Waldmeyer übernimmt Land auf dem Mars

Die Wohnungsnot in der Schweiz ist mit Händen zu greifen. Die Politik verspricht dauernd Abhilfe, aber es geschieht nichts. Und die Nachfrage wird laufend grösser: Der persönliche Bedarf an Wohnfläche steigt und die Bevölkerung wächst. Waldmeyer entwickelt innovative Ideen. 

Politiker linker und grüner Couleur versuchen Abhilfe gegen die Wohnungsnot zu leisten, indem sie noch mehr Vorschriften oder Eingriffe in den Markt propagieren. Damit geht der Schuss in der Regel gegen hinten los. Oder sie schlagen vermehrt sozialen Wohnungsbau vor, der dann allerdings gar nie gebaut wird. Bürgerliche Politiker andererseits scheinen das Problem einfach zu meiden. Oder Rechtsaussen-Vertreter poltern gegen eine 10-Millionen-Schweiz und meinen, in naiv-populistischer Manier, mittels einem Einwanderungsstopp das Problem lösen zu können. 

Angesichts dieser Wohnungsmalaise erscheinen die Metaverse-Ideen da geradezu erfrischend. Ja, warum denn über zu wenig Wohnraum lamentieren, wenn es diesen à discrétion in der virtuellen Welt gibt!

Tatsächlich boomt der Markt mit virtuellen Immobilien. Diese Metaversen haben Namen wie „The Sandbox“ „Second Live“ oder „Decentraland“. Private und Firmen haben schon Milliarden in Boden und Immobilien investiert. Viele dieser Projekt kann man mit gut aufgemachten Renderings „besuchen“. Es werden ganze Lifestyle-Modelle entwickelt, mit Freizeitmöglichkeiten, Shoppingcentern und Einkaufsstrassen. Louis Vuitton soll sich kürzlich in einem Laden in „Axie Infinity“ eingemietet haben, und Adidas hat sogar eine aktive Partnerschaft mit The Sandbox bekanntgegeben.

Schön an den virtuellen Immobilien ist, dass man diese nicht real liefern muss. Die Nagelprobe erfolgt somit gar nie, es bleibt eben immer bei der Kunstimmobilie. Für den Immobilienentwickler ganz angenehm – Mängelrügen zum Beispiel sind damit zum Vornherein ausgeschlossen. Und noch ein Vorteil von virtuellem Land: Eine CS-Aktie kann den Wert verlieren oder eine sozialistische Landreform kann eine individuelle Investition pulverisieren; ein Metaverse indessen bleibt – weil es gar nichts Reelles zum Vernichten gibt.

Waldmeyer hatte sich schon über Elon Musk mokiert: Der geniale, aber etwas irre Unternehmer möchte ja unbedingt den Mars bevölkern. Das Vorhaben wird natürlich noch eine Weile dauern – deshalb besteht auch hier kaum je das Risiko der Nagelprobe. 

Interessant fände Waldmeyer nun, bereits jetzt schon Land zu sichern auf dem Mars. Es müsste ja nur ein kleiner, virtueller Abschnitt sein. Dieser lässt sich dann in einer Metawelt – da ja nie geliefert werden muss – elegant entwickeln. Wie wir gesehen haben, ist die Qualität dieser virtuellen Immobilien entscheidend, sie bestimmt den Preis. Die Gestaltung der Landschaft, die Verkehrsverbindungen, das ganze Umfeld, die Nachbarn und vieles mehr definieren den Wert dieses virtuellen Besitzes. Es lag also auf der Hand, etwas auf dem Meta-Mars abzubilden, dass bereits zu Beginn an Perfektion grenzt. 

Heureka! Waldmeyer hatte die Lösung: Man könnte doch einfach die Schweiz abbilden! Alle interessanten Landstriche und alle Gemeinden fänden genügend Raum auf dem kleinen Planeten. Nicht alle Staaten hätten natürlich Platz, aber Gebiete wie Russland, China oder grosse Teile Afrikas könnte man so oder so vergessen. Auch Nordkorea, den Iran oder den Gazastreifen, und die Ukraine müsste mit dem Hinweis „under development“ versehen werden, vielleicht auch die Innerschweiz. Der grosse Unterschied zu anderen Metaversen wäre nun, dass der Mars tatsächlich existiert. Er gehört niemandem, also kann man sich etwas davon nehmen. Das war bei den Siedlern im Wilden Westen auch so. Und auf dem Mars müsste man nicht einmal erst Indianer vertreiben, das Land wäre einfach hier, leer. 

Natürlich, in vielen Jahren, vielleicht, würden andere auch Anteile am Mars reklamieren. Aber man sollte sich nicht darüber aufhalten, was viel später ist. Das machen die Politiker auch nicht. Staaten verschulden sich heute bis über beide Ohren; man verschiebt das brisante Thema einfach auf den Sankt Nimmerleinstag. Das macht die deutsche Regierung auch, sie beschliesst zudem ohnehin immer, nicht zu beschliessen – oder sie beschliesst und liefert nachher nicht. Der grosse Digitalisierungsschub beispielsweise wurde schon vor über zehn Jahren beschlossen, passiert ist noch nichts. Ja, wie wir mit der Bauerei in der Schweiz.

Doch zurück zum Mars. Das Risiko, je einmal reell liefern zu müssen, beurteilte Waldmeyer als vernachlässigbar. Charlotte meinte nur, eher spöttisch: „Dann gründe doch gleich Meisterschwanden auf dem Mars, wenn du schon daran glaubst!“ Nun erlebte Waldmeyer indessen sein zweites Heureka: Ja, warum denn mit der viel zu grossen Kelle anrühren, Meisterschwanden wäre perfekt. Natürlich bräuchte es noch ein paar Finetunings, für diesen Klon auf dem Mars. Waldmeyer würde beispielsweise die lästige Verkehrsberuhigung auf gewissen Strassen rückgängig machen. Und den Steuerfuss senken. Und die Ladenöffnungszeiten verlängern, auch etwas gegen die Überschussgeburten gewisser Neuzuzüger machen, usw. 

Am Samstagnachmittag grüsste Waldmeyer beim Rausgehen wie immer seinen Nachbarn Freddy Honegger. Er war am Rasenmähen, wie üblicherweise samstags. Freddy ist insofern eine interessante Causa, als er gerne Verschwörungstheorien nachhängt. Früher war er mal bei den Zeugen Jehovas (weshalb er auch nie in den WK musste). Covid-19 wurde von Bill Gates und dem alten Soros orchestriert, usw. Honegger sitzt gerne immer falschen Informationen auf. Er glaubt auch, dass der Elektro-Golf seiner Bettina sauber ist (obwohl u.a. mit Kohlestrom aus Deutschland betrieben, via unsere Steckdose). Ja, Freddy würde sich sicher für Waldmeyers Marsprojekt interessieren!

„Freddy, ich habe Meisterschwanden übernommen. Metamars, weisst du.“

„Scheisse, das hätte ich auch gerne gekauft“, erwiderte Honegger wie aus der Pistole geschossen. 

„Sorry, tut mir leid“, meinte Waldmeyer, supponierte sofort einen Telefonanruf und liess Honegger stehen. „No, no, I don‘t sell Meisterschwanden. No, really not.“ Honegger stand da, wie zur Salzsäule erstarrt. Er hatte schon vorher seinen mit Kohlestrom betriebenen sauberen Elektrorasenmäher abgestellt. Hatte er Meta-Meisterschwanden etwa verpasst?

„Tut mir leid, Freddy, ich wusste nicht, dass du auch interessiert gewesen wärst. Ich kann dir aber vielleicht einen Teil im Norden abtreten, aber ohne Seeanstoss. Für den Süden, dort bei der Seerose, du weisst schon, habe ich bereits einen Interessenten. Du, ich muss jetzt weg!“ Waldmeyer entfernte sich hektisch und erinnerte sich an den Kurs „Tactics in Corporate Sales“, den er vor 20 Jahren mal belegt hatte. Ja, so läuft Verkauf.

Am Sonntagmorgen wurden Waldmeyer und Honegger handelseinig. Honnegger kaufte 1/3 von Meisterschwanden, sogar inklusive dem alten Arbeiterstrandbad Tennwil im Norden. Der Preis war stolz, wenn auch einiges unter den derzeit bezahlten in der (reellen) Gemeinde. Waldmeyer versprach, binnen einer Woche ein professionelles Zertifikat zu liefern, und er lud Honegger gleich ein, für ein paar exekutive Funktionen dem Gemeinderat beizutreten (Waldmeyer dachte dabei an die geplante Gratisverteilung von Verhütungsmitteln an Immigranten).

„Siehst du, Charlotte, der Markt funktioniert!“, meinte Waldmeyer triumphierend. „Du darfst einfach nicht der Letzte sein.“

Was weder Honegger noch Charlotte wussten: Nächsten Monat wird Waldmeyer sein Immobilienprojekt „New Meisterschwanden“ im Metamars präsentieren. Hansueli Loosli wird dort vielleicht einen virtuellen Coop betreiben. Und Honegger wird mit Sicherheit eine Wohnung übernehmen. Waldmeyer wird dann, virtuell, mit seinem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) durch Meisterschwanden cruisen und sich an der Prosperität seiner Gemeinde erfreuen. Nur intelligente, schöne und freundliche Leute würden ihm zuwinken.