Waldmeyer und die Sezession

«Separation» oder «Sezession» kennen wir in der Schweiz bestens: Der neu geschaffene Kanton Jura ist das beste Beispiel dafür. Nur: Darf sich jeder abspalten – oder gar einen eigenen Staat gründen? Genau das wollen die Deutschen Reichsbürger. Und nun kommen sie auch in die Schweiz!

 

Waldmeyer faszinierte dieser Hermelin-Mantel. Da lässt sich doch dieser bizarre Peter Fitzek in Deutschland einfach zum König krönen, dazu noch in dieser royalen, hermelinen Kluft!

Deutschlands «Reichsbürger» haben sich tatsächlich einiges vorgenommen, so wollen sie, ganz unbescheiden, einen eigenen Staat gründen. Aber die Organisation wird nun verboten, wegen «Staatszersetzung». Das ist ein bisschen schade, denn damit werden ein paar nützliche Denkanstösse abgewürgt. Deutschland hätte es doch verdient, sein ziemlich aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen etwas neu aufzumischen. Was spannend ist: Die Bewegung hat schon einen Anker in die Schweiz geworfen. Aber dazu später.

Könnte Korsika ein Staat sein?

Sezessionen oder Staatsgründungen sind für uns nicht neu. Es sei an die Gründung des Kantons Jura erinnert. Auch Kantonswechsel von Gemeinden gibt es regelmässig. Wir sind eben ein demokratisches Land, und Reisende sollte man ziehen lassen.

Dass die Schotten einen eigenen Staat möchten, ist auch nicht neu. Das Vorhaben wäre zudem gar nicht abwegig, sie könnten dann wieder in die EU eintreten und müssten sich über anachronistische Staatsformen (wie die Monarchie) nicht ärgern.

Das Gleiche könnte für Katalonien, das Baskenland oder die Korsen gelten. Das nennt sich dann Sezession oder Separation. Was in vielen Staaten der Welt völlig undenkbar ist, ist in westlichen Staaten zum Teil möglich, in vielen allerdings gar nicht sauber geregelt. Darf man sich abspalten? Spaniens und Frankreichs Verfassungen sehen das leider nicht vor; sie stehen damit im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne der UNO.

Was Waldmeyer nur unterstützen wird: Appenzell möchte seine Gemeinden fusionieren. Was man als Firma schon lange getan hätte, ist hier überfällig. Auch die Fusion der beiden Halbkantone wäre der Effizienz geschuldet.

Eine richtige Staatsgründung geht natürlich weiter. Wir sprechen dabei nicht von den mehr oder weniger aus Jux ausgerufenen neuen Staaten (wie zum Beispiel von «Sealand», einer verlassenen Ölplattfarm vor der Küste Grossbritanniens). Interessanter sind die ernst gemeinten, echten Staatsgründungen. Nur: Was darf man wirklich?

New Tibet?

Waldmeyer erkennt, dass in diesem völkerrechtlichen Dickicht oft kein einheitliches Urteil gefällt werden kann. Was in Sachen Separation Rumäniens von der Sowjetunion 1991 noch ziemlich klar war, würde spätestens beim Tibet nicht mehr klar sein.

Entscheidend ist die Selbstbestimmung. Wenn die Tibeter heute einen eigenen Staat ausrufen würden, hätten sie ein Recht dazu? Sie könnten sich indessen kaum auf die Vergangenheit beziehen, als sie vor rund 75 Jahren noch nicht unter der chinesischen Fuchtel waren. Seit den 50er Jahren wird das Gebiet mehr oder weniger zwangsweise von China verwaltet. Ist das in Ordnung? Darf man jetzt, nach alle den Jahren, ein Gebiet, im Sinne einer Sezession wohl, noch zurückfordern? Der Völkerrechtler würde hier ganz klar mit einem Jein antworten. Die geschichtliche Basis bringt also nichts. Aber das Selbstbestimmungsrecht der UNO könnte zum Tragen kommen. Leider dürfen die Tibeter aber nicht abstimmen. Die Katalanen auch nicht.

Wann kommt das Kalifat?

Wenn nun die deutschen Reichsbürger einen eigenen Staat ausrufen, ist das schon eher tricky. Und wenn in Berlin im Rahmen einer palästinafreundlichen Demonstration von ein paar Protagonisten ein Kalifat ausgerufen wird, geht das selbstredend nicht. Das Problem ist nur, dass der Staat dann offenbar keinen Mumm hat, einzugreifen. Hier wäre der Tatbestand der «Staatszersetzung» wohl eindeutig gegeben.

Darf Genf zu Frankreich wechseln? Oder einen eigenen Staat ausrufen?

