Waldmeyer schlägt 4G vor

Es ging natürlich nicht um den Handyempfang, sondern um die „Gs“ betreffend Corona. 3G, 2G, 2G+, 1G. Costa Rica beispielsweise verordnete bereits 1G. Waldmeyer wusste, dass das bei uns (noch) nicht geht. Deshalb hatte er nun eine Schweizer Lösung parat: nämlich 4G!

Waldmeyer hatte sich heute nicht wie üblich in die Tagesschau eingeloggt, sondern schaute konzentriert ins Kaminfeuer. Er hielt auch nicht wie sonst ein Glas Terre Brune in der Hand, sondern ausnahmsweise ein grosses Glas Bourbon. Plötzlich entdeckte er, dass das Eis schon stark geschmolzen war. Er stellte das Glas ab, um eine weitere Erwärmung zu verhindern und den Schmelzvorgang zu verzögern. Ja, G wie Geschmolzen. Und der Whisky: G wie Gebrannt. Allerdings wird der amerikanische Bourbon nicht aus Getreide, sondern aus Mais Gewonnen. Aber jetzt Getrunken. Die Gs häufen sich, sinnierte Waldmeyer.

Rundherum experimentieren alle stark demokratisch geführten, aber gleichzeitig unter-geimpften Länder mit der Pandemiebekämpfung: Holland, Belgien, Deutschland, Österreich. Auch die Schweiz sucht händeringend nach Lösungen. Zu viele finden Impfen nämlich nicht lustig.

Jedes Land verfolgt allerdings eine andere Strategie. 3G, 2G, 1G, Impfpflicht, „Impfnachweispflicht“, Lockdowns, Masken, Ausgangssperren, etc. Da dieses schlaue Virus sich in jedem Land offenbar anders verhält, wird es logischerweise überall auch anders bekämpft.

Die Erde zählt 195 Staaten. Alle Länder haben inzwischen den Kampf gegen die Krise angetreten. Ausser Somalia beispielsweise. Sogar ursprünglich Corona-skeptisch und/oder impfskeptisch orientierte Länder haben erkannt, dass nur eine umfassende Durchimpfung aus dem Schlamassel führt. Sogar in Brasilien, angeführt von dem wirren Bolsenaro, wird die Bevölkerung nun im Schnellzugtempo durchgepikst. Eigenartig, dass in Mitteleuropa die Leute oft nicht gegen das Virus kämpfen, sondern gegen die Virus-Bekämpfung. 

Waldmeyer würde sich tendenziell als nicht ausgesprochen emotional bezeichnen. Eher als faktenbasierter Realo. Esoterik zum Beispiel versteht er nicht richtig. Andererseits ist er auch nicht blind wissenschaftsgläubig. Ja, er nimmt gerade gegenüber der Schulmedizin in gewissen Belangen eine ganz kritische Position ein. Allerdings ist er auch kein überzeugter Anhänger der Alternativmedizin. Trotzdem hatte er sich in der Not, um seinen Rücken zu kurieren, ein paar Akupunkturnadeln setzen lassen. Das war im Oktober 2008, kurz nach Lehman Brothers – Waldmeyer erinnerte sich genau. Überhaupt: TCM, Traditional Chinese Medicine, sollte man ernst nehmen.

„Diese Chinesen sollten wir nicht unterschätzen“, meldete Waldmeyer von seinem Eames Chair aus Richtung Charlotte. 

„Bitte beginn nicht wieder mit dem China Virus, Max!“, antwortete Charlotte binnen einer Millisekunde.

Waldmeyer schenkte sich etwas Bourbon nach und holte sich genau zwei neue Eiswürfel (drei halbe hatten im Glas überlebt). Er stellte das Glas behutsam auf das Sideboard, um nicht den gleichen Fehler von vorhin zu begehen. Es gab nämlich schon genügend G-Fehler in der Politik. Auch im Verhalten der Gesellschaft.

