Bei der Besetzung der Bundesratspositionen geht es bekanntlich nie um Kompetenzen der Kandidaten. Am Schluss landen alle in einem Departement, das sie nicht verstehen. Die Fachkräftekrise ist damit nicht neu in der Schweiz: Seit Jahren schon hat sie auch den Bundesrat erreicht.
Das neue Bundesratsfoto zeigt die acht Mitglieder. Das heisst die sieben Bunderats-Mitglieder, plus den Bundeskanzler. Waldmeyer ist der Name des neuen Bundeskanzlers entfallen. Bundeskanzler haben es in anderen Ländern einfacher: Da sind sie bekannter. Weil sie dort der Chef sind – so in Deutschland. Was sie dann allerdings nicht davon abhält, nichts zu tun. Also scheint das Schweizer Prinzip vielleicht doch besser zu sein, keinen Chef zu haben? Ja, es gibt die Bundespräsident:innen. Oder Bundespräsident*innen. Oder Bundespräsident_innen. Oder BundespräsidentInnen. (Einigen wir uns auf den inklusiven Begriff des Bundespräsidenten.) Diese wechseln, zum Erstaunen ausländischer Regierungen, jedes Jahr. Auch hier geht es dann nicht um Chefqualitäten, sondern um einen einfachen Turnus. Wer genügend lange im Club bleibt, darf zweimal ran.
Wir dürfen Bundesräte nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen
Wie wir wissen, müssen Bundespräsidenten nicht viel tun. Es geht bei dem Job eher um allerlei unwichtige Eröffnungen und um Reisen. Dafür gibt es auch ein bisschen mehr Spesen für ein ganzes Jahr – obwohl eigentlich schon alles bezahlt ist. Ausser der Garderobe. Frau Amherd wird deshalb anfangs Januar, vielleicht im Ausverkauf in Brig, noch kurz vor dem WEF, ihre Garderobe aufgebessert haben. Im Laufe des Jahres wird das dann nicht so ersichtlich sein, aber wir sollten ja unsere Landesvertreterinnen und –vertreter auch nicht an der Garderobe oder an der Frisur messen. Sondern an den Leistungen. Waldmeyer erinnerte sich an den etwas abgestandenen Witz betreffend die Garderobe einer Ex-Bundesrätin: Was macht Ruth Dreyfuss mit ihren alten Kleidern? Ja, sie trägt sie!
Falsche Personen am falschen Ort?
Aber zurück zu den Leistungen. Nun, gerade hier liegt die Sache im Argen: Leistungsbemessungen werden schwierig, wenn die Voraussetzungen gar nicht stimmen. Wenn also die falsche Person am falschen Ort eingesetzt wird.
Die Grundvoraussetzungen für eine wählbare Person in den Bundesrat hängt bekanntlich von der Parteizugehörigkeit, dem Kanton, dem Geschlecht, der Landessprache etc. ab. Am Schluss bleibt deshalb nur noch eine vernachlässigbare Schnittmenge mit wenigen Kandidaten. Waldmeyer weiss, dass noch neue Voraussetzungen hinzukommen werden: Es müssen künftig auch verschiedene Genderformen berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass allein Facebook 60 verschiedene Formen nennt und heute (vermutlich) nur zwei davon in der Landesregierung vertreten sind, ist eine sträfliche Diskriminierung. Zumindest eine queere Variante sollten wir schon aufweisen.
Kleine Schnittmenge möglicher Kandidaten
Auch sollte der Religionshintergrund künftig besser berücksichtigt werden. Zumindest einen muslimischen Bundesrat sollte es schon geben, sonst ist diese rasch wachsende Gemeinde unterrepräsentiert.
Dass zurzeit auch in Sachen Hautfarben im Bundesrat nicht alles zum Besten steht, lässt sich schon auf dem Foto mit den Glorious Eight – oder Seven – erkennen.
Zudem müssten künftig auch diverse Invaliditätsformen besser repräsentiert werden. Auch Krankheiten psychischer Natur (nicht versteckte, die es unter Umständen heute schon gibt, sondern auch offensichtliche) sollten besser vertreten sein.
Kurzum, die Schnittmenge der Kandidaten wird immer kleiner, schlimmstenfalls würde sich dann nur noch ein einziger Kandidat eignen: Zum Beispiel eine schwarze, lesbische, muslimische, junge Mutter mit vier Kindern aus dem Kanton Glarus mit dem Parteibuch der Mitte (ex CVP). Im Idealfall wäre ihre Muttersprache zudem serbokroatisch. Bei einer anderen Wiederwahl in den Bundesrat müsste dann ein beinamputierter jüdischer SP-Vertreter aus dem Tessin mit Muttersprache Deutsch herhalten. Was wichtig ist: Man sollte sich bei der Wahl nie von den Fragen nach fachlicher Eignung oder Führungsstärke ablenken lassen.
