Fährt Waldmeyer 2035 elektrisch?

2035 ist bald. In der EU sollen dann nur noch CO2-freie Fahrzeuge verkauft werden. In der Schweiz wohl auch, denn wir tun immer das, was die EU tut, nur freiwillig, ohne dabei zu sein. Waldmeyer bleiben nur wenige Optionen.

Das mit dem Verbot von Verbrennerfahrzeugen ist beschlossene Sache: Ab 2035 dürfen in der EU nur noch CO2-freie Fahrzeuge verkauft werden. Gemessen wird am Auspuff. Es spielt also keine Rolle wie die (elektrische) Energie produziert wird. Mehr als fraglich ist zudem, ob überhaupt in genügender Menge Strom zur Verfügung stehen wird und wie dieser ins Auto reinkommt. So rettet Brüssel die Welt. Und die Schweiz wird mitmachen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Damit wird ein technologisch umweltfreundliches Gesamtkonzept verhindert.

Und was macht der Rest der Welt? In der Tat steht Europa alleine da. Der Rest der Welt entwickelt die Verbrennungsmotoren nämlich immer weiter – mit dem Ziel, deren Effizienz zu verbessern und die Umweltbelastung zu reduzieren. 

Europa wird 2040 also die Umweltbelastung immer noch am Auspuff messen (welchen es dann gar nicht mehr gibt), die Fahrzeuge aber vermutlich immer noch mit teilweise dreckiger Energie tanken. Immerhin entsteht so, zumindest gefühlt, eine saubere Luftsäule, genau bis an die Aussengrenzen Europas.

Allerdings stellt der Automobilmarkt Europas nur gut 20% des weltweiten Marktes dar. Der Rest der Welt wird auch nach 2035 „technologieoffen“ bleiben. China wird demnächst für mehr als einen Drittel des weltweiten Absatzmarktes verantwortlich sein, und das grosse Reich der Mitte entwickelt laufend immer effizientere und sauberere Verbrennerfahrzeuge. Intelligenterweise erfolgen diese Technologieanstrengungen parallel zur Elektro-Offensive. In Europa wird die Automobilindustrie angesichts der Vorschriften kaum mehr in die Forschung und Entwicklung von Verbrennern investieren. Die Chinesen werden uns also links überholen.

Waldmeyer stellte sich vor, wie es in unseren Städten ab 2035 aussehen könnte. Die Energiekrise wird dannzumal mit voller Wucht unser Leben erfasst haben. Gas gibt´s nur beschränkt, Atomkraft ist verboten, Diesel und Benzin sauteuer. Blackouts sind an der Tagesordnung. Nachdem die Politik den ganzen Energiebedarf der Haushalte, der Industrie und des Verkehrs auf Elektrisch umgestellt hatte, gleichzeitig es aber an der Versorgung mit dieser Elektrizität mangelt, wird es schlicht und einfach an Strom fehlen. Der Ausbau der Stauseen und die Erstellung von Pumpspeicherkraftwerken wird die Schweiz verpasst haben, und eine anderweitige Speicherung des Stroms, welcher z.B. der Sonne abgetrotzt wird, wird noch kaum flächendeckend möglich sein. In der Nacht und im Winter wird´s also düster – und kalt. Waldmeyer stellte sich vor, wie abends in den Strassen der Städte Abfälle in alten Öltonnen brennen, und nicht nur die Randständigen, sondern auch der Mittelstand wärmt sich um die spärlichen Feuer. Die Leute stehlen einander Brennstoff, um heimlich irgendeinen Generator laufen zu lassen, nur schon, um vielleicht ihr Handy aufladen zu können. Brandschatzende Horden ziehen durch die Strassen und klauen alles, was mit Energie zusammenhängt. Nur die Gutsituierten können sich etwas besser organisieren: In den Gyms treten sie fleissig in die Pedale, um mit dem so erzeugten Strom Energie-Zertifikate zu erwerben. Damit kann anschliessend z.B. ein elektrifiziertes Lastenrad aufgeladen werden. Waldmeyer stellte sich weiter vor, dass er ein solches Ungetüm dann wohl oder übel auch ohne Elektrounterstützung betreiben müsste – zumal er nicht gerne ins Gym geht.

„Du übertreibst wieder einmal masslos mit deinen Visionen, Max“, unterbrach Charlotte Waldmeyers laut artikulierte Reflexionen.

