac.

Waldmeyer ist nämlich der Meinung, dass ein NATO-Beitritt der Schweiz zwar logisch und sinnvoll wäre, politisch aber nicht umsetzbar. Die Schweizer Ausgangslage in Sachen Verteidigung ist eigentlich brisant: Wir würden uns nie und nimmer verteidigen können. Die alten Flieger taugen nichts, die neuen kommen nicht. Über ein modernes Flugabwehrsystem verfügen wir nicht, Drohnen können wir auch nicht abwehren, die eigenen sind seit Jahren nicht einsatzbereit, weil sie einem „Swiss Finish“ unterliegen, und gegen Cyberangriffe sind wir nur beschränkt geschützt. Uns fehlt es auch an einem Intelligence Power, um zu erkennen, wo im Krisenfall was kriegstechnisch in Echtzeit laufen würde. Wir würden, militärisch gesehen, blind dahocken und auf den alten Panzern warten, bis etwas passiert. Und da gibt es noch ein anderes Problem: In der Schweiz tummeln sich Hunderte von russischen und chinesischen Spionen wie in einem Freizeitpark für Agenten – im vollen Wissen unseres Geheimdienstes. Verdeckte militärische Strategien und Geheimnisse gibt allerdings gar keine bei uns, alles ist publik und wird direktdemokratisch öffentlich debattiert. Wir geben zwar zu Abschreckungszwecken jährlich sechs Milliarden für die Armee aus, aber diese Armee schreckt leider nicht ab. Deren Führung hatte bis vor Kurzem eine Juristin aus dem Wallis inne, jetzt kommt ein netter Herr aus der Innerschweiz.

Unsere vermeintliche Waffe ist offenbar die Neutralität. Und Im Notfall ziehen wir uns zurück ins Reduit. Es gibt kein einziges nennenswertes Land im westlichen Europa, welches weder in der NATO ist noch dem EU-Verteidigungspakt angehört. Wir gehören uns allein. Wir kokettieren etwas mit der NATO, besprechen uns zuweilen und schwafeln mit Frankreich und Deutschland über einen Verteidigungsschirm, dem European Skyshield, den es gar noch nicht gibt und dem wir auch nicht richtig betreten, aber dann eventuell doch beitreten – oder auch austreten – könnten, wenn’s brenzlig wird.

Verteidigungspakte sind im Übrigen etwas sehr Normales. Erst kürzlich haben Deutschland und Grossbritannien einen solchen abgeschlossen, auch Russland mit Nordkorea (ein guter Deal, Nordkorea verfügt über mehr als eine Million Soldaten).

Was die Schweiz betrifft: NATO jetzt also nein. Aber wenn’s um die Wurst ginge, würden die uns vielleicht schon helfen. Dann würde Martin Pfister, unser neue Verteidigungschef, furchtlos zum Telefonhörer greifen und den NATO-Oberbefehlshaber Mark Rutte anrufen: «Mark, wir haben ein Problem. Kannst du uns bitte helfen…?» Aber Rutte hätte inzwischen, in einer solchen Situation, anderes zu tun, denn ganz Europa stünde vermutlich in Deep Shit und müsste seine Verteidigungsbereitschaft erhöhen – er hätte schlichtweg keine Zeit für Martin.

Und dann würde es vielleicht passieren: Der Gegner würde als erstes mittels geeigneter Waffen und viel Elektronik unsere zivile Infrastruktur ausschalten. Es würde sehr dunkel und sehr kalt werden in der Schweiz. Dieser Gegner würde natürlich bewusst zuerst die Schweiz attackieren, denn das würde keinen NATO-Bündnisfall auslösen, deren Flieger würden erst mal am Boden und die Truppen in den Kasernen bleiben. Auch unsere eigenen alten Flieger würden am Boden bleiben, denn aufgrund der ausgefallenen Energieversorgung würden alle Kommunikationsmittel so gut wie tot sein. Vielleicht hätte Martin den Kollegen Mark mit viel Glück noch über ein Satellitentelefon erreicht, das ihm ein beherzter Adjutant gereicht hätte.

Aber zurück zur Lösung für unsere Verteidigungsfähigkeit: Wenn wir einen Pakt mit der neuen Ukraine abschliessen würden, hätten wir einen valablen Partner an der Hand. Der Deal würde natürlich so aussehen, dass er nur im Verteidigungsfall gilt und unsere Neutralität nicht tangiert. Da die Ukraine auf absehbare Zeit, auch nach einem Friedensschluss, nicht in der NATO sein wird, könnte so ein Abkommen eine elegante Lösung darstellen!

«Und warum sollten die Ukrainer das tun…?», wollte Charlotte wissen.

«Sie würden jährlich einen Batzen dafür kriegen. Den brauchen sie dringend. Sie müssen gar nichts tun dafür. Nur im Notfall, welcher dann eben gar nie eintreten wird, weil der Gegner weiss, dass die Schweiz zusätzlich von einer Viertelmillion hochgerüsteter und knüppelharter Ukrainer verteidigt würde. Eine Win-Win-Situation, ohne dass irgendjemand handeln würde.  Wir müssen nur das Papierli unterschreiben.»

