Waldmeyer macht auf LGBTQ* (Fortsetzung)

Oder: Warum Waldmeyer Hellgelb patentieren lassen möchte

Wer seine Firma nicht in Farben hüllt, ist sexistisch. Wenn grosse Unternehmen, vorab aus dem Konsumgüterbereich, sich nicht proaktiv als genderfreundlich outen, gelten sie als genderfeindlich. Also schalten sie Anzeigen, hissen Regenbogenfahnen oder beleuchten ihre Firmenfassaden in bunten Farben. Sie machen das selbstredend nicht freiwillig, nicht aus Überzeugung. Es ist nur eine neue passive Ausprägung des Marketings. Vielleicht könnte auch Waldmeyer selbst aus dem ganzen Gender-Trend ökonomischen Profit schlagen?

Mitunter ist es nur die nackte Angst, Marktanteile aufgrund einer möglicherweise nicht genderfreundlich wahrgenommenen Denke zu verlieren. Also macht man auf Regenbogen. Man beleuchtet die Firmenfassade in den Genderfarben oder koloriert vorübergehend das eigene Logo. „Ja, keine Angst, wir sind auch dabei! Ihr dürft weiter konsumieren bei uns!“ Eine geniale Message? Ob man damit wirklich den Markt der LGBTQ-Individuen erreichen möchte? Waldmeyer vermutet eher, dass die Firmen nur die Hose voll haben und befürchten, irgendetwas oder irgendwo an Ansehen zu verlieren, wenn sie nicht mitmachen. Es geht also nicht um den Markt der tatsächlichen non-binären Gemeinde, sondern nur um das Image bei Gender-Sympathisanten, welches, falls regenbogenlos, leiden könnte.

Ist der Trend nur eine Wohlstandsverwahrlosung?

Waldmeyer überlegte sich, ob diese „Vergenderisierung“ nur eine weitere Ausprägung unserer Wohlstandsverwahrlosung ist. Bei allem Recht für die Anliegen der LGBTQ-Gemeinde: Haben wir tatsächlich keine anderen, vielleicht fundamentaleren Probleme in unserer Gesellschaft? 

«Mohren» sind jetzt verboten, BLM andererseits muss uns zwingend betreffen, obwohl wir in der Schweiz kaum je von vergleichbaren Problemen in Sachen Rassendiskriminierung betroffen waren. Die „Zehn kleinen Negerlein“ dürfen nicht mehr verkauft werden, sie sind vermutlich nur noch im Darknet erhältlich. Und jetzt LGBTQ* als ein plötzliches und allgegenwärtiges Thema.

Gewisse Themen werden in gewissen Kreisen offenbar subjektiv als sehr dramatisch wahrgenommen. Die Beschäftigung mit sich selbst scheint zu überragen, bestenfalls unter Einbezug der unmittelbaren Umwelt (z.B. auch die Beschäftigung mit Fahrradwegen). Während die Chinesen die Seidenstrasse bauen, bauen wir eben Fahrradwege. Ja, jeder macht halt, was er kann. 

Auf jeden Fall ist das Genderthema zurzeit nicht aufzuhalten. Um ja keine Fehler zu begehen, so fiel Waldmeyer plötzlich ein, sollten vielleicht nur noch geschlechtsneutrale Vornamen vergeben werden: Andrea, Alex, Robin oder Mika. Da könnte man nichts falsch machen, falls der/die/das Kind später in irgendeine Richtung geht.

LGBTQ*: Die Aussprache ist das Schwierigste an allem

Die Aussprache des Begriffes ist zweifelsohne schwierig. Nur schon aufgrund des Sterns. (Wie wir wissen, behilft sich Waldmeyer bei der Aussprache des Sterns mit einem kurzen Antippen der Nasenspitze). Aber den Stern braucht es, um auch wirklich alle, die sonst nicht erfasst würden, einzuschliessen. Also nicht nur Lesbians, Gays, Bisexuals, Transgenders, Intersexuals, Queers. Eben auch noch die vielen anderen – die mit dem Stern halt. So weit, so schwierig, den Überblick zu behalten.

