Waldmeyer im Urlaub: Die Yachten und das Unglück

Max Waldmeyer hatte beschlossen, seinen Sommerurlaub bei schönstem Wetter am See zu verbringen, in sicherer Umgebung, mit hervorragender Gastronomie und mit Zugriff auf einen gut bestückten Weinkeller: nämlich zu Hause, in Meisterschwanden. Gleichzeitig konnte er sich so bestens philosophischen Tagträumen hingeben.

Waldmeyer blickte von seiner Terrasse zum Hallwilersee runter und überlegte, dass Schiffe in der Regel nur Unglück bringen.

«Abramovichs Yacht würde hier nicht reinpassen», meldete Waldmeyer zu Charlotte rüber, die anstatt in der brütenden Hitze jetzt lieber in Grönland sitzen wollte. Sie antwortete nicht. 

«Wenn du viel Geld hättest, Charlotte, ich meine wirklich sehr, sehr viel Geld, was würdest du dir kaufen…?» Bei diesen grundsätzlichen, fast philosophischen Fragen pflegte Charlotte in der Regel zu antworten, deshalb legte Waldmeyer nun so auch seine Fragefallen aus.

«Ich würde einen Fonds errichten und etwas Gescheites damit anfangen. Vielleicht etwas Soziales». 

«Wenn du aber keinen Fonds errichten könntest und du gezwungen wärst, das Geld auszugeben, ich meine, im grossen Stil, was würdest du dir kaufen?», bohrte Waldmeyer nun weiter.

«Zeit. Vielleicht auch Zeit ohne dich», antwortete Charlotte. Waldmeyer kannte diese provokativen Antworten und liess sich nicht beirren.

«Was würdest du zum Beispiel mit einer fetten Rolex machen?»

«Ich würde Sie sofort verkaufen.»

«Was mit einem Lamborghini?»

«Hätte ich gar nie gekauft.»

«Ich kauf dir ein Schloss!»

«Brauch ich nicht.»

«Einen Privatjet?» 

«Würde ich sofort grounden».

«Eine Yacht?»

«Bringt nur Unglück.»

Waldmeyer gab auf. Zumal Charlotte recht hatte. Yachten sind zwar das ultimative Aushängeschild von Luxus, es ist die perfekteste aller Visitenkarten der Arriviertheit. Der Yachtbesitz ist das ultimative Statement. Über Yachten spricht man. Pro forma versuchen Superreiche, die Besitzstruktur einer Yacht zu verschleiern, indessen nur in der Hoffnung, dass der Besitzer entdeckt und in den Medien breitgeschlagen wird.

Man weiss, dass Yachten ein Vermögen kosten, bei grösseren Yachten rechnet man um eine Million pro Meter Länge. Bei ganz grossen Schiffen darf es durchaus auch mehr sein. Privatjets und/oder Schlösser verblassen daneben in einer Aussenwirkung, die fast den Insignien des Mittelstandes entspricht. 

Die Credit Suisse hatte sich auf die Finanzierung von Yachten spezialisiert, ein Milliardengeschäft. An sich ist es rätselhaft, wieso Milliardäre ihre Superyachten nicht selbst finanzieren wollen. Die grössten Schiffe sind über 150 Meter lang und kosten über 500 Millionen Dollar. Aber wenn man mehrere Milliarden besitzt, so sollte man doch meinen, könnte so ein Kahn doch aus der Portokasse bezahlt werden. Offenbar nutzen Milliardäre ihr Cash jedoch, um clever alternativ zu investieren und damit noch mehr Rendite zu erzielen; also «hypotheziert» man eben eine Yacht. Der Credit Suisse hatte dieses Spezialgeschäft indessen kein Glück eingebracht. Erstens zeigte sich, dass Oligarchen, Scheichs und auch ganz normale Despoten die Zinsen auf diesen Yachthypotheken nur unregelmässig entrichten. Dem Geld anschliessend in Saudi-Arabien oder in Russland nachzurennen, erwies sich indessen als ziemlich tricky. Zweitens implodierte der Markt für Superyachten aufgrund der Sanktionen gegen russische Oligarchen seit dem Beginn des Ukrainekrieges. Die Kredite für Yachten lagen plötzlich höher als ihr Wert. Und jetzt wirft man der Pleitebank auch noch vor, in Sachen Yachtfinanzierung Sanktionen umgangen zu haben. Nichts als Unglück also für die Credit Suisse. Wie die UBS nun damit wohl umgehen wird…?

Insbesondere die Superyachten der Russen bescheren wohl auch den Russen immer weniger Glück. Aufgrund der Sanktionen gibt es kaum mehr attraktive Häfen, wo man seine Yacht zeigen kann. In Dubai ist das Anlegen für die Oligarchen zwar noch möglich, allerdings mit reduzierter Aussenwirkung, denn dort liegen inzwischen so viele Yachten, dass die eigene meistens im Schatten der allergrössten liegt. Und à propos Schatten: Abramovich lässt seine Yachten (er besitzt tatsächlich mehrere dieser grossen) im Sommer natürlich nicht in Dubai anlegen – bei gegen 50 Grad Hitze. Er wählt Bodrum in der Türkei oder Montenegro. Aber dann ist Schluss mit der Hafen-Auswahl. Ausser er würde Anker werfen vor Novosibirsk (der eisfreie Hafen in Sibirien), was indessen jeglicher Attraktivität und Imagegewinnung entbehrt. Nichts als Sorgen also mit den Superyachten.

Sorgen bereiten auch die Unterhaltskosten. Yachten kosten, so die Faustregel, pro Jahr rund 10% des Kaufpreises. Für die Crew, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen, etc. etc. 

Die intrinsischen Gewinne einer Yacht, also das Zurschaustellen von Reichtum und das Geniessen dieser Einzigartigkeit in den Schaufenstern der obersten Liga, haben sich heute also sozusagen sublimiert.

Waldmeyer freute sich, Yachten zu «konsumieren», indem er diese auf «MyShipTracking» studierte. Er stellte zwar fest, dass auf dem Hallwilersee keine von diesen Yachten auszumachen war. Aber weltweit eben schon. Diese geniale App kann alle Schiffe global tracken, sie meldet die Standorte, die Bewegungen, die Eckdaten jedes grösseren Kahns. Ja, so können Yachten – und sogar Superyachten – auch glücklich machen: Indem man sie nicht besitzt.

Mit Entsetzen entnahm nun Waldmeyer der Zeitung, dass die UBS entschieden hatte, das inkriminierte Yachtfinanzierungsgeschäft der Credit Suisse fortzuführen. Ob das der UBS wohl Glück bringen wird? Waldmeyer meldete zu Charlotte rüber: «Willst du nicht deine UBS-Aktien verkaufen? Die Yachten bringen kein Glück.». Charlotte antwortete nicht.

Waldmeyer cancelt die Sozialen Medien

Waldmeyer stellte sich vor, wie es wäre, wenn er sich von all den Sozialen Medien fernhalten würde. Stattdessen würde er wieder vermehrt die klassische Kommunikation wählen: also Briefe schreiben, telefonieren. Allenfalls das persönliche Gespräch suchen. Man könnte alle wichtigen Sachen, die man ins Netz stellt, persönlich rüberbringen.

Nicht alles wollte Waldmeyer canceln. Im Laufe der medialen Entwicklung hatten sich auch ein paar ganz praktische Dinge entwickelt. So wurde der Brief durch E-Mail ersetzt und das Faxgerät, beispielsweise, durch WhatsApp. Heute verfügen bedeutend mehr Leute über ein WhatsApp Account als über ein Faxgerät. Ausser in Alain Bersets Krankheitsdepartement.

Waldmeyers Fazit nun: Briefpost ist heute nicht mehr lebensnotwendig, E-Mail aber schon. Und WhatsApp auch.

Nachrichten via sms indessen verschickt heute niemand mehr, ausser Banken und Kreditkartenfirmen in Form von Pins. Und ausser Waldmeyers Freund Ruedi Arnold aus der Innerschweiz.

Waldmeyer überlegte nun, wie eine lebensnotwendige Triage aussehen könnte und beschloss, vorerst auf alle Sozialen Medien wie Facebook, Instagramm, TikTok, Pinterest oder gar LinkedIn zu verzichten. LinkedIn war für Waldmeyer ohnedies nicht mehr relevant, weil er sich als aussteigender Unternehmer nie mehr bewerben wollte oder müsste. Die restlichen genannten Sozialen Medien könnte er einfach als unnötig qualifizieren – denn es geht auch ohne sie. Auf die geposteten unwichtigen Inhalte an eine nicht zu kontrollierende Zahl von Empfängern könnte er versuchsweise verzichten.

Zudem hatte es ihn schon länger gestört, bei Facebook so etwas wie eine freiwillige persönliche Stasiakte anzulegen, transparent für die ganze Öffentlichkeit. 