Waldmeyer war zufrieden mit seiner Vision. Er schenkte sich etwas Cognac nach, stocherte im Cheminée rum und überlegte, wie er seinen raffinierten Plan nun unter die Leute bringen könnte. «Steck es doch erst mal True Economics, Max!», schlug Charlotte vor, «die nehmen solche abwegigen Ideen immer gerne auf!»

Waldmeyer und der Vulkanausbruch

Oder: Ist die nächste grosse Krise der Ausbruch des Vesuvs…?

Es mag etwas voreilig sein, aber wir können heute schon behaupten: Wir konnten, zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg, alle Krisen einigermassen gut bewältigen. Ob die Finanzkrise 2007/2008, später Corona, oder – bis jetzt – die «Trump-Krise». Allerdings zum Teil zu derart hohen volkswirtschaftlichen Kosten, dass wir dafür beten müssen, dass vergleichbare Ereignisse nicht gleich wieder eintreten mögen. Waldmeyer betet nicht, aber er analysiert und bereitet sich vor.

„Vergiss Capri, Schatz, das ist mir zu brenzlig“, meinte Max Waldmeyer zu Charlotte, als sie Google Maps wieder mal nach lohnenswerten Reisezielen durchforsteten. Charlotte verzog die Mundwinkel. Sie erinnerte sich dabei, wie sie damals, vor rund 30 Jahren, mit Antonio im alten Fiat Panda der Amalfiküste entlangzuckelten und nach Capri übersetzten. Sie teilte ihre Erinnerung jetzt aber nicht.

Waldmeyer überlegte, ob er künftig das Risiko von Vulkanausbrüchen in seine Ferienplanung einbeziehen sollte. Der Vesuv bei Neapel, der Ätna oder der Stromboli im Raum Sizilien, der Fuji in Japan, der Gunung Agung auf Bali, der Toba oder der Tambora in Indonesien usw.: Es gibt nun mal Gegenden mit erhöhten Risiken. Heikel wird die Kombination eines erhöhten Risikos mit einer ebenso hohen Auswirkung.

Waldmeyer ist sich bewusst, dass es auch eine Vielzahl von anderen Katastrophen geben könnte, mit ganz unterschiedlichen Eintretenswahrscheinlichkeit und, je nachdem, grossen regionalen oder globalen Auswirkungen. Eine grosse Atomkatastrophe, ein Cyberkrieg, nochmals eine böse Pandemie – das sind alles Krisen, die ein Desaster darstellen können. Oder man stelle sich vor, dass der irre Pate im Oval Office den US-Dollar kollabieren lässt und die gesamte Weltwirtschaft den Bach runtergeht. Aber auch der Ausbruch des Vesuvs könnte unser Leben schlagartig verändern.

Waldmeyer ist nicht paranoid. Aber er würde sich doch als etwas «teil-paranoid» bezeichnen. Für den Moment, für dieses Wochenende zumindest, nahm er sich vor, sich erst mal nur auf die Vulkane zu konzentrieren.

Ein Warnschuss erfolgte im Jahr 2010

Waldmeyer erinnert sich an den Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island. Der Himmel ganzer Erdteile war über Tage und Wochen in Vulkanstaub gehüllt, der Flugverkehr über weite Teile lahmgelegt, das Klima beeinträchtigt, lokal ebenso die Gesundheit der Bevölkerung. Es war ein kurzes, glücklicherweise nur vorübergehendes Ereignis.

Im Jahr 1815 war es anders. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien hatte schwerwiegende globale Auswirkungen: Amerika und Europa mussten in der Folge nämlich ein „Jahr ohne Sommer“ verzeichnen. Ein grosser Teil der Menschheit litt an Kälteeinbrüchen, Missernten, Überschwemmungen. In der Schweiz brach eine Hungersnot aus. Der russische Zar Alexander I. erbarmte sich und lieferte Getreide und Geld an die Ostschweiz. Ob Präsident Putin uns heute auch helfen würde? Aus Deutschland wanderten damals, aufgrund der grossen Not, viele Menschen in den Süden Russlands oder in die USA aus. Und in den USA selbst gab es eine Wanderbewegung vom Osten in den Westen. Das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Ja.

Alle hundert Jahre ein grosser Ausbruch

Die Wahrscheinlichkeit lehrt uns, dass etwa einmal pro hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch globale Auswirkungen haben könnte. Wir kennen alle die Geschichte vom Aussterben der Dinosaurier. Die Wissenschaft rätselt bis heute, ob es ein grosser Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag war, der eine reduzierte Sonneneinstrahlung zur Folge hatte und einen dramatischen Klima- und Vegetationswandel auslöste.

Als der Vesuv 79 n. Chr. ausbrach, verschwand Pompeji unter einer 12 Meter hohen Lava- und Ascheschicht. Noch heute gilt der Vesuv als einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Geologen bezeichnen ihn als Zeitbombe.

Der Ausbruch des Vesuvs könnte verheerende Auswirkungen haben

Die Wahrscheinlichkeit für einen richtig grossen Ausbruch des Vesuvs wird auf 1% geschätzt, dies für den Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Also ein einigermassen überblickbares Szenario. Dennoch: Waldmeyer stellte sich vor, dass er mit verbundenen Augen eine wenig befahrene Strasse überqueren sollte. Die Wahrscheinlichkeit, überfahren zu werden, liegt bei nur 1%. Er würde an der Strasse stehen und er hätte die Wahl, entweder mehrere Stunden zu warten, bis ihm jemand die Augenbinde abnimmt, oder das geringe Risiko einzugehen, die Überquerung zu wagen. Nun, Waldmeyer würde jetzt noch am Strassenrand stehen und warten. Merke: Auch ein geringes Risiko gilt als zu fatal, wenn es eintritt.

