Waldmeyer und das Geheimnis der Seltenen Erden

Den Frieden in der Ukraine konnte Trump zwar nicht binnen 24 Stunden, wie versprochen, herstellen. Es mag nun etwas länger dauern, bis die Kuh vom Eis ist, und der Deal wird ausserdem ganz anders aussehen, als dies Europa geplant hatte. Vielleicht träumt Trump, in seiner kognitiven Wahrnehmung, bereits vom Friedensnobelpreis. Der Hintergrund des Deals, so wird immer klarer, ist allerdings kein militärischer, schon gar nicht ein humanistischer. Es ist ein ganz anderer, es ist ein simples Geschäftsmodell. Waldmeyer hinterleuchtet.

Wir ahnten es schon: Der Ukraine-Friedensdeal der USA ist de facto ein banaler Handelsdeal! Trump möchte sich wertvolle Rohstoffe und die Seltenen Erden der Ukraine krallen. Es geht indessen nur vordergründig um die Ukraine, es geht um Geschäfte mit Russland. Aber alles der Reihe nach.

Die ganze Welt hat ein Problem mit diesen begehrten Metallen und Seltenen Erden – weil sie eben selten sind. Aber sie sind matchentscheidend, um Hochtechnologie-Güter herzustellen. Es geht dabei nicht nur um Silizium oder Lithium, Halbmetalle und Metalle, zwar begehrt, aber nicht so selten. Seltene Erden kennen wir namentlich kaum, weil sie, nicht überraschend, so selten sind, sie heissen beispielsweise Erbium oder Yttrium, Cer oder Terbium.

Waldmeyer verbrachte letzten Sonntagmorgen zusammen mit seinem besten neuen Freund, der KI. Er machte sich, zusammen mit ChatGPT, schlau betreffend diese Seltenen Erden. Er schaute gleichzeitig aus seinem Bürofenster in Meisterschwanden und blickte auf die Wiesen, die sein bescheidenes Anwesen vom Hallwilersee trennen. Unter den satten, grünen Wiesen steckt auch Erde, aber wohl nicht seltene, denn sonst würde der Hablützel Ruedi hier mit Sicherheit graben und nicht die Kühe weiden lassen, überlegte Waldmeyer. Waldmeyer weiss, dass ein paar dieser raren Erden in Elektroautos verbaut werden. «Zum Glück haben wir nie so einen blöden Tesla gekauft, sonst wären wir auch von diesen Seltenen Erden abhängig!», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber.

«Du bist so oder so abhängig, lieber Max», erwiderte Charlotte, «in deinem iPhone steckt Europium, in den LED-Lampen Terbium, im Katalysator deines Autos (Anm. der Red.: Porsche Cayenne, schwarz, innen auch) wurde Cer verbaut und in der Überwachungskamera Lanthan!» Waldmeyer war erst verblüfft, dann aber beruhigt, als er entdeckte, dass Charlotte sich inzwischen auch bei Chat auf ihrem Tablet eingeloggt hatte.

Waldmeyer erkannte, dass Seltene Erden tatsächlich unverzichtbar sind für moderne Technologien – für viele Elektro- und Elektronikgeräte, über Fahrzeug- und Medizinaltechnik, Windräder, Glasfaserprodukte, bis hin zur Raumfahrt.

Die Krux liegt nun darin, dass fast die Hälfte des Weltvorkommens dieser kostbaren Metalle in China liegen. Und nicht genug, China möchte die absolute Kontrolle darüber erlangen. Die 2013 gestartete Belt and Road Initiative war natürlich kein humanitäres Projekt. Es ging einerseits darum, sich weltweit Abbaustätten zu sichern, andererseits auch, um die Transportwege, raffiniert getarnt als «neue Seidenstrasse», dafür zu gewährleisten. Nicht vergeblich investiert China in ganz Asien, Afrika und Südamerika in allerlei Projekte, handelt Knebelverträge aus und sichert sich so seine industrielle Beschaffung.

Die Seltenen Erden sind das neue Gold: Sie sind ungemein wertvoll und man kommt um sie einfach nicht mehr herum. Wer sie hat, ist in der Lage, technologisch anspruchsvolle Güter zu produzieren. Wer sie nicht hat, muss Käse oder Uhren oder Pillen herstellen und exportieren, wie die Schweiz. Und ist dann darauf angewiesen, die Seltenen Erden teuer irgendwo einzukaufen. Noch eleganter ist es, wenn man gleich die fertigen Produkte kauft, teuer allerdings, in denen diese ominösen Erden stecken – dann ist es vielleicht einerlei, wer sie wo reingetan hat.