Dagegen Ist die physische Intersexualität viel besser überblickbar, davon sind allerdings nur etwa 0.2% der Bevölkerung betroffen (welche weder richtig Mann noch Frau sind). Und für Waldmeyer ist es keine Frage, dass diese Menschen ein volles Integrationsrecht in unserer Gesellschaft verdienen. Schwieriger wird es, wenn sich die Menschen – mit psychischer Intersexualität – im Geist irgendwo dazwischen definieren, als Transgender eben oder Non-Binäre. Natürlich soll es auch für sie einen normalen Platz in unserer Gesellschaft geben. Aber braucht es dafür diesen Hype um das Thema?

Aufgeklärte Bürger nennen heute, vereinfacht, drei Geschlechter: männlich, weiblich, divers. So far, so good. Waldmeyer sieht sich übrigens als männlich. Aber Facebook zählt 60 soziale Geschlechter auf! Von androgyn über geschlechtslos zu butch etwa oder trans. Da gibt es ganz feine Nuancen, fluide Geschlechteridentitäten. Das wird in vielen Kreisen durchaus auch als cool betrachtet.

Waldmeyer war verwirrt. Er betrachtete sich bisher als vollkommen maskulin – und damit als binär. Zwischen fünf und sieben Prozent der Bevölkerung sieht sich indessen anders, eben LGBTQ*, sozial gesehen irgendwo zwischen männlich und weiblich orientiert. Könnte es etwa sein, dass Waldmeyer auch nicht ganz binär ist? Weil es eine Nuance von etwas geben könnte, welche (ein klitzekleines Bisschen nur) eine Abweichung von „männlich“ ergeben könnte? Also nur eine Fraktion von etwas Non-Binärem, so beispielsweise eins bis zwei Prozent. So wenig nämlich, dass Waldmeyer das bisher gar nicht wissen konnte? Die LGBGT+AB-cde-XXX Bewegung könnte vielleicht manch einen Bürger (ja, auch Bürgerinnen…) zu neuen persönlichen und ganz intimen Reflektionen führen. Waldmeyer schüttelte den Gedanken sofort wieder ab und versuchte, sich den ökonomischen Ausprägungen der Genderbewegung zuzuwenden. Eigentlich war ihm das Genderthema ohnehin ein bisschen egal, denn als liberal denkender Mensch gestand er jedem Individuum so oder so zu, so zu sein, wie es sich fühlt. 

Non-Binäre tragen Hellgelb

Waldmeyer, soweit mikro-ökonomisch gestählt, machte sich nun Gedanken darüber, wie man wirtschaftlich von all der Genderei profitieren könnte. Die grossen Firmen profitieren ja auch – also müsste es vielleicht ein persönliches neues Geschäftsmodell geben, um hier mitzumachen? Waldmeyer wurde in seinem singulären Brainstorming jäh von Charlotte unterbrochen: 

„Max, was bringen wir am Samstag für Andrea mit, dem Baby von Irmgard und Sven? Einen Pyjama? Aber hellblau oder rosa? Wir sollten keine Fehler machen!“
Waldmeyer reflektierte erst. Charlotte hatte recht. Man darf das Risiko einer frühzeitigen Zwangs-Sozialisierung nicht eingehen. Deshalb auch das Kind. Das Baby. Aber blöd: Der Boy, aber das Mädchen. Anstatt die Mädchen. Die weibliche Form wird also nur geduldet, wenn Mädchen im Schwarm auftreten. Aber noch viel erstaunlicher, da neuzeitlich: warum das und nicht die Girl? Die Girls sind also auch nur im Pulk weiblich? 

Vieles scheint da ungerecht zu sein. Man müsste mit der Geschlechterzuweisung auf jeden Fall warten bis zur Adoleszenz. Oder zumindest bis zur Fahrprüfung. Dann entscheidet das Kind. Vorher sollte es als Neutrum behandelt werden. Die Namensgebung „Andrea“ war in diesem Sinne also sehr umsichtig!

Waldmeyer hatte nun plötzlich eine Eingebung: „Der Pyjama für Andrea muss zwingend hellgelb sein!“ Charlotte überlegte und dachte an die Druckerpatronen: rot, blau, gelb. Oder eben rosa, hellblau, hellgelb! Eigentlich ganz logisch.

