Waldmeyer: „Hilfe, ich bin binär!“

Waldmeyer wird von Andrea Sommer interviewt

Waldmeyer fühlt sich zunehmend isoliert: Gendermässig bezeichnet er sich als „normal“, also binär. Zudem ist er nicht schwarz, kein Vegetarier, auch nicht jüdisch. Das ist heute alles andere als trendy. Andrea Sommer interviewt Max Waldmeyer und entdeckt, welche Strategie er sich zurechtgelegt hat. 

Andrea Sommer (AS): Max Waldmeyer, Sie beklagen sich, dass sie nur binär sind. Sie provozieren wieder einmal. Es ist doch heute ganz normal, dass man sich genderkonform verhält.

Max Waldmeyer (WM): Einverstanden – diesbezüglich braucht es Toleranz. Soll doch jeder so sein, wie er will. Und sich auch so verhalten können. Aber die westliche europäische Welt macht jetzt eine Religion aus dem Genderdasein. 

Wissen Sie, wie viele Geschlechter es gibt? Da gibt es nicht nur LGBTQ+, also die üblichen Abweichungen mit lesbian, gay, bi, trans, queer, etc. Laut Facebook gibt es noch ganz feine Varianten dazwischen. Insgesamt sind es rund 60. 

AS: Stört Sie das?

WM: Überhaupt nicht. Soll sich doch jeder was aussuchen. Die Frage ist nur: Wieso braucht es denn überhaupt noch Geschlechterzuweisungen? Ich würde die Geschlechter kurzum aufheben. Es braucht nur noch „Mensch“.

Es soll ja LehrerInnen (Lehrer*innen?) geben, die möchten, weil „divers“, nicht als Herr oder Frau Sonderegger angesprochen werden, sondern als „Mensch Sonderegger“. Man könnte das Herr oder Frau einfach weglassen: Sonderegger. Ausserdem sind doch die Schüler heute mit den Lehrern eh per du. Blöd natürlich, wenn der Vorname eindeutig geschlechtsspezifisch konnotiert ist, also beispielsweise „Ludmilla“ oder „Amir“. Für eine diverse Person eventuell schwierig. Mit „Andrea“ beispielsweise würde man auf der sicheren Seite liegen. Aber dazu kommen wir vielleicht später noch.

AS: Was sagen sie zu der erhöhten Nachfrage nach VR-Frauen? Das ist doch eine gute Entwicklung!

WM: Sicher. Aber auch eine neue Diskriminierung. Denn nur ein neuer Geschlechtereintrag könnte in meinem Fall zu einer erhöhten Chance führen, in den VR einer börsenkotierten Firma gewählt zu werden. Und bei der SP ist es künftig deplatziert, männlich zu sein.

AS: Es wird so oder so die Zeit kommen, da müssen quotenmässig alle Gendervarianten fair berücksichtigt werden. In der Wirtschaft, der Politik, überall.

WM: Der Zürcher Stadtrat macht es doch vor: Von den zehn Mitgliedern fallen immerhin deren vier aus der Norm. Allerdings sind sie, meines Wissens, nur homosexuell. Die feinen Varianten dazwischen werden m.E. ungenügend berücksichtigt. Der Bundesrat ist noch viel schlimmer aufgestellt: Die sind, zumindest gegen aussen, alle „normal“. Immerhin sind zurzeit noch ganz verschiedene Berufe vertreten: Klavierspielerinnen, Winzer, Buchhalter, Onkologen, etc. Andererseits bleiben viele Berufe unberücksichtigt. Wo sind beispielsweise Metzger oder Synchronschwimmerinnen? Wo sind die Baumeister? Mal schauen, ob der Bundesrat künftig ein bisschen diverser wird.

AS: Sie provozieren wieder, Herr Waldmeyer. Es geht doch darum, dass wir in unseren Gremien einfach diese multiplen Eigenschaften der Bevölkerung besser abbilden. Da gehören auch mal Minderheiten dazu.

WM: Stimmt. Auch die Religionen sollten wir besser abdecken. Immerhin scheint es im Bundesrat noch eine jüdische Person zu geben. Aber wo sind echte andere Ethnien? Zumindest müssten wir die verschiedenen Geschlechter besser mit Berufen, Religionen und Hautfarben kombinieren. Ich wünschte mir im Bundesrat also, nur beispielsweise, eine muslemische, schwarze Baumeisterin. Und sie müsste queer sein. Dann noch einen homosexuellen, buddhistischen, asiatischen Harfenspieler – aber mit dem Parteibuch der SVP, zum Beispiel.

AS: Aber Sie sind einverstanden, dass es doch einige Zwischenformen zwischen Mann und Frau gibt und dass deren Rechte besser geschützt werden sollten?