Leider liegen die Seltenen Erden nur an wenigen Orten in Europa und in den USA. Schon interessanter ist da Kanada, dort gibt es attraktive Vorkommen. Kein Wunder also, würde die neue US-Administration Kanada gerne als 51. Staat aufnehmen. Man muss ja nur auf die Landkarte schauen, denn da stimmt etwas nicht. Alaska, ganz oben links auf dem Kontinent, ist durch dieses störende riesige Gebiet, angeschrieben mit «Kanada», von den anderen US-Staaten abgetrennt, zum Teil mit einer willkürlich gezogenen, ganz geraden Staatsgrenze.

    Dass unter der dicken grönländischen Eisdecke unter anderem Neodym, Praseodym oder Dysprosium liegen – wichtige Stoffe für die Herstellung von Hightech-Magneten und Elektroautos – ist ebenso interessant. Keine Überraschung also, ist Donald der Auserwählte scharf auf diese Super-Metalle und die ganze Insel (welche praktischerweise eh schon auf der amerikanischen Kontinentalplatte liegt).

In diesem Kontext begreifen wir nun auch diesen schelmischen Ukraine-Deal besser, welcher u.a. Sicherheit gegen die Abtretung von 50% der Vorkommen diverser Rohstoffe und Seltener Erden an die USA vorsieht: Wenn schon der Kanada-Deal und auch der Grönland-Deal nicht in trockenen Tüchern sind, macht es durchaus Sinn, es in der Ukraine zu versuchen. Da schlummern zum Beispiel bemerkenswerte Vorräte an Neodym, wie erwähnt ein unverzichtbarer Stoff für die Herstellung in der Elektronik.

Trump und seine Oligarchenfreunde sind dabei nicht nur die Details eines «Friedensdeals» oder die Hegemoniebestrebungen Russlands egal. Ihnen ist auch egal, mit einem Paria-Staat wieder zu kooperieren. Wenn die NATO zerfällt, ist das auch egal, die war immer defizitär in ihren Augen, und wenn der Westen zusehends auseinanderbricht, ist das ebenso einerlei.

Egal ist auch, wenn sich Russland, nach einem Friedensschluss mit der Ukraine, nicht so genau an einen Friedensplan halten wird. Gleichzeitig werden die Störmanöver in vielen ehemaligen und heute freien Ostblockländer vermutlich fortgesetzt: In Georgien beispielsweise. Oder in der Moldau, mit der Beeinflussung der freien Wahlen. In Rumänien versuchte man, einen russlandfreundlichen Oligarchen mittels Trolls, Fakenews und viel Geld als neuen Präsidenten zu installieren. In Bulgarien wird gedreckelt, auch in den serbischen Provinzen von Bosnien-Herzegowina. Serbien selbst erhält direkte Unterstützung, Marine Le Pen früher mit Sicherheit. Die AfD und die FPÖ unterhalten rege freundschaftliche Kontakte mit Russland, Ungarn und die Slowakei eh. Die hybride und verdeckte Kriegsführung Russlands gegenüber europäischen Staaten ist eine weitere Tatsache: Unterseekabel werden gekappt, Drohnen in den Westen geschickt, gar klandestine Anschläge verübt. Der neuen US-Führung ist das alles egal, denn das findet weit weg statt und ist ein europäisches Problem. China ist die neue Bedrohung, der Kontrollverlust im pazifischen Raum ein viel wichtigeres Thema. Über dem Scheiterhaufen der jüngsten Geschichte wird, was die Ukraine betrifft, einmal ein Schild prangen mit dem Wort „Friede?“, allerdings mit einem grossen Fragezeigen.

Aber zurück zum möglichen Rohstoff-Pakt mit der Ukraine: Das wäre tatsächlich ein super Deal. Die Europäer müssten sich verpflichten, den Frieden in der Ukraine zu garantieren, und die USA würden sich der kostspieligen Unterstützung der Ukraine entledigen – im Gegenzug ungestört in der Lage sein, diese feinen Mineralien ausbuddeln zu können. Ja, so sehen lukrative Deals aus: Die Kosten müssen outgesourct, die Gewinne selbst eingestrichen werden. Trump ist ja nicht blöd, er ist ein gewiefter Geschäftsmann.

