Waldmeyer und das Ende der Wokeness

Waldmeyer hat überhaupt kein Problem mit Gleichstellungen. Oder Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Ausser, beispielsweise, mit militanten Feminist:innen. Aber vielleicht ist der Trend schon wieder am Abklingen?

 

Hatte vielleicht Ex-Bundesrat Berset an der Street Parade letzten Jahres tatsächlich geholfen, das Ende der Bewegung einzuläuten? Könnte diese spätestens schon dann den Marketingtod gestorben sein? Alain Bersets Auftritt war dermassen inklusiv, dass es schon peinlich war. Wenn ein Chefminister da mitmacht, so könnte man meinen, sind eigentlich schon alle Ziele einer Bewegung erreicht. Kein Wunder, war auch die Teilnehmerzahl an der diesjährigen Zurich Pride deutlich geringer.

Der Wokeness-Bewegung ergeht es wie den Gewerkschaften

Es ist wie bei den Gewerkschaften: Wofür kämpfen die eigentlich noch in der Schweiz? Alle wichtigen Ziele der «Arbeiterschaft», falls es eine solche heute überhaupt noch gibt, sind in unserem Land erreicht worden. Natürlich kann man noch für eine 35-Stunden-Woche kämpfen, für 100% Homeoffice für alle oder für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber die wichtigen Meilensteine der «Arbeitenden» sind wohl erreicht. Also konzentriert man sich auf neue Themen, so auf den Ausbau der AHV, die Verbilligung von Krankenkassenprämien und anderes. Kostenpunkt: jeweils Milliarden.

Jetzt geht es weiter mit Finetuning

So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass ein Angestellter einer deutschen Firma, welcher in Basel ein Fenster einsetzt, am selben Arbeitstag auch den Schweizer Tagesspesen-Ansatz erhält – und nicht den deutschen. Andernfalls wird, so in den Augen der Gewerkschaft Unia beispielsweise, «der Markt verzerrt». Also wird man notfalls unseren neuen Vertrag mit der EU bodigen.

Waldmeyer hat in seinem Berufsleben erkannt, dass der Markt meistens dann verzerrt wird, wenn er nicht spielen darf. Wenn der Staat mittels Mikromanagement an den Stellschrauben dreht. Solche Minithemen werden von unseren Gewerkschaften als letzte Strohhalme bewirtschaftet. Und sie sind eben dermassen wichtig, dass sie damit sogar ein Schweizer EU-Abkommen opfern würden.

Das Ablaufdatum ist gesetzt

Die Gewerkschaften haben also ein Ablaufdatum. Und so ist es auch bei der Wokeness: Das «Aufwachen» und die «Awareness», dass es noch andere Ansichten, Gesellschaftsformen und Genderformen gibt, sind ja bei uns angekommen. Sogar bei Waldmeyer. Und wenn es bei Waldmeyer angekommen ist, letztlich zwar ein aufmerksamer, aber doch eher bürgerlicher Beobachter des Geschehens, dann sollte der Fall eigentlich erledigt sein.

Aber es geht natürlich um mehr: Wokeness ist Opposition. Es hat ein Eigenleben, welches in der Aussenwirkung als cool wahrgenommen werden soll. Allerdings verselbständigt es sich nun, insbesondere bei Behörden, fundamentalistischen Parteien, Politikern etc.

 

Waldmeyer pflegt seine eigene Opposition

Waldmeyer hat inzwischen seine eigene Opposition entwickelt: Er wird sich beispielsweise kein Lastenrad zulegen. Er wird sein Geschlecht nicht ändern. Er hängt an seiner Villa in Meisterschwanden keine Regenbogen-Fahne auf. Er wird seinen künftigen Enkeln aus einem Winnetou-Band vorlesen. Alles wichtige Einzelentscheide.

Und Waldmeyer geht weiter: Er liest zum Beispiel Zeitungsartikel nicht zu Ende, sobald eine dieser dämlich inklusiven Schrift:formen auftritt. Und er bricht die Lektüre eines Artikels blitzartig ab, wenn anstelle der allgemeinen Form nur die feminine Form verwendet wird. Wenn eine fundamental-feministische Journalistin nur die weibliche Form (z.B. «Pilotinnen») stellvertretend für alle Piloten (gemeint sind offenbar PilotInnen) verwendet, ist das Mass für ihn jeweils voll. In solchen Fällen liest Waldmeyer den Satz nochmals durch, ob er vielleicht etwas falsch verstanden hat. Anschliessend überprüft er den Kontext nochmals. Dann kontrolliert er, wer den Artikel verbrochen hat. Ist der Name des Journalisten (der Journalistin) feminin, ist der Fall klar. Ein kurzer Wikipedia-Besuch oder eine kleine Google-Recherche betreffend die Person (Person_in?) bringt es i.d.R. an den Tag: Diese Person (wieso eigentlich nicht der oder dasPerson?) steht oft vermurkst in der gesellschaftspolitischen Landschaft. Nein, Waldmeyer macht da nicht mit, bei dieser Geschlechtsumwandlung der deutschen Sprache.

