Waldmeyer und die verklärte Wahrnehmung von «Trömp»

Was sich unsere Politiker hinter die Ohren schreiben sollten: Diese neue US-Administration funktioniert anders, nämlich nicht der Logik und den Fakten folgend, sondern der Erratik. Aber unsere Volksvertreter verstehen das nicht. Dabei könnte es einen raffinierten Ausweg geben, überlegt Waldmeyer.

 

Lustig, wie unsere Regierungsleute in der Schweiz auf den Trump’schen Zollhammer reagiert hatten. Rechtsaussen-Politiker vermuteten erst mal einen «Rechnungsfehler» und ein «Missverständnis», das man den USA nun erklären müsste. Natürlich war es nicht so, sondern nur eine bewusste Provokation, um etwas herauszuholen – wobei es in der Regel gar nicht um Zollabbau ging, sondern a) um das «Zurückholen» der Industrieproduktion in die USA und b) tatsächlich auch darum, Einnahmen zu generieren. Zölle können tatsächlich viel Geld ins Land reinspülen, die Versuchung ist also gross, dieses Manna, so es denn vom Himmel fällt, zu nehmen, zu behalten oder gleich kunstvoll wieder einzusetzen. Das deckt sich mit dem weitverbreiteten Planungshorizont der Amerikaner, welcher ein Quartal selten übersteigt. Die Chinesen denken in hundert Jahren. Die Europäer, zumindest was die Politiker anbelangt, liegen irgendwo dazwischen, so in etwa bei dem Horizont einer Wahlperiode. Die Schweizer legen den Horizont situativ fest; er liegt meistens dort, wo er am wenigsten Probleme bereitet, sie schlängeln sich quasi zwischen den Widerwärtigkeiten der Welt hindurch.

Aber die Schweizer Politiker lagen, was Trump anbelangt, komplett falsch. Da wurde die exzellente Zusammenarbeit mit den USA aufgrund eines Besuches von Ueli Maurer in Washington glorifiziert, denn dieser durfte dem US-Präsidenten bereits 2019 die Hand schütteln. Trump und Maurer konnten sich damals zwar, sprachlich bedingt, kaum austauschen, aber es war, aus Schweizer Sicht, ein sehr erfolgreiches Ereignis. Auch unsere sympathische Magdalena Martullo-Blocher sah bis vor kurzem noch keinen Anlass zur Besorgnis in Sachen Zöllen: Trump habe die Schweiz sehr gern. So viel zur Naivität unserer sogenannten Classe politique und zur Wahrheit – welche sich leider so gestaltet, dass die neue US-Regierung auf wirklich niemanden Rücksicht nimmt und in Sachen Zöllen querbeet die ganze Welt in die Pfanne haut. Unser Winzer und Bundesrat Parmelin konnte sich zu einem „ungerechtfertigt“ durchringen und Karin Keller-Sutter war «enttäuscht» (sic)… Trump hat diese Statements sicher beeindruckt.

Dass die Schweiz erst kürzlich sämtliche Industriezölle abgeschafft hatte, kratzte die Trump-Administration überhaupt nicht – und verschonte die Eidgenossen nicht von einem sehr hohen «reziproken» Strafzoll. Kurzum: Unsere Politiker im Glashaus glauben immer noch an Facts and Figures, an die Logik und an die Wahrheit. So viel zu ihrer kognitiven Wahrnehmung.

Auslegeordnungen und tatsachenbasierte Erklärungen sind nutzlos. Donald Trump spielt ein Spiel, einen Poker, er amüsiert sich köstlich dabei – und alles ist erlaubt. Dieses Psychogramm, das hinter einer solchen Strategie steht, passt unseren aufrechten Beamten natürlich gar nicht.

Und immer wieder wird das so freundschaftliche Verhältnis mit den USA ins Feld geführt. Ueli der Maurer, um nochmals seinen berühmten Besuch im Oval Office zu erwähnen, durfte sich sogar in die Gästeliste eintragen. „Sänkiu, Mister Präsident!“

Nun, vielleicht merken inzwischen langsam auch alle Magdalenas unserer verklärten Trömp-Anhänger: „There is no free löntsch.“ Und solange die USA Europa als Quasikolonie betrachten, da verteidigungsmässig hoffnungslos ausgeliefert, wird sich das nicht ändern. Das gilt auch für die Schweiz. Ja, so kommen wir langsam bei den Fakten an – bei den real facts, nicht den „alternative facts“. Ob sich Christoph Blocher daran erinnert, dass er einst den Anschluss an die NAFTA vorschlug, zusammen mit Mexiko und Kanada – als Alternative zum EWR quasi? Zollmässig stehen diese beiden Länder gegenüber den USA heute, wie wir wissen, in deep shit.

