Waldmeyer und die Artificial Intelligence im Aussendienst

Oder: Wie montags ein mikro- und makroökonomischer Gau entsteht

Waldmeyer pflügte seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) durch Nebel und Schneeregen Richtung Zürich. Sitzung um 09:00 Uhr. Hartmann, sein neuer CEO, meinte, er solle doch wieder mal reinschauen. Waldmeyer vermutete eine GL-Sitzung mit heiklen Themen. Aber es kam anders.

Offenbar benötigte man Waldmeyers Ratschlag doch noch – ein gutes Gefühl! Gleichzeitig könnte Waldmeyer, so sein Plan, Hartmann wieder ein bisschen kalibrieren. Hartmann war eben noch ziemlich jung, auch ein bisschen führungsscheu.

Waldmeyer versuchte, sich auf die Strasse zu konzentrieren. Seine Beobachtung: Es waren fast nur Aussendienstleute auf der Strasse. Das leuchtete ein, denn an jedem Montagmorgen finden Aussendienst-Sitzungen in der Zentrale statt, und die Zentralen liegen nun mal in Zürich. Zu Beginn der Woche sollen die Leute gebrieft werden. Das hat mit Führung zu tun, Motivieren, Einimpfen. Ja, gerade Einimpfen. Zudem müssen Zielvorgaben vermittelt werden. Und dann raus in den Markt! Rapporte schreiben erst am Freitag – wenn die Kunden möglichst keinen Aussendienst mehr sehen wollen. Und am Montag dann wieder Sitzung in der Zentrale. Das Ritual war Waldmeyer bekannt, in zu viele Unternehmen durfte er schon reinblicken während seiner Karriere – welche er notabene nicht im Aussendienst, sondern als CEO und Unternehmer abrunden durfte. 

Der weisse Skoda Octavia, den Waldmeyer soeben überholte, beförderte eine akkurat frisierte und bebrillte Pharmamitarbeiterin; der etwas ungepflegte schwarze Skoda Octavia den Aussendienstmann für den Liftservice – er hatte einen starren Blick und rauchte. Der silberne BMW-Kombi beförderte den Verkaufsingenieur zur Sitzung; es handelte sich allerdings nur um das 520-er Modell (Waldmeyer erkannte es am dünnen Auspuff und an den schmalen Rädern). Die gelangweilte und übernächtigt wirkende Immobilientante im weissen Golf musste sich nicht vorstellen: Ein fettes Logo ihrer Firma prangte auf den Flanken ihres Gefährts. In den weissen Passat-Kombi von Swisscom wollte Waldmeyer gar nicht erst reinschauen: Das gestresste Gesicht des jungen Internet-Nerds, gezeichnet von den dauernden Betriebsunterbrüchen unseres nationalen Providers, wollte er gar nicht analysieren. Aber offenbar musste auch dieser Passat zur Sitzung.

Waldmeyer überholte sie alle. Das heisst, er schob sich an ihnen vorbei. Alle mussten erst um 09:00 Uhr antreten, der Verkehr verlief, wie immer am Montagmorgen, stockend; dennoch waren alle, weil wir in der Schweiz sind, zu früh dran, also erledigten eben alle in Ruhe ihre Telefone, schrieben wichtige Whatsapp-News oder SMS oder schlürften an einem Redbull. Der Liftmann tippte offenbar seine letzten Besuchsrapporte der vergangenen Woche in ein mit Gummiprofil umrandetes Tablet. Alle taten eben, was man so tut im Auto.

Eigentlich gab es ausschliesslich Aussendienstleute auf der Autobahn, was – wie wir nun wissen – dieser Logik des Sitzungsrituals geschuldet ist. Wenn nicht schweizweit, so vielleicht weltweit. Ein Anachronismus, dachte sich Waldmeyer, ineffizient, teuer. Ein makro- und mikroökonomischer Leerlauf, eine Verschwendung. Ein ganzer Montag ging drauf, in der Summe, übers Jahr, gar 20% der Gesamtleistung. Zu allem Übel gab es am Montagmittag immer den ausgedehnten gemeinsamen Lunch („Team building“). Anschliessend folgte das Schlendern durch die Büros, unauffälligerweise mit ein paar Dokumenten in der Hand, in der vorgetäuschten Absicht, wichtige Koordinationsgespräche zu führen. Je grösser die Firma, desto ausgedehnter das Schlendern, desto grösser das Problem. Vor allem montags.

Waldmeyer war zufrieden über seine profunde Aussendienst-Analyse, welche einen wirtschaftlichen Gau zutage gefördert hatte. Er fuhr behutsam in die enge Tiefgarage und versuchte, seine Gedanken nun wieder in Richtung „schwierige GL-Sitzung“ zu ordnen. Hartmann führte nämlich etwas im Schilde, das war mit Händen zu greifen. Etwas stimmte nicht. Das Piep-piep des Parksensors schreckte Waldmeyer aus seinem singulären Brainstorming auf. Er blieb noch kurz in seinem schweren Achtzylinder sitzen und genoss den Mikrokosmos in Ruhe und Sicherheit, atmete nochmals den Duft des Sitzleders ein und begab sich dann zum Lift.

„Schön, dass Sie wieder mal bei einer Aussendienst-Sitzung reinschauen“, empfing ihn Hartmann. Waldmeyers Blick erstarrte. „Aussendienst …?“

Nach einer kurzen Erholungsphase nahm Waldmeyer seinen CEO zur Seite: „Hartmann, Sie sollten die Aussendienstsitzung auf den Dienstag verlegen. Oder noch besser: überraschend einberufen. Keine Regelmässigkeiten. Und auf keinen Fall am Montag. Aber das ist natürlich Ihre Entscheidung.“ Hartmann murmelte noch etwas im Sinne von „es geht doch heute um Artificial Intelligence im Aussendienst.“ Aber Waldmeyer verstand Hartmann nicht, und Hartmann verstand Waldmeyer nicht. 

Selbstredend fand die nächste Aussendienstsitzung wieder am Montag statt. Waldmeyer seilte sich elegant von einer künftigen Enttäuschung ab, indem er beschloss, nie mehr am Montag in den Büros reinzuschauen.

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