Waldmeyer und braucht das Volk nur Brot und Spiele?

Max Waldmeyer macht sich Sorgen um die Entscheidungsfähigkeit des Volkes: Es entscheidet an der Urne nämlich oft so, wie er selbst nicht entscheidet. Also falsch! Vielleicht stinkt es dem Volk einfach, auf komplizierte Vorschläge einzutreten? Oder verschliesst es nur die Augen vor wichtigen Tatsachen? Betrachtet es möglicherweise Entscheidungen als lästig und möchte nur Brot und Spiele…?

Seit Dezennien gehen alle geplanten Revisionen der Pensionskassensysteme bachab. Das Volk ist im Zweifelsfall immer partout dagegen. Natürlich sind Revisionen oft unangenehm. Autokratien und Diktaturen sind da selbstredend im Vorteil.

Überforderung des Volkes? Versagen der Staatsform? Unterlassungen der Beamten und Politiker?

Waldmeyer kann allerdings nachvollziehen, dass man eine Sache ablehnt, wenn etwas nicht klar oder unangenehm ist – ausser, wenn es sich um ein grosszügiges Angebot handelt. Es sei an die Abstimmung betreffend die 13. AHV (die staatliche Schweizer Altersrente) erinnert. Klar, eine gute Geschichte, mehr zu kriegen, auch sehr sozial. Und ein paar Wenige haben das auch wirklich nötig. Wenn man gleichzeitig allerdings die Karten nicht offenlegt, wie die Geschenke finanziert werden sollen, ist das schlichtweg unlauter. Es grenzt nahezu an Staatsversagen. In keiner Firma und in keinem Haushalt würde man etwas anschaffen, ohne zu überlegen, wie das finanziert werden soll. Es scheint offenbar ein Privileg des Volkes zu sein, dass man das darf – und ein Versagen der Staatsform, wenn man das zulässt. Zusätzlich handelt es sich auch um eine schreckliche Unterlassung des Managements des Staates (also Beamte und Politiker) den Entscheidungsträgern keinen reinen Wein einzuschenken.

Alle gegen alles

Ein wunderbares Beispiel dazu lieferte die jüngste Abstimmung über die Pensionskassen-Reform: Geplant war eine Besserstellung der Minderbeschäftigten, eine Besserstellung der Frauen, eine Herabsetzung der Beiträge von älteren Mitarbeitern. Letzteres war ziemlich gescheit, da sich ihre Anstellungschancen so verbessert hätten. Und jetzt der wichtigste Punkt der gescheiterten Reform: Der Umwandlungssatz. Dieser sollte etwas gesenkt werden, weil (leider oder glücklicherweise) die Restlebenszeit der Rentner dauernd steigt. Trotz all der vielen (vor allem sozialen) Verbesserungen wurde die Reform abgelehnt.

Waldmeyer wittert eine Verschwörung

Die Reformpunkte hätten aus der Feder der Gewerkschaften und der Linken stammen können. Aber warum wurden sie trotzdem bekämpft? Weil man noch mehr wollte? Weil man gegen das Älterwerden ist?

Waldmeyer kennt die wahre Antwort: Eine Verbesserung der Pensionskasse lag ganz einfach nicht im Programm dieser Kreise. Diese haben Grösseres vor, nämlich die «Fusion» der AHV mit dem obligatorischen Teil der Pensionskassen. Waldmeyer wittert, wenn nicht eine Verschwörung, so zumindest einen cleveren, längerfristig ausgelegten Schlachtplan: eine weitere «Umverteilung» also. Das bisher privat Angesparte soll verallgemeinert werden. Ja, Individuallösungen sollen abgebaut und an ihre Stelle umfassende gesellschaftliche Gesamtlösungen treten – welche natürlich viel besser in ein letztlich sozialistisches Weltbild passen.

Der Umwandlungssatz: eine Geheimzahl?

Doch zurück zum Umwandlungssatz. Dieser scheint so etwas wie eine Geheimzahl zu sein, weil mathematisch. Und Mathematik ist nicht jedem geläufig. Deshalb hatten es die Bundesräte auch tunlichst unterlassen, sich im Vorfeld der Abstimmung hier genau zu äussern. Nun, Mathematik mag ja nicht jedermanns Stärke sein: Bundesrätin Baume-Schneider als ausgebildete Sozialhelferin mag hier früher ein paar Lektionen verpasst haben. Und Karin Keller-Suter, als ausgebildete Dolmetscherin, hat sich in ihren Lehr- und Wanderjahren wohl auch nicht auf Mathematik fixiert. Dass sich die Gewerkschaften in ihrem Abstimmungskampf nicht am Rande um den Umwandlungssatz gekümmert hatten, war hingegen Taktik. Waldmeyer traut z.B. dem vollmundigen Gewerkschaftsführer und früheren Sekundarlehrer Pierre-Yves Maillard zu, dass er der Mathematik schon ein bisschen Herr ist. Aber sie hätte gestört. Also Neinparole – und möglichst keine Diskussion über diesen ärgerlichen Umwandlungssatz.