Aber Waldmeyer reflektierte weiter. Ein Lastenrad ist nämlich eine Strafe: für den Betreiber, die anderen Verkehrsteilnehmer, aber auch für den Beobachter. Denn optisch ist ein Lastenrad wirklich sehr hässlich. Zudem ist es gefährlich, das Ding lässt sich kaum richtig abbremsen, und um die Kurve geht´s auch nur mühsam. Ein Lastenrad versprüht zudem diese invasive Aura von zwanghaftem Grün-Sein, es ist ein politisch starkes Signal. Das mag bisweilen gewollt sein, ist auf jeden Fall aber ein Etikett. Waldmeyer fürchtete sich ganz einfach davor, längerfristig nicht darum herumzukommen.

Waldmeyer prüfte also die Angebote an Lastenrädern: Die peinlichen Gefährte, in Versionen ohne Elektrounterstützung, gibt es bereits ab gut CHF 2´000. Gegen oben ist die Skala offen. Ein „Load 75“ beispielsweise, ein wahres Flaggschiff unter den Lastenrädern, kostet gut und gerne mal CHF 10´000. Waldmeyer war indessen nicht schockiert, denn er wusste, dass in den Schweizer Städten allerlei Bestrebungen von linken und grünen Parteien im Gange sind, diese „Cargo-Bikes“ mit mehreren Tausend Franken (oder bis zu einem Drittel des Anschaffungspreises) zu subventionieren.

Bis vor kurzem war man beim Anblick dieser fahrenden Gestelle noch amused. Im Laufe der Zeit kippte die Aussenwirkung dieser unpraktischen Fahrzeuge indessen und sie wurde zur Provokation. Denn die LastenräderfahrerInnen strahlen immer so eine elitäre Überlegenheit aus, sie versprühen diese Arroganz der WeltenretterInnen. 2035, so befürchtet Waldmeyer, hätte man sich an diese lächerlichen Verkehrsmittel, die sich insbesondere bei Schnee und Regen und an Steigungen nicht als Verkehrshilfen, sondern als Verkehrshandicap profilieren, leider gewöhnt. 

Waldmeyer hoffte indessen, dass dannzumal, nebst Lastenrädern, auch technologisch hoch entwickelte und ökologisch optimierte Verbrenner-Autos, wenn auch aus China, wieder verkauft werden dürften. Vielleicht werden einsichtige Politiker bei uns erkennen, dass die Gesamtbelastung dieser modernen Fahrzeuge immer noch besser ist als elektrische Dreckschleudern mit Energie aus schmutzigen deutschen oder polnischen fossilen Kraftwerken.

Wie dem auch sei: 2035 wird es definitiv an Strom fehlen.  

Doch es gibt einen Lichtblick: Der mit Diesel betriebene Schwerverkehr wird auch nach 2035 noch kaum elektrisch fahren können. Das hängt mit den mangelnden Reichweiten der Batterien für die schweren Brummer zusammen, auch weil der Fernverkehr eben international stattfindet und die Elektroversorgung und ein rasches Aufladen für hohe Kapazitäten bis dann noch nicht möglich sein dürfte. Auch die viel diskutierten Wasserstoff-Lösungen werden 2035 noch nicht in Marktreife verfügbar sein. Also könnte es noch Diesel geben auf dem Markt!

Ein Teil des alten privaten Fahrzeugbestandes wird ohnehin auch nach 2035 noch weiter rollen; Benzin wird es nach ein paar Jahren allerdings vielleicht nur noch in der Apotheke geben. Bertha Benz musste sich wohl mit einer ähnlichen Versorgungslage auseinandersetzen, als sie 1888 das welterste Automobil über die staubigen Strassen Deutschlands prügelte.

Waldmeyer müsste infolgedessen entscheiden: Was sollte er sich anschaffen, das auch nach 2035 noch nachhaltig betrieben werden könnte? Waldmeyer hätte eigentlich nur drei Optionen:

Einerseits ein Lastenrad, andererseits eine moderne Dieselkarre (noch vor dem 31.12.2034 gekauft). Oder, aber eben erst später und nur vielleicht, ein modernes chinesisches Verbrenner-Auto. Am sichersten wäre indessen wohl das Lastenrad. Also doch. Und um Waldmeyers eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob er 2035 elektrisch fahren würde: Waldmeyer hofft, zumindest teilweise, oder wenigstens ab und zu, ja, etwas elektrisch fahren zu dürfen – wenn sein Lastenrad ein bisschen aufgeladen werden dürfte. Ansonsten würde die Antwort lauten: Nein, er wird 2035 zwar ein Lastenrad fahren, aber dieses nicht elektrisch, sondern nur mit Muskelkraft bewegen. Das sind ziemlich trübe Aussichten – vor allem, nachdem Waldmeyer kurz nachgerechnet hatte, wie alt er sein würde im Jahr 2035.