Waldmeyer war in Gedanken bereits bei einem Geschäftsmodell: Man sollte die Farbe Hellgelb marketingmässig besser erschliessen. Non-Binäre tragen ab sofort Hellgelb! Sie wissen es nur noch nicht.

„Charlotte, glaubst du, man kann Hellgelb patentieren lassen?“
Charlotte antwortete, wie so oft, nicht – was Waldmeyer auch nicht weiter störte. Auf jeden Fall freute er sich auf den Besuch bei das Andrea. Der ist das herzige Wesen, die mit dem hellgelben Pyjama.

Soll Waldmeyer nun auch noch gendern…?

Oder: Waldmeyer denkt an Burkaträger*innen und an eine neue Gebärdensprache

War Charles de Gaulle vielleicht ein Vorreiter im Gendern? „Citoyennes, Citoyens!“ – so sprach er in seinen von Pathos schwer getränkten Reden jeweils seine Bürger an (verflucht: seine Bürgerinnen und Bürger). Oder war de Gaulle gar ein versteckter Intersexueller mit Weitsicht? Oder einfach nur ein Gentleman? Waldmeyer tippte auf letzteres. Aber die Sache mit dem Gendern wird immer komplizierter. Wie soll man einen Stern (bei Bürger*innen beispielsweise) aussprechen? 

Das Gendern ist vielleicht ganz gut gemeint, allerdings stehen dahinter oft auch fundamentalistische LGBT-Aktivisten (oder Aktivistinnen?). Waldmeyer versuchte sich Übersicht zu schaffen über all die sprachlichen Entgleisungen.

Erste Entgleisung: Bürger*innen. Waldmeyer findet das einfach nicht schön. Und: Wie spricht man den Stern aus? Soll man sich dabei jeweils kurz an die Nase tippen?

Zweite Entgleisung: BürgerInnen. Auch dies ist eine alles andere als formvollendete Schreibweise. Und erfordert ebenso ein Nasentippen.

Dritte Entgleisung: Der Gender_Gap. Es ist vielleicht die hässlichste Form von allen Schreibweisen. Er artet dann aus bis zu ein_e Slowfood-Gastronom_in. Beim Aussprechen könnte, zur Unterscheidung anderer Schreibweisen, kurz am linken Ohrläppchen gezogen werden.  

Vierte Entgleisung: Wohl aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung von ein paar besonders leidenden Feministinnen wird nun auch noch der Doppelpunkt eingeführt: Schweizer:innen (dann rechtes Ohrläppchen).

Fünfte Entgleisung: Es wird nur noch die weibliche Form verwendet. Unsere Politikerin Anita Fetz beispielsweise spricht generell nur von Baslerinnen. Sie meint damit alle. Waldmeyer ist kein Basler, aber wäre er einer, fühlte er sich diskriminiert. Allerdings, ein Pluspunkt beim Aussprechen: Die Gebärdensprache entfällt.

Der Leseflusskiller

Praktischerweise lautete bisher der Ausweg oft: Bürgerinnen und Bürger. So wie es de Gaulle pflegte. Allerdings wollte er vermutlich nur sicherstellen, dass ihm auch die Französinnen aufmerksam lauschten – es war also nur ein rhetorischer Trick. Auf jeden Fall kommt man um diese aufzählende Bezeichnungen (Bürgerinnen und Bürger) heute fast nicht mehr herum.

Leider ist diese „inklusive“ Sprache, insbesondere mittels Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt ganz einfach ein Leseflusskiller. Oder handelt es sich eher um eine Killerin? Oder eben Leseflusskiller*innen. Diese pseudo-elitäre und verkrampfte Sprache, so die Beobachtung Waldmeyers, wird insbesondere von links-feministischer Seite mit grosser Freude benutzt. Nur zu oft jedoch sind es einfach Möchtegern-Akademikerinnen, die uns zu dieser Vergewaltigung von Schrift und Sprache nötigen.

Und nicht nur Waldmeyer, sondern wohl die deutliche Mehrheit findet, dass insbesondere diese Sonderzeichen potthässlich sind. Einfach nicht stilvoll.

Und wo sind die Gästinnen?

