Max Waldmeyer sass in einer Strandbar in Südspanien. Die heissen dort Chiringuitto und servieren auch Tapas und gegrillten Fisch. Seltsamerweise bieten alle haargenau dasselbe Menu an. Waldmeyer verglich es mit den Märkten in Afrika und Fernost: Der USP fehlt eben, also die „unique selling proposition“ – das „Alleinstellungsmerkmal“, wie unsere deutschen Nachbarn zu formulieren pflegen. Bei den Chiringuittos handelt es sich offenbar um eine besonders raffinierte und bewusste Absprache, vielleicht sogar um ein Kartell. Waldmeyer war es egal. Er schaute raus aufs Meer. Weit draussen lag eine grosse Yacht.
Der Co-Founder von Microsoft, Paul Allen, starb bereits 2017. Aber nun lag seine Yacht dort draussen vor Anker. Heute gehört das opulente Schiff, so recherchierte Waldmeyer, einer gewissen Jody Allen. Vielleicht die Witwe? Oder eine Tochter? Oder eine Schwester? Die Schwester erinnerte eher an eine Handarbeitslehrerin, so hatte Waldmeyer ergoogelt. Konnte das sein…? Auf jeden Fall vergnügte man sich dort draussen mit seinem Erbe.
Yachten sind nicht nur teuer, sie kosten auch sau-viel im Unterhalt. Für Betrieb und Unterhalt muss man mit jährlich 10% des Anschaffungswertes rechnen. Crew, Küche, Treibstoff, Gebühren – alles kostet ein Vermögen. Teuer sind auch die Ankerplätze in den Häfen. Wohl darum lag die Octopus jetzt etwas ausserhalb – ganz einfach um Kosten zu sparen? Die Octopus verfügt wohl deshalb über ein 12 m langes Schnellboot, mit dem man den nahen Hafen zügig erreichen kann. Damit kann die Crew locker und elegant an die Uferpromenade gelangen, um dort, nur zum Beispiel, eine Auswahl von Plastiktäschchen von Louis Vuitton zu kaufen, an welchen man sich dann auf der Octopus, inzwischen durchtränkt mit Langeweile, ergötzen könnte.
„Wieso haben wir uns nie ein Boot zugelegt?“, meinte Max zu Charlotte.
„Es reicht, Kinder zu haben. Und ein Schiff ist wie ein Pferd: Es braucht immense Betreuung.“
Stimmt, dachte Waldmeyer und studierte nochmals an den 10% rum. Die Octopus kostet 200 Mio USD, also kommt der Spass auf 20 Mio jährlich zu stehen. Da sind selbst Kinder günstiger.
Und noch etwas erkannte Waldmeyer: Man kann zwar mit einer teuren Rolex oder einem Rolls Royce Cabriolet ein Statement gegen aussen abgeben und so vorführen, dass man vermögend ist. Oder man lacht sich eine teure und repräsentative Villa an, die dann womöglich noch in einer Illustrierten mit einer Homestory gepostet wird. Möchte man indessen so richtig markieren und darstellen, dass man sich in der obersten Liga befindet, so wird die Luft dünn. Da braucht es dann schon einen Privatjet – mit dem Nachteil allerdings, dass man den fast nie vorführen kann. Die intrinsischen Gewinne in Sachen Image sublimieren sich dann quasi in der Luft. Die fette Yacht indessen ist das ultimative Statement. Denn die kann man zeigen, an allen wichtigen Hotspots auf der Erde. Falls man nicht von immer willkommenen Paparazzis abgelichtet wird, würde man notfalls an der Uferpromenade in Cannes oder St. Tropez ankern und an Deck (dieses gegen die Promenade gewandt) ostentativ ein Glas Dom Pérignon schlürfen, um wenigstens so gesehen zu werden.
Mit der App „MarineTraffic“, so entdeckte Waldmeyer, lässt sich übrigens bestens eruieren, über welche Daten jede Yacht verfügt. Dann kann man weitergooglen und entdeckt mit einigem Glück, wer der Eigner der Yacht ist. Oder eben die Eignerin – wie im Falle der Octopus. Ganz praktisch.
Das Bier, welches Waldmeyer souverän mit „una caña por favor“ bestellt hatte, kostete nur 2 Euro. Charlotte schlürfte einen hervorragenden trockenen Cava: 4.50 Euro.
Und gleichzeitig konnte man – gratis – diese Yachten konsumieren, mittels MarineTraffic. Die Octopus weist eine Länge von 126 Metern auf, hat 38 Angestellte, zwei Helilandeplätze, ein U-Boot und eben dieses Louis Vuitton-Beiboot. In dieser Kategorie muss man mit 1.5 Mio USD pro Meter Schiffslänge kalkulieren. Die 200 Millionen USD konnten also stimmen.
Charlotte sah blendend aus. Braungebrannt und schlank blinzelte sie gegen die Sonne, genoss ihren Cava und war ganz relaxed. Ja, fast zutraulich und heute weniger bissig als sonst. Die Nachbestellung der dritten Caña liess sie kommentarlos durchgehen – einfach so.
„Nöd gschenkt“, meinte Waldmeyer. Er meinte natürlich nicht die Caña, sondern die Octopus. Was für eine Erleichterung, dass Waldmeyer keine solche Yacht besass!
„Und wenn‘s stürmt, hängst du kotzend an der Reeling und verfluchst die 200 Mio. Dann noch lieber ein Pferd“, analysierte Waldmeyer weiter. Das leuchtete auch Charlotte ein, sie konstatierte jedoch: „Auch Meisterschwanden ist schön – zumindest im Sommer. Wieso sind wir jetzt nicht zuhause?“
„Erstens kostet dann eine Stange Bier 6 und ein Cüpli 18 Franken. Und zweitens schafft es Paul Allans Yacht nicht bis zum Hallwilersee – und wir könnten uns nicht über diesen Kahn amüsieren!“
Ja, schön, besass Waldmeyer keine eigene 200-Millionen-Dollar-Yacht. Manchmal ist Nicht-Besitz attraktiver. Und ja, Glück ist relativ, dachte sich Waldmeyer und war zufrieden über seine Erkenntnis. Er winkte dem Kellner und wollte erst ein beiläufiges „la cuenta por favor“ lancieren. Er besann sich im letzten Moment anders: „Una caña más, por favor!“