Jetzt kommt allerdings das dicke Ende: Die Ukraine ist nämlich nur die Spitze des vorteilhaften Deals. In Wahrheit geht es um viel, viel mehr, nämlich um den künftigen Handel der USA mit Russland. Die USA werden davon ausgehen, dass mit einem Friedensplan in der Ukraine diese lästigen Sanktionen gegenüber Russland vom Tisch sind. Putin, Kriegsverbrecher und bedeutendster Angriffsaggressor seit Hitlers Überfall auf Polen 1939, wird rehabilitiert werden. Der Kremlherr wird wohl auch nicht verpflichtet werden, Reparationszahlungen an die Ukraine abzudrücken. Das Land wird selbstredend nur von den Europäern wieder aufgebaut werden. Auch die Schweiz wird ihren Beitrag leisten, so könnte sie beispielsweise ein ordentliches Bankensystem aufbauen, eine Schaukäserei erstellen oder aufzeigen, wie man kantonale, komplizierte Verfassungen realisiert. Sie könnte auch einen Vorschlag für ein verkehrsfreies Kiew ausarbeiten und ausgediente Verkehrsradars liefern.

Aber aus Sicht der USA ist ein Wiederaufbau des versehrten Landes gar nicht nötig. Das bringt nämlich überhaupt nichts für die geplanten Bergbau-Aktivitäten. Die feinen Mineralien liegen ja nicht in den Städten, die hatte der Herrgott glücklicherweise eher etwas ausserhalb angesiedelt. Und «ausserhalb» ist ziemlich gross, rund 15-mal grösser als Helvetien.

Waldmeyer hatte sich die Mühe genommen, sich etwas in den von den USA ausgearbeiteten Rohstoffvertrag einzulesen, der Selensky zur Unterschrift vorgelegt wurde. Grosszügigerweise stand da auch noch etwas von Aufbauhilfe – allerdings nur für die Abbaugebiete der Rohstoffe…

Waldmeyer wandte sich nun wieder Russland zu. Da stimmt etwas nicht mit dem Handelsvolumen zwischen den USA und Russland. 2011 betrug dieses noch 43 Milliarden USD pro Jahr, heute nur noch gut 4 Milliarden. Zum Vergleich: Mit der Schweiz liegt es heute bei 70 Milliarden.

Schuld an dem kümmerlichen Handelsaustausch mit Russland sind vor allem die Sanktionen. Das wird jetzt neu als eine Verschwendung betrachtet, denn die USA könnten ihre grossen schönen Fahrzeuge und die Steaks liefern, im Gegenzug könnte Russland Rohstoffe verschicken. Russland verfügt über die zweitgrössten Reserven der Welt an Seltenen Erden. Über grosse Mengen an Yttrium beispielsweise oder Lanthan, beides unverzichtbare Metalle für die Produktion von Bildschirmen oder Elektromotoren.

Elon Musk wird wohl auch scharf sein auf Dysprosium und Praseodym: zwei Seltene Erden, die sowohl in ukrainischen als auch in russischen Böden schlummern und die in der Raumfahrtindustrie gebraucht werden. Elon wäre entzückt, er könnte sie für seine Raketenspiele verwenden.

Insgesamt könnte sich ein Handelsvolumen USA/Russland von 100 bis 200 Milliarden ergeben. Aber kein Deal ohne Ukraine-Frieden, erst müssen die Russland-Sanktionen weg – und zwar subito.

Ja, wir sollten uns ein Beispiel an den USA nehmen. Die denken strategisch, die tun was. Sie sind einfach geschäftstüchtig, da sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Bundesrat Parmelin, unser Wirtschaftsminister, sollte das US-Konzept einmal genauer studieren. Wir könnten wieder unsere schönen Uhren nach Moskau liefern, im Gegenzug erhalten wir dann ebenso schönes, silbern-funkelndes Yttrium. Waldmeyer kratzt sich am Kopf: Sollten wir wirklich so dazulernen?

Waldmeyer und die Psyche der Deutschen

Der wirtschaftliche Niedergang unserer Nachbarn ist ärgerlich, weil das auch auf Helvetien abfärbt. Und es werden allerlei dumme antikapitalistische Ideen importiert. Italien und Frankreich scheinen heute kaum mehr regierbar zu sein, und Deutschland, der bei weitem wichtigste Handelspartner der Schweiz, kommt aus dem Schlamassel nicht heraus. Max Waldmeyer sieht dafür tiefere Gründe und lässt sich von Rebecca Carpenter interviewen.