Waldmeyer und die kulturelle Aneignung

Eigentlich hatte sich Waldmeyer vorgenommen, sich nicht auch noch in die Dreadlock-Affäre einzumischen und Fragen der kulturellen Aneignung zu stellen. Aber das ganze Thema ist einfach zu absurd, zu schön und zu verlockend, um es links liegen zu lassen.

Die Vorgeschichte ist uns sattsam bekannt: Lokale in Bern und Zürich veranstalten Konzerte mit weissen Reggae-Musikern, welche – wie entsetzlich – Dreadlocks tragen. Gäste fühlen sich ob dieser infamen kulturellen Aneignung „unwohl“, und die Musiker werden ausgeladen. Internationale Medien liessen es sich nicht nehmen, das absurde Thema aufzugreifen. Fortsetzung folgt.

Seltsam auch, dass gerade solche Lokale sich aus dem Kulturtopf staatlicher Subventionen bedienen, grosszügig alimentiert durch grüne und linke Exekutivpolitiker. Und ob all der tatsächlichen Probleme, wie Energiesicherung, Klimaveränderung oder Krieg in Europa kommen nun nicht nur staatstragende Fragen wie die umsichtige und 15 Jahre dauernde Auswahl eines neuen Kampfjets hinzu. Nein, jetzt geht es ans Eingemachte, nämlich generell um die wichtige soziokulturelle Frage, was wir künftig dürfen und was nicht.

Waldmeyer fragte sich, in einem lichten Moment, abends bei einem Glass Cognac, was denn reine Kultur ist. In Anlehnung an Nietzsche fast überlegte er, was wir denn kulturell durchgehen lassen sollten und was nicht. Natürlich gilt es, unsere eigene Kultur nicht zu fest zu durchmischen. Doch wenn die Kultur manchmal etwas arm ist, wie rein sollte sie denn wirklich bleiben? Heute ist es offenbar ein Gebot der Stunde, die Beimengung von additiver Kultur in homöapathisch richtigen Quantitäten – und ebenso rein – zu vollziehen. 

Vielleicht geht es ja nur um die kulturelle Selbstfindung von ein paar irrlichternden Aussenseitern? Waldmeyer nahm sich vor, bei einem weiteren Glass Cognac, das mal richtig durchzudenken.

Zum Beispiel: Würde es das Schweizer Kulturverständnis erlauben, mit Indianer-Schmuck die Zürcher Bahnhostrasse rauf- und runterzugehen? Waldmeyer meint: Ja, das sollte durchgehen. 

Dürfen wir Schweizer, mangels eigener bescheidener historischer Gastronomiekultur, eine Pizza essen? Champagner schlürfen? Oder an diesem Cognac nippen? Ja, das dürfen wir. Wo kämen wir denn sonst hin. Waldmeyer schenkte sich gleich noch etwas nach.

Aber darf man einen Bronzebuddha aus dem Thailandurlaub mitbringen? Und zuhause ins Buffet stellen? Nun, das geht durchaus. Aber wenn man es öffentlich tut, den Buddha auf die Bahnhofstrasse stellt und sich im Lotussitz davorsetzt und „Ohm“ brummelt? Grenzwertig. Es hängt wohl davon ab, ob bei Passanten dieses „Unwohlsein“ eintritt.

Darf man Yoga machen? Zuhause oder in geschlossenen Gebäuden: Ja, das geht.

Darf eine Simbabwerin beim Klavierspiel auf Mozart zurückgreifen? Aus europäischer Sicht ja. Aus lokaler afrikanischer Sicht eventuell nicht.

Durfte Hermann Hesse sich anmassen, „Siddharta“ zu schreiben? Oder erübrigt sich die delikate Frage, weil das Buch eh niemand verstand und somit keinen Schaden anrichtete?

Ist es vielleicht so, dass wir zurzeit kulturelle Vermischung mit kultureller Aneignung verwechseln? Aber wer verwechselt dies? Die linksalternativen Veranstalter der Reggae-Partys? Die Gäste? Oder nur die Medien?

Berechtigte Fragen häufen sich. Amerikanisches Junkfood zu konsumieren: Darf man? Ja, weil dieser Verzehr keinen kulturellen Vorgang darstellt, sondern Unkultur ist. Dann darf man. Man sollte vielleicht nicht – aber, weil es kein originärer “kultureller” Diebstahl ist, ist es (leider) erlaubt.