Die USA haben eigentlich gar kein riesiges Handelsbilanzproblem. Die Gesamthandelsbilanz besteht bekanntlich aus der Warenbilanz und der Dienstleistungsbilanz – was Trump allerdings nicht interessiert. Die Dienstleistungsbilanz der USA kann sich nämlich sehen lassen, sie kompensiert zu einem guten Teil das Defizit der Warenhandelsbilanz. Der neue Pate im Oval Office interessiert sich allerdings nur für Warenströme. Ihn stört beispielsweise, dass die Italiener nicht in einem Dodge Ram durch Neapel zirkeln. Die Dienstleistungen beschäftigen ihn nicht – oder er möchte sie einfach nicht erwähnen, das mag zum Verhandlungsspiel gehören. Vielleicht liess sich klein Donald schon von Pippi Langstrumpf inspirieren: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Bei den Dienstleistungsexporten ist die USA, wie erwähnt, zumindest im Austausch mit industrialisierten Ländern, ganz gut: Während es bei den Waren für die USA im Verhältnis mit der Schweiz tatsächlich schlecht aussieht (51 Milliarden USD Importe stehen nur 15 Milliarden Exporten gegenüber, macht 43 Milliarden Warenhandelsdefizit), brilliert die USA geradezu bei den Dienstleistungen (Exporte in die Schweiz 54 Milliarden, Importe nur 31 Milliarden, also ein US-Überschuss von 23 Milliarden).

Die Schweiz erzielt also im Dienstleistungshandel mit den USA ein deutliches Defizit, die USA einen deutlichen Überschuss. Rechnet man die beiden Bilanzen zusammen (Waren und Dienstleistungen), sieht die Gesamthandelsbilanz nahezu ausgeglichen aus – vor allem, wenn man noch den zahlenverzerrenden Gold- und Edelsteinhandel rausrechnet. Aber wie schon festgestellt: Donald, der gewiefte Businessman, nimmt sich eben die Zahlen raus, die ihm passen.

Die überragenden Dienstleistungsexporte der USA in die Schweiz betreffen vor allem Software/IT-Produkte, Lizenzen und Finanzdienstleistungen. Microsoft, Apple Services, Google Cloud, Netflix oder Disney beispielsweise erzielen Milliardenumsätze. Dazu kommen Bildungsausgaben (so durch die Zahlungen internationaler Studenten) und der Tourismus und Geschäftsreisen. Der Konsum ausländischer Touristen in den USA wird nun mal als Dienstleistungsexport klassifiziert und hat einen positiven Einfluss auf die Bilanz der USA. Da zählen Waldmeyers Aufenthalte im Hotel in New York, die Badeferien in Miami Beach, die vorzeitig gebuchten Inlandflüge und das Steakrestaurant – alles zählt. Sogar die 21 USD für das ungeliebte ESTA-Formular, um überhaupt einreisen zu dürfen.

Nun zu Waldmeyers durchaus ernst gemeintem Vorschlag: Unsere möglichen Vergeltungsmassnahmen könnten Dienstleistungszölle vorsehen. Es wären dann auch „reziproke“ Zölle – frei nach Donald’s Prinzip: Wer mehr verkauft als kauft, muss blechen. Die Berechnungsmethode dieser neuen Dienstleistungszölle liegt auf der Hand: Wir werden den berühmten Milchmädchen-Schlüssel der Trump-Administration verwenden. Wir berechnen unser Dienstleistungsdefizit in Prozent des gesamten Dienstleistungsaustausches, dividieren durch zwei und erhalten eine beautiful tax. Sie wird sogar sehr fair und bescheiden ausfallen, es wurden 14% errechnet. Gleichzeitig wäre dieser Zoll, gefühlt, gar nicht so dramatisch. 14% auf dem Microsoft-Programm oder auf dem Netflixabo? Das würden wir locker wegstecken. Uns selbst würden wir uns damit nicht gross schaden – dies im Vergleich zu den Amerikanern, welche die 31% auf unserer Schoggi nur spüren sollen!