Leider müssten wir uns vom schönen Capri verabschieden

Waldmeyer am Strassenrand hätte zumindest die Wahl, er kann den Eintritt eines Risikos beeinflussen. Er könnte an einem geselligen Abend auch das Risiko eines Hangovers beeinflussen. Könnte.

Bei einem grossen Vulkanausbruch ist das leider anders. Er findet statt oder nicht. Gewissheit herrscht nur darüber, dass ein solcher verheerend wäre. Wir würden uns dann nicht nur über eine vorübergehende Beeinträchtigung des Flugverkehrs unterhalten.

Nun also zum Vesuv: Neapel zählt über eine Million Einwohner, der betroffene Grossraum (leider inklusive der schönen Insel Capri) sogar über drei Millionen. Hunderttausende von Todesopfern wären zu beklagen. Die Szenarien sind bekannt, gemacht wird wenig. Analog zu unserer Pandemie-Vorbereitung (Stichwort Masken, Krisenpläne etc.). Es gibt zwar seit langem Umsiedlungspläne in der Region, selbst mit Prämien. Praktiziert wird indessen das Gegenteil, in den besonders betroffenen „roten Zonen“ wird nämlich kräftig gebaut. Die heutigen Evakuierungspläne für einen Ausbruch gehen von einer Vorlaufzeit von 14 Tagen aus. Buona Fortuna! Die Evakuierung der Region würde wohl zu einem mehr als italienischen Chaos ausarten, zumal die Fluchtmöglichkeiten beschränkt sind. Elend und Plünderungen wären vorprogrammiert, die Armee müsste eingreifen. Abgesehen von den drastischen ökonomischen Auswirkungen in der ganzen Region wäre der direkte Einfluss auch überregional und würde mit Bestimmtheit ebenso die Schweiz betreffen. Strom- und Kommunikationsverbindungen könnten gekappt werden, halb Europa wäre von Hospitalisierungen betroffen. Apocalypse now?

Auch globale Auswirkungen

Ein grosser Vulkanausbruch würde nicht nur einen Aschenregen über die Alpen niedergehen und die Airlines grounden lassen. Der „Flügelschlag des Schmetterlings“ würde Kollateralschäden produzieren, an die wir im ersten Moment kaum denken: Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Tsunamis. Die Klimaveränderung könnte auch längerfristig anhalten. Lieferketten würden unterbrochen, Versorgungsengpässe wären vorprogrammiert, globale ökonomische Auswirkungen wahrscheinlich. Über Washington würde zwar kein Ascheregen niedergehen, aber auch dort wäre die Stratosphäre mit Asche-Mikropartikeln kontaminiert und würde die Sonneneinstrahlung und das Klima beeinflussen. Donald Trump würde im Rosengarten die neuen Zölle mit der Maske vor dem Gesicht verkünden.

Und das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Die Frage müssen wir leider nochmals mit Ja beantworten. Das einzig Positive an dem Szenario: Es ist in der Tat wenig wahrscheinlich. Aber würde es eintreten, würden wir uns Trumps Zölle herbeiwünschen oder andere, einigermassen überblickbare Unbill.

Wieso unterhalten wir uns so lange über den Vesuv…?

Lohnt es sich überhaupt, sich mit wenig wahrscheinlichen Krisen auseinanderzusetzen? Die Krux liegt darin, dass sich ein ganzer Reigen an vielen weiteren Krisen präsentieren könnte: Strommangellagen, Cyberattacken, Atom-Terrorismus, neue Pandemien, Russlands Überfall aufs Baltikum etc. Der Bundesrat hatte schon 1999 und nochmals 2015 definiert, welche Krisenereignisse die wahrscheinlichsten sind. Der Russe, der den Rhein überschreitet, war damals nicht mehr auf der Liste. Die Pandemie indessen schon, sogar auf Platz 2. Und trotzdem waren wir nur knapp vorbereitet. Wir sind also bereit, den Russen zu empfangen, weil wir nicht glauben, dass dieses Ereignis eintreten würde, nicht aber eine Pandemie. Den Vesuv hatte der Bundesrat entweder vergessen auf die Liste zu setzen – oder vielleicht wäre er nur auf eine verlängerte Liste geraten (zusammen mit dem Meteoriteneinschlag)?

 

Vergessen wir die Campi Flegrei nicht!

Gleich neben Neapel, in Konkurrenz zum Vesuv, brodelt die Erde bereits: Aus den Phlegräischen Feldern traten gerade vor ein paar Tagen wieder Schwefeldämpfe auf und die Erde bebte – immerhin mit Stärke 4.4 auf der Richterskala. Die Chose könnte jederzeit hochgehen, ein riesiges Magmafeld unter der dünnen Erdkruste wartet nur darauf, explodieren zu dürfen. Die Italiener vor Ort kümmerts wenig – es war schon immer so. Sie lassen sich davon nicht stören, dass hier ein Gebiet mit einer Ausdehnung von fast 150 Quadratkilometern gefährlich vor sich hingrummelt. 1538 waren diese gigantischen Magmakammern zum letzten Mal explodiert. Die Campi Flegrei gelten als das gefährlichste Vulkangebiet der Welt. Die Ausbruchwahrscheinlichkeit ist jedoch relativ gering. Angesichts dieser relativ beruhigenden Information nahm sich Waldmeyer vor, sich erst mal auf die Causa Vesuv zu konzentrieren.

