Die Verteilung der Jobs für die Bundesräte entzieht sich jeglicher Logik. Sieben unterschiedliche Departemente gilt es zu führen. Das Mysterium beginnt bereits bei der Nominierung. Dabei ist nur eines klar: Ausbildung und Fachkompetenz sind irrelevant. Waldmeyer möchte alles ändern.
Ein Vorbild für Ämterverteilungen mag Merkels Regentschaft sein: Sie schaffte es, jede und jeden ihrer Ministerinnen und Minister an einem Ort zu platzieren, an dem diese bestenfalls versagten, wenn nicht zumindest mundtot gemacht werden konnten. Die Zuteilung erfolgte streng nach dem Prinzip, wonach alle Politiker sachfremde Gebiete erhielten. Sie mussten sich alle also erst einmal mühsam einarbeiten, um dann allerdings nie zu Hochform auflaufen zu können. Die fremde Materie musste ihnen aufgrund ihrer Ausbildung oder bisherigen Laufbahn immer spanisch vorkommen. Die Entourage von Mutti blieb so nachhaltig schwach, und niemand gefährdete ihre Macht.
Der neue Bundeskanzler Scholz, selbst hoch-gemerkelt, übernahm dieses Prinzip. Als Verwaltungsjurist war und ist er z.B. bar jedes ökonomischen Verständnisses, und insbesondere Charisma und Führungsqualitäten gehen ihm komplett ab. Seine neue Truppe besteht nun, so Waldmeyers objektiver Eindruck, aus einer Gruppe von Handarbeitslehrerinnen. Die Verteidigungsministerin beispielsweise, Christine Lamprecht, hatte sich bislang noch nie mit Aussenpolitik oder Verteidigungsfragen abgegeben. Dass sie ein Sturmgewehr nicht in 90 Sekunden zerlegen und wieder zusammensetzen kann, könnte man ihr noch durchgehen lassen. Aber dass ihr Geopolitik, Militärstrategien oder Kenntnisse betreffend Bedrohungslagen oder Waffensystemen komplett fremd sind, ist doch eher peinlich. Auch ohne Putins 24. Februar war sie bereits hoffnungslos überfordert, heute erst recht.
Aber zurück in die Schweiz. Waldmeyer und Charlotte sassen vor dem Kaminfeuer, nippten an einem Glas, und jeder machte sein Ding. Charlotte verlor sich in einer spannenden Lektüre über vertikale Begrünungskonzepte von Hochhäusern in Bangkok, Waldmeyer indessen analysierte weiter das Führungskonzept unserer Nation.
Max Waldmeyer stellte fest: Parteien geben also vor, wer als Bundesrat in Frage kommt. Dass wir nun die nette Mama aus dem Jura als neue Bundesrätin haben, ist einzig das Produkt von verquerer Parteipolitik mit strategischem Postenschacher. Madame Elisabeth Baume-Schneider machte das Rennen letztlich dank ihren Schwarznasen-Schafen. Waldmeyer erinnerte sich an das Gleichnis mit dem Flügelschlag des Schmetterlings: Ein winziger Schlag, eine kleine Entscheidung oder nur eine zufällige Wirkung kann die Richtung in die Zukunft entscheidend beeinflussen. Die strategisch brillante Entscheidung Elisabeths, vor Jahren schon, sich ein paar herzige Schwarznasenschafe zuzulegen, führte sie nun in die Position der Chefin des Justizdepartementes. Nicht ihre Entscheidung, im Nachbarkanton Geschichte zu studieren oder nachher als Sozialarbeiterin zu arbeiten, beförderten sie in die finale Ausgangsposition zur Bundesrätin, sondern einzig diese Tierli-Anschaffung. Teile der SVP sahen bei ihrer Stimmabgabe zugunsten der einstigen Marxistin (mit relativ unbedarften Wirtschaftskenntnissen, allerdings durchaus sympathisch) wohl weniger Gefahr aufziehen als mit der konkurrierenden und profilierteren Kollegin aus Basel (welche allerdings den Charme einer ungeheizten Kathedrale versprüht). Es waren ein paar wenige Bauernvertreter – sie lassen sich an einer Hand abzählen -, welche, dank den Schwarznasen, plötzlich Sympathie für die Bauerntochter aus dem vergessenen Les Breuleux entwickelten und ihr die ausschlaggebenden Stimmen gaben. Ja, so funktioniert der Flügelschlag des Schmetterlings: Les Breuleux – Schwarznasen – Bundesrätin – Chefin eines Departement-Komplexes mit ein paar Tausend Köpfen und einem Milliarden-Budget.
In der Schweiz wird nicht vor, sondern erst nach den Bundesratswahlen überlegt, was die gewählten Leute anschliessend tun sollen. Dieser alte Zopf stammt aus dem 19. Jahrhundert, als Spezialwissen und Fachkompetenz noch weniger gefragt waren, es ging damals eher um Führungsqualität und Vertretung von Bevölkerung und Ständen.