WM: Was ist der Unterschied zwischen Mann und Frau, wenn es so viele Zwischenformen gibt? Der einzige Unterschied zum Mainstream, der bleibt, sind Frauen, die Kinder kriegen. Eine Spezies „Mensch“ könnte künftig die einzige sein, die sich von dem kleineren Rest der Menschen unterscheidet, die Kinder kriegt. Wohl verstanden, nicht von den Frauen, die Kinder haben möchten, sondern Menschen, die auch tatsächlich Kinder kriegen. Hier könnte der Staat eine Ausnahme machen und sich ein bisschen mehr um diese wertvolle Sorte Mensch kümmern. Es gäbe dann nur noch „Menschen“ und Menschen mit selbst geborenen Kindern, „Menschen plus“ quasi. Für letztere gäbe es einen Deal mit dem Staat. Es ginge dann um Kinderbetreuung, Erziehungsgutschriften, etc. Der Staat müsste die Familie eh noch ganz ersetzen, denn es wird dann nicht mehr ein Setup mit Männern und Frau geben, sondern nur noch Konstrukte, die alle irgendwo dazwischen – mit 60 Ausprägungen – floaten.

AS: Ein neues Konzept. Und was wäre mit der Wehrpflicht?

WM: Eigentlich sollten – da es keine Geschlechtertrennungen mehr gibt – alle „Menschen“ Armeedienst leisten. Ausser, sie sind schwanger und haben Kleinkinder. Dann erfolgt eine Dispensation, unabhängig vom Geschlecht. Die Regel würde dann so lauten: „Für Menschen, die Kinder kriegen oder eigen-geborene Kinder bis acht Jahre betreuen, wird die Armeepflicht ausgesetzt.“ Das wäre gendergerecht.

Bleibt immer noch das Problem mit den Toiletten. Auch mit den Gefängnissen. Darf man dorthin gehen, wo man gefühlsmässig hingehört?

AS: Toiletten müssen künftig gendermässig für alle vorhanden sein, klar. Also braucht es für Männer, Frauen und Diverse getrennte Einrichtungen. Zürich macht das nun vorbildlich vor. Bei den Gefängnissen sollte das eben auch so gehandhabt werden.

WM: Also müssen die Wirtschaft und die öffentlichen Institutionen mehr Toiletten bauen. Und der Staat muss einen Transen-Knast zur Verfügung stellen?

Das Problem scheint mir tatsächlich nicht gelöst zu sein. Wenn ich mich als Mann fühle, aber eine Frau bin, werde ich Probleme mit den Pissoirs in der Männertoilette haben. Oder als fraugefühlter Mann werde ich mich unbeliebt machen auf der Damentoilette. Andererseits: Sollte ich nun – als non-binärer Mann (weil ich mich eher weiblich fühle) – ins Gefängnis müssen, könnte ich Hindelbank wählen, das Frauengefängnis. Das wäre vielleicht eh attraktiver, da kann man allerlei Kochkurse belegen und etwas im Garten arbeiten.

AS: Ja, noch ist nicht alles gelöst. Die Gesellschaft muss indessen schon auf eine generelle Gleichstellung für alle hinarbeiten.

WM: Andrea, würden Sie sich auch als non-binär bezeichnen?

AS: Also bitte, das ist Privatsache. 

WM: Tut mir leid, ich wollte nur keine Fehler begehen mit meinem Verhalten. Ihr Vorname ist ja non-binär. Ihre Eltern handelten also schon sehr umsichtig, denn Andrea kann sowohl männlich als auch weiblich sein.

AS: Schauen Sie, es gibt eben Menschen, die irgendwo dazwischenstehen. Es geht letztlich um Selbstfindung. Aber eigentlich wollte ich Sie interviewen.

WM: Ja, einverstanden. Aber was machen wir jetzt bei der AHV? Die kennt nur Männer oder Frauen. Und die Männer sind diskriminiert, Frauen kriegen die AHV zurzeit mit 64. Wo ist hier die Gleichstellung? Und: Was ist mit den Menschen, die divers sind – oder sich divers fühlen? Wann kriegen sie die AHV?

AS: Ich weiss es offen gestanden nicht. Sagen Sie es mir!

WM: Ich weiss es auch nicht. Aber Sie bringen mich auf eine Idee: Vielleicht überdenke ich die Sache doch noch mit meiner eigenen Geschlechterwahl. Ich fühle mich nämlich seit einiger Zeit ein bisschen als Frau. Wenn ich jetzt kurz zum Zivilstandsamt gehe und für 45 Franken mein Geschlecht ändere: Erhalte ich dann die AHV früher …?

AS: Mensch Waldmeyer, danke für das Interview.

Waldmeyer möchte in die G20

Die wichtigsten Industrieländer der Welt bilden diesen Club der G20. Nur die Schweiz ist nicht dabei. Auch nicht demnächst auf Bali, nicht mal als Gaststaat (Kambodscha schon, auch Ruanda). Das ist ungerecht, findet Waldmeyer. Aber er findet einen Ausweg.