Breaking News: Der Vesuv meldet sich zurück – ganz Neapel hat jetzt Meerblick!

Waldmeyer stellte sich vor, wie denn so ein Szenario eines Ausbruches konkret aussehen würde. So in der Stadt Neapel, in einer Winternacht, um 23:03 beispielsweise:  Nach jahrhundertelanger Ruhe würde sich der Vesuv mit einer Geste von überwältigender Grandezza zurückmelden. Im Gegensatz zu damals, in Pompeji, würde es indessen nicht nur eine friedliche kleine Stadt treffen. Die gesamte Region Kampanien würde innerhalb von Minuten in ein Instagram-unfreundliches Szenario verwandelt. Der Flughafen Neapel würde zur Lavasauna, während sich Touristen aus aller Welt über Google Maps wundern, warum die Strassenkarte im Satellitenmodus plötzlich rot glüht.

Tatsächlich könnte Neapel, aufgrund einer gewaltigen Explosion seines Hausberges, nun auch in seinen nördlichen und östlichen Wohngegenden mit einem Schlag plötzlich über Meersicht verfügen – allerdings dann ohne Fenster. Die wenigen Informationen, die vor Ort erhältlich sein würden, wären, abgesehen von lokalen Hilferufen, ein paar bruchstückhafte Versprechungen der italienischen Regierung, alles „zügig wieder aufzubauen»; sie würde auf die Wiederaufbauhilfe in den Abruzzen verweisen, nach dem grossen Erdbeben 2009 (Anm. der Redaktion: Die Wiederaufbauhilfe kam allerdings bis heute kaum an).

Im direkten Umkreis des Vesuvs bliebe kein Stein auf dem anderen, im weiteren Umkreis von rund 20 Kilometer Radius bräche die gesamte Infrastruktur zusammen. Vielleicht wäre die Flucht allenfalls noch mit einem Mountainbike möglich, überlegte Waldmeyer, über die Felder und Äcker, bewaffnet mit einer Flasche San Pellegrino und mit einem nassen Schal um den Kopf gewickelt. Auf jeden Fall müssten besiedelte Gebiete und Strassen gemieden werden. Letztere wären hoffnungslos verstopft, der Asphalt könnte schmelzen und Feuerstürme die Gebäude heimsuchen. So oder so müsste der Start der Radtour etwas weiter weg vom Eruptionsort stattfinden, so ausserhalb eines Radius’ von mindestens fünf Kilometern, denn ansonsten würden bis zu 700 Grad heisse Luftströmungen ein Fortkommen doch erheblich erschweren. Es gälte auch, möglichst rasch das Weite zu suchen, denn selbst innerhalb eines Radius von 10-20 Kilometern würde sehr bald Asche niedergehen, bis zu einem halben Meter, was auch die gröbsten Reifenprofile eines Mountainbikes überfordern würden. Wichtig ist auch, sich weit vom Meer weg zu begeben, denn es müsste mit einem Tsunami gerechnet werden.

Noch Monate und Jahre nach der Eruption wären die verheerenden Schäden in der weiteren Region zu sehen: die komplette Zerstörung des Verkehrs-, Energie- und Wasserversorgungsnetzes, die totale Vernichtung der Basis für den Wein-, Oliven- und Obstanbau. Ganz Kampanien würde wirtschaftlich kollabieren und die angrenzenden Regionen wären heillos überfordert mit Hilfeleistungen. Ganz zu schweigen vom Tourismus in ganz Süditalien, welcher einen Totalschaden erleiden würde. Keine schönen Aussichten, meinte Waldmeyer und überlegte sich, ob das der Staat Italien überleben würde. Der Bel Paese liegt bekanntlich, wirtschaftliche betrachtet, seit längerem auf der Intensivstation und wird laufend am offenen Herzen operiert.

Waldmeyers Vorbereitung

Waldmeyer überlegte sich, was er denn selbst tun müsste, um sich auf die Vesuvkrise adäquat vorzubereiten. Man stelle sich vor, dieser bricht tatsächlich aus. Nehmen wir an, es wäre das volle Programm angesagt – wie oben angedacht. Also eine Eruption wie vor nahezu 2‘000 Jahren.  Die Verwüstung rund um Neapel würde Waldmeyer in Meisterschwanden nur in Fragmenten mitbekommen, denn alle Kommunikationsmittel der betroffenen Region würden versagen. Aber Cornelia Boesch würde die Satellitenaufnahmen in der Schweizer Tageschau präsentieren, sie würde ein schwarzes Kleid tragen und einen Bundesrat via Satellitentelefon aus seinem Weinberg in Bursins in der Waadt interviewen.