Irgendetwas geht einfach nicht auf mit diesen Sprachanpassungen. Gäste z.B. könnten ja nur als männlich wahrgenommen werden. Der Gast. Mehrzahl: die Gäste, also eine Ansammlung von männlichen Gästen? Falls schon Bürger*innen, sollte es dann nicht auch Gäst*innen geben? Oder doch Gast*innen?

Waldmeyer hatte allerdings bemerkt, dass es dort, wo es die Notwendigkeit wirklich erfordert, bereits einen korrekten Begriff gibt. Zum Beispiel Pilot, Pilotin. Nur: Was ist mit der Piloten-Gewerkschaft, dürfen da auch Pilotinnen rein? Und wie lautet der Gesamtbegriff der Künstler und Künstlerinnen? Kunstpersonen?

Im Immobilienverkauf werden oft „Architektenhäuser“ angeboten. Aber, um Himmels Willen, was ist, wenn dieses nun von einer Architektin erbaut wurde? Muss dann die Bezeichnung auf Architektinnenhaus geändert werden? Nein, meint Waldmeyer. Konsequenterweise müsste ein Begriff verwendet werden, welcher für alle gilt. Also ein Architekt*innenhaus? Oder ein ArchtektInnenhaus? Nein, noch schöner: ein Architekt_innenhaus. „Das ist nicht ästhetisch, so ein Haus würde ich nicht mal anschauen“, meinte Charlotte. Und sie musste es ja wissen, als Innendesignerin. „Würdest du denn einen Designerpreis entgegennehmen?“, fragte Max. „Klar!“, antwortete Charlotte – und erschrak dann plötzlich.
„Siehst du!“

Kaum Gegenbewegungen

Die Gendersprache ist an Frankreichs Bildungsstätten nun per Dekret verboten worden. Eine weise Massnahme. Leider ist im deutschen Sprachraum nicht viel an Gegenbewegung auszumachen. Zaghaft hat sich zwar kürzlich unsere Bundesverwaltung geäussert: kein Genderstern oder –doppelpunkt oder –unterstrich mehr. Nur Lehrerinnen und Lehrer, notfalls die Lehrerschaft. Aber das gilt eben nur für die Bundesverwaltung.

Bei der deutschen Sprache (… schwere Sprache, eh schon) kommt verkomplizierend hinzu, dass seit den verschiedenen Rechtschreibreformen nun parallel, gemäss Duden, oft mehrere Versionen als  korrekt gelten. Aber nicht immer. Wer heute ein falsches Wort plaziert, macht sich verdächtig, etwa über ein sehr hohes Alter zu verfügen oder sich als Querulant, im besten Fall als Ignorant zu outen.

Übersetzer beklagen sich, dass der deutsche Text immer länger wird, sie aber auf der Basis des kürzeren Ausgangstextes bezahlt werden. Liegt damit etwa eine weitere Diskriminierung einer Randgruppe vor? Aber warum betrifft es fast nur die deutsche Sprache? Was gibt es denn diesmal zu verarbeiten…?

Bombenleger*innen – ein Schuss ins Bein?

Vielleicht unterschätzen die mehrheitlich weiblichen Sprachfundamentalist*innen, dass mit der „Feminisierung“ der Begriffe plötzlich auch alle negativ besetzten Worte als feminin wahrgenommen werden: Killer*innen, Vergewaltiger*innen, Mörder*innen, Bombenleger*innen – und so weiter. Killer war neutral besetzt, zumindest bisher. Neu gibt es also nur noch Killer*innen, da konsequenterweise nur noch dieser Begriff gesellschaftsfähig sein darf. In der sprachlichen Wahrnehmung findet also eine „Verweiblichung“ statt. Ob die Erfinder der neuen gendergerechten Sprache das wirklich so wollen…? Wenn schon, dann sollte es wirklich durchgezogen werden – für alle Begriffe. Auch z.B. für Burkaträger*innen.