In Deutschland würde die gleiche Berechnungsmethode, also ebenso nach Trump’scher Manier, einen Zoll von nur 2% auf allen Dienstleistungsimporten aus den USA ergeben. Ein extrem tiefer Wert, verglichen mit der Schweiz. Tatsächlich stehen die bescheidenen Dienstleistungsimporte Germaniens von nur 67 Milliarden USD in keinem Verhältnis zur Schweiz (31 Milliarden). Waldmeyer vermutet, dass vielleicht die vielen türkischen Einwanderer in Deutschland nicht Netflix schauen oder es doch am niedrigen Digitalisierungsgrad des Landes liegt. Aber die Überlegung ist irrelevant, weil die EU, gemäss Trump-Prinzip ohnehin einen generellen Dienstleistungszoll von 8% erheben würde.

Unsere 14% dürfen nicht unterschätzt werden, denn sie werden auf einem erheblichen Volumen erhoben, tatsächlich würde dies der Eidgenossenschaft Milliarden in die Bundeskasse spülen. Ja, let’s make Switzerland rich!

Bei der Erhebung der Dienstleistungssteuer sollten die US-Touristen nicht vergessen gehen. Alle aus Amerika Einreisende, die in die Schweiz kommen, müssten mit Zöllen und Gebühren überzogen werden. Es beginnt künftig mit einem schweizerischen ESTA-Formular. Dieser elektronische Einreisezettel würde in der Schweiz allerdings 50 Stutz kosten. Ja, bei uns kostet alles ein bisschen mehr, das lässt sich jedoch immer mit der überragenden helvetischen Qualität erklären.

Als besondere Massnahme würde Waldmeyer gerne eine WAT einführen: Eine Weight Added Tax. Sie wird von besonders übergewichtigen US-Bürgern an der Grenze eingezogen, kommt allerdings erst ab 300 Pfund Trockenkörpergewicht zum Tragen (136 kg). Dann mit 100%, aber sie gilt nur für den ÖV. Da die Billetkontrolleure nicht umständliche Waagen mitschleppen können, muss das Augenmass herhalten und die Added Tax wird so eingezogen, dass einfach zwei Billette pro Person gelöst werden müssen. Allerdings dürfen dann im Tram, im Bus oder in der SBB, selbst aufs Schilthorn rauf, auch zwei Plätze pro Person belegt werden. Unsere einheimischen Mitfahrer würden dann den betroffenen Amerikanern anerkennend zunicken – im Wissen darum, dass sie unseren defizitären ÖV ordentlich mitfinanzieren. Ja, man kriegt bei uns also etwas fürs Geld und die Steuer bleibt damit sozialverträglich. Die WAT bietet übrigens einen weiteren Vorteil: Deren Einnahmen werden laufend steigen, denn die Amerikaner werden immer schwerer. Heute gelten bereits 74% der Amerikaner als übergewichtig, Tendenz steigend.

Das Übergewicht ist bei uns ebenso willkommen, wenn es auch das Portemonnaie betrifft. Denn je höher die Ausgaben der amerikanischen Touristen in der Schweiz, desto mehr Tourismus-Zoll müssen sie künftig abdrücken. Verschiedene Ansätze könnten angedacht werden, so eine Raclettesteuer (plus 31% pro Portion), selbstredend auch eine beautiful tax auf allen Hotelübernachtungen. Eine Sondertaste (goldenes „A“) bei den Geräten für die Kreditkartenabrechnungen könnten den Steuereinzug vereinfachen. Bei den Eintritten (Schaukäserei, Swiss Miniature, allenfalls auch bei Sprüngli am Paradeplatz etc.) könnte allenfalls eher die WAT zum Tragen kommen; sie ist verursachergerechter.

Da der Kaugummikauf und andere Ausgaben der Amis in der Schweiz nicht präzise erhoben werden können, werden wir darauf verzichten. Wichtig ist, dass in der Summe die 14% stimmen. Wir möchten ja nicht mogeln. Die Umsetzung mag etwas anspruchsvoll sein, wir müssten also ein bisschen innovativ sein, damit wir direkt und effizient abkassieren können. Zudem ist sich Waldmeyer bewusst, dass wir uns mit der EU und anderen Ländern in Europa abstimmen sollten. Es wäre schade, wenn die Amerikaner nur wegen dieser Dienstleistungszölle in irgendwelche andere Länder ausweichen würden. Mit Albanien, Nordmazedonien usw. müssten wir uns jedoch nicht absprechen, das Ausweichrisiko wäre vernachlässigbar.