Der Ausbruch würde zum unvorteilhaftesten Zeitpunkt erfolgen, nämlich nachts, am 28. Dezember. Alle Entscheidungsträger würden in den Ferien hocken. Wenn sich der Aschenregen auf die Pisten in Zermatt niederlegt, würde es jedoch auch dem Letzten klarwerden, was jetzt käme: Ein Zusammenbruch des Elektrizitätsnetzes, denn die Solaranlagen würden kein einziges Watt mehr produzieren, die Windräder nicht mehr drehen usw. Der Bahnbetrieb von Zermatt nach Täsch würde eingestellt, und auch Martin Schlegel, der Nationalbankpräsident, würde im dunklen Zermatt blockiert sein und könnte sich nicht in sein Büro nach Zürich absetzen, um von dort aus die Zinsen zu senken oder der Bevölkerung gut zuzureden.

Die Bundesräte wären eh nicht zu erreichen. Einzig Guy Parmelin, welcher den ganzen Tag versucht hatte, seine Rebstöcke von diesem toxischen Fallout zu befreien. Die kurzfristigen Auswirkungen in der Schweiz (Verdunkelung, etwas Asche, regionale Zusammenbrüche der Energieversorgung und Kommunikationskanäle, Zusammenbruch in den Spitälern, aufgrund der Aufnahme der vielen Verletzten aus Italien) wären überblickbar. Fataler wären die mittel- und langfristigen Auswirkungen: Kaputte Aprikosenernte, lokal verseuchtes Trinkwasser usw. Waldmeyer überlegte gleich, wie er seine Solaranlage auf dem Dach seiner Villa in Meisterschwanden reinigen würde. Ja, das wäre wohl eine Sofortmassnahme, denn Energie ist das A und O. Aber seine Nahrungsmittelvorräte würden wohl nicht reichen, abgesehen vom Weinkeller.

Auf die Frage von Cornelia Boesch an den desperate Bundesrat im Weinberg, wie es ihm denn jetzt persönlich gehe, würde Parmelin nur lakonisch antworten: «Diese Jahrgang wird eine Catastrophe werden.» Parmelin wüsste aber auch gleich die Bevölkerung zu beruhigen: Man prüfe den Import von FFP3-Masken.

Das neue Jahr ohne Sommer

Die Auswirkungen eines Vesuvausbruchs wären nicht nur für die ganze Grossregion Neapels und Italien im Allgemeinen dramatisch. An den europäischen Flughäfen und in den Parlamenten würde erst mal Panik ausbrechen, es käme zu Hamsterkäufen in den Supermärkten. In der Schweiz wäre, einmal mehr, das Toilettenpapier noch gleichentags ausverkauft. In Deutschland würde eine Sondersitzung des Bundestages einberufen, um die CO2-Misere zu besprechen. Klimagegner würden auftrumpfen, dass mit dem voraussichtlichen Temperatursturz das Problem mit der Klimaerwärmung gelöst sei. In Frankreich würden die Winzer mehr Fördermittel für den Weinanbau verlangen, um die italienischen Ernteausfälle zu kompensieren. Sie würden aber noch nicht ahnen, dass ihre eigene Ernte ziemlich kümmerlich ausfallen würde – kein Wunder, in einem Jahr ohne Sommer.

In den USA würde kaum schwarze Asche niedergehen, aber insbesondere Nordamerika würde ebenso unter einem Temperaturrückgang von mindestens einem Grad Celsius leiden; die Sonne würde auch in den USA weniger scheinen und aufgrund der reduzierten Photosynthese würden auch hier die Ernten zurückgehen. Es käme zu einem starken Preisanstieg der Nahrungsmittel, zu Lieferengpässen und generell zu grossen Schwierigkeiten in den Lieferketten, denn der Flugverkehr wäre über Wochen lahmgelegt. «Thank you Brussels» würde Donald Trump auf True Social nach Europa tweeten. Auf Telegram würde die Verschwörungstheorie auftauchen, dass Bill Gates den Vesuv ferngesteuert hat, und auf Fox News würde die Naturkatastrophe als ein linkes Projekt des woken Europas dargestellt.

In China würde es im Norden des Landes zu Dürren kommen, im Süden zu Überschwemmungen. Aber China würde die Gunst der Stunde erkennen, um sich in ein gutes Licht zu setzen und würde Soforthilfe leisten. So würde Xi Jinping eine ganze Drohnen-Armada losschicken und Pasta-Pakete über Italien abwerfen. Gleichzeitig würde er Giorgia Meloni vorschlagen, die Belt and Road Initiative wieder aufzunehmen mit einer direkten neuen sino-italo Seidenstrasse von Peking nach Neapel.

Globale Erkenntnisse

Nicht nur die Auswirkungen wären global, sondern auch die Erkenntnisse. Wissenschaftler würden sich rechtfertigen, dass der Ausbruch «statistisch möglich gewesen sei», allerdings «gesellschaftlich unangemessen». Das würde nicht viel weiterhelfen, aber zu der globalen Erkenntnis führen, dass sich die Natur eben nicht an ein Protokoll hält. Bei Ausgrabungen im Jahr 2075 würde man vielleicht ein verkohltes Handy finden, darauf, auf dem Screen eingebrannt, die letzte Nachricht seines unglücklichen Besitzers: «OMG, Vesuv just erupted! ☹»

Man hätte nichts gegen diesen Ausbruch unternehmen können – die Weltgemeinschaft wäre sich wohl einig. Es gibt nun mal globale Imponderabilien. Aber sich ein bisschen auf Katastrophen vorbereiten könnte man schon.