Kapital krallen oder sich Rente gönnen?

Allerdings ist die Causa Umwandlungssatz eine ganz simple. Eigentlich handelt es sich um eine Art fortgeschrittener Dreisatz. Und um den jüngeren und noch etwas bildungsferneren Lesern die Sache kurz zu erklären: Man nehme einen angesparten Rentenbetrag bei Alter 65. Du kannst dir dieses Kapital entweder komplett auszahlen lassen (mit einigermassen erträglichen Steuerfolgen), und du kannst dich mit der Kohle sogar nach Thailand absetzen. Die ausbezahlte Summe wird vermutlich reichen, bis an dein Ende am Strand zu hocken. Ganz am Schluss, in der Demenzphase, spielt dann das Geld eh keine Rolle mehr, da dein Leben von aussen bestimmt sein wird. Soweit zu Option 1.

Und vorab: Du kannst in der Regel wählen zwischen Option 1 und Option 2.

Und nun zu Option 2: Anstatt dir das ganze Rentenkapital zu krallen, beziehst du eine lebenslange Pension. Diese Option wählst du, wenn du a) entweder dir selbst nicht zutraust, mit Disziplin über eine stattliche Summe Geld zu verfügen und diese bis am Ende (siehe oben) einzuteilen. Oder b), weil du denkst, du wirst 100 Jahre alt.

Genau hier liegt auch der erste Management-Entscheid: Du musst entscheiden, bzw. schätzen, wie alt du werden wirst. Als Mann hast du in der Schweiz bei Geburt eine Lebenserwartung von 82 Jahren. Wenn du allerdings allerlei Unbill bis zum Alter 65 überlebt hast (Absturz vom Matterhorn, Unfall mit deiner Harley, Suizid etc.), hast du mit Alter 65 eine Lebenserwartung von 84. Also zwei schöne Jahre mehr. Das sind 19-mal Sommer, die du verbringen darfst. Zumindest die Hälfte davon mag noch angenehm sein.

Als Frau sind dir noch 23 Jahre vergönnt, sofern du bis 65 nicht das Zeitlichte gesegnet hast, du wirst 88 werden. Als Frau ist man sozial also absolut privilegiert – was allerdings gerade die SP und Feministinnen nie erwähnen.

Die Geheimzahl 6.8

Aber zurück zum Umwandlungssatz: Die Zahl 6.8 sieht vor, wie man sein persönlich angespartes Rentenkapital auch jährlich beziehen kann. Das geht auch in Thailand, hat bei dieser Kalkulation allerdings keine Bewandtnis. Ein Kapital von einer Million, über Jahre von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf ein persönliches Konto des Arbeitnehmers auf die Seite geschafft, wird auf die statistisch verbleibenden Lebensjahre gerecht verteilt. Eine Million multipliziert mit 6.8% ergibt nun 68’000 pro Jahr. So viel kann man mit der heutigen Regelung als Rente erwarten. Leider wird jeder Versicherungsnehmer im Durchschnitt nun älter, das ist der Statistik geschuldet. Also muss das Rentenkapital auf mehr Restlebensjahre verteilt werden, denn sonst reicht das Kapital nicht. Bei einem Umwandlungssatz von 6% kriegt man dann leider nur noch 60’000 pro Jahr – aber bis am Schluss.

Das Drama nun: Künftig werden wir vermutlich noch älter werden, und wir müssen den Umwandlungssatz dann nochmals senken. Wieso jede Änderung des rein statistisch beeinflussten Umwandlungssatz dem Volk vorgelegt werden muss, entzieht sich der Logik. Man hätte, so überlegte Waldmeyer, dem Volk auch die Bestimmung der Lebenserwartung vorlegen können.

Ich muss meine Restlebenszeit präzise abschätzen

Damit fällt die zweite Management-Entscheidung an. Sofern ich kurz vor 65 erkenne, dass ich das prognostizierte Alter übertreffen werde, könnte ich mich für eine Rente entscheiden. Dann werden einfach die anderen, die früher schon ableben, für mich bezahlen, freiwillig und aus Solidarität – wenn auch oft im Unwissen. Wenn ich andererseits eine nur noch beschränkte Restlebenszeit vor mir sehe (weil ich z.B. starker Raucher bin oder restlos dem Alkohol verfallen), würde ich mit Vorteil die Rentenauszahlung wählen und das Geld dann raschmöglichst verjubeln. Schön ist, dass wir hier i.d.R. eine Entscheidungsfreiheit (Auszahlung oder Rente) geniessen.

Wer also gegen einen wie immer gestalteten Umwandlungssatz ist, könnte das angesparte Kapital einfach beziehen und sich um diese Umwandlungssätze foutieren.