 

Rebecca Carpenter: Max Waldmeyer, du hast schon mal den etwas plakativen Begriff der «teutonischen Kernschmelze» geprägt. Wir wollen der Sache nochmals etwas auf den Grund gehen. Welches Psychogramm müsste denn ein Bürger haben, um ein optimales Wirtschaftssubjekt darzustellen? Oder: Eignet sich der Deutsche überhaupt, um eine Volkswirtschaft vorwärtszubringen? Und: Auf der Welt gibt es ganz unterschiedliche Charaktere der Völker. Was sind denn die ausschlaggebenden Ausprägungen für einen wirtschaftlichen Erfolg?

 

Max Waldmeyer: Ja, die Unterschiede sind nur schon im kleinen Europa mit Händen zu greifen. Wenn wir, leicht überzeichnet, sehen, wie z.B. die Italiener sind: nämlich Chaoten, aber oft mit viel Improvisationskunst. Die Franzosen sind zwar arrogant, aber das muss sich wirtschaftlich nicht per se negativ bemerkbar machen. Die Griechen, so wird kolportiert, halten es mit der Ehrlichkeit nicht immer genau, was sich zwangsläufig nachteilig auswirkt. Die Engländer haben gar nie richtig arbeiten müssen, die hatten ihre Kolonien, ein geniales System von Outsourcing wurde da entwickelt. Die Spanier haben die Siesta erfunden, was sich allerdings immer wieder hemmend im Arbeitsverhalten manifestiert. Die Portugiesen dagegen waren dem rauen Atlantik ausgesetzt, die durften also nicht mediterran sein, sie mussten immer etwas mehr arbeiten, hatten am Ende ihrer Kolonialzeit allerdings alles verloren. Die Amerikaner, Kanadier und die Australier waren alles rührige Einwanderer aus Europa, die meisten aus dem Vereinigten Königreich und aus Irland. Da waren jedoch auch ein paar deportierte Pferdediebe dabei – aber zur Verschiffung gelangte schon mal eine arbeitssame Auslese. Die Chinesen sind unglaublich leistungsfähig und geldgetrieben, das hilft bei der Entwicklung. Die Japaner andererseits waren einfach gezwungen, clever zu sein, verfügten sie doch über keine Rohstoffe, sie gehören heute zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen – wenn sie auch ausgesprochen humorlos sind.

Das sagt man auch von den Deutschen.

Japaner sind nicht lustig. Deutsche aber auch nicht immer. Es fehlt oft an Humor. Im Süden Deutschlands ist noch etwas vorhanden, gegen Norden flacht es ab, insbesondere im deutschen Rustbelt (Anmerkung der Redaktion: im erweiterten Ruhrgebiet, in der Region mit Düsseldorf, Dortmund, Essen, Köln etc.). Im Norden dann blitzt so was wie ein bisschen englischer schwarzer Humor auf, die Hamburger z.B. weisen einen durchaus intelligenten Stil auf. Im Osten Deutschlands dann grassiert die absolute Humorlosigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Geschichte geschuldet ist, aber es ist so. Generell gilt: Deutsche sind anders. No grey area, only black and white. Da ist immer etwas Absolutes dabei, oft etwas Verstocktes. Das ist natürlich nicht sehr hilfreich für eine prosperierende Entwicklung einer offenen Volkswirtschaft.

Vielleicht liegt einfach alles im zufälligen Verlauf der Historie?

Manchmal lohnt sich tatsächlich ein Blick zurück in der Geschichte. Da gab es allerdings Hochkulturen, die sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Vor allem wirtschaftlich.

Von den Mayas und den Azteken sprechen wir heute überhaupt nicht mehr. Die hochentwickelten Perser, heute Iraner, steinigen ihre Frauen. Die Imperien der Griechen und der Römer sind versunken.

Aber es waren nicht nur Hochkulturen, die eine grosse wirtschaftliche Blüte erschufen. Frankreich beispielsweise war nie eine Hochkultur, auch wenn die Gallier ein Auslaufprodukt der Römer sind; sie kolonialisierten aber ziemlich erfolgreich die Welt und organisierten ihren Laden zuhause ganz leidlich. Die Briten ebenso, die haben es fast noch besser gemacht, sie profitieren noch heute von den Pfründen ihres Commonwealth, König Charles z.B. darf mit Vergnügen seine Untertanen in Australien besuchen.