Vorbereitung: also doch…?

«Asche zu Asche, Staub zu Staub», murmelte Waldmeyer von seinem Longchair aus und studierte weiter die Passatwinde und die Auswirkungen der Aschepartikel auf die Stratosphäre. Charlotte antwortete nicht.

Lokal könnte man sich sehr wohl auf ein solch unappetitliches Ereignis vorbereiten. In Neapel beispielsweise, denn man könnte die Krisenpläne auf Vordermann bringen, man könnte Bauverbote für die brenzligen Zonen durchsetzen – und vieles mehr. Überregional oder sogar global wird die Sache heikel: Wir können uns kaum auf einen Sommer ohne Sonne vorbereiten. Waldmeyer würde sich vielleicht noch etwas mehr Proviant zulegen, vielleicht ein paar Goldvreneli verstecken und das Verteidigungsdispositiv in Meisterschwanden überprüfen, um sich gegen Plünderungen zu wappnen. Und bei der Wahl der Urlaubsorte wird er künftig ein bisschen vorsichtiger sein. Man kann ja ausweichen: Den Teller Spaghetti alle Vongole muss man nicht zwingend in Neapel geniessen. Como würde es vielleicht auch tun. Er würde seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) vollgetankt vor dem Ristorante stehen lassen, um jederzeit die Flucht zurück über den Gotthard antreten zu können.

 «Wir können ja von Glück reden, ist der Porsche schwarz, Charlotte – wegen der Asche», meldete Waldmeyer. Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer und warum Trump scheitern wird

Nun scheint es auch Hardcore-Fans von Trump langsam wie Schuppen von den Augen zu fallen: Da ist ein Hasardeur, ein Gambler am Drücker, der die ganze Welt in wirtschaftliche Geiselhaft nimmt. Er vollführt einen gefährlichen Drahtseilakt, erratisch, keiner Logik und keinen Regeln gehorchend. Oder gibt es einen Masterplan dahinter?

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Waldmeyer glaubt nicht an einen Masterplan. Donald the chosen one mag mit einer guten Portion Frechheit und Raffinesse gesegnet zu sein, aber er scheint ein multiples Problem zu haben: mit seinem überbordenden Narzissmus, seiner mangelnden ökonomischen Kompetenz und seinem Fehler, sich auf einen wahnwitzigen Kreis aus wenigen, meist gut begüterten und befangenen Beratern zu verlassen. Das kann nicht gut gehen. Zumindest eines erkennt Waldmeyer: Da gibt es zwar einen langfristigen Plan seiner Getreuen, so betreffend Zerschlagung der überbordenden Bürokratie, der Eindämmung der Immigration usw. Und es gibt einen gefährlichen Politplan (Agenda 47, bzw. Project 2025), welcher eine Art neue autokratische Regierungsform in den USA vorsieht – gesteuert vorab von der Wirtschaft, bzw. ihren grossen Tech-Protagonisten. Der Begriff Oligarchie darf hier durchaus fallen, auch der Vergleich mit Putins Reich, zumindest in der ersten Phase nach dem Jahr 2000. Auch ein Mafia-Vergleich würde Waldmeyer erlauben: Trump der Pate, der gibt und nimmt. Er erpresst, adelt und zockt ab.

Nein, Trump selbst hat keinen Masterplan. Sein Plan ist vorab, keinen zu haben. Er betreibt einfach erratisches Mikro-Management mit dem Ziel, möglichst viel Verwirrung zu stiften und sein eigenes Macht-Ego pflegen zu können.

Auch betreffend Zollkrieg gibt es keinen austarierten langfristigen Masterplan. Da hat sich der grosse Zampano mit den orange-blondierten Haaren wohl einfach verrannt. Er konnte sich zwar in der Situation suhlen, dass alle Staaten der Welt bei ihm nun zu Kreuze kriechen (O-Ton Trump: «They all kiss my ass»). Das hat ihn wirklich gefreut, es muss ja auch Spass machen, so Hof zu halten. Vor allem, weil sein Ego so unendlich tief mit Narzissmus getränkt ist.

Was inzwischen klar wurde: Es geht gar nicht um Zölle, es geht um Handelsdefizite. Die Berechnung der Strafzölle beruhte bekanntlich nur auf der Milchmädchenrechnung, das Handelsdefizit in Prozent der Importe zu berechnen und durch zwei zu dividieren: Und fertig ist die Strafsteuer. Easy. Als begnadeter Marketingmensch verwendet Trump dazu den Begriff «reziproke» Zölle.