Waldmeyer sieht genau fünf mögliche Lösungen

Aus politischer Sicht kommen wir nicht darum herum, den Gegnern von Reformen folgende Lösungen vorzuschlagen, um die Kuh vom Eis zu bringen:

  • Wir könnten dagegen sein, älter zu werden. Die Umsetzung wird sich allerdings etwas schwierig gestalten.
  • Man könnte bereit sein, für die statistisch neuen, zusätzlich erworbenen Lebensjahre (also z.B. für die letzten zwei Jahre) auf eine Rente zu verzichten.
  • Wir könnten die Beitragszahlungen in die Pensionskassen erhöhen.
  • Wir könnten das Pensionsalter erhöhen.
  • Wir könnten die Renten kürzen.

Allerdings kennen wir die Antwort unserer Gegner schon: Sie sind gegen alle fünf Lösungsansätze. Sie würden eher Lösung 6) wählen: Der Staat müsste einfach mehr Geld einschiessen!

Die Überforderung ist mit Händen zu greifen

Vielleicht ist das Volk schlichtweg überfordert bei diesen schwierigen Fragen? Oder liegt es vielleicht am mangelnden Mathematikverständnis? Oder am puren Desinteresse an Details, sodass man den lautesten Protagonisten auf den Leim kriecht? Oder möchte man einfach nichts ändern, weil bisher doch alles gut lief? Waldmeyer wagt, ganz vorsichtig, eine These: Möchte das Volk vielleicht nur Brot und Spiele? Soll es sich gar nicht um komplizierte Entscheide kümmern müssen? Die Überforderung ist nämlich mit Händen zu greifen.

Waldmeyer weiss nun: Er wird sein eigenes Pensionskapital einmal beziehen. Alles auf einmal. Take the money and run. So kann er getrost auf die ganze Rentenübung verzichten. Dabei möchte er nicht mal nach Thailand.

Waldmeyer und die teutonische Kernschmelze

Oder: Der kranke Mann in Europa

Deutschland scheint sich nicht nur zu deindustrialisieren, sondern gleichsam abzuschaffen. Das ist schade – zumal wir in der Schweiz auf einen starken wirtschaftlichen Nachbarn angewiesen sind. Ein Interview mit Max Waldmeyer bringt Licht in die Sache.

Das folgende Interview von Rebecca Carpenter mit Max Waldmeyer wurde diese Woche aufgezeichnet. Waldmeyer, Ex-Unternehmer und Kolumnist, bezeichnet sich lediglich als kritischer Beobachter von Wirtschaft und Gesellschaft. Eines seiner Lieblingsthemen ist die «Verscholzung Deutschlands». Vorab gleich eine Warnung: Das Interview wird unüblich lang werden – aber es wird sich lohnen, bis zum Ende durchzuhalten!

Rebecca Carpenter (RC): Max Waldmeyer, gingen Sie nicht etwas zu weit, als Sie die aktuelle Lage in Deutschland kürzlich als «teutonische Kernschmelze» bezeichneten?

Max Waldmeyer (Wm): Ich gebe zu, das war etwas plakativ. Ich fand im entscheidenden Moment eben kein anderes Bildnis. Aber ich stehe dazu: Deutschland, so wie sich das Land noch vor ein paar Jahrzehnten präsentierte, gibt es nicht mehr. Es schafft sich laufend ab. Es geht um einen Werteverfall, um den Verlust von Leistungsbereitschaft, um Weltfremde, um eine eskalierende Bürokratie, einen ausufernden Sozialstaat, eine aus dem Ruder gelaufene Immigration und eine invasive und gefährlich wuchernde Staatsgläubigkeit.

RC: Auch in der Schweiz beobachten wir diese Tendenzen.

Wm: Stimmt. Aber wir sind nicht der kranke Mann in Europa. Im Moment ist es eindeutig Deutschland. Im schlechtesten Fall begehen wir in unserem Land die gleichen Fehler einfach 10 oder 15 Jahre später. Wir segeln eh immer im Windschatten unseres Nachbarn, vor allem wirtschaftlich. Im besten Fall lernen wir jeweils aus den Fehlern der andern und geben Gegensteuer. Im realistischen Fall bleiben wir auf dem halben Weg stecken. Zumindest haben wir in unserem Land begriffen: Das Leben ist kein Ponyhof, bei uns herrscht keine Vollkaskomentalität. Die Anzeichen eines Nannystaates sind zwar auch bei uns auszumachen, aber nie in diesem deutschen Ausmass.

RC: Deutschland wurde natürlich zusätzlich bestraft, weil eine eh schon problematische Regierungskoalition nun auch noch mit dem Problem Ukraine gebeutelt wird. Die sind da ja viel näher dran als wir.