Damit kristallisierte sich für Waldmeyer bereits eine Lösung heraus: Vielleicht geht es um die Definition von „Kultur“? Wenn es „echte“ und wertvolle Kultur ist, darf man nicht, bei mangelnder Kultur darf man – zumindest aus einer soziokulturellen Perspektive. Nur: Sind Dreadlocks „wertvoll“, kulturell gesehen? Waldmeyer begriff indessen den Umstand, dass diese verfilzten Locken an sich nicht von kulturellem Belang sind, sondern nur eine Ausprägung der wertvollen jamaikanischen und erst noch schwarzen Reggaekultur. Und dann darf man offenbar nicht. Es scheint also darum zu gehen, diesen schmalen Grat zu erkennen, der die Kultur von der Nicht-Kultur trennt.

Waldmeyer fiel kürzlich auf, dass in Spanien Raclette-Käse verkauft wird. Raclette ist selbstredend ein Schweizer Kulturgut. Aber die Verkäufe sind ökonomisch wichtig, also wird dieser Export toleriert. Dass ein Spanier dann, am Ende der Lieferkette, ein Raclette verdrückt, muss hingenommen werden – ansonsten müsste man legal differenzieren zwischen Handel und Konsum, wie bei den Drogen. Oder beim Alkohol (da darf man unter 18 nicht kaufen, sich besaufen ist jedoch ok).

Deshalb das vernichtende Raclette-Fazit: Das mit dem schmalen Grat der Kulturdefinition führt leider auch nicht weiter. Der Beweis dafür, so fiel Waldmeyer jetzt erst auf, ist das Indianerkostüm: Ein Indianeroutfit kann sehr wohl eine wertvolle kulturelle Ausprägung sein, man denke nur an den schönen Federschmuck und an den kunstvoll geschnitzten Griff des Tomahawks. Also wäre das mit der Bahnhofstrasse trotz allem fragwürdig – weil kulturell. Jemand könnte sich „unwohl“ fühlen, z.B. gerade ein versprengter Juso, der sich im Quartier verirrt hat. 

Waldmeyer versuchte deshalb, ein weiteres Theorem zu formulieren: Wenn es keine Aneignung, sondern nur eine kulturelle Performance ist, könnte man vielleicht dürfen? Also wenn der Indianer auf der Bahnhofstrasse nur ein verkleideter Aargauer ist (mangels echtem Indianer) und er gleichzeitig noch eine Botschaft oder sonst etwas Kunstvolles produziert, so einen Regentanz, dann könnte man es doch durchgehen lassen! In der Filmindustrie sind ja auch allerlei lustige Verkleidungen erlaubt. Und genau hier unterscheidet sich eine solche Performance von Aneignung: Der weisse, Reggae spielende Dreadlockträger spielt nämlich keine Rolle. Er ist so und möchte so sein – eine durchaus ernste Angelegenheit. Dann wird, aus dieser reduzierten alternativen Perspektive eben, eine störende Aneignung vollzogen. 

Indessen muss der Grat, welcher das So-Tun und das So-Sein messerscharf trennt, genau erkannt werden: Das Blackening etwa, also das Schwärzen des Kopfes, müsste, als Performance, wohlüberlegt vorgenommen werden, um nicht missverstanden zu werden. Gerade in der Mohrenfrage verträgt es bekanntlich keinen Spass.

Vielleicht ist es so, reflektierte Waldmeyer weiter, dass man mangels eigener Kultur einfach etwas fremde beimischen muss, um überhaupt auf einen vernünftigen Kulturlevel zu kommen. Gerade wir Schweizer waren tatsächlich immer schon auf den Import von Kultur angewiesen. Einst ein einfaches Volk von Bauern und Söldnern, waren wir richtiggehend angewiesen auf kulturelle Aneignungen. Damit hatte Waldmeyer ein weiteres mögliches Theorem entdeckt: Bei eigenem Kulturmangel darf man durchaus!

„Charlotte, dürfte Serena Williams ihre langen schwarzen Haare blond färben?“, fragte Waldmeyer zu Charlotte rüber. „Das wäre natürlich auch eine kulturelle Aneignung“, überlegte Charlotte laut und messerscharf, „zumal sie eine öffentliche Person ist. Wenn man es ihr indessen verbieten würde, wäre es rassistisch.“ Jetzt fiel es Waldmeyer wie Schuppen von den Augen: Rassismus-Vergehen gelten offenbar nur für Weisse.

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