Nach 15 Minuten Reflexion hatte Waldmeyer die Lösung: „Heureka, ich hab’s: Wir führen 4G ein! Geimpft, Genesen, Getestet, Gecancelt! Gecancelt ist, wenn du dich quasi freiwillig vom Gesundheitswesen abmeldest. Dann musst du dich nicht impfen lassen. Du kriegst das Zertifikat, im Coronafall aber kein Intensivbett.“

Waldmeyer verfeinerte seinen Plan: Die Gecancelten, also die Gekündigten, könnten zwar hospitalisiert werden, müssten dann aber selbst dafür bezahlen. Ein Intensivbett allerdings wäre nicht mehr drin. In Singapur beispielsweise gilt diese Regel mit der Selbstbezahlung für Ungeimpfte bereits. Ein Prämiendiscount bei der Krankenkasse von 50 Stutz monatlich könnte das Konzept noch perfektionieren. Insbesondere die Leute im Toggenburg zum Beispiel, oder generell die Bevölkerung auf dem Land, könnte dieses Angebot attraktiv finden. Auch die mit den Treicheln, die alle über ein super Immunsystem verfügen, würden bestimmt sofort mitmachen.

„4G, das wäre die Lösung!“, rief Waldmeyer aus. 

„Und was wäre mit denen, die da nicht mitmachen…? Du kannst sie ja nicht zwingen zum Canceln“, warf Charlotte sofort ein, wie immer scharfsinnig,

Waldmeyer schaute in sein Whiskyglas und suchte nach weiteren G-Inspirationen. „Stimmt. Das wäre dann eben 5G: G für Gefängnis. Oder G für Gestorben.“

„Bitte, Max. Jetzt gehst du zu weit!“

Warum Waldmeyers Cousin das Sacher in Wien übernimmt

Österreich kämpft mit dem Umstand, dass das Land einst eine pompöse Grösse aufwies, heute aber nur eine mediokre Gegenwart zu bieten hat. Vielleicht ist es deshalb gut nachvollziehbar, dass der Staat durch die Pandemie-Krise irrlichtert und im Stundentakt neue Regeln erlässt. Bruno Spirig, Waldmeyers Cousin, ist das nur recht. Er hat nämlich einen Plan. Aber dazu später.

Was bisher geschah:

Waldmeyers Cousin Spirig war immer schon etwas windig. In den Neunziger Jahren musste er sich wegen irgendeiner dubiosen Geschichte nach Brasilien absetzen, und im Frühling 2020 erschlich er sich parallel gleich drei Coronakredite auf seinem konkursiten Take-away in Schwamendingen; er setzte sich in der Folge mitsamt der Kohle nach El Hierro ab. Er machte sich keine Sorgen, da Ueli der Maurer die Rückzahlungspflicht auf 2028 verlängert hatte. Bruno wähnte sich also in Sicherheit. Zu allem Übel war diese kleine Kanareninsel auch noch Waldmeyers Tipp zum Untertauchen: äusserst günstig, angenehmes Klima, weitgehend unbekannt, auch weit weg – und trotzdem in Europa. Bruno betätigte sich dort als erfolgreicher Immobilienmakler und sorgte mittels Multiplikator-Effekt somit für makroökonomische Fortschritte auf dem pittoresken Eiland. 

Bruno war jedoch umtriebig genug, parallel dazu kurz darauf eine kleine Restaurantkette in München zu kaufen. Ihm war nämlich nicht entgangen, dass der deutsche Staat die zwangs-geschlossenen Restaurants mit 75% des Vorjahres-Umsatzes entschädigte. Also nicht den Gewinn oder die Marge kompensierte, sondern tatsächlich den Umsatz. Waldmeyer erinnerte sich noch an Brunos Erklärung: „Die Idee mit den 75% kommt ja von diesem Scholz“, meinte Bruno Spirig, „der hoch-gemerkelte Sozi ist zwar Jurist, hat aber wohl noch nie eine Kalkulation einer Kneipe gesehen, he, he…!“. 

Aber nun sass Bruno wieder auf dieser verlorenen Mickey Mouse Insel, bis in die letzte Faser durchtränkt von Langeweile. Er wollte raus. Deshalb nahm er nun sogar mit Österreich Vorlieb. Das Angebot war schlicht und einfach zu verlockend.