Kurzum: Sollte Trump auf den willkürlich erhobenen Zollandrohungen auf Schweizer Waren beharren, sollten wir in der Schweiz, zusammen mit Resteuropa, reziproke Dienstleistungszölle erheben.

Aber wie gedenkt unser Bundesrat nun tatsächlich, die Kuh vom Eis zu bringen? Die Antwort liegt bereits in der Luft: Es wird ein gut-eidgenössisches Rückzugsgefecht geben, mit Ankündigungen, die möglichst nicht umgesetzt werden müssen. Gleichzeitig wird intern weiter von einem fiktiven Freihandelsabkommen fabuliert werden (welches, zum Leidwesen Waldmeyers, Agrargüter inkl. Tomahawk-Steak, ausschliesst). Und was machen wir Bürger und eine ganze Anzahl betroffener Schweizer Unternehmer mit den USA? Waldmeyer meint: „It‘s time to say Goodbye!“. Zumindest mental und vorübergehend, bis sich der Trump‘sche Nebel gelichtet hat.

Waldmeyer und der Rentenklau

Der Sonntagsmorgen-Tisch bei Waldmeyers in Meisterschwanden bietet die seltene Möglichkeit, Grundsätzliches zu besprechen. Diesen Sonntag war es ein besonders günstiger Moment, denn Charlotte hatte sich zum Tennis abgeseilt. Eine gute Gelegenheit also, um die Kinder ungestört zu kalibrieren. Waldmeyer hatte sich für heute das Thema «Rente» vorgenommen.

«Charlotte hat mir verraten, dass ihr beide damals für die 13. AHV gestimmt habt. Ihr seid eine Lichtgestalt in der Sozialwelt. Dafür möchte ich euch danken. Ihr seid nämlich ziemlich selbstlos, denn  i c h  werde die 13. einmal erhalten, ihr aber nicht. Die 13. kostet uns übrigens rund fünf Milliarden zusätzlich pro Jahr. Lara, weisst du, wie viele Nullen eine Milliarde hat?»

Lara tippte auf ihrem Handy rum und fand keine schlüssige Antwort. „Du bist entschuldigt, Lara, denn ein Grossteil der Stimmbürger weiss es auch nicht. Aber zum Vergleich: Es entspricht etwa der Summe, die uns jährlich die Landwirtschaft kostet oder die Armee. Jährlich. Hätten die Stimmbürger die Grössenverhältnisse gekannt, hätten sie vielleicht anders gestimmt. Aber Elisabeth wusste das mit den Nullen vielleicht auch nicht.“

„Elisabeth who?“, wollte Lara wissen.

«Elisabeth Baume-Schneider, die Bundesrätin. Die mit den Schwarznasenschafen.»

Noa blickte kurz von seinem Handy auf, noch etwas vom Restalkohol des Vorabends gekennzeichnet. Was sein Vater heute nun schon wieder vorhatte? Noa, nach ein paar Semestern Studium in Betriebswirtschaft, witterte eine Falle. Lara blieb – vorerst – noch indifferent.

Wir werden zu alt

Waldmeyer holte aus und erklärte die Finanzierungsprobleme unserer Sozialsysteme. So wird zum Beispiel die AHV langfristig nicht gesichert sein. In rund 15 Jahren werden auf jeden AHV-Bezüger nur noch zwei Beitragszahler kommen, wenn überhaupt. Ja, wir werden zu alt. Bei der Einführung der AHV betrug die Restlebenszeit noch ein paar wenige Jahre, heute hingegen haben die 65-Jährigen noch rund 20 Jahre vor sich. Und sie werden immer mehr. Im Strassenbild wird es bald nur noch Greise geben, vielleicht noch ein paar jüngere Mitbürger, mit anderer Hautfarbe und schäbig gekleidet, welche kaum ins Rentensystem einzahlen. Genau gleich wird es sich mit den privaten Pensionskassen verhalten: Immer weniger werden immer mehr unterhalten müssen – womit immer weniger Rente verbleibt. Eine Anpassung der Systeme ist kaum möglich, die verschiedenen Abstimmungen der Bürger zeigen es. Nun war auch Lara dabei, sie runzelte die Stirn.

Rentenalter 75?

Das Rentenalter wird folglich zwingend heraufgesetzt werden müssen. Auf 70 oder gar 75 Jahre? Oder noch höher? Oder die Renten müssen drastisch gekürzt werden. Oder die Beiträge massiv erhöht werden. Oder der Staat wird einschiessen müssen, aber dann muss er die Steuern erhöhen. So beispielsweise auch die MWST, damit gerade auch die Rentner schön mitzahlen. Alle diese Lösungen werden vom Souverän wohl erst abgelehnt werden, aber kurz, nur ganz kurz vor dem Kollaps der AHV, zum Beispiel, so Waldmeyer, wird dann zu einer Radikallösung gegriffen werden.

