Waldmeyer und die 99%-Initiative

Oder das Geheimnis des Soziokommunismus

Waldmeyer hatte sich in letzter Zeit schon mehrmals gewundert: In Zürich sollen private Dachgärten der Allgemeinheit zugänglich gemacht, Baucontainer zwangs-begrünt werden, und schon seit längerem wird ein bedingungsloses Grundeinkommen angedacht. Aber nun diese 99%-Initiative der Jusos: Einkommen und Vermögen sollen also vermehrt kollektiviert werden. Soll die Schweiz ein heiteres Kibbuz werden, natürlich mit nur glücklichen Menschen, welche hochmotiviert für die andern arbeiten? Waldmeyer ist verwirrt. Es geht unter anderem auch um seinen Van Gogh. Aber dazu später.

Die schon vor einiger Zeit lancierte 99%-Initiative verlangt, dass Kapitaleinkommen (Zinsen, Dividenden etc.) mit 150% besteuert werden. Es gilt ein Freibetrag von beispielsweise 100‘000 Franken pro Jahr. Erträge, die darüber sind, werden quasi über-konfisziert, also mehr abgeschöpft, als sie es sind. Das betrifft zwar nur etwa 1% der Leute, deshalb die „99%-Initiative“. 

Der mit der neuen Steuer erzielte Mehrertrag soll dazu verwendet werden, um die Einkommenssteuern für Personen mit tiefen und mittleren Arbeitseinkommen zu senken. Ein schöner Gedanke – doch nicht mal Karl Marx wäre so weit gegangen. 

Waldmeyer dachte schon, dass es sich dabei wieder um einen üblichen Juso-Furz handelt – also nur um eine provokative Idee, um sich wichtig zu machen. Doch weit gefehlt: 13 von 46 Ständeräten stimmten dafür. Heute unterstützt ebenso eine ganze Phalanx der Grünen die Initiative, auch die SP hat die Ja-Parole ausgegeben. Am 26. September soll abgestimmt werden. Das Brisante daran: Könnten sich etwa 99% der Bevölkerung für diese absurde Idee erwärmen? Sie wären ja nicht davon betroffen.

Doch hatten es die Jusos vielleicht nur gut gemeint? Im Sinne von Gutmenschen, welche die Arbeit höher gewichten als das Kapital? Womit wir wieder bei den Grundgedanken von Marx‘ Das Kapital wären.

Waldmeyer – und wohl allen andern auch – war noch nicht ganz klar, was denn alles als  „Kapitaleinkommen“ klassifiziert werden könnte: Dividenden? Zinsen? Eigenmietwerte? Oder einfach allgemein Kapitalgewinne? Oder auch intrinsische Gewinne, zum Beispiel der Genusswert einer kostbaren Mingvase oder eines Van Goghs? Oder gar Waldmeyers Ausblick in Meisterschwanden auf den Hallwilersee?

Waldmeyer taten die grossen Unternehmer etwas leid: Sie sind darauf angewiesen, Dividenden zu beziehen, nur schon um die Vermögenssteuern zu bezahlen, die sich aufgrund der steuerlichen Firmenbewertung ergeben. Eine Über-Steuer auf den Dividenden, also auf klassischen Kapitaleinkommen (genau so, wie es die Jusos definieren), könnte ihnen das Genick brechen. Die Unternehmer würden entweder die Landesflucht antreten (ohne ihre Firma), die Firma einfach ins Ausland verlagern, Harakiri begehen oder in ein Kloster eintreten. Eine solche Krisensituation wäre einfach unlösbar.

Eigentlich sassen Waldmeyer, Charlotte und die beiden noch knapp adoleszenten Kinder an diesem Sonntagmorgen nur friedlich am Frühstückstisch. Doch nun wurde diskutiert.

Lara (22, studiert Kunst in Basel) fragte: „Diese Initiative, ist das nun Kommunismus oder Sozialismus?“ Waldmeyer überlegte: Kommunismus ist es nicht. Denn dann würde man gar nie dazu kommen, ein Vermögen aufzubauen, das der Staat stehlen kann. Vermögen im Kommunismus haben nur die Staatsführer. Sozialismus trifft schon eher zu: Du musst dann zwangs-teilen. „Im Kommunismus gehört dein E-Bike bereits von Anfang an dem Staat, in Sozialismus musst du dein zweites E-Bike der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Du gibst dein E-Bike an den Staat ab, sparst auf ein neues oder nimmst einen Kredit auf, damit du ein neues kaufen kannst, das du dann wieder an den Staat abgibst“. Soweit Waldmeyers spontane Erklärung.

„Aber da müsste einer ja schön blöd sein!“, warf nun Noa (24, studiert Betriebswirtschaft in Zürich) ein.

„Stimmt, blöd ist es eben, wenn du bereits 12 E-Bikes besitzt, diese ausmietest und dann den ganzen Mietertrag plus 50% abliefern musst. Nach ein paar Jahren hast du dann nichts mehr.“

„Vielleicht sollte man den Jusos gleich von Anfang an die E-Bikes wegnehmen?!“

„Schwierig“, entgegnete Waldmeyer. „Die arbeiten nur halbtags, sind z.B. Lehrer oder städtische Angestellte (Kulturpflege) und nutzen gratis die E-Bikes der Stadtverwaltung. Da ist nichts zu holen. Und so lösen wir das Problem nicht.“

Aber: Handelte es sich nun um Kommunismus oder Sozialismus? Es handelt sich auf jeden Fall um Enteignung. Aber auch um Umverteilung. Also ist diese 99%-Initiative vielleicht ein klarer Fall von Soziokommunismus.

Noa warf noch die provokative Idee ein, einfach auszuwandern. Er würde künftig nicht in einem Land wohnen wollen, wo der Staat die persönlichen Errungenschaften klaut. Aber wohin…? Es müsste ein Ort sein, wo es so oder ein bisschen wärmer ist, das Leben jedoch günstiger, sich das Arbeiten lohne, und überhaupt. Er studiere ja nicht vergeblich Betriebswirtschaft! 

Die angespannte Frühstücks-Debatte wurde nun unterbrochen, da Noa dringend gehen musste. Er hatte sich mit Bekime verabredet (seine neue Freundin, albanisch).

Waldmeyer rief ihm nach: „Ich überlege mir was. Wir diskutieren das am nächsten Sonntag.“

Zurück in seinem Büro, eigentlich in seinem Newsroom, blickte Waldmeyer an seinen Van Gogh an der Wand: Ob dieser auch der 99%-Initiative zum Opfer fallen könnte? Zum Glück war es eine Kopie.

Er wollte sich nun Gedanken machen betreffend einem Auswanderungsland. Bekime hatte ihn gleich auf eine seltsame Idee gebracht: Albanien! Zumal Albanien eine stock-kommunistische Vergangenheit hat.

Aber dazu erst nächsten Sonntag.

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