Wm: Gerade das Beispiel mit dem Ukraine-Management zeigt, wie überfordert die Regierung ist. Erstens hatte das Land während Dezennien aufs falsche Pferd gesetzt und sich abhängig gemacht (Anmerkung der Redaktion: abhängig vom russischen Gas). Zweitens erliegt sie einer fatalen Verkennung der geopolitischen Lage: Der Ex-Sowjetunion geht es doch gar nicht um die Ukraine, die Putin-Nomenklatur hat Grösseres vor. Das scheint bei der pazifistisch verbrämten SPD noch nicht angekommen zu sein. Drittens hat die Zögerlichkeit Deutschlands (und letztlich auch des Westens) zu einer Eskalation der Kriegswirren geführt. Hätten die Deutschen in den ersten Tag nach dem russischen Einmarsch der Ukraine nicht nur Helme geschickt, sondern auch schweres Geschütz, hätte man der Invasion sofort Paroli bieten können. Die lächerlichen Konvois veralteter russischer Fahrzeuge sind uns in Erinnerung. Mit ein paar Leopard-Panzern hätte man sie gestoppt und mit der geeigneten Luftabwehr die alten Mig-Jäger runtergeholt. Die zwei Jahre später gelieferten Panzer laufen nun auf den perfekt verminten russischen Stellungen auf, und Russland konnte mit seiner inzwischen auf Kriegswirtschaft getrimmten Industrie rasch aufrüsten und allerlei Waffen und Munition bereitstellen. Wie sagte doch schon Gorbatschow: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.» Nun kommt das Kriegs-Schlamassel dem ganzen Westen nur noch teurer zu stehen. Leider scheint die deutsche Regierung nicht lernfähig zu sein. Auch versteht sie es nicht, ihre jämmerliche Armee auf Vordermann zu trimmen. Deutschland bedient heute ein Anti-Abschreckungs-Heer.

RC: Tatsächlich, die Zögerlichkeit in der vom Kanzler geführten Regierung entgeht auch uns objektiven Journalisten nicht.

Wm: Ja, deshalb der Begriff der «Verscholzung». Das zu späte Entscheiden – oder das Nicht-Entscheiden – ist ein integraler Bestandteil der deutschen Regierungspolitik.

RC: Manchmal geht es aber schneller. So, wenn es ums Klima geht. 2035 steht das Verbrenner-Aus an.

Wm: Es wird nicht mehr lange dauern, und dieses Datum wird kippen. Die benötigte Elektrizität für die ganze Umstellung in Sachen Energie und Verkehr kann schlichtweg nicht zur Verfügung gestellt werden. Auch nicht, wenn die dreckigen Braunkohlekraftwerke alle mit Volldampf laufen. Die Fahrzeugindustrie wird aber während Jahren so auf das falsche Pferd gesetzt haben, den Technologiezug verpasst und Marktanteile auf dem Weltmarkt verloren haben. So läuft staatlich gelenkte Deindustrialisierung.

RC: Firmen wandern offenbar vermehrt aus Deutschland ab.

Wm: Firmen fällen keine politischen Entscheide, sondern faktenbasierte. Wenn es sich nicht mehr lohnt, in Deutschland zu produzieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben, haben die Manager dieser Unternehmen die Pflicht, nach Alternativen auszuschauen. Wenn Steuern, Lohnstückkosten, vor allem die Lohnnebenkosten, Energiepreise und behördliche Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, geht man. BASF verlegt einen Teil ihrer Produktion nun nach China, Kärcher verreist nach Lettland, Stihl kommt mit ihren weltbesten Kettensägen in die Schweiz. Welcome to Switzerland.

RC: Zurück zur Zögerlichkeit: Auch in Sachen Heizungsumstellung beispielsweise wurde Tempo gemacht!

Wm: Ja, ein herrliches Beispiel von weltfremdem Mikro-Management. Da wurde ohne Plan etwas beschlossen. Wärmepumpen brauchen extrem viel Strom-Input. Im Winter laufen sie nur mit geringer Effizienz, vorab eben mit elektrischer Zugabe. Aber woher dann den Strom nehmen und nicht stehlen? Fakt ist: Es wird künftig einfach nicht genügend Elektrizität geben. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, gibt es keinen Strom. Atomkraft gibt es auch keine mehr, fossile Kraftwerke zu wenige. Wasserkraftwerke kaum, denn Deutschland ist leider ziemlich flach. Da wurde das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Schon heute wird im Winter und in der Nacht Strom aus den dreckigsten aller Kraftwerke aus Polen importiert. Dort wird übrigens auch ein Grossteil aller Wärmepumpen gebaut. Das scheint ein weiterer Teil des Deindustrialisierungsplanes zu sein.

RC: Nun gut, aber wie hätte denn ein guter Energie-Plan ausgesehen…?

Wm: Natürlich hätte man den künftigen Energie- bzw. Strombedarf der nächsten Jahre erst mal überschlagen sollen, die Produktion dann absichern, dann den Wechsel der Verbrauchergenerationen planen sollen – also bei den Heizungen, den Fahrzeugen, beim Industriebedarf. Die Osterhasen-Aktion der Migros beginnt ja auch nicht mit dem Verkauf, sondern mit der Produktion der Hasen, basierend auf einer Verkaufsprognose. Das sollte sogar einem Jugendbuchautor einleuchten (Anm. der Redaktion: Damit ist Robert Habeck gemeint, heute Wirtschafts- und Klimaschutzminister).

RC: Sprechen wir noch über die Infrastruktur generell! Da hat Deutschland grosse Pläne für einen Ausbau.