Waldmeyer sagt Stopp

Wenn sich Feministinnen bei der Anrede „liebe Bürger“ nicht abgeholt fühlen, ist das natürlich ein Problem. Man könnte sie dann als Wählerinnen, Kundinnen oder Konsumentinnen verlieren. Nur deshalb vermutlich (und nicht aus Anstand) haben wir uns mehr oder weniger flächendeckend zur langatmigen Form „Bürgerinnen und Bürger“ durchgerungen. Und genau hier sagt Waldmeyer „Stopp“! Bis hierher und nicht weiter. Alles andere findet er aufgesetzt, entstellend, unnötig und schlichtweg unästhetisch.

Waldmeyer meint übrigens, dass der Begriff BürgerInnen gendermässig sehr verletzend sein könnte: Dieser schliesst zwar nebst den männlichen auch die weiblichen Bürger ein, aber, gopfridstutz: Wo sind die Non-Binären? Das Bürger fehlt! Das ist diskriminierend. Oder wären die dann eher drin, wenn der eklige Stern* verwendet würde? Vielleicht sollte man doch besser einen ganz neuen, knackigen Überbegriff schaffen, der wirklich alle einschliesst. Wie wäre es einfach mit Bürger…? 
Waldmeyer nahm sich auf jeden Fall vor, nie mehr zu gendern. Nie und nimmer. In keiner Form. Never! Jamais! Er wird sich also auch künftig nicht einer inklusiven, sondern einer exklusiven Sprache bedienen.
Beim gesprochenen Gendern wird er allerdings eine Ausnahme machen. Das mit der neuen Gebärdensprache (dem Antippen der Nasenspitze beispielsweise) ist doch ganz praktisch. 

Waldmeyer, die Kampfjets und die Gänseleber

Eigentlich versucht Waldmeyer immer, apolitisch zu denken. Er zieht es vor, die Dinge konsequent aus betriebswirtschaftlicher, nötigenfalls aus volkswirtschaftlicher Sicht zu betrachten – und auch zu hinterfragen. In der Regel geht es ihm immer um einen sinnvollen Mitteleinsatz. Mit Freude nahm er deshalb zur Kenntnis, dass ab dem 1. Januar 2021 die Schweizer Luftwaffe nun nicht mehr nur zu Bürozeiten einsatzbereit ist, sondern rund um die Uhr – und dies sogar mit zwei (2!) Fliegern. Allerdings, und das entsetzte Waldmeyer wiederum, nur „innerhalb von 15 Minuten“. 

Ob die Piloten erst geweckt, die alten Jets erst vollgetankt oder ob erst auf eine Flugerlaubnis von Viola Amherd gewartet werden muss? Zumal der Dolmetscher – für Viola – rechtzeitig, vielleicht gerade mitten in der Nacht, bemüht werden müsste. Walliser Mundart ist ja nicht jedem in der Befehlskette geläufig. So oder so: 15 Minuten sind eine lange Zeit, vor allem im Ernstfall.

Waldmeyer wusste: Jeder durchschnittliche feindliche Kampfjet bringt es auf Mach 2, also auf eine Geschwindigkeit von über 2‘000 km/h. Dieser legt demnach in 15 Minuten 500 Kilometer zurück. Mit andern Worten: Ein feindlicher Kampfjet dringt zum Beispiel bei Schaffhausen in den Schweizer Luftraum ein, fliegt nach Genf, dreht eine Runde um den Jet d’Eau, steuert dann Basel an und verlässt so wieder den Schweizer Luftraum. Und dies nach genau 15 Minuten. Just in diesem Moment starten dann unsere tollen Flieger (die neuen natürlich erst ab 2030). Biden und Putin hätten während ihrem Gipfeltreffen in Genf ob der virtuosen Flugeinlage der vermeintlichen Schweizer Flugwaffe, die gekonnt den Jet d’Eau umkurvt hätte, nur so gestaunt.