Leider kommen den Amerikanern bei vielen ihrer Pläne immer wieder ihre mangelnden Geografie-Kenntnisse in die Quere. Präsident Trump verortete Spanien kürzlich als Brics-Staat. Auch ist es fraglich, ob er Swaziland, Switzerland und Sweden tatsächlich sauber auseinanderhalten kann. Diese schlagenden Wissenslücken bringen allerdings auch immer wieder allerlei amüsante Resultate zutage, so gerade bei diesem Zoll-Schwank: Die Heard und McDonald Inseln in der Arktis, von keiner Menschenseele bewohnt, kriegten auch den Zollhammer zu spüren. Der nachgeschobene Grund, dass man offenbar lückenlos Schlupflöcher stopfen wollte, ist nicht glaubwürdig: Syrien z.B. wurde nämlich «vergessen» – oder wohl nicht aufgeführt, weil es dort zurzeit überhaupt keinen Handel gibt. Wie beim Vatikan. Oder bei den Pinguinen in der Antarktis, wie oben erwähnt. Russland, Weissrussland, Nordkorea, Iran, Kuba usw. gingen interessanterweise in der Liste ebenfalls «vergessen» – letztlich ein Club von Unstaaten, untereinander jedoch ganz gut vernetzt. Die letztere Entscheidung war weniger den mangelnden Geografie-Kenntnissen geschuldet, denn Trump wollte wohl vor allem erst den geplanten Rohstoff-Deal mit Russland in trockenen Tüchern sehen.

Andererseits kamen Länder wie Lesotho mit einem 50%-Zoll auf die Liste. Diese Abgabe wurde mit dem üblichen Berechnungsmodus errechnet. Lesotho ist insofern ein lustiges Beispiel, als es die absurde Strategie Trumps sehr plakativ offenlegt. Denn Lesotho, dieses mausarme Land im Süden Afrikas, hat schlichtweg kein Geld, um irgendwelche US-Waren zu importieren, der Grossteil der Bevölkerung wird sich nicht einmal eine Flasche Heinz-Ketchup leisten können. Aber sie schaffen es, etwas zu exportieren, nämlich billige Textilien, insbesondere günstig hergestellte Denim-Stoffe. Die Strafzölle haben dann wohl zum Effekt, so die Pläne der Zoll-Intelligenzia in Washington, dass die USA diese wertvolle Denim-Produktion in die USA zurückholen möchten!? Wahrscheinlich sollten wieder grossräumig Baumwollfelder angelegt werden, und neue günstige, handverlesene Immigranten würden die Baumwolle pflücken – so, wie vor 200 Jahren die Sklaven in den Südstaaten, die singend und glücklich ihr Tagewerk verrichteten. Anschliessend, so vermutlich die Vorstellung Trumps, wird die Baumwolle von ebenso glücklichen neuen Immigranten in vielen Teilen der USA zu beautiful Denim verarbeitet, welcher dann in beautiful, echten US-produzierten Jeans endet. Ja, so sieht Re-Industrialisierung aus. Peter Navarro, der Handelsberater Trumps und Spin Doctor dieser verqueren Zollpolitik, fabuliert dabei alternativ immer wieder von Robotern, um die mangelnden Fachkräfte zu kompensieren. Was Lesotho betrifft: Das Land wird aufgrund dieser neuen Zölle vielleicht zugrunde gehen. Oder bestenfalls in die Arme Chinas getrieben. Allerdings wird dies nicht im selben Quartal stattfinden, sondern etwas später – was eben die mangelnde Weitsicht der neuen US-Regierung nicht offenbart.

Sri Lanka, Laos oder Kambodscha befinden sich in der gleichen Liga: Da gibt es kein Handelsdefizit auszugleichen, das kriegen diese Länder nie hin. Und die USA selbst auch nicht, weil sie die Billigprodukte dieser Länder unmöglich selbst herstellen können. Oder sucht die USA vielleicht wieder den Anschluss an die Low-Tech-Industrie, an den Primärsektor?

Vergleichbar, nur anders gelagert, verhält es sich mit der Schweiz: Es ist schlichtweg eine Illusion, dass unsere Rolexuhren später einmal in feinen, beautiful factories in den USA produziert werden. Rolex made in USA? Das wird nicht funktionieren, deshalb gibt es hier nichts zum «Zurückholen». Auch nicht bei unserer weltbesten Schoggi («made in USA»?). Die präzisen Emmentaler-Löcher würden sie in einer eigenen Käseproduktion auch nicht hinkriegen. Auch die Ansiedlung einer hochkarätigen Maschinenindustrie nicht, denn die USA kennen ja nicht einmal eine Berufslehre, welche einfache Mechaniker oder Werkzeugmacher hervorbringen könnte. Wenn Novartis künftig ein paar Pillen mehr in den USA herstellen möchte, low-tech-mässig fast, dann mag das noch halbwegs funktionieren und einen Gewinn für die USA darstellen. Solche Produktions- und allenfalls Verpackungszentren lassen sich tatsächlich in ein bis zwei Jahren hochziehen. Anspruchsvollere Produktionen jedoch erfordern einen sehr langfristigen Horizont. Echte Hightech-Industrien lassen sich gar nur in Dezennien aufbauen. Aber sollten die dafür notwendigen Investitionen aus dem Ausland tatsächlich kommen, bräuchte es vorab erst einmal eine Vertrauensbasis und eine Planungssicherheit – welche seit Trumps Antritt nachhaltig beschädigt worden ist.

Oder sollte Nestlé nun seine Nespresso-Kapseln in den USA produzieren – zumindest die 25% der Weltproduktion, die sie in Nordamerika absetzt, so um die 2.5 Milliarden Stück? Nun, Nestlé würde einen Teufel tun. Denn morgen könnten in den USA hohe Zölle auf den Kaffee- und Aluimporten aus irgendwelchen Ländern anfallen.