Wm: Ja, das ist das Tüpfchen auf dem i: Die Pläne gibt es nämlich schon seit langem. Anstatt genderfreundliche, diverse Toiletten einzurichten, hätte man das Geld vielleicht für die Verbesserung der alten Dämme verwenden können. Trotz der massiven Staatseinnahmen gibt es auch immer noch marode Brücken oder eine peinlich unzuverlässige Bahn. Die Stromtrassen für den Transport der Elektrizität vom Norden, von den grossen Windparks in den Süden runter, sind immer noch nicht gebaut. Zudem ist Deutschland nach wie vor eine digitale Wüste. Und die «neuen» Bundesländer sehen auch nach 35 Jahren immer noch alt aus.

RC: Nun, die Ostdeutschen hatten ja einen schwierigen Start 1989.

Wm: Die baltischen Staaten hatten etwa zur gleichen Zeit die gleichen Voraussetzungen. Die Balten hatten nicht mal Geld, die ostdeutschen Bundesländer aber schon, die wurden geradezu überschüttet mit Investitionen. Heute leben Esten, Letten und Litauer in leidlich blühenden, modernen und vorbildlich digitalisierten Ländern, die weiter nach Aufbruch lechzen. Da ist was schief gelaufen in Deutschland. Ein Lichtblick besteht zumindest darin, dass in Ostdeutschland heute nur noch gut 12 Millionen Menschen leben. Zur Gründungszeit der DDR waren es fast 19 Millionen. Vielleicht löst sich das Problem ganz einfach durch eine komplette Abwanderung…?

RC: Wie kann man die Misere lösen?

Wm (studiert lange): Ich glaube, es braucht wieder einen Marshall-Plan.

RC: Den wird es kaum geben.

Wm: Stimmt. Aber es braucht dringend einen Regierungswechsel. Wobei ich mich frage, ob die bestehende Opposition, rund um die CDU/CSU, das Ruder wirklich herumreissen kann. Sie verpasst es laufend, die wichtigen Themen zu bewirtschaften und überlässt das Spielfeld so dem ganz linken und dem ganz rechten Spektrum. Sie merkelt weiter vor sich hin.

RC: Die Sache ist also ziemlich verfahren.

Wm: Ich würde es, von aussen betrachtet, so formulieren: Germany is in deep shit. Das Runterfahren des Erfolgsmodells Deutschland hat gut 20 Jahre gedauert. Rauffahren braucht länger. Denn inzwischen wurde ein Grossteil der marktwirtschaftlichen Strukturen zerstört. Die Reparatur wird meine Restlebenszeit vermutlich überdauern.

RC: Das klingt pessimistisch. Vielleicht kommt eine junge Generation, die wieder vorwärtsgerichtet denkt?

Wm: Nun, vorerst wohl nicht. Auch junge Deutsche wurden vom Staat nun über Dezennien erzogen, dass es in Ordnung ist, wenn man etwas in der sozialen Hängematte liegenbleibt. Die Leistungsbereitschaft hat sich damit drastisch reduziert, die Generation Z hat andere Ziele. Die jungen Leute wollen am liebsten nur eine Vier-Tage-Woche – aber bei gleichem Lohn, wohlverstanden. Die jungen Grünen fabulieren auch schon mal von einer 20-Stunden-Woche. Diese Ambitionslosigkeit gegenüber der Arbeit ist allerdings ein Phänomen, das wir in ganz Westeuropa beobachten können; in Deutschland wiegt diese Konstellation in einer Spirale des Niedergangs natürlich besonders schwer.

RC: Wieso liebt denn diese Generation nicht ihren Staat? Er tut ja alles für sie.

Wm: Das tut er eben nur vordergründig. Er hat den Leuten zumindest den Leistungsdruck genommen. Er lenkt auch mal gerne ein, so wenn die Bähnler wieder streiken; sie kriegen dann die 35-Stunden-Woche und halten wieder für ein paar Monate still.

Aber der Staat bleibt das Feindbild für viele. Für die meisten sind auch Unternehmer Teil des Feinbildes, Arbeitgeber so oder so. In Deutschland arbeiten 80% nicht gern. In der Schweiz ist es umgekehrt: 80% arbeiten gerne. Das erleichtert natürlich die Staatsführung erheblich bei uns.

Dass der Staat in Deutschland nicht beliebt ist, liegt auf der Hand. Deutschland verzeichnet insgesamt die höchsten Steuern Europas, die Maximalprogression setzt schon bei rund 60’000 Euro Einkommen ein. Die Erbschaftssteuer ist hoch, die Weitergabe eines KMU an Nachkommen ist fast unmöglich. Und die Firmensteuern liegen auf einem nicht wettbewerbsfähigen Niveau.

RC: Immerhin stellt der Staat ja ordentliche Leistungen zur Verfügung.

Wm: Verglichen mit der Schweiz beispielsweise sind die Leistungen bescheiden. Die Renten sind mager, es gibt viele Streiks, die Zuverlässigkeit der Bahn, wie schon erwähnt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie zuverlässig unzuverlässig ist, Roll- und Schienenmaterial sind hoffnungslos veraltet. Aber wie soll man denn ein Verkehrsunternehmen mit 760 Unterfirmen auch führen…?

Das schlechteste Mobilfunknetz Europas liegt übrigens genau hier, in diesem Land.

Das viele Steuergeld kommt offenbar kaum unten im Volk an. Das Geld sublimiert sich quasi im System. Viele Gebühren und Kosten sind einkommensabhängig, das betrifft nicht nur die Krankenkassen, das geht bis zu den Kosten bei einer Scheidung.

Dazu kommt, dass eine breite Schicht miserabel verdient, das reicht kaum für Rücklagen. Eine Kassiererin verdient in Deutschland kaum mehr als 2‘500 Euro. Kein Wunder, sind auch die Renten dann medioker. Und die alten Leute frieren zum Teil immer noch in billigen Plattenbauten, weil sie das Geld für die Gasrechnung nicht aufbringen können. Ein Jammer.

RC: Da fragt man sich tatsächlich, wohin das viele eingenommene Geld verschwindet.

Wm: Nun, es gilt eben, einen riesigen Staats- und Beamtenapparat zu unterhalten. Leider produziert der nichts. Dafür hat jeder Gewerkschaftsführer oder Abgeordneter einen ganzen Stab von Mitarbeitern und eine schöne schwarze Limousine mit Chauffeur zur Verfügung. Auch die Ausserdienst gestellten Staatsangestellten werden fürstlich gehalten. Mutti Merkel verfügt über ein Büro mit 9 Angestellten, 2 Bodygards und 2 Chauffeuren. Vielleicht werden wir einmal erfahren, was die denn alle so tun. Zusammenfassend: Der deutsche Staatsapparat ist äusserst ineffizient, reagiert langsam und wenn, dann eben oft falsch. Der Sozialstaat wuchert fleissig vor sich hin, kostet viel, bewirkt aber nicht viel. Über die Hälfte des Bundeshaushaltes werden übrigens für die Sozialkosten aufgewendet. Tendenz steigend.

RC: Ein Problem zumindest scheint ähnlich zu liegen wie bei uns: Es gibt zu wenig Wohnraum.

Wm: Ich hatte gehofft, dass Sie das Thema nicht anschneiden. Es ist wirklich peinlich. Da wurde für das erste Regierungsjahr der Ampel noch der Bau von offenbar notwendigen 400’000 Sozialwohnungen angekündigt. Gebaut wurden dann 25’000. Das Problem mangelnder Wohnraum hat aber tatsächlich ähnliche Ursachen wie bei uns in der Schweiz: Bauen ist zusehends unattraktiv geworden, ist kompliziert, und es gibt viel zu viele Auflagen, die das Bauen verteuern. Zumindest hätte Deutschland etwas mehr Fläche zur Verfügung als wir. Aber die deutschen Hürden sind eben nochmals höher als bei uns, eine Baueingabe treibt zum Teil kafkaeske Blüten, da werden schon mal Baupläne wieder zurückgeschickt, weil sie «falsch gefaltet» wurden. Und wenn Enteignungen drohen (wie in Berlin), verabschieden sich eben die Investoren. Dann wird noch weniger gebaut, die Wohnungsnot wird noch grösser, ein Eigentumserwerb für junge Leute noch unerschwinglicher. Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass einfach nicht genügend Angebot für die Nachfrage bereitgestellt wird.

RC: Ist das Problem nun einfach systemimmanent – oder besteht es, weil «der Fisch vom Kopf stinkt»?

Wm: Eine rhetorische Frage. Es ist beides. Das System ist schon mal per se krank. Im Vergleich zu einer Schwarmintelligenz handelt es sich hier offenbar um suizidal orientierte Schwarmdummheit. Allein kann sich das System nicht retten, es wird sich dem wirtschaftlichen Tod entgegenschleppen. Also braucht es kluge Köpfe, die das System entrümpeln müssen, tatkräftige Minister und einen durchsetzungsstarken Kanzler.

Leider ist die aktuelle Regierung wohl die am schwächsten aufgestellte der Nachkriegszeit. Und sie verscholzt zusehends. Es begann schon bei der Zusammenstellung der Truppe. Der designierte Kanzler, die Inkarnation einer farblosen und schwachen Führungsgestalt, ernannte so etwas wie ein Kabinett aus Handarbeitslehrerinnen. Viele hatten kaum Führungserfahrung, auch keine Fachkompetenz. Es sei an die unsägliche Christine Lambrecht erinnert, die erste Verteidigungsministerin, welche durch ihre schlagende Inkompetenz glänzte. Die Familienministerin Lisa Paus scheint nicht nur sehr farblos zu sein, sondern auch völlig überfordert. Die Wohnbauministerin, Klara Geywitz, scheint von einem anderen Stern zu stammen. Und der Wirtschaftsminister ist ein leidlich sympathischer Kerl, versteht aber wirklich nichts von Wirtschaft.