Endlich hatte Waldmeyer die Aufmerksamkeit von Noa und Lara. Lara runzelte erneut die Stirn: «Nein, nein, so weit wird es nicht kommen, die werden eine bessere Lösung finden», warf sie ein.

Waldmeyer baute nun seine geballte Sprachkraft auf: «Nun, mit «die» meinst du euch, ja?» entgegnete er und kam langsam in Fahrt.

Der offene Geheimplan der Linken und der Grünen

In der Folge erklärte Waldmeyer die Bestrebungen der Grünen und der SP: Sie steuern auf eine staatliche Einheitsrente hin. Das Ziel soll die Verstaatlichung der 2. Säule sein. So gab es bereits einen parlamentarischen Vorstoss in diese Richtung. Dieser kam nicht durch –zumindest vorerst nicht. Aber es wird weitere Vorstösse geben. Ein solches Unterfangen, nämlich die «Fusion» der staatlichen und privaten Rentensysteme, wäre zwar nicht leicht umzusetzen, denn das hätte Enteignungscharakter. Aber nichts ist unmöglich, wenn letztlich die Mehrheit der Bevölkerung dafür stimmen würde. Eine von den Gewerkschaften initiierte Initiative, mit Sukkurs der Grünen, der SP und der Juso, könnte zu einem Durchbruch führen.

«Dann würde ich auswandern. Ich würde vorher die Kohle beziehen und einfach abhauen», warf Noa ein.

Grosse Hindernisse beim Kapitalbezug

Das wäre tatsächlich eine Lösung: Die Kohle einfach beziehen. Allerdings geht das nicht so einfach, wenn das Auswanderungsland in der EU liegt oder ein EFTA-Staat ist. Dann kann man sein angespartes Rentenguthaben aus der Pensionskasse nicht einfach so als Kapitalbezug «beziehen» und auswandern: Nur der überobligatorische Teil der PK und die Säule 3a können bezogen werden. Und wenn der Auswanderungszeitpunkt nach dem Renteneintritt liegt, sind allfällige Entscheidungen eh zu spät: Die Wahl zwischen Rentenzahlung und Kapitalbezug muss vorher stattgefunden haben.

«Ihr müsstet aus Europa raus. Ausser ihr wollt nach Serbien. Oder nach Bosnien.»

«Ich geh dann eh nach Miami», verkündete Noa überzeugt, «oder nach Kalifornien und gründe eine Kryptowährung!» Waldmeyer weiss genau, wie er bei den Ideen seines Sohnes reagieren muss: «Gut so, mach das!»

Der zweite Geheimplan

Dieser ist eigentlich nicht geheim, wurde aber in der gleichen politischen Ecke fabriziert: Die steuerliche Bevorzugung des Kapitalbezuges der Pensionskasse soll fallen. Für grössere Summen käme dann als Alternative vermutlich nur noch die Rente in Frage. Damit wird allerdings das ganze System der Säulen 2 und 3 in Frage gestellt. Waldmeyer weiss, was schon heute zu tun ist. Erstens: keine freiwilligen Einzahlungen mehr in Rentensysteme. Zweitens: Take the money and run. Das heisst, wenn immer möglich jetzt schon Rentenkapitalien beziehen, zur Reduktion von Hypotheken oder im Rahmen einer Teilpensionierung. Das Vertrauen in Bundesbern ist dahin.

Die AHV sich als Kapital auszahlen lassen…?

Bei der AHV ist alles noch schwieriger. Kann die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital bezogen werden?

Ja, da gibt es ein paar Schlupflöcher! Wenn man dem Risiko entfliehen möchte, später einmal nur noch eine reduzierte Rente zu kriegen, obwohl man Jahre oder Jahrzehnte einbezahlt hat, weil diese staatliche Kasse pleite ist, könnte man proaktiv mit einem Kapitalbezug reagieren. Also nicht erst warten, bis man 65 wird (oder eben 70), sondern schon frühzeitig das Weite suchen. Take the money and run. Also sich die AHV frühzeitig auszahlen lassen, indem man sich ins Ausland absetzt. «Das geht aber nicht», warf nun Lara ein. Die Eltern von Fatima, ihrer Studienfreundin an der Uni (Basel, Ethnologie, schon länger), seien nun mit 55 wieder zurück nach Portugal gezogen. Die Hälfte der PK hätten sie zwar mitnehmen können und damit das Haus in Porto fertiggebaut, die AHV konnten sie aber nicht abheben, die bleibt nun in der Schweiz eingefroren und sie müssen 10 Jahre warten, bis sie monatlich als Pension überwiesen wird. Fatimas Mutter putze nun inzwischen in Haushalten von Expats, das bringe am meisten ein.