Zum Club der G20 gehören die wichtigsten Industrieländer der Welt. Ihre Bedeutung misst sich an ihrem gewichtigen BIP. Die USA liegen hier ziemlich weit vorne, gefolgt von China. Aber auch Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien gehören zu dieser exquisiten Gruppe.

Die Schweiz, obwohl einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt, ist leider nicht vertreten. Entweder wurden wir nie angefragt, oder wir haben uns nie um eine Mitgliedschaft bemüht. Waldmeyer vermutet letzteres. Manchmal dürfen wir als Gast zu einer Sitzung kommen; Voraussetzung ist jeweils eine Einladung durch einen befreundeten Staat. Saudi-Arabien hatte sich kürzlich Helvetiens erbarmt und nahm das vergessene kleine Land zum Gipfel nach Riad mit. Das war sehr grosszügig. Nach Bali darf die Schweiz nun aber nicht.

Es ist nun einmal das Schicksal des kleinen Landes, dass wir uns eher als vorsichtiger blinder Passagier in der Geopolitik sehen als gestalterisch mitzuwirken. Also fühlte sich Simonetta Sommaruga anlässlich des Gipfels, damals in Riad, als einfacher Gast – und nicht als Mitglied – vermutlich ganz wohl.  

„Immerhin dürfen wir jetzt im UN-Sicherheitsrat ein bisschen mitmachen“, vermerkte Charlotte. „Stimmt, aber G20 wäre wichtiger“, entgegnete Waldmeyer.

Was Waldmeyer wundert: Warum sind andere Länder Clubmitglieder, welche ein tieferes BIP aufweisen? Tatsächlich haben vier Länder der G20 ein kleineres Bruttoinlandprodukt, immer in USD gemessen, als die Schweiz. Argentinien, Saudi-Arabien, Südafrika und neu auch die Türkei weisen ein bescheideneres BIP als die Schweiz auf und sind trotzdem vollwertige Mitglieder der G20. Eigentlich wären wir auf Rang 16 der G20 – und damit dabei.

Noch etwas hat Waldmeyer entdeckt: Auch Malta ist mit von der Partie (als EU-Staat nämlich), dabei produziert dieser Zwergstaat nur einen Wirtschafts-Output in der Grösse des Kantons Graubünden. Ob die Bündner Regierung sich dessen bewusst ist?

Malta hat also immerhin eine indirekte Mitgliedschaft. Die EU belegt nämlich einen eigenen Sitz in der G20. Waldmeyer zählte nach: Tatsächlich hat die G20 nur 19 Mitglieder (plus die EU eben), womit Deutschland, Frankreich und Italien eigentlich doppelt vertreten sind. Auch das ist ungerecht, stellt Waldmeyer fest. Und weil Malta, Luxemburg, Zypern, die baltischen und andere Kleinstaaten in der EU sind, konnten sich diese auch in die G20 reinschleichen. Ausser die Schweiz natürlich. Malta weist übrigens ein BIP auf, welches 50-mal kleiner ist als jenes der Schweiz. 

Dass die EU einen eigenen Platz belegt, ist völlig unnötig, findet Waldmeyer. Auch der IMF, die Weltbank und ähnliche Gremien haben so etwas wie eine ständige Clubmitgliedschaft, ohne mitgezählt zu werden. Die EU bräuchte keinen eigenen Sitz, und damit wäre der 20. Platz wieder frei!

Aber vielleicht will unser Bundesrat das gar nicht. Sitze in solchen Gremien führen immer zu einer gewissen Exponierung, und eine Exponierung ist immer uneidgenössisch. In solchen Clubs muss abgestimmt werden, Positionen werden bezogen. Solche Handlungen könnten delikat sein; vermutlich würden sich unsere Vertreter bei Abstimmungen am liebsten enthalten. Das mag wohl der Grund sein, warum wir diese Clubmitgliedschaft lieber gar nicht erst beantragen.

Waldmeyer sieht jedoch einen Ausweg: Wir könnten die Region Zürich schicken! Allein der Kanton Zürich weist ein stolzes BIP von rund 170 Mia USD auf, die Grossregion über 300 Mia. Das würde für den 20. Platz locker reichen. Vielleicht sogar für den 19. Platz, da wir eventuell Südafrika verdrängen könnten (301 Mia USD). Wir könnten so das 20-fache BIP Maltas in die Waagschale werfen. Waldmeyer überlegt sich, wie er seine brillante Idee einbringen könnte.

Aber er wurde jäh gestoppt in seinem Vorhaben: Charlotte erinnerte ihn daran, dass Iran noch vorher drankäme. Iran hat nämlich ein BIP, das fast doppelt so hoch ist wie jenes der Schweiz. Iran wurde offenbar glatt vergessen bei der Formierung der G-20 – oder bewusst aussen vorgelassen. „Diese irren Gotteskrieger?“, meinte der verblüffte Waldmeyer, „das geht ja gar nicht!“. Seine Argumentation in Sachen Schweizer Mitgliedschaft scheint sich somit, leider, in Luft aufgelöst zu haben.

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