Nun gut, unser Schweizer Krisenszenario sieht ja kaum einen feindlichen Luftkrieg vor. Wir kämpfen schon eher gegen Pandemien. Notfalls holen wir sogar unsere Leute aus Afghanistan raus – aber wir tun das natürlich nicht selber. Dennoch stellen Terrorangriffe trotzdem ein nicht ganz unwahrscheinliches Krisenszenario dar. Taliban-Terroristen beispielsweise sind bereits im Besitz von solch schnellen Kampfjets (die Amis waren nämlich ein bisschen liederlich bei ihrem Abzug). Oder wahrscheinlicher, weil einfacher: Terroristen könnten einen Learjet buchen und, von Hand, eine Bombe über dem Bundeshaus oder über einem einzelnen Bundesamt abwerfen (bedauerlicherweise z.B. über dem BAG). Der Learjet, so rechnete Waldmeyer, würde beispielsweise mit 900 km/h bei Basel einfliegen, in Bern sich seiner risikobehafteten Bombenlast entledigen, dann wieder zurück ins Elsass stechen. Dauert auch gut 15 Minuten. Dann starten unsere zwei Flieger. Vielleicht nur einer, denn das relativ uninteressante BAG-Ziel war eventuell nur ein Ablenkungsmanöver, also würde Viola den zweiten Flieger besser noch zurückhalten – für einen Worst Case.

Das macht alles ja gar keinen Sinn, resümierte Waldmeyer. Denn wenn unser erster Flieger (der zweite, wie wir wissen, würde  noch in Emmen warten) in der Luft ist und bei Basel wieder scharf abdrehen müsste, wären die illustren Passagiere des Learjets bereits in Colmar – vielleicht gerade schon beim Gänseleber-Essen.

Waldmeyer hatte im Herbst 2020 zwar für Frau Amherds neue Kampfjets gestimmt. Nun stellte er jedoch, mit der neuen Erkenntnis des Einsatzplanes dieser Geräte (mit der bedauerlichen Abflugverspätung von 15 Minuten), die Investition von sechs Milliarden plötzlich in Frage. Konsequenterweise müssten die ebenso rund sechs Milliarden, die die Schweiz jedes Jahr für die gesamte Landesverteidigung ausgibt, hinterfragt werden. Zumindest müssten die Mittel adäquat einsatzbereit sein. Aus Waldmeyers unternehmerischer Sicht lag hier also entweder eine Fehlentscheidung bei der Investition vor oder es handelt sich um eine fehlerhafte Nutzung dieser Investition. Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit einer mangelhaften Mittelallokation.

Waldmeyer erinnerte sich an die neue EDV-Anlage in seiner Firma, es war im September 1998, die nie zum Laufen kam. Oder an das verfluchte SAP-Programm für die Bestellabwicklung 2005 – alles vergleichbare Mittelverschwendungen. Was die Schweizer Luftwaffe betrifft: Alles andere, als sich solche nicht sofort einsatzfähigen Kampfjets zu leisten, wäre günstiger. Man könnte, für viel weniger Geld sogar (um nur ein Beispiel zu nennen, dass sich vielleicht ganz gut in andere helvetische Absurditäten einreiht), alle Schweizer Militärpiloten einmal wöchentlich ins Elsass fliegen, zum Gänseleber-Essen. Das wäre immer noch günstiger, als alle diese zu spät abfliegenden Vögel instand zu halten.

„Eigentlich ist Gänseleber gar nicht so teuer, Charlotte“, meldete Waldmeyer zu seiner Frau rüber. „Relativ gesehen, meine ich.“ Charlotte antwortete nicht, da sie einerseits keine Gänseleber ass, andererseits heute keine Lust verspürte, Waldmeyers neue Relativitätstheorien anzuhören. Waldmeyer fühlte sich wieder einmal sehr alleine gelassen mit seinen Überlegungen. Die ökonomischen Rätsel häufen sich in letzter Zeit.

Waldmeyer analysiert die Impfgegner

Oder: Waldmeyers Impfdurchbruch

Waldmeyer hatte die Nase gestrichen voll von dieser Pandemie. Vor allem genug von all den Einschränkungen. Ihn faszinierte jedoch der neue Begriff „Impfdurchbruch“ (also der Fall einer symptomatischen Erkrankung – trotz Impfung).  Impfgegner sind davon selbstredend nicht betroffen, weil sie eben gar nicht geimpft sind. Sie werden einfach krank. Was Waldmeyer nun indessen besonders interessierte, waren die Impfgegner an sich, deren Psychogramme. Es handelte sich um alles andere als eine homogene Gruppe – im Gegenteil! Es war ein ganz heterogenes Cluster, das er nun analysieren wollte. Nur schon, um seine selbst diagnostizierten Profiler-Kenntnisse zu schärfen.