Natürlich kann man so keinen Staat führen. Die Leute entstammen offenbar einer ganz anderen Denkschule. Insgesamt hat die Regierung so den wirtschaftspolitischen Kompass verloren. Aber ohne den gibt es keinen nachhaltigen Wohlstand und Wohlfahrt. Vor allem nicht mit einem Chef-Zauderer an der Spitze. Ich denke, sein Rücktritt wäre eine Erleichterung für ganz Europa.

RC: Mensch, Waldmeyer, wir brauchen Lösungen. Nur Lamentieren bringt uns nicht weiter! Was würden Sie den Deutschen raten?

Wm: Kein vernünftiger Mensch sollte mehr in Deutschland investieren. Bei der Wettbewerbsfähigkeit ist Germanien nun binnen zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 24 abgesackt. Deshalb habe ich eine klare Message an alle tüchtigen deutschen Arbeitnehmer und Unternehmer: Kommt in die Schweiz! Wir brauchen Fachkräfte, wir heissen rührige Unternehmer willkommen! Natürlich interessiert uns nicht der Low-Tech-Bereich. Es ist in Ordnung, wenn dieser nach Polen abwandert – so wie jetzt die Produktion von Miele. Wir möchten gerne intelligente und innovative Leute bei uns! Ein besonderes Herz hatten wir auch immer schon für vermögende und gut verdienende Personen, die einer Steuerhölle entfliehen wollen. Bei uns zahlen sie dann immer noch anständig Steuern – aber eben nicht unanständig. Das Steuersubstrat können wir brauchen. Auch bei uns gibt es noch ein paar Baustellen.

RC: Da werden aber nicht alle Freude haben. Die SVP möchte nicht noch mehr Ausländer.

Wm: Natürlich bemühen wir uns nicht um die deutschen Sozialhilfeempfänger, sondern nur um die Besten! Für diese wird es immer einen Platz geben in der Schweiz. Leute, die dieser teutonischen Kernschmelze entfliehen wollen, haben ein Recht auf Hilfe. Vielleicht wäre eine neue Interpretation des Asylwesens angesagt: ein Asyl für «gehobene nachbarschaftliche Wirtschaftsflüchtlinge». Ich ringe noch nach einem prägnanten Begriff.

RC: Der wird Ihnen schon noch einfallen. Danke für das Interview, Max Waldmeyer!

Waldmeyer und die Glossen-Konkurrenz

Oder: Der Nachtzug nach Lissabon

Die Vorstösse im Zürcher Stadtparlament sieht Waldmeyer jeweils als Konkurrenz zu seinen Glossen. Sie sind dermassen weltfremd und absurd (und in diesem Sinne schweizweit wegweisend), dass sie an sich schon eine Glosse darstellen. Wie soll denn Waldmeyer dies noch toppen?

Die Realität Zürichs in einem kafkaesken Raum

Immer wieder Zürich. Aber Waldmeyer findet, dass man sehr genau auf Zürich schauen sollte. Von Biel, Chur, Lugano oder St. Gallen aus. Denn dann weiss man, was einem auch in anderen Landstrichen der Schweiz demnächst erwarten wird. Ja, Zürich scheint wohl nur die Speerspitze eines politischen Wandels zu sein. Der Zürcher Stadtrat verblüfft nämlich immer wieder mit absurden Vorschlägen. Meist handelt es sich um verquere Ideen rund um das Thema Gendern, Verkehr, Klima, Wohnen oder Umverteilung. Zürich ist Vorreiter. Man kann allerdings auch nach Berlin oder in Richtung anderer Grossstädte im Ausland blicken. Dann weiss man, was einem demnächst auch in der helvetischen Provinz zu blühen droht. Was dabei immer mitschwingt, ist eine verblüffende Weltfremde.

Glossen basieren bekanntlich auf der Überzeichnung einer Geschichte oder eines Zustandes, Glossen haben deshalb sarkastische oder ironische Noten. Und hier liegt gerade das Problem: Wenn die tatsächliche Geschichte sich bereits in einem kafkaesken Raum befindet, wird es schwierig, dies noch zu überzeichnen. Deshalb die Feststellung Waldmeyers, dass es zusehends komplexer wird, eine ironische Geschichte zu formulieren, wenn die Realität bereits zur Groteske verkommen ist.

Der Nachtzug nach Lissabon

Der Titel des bekannten Romans «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier erhält nun eine ganz neue Bedeutung. Und damit nun wieder zu Zürich – aber alles der Reihe nach.

Natürlich waren sich die Erfinder dieses genialen politischen Vorstosses im Zürcher Stadtparlament nicht wirklich bewusst, wohin ihre Ideen tatsächlich führen könnten. Wie gesagt, obwohl sie diesen Plan allen Ernstes und fundiert vorbereitet hatten. Es ging einmal mehr um eine Weltverbesserung. Man könnte auch nachsichtig sein mit solchen Volksvertretern: Sie meinen es ja nur gut. Sie meinen es auch überhaupt nicht lustig, in diesem Sinne also nicht glossenhaft.