Waldmeyer vergleicht dieses wenig kluge Ämterroulette mit der absurden Idee, in seiner Firma erst einmal nette Leute einzustellen, welche auch den bisherigen Mitarbeitern gefallen, und anschliessend dann erst Überlegungen anzustellen, was diese im Betrieb nun tun könnten. Dies im Sinne von: „Elisabeth, du übernimmst ab dem 1. Januar übrigens die Rechtsabteilung – leider blieb nichts anderes frei, die anderen Mitarbeiter sind schon länger hier und haben bereits ausgewählt, weisst du.“
Die Verteilung der Departemente des Bundesrates gemahnt tatsächlich an eine Festlegung der Tischordnung unter Freunden: Irgendwie gibt es stets eine Lösung, wenn sie auch immer suboptimal bleibt. Die Qualifikation spielt bei der Zuordnung der Büez keine Rolle. Es geht nicht um Sachkompetenz, sondern um Präferenzen. Die Amtsältesten haben Vorrang bei der Auswahl. Wie bei einer Tischordnung eben, wo man den Senioren konzilianterweise den Vortritt lässt.
Als Ergebnis sieht es in Helvetien nun wie folgt aus:
Alain Berset, mit etwas schmaler Ausbildung in Politik in Neuenburg, darf sich nun weiter um Gesundheitsfragen kümmern. Sein Talent als Zögerer, Lavierer und Kommunikator darf er immerhin weiter einsetzen.
Karin Keller-Suter, ausgebildete Dolmetscherin, wird sich jetzt im Finanzdepartement um komplexe Budgets, Finanzierungen und Inflationsbekämpfung kümmern, auch um ziemlich anspruchsvolle Vorgänge in Sachen Geldmenge und Kryptowährungen.
Ignazio, der nette Onkologe aus dem Tessin, darf sich nicht, der Logik gehorchend, als ausgebildeter Mediziner um Gesundheitsfragen im Departement des Innern kümmern. Nein, er wird weiter Aussenpolitik auf dem internationalen Parkett betreiben und hunderte von Diplomaten koordinieren. Ignazio stellt auch Pässe aus.
Guy Parmelin, ausgebildeter Landwirt und Winzer, macht weiter, relativ ungestört, in seinem Wirtschaftsdepartement. Er koordiniert auch, eher unbemerkt, intellektuelle Sachen, so die Bildungspolitik.
Frau Amherd, einzige Juristin im Bundesrat, sollte folgerichtig das Justizdepartement führen. Sie wird sich indessen weiter im Verteidigungsdepartement profilieren und kümmert sich dort um Fliegerbeschaffungen oder Cybersicherheit. Sie macht auch Truppenbesuche. Aber auch sie hat, leider, wie ihre Kollegin in der Bundesrepublik, nie in der Armee gedient. Sie arbeitet sich nun auch im vierten Jahr in diese fremde Materie ein.
Albert Rösti, der Mann mit dem Sonntagsgesicht aus dem Bernbiet, immerhin ausgebildeter Agronom, Autolobbyist und einst (wenn auch gescheiterter) Chef des Milchverbandes, installiert demnächst Solarpanels in den Alpen und stellt so sicher, dass wir immer genügend Strom haben.
Für die rührige Sozialarbeiterin aus dem Jura blieb bei der Verteilung nur das Justizdepartement. In ein paar Jahren, wenn sie Lust auf etwas anderes hat, darf sie vielleicht auch einmal auswählen.
Charlotte meinte, das spiele doch eh alles keine Rolle. Ronald Reagan sei auch nur Schauspieler gewesen. Politische Führer seien nur Chefs und würden sich dann schon mit gescheiten Beratern und Untergebenen umgeben. Es zähle der Mensch. „Sei doch ein bisschen nachsichtig, Max, das sind alles korrekte Leute. Und: Es passiert eh nichts.“
Stimmt. Aber das System ist so nicht effizient, meint Waldmeyer. Sein Fazit: Jeder im Bundesrat ist nun dort angekommen, wo er bestenfalls mittelmässige Resultate abliefern kann. Allen Mitgliedern fehlt die Sachkompetenz. In der Wirtschaft wären solche Branchenwechsel, wie sie Bundesräte vornehmen, undenkbar. Da werden keine Winzer als CEO einer grossen Firmengruppe angestellt, keine Sozialarbeiterinnen als Chefin einer grossen Rechtsanwaltskanzlei. Kein Onkologe würde es zum Chef einer weltumspannenden PR-Firma bringen, und keine Dolmetscherin könnte sich je in die Position eines Konzern-CFO hieven. Aber es war schon immer so. Wir hatten auch schon eine Konzertpianistin (Simonetta Sommaruga) oder einen Heizungsmonteur (Willi Ritschard).
Waldmeyer staunt umso mehr, wenn er entdeckt, wie das in anderen Staaten so abläuft – z.B. in Singapur. Als Finanzminister sucht man dort den besten CFO aus der Wirtschaft, und der Premierminister ist eigentlich der CEO des Staates. Er ist der Chef. Bei uns gibt es ja keinen richtigen Chef im Bundesrat. Nur einen primus inter pares – und dies im Jahresturnus. „Charlotte, stell dir eine Firma vor, in der jedes Jahr ein anderer der Chef ist. Es würden alle Abteilungsleiter turnusmässig zum Handkuss kommen, ungeachtet ihrer Herkunft, des Leistungsausweises, der Kenntnisse oder der Führungsqualitäten. Dieser verblendete Selbstverwaltungsmist hat doch keine Zukunft. Einer muss einfach der Chef sein!“
Charlotte blickte kurz von ihrer Lektüre auf: „Und wer soll denn der Chef sein bei uns, unser längerfristiger Bundespräsident, dein CEO der Schweiz?“
Waldmeyer nippte kurz an seinem Cognac und stellte lakonisch fest: „Das müsste dann wohl ich machen.“