Soll Waldmeyer aufhören mit dem Essen?

Waldmeyer grübelte über den neuen Corona-Statistiken. In welchen Ländern gibt es relativ viele Todesfälle? Z.B. in den USA, auch in UK. Aber auch in Deutschland ist die Todesrate zurzeit ziemlich hoch, trotz rigider Lockdowns.

Die zweite Statistik nun: Die meisten Todesfälle betreffen über 80-Jährