Max Waldmeyer war bis jetzt überzeugt, dass in keinem Land das Eigentum besser respektiert und geschützt wird als in der Schweiz. Aber Waldmeyer sollte nun eines Besseren belehrt werden. Denn nun wurde er, mittels staatlicher Unterstützung und über Nacht, kalt enteignet.
An jenem Sonntag kamen sie zusammen: Eine ausgebildete Sozialhelferin und ehemalige Marxistin (welche Schwarznasenschafe hält), eine ausgebildete Dolmetscherin, die sich neu um die Finanzen eines Staates kümmert, eine Juristin, welche sich zurzeit mit Fliegern, Panzern und Munition rumschlägt, ein Arzt, der sich als Aussenminister betätigt, ein Winzer, der sich u.a. um Bildung kümmert, ein Agraringenieur, der weiss, wie man Solarpanels aufstellt und ein Schmalspurökonom (im Moment deren aller Chef), welcher sich in letzter Zeit vor allem als Skandaljäger profiliert hatte. Sekundiert wurde die illustre Schar von ein paar Finanzspezialisten und einem Notenbanker, welcher im letzten Jahr einen absolut rekordverdächtigen Milliardenverlust von sagenhaften 132 Milliarden produziert hatte. Banker der UBS und CS waren, sozusagen als Statisten, auch noch dabei.
Und dann geschah es, an jenem schwarzen Sonntag, der in die eidgenössische Geschichte eingehen wird: Die beiden Banken wurden, gegen ihren Willen, zwangsverheiratet. Unser Bundesrat war offenbar der Meinung, dass nur eine schweizerische Lösung opportun sei. Er schaffte damit ein noch grösseres Problem, als wir im Land schon hatten: nämlich mittels einer „Shotgun Wedding“ die Entstehung eines überdimensionalen, riesigen Finanzkolosses, welcher in absolut keinem Grössenverhältnis mehr zur Wirtschaftskraft des Landes steht. Zudem schuf das ansonsten wirtschaftsliberale Helvetien so eine Quasi-Monopolsituation mit einer einzigen Grossbank, welche nun, für das internationale Geschäft insbesondere, keine valable Konkurrenz mehr zu fürchten hat. Ein ordnungspolitischer Sündenfall erster Güte.
Gleichzeitig vernichtete der Bundesrat an jenem Sonntag das Vermögen von Tausenden von Aktionären. Diese waren nur Stunden zuvor noch der Meinung, einen Teil einer zwar maroden Firma zu besitzen, aber immerhin Eigner von „Werten“ zu sein (je nach Schätzungen insgesamt zwischen 20 und 40 Milliarden Franken). Der Bundesrat gab den Segen dazu, dass es ab sofort nur noch 3 Milliarden sein sollten – der Preis eben, den UBS für den heruntergewirtschafteten CS-Haufen zu bezahlen bereit war.
Sämtliche andere Optionen waren nicht genehm: Zum Beispiel eine vorübergehende Verstaatlichung und Sicherung der Werte, bis solvente Käufer gefunden werden. Das wäre auch kein schöner Vorgang gewesen, auch nicht sehr helvetisch – aber er hätte ordnungspolitisch letztlich ein besseres Resultat produziert. Oder die vernünftigste Option: Die Übergabe dieser kranken Bank an ein ausländisches Institut. Da gab es valable Anwärter – für das Ganze oder Teile davon. So die Deutsche Bank, HSBC, etc. Aber diese Anwärter, welche für eine gesündere Bankenstruktur in der Schweiz gesorgt hätten und zudem bestimmt mehr bezahlt hätten, waren einfach nicht genehm. Weil ausländisch. Die schweizerische Abschottungspolitik wurde damit in ihrer vollendeten Form durch einen offenbar überforderten und blinden Bundesrat zelebriert.
Waldmeyer überlegte sich nun die aus dieser Malaise resultierenden Optionen, nachdem er mit Entsetzen konstatieren musste, dass seine CS-Aktien jetzt kaum mehr das Papier wert waren.
Option 1: Er würde die Aktien einfach behalten, die Herausgabe verweigern und warten, bis sie wieder ihren wahren, inneren Wert erhielten.
Option 2: Er könnte sich mit den Saudis, den Kataris und Blackrock, den Grossäktionären der untergehenden CS, verbinden, streiken und protestieren.
Option 3: Er könnte sich einer Sammelklage anschliessen.
Option 4: Er könnte sich die CS-Aktien physisch herausgeben lassen und öffentlich verbrennen, so auf dem Paradeplatz.
Die Option 1 schied sofort aus. Denn Waldmeyer wird gar nicht gefragt werden, ob er einverstanden sei mit der Zwangsfusion und dem Discountpreis für den Verkauf seiner Aktien. Die Aktionärsrechte werden durch den Bundesrat mittels schnell geschaffenem Spezialgesetz einfach ausgehebelt. Für 22 CS-Aktien wandert bei ihm nun ungefragt eine einzige, lumpige UBS-Aktie ins Depot. Waldmeyer rieb sich die Augen: Ist er in einer Bananenrepublik aufgewacht, welche plötzlich per Dekret regiert wird …?
Option 2 entfällt ebenso. Waldmeyers Depotbestand reicht einfach nicht aus, um seine Miteigner am Golf oder in den USA ans Handy zu locken.
Die Option 3 – die Sammelklage – wird sich als zu schwierig erweisen. Zumal Sammelklagen in der Schweiz gar nicht zugelassen sind. Waldmeyer könnte allenfalls hoffen, dass sich die Amerikaner in dieser Sache bewegen.
Leider entfällt auch die Option 4, die Verbrennung der CS-Aktien. Waldmeyer besitzt ja plötzlich nur noch UBS-Aktien.
Max Waldmeyer, Meisterschwanden, entschied sich für Option 5: Die öffentliche Verbrennung von UBS-Aktien. Aber nicht auf dem Paradeplatz, sondern auf dem Bundesplatz in Bern.
„Ich komme mit“, meinte Charlotte. Für einmal war sie gleicher Meinung wie Waldmeyer, was ihn doch erstaunte. Was er allerdings noch nicht wusste: Auch Charlotte besass CS-Aktien. Sie hatte sich vor ein paar Wochen ein paar Tausend ins Depot gelegt. „Du hattest doch gesagt, Max, es kann nur noch aufwärts gehen mit dem Kurs!?“
Offenbar gibt es noch mehr Charlotten auf der Welt, welche über Nacht kalt enteignet wurden. Vielleicht machen sie alle mit bei der Verbrennungsaktion in Bern …?