Nun zu diesem politischen Vorstoss: Die Zürcher fliegen zu viel, und Fliegen ist nicht gut. Man sollte mehr Zug fahren. Also wäre es logisch, so die Zürcher Grünen, wenn das Bahnfahren auch über längere Distanzen gefördert wird. Zum Beispiel gerade nach Lissabon. Deshalb der brillante Vorstoss, dass die Stadt einfach mal drei Nachtzugskompositionen selbst kaufen sollte. Damit lässt sich bequem durch ganz Europa gondeln.

Die Grünen wissen genau, wie es geht

Ja, und günstig sollte das Reisen dann auch sein, so die Forderung der Stadtparlamentarier. Der Staat soll also Reiseveranstalter werden, aber bitte zum Discountpreis. Die Grünen schlugen auch gleich noch vor, dass die Österreichischen Bahnen als Betreiber bestimmt werden sollten. Das war ein kluger Vorschlag, denn es wäre unserer SBB selbstredend nicht zuzumuten, dass die vorprogrammierten Defizite dann bei ihr anfallen sollten. Die Deutsche Bahn kam auch nicht in Frage, denn deren Lokführer streiken regelmässig und deren Zuverlässigkeit besteht darin, dass sie mit Sicherheit immer unzuverlässig ist. Das geht nicht, denn Lissabon sollte man mit der Bahn möglichst noch in der zweiten Nacht erreichen und nicht irgendwann zur Tageszeit. Dass Nachtzüge kostenmässig überhaupt nicht wettbewerbsfähig sind, sondern vermutlich nur für Passagiere mit Flugangst oder mit Fahrrädern erfunden wurden, stört die Grünen nicht.

Waldmeyer versucht zu eskalieren

Waldmeyer versuchte trotzdem, die Causa Nachtzug noch eskalieren zu lassen und eine griffige Geschichte daraus zu schmieden Wie wäre es also, wenn die Stadt Zürich nun auch noch hochseetaugliche Segelboote anschaffen würde? Greta Thunberg reist ja zuweilen auch mit einem Segelboot und kann so elegant auf einen Flug verzichten. Oder wie wäre es mit autobahntauglichen Lastenrädern? Gratis-Segways für die Altersheime? Einer Zwangsausrüstung mit Inline-Skates für ausländischen Touristen (damit sie sich nicht ins Taxi setzen müssen)? Ein staatlicher Gratis-Service für E-Bikes? Die 100-prozentige steuerliche Absetzungsmöglichkeit eines Teslas – für jeden?

Oder wie wäre es mit einem unlimitierten Abo für alle Zürcher für den Nahverkehr, welches nur einen Franken pro Tag kostet? Doch nein, dieses Postulat der SP gibt es schon! Und damit schon wieder ein Glossenthema, das besetzt ist. Also besser einen 10’000-Franken-Zuschuss für jeden Bürger, der im Homeoffice bleibt und sich so gar nicht nach draussen wagen muss?

Eine Flut von grotesken politischen Vorschlägen

Die gleichen Politiker hatten sich schon mit ähnlich komischen Vorschlägen profiliert. So sollte der darbenden Zürcher Bevölkerung mit Gratis-Tampons und -Binden unter die Arme gegriffen werden – und zwar nicht der weiblichen Bevölkerung, sondern, gendermässig korrekt formuliert, den betroffenen «menstruierenden Personen». Den Kindergärtlern soll eine diverse Toilette zur Verfügung stehen, denn die Unterteilung in Weiblein und Männlein könnte diskriminierend sein – wohl im Unwissen darum, dass den fünf- und sechsjährigen Bengeln es wohl sch…egal ist, auf welchen Topf sie hocken sollen. Mutter- und Vaterschaftsurlaub soll künftig schon nur im Hinblick auf eine Schwangerschaft gewährt werden. Sozialwohnungen sollen künftig auch Bessersituierten zur Verfügung stehen. Auf digitale Werbung soll im öffentlichen Raum künftig verzichtet werden (Verlust bei den Zürcher Verkehrsbetrieben allein rund 20 Millionen pro Jahr). Begründung: Solche Werbeträger seien «aufmerksamkeitspsychologisch zu invasiv». Und so weiter. Nun, ist das alles lustig oder traurig?

Die Realpolitik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden

Waldmeyer hätte noch weitere eigene Eskalierungs-Vorschläge. Aber sie sind alle gar nicht mehr so lustig. Echt lustig ist nämlich die Realsatire – und die findet jetzt gerade mitten in der Schweiz und in der grössten Stadt statt. Ergo erhält Waldmeyer nun diese Konkurrenz. Er erkennt: Die profane Gegenwart scheint ihn einzuholen. Waldmeyer macht mit seinen Glossen trotzdem weiter. Allerdings muss er sich notgedrungen wohl auf andere Themenfelder konzentrieren. Denn die Zürcher Politik ist zur fleischgewordenen Glosse geworden.

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