Wenn sich Genf nun entscheiden würde, zu Frankreich zu wechseln: Dürften die das? Der Wunsch wäre vielleicht gar nicht so absurd, der Ausländeranteil im Kanton Genf beträgt 41%, zu einem guten Teil handelt es sich eh um Franzosen. Genf nennt sich ohnehin „République de Genève“. Wir würden von einer solchen Abspaltung gar nicht viel merken im Rest der Schweiz, der Genfersee würde zu einem Grossteil immer noch uns gehören, und unsere Jugend in der Deutschschweiz würde weiter auf Englisch mit den «Welschen» kommunizieren. Auch wenn Genf einen eigenen Staat ausruft, mithin nur die Konsequenz ihrer «République de Genève», würde das wohl nicht so viel ändern.

Spreitenbach als Nation?

Wenn in Spreitenbach ein eigener Staat ausgerufen würde, und zwar auf ganz demokratische Weise, würde dies vielleicht durchgehen? Der Ausländeranteil in Spreitenbach liegt bei über 50%. Es könnte hier also, ebenso ganz selbstbestimmt, ein muslimischer Ministaat entstehen. Alles wäre vorhanden, Coop, Migros, gar ein ganzes Einkaufszentrum. Es gibt auch bereits eine kleine Moschee. Die Sache mit den Grenzübergängen zur Schweiz müsste noch geklärt werden. Aber auch hier: Dürften die das?

Abtrennung von Landesteilen?

Die Westschweiz könnte eigentlich zu Frankreich gehören, das Tessin zu Italien. Dann wäre – in beiden Fällen – das Problem mit den Grenzgängern ein für alle Mal gelöst. Sollten sich diese Landesteile aufgrund einer gut legitimierten, demokratischen Bewegung entscheiden, das Land zu wechseln, und sollten sich sowohl Frankreich wie Italien nicht dagegenstemmen, so müssten wir die Leute wohl ziehen lassen. So sieht nun mal moderne demokratische Selbstbestimmung aus. Für das Oberwallis (wo bekanntlich nicht Französisch, sondern eine Art Schweizerdeutsche Geheimsprache gesprochen wird), müsste im Falle eines Landeswechsels der Westschweiz natürlich eine faire Lösung gefunden werden. Die Gebietsinsel Oberwallis würde, zumindest verkehrstechnisch gesehen, nahezu eine Art helvetische Exklave darstellen – das wäre aber nur vordergründig tragisch. Denn erstens sind die Oberwalliser ein relativ verwurzelter Menschenschlag, der sein Gebiet vielleicht gar nicht verlassen möchte, und zweitens könnten die Deutschschweizer im Norden immer noch via Lötschbergtunnel, ohne Grenzübertritte, elegant in die schönen Skigebiete einreisen. Oder sollte das Oberwallis gleich einen eigenen Staat ausrufen?

Ist Abessinien definitiv verloren für Italien?

Abessinien gehörte einst zu Italien. Ist der Gebietsanspruch Italiens nun wirklich verwirkt? Natürlich könnten die heutigen verarmten Bewohner Äthiopiens einen Antrag an Italien auf Rückabwicklung stellen. Das wäre eventuell gar nicht so dumm, denn dann würden sie zur EU gehören, viel Geld erhalten und müssten gar keine mühseligen Asylreisen unternehmen.

Und was ist mit Nordkorea? Dem Problem des eigenen Staatsrechtes hatte sich die UNO schon mal angenommen. 1977 sprach sie mit einer Resolution Klartext, indem sie einem Volk ein klares Selbstbestimmungsrecht einräumte. Das war eine Ansage, immerhin. Aber die Selbstbestimmung müsste demokratische Strukturen und nötigenfalls Hilfe von aussen voraussetzen, um sie durchsetzen zu können. Im Falle Nordkoreas würden wir dann aber wohl nicht von einer Sezession sprechen müssen, sondern von einer neuen Staatengründung, bzw. eines Umsturzes. Einer Gesamt-Sezession sozusagen.

Die Kurden müssen auch warten

Kurdistan existiert nicht, die armen Kerle haben tatsächlich keinen eigenen Staat. Die UNO-Resolution hat hier offenbar nicht gegriffen. Nun, das wäre so ein Fall, wo eine Sezession und eine eigene Staatsbildung legitim wäre. Aber es hapert wohl an der Durchsetzung, es wären zudem vier Staaten betroffen.

