Waldmeyer und die Geldvernichtung

Waldmeyer zündete sich eine Zigarre an. Er tat es mit einer Ein-Dollar-Note. Ja, wie im Film. Er dachte dabei an Geldvernichtung und versuchte eigentlich nur, endlich ein Gespräch diesbezüglich mit Charlotte einzuleiten – über Inflation, Misswirtschaft und vorsätzliche Geldvernichtung.

Waldmeyer hustete leicht. Eigentlich war er Nichtraucher. Also legte er die angerauchte Cohiba wieder auf die Seite.

Er dachte an seine Tochter Lara. Sie studiert seit Jahren Kunst, in Basel. Auch das war Geldvernichtung – diese monatlichen Überweisungen waren zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber leider ohne sichtbares Ziel. Es war ein wirtschaftlicher Schuss in den Ofen, und dies zu allem noch in Waldmeyers eigener, aber offenbar nicht mehr kontrollierbaren, ganz persönlichen Mikroökonomie. Oder besser «Nanoökonomie». Ein «nanoökonomischer Gau», reflektierte Waldmeyer.

Waldmeyer ist ein bekennender «Rankaholic». Deshalb interessiert ihn auch Geldvernichtung in der Makroökonomie – und zwar im Rahmen der Fragestellung, welche Länder denn am besten und schnellsten Geld vernichten können. Meist hängt es zusammen mit der Vernichtung des Bruttoinlandproduktes: Wer fährt die Volkswirtschaft am schnellsten runter? Wer schafft es, rekordhohe Inflationsraten zu produzieren? Wer – meist gleichzeitig – schafft es, den Wert der Landeswährung raschmöglichst zu pulverisieren? 

Venezuela ist zwar das Land mit den grössten Erdölreserven der Welt, schaffte es aber, in rund zehn Jahren das BIP um 90% zu verringern. Heute fristet der kümmerliche Staat ein Entwicklungsland-Dasein; seine Wirtschaftsleistung übersteigt kaum jene des Kantons Aargau (40 Mia). Besser sieht es mit der Inflation aus: Die genialen Wirtschaftsführer Chavez und später Maduro hatten es geschafft, eine rekordverdächtige Inflation von mehreren 1‘000 Prozent hinzulegen. Der venezolanische Bolivar wird heute nicht mehr gezählt, sondern nur noch gewogen – schubkarrenweise.

Libanon ist ein zweites schönes Beispiel von gelebter Geldvernichtung. Das Land ist immer noch etwas kriegsversehrt, die iranisch kontrollierte Hizbullah hat den Süden des Landes übernommen, das Land besteht zu 30% aus syrischen Flüchtlingen, und Covid half auch nicht weiter. Dann kam noch diese merkwürdige Explosion im Hafen von Beirut hinzu. Der Strom geht aus, das Benzin, die Jobs, die Nahrungsmittel. Das Resultat: ein BIP-Rückgang allein im Jahr 2020 von fast 60%; von 53 Milliarden USD sauste die Wirtschaftsleistung der ehemaligen «Schweiz des Nahen Ostens» auf rund 20 Milliarden runter. Das entspricht, um den gleichen Vergleich nochmals zu strapazieren, nur noch der Hälfte des BIPs des Kantons Aargau. Das muss man erst mal hinkriegen! Und der Rückgang ist anhaltend, denn die Zahlen für 2021 sehen kaum besser aus (sie liegen noch nicht vor, und eventuell werden sie überhaupt nie vorliegen),  für 2022 wohl auch nicht. Vielleicht erfolgt einmal eine Landung auf dem BIP-Niveau von Appenzell Innerrhoden. Und das alles mit einer gewissen Vorsätzlichkeit.

Nummer drei ist, gemäss Waldmeyers Rangliste, Simbabwe, die einstige Kornkammer Afrikas. Präsident Mugabe «reformierte» sein Land zu Tode: Enteignungen, Misswirtschaft, Vetternwirtschaft – das ganze Repertoire von ökonomischen Fehlleistungen wurde abgerufen. Es folgte eine galoppierende Inflation, welche fast nur mit derjenigen des Dritten Reiches vergleichbar ist. Heute wird in USD bezahlt, die eigene Währung ist nicht mehr relevant.

Auch die Türkei ist ein schönes Beispiel für volkswirtschaftliche Fehlentscheide: Entgegen aller ökonomischen Regeln versucht Präsident Erdogan nun seit Jahren die Inflation statt mit steigenden, mit tiefen Zinsen zu bekämpfen. 730 Milliarden beträgt das BIP der Türkei nur, weniger als dasjenige der Schweiz. Die Türkei weist allerdings eine zehnmal grössere Population auf. Dafür hat Präsident Erdogan in Ankara in seinem Palast mehr Zimmer (es sind 1‘000), Bundesrat Cassis verfügt nur über ein bescheidenes, einzelnes Büro.

Der Niedergang der BIP-Entwicklung in der Ukraine verläuft zurzeit so dramatisch, dass er gar nicht messbar ist. Das grosse, aber arme Land litt schon immer unter einer bescheidenen Wirtschaftsleistung, jetzt sublimiert sich diese quasi. Ein paar Kabelbäume für die Automobilindustrie wurden früher exportiert, aber vor allem Getreide. Das Land hat das Drama zumindest nicht selbst verschuldet. Man kann ja nicht Krieg gegen einen Aggressor führen oder sich auf der Flucht befinden und gleichzeitig BIP produzieren.

Russland indessen ist selbst schuld, dass seine Wirtschaft jetzt runtergefahren wird. Die vom Westen verhängten Sanktionen und der damit einhergehenden «Entglobalisierung» und die hohen Kriegskosten drücken die Leistung der ganzen Volkswirtschaft nach unten, der Rubel trudelt. Dafür entwickelt sich die Inflation prächtig. Und das alles erfolgte plötzlich, von einem Tag auf den andern fast, dank diesem megalomanen Kriegstreiber im Kreml. Nicht nur Oligarchen, sondern auch mittelständische Russen und die Intelligenzia verlassen das Land. Ein Money-Drain plus ein Brain-Drain – und dies gleichzeitig. So was entsteht normalerweise nur, wenn ein Land selbst im Krieg steht. Ja, Russland ist zurzeit spitze im Runterfahren einer Volkswirtschaft. Vielleicht nicht absolut – aber mit Bestimmtheit in Sachen vorsätzlicher Vernichtung von Volksvermögen, Wirtschaftsleistung und Wert der Landeswährung. «Ja, selber tschuld», dachte Waldmeyer laut.

„Bist du wieder bei den Zahlen, Max?“, fragte Charlotte.

Max antwortete nur: «Und was ist jetzt mit Lara? Sie kann doch nicht ewig studieren. Es ist blanke Geldvernichtung.»

«Falsch», entgegnete Charlotte, «es ist eine Investition in die Zukunft. Sie wird einmal eine berühmte Professorin für moderne Geschichte, erhält eine sichere Beamtenanstellung und sorgt dann für dich! Das wird nämlich nötig sein, wenn du weiter Geld abfackelst.»

Für einmal war es Waldmeyer, welcher nicht antwortete. Er kramte eine zweite Dollarnote aus seinen alten Jeans und versuchte trotzig, die Cohiba wieder zum Brennen zu bringen.

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