Waldmeyer entschloss sich, die Welt der Impfgegner in genau acht Gruppen einzuteilen.

Gruppe 1: Die Egoisten

• “I don‘t give a shit!”
• „Ich bin jung und kaum betroffen.“
• „Ich lass mich doch nicht impfen und werde dann zwei Tage krank!“

Vor allem Junge zählen zu dieser Gruppe. Es sind eher ländlich Orientierte oder Bewohner von Agglomerationen der grösseren Städte, viele sind Balkan-Emigranten (1. bis 3. Generation), eher männlich.

Waldmeyer kennt einige, seit sein Sohn Noa mit Bekime zusammen ist. In ihrem Umfeld sind fast alle so.

Gruppe 2: Die Sorglosen

• „Mir passiert schon nichts!“
• „Die Sache wird übertrieben und die Gefahren werden überschätzt.“

Die Menschen in dieser Gruppe 2 sind tendenziell Problemverdränger. Sie sind eher jung, an gesellschaftlichen und vielen Fragen wenig interessiert; es sind eher wenig Gebildete. Sie sind allerdings von ihrem starken Immunsystem überzeugt, welches das Virus nur so raushauen würde.

Waldmeyer kennt persönlich niemanden aus dieser Gruppe. Er weiss aber, dass es sie gibt. Zum Beispiel im Jura. Oder im Toggenburg.

Gruppe 3: Die Überforderten

• keine Zeit
• immer gestresst
• schon mit dem einfachen Leben überfordert

In dieser Gruppe finden sich oft sozial Benachteiligte. Sie kommen schon mit der Organisation des einfachen Alltages nicht klar und sind generell entscheidungsschwach.

Ursula gehört in diese Gruppe (wichtige Anm. der Redaktion: Ursula Sonderegger ist die Frau von Reto Sonderegger, Charlottes Bruder). Die Psycho-Symptome dieser Spezies verstärken sich leider mit dem Alter – ein Prozess, der auch vor Ursula nicht Halt gemacht hat. Heute ist sie mit allem überfordert. Alles ist einfach zu viel. Seit sechs Monaten wollte sie sich eigentlich zum Impfen anmelden, hat es aber immer noch nicht geschafft.

Gruppe 4: Die Misstrauischen

• Angst vor Impfung und Folgen
• „Leute sind schon gestorben an der Impfung!!!“
• „Nützt sie überhaupt?“

Unsichere, eher weniger Gebildete und wenig informierte Menschen gehören in diese Gruppe. Generell ängstliche Leute, eher weiblich.

Waldmeyers Schwester Claudia ist so (frühpensionierte Lehrerin, SP, praktische Kurzhaarfrisur, lustige farbige Brille, altes Nokia). Sie ist zwar nicht bildungsfern, sie hatte in den 70er Jahren immerhin ein Lehrerseminar besucht. Aber sie misstraut eben allen und allem – insbesondere den modernen Errungenschaften der Technik und der Wissenschaft. Und sie hat Angst. Fairerweise muss sie einfach als Impfskeptikerin bezeichnet werden, nicht als Impfgegnerin.

Gruppe 5: Die Esoteriker

• „Impfungen sind schädlich, sie enthalten keine natürlichen Stoffe.“
• „Impfen ist gegen die Natur.“
• „Körper und Geist müssen selbständig in Einklang gebracht werden.“

Die Protagonisten dieser Gruppe rekrutieren sich aus fast allen Gesellschaftsschichten, sind eher weiblich und informieren sich einseitig in ihren eigenen sozialen Netzwerken. Schwer zu erreichen. Auch extrem Religiöse sind darunter („wir sollten nicht eingreifen in den Gang der Schöpfung“).

Carina, die Exfrau von Waldmeyers Freund Ruedi Arnold (jetzt Aussteiger, auf der Alp) ist so. Sie liest komische Bücher zur Selbstfindung, spricht auch schon mal mit Pflanzen und lebt streng vegan – ein nie abzuschliessendes Projekt.