Waldmeyers Meinung:

  • Ja, die beiden Appenzell sollen doch zu einem eigenen «Bundesstaat» fusionieren, die einzelnen verzettelten Mini-Gemeinden könnte man sogar aufheben. Das wäre der Effizienz geschuldet.
  • Ja, eine Gemeinde soll weiter einen Kanton wechseln dürfen.
  • Ja, Genf dürfte nach Frankreich abhauen – so dies denn demokratisch umgesetzt würde.
  • Ja, das Oberwallis, immer schon ziemlich renitent, dürfte einen eigenen Staat ausrufen. Wenn ein gescheites Konzept vorgelegt würde (mit der Pflege der eigenen, wenn auch wenig verständlichen Sprache beispielsweise), so sollte das erlaubt werden.
  • Tibet: Die Zeit ist wohl abgelaufen. Es wäre ganz einfach zwecklos, hier den eigenen, verlorenen Staat wieder auszurufen.
  • Spreitenbach: Rein rechtsstaatlich wäre eine eigene Staatsgründung vielleicht möglich. Unter Umständen auch nicht falsch: Es ergäbe sich nämlich eine sehr homogene, friedliche, grösstenteils muslimische Bevölkerungsgruppe, hoch konzentriert, allerdings mit einer eigenen Grenze rundherum.
  • Äthiopien kann nicht in die EU kommen. Ausser demokratische Prozesse in Italien und in der ehemaligen afrikanischen Kolonie würden die nötigen Voraussetzungen dazu schaffen. Das südamerikanische Französisch-Guyana gehört auch zur EU, ebenso die portugiesischen Azoren. Also warum nicht.
  • Die tüchtigen Kurden hätten einen eigenen Staat verdient. Allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen, ihr Gebiet zieht sich heute vom Osten der Türkei über den Norden Syriens, Iraks und Irans.
  • Den Katalanen müsste man prinzipiell einen eigenen Staat zugestehen. Eine saubere demokratische Abstimmung mit einem nachhaltigen Plan für eine eigene Staatlichkeit wäre die Voraussetzung. Restspanien müsste das schlucken – auch wenn es die Verfassung noch nicht vorsieht. Das gleiche Problem haben die französischen Basken und Korsika: La Grande Nation verbietet eine Sezession.

Jetzt «Neue Deutsche Mark» kaufen von den Reichsbürgern!

Es ist schon bemerkenswert, was für eine bizarre Unverfrorenheit diese Gruppe der Reichsbürger umtreibt. Oder sollte ihren Anliegen, nur schon wegen der UNO-Charta von 1977, nicht trotzdem Gehör geschenkt werden? Eine Analyse Waldmeyers kommt indessen zu einem anderen Schluss: Die Reichsbürger planen erstens gar keine demokratische Ordnung und zweitens verfügen sie über keine richtige Homebase: Es fehlt ihnen ein einigermassen homogener Landstrich.

Und was nun die Pläne der Reichsbürger in der Schweiz betrifft: Sie sollen bitte in Deutschland bleiben. Bei uns gibt es für sie keine liberale Legitimation. So erfrischend die Idee auch ist – und so schön auch dieser Hermelinmantel des neuen Königs. Und so kreativ auch die Idee, schon jetzt eine neue Währung eingeführt zu haben (denn bereits kann ein Konto eröffnet werden mit «Neuer Deutscher Mark»).

Wählt Meisterschwanden die Sezession?

Da hätte es Meisterschwanden schon einfacher: Basierend auf der UNO-Charta könnte Waldmeyer, als künftiger Gemeindepräsident und aufgrund einer sauberen demokratischen Abstimmung, Autonomie ausrufen. Die Gründung eines neuen Kantons würde Waldmeyer allerdings nicht ausreichen. Er würde auf dem Gemeindegebiet einen eigenen Staat ausrufen. Die Schweizer Verfassung sähe hier keine Hindernisse vor.

Waldmeyer könnte anschliessend alle falschen Entscheide in der Gemeinde wieder rückgängig machen, mit einer neuen, eigenen Verfassung, gescheiten Gesetzen und schlanken Verordnungen. So könnte beispielsweise der ungeliebte Kreisel beim Coop unten wieder aufgelöst werden, die 30er-Zone an der Panoramastrasse ebenso, Lastenräder würden aus Sicherheitsgründen verboten, die lächerliche Gender-Toilette in der Gemeindekanzlei würde aufgelöst. Der Coop dürfte auch am Sonntag immer geöffnet bleiben. Auswärtige müssten einen Eintritt beim Zugang zum Hallwilersee bezahlen. Der Franken würde beibehalten, aber die Mehrwertsteuer würde abgeschafft (zu kompliziert). Statt gemeine progressive Einkommenssteuern würde eine faire Flattax eingeführt (die Steuererklärung hätte auf einem Bierdeckel Platz). Erbschaftssteuern entfielen komplett. Asylanten müssten arbeiten, und die AHV gäbe es leider erst mit 70 (dafür ist deren Finanzierung in trockenen Tüchern). Der Rest des Uferhügels würde zu einem hochwertigen Wohngebiet umgezont, damit reiche Deutsche künftig hier angesiedelt werden können – und ihre Steuern hier bezahlten. Selenski würde zu einem Talk an der Gemeindeversammlung eingeladen, und die Hamas würden sofort als Terrororganisation verurteilt.

Ja, Meisterschwanden würde plötzlich im geopolitischen Fokus stehen, und die Restschweiz würde vielleicht das ganze Konzept übernehmen.

Schade, wird heute nicht mehr über Sezession gesprochen.