Also nun zu Österreich. Während die Schweiz das hektische Tun in Sachen Pandemie rundherum im Ausland mit Neugierde beobachtet und vorab die Räume ein bisschen besser durchlüftet und de facto, mit PCR-Tests auch für Geimpfte und Genesene, die Grenzen verriegelt (um auch Omikron aufzuhalten), verhaspelt sich die Regierung in Österreich täglich in neuen Dekreten. Der neue Kurz, dieser Schallenberg, liess nichts anbrennen: Österreich verhängte stakkatomässig 2G-Regeln, Lockdown für Ungeimpfte, dann trotzdem Lockdown für alle, dann Impfpflicht. Alle warten nun auf neue lustige Entscheide. Österreich, dieses Rumpf-Imperium einstiger Grösse und Grandezza, ist wirklich nicht zu beneiden. Wie meinte doch kürzlich eine SPÖ-Protagonistin sehr treffend: „Wie viele Tote müssen denn noch sterben?“

Neukurz, also Schallenberg, Diplomat von Beruf und eigentlich Schweizer, bleibt nur noch für ein paar Tage Chef der kleinen Alpenrepublik. Er war dann wohl der kürzeste Kanzler Österreichs aller Zeiten. Allerdings kann er ebenso wenig rechnen wie Genosse Scholz. Bruno Spirig hatte das natürlich sofort erkannt und facetimete gleich mit Waldmeyer. Der Handy-Empfang mit den Kanaren war wie immer etwas schwach. Die Auflösung der Bilder leider auch. Waldmeyer glaubte im Hintergrund nämlich ein paar braungebrannte Schönheiten auszumachen, die sich auf Liegestühlen räkelten – er war sich aber nicht ganz sicher.

„Bruno, bist du auf El Hierro…?“

„Ja, aber nicht mehr lange. Scheisslangweilig hier! Ich fliege morgen nach Wien!“

„Kommst du denn da überhaupt noch rein…?“, fragte Waldmeyer entsetzt.

„Klar, ich habe zweimal Sputnik, zweimal Pfizer aus der Schweiz, und jetzt doppelt aufgeboostert in Spanien.“

„Was zum Teufel willst du jetzt in Wien? Die haben das ganze Land runtergefahren. Und auf den Strassen sind nur noch Demonstrationen erlaubt!!!“

„Umso besser! Aber keine Sorge. Schau mal: Ich werde rückwirkend zum Lockdowntermin das jetzt geschlossene Hotel Sacher mieten, gleich mit der ganzen Restauration. Für drei Monate, mit Verlängerungsoptionen bis zur achten Welle!“

Wieder einmal war Waldmeyer verblüfft. Dieser Bruno war schon umtriebig.

„Weisst du, ich habe während dem Lockdown ja gar keine Kosten, ausser dieser reduzierten Miete und einem Abo für die Kronen Zeitung. Da schenken 80% des 2019er-Umsatzes schono ein!“ Dann meinte er noch: „Dieser neue Kurz war vermutlich nur kurz in der Schule in der Schweiz, die Mathematikstunden hatte er dann leider in Österreich. Und der Neukurz II, dieser Kurzhammer, der jetzt dann kommt, war ja Berufssoldat und kann vielleicht auch nicht rechnen.“ Stimmt, zumindest Schallenberg erging es wohl wie Kim Jong-un, denn auch dieser musste seine Bildungskarriere in Bern abbrechen (und zurück nach Nordkorea). Die Zeit ist noch zu kurz, um die Rechenkünste von Neukurz II zu beurteilen. Das Resultat dürfte wohl für Spirig sprechen.

„Weisst du: Je länger der Lockdown, desto besser. Und zwischen den Lockdowns läuft auch nichts, aber die Staatshilfe läuft weiter“, erklärte Bruno weiter. Sein Geschäftsmodell war bedrückend einfach. Da soll noch einer sagen, diese Pandemie bringe nur Verlierer hervor. Volkswirtschaftlich gesehen war das auch nicht kriminell oder unethisch. Im Gegenteil: Dieser schon auf El Hierro greifende Multiplikatoreffekt war der beste Freund von Brunos Handlungen; wichtig ist, dass das Geld rasch zirkuliert.

Das Abo der Kronen Zeitung war Bruno Spirig übrigens wichtig, weil er nur auf die Headline wartete: „Schweizer Spirig übernimmt Sacher!“, mit dem Untertitel: „Vorbildliche Aktion mitten in der Pandemie.“ Waldmeyer erhob sich vom Sofa, öffnete die Fenster zum Lüften und schenkte sich noch etwas Terre Brune ein. Wieso hat nur immer sein Cousin die guten Geschäftsideen?