Die inklusive Schreibweise ist total verkrampft

Die inklusive Schreibweise ist natürlich nur der Ausdruck eines verkrampften inklusiven Verhaltens – welches in der Regel vollkommen inkonsequent ist. Wieso spricht denn niemand von «Mörderinnen», wenn es allgemein um Mörder geht? Oder zumindest von «Mörder:innen» oder ähnlich. Oder – das wäre das Minimum – von «Mörderinnen und Mördern». Waldmeyer findet es schon auffällig und ungerecht, dass gerade negativ besetzte Berufe, so eben jener des Mörders, auch jener des Einbrechers oder des Terroristen, vorab nur in der männlichen Form erscheinen. Waldmeyer findet es zudem schade, dass bei der Form des Binnen-I (so bei PilotInnen) mitten im Wort bei dessen Aussprache nicht nur kurz innegehalten wird, sondern dass auf den Knacklaut, welcher ursprünglich angedacht war, verzichtet wird. (Ja, die feministisch maximal durchtränkte Sprachwissenschaftlerin Louise Pusch hatte 1985 einen solchen Knacklaut, just bei der Artikulierung des Binnen-Is, tatsächlich vorgeschlagen.)

Wokeness mangels echter Probleme?

Die Bewegung der Wokeness konnte sich wohl nur etablieren, weil die ganz grossen Probleme der Gesellschaft offenbar gelöst sind? Oder liegen diese nur zu weit weg? Oder können sie gar nicht gelöst werden? Oder werden sie nicht verstanden? Waldmeyer denkt an die Fragen der Entwicklung des weltweiten Klimas, an die geopolitischen Veränderungen, an die ungelösten Energiefragen. Es geht dabei nicht einmal um die Dürre in der Sahelzone – denn davon sind wir nicht unmittelbar betroffen. Aber selbst, wenn wir uns nur auf nahe Probleme in unserer Gesellschaft konzentrieren, stellen wir fest, dass diese alles andere als gelöst sind. Zum Beispiel das Damoklesschwert der Demografie-Entwicklung: Wir werden immer älter, die Altersversorgung kann nicht mehr finanziert werden, die Gesundheitskosten laufen aus dem Ruder etc.

Die Wölfe sind wichtiger

Diese echten Probleme sind offenbar viel zu kompliziert. Die Wohlstandsfalle gebietet es nämlich, dass wir, möglichst von der sozialen Hängematte aus, uns um nahe Probleme kümmern. Es geht also um die Diskussion um Wolfsabschüsse (doch, doch, auch dies ist Wokeness, denn die Biodiversität, das Recht auf Leben für alle usw. müssen in die woke Denke einbezogen werden). Es geht auch darum, dass in gewissen Schweizer Städten die Behörden den Bau von drei Toiletten für die Kindergartenstufe vorschreiben (männlich, weiblich, divers). Natürlich ist es den Fünf- und Sechsjährigen sch…egal, auf welchen Topf sie gehen. Aber den verqueren Behördenvertretern, zumeist noch nie gestählt in der normalen Welt draussen und seit je am Tropf des Staates hängend, ist es wichtig, den Kleinen schon frühzeitig zu suggerieren, dass sie vielleicht ein Problem mit dem eigenen Geschlecht haben könnten.

Hafermilch ist auch woke

Tempo 30-Zonen müssen errichtet werden, um die Luftsäule über der entsprechenden Strasse zu retten (und damit das Weltklima), Verkehr und Energie müssen auf Teufel komm raus auf elektrisch umgestellt werden, obwohl die saubere Energie dazu gar nicht vorhanden ist, Themen der «kulturellen Aneignung» bewegen uns enorm (Winnetou geht nicht mehr, auch Dreadlocks sollten wir nicht tragen usw.). Zum Wokesein gehört auch die bedingungslose Unterstützung der palästinensischen Bewegung. Vegansein (oder zumindest ein vegetarisches Leben) sind ebenso hilfreich für die positive Aussenwirkung eines generell woken Images. Hafermilch zum Beispiel weist einen besseren CO2-Abdruck auf als herkömmliche Milch. Deshalb ist Hafermilch heute woke.