Liechtenstein steckt in einer ähnlichen Situation, dem Land wurde gar ein Zoll von 37% angedroht. Der Ministaat hat das Problem, dass seine Hilti-Maschinen einfach zu gut sind und es im Gegenzug nicht noch mehr Ketchup oder Bourbon konsumieren kann. Aber auch Hilti wird sich dreimal überlegen, grosse Produktionseinheiten jetzt in die USA auszulagern.

Findige Köpfe in der Schweiz überlegten schon, ob man nun Orangen aus Florida, Pinienkerne und andere Produkte, die unserer heiligen Landwirtschaft nichts anhaben könnten, vermehrt zollfrei in die Schweiz lassen sollte, um damit die Gunst des Zoll-Paten zu erlangen. In der Tat betragen die Schweizer Zölle auf US-Agrarwaren zum Teil über 100%. Aber selbst wenn Helvetien hier ein bisschen nachgeben würde (Waldmeyer dachte schon mit Freude an nur noch halb so teure Tomahawk-Steaks), so würde dies das Handelsdefizit nicht nachhaltig verändern. Tatsächlich sind es u.a. Güter wie Edelsteine oder Gold, deren Handel oft über die Schweiz abgewickelt wird, welche die Handelsbilanz der USA erheblich belasten. Natürlich könnte dieser Handel spielend auch über andere Länder abgewickelt werden, die Wertschöpfung in der Schweiz ist dabei eh nicht hoch. Oder sollte der irre Zoll-Zampano vielleicht auch diese Produkte künftig in den USA herstellen? Also wieder Gold schürfen, wie früher im Wilden Westen? Eventuell könnte er in Mar-a-Lago damit beginnen und den schönen Golfplatz umpflügen (zwecks Edelsteinabbaus)?

Dieses politische Muskelspiel der USA, aufgebaut auf falsch interpretierter makroökonomischer Logik, wird nicht aufgehen. Denn, wie wir gesehen haben: Nur in der Not würden ausländische Unternehmen ihre Produktionen in die USA verlagern, und nur mit Mühe könnten US-Firmen damit Erfolg haben, die alte Industrie «zurückzuholen».

Vordergründig brüstet sich der Dealmaker im Weissen Haus nun damit, dass er mit seinen Zollspielen den Dollar bereits etwas geschwächt hat. Ja, er hätte gerne einen leichteren Dollar, denn dann können die beautiful US products besser exportiert werden. Offenbar vergisst er aber, dass damit die Importe teurer werden, was die Inflation anheizt. Wenn er das Handelsbilanzdefizit, über alle Länder gerechnet, verbessern kann, stärkt das wiederum den Dollar – was bekanntlich nicht gut ist für den Export. Der Zielkonflikt des grossen Ökonomen im Oval Office ist mit Händen zu greifen und er wird ihn nicht lösen können. Wenn er zusätzlich seine brandgefährliche Idee realisieren würde, den Staaten, welche US-Staatsanleihen halten, eine «Gebühr» zu verlangen, würde das den Wert der Anleihen schmälern, die Renditen erhöhen und damit auch die Staatsausgaben aufgrund erhöhter Zinszahlungen. Er könnte zwar very high fees einstreichen und America ganz kurzfristig rich machen, aber es würde den Dollar schwächen.

Trump vollzieht also einen ökonomischen Drahtseilakt, und wie so oft verlässt er sich mehr auf seine spontane Intuition als auf erhärtete Fakten der Wirtschaftswissenschaften. Die unumstösslichen Fakten sind: Die Zölle werden die Inflation in den USA hochtreiben, eine Rezession steht vor der Tür, im besten Fall eine Stagflation. In diesen schwierigen Momenten kommt (in freien demokratischen Staaten) jeweils die Notenbank auf den Plan. Sie muss die Zinsen erhöhen, um die Inflation zu killen. Aber Trump wird das vermutlich zu übersteuern wissen. Vielleicht sollte er sich die Sünden von Erdogan in der Türkei einmal ansehen, was man mit derlei nonchalanter Vernachlässigung der goldenen Wirtschaftsregeln provozieren kann: eine gefährliche galoppierende Inflation, garniert mit einem Wirtschaftseinbruch und einem Vertrauensverlust der Märkte. Es könnte ein langer Marsch in den Niedergang werden, mit vielen Verlierern. Wenn nicht die USA, so könnten allerdings Trump und seine Dynastie dabei durchaus gewinnen, da sie die präsidialen Ökonomie-Spielchen zu antizipieren wissen – und sie könnten dabei einmal mehr mit einem blauen Auge davonkommen. Auch seine Tech-Oligarchen könnten dabei profitieren. Der Rest der Welt würde indessen verlieren. Vielleicht würde in der Folge eine neue Regierung kommen, vielleicht eine besonnenere, welche wieder auf den echten Regeln der Demokratie aufbaut, eine regelbasierte Weltordnung achtet und gleichzeitig den Staat vernünftig lenken kann. Vielleicht werden die Republikaner wieder am Drücker sein, vielleicht die Demokraten. Sofern sich das geeignete Personal denn aus einem der Lager finden lässt. Trumps Aufstieg war ja letztlich dem Umstand zu verdanken, dass man aus dem Fundus von 340 Millionen Amerikanern tatsächlich keine anderen tauglichen Leader gefunden hatte. Ein Jammer.

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