Gruppe 6: Die Freiheitskämpfer

• „Der Staat soll aufhören mit diesen Einschränkungen!“
• „Ich will meine Freiheit!“
• „Wir müssen die Verfassung schützen.“

Bei dieser Gruppe handelt es sich oft um falsch Informierte oder um leicht falsch Beeinflussbare. Die eher ländlich orientierten Menschen haben einen ziemlich diffusen Freiheitsbegriff, den sie selten genau formulieren können. 

Sie rekrutieren sich oft aus dem rechten Lager, auch aus der Rechtsextremen-Ecke. Leider gehören zu dieser Gruppe auch nachweislich über 50% der SVP-Wähler. Sie sind politisch leicht zu beeinflussen und denken tendenziell in einfachen Strukturen. Sie informieren sich vorab am Stammtisch oder über Headlines, tun dies jedoch generell wenig. Sie lesen wenig Zeitung, und sie können Informationen nicht richtig auswerten.

Waldmeyer kennt einige hier. Nicht beim Namen, er sieht sie einfach am Fernsehen. Es sind viele Fahnenschwinger dabei, und sie tragen diese Treicheln, also schwere Kuhglocken; sie versammeln sich und machen Lärm und rufen nach Freiheit und sind „dagegen“.

Gruppe 7: Die medizinisch Eingeschränkten

• Immunisierungsresistente (Impfung nützt nichts)
• Dürfen aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden

Es handelt sich dabei um eine verschwindend kleine Gruppe. Waldmeyer kennt niemanden – es soll sie aber geben. Es soll auch Menschen geben, die generell „allergisch“ sind gegen Impfungen. Es ist allerdings anzunehmen, dass diese Allergie nur im Kopf stattfindet – dieses Cluster müsste folglich einer anderen Gruppe zugeordnet werden, so den Misstrauischen, den Überforderten oder den Esoterikern.

Gruppe 8: Die Verschwörungstheoretiker

• Die Pandemie wurde erfunden
• Alles ist gesteuert, von Bill Gates, Soros, etc.
• Mit der Impfung wird man auch gleich „gechippt“ (Anm. der Redaktion: Es wird gleichzeitig mit der Spritze ein Chip zur Überwachung eingesetzt) 
• Der Staat und/oder „das System“ möchte nur noch mehr Kontrolle über uns ausüben („die“)
• Der Hype wird von der internationalen Pharma gesteuert

Hintergrund der Menschen in dieser Gruppe: oft reduzierte Bildung, das Glas immer halb leer. Es sind des Öftern von der Gesellschaft Benachteiligte, zu Depressionen Neigende, und alle sind gut empfänglich für Fake News. Eine Untergruppe ist zum Teil auch übertrieben religiös und/oder neigt zu Sektierertum.

Waldmeyer kennt einige aus dieser irrlichternden Gruppe, so z.B. Bettina Honegger, seine Nachbarin. Früher war sie gar bei den Zeugen Jehovas. Bettina ist immer noch überzeugt, dass die Pandemie u.a. durch die 5G-Antennen verbreitet wurde.

Die Verschwörungstheoretiker gehören zu Waldmeyers Lieblingsgruppe.

Waldmeyer war zufrieden mit seiner Auslegeordnung. Es war ihm noch nicht ganz klar, was er nun anstellen sollte mit seiner Analyse. Zumindest konnte er nun Charlotte ärgern, indem er jede Person auf der Strasse, im Restaurant oder im Tram genau einteilen konnte: „Siehst du, Gruppe 6! Und dort Gruppe 4!“ – oder ähnlich. Oder noch besser: „Und hier ein Hybrid, eine Mischung aus Gruppe 5 und 8 – Esoterik/Verschwörung!“ Der Habitus und die Physiognomie der verschiedenen Impfgegner waren für Waldmeyer jetzt, dank seiner brillanten Gruppeneinteilung, einfach zu deuten. Immerhin konnte er so seine Profiler-Begabung schärfen. Auch wenn sie kaum überprüfbar bleibt.

Im Übrigen wartet Waldmeyer immer  noch auf den „Impfdurchbruch“. Er meint damit nicht den Durchbruch der Impfung, also die Erkrankung trotz Impfung, sondern den echten Impfdurchbruch, sozusagen den Dammbruch zur Impfbereitschaft – bei den Impfgegnern.