Oder ist Wokeness doch noch nicht am Abklingen?

Aber nun scheint sich der Wind etwas zu drehen: Wir haben genug von Klimaklebern, für die offenbar bis vor kurzem andere Demokratieregeln galten. Grüne Politiker_innen werden abgewählt, und strenge pazifistische Ansichten erscheinen heute als Schimäre – angesichts weltweiter Annexions- und Terrorbedrohungen.

Aber vielleicht greift Waldmeyer da etwas vor? Ist das mit dem Abklingen der Wokeness nur ein erstes Signal und noch kein Trend? Waldmeyer blickte auf sein blinkendes iPhone mit der Textnachricht von Charlotte: «Bringst du dann noch Hafermilch mit aus dem Bioladen, Schatz?»

Waldmeyer und die Kraft des Montags

Waldmeyer mag den Montag. Das hat allerdings einen speziellen Grund, welcher sich klar abhebt von demjenigen der Gewerkschaften oder Linksparteien. Dort hat die Woche fünf Montage.

Waldmeyer steuerte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) Richtung Office. Die Strasse war an diesem Montag nahezu leer. Ob wohl alle im Homeoffice sassen? Draussen, also rund um seinen schweren Achtzylinder herum, war wunderbar Frühling, die Sonne schien. Waldmeyer blinzelte und setzte seine alte Ray-Ban auf. Sein Fahrzeug verfügt noch über eine CD-Anlage, also legte er „Monday, Monday“ ein (1966). Herrlich, so ein Montag. Charlotte hatte ihn frühmorgens noch daran erinnert, dass heute eigentlich Pfingstmontag sei, aber er wollte gar nicht erst hinhören.

Warum sollte ein Montag schlecht sein?

Waldmeyer begriff nicht, was an einem Montag denn schlecht sein sollte. In den Augen der Gewerkschaften, beispielsweise, ist ein Montag ein grottenschlechter Tag, weil der Montag Arbeit bedeutet, und Arbeit bedeutet Ausbeutung. Vor allem im Übergang vom wohlverdienten Sonntag zum Montag entsteht so ein besonders schlechtes Gefühl. In der kognitiven Wahrnehmung der Gewerkschaften hat eine Arbeitswoche, gefühlt, nur Montage, also deren fünf – und ungerechterweise nur zwei schöne richtig freie Tage. Montage sind einfach unbeliebt. Es gibt deren zu viele und jeder einzelne Montag dauert zu lange. Noch besser sind Ferienwochen. Aber auch davon gibt es zu wenig. Wir arbeiten einfach zu viel.

Amerikaner arbeiten gut 1800 Stunden im Jahr, Schweizer etwa 1500, die Deutschen nochmals rund 200 weniger. Letztere mühen sich an mindestens zwei, bzw. fünf (echten) Montagen weniger ab als Schweizer, bzw. Amerikaner. Sie sind deshalb aber nicht glücklicher.

Der schale Montagsgeschmack

So oder so hat sich die Montagszählung verwischt, seit die westliche Welt das Homeoffice erfunden hat. Auch der Freitag hatte bisher diesen schalen Montagsgeschmack, nicht nur der echte Montag: An beiden Tagen geht man nicht gerne zur Arbeit und versucht heute deshalb, diese als Homeoffice rauszuschlagen. Homeoffice ist ja, gefühlt, wie ein halber freier Tag. Die Deutschen kennen übrigens den Freitag schon lange als ein Fake-Arbeitstag, denn um 12:00 ist i. d. R. Schluss. Somit, de facto, eigentlich am Donnerstagabend. Waldmeyer weiss von seinen Geschäftsfreunden in der Bundesrepublik, dass sich die Chefs dort besonders unbeliebt machen, wenn sie auf Freitagmorgen noch eine Teams-Sitzung anberaumen, um die überall im Homeoffice herumlungernden Mitarbeiter zusammenzutrommeln. Das stört natürlich enorm.

Deutsche sind Weltmeister im Montagverdrängen

Die Deutschen sind in der Arbeitsverdrängung also fast am weitesten. Die Reduktion der Arbeitsstunden hat dazu geführt, dass das Land immer weniger wettbewerbsfähig wurde und der Fachkräftemangel sich noch akzentuierte. Empfindungsmässig wurden so ungeliebte Montage vernichtet, eine Woche hat nun, in der teutonischen Wahrnehmung, einfach mehr Donnerstage, ein paar Mittwoche vielleicht noch, und schon ist wieder Wochenende.