Man könnte gar, so Waldmeyers singuläres Brainstorming weiter, der öffentlichen Kommunikation komplett entsagen und sich die neue virtuelle Brille von Apple zulegen. Er könnte durch Meisterschwanden wandeln mit dieser läppischen Skibrille auf dem Kopf, für ebenso läppische 3‘500 US-Dollar erstanden, und die Welt nur noch virtuell und animiert, auf Bestellung sozusagen, wahrnehmen. Aber dieser Plan kommt zu früh, das merkwürdige Ding gibt es erst in einem Jahr. 

Damit zurück zu den heute verfügbaren Optionen, um frei zu kommunizieren, ohne die Sozialen Medien zu nutzen:

Es müssten echte Alternativen her. Also beschloss Waldmeyer, ab sofort alle wichtigen Informationen, mit denen er bisher sein Umfeld quälte, persönlich mitzuteilen. Einerseits telefonisch, andererseits auch im öffentlichen Raum. So nicht nur an der Bushaltestelle in Meisterschwanden, sondern auch an der Bahnhofstrasse in Zürich, in der Freie Strasse in Basel, an der Hertensteinstrasse in Luzern oder in der Multergasse in St. Gallen. An den Schweizer Hotspots sozusagen, um eine maximale Anzahl von Adressaten zu finden, welche sich gar nicht für seine Mitteilungen interessierten. Heureka! Das war eine Übungsanlage, die genau dem analogen Pendant zu den Sozialen Medien entsprach. Die meisten Leute wären unbekannt, man würde ein qualitativ ähnliches Informationsziel erreichen.

Und dann wollte er eben die telefonischen Kontakte wieder mehr pflegen. Diese waren immer schon wertvoller, denn das Gegenüber kann den Auslassungen kaum entrinnen, ohne unanständig zu wirken. Es herrscht, so im Marketing-Jargon, eine Situation der „Captive Audience“. Waldmeyer könnte also aus seinen über 2‘000 Kontakten auf dem Handy jede halbe Stunde random-mässig eine Nummer wählen und dann etwas Wichtiges mitteilen. Z.B. eine Schilderung der gelungenen Geburtstagsparty seiner Tochter Lara, das Umrechnungsverhältnis von CS in UBS-Aktien oder einfach „My Way“ von Franky Sinatra ins Handy flöten. 

Effizienter allerdings ist schon die Strasse. Die lässt sich am ehesten mit Facebook vergleichen. Waldmeyer wollte aber auch nicht mehr auf TikTok sein. Weniger, weil Xi Jinping täglich die TikTok Meldungen weltweit überprüft (und so mit Sicherheit auch Waldmeyers Account), sondern weil die Beiträge in der Regel ausgesprochen infantil und unnütz sind. Wirklich selten lustig. 

Ohne Facebook, Instagram, Linkedin und ohne TikTok wäre Waldmeyer digital befreit. Charlotte würde sich um die täglich notwendigen Logins kümmern, welche ihm beinahe schon den digitalen Nahtod beschert hatten. Er würde sich auf die Strasse konzentrieren und die Leute würden ihn cool finden. Er könnte wildfremden Leuten über seine Katze berichten, ein Foto mit der eingebundenen verletzten Pfote von Felix zeigen und zustimmende verbale Likes erhalten. Er würde Charlottes neuen Lippenstift vorführen (sie wechselte kürzlich von YSL auf Chanel, wirklich!), er würde zeigen, wie man ein Fahrrad aufpumpt. Und anstatt allen ein Foto von sich mit seinem neuen Fahrradhelm zu verschicken, würde er diesen Helm einfach tragen. In der Fussgängerzone. Er könnte auch Winnetou spielen und mit Federschmuck die Bahnhofstrasse runtertanzen, als Antiperformance zum gehypten Thema der kulturellen Aneignung – und beobachten, ob er Likes in Form von direkter Zustimmung vor Ort oder in Form von Stinkefingern erhält.

Nur: Die Leute würden ihn vielleicht verfolgen. Till Eulenspiegel würde vor Neid erblassen. Unter den Followern wären allerdings auch ein paar Psychiater, Sozialhelfer, Randständige oder wütende, bildungsferne Anhänger der jungen SVP, welche das konservative Leben gestört sähen. 

Also verwarf Waldmeyer den Gedanken wieder. Neugierig schaute er auf sein Handy, was inzwischen reingekommen war.