Nun, jetzt bewegen wir uns langsam auf dünnem historisch-philosophischem Eis!

Auf jeden Fall: Die Deutschen waren nie Bürger einer Hochkultur. Aber da gab es bisweilen schon ein paar ganz erhellende Zeitabschnitte. Dieser Ludwig der II. zum Beispiel war ein lustiger Kerl. Oder was die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen hatten, war beachtlich – wenn auch aus der Not heraus und nur dank dem Marschallplan.

Es wird immer wieder die Theorie vertreten, dass ein Land möglichst wenig Rohstoffe haben sollte, um innovativ und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Ja, ich sehe das, mit Einschränkungen, auch so. Die Schweiz beispielsweise hatte gar keine Wahl, sie musste sich mit Fleiss, Erfindergeist und Handel behelfen. Hätte sie es nicht getan, wäre sie heute immer noch ein bedauernswertes Volk aus Bauern und Söldnern. Das Land würde sich vielleicht, geografisch bedingt, als grosser Mittelempfänger in der EU wiederfinden. Die Deutschen übrigens hatten immer mehr Rohstoffe als wir, ein Grossteil der Bevölkerung wohnt ja heute noch auf einem riesigen Kohleberg, der fleissig abgebaut wird. Ein Teil des Landes arbeitet so noch im Primärsektor, auf der untersten Entwicklungsstufe der Makroökonomie. Und von den Russen bezogen sie während Jahren fast uneingeschränkt billiges Öl und Gas, als ob es ihnen gehören würde. Das ist der Fluch der Rohstoffe: Wenn die im Überfluss und günstig zu haben sind, tritt Lethargie ein. Man müsste den Ländern die Rohstoffe wegnehmen, dann würden sie sich vielleicht ordentlicher entwickeln. Vielleicht sollte man den Deutschen die Kohle wegnehmen.

 

Du sprichst den Fluch des Erdöls an: Gewisse Staaten auf der Welt sind damit stinkreich geworden, erlangten aber nie einen gesunden Status einer Volkswirtschaft.

So ist es: Nigeria oder Venezuela könnten auf der Entwicklungsstufe der Emirate stehen, hätten sie die Pfründen der Erdöleinnahmen etwas anständiger verteilt. Die Rohstoffe verhindern in der Regel immer echte Wertschöpfung. Hätte die Schweiz Erdöl gehabt, gäbe es vielleicht das Schweizer Taschenmesser gar nicht. Die Russen übrigens haben noch nie was Gescheites produziert, sie exportieren nur Erdöl, Erdgas, Waffen und Trolls. Nicht mal Wodka, darin sind die Schweden gut.

Jetzt schweifen wir aber etwas ab. Also zurück zu Deutschland und zur Psyche des Bürgers: Ist diese nun gut oder schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung?

Ich denke, diese Analyse ist schon wichtig. Weniger die Frage, ob Humor mehr Wirtschaftsleistung produziert. Wir müssen indessen irgendwie begreifen, wie sich der Deutsche in der Welt und im Markt, im Wettbewerb bewegt. Dann verstehen wir die Resultate. Die Psyche der Unternehmer und der Arbeitnehmer spielt da schon eine Rolle. Es mag heute vielleicht zwei erfolgreiche Ausprägungen einer volkswirtschaftlichen Entwicklung geben, die auf der Psyche der Gesellschaft basiert: die offene, innovative Haltung – so in den USA, ausgeprägt beispielsweise in Kalifornien – und die disziplin- und geldgetriebene Psyche der asiatischen Länder. Deutschland hat nichts von beidem. Früher wurden diese Mankos durch eine arbeitssame Haltung kompensiert. Wie wir wissen, ist das vorbei, denn jeder bastelt heute nur noch an seiner Work-Life-Balance rum. Da kommt dann, makroökonomisch gesehen, nicht mehr viel raus.

 

Natürlich ist es offensichtlich, dass eine Volkswirtschaft leidet, wenn nur noch auf Zuruf gearbeitet wird. Nine-to-five sozusagen. Am Freitag to-twelve.

Für einen Teil der Industrie mögen nicht zu profund denkende Heerscharen von Arbeitenden vielleicht hilfreich sein. Das war aber eher früher ein günstiger Umstand, zu Beginn der Industrialisierung, da war etwas Kadavergehorsam ganz willkommen. Ein Gutteil der deutschen Bürger schätzt es auch heute noch, in einem grossen Räderwerk einer grossen Firma unterzugehen. Alles ist durchgetaktet, jeder weiss genau, was er zu tun hat, und Obrigkeitshörigkeit herrscht vor. Jeder führt aus. Die grossen Konzerne profitieren durchaus von dieser Denke, vor allem die Firmen, die weniger innovationslastig sind. Also die Mid-Tech-Industrie, die Chemie, die Pharmabranche. Da braucht es weniger kluge Nerds im Kapuzenpullover, die geniale Inputs einbringen.

Du willst doch nicht sagen, dass das Outfit der Arbeitnehmenden einen Einfluss auf die Volkswirtschaft hat?

Doch, indirekt schon! In den klassischen deutschen Konzernen springt das vorab männlich dominierte Management immer noch im Dreiteiler rum, mit Krawatte, mit akkurat gebundenem doppelten Windsor-Knoten. Also nichts von Rollkragenpullover und Sneakers. Das mögen Äusserlichkeiten sein, aber es sind eben die Insignien des Stillstandes. Da wird auf Distanz gemacht.

In Kalifornien begrüsst man sich mit «how you’re doing», das Gegenüber antwortet dann auch mit «how you’re doing». Vielleicht lässt man in den Korridoren der Firma auch nur ein «Hi» fallen. In Deutschland ist das anders: «Guten Tag, wie geht’s Ihnen». «Danke, gut, und Ihnen?» «Nichts zu beklagen, danke». Das wäre ungefähr die Minimalkonversation, welche indessen bereits ein paar wertvolle Sekunden Arbeitszeit verbraucht hat, nur Distanz zementiert und sicher keine Basis für ein innovatives Brainstorming ist. Und dann kommt noch etwas hinzu, z.B. in Kalifornien: Man würde dann auf dem Korridor, am Freitagmorgen, gleich noch etwas Positives mitteilen: «I‘ll try to finish the profile for this project M4 till tonight!” “Great.”

Und wie würde eine solche Konversation denn in Deutschland ablaufen?

Nun, zum Beispiel so: “Ich mach dann mittags mal Schluss, ich fahr noch südwärts». «Toll. Ich hol die Kleine von der Schule, dann geht’s ab in den Streichelzoo.»

Also: Es geht um die unterschiedliche Haltung, die Bereitschaft, eine Extra Mile zu leisten. Nicht alles ist perfekt in anderen Ländern, beileibe nicht, es gibt auch viel Misere. Aber die Deutschen sind definitiv in der Wohlstandfalle angekommen – obwohl der Wohlstand dort ja gar nicht flächendeckend verbreitet ist.

Hat das deutsche Modell also ausgedient?

Im Moment ja, ganz klar. Aber das urdeutsche Modell, so wie es nach dem Krieg bis anfangs der 70er Jahre bestanden hatte, hätte überhaupt nicht ausgedient. Es wurde jedoch komplett verwässert, denn der allmächtige Staat kam, der allen die Verantwortung klaute. Im Gegenzug hat er eine verblüffende Regeldichte erstellt.

Zum Glück hatte Deutschland die Chance, über eine sehr starke Grossindustrie zu verfügen. Diese Räderwerke konnten immer viel Umsatz abspulen. Sie wurden vom Staat die ganze Zeit stark unterstützt, politisch, mit wirtschaftlichen Hilfen, Steuererleichterungen etc. Währenddessen verbluteten allerdings die KMU. Das Resultat sieht man heute: Es gibt nach wie vor ein paar sehr erfolgreiche Grosskonzerne, auch im Dienstleistungsbereich, währenddessen die kleineren Firmen verkümmern. Ich glaube, wenn ich etwas nicht sein wollte, dann wäre es ein mittelständiger Unternehmer in Deutschland. Vielleicht wäre ich deshalb eher Chef eines Grosskonzerns – dann müsste ich mich allerdings mit den Gewerkschaften, einer verqueren Politik und Bürgern rumschlagen, die ganz anderes als Arbeiten im Kopf haben.

Mit dem Regierungswechsel soll nun ja alles anders werden.

Ich bin ebenso froh, nicht Teil dieser neuen Regierung zu sein. Denn die hat ein grosses Problem: Sie kann ja das Volk nicht auswechseln.

Nun, Du wirst kein mittelständisches Unternehmen führen müssen, auch keine Regierung. Zu solchen Strafen werden wir dich nicht verdonnern, Max! Herzlichen Dank für die erhellenden Einblicke in deine Analysen!

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