«Bosnien», warf Waldmeyer ein, «das wäre eine elegante Lösung». Fatimas Eltern hätten nach Bosnien auswandern sollen. Tatsächlich gibt es gewisse Länder, rund ein Dutzend, in die man die AHV-Kohle frühzeitig und komplett mitnehmen kann, mit einer richtigen «Auszahlung».

«Spinnst du Dad, wer geht denn schon in ein muslimisches Land und läuft dann mit einem Kopftuch rum!»

Notfalls nach Albanien

Waldmeyer klärte weiter auf. Man könnte auch in die Türkei auswandern (allerdings auch muslimisch). Oder nach Albanien (auch). Oder nach Japan. Wichtig ist, dass man sofort einen Ehepartner mit dieser Staatsbürgschaft findet, Staatsbürger des auserkorenen Landes wird und den Schweizer Pass zurückgibt. Dann kann man die AHV tatsächlich frühzeitig als Kapital beziehen. Einfacher noch geht es, wenn man, nur beispielsweise, bereits Albaner ist, keinen Schweizer Pass hat und in sein Heimatland zurückgeht. Ja, so kann man sich die AHV sichern, cash auszahlen lassen und nicht Gefahr laufen, dass diese später einmal bankrott ist, weil es in der Schweiz nur noch alte Leute gibt und niemand mehr einzahlt.

Der Worst Case: Die Einheitsrente

Wenn die Einheitsrente kommt, also die staatliche Rente aus der fusionierten AHV und PK, wird die komplette Umverteilung der Ersparnisse stattfinden. Ein Blick nach Deutschland zeigt, in welche Abgründe man da mit einer umfassenden Volksrente blicken kann: Die Beitragssätze werden dort demnächst auf 22% erhöht. Aber es wird nichts nützen, denn die Renten bleiben trotzdem tief, und das System wird unweigerlich kollabieren – zumal immer mehr tüchtige Beitragszahler abwandern. In die Schweiz z.B., dort sind sie als Beitragszahler in unsere Sozialsysteme hochwillkommen.

Aber zurück zur möglichen Auswanderung. Es könnte nämlich noch dicker kommen. Waldmeyer dozierte weiter am Frühstückstisch, dass bei einer dergestalt, nach sozialistischem Muster umgestalteten einheitlichen Volksrente ein Kapitalbezug natürlich nicht mehr möglich wäre. Auch hier macht es Deutschland übrigens vor, wie geschäftstüchtig ein Staat sein kann (zumindest beim Steuereintreiben): Wandert man aus, muss die Rente nicht etwa in der neuen Heimat versteuert werden, sondern tatsächlich immer in Deutschland. «Das ist Fiskalterrorismus», meinte Waldmeyer vielsagend.

Waldmeyer fasst zusammen

«Also, ihr müsst künftig einfach gut verdienen und möglichst alle Ersparnisse separat auf die hohe Kante legen. Ihr könnt euch nicht auf Renten verlassen, weder auf staatliche, die ihr in 40 oder mehr Jahren einmal (vielleicht) erhalten werdet – noch auf private, welche vielleicht einmal verallgemeinert werden oder nur mit horrenden Steuertarifen bezogen werden können. Also bitte alles schön selber auf die Seite legen. Aber schön, habt ihr für die 13. AHV gestimmt, die ihr jetzt mitfinanzieren dürft!»

Noa tippte derweil auf seinem Handy rum. «Du bist schon am Rechnen, Noa, gell!», triumphierte Waldmeyer. «Nein, ich schaue nach Flügen nach Kalifornien», grinste Noa zurück.

Keine Waldmeyer-Glosse verpassen!

Ich melde mich für den Newsletter an und erhalte alle zwei Wochen per Email eine kurze Info.

Sie haben sich erfolgreich angemeldet

There was an error while trying to send your request. Please try again.

TRUE ECONOMICS will use the information you provide on this form to be in touch with you and to provide updates and marketing.