Möglichst viele Handarbeitslehrerinnen?
Dieses Prinzip der optimierten Besetzungen, bar jeder Fachkompetenz, ist nicht neu. In Deutschland wird es seit Jahren zelebriert. Bundeskanzler Scholz verstand es zu Beginn seiner Regierungsbildung, möglichst viele Personen des Typs Handarbeitslehrerin unterzubringen. Die grosteskeste Besetzung war wohl Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin. Sie brachte ein absolutes Maximum an Nichtwissen mit für den Job. Und genauso scholzt der Bundeskanzler weiter. Sein wichtigster Minister ist der Jugendbuchautor Habeck, jetzt Wirtschafts- und Umweltminister.
Dieses Prinzip der maximal schwachen Ministerbesetzung hatte bereits Mutti Merkel erfunden. Das hat System, denn so kommt dem Prinzip der eigenen Machtfülle niemand zu nahe. Man ist mit dem Umstand schon voll absorbiert, den eigenen Job nicht hinzukriegen. Ja, jeder soll kriegen, was er am wenigsten versteht.
In der Schweiz haben wir ein anderes System, es wird nicht gescholzt. Das Prinzip beruht auf der Idee, diese komplett verquere Schnittmenge aus aussenstehenden Faktoren anzustreben, die letztlich eine ganz lustige Besetzung fördert. Gehen wir doch unsere Landesvertreter der Reihe nach kurz durch:
Viola Amherd repräsentiert das Wallis. Das sieht man schon an der Frisur (Coupe Brig-Glis), man hört es auch – oder man sieht es, wenn beim Gespräch mit deutschen Regierungsvertretern ein Dolmetscher hermuss. Sie ist ledig, was schon mal gut ist, denn vielleicht bildet sie eine der vernachlässigten Genderformen ab, hat es uns indessen noch nicht gebeichtet. Früher verfocht sie auch schon mal, als Frau, die Idee eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubs – was Waldmeyer als «inklusives» Zeichen deutete.
Viola führt die Armee. Sie ist auch für den Sport im Land verantwortlich. Zu diesem Job kam sie wie die Jungfrau zum Kind, sie hatte ja noch nie was am Hut gehabt mit Verteidigungspolitik, noch nie musste sie eine grosse Zerlegung eines Sturmgewehres vornehmen oder geopolitische Gefahren studieren, und aufgrund ihrer Optik hatte sie früher vermutlich auch nichts mit Sport zu tun (allenfalls mit Raclette-Kampfessen im Wallis). Sie ist die einzige Juristin an Bord, also könnte sie eventuell das Justizdepartement führen. Aber die Verteilung der Ämter funktioniert eben so gerade nicht in unserem Land.
Karin Keller-Sutter ist die bestangezogene Frau in diesem Siebner-Club. Sie trägt Akris. Sie spricht auch ein paar Sprachen, wenn auch nicht die eventuellen Landessprachen der nahen Zukunft (unter anderem vielleicht albanisch?). Sie gibt sich echt Mühe, lächelt etwas wenig, führt aber zumindest ganz leidlich. Sie hatte letztes Jahr die Finanzen übernommen. Waldmeyer weiss, dass dies vermutlich das wichtigste Fachgebiet im Bundesrat ist – also müsste eine ausgewiesene Finanzkraft dieses Departement führen. Ein Studium der Nationalökonomie, Finanz- und Rechnungswesen oder ähnlich und mehrere Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet würden da nicht schaden. Karin ist indessen ausgebildete Dolmetscherin, sie wird sich also noch während ein paar Jahren einarbeiten müssen. Kein Wunder, hatte sie an jenem Wochenende im März die CS für ein Apfel und ein Ei an die UBS verschenkt, alles andere wäre zu kompliziert gewesen.
Elisabeth Baume-Schneider ist ausgebildete Sozialhelferin, kommt aus dem Jura, hält Schwarznasenschafe, und ihr Mann ist Taxifahrer. Das muss nicht schlecht sein, denn so repräsentiert sie vermutlich die ländliche Arbeiterklasse. Ihre Besetzung mit dem Justizdepartement vor einem Jahr war indessen doch etwas vermessen. Da man sich bei Bedarf und Wechseln im Club etwas Neues aussuchen darf, hat die frühere bekennende Marxistin nun das Departement des Inneren gewählt. Waldmeyer weiss natürlich, dass das die schlechtestmögliche Besetzung sein wird, um die letzten Faxgeräte aus dem BAG zu entfernen, die Digitalisierung dort voranzutreiben, die völlig aus dem Ruder gelaufenen Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen und unsere Demografie-Probleme zu lösen. Sie ist eine grosse Anhängerin der 13. AHV-Rente, vielleicht wird sie die Refinanzierung der AHV so angehen?
Beat Jans ist der Neue. Und der Neue hat bei der Verteilung der Jobs immer die A-Karte zu ziehen. Also musste Ex-Landwirt Beat das ungeliebte Justiz- und Polizeidepartement übernehmen. Baume-Schneider, Keller-Sutter, Sommaruga: Alles Vorgängerinnen, alle relativ glücklos, zufälligerweise alles Nicht-Juristen, alle hatten sich hier die Zähne ausgebissen. Wirklich nicht zu beneiden, der Beat. Aber er strahlt immer. Und er ist Basler. Ja, das war ganz wichtig, denn jetzt waren die Basler wieder mal dran.
Unser Guy Parmelin führt das Wirtschaftsdepartement. Hier ergibt sich insofern eine positive Korrelation zwischen Beruf und Verantwortung, als er als ehemaliger Winzer bestimmt einen Link zur Gastronomie, also zur «Wirtschaft», gefunden hat. Natürlich ist er kein echter Wirtschaftsfachmann. Er versteht die Ökonomie auch nicht im Sinne des Managements einer Volkswirtschaft – sondern vielleicht eher als Önologie und im Sinne der «Ökonomie der Kräfte» betreffend sein Engagement. Aber er ist Westschweizer. Und Landwirt. Und verfügte damals über das richtige Parteibuch. Dann darf man eben auch mal Bundesrat sein.
Ignazio Cassis ist (nebst Elisabeth aus dem Jura) eigentlich die Lieblingsfigur Waldmeyers. Ignazio ist Arzt, Fachgebiet Onkologie. Er macht immer alles ein bisschen falsch, und grundsätzlich haben alle Bedauern mit ihm. Dass er das Aussendepartment führt, hat sich eben auch so ergeben. Was man ihm zugutehalten muss: Er ist absolut harmlos, denn er befindet sich, gefühlt, in einem Wachkoma. Natürlich erreicht er so auch nichts. So schaffte er es bis heute nicht, die Hamas-Schlächter als Terrororganisation zu klassifizieren. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass man den Beruf des Aussenministers nicht einfach so erlernen kann. Es gibt keine Aussenministerschule. Oder einen Master in Aussenministersein. Man muss es einfach können, meistens weil man etwas polyglott ist, die globalen Zusammenhänge versteht, über ein gutes weltumspannendes Netzwerk verfügt und im Verhandlungspoker ein Ass ist. Also nicht ein «ass» im englischen Sinne, sondern einfach ein Crack bei diesen kosmopolitischen Spielen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch das Bedauern erklären, denn Ignazio konnte das alles beim besten Willen nicht mitbringen.
Albert Rösti ist einer der Neuen. Durchs Band früher ein relativ glückloser Politiker, hat er nun vielleicht seine Rolle gefunden. Er verwaltet Energie und Umwelt. Da man die damit zusammenhängenden Probleme in unserem basisdemokratischen Land eigentlich gar nie lösen kann, kann er auch gar nichts falsch machen. Als ausgebildeter Agraringenieur hat er sich leidlich eingearbeitet in die vertrackte Materie. Die grossen Solaranlagen und die Erhöhung der Staumauern dürfen nicht gebaut werden, aber es ist wirklich nicht seine Schuld. Und wenn die Energie teurer wird, auch nicht. Er kümmert sich jetzt vor allem um die Wölfe. Beziehungsweise um deren Abschüsse. Auch da kann man eigentlich fast alles nur falsch machen, weil die Umstände etwas kompliziert sind, also fallen allfällige Misserfolge nie auf einen zurück. Vielleicht ein Traumjob?
Waldmeyer ist leider keine Fachkraft
In der Summe, so meinte Waldmeyer gegenüber Charlotte, ist eigentlich nicht nur Ignazio harmlos. Alle sind harmlos. Und alle können nichts dafür, dass sie einen Job gefasst haben, von dem sie wenig verstehen. Es ist systemimmanent. Deshalb müssen wir sie entschuldigen. Diese Leute sind nun einfach wegen der Schnittmenge da.
Nun müssen sich aber diese glorreichen Sieben mit einigen der ganz grossen Probleme unseres Landes auseinandersetzen: Der Überalterung, der Einwanderung, dem Fachkräftemangel, der sinkenden Motivation zu arbeiten (ja, wegen der Work-Life-Balance) etc. Um solche Probleme zu lösen, braucht es Fachkräfte als Entscheidungsträger. Aber wie soll das Fachkräfteproblem im Bundesrat von Nicht-Fachkräften gelöst werden?
Charlotte meinte, einmal mehr, Waldmeyer solle sich doch zur Verfügung stellen. Aber Waldmeyer weiss: Er ist keine Fachkraft. Er ist nur Beobachter.