Wir in der Schweiz sind noch nicht auf diesem Level. Jedoch fordern unsere Gewerkschaften mantramässig eine Reduktion der Arbeitsstunden, mehr Ferientage, mehr Mutterschafts- und Vaterschaftstage. Städtische und kantonale Verwaltungen sind als Arbeitgeber:innen deshalb besonders fortschrittlich und beliebt, deren Grosszügigkeit wird einfach auf dem Buckel der Steuerzahler abgeladen, und die Privatwirtschaft verliert als Arbeitgeberin so an Wettbewerb.

Die hohe Schule: neun Montags-freie Tage

Die jungen Grünen haben erst kürzlich, neben einem Komplettumbau von Wirtschaft und Gesellschaft, eine 24-Stunden-Woche angedacht, und echte Feministinnen fordern freie Menstruationstage. Behörden haben diese teilweise bereits eingeführt, so sind in gewissen Kantonen drei freie Mens-Tage eigentlich fix eingeplant (in der Stadt Zürich sind es gar fünf). In den Genuss kommen bekanntlich nicht nur Frauen, sondern, gendergerecht, alle «menstruierenden Personen».

Eine in der Mens zu liegen kommende optimale Arbeitswoche einer städtischen Angestellten in Fribourg beispielsweise sieht so aus: Montag und Freitag Homeoffice, Dienstag bis Donnerstag Menstruation. Die gefühlte Arbeitswoche ist also an einem Donnerstagabend zu Ende und beginnt erst wieder am Dienstag in der übernächsten Woche! Das sind neun Tage hintereinander ohne Montagsgefühl.

Wir sind auf dem besten Weg, künftig weniger Präsenz zeigen zu müssen und letztlich auch weniger zu arbeiten. Und wir schaffen den Montag ab.

Weniger arbeiten kann teuer werden

Leider verteuert sich damit unsere Wertschöpfung. Natürlich könnte man gewissen Kreisen folgen, welche darzulegen versuchen, dass ein Mensch viel produktiver ist, wenn er eine Viertagewoche hat. Numerisch geht das leider nicht auf, vor allem, wenn er dann für die vier Tage noch den vollen Lohn erhält. Wenn das mit der Steigerung der Produktivität so einfach wäre, hätten clevere Arbeitgeber schon lange auf eine Reduktion der Arbeitszeiten gedrängt. Haben sie aber nicht, denn sie wissen, dass sich die Produktivität (abgesehen von der Motivation oder dem Umfeld) nun mal darin misst, zu welchen Kosten und mit welchem Zeiteinsatz eine Leistung erbracht wird – welche sich dann zum entsprechenden Gestehungspreis auf dem Markt absetzen lässt.

Montage sind auch ein Generationenproblem

Immerhin arbeiten die Schweizer, laut Umfragen, einigermassen gerne. Bei der Generation Z ist sich Waldmeyer diesbezüglich nicht so sicher, diese Generation steht ja unter grossem Druck, offenbar leiden auch viele der Jungen an Depressionen. Also wird um schonendes Anhalten gebeten. Die noch jüngere Generation Alpha macht Waldmeyer zusätzlich Sorgen: Sie sei nur noch mit sich selbst beschäftigt, noch fragiler und kommuniziere nur noch spärlich. Oder nur noch mit dem Handy oder via soziale Medien. Da kommen also schwierige Zeiten auf uns zu. Waldmeyer hofft deshalb auf die Generation Beta, welche ab 2025 das Licht der Welt erblicken wird. Wenn sie einmal da ist, wird diese bestimmt grosse Freude an der Arbeit entwickeln, sich kaum mehr für die sozialen Medien interessieren und laufend Extra Miles erbringen. Vielleicht.

Waldmeyers Kraft des Montags

Aber zurück zu Waldmeyers Montage. Eine Woche später, nach Pfingsten und dem wunderbar ruhigen Montag im Office, hatte Waldmeyer Charlotte versprochen, am Sonntag endlich die Garage aufzuräumen. Aber er wird sein Versprechen leider nicht einhalten können, es sind ein paar wichtige Calls mit der Firma dazwischengekommen – trotz Sonntag. Und Waldmeyer freut sich schon jetzt, sich am Montag dann wieder ins Büro absetzen zu können. Da wird er den ganzen Tag kaum gestört und kann in Ruhe wichtigen Dingen nachgehen. Man würde ihn zwar nicht vermissen im Office, aber er würde das Office vermissen.

Auch Waldmeyers Woche hat manchmal fünf Montage. Aber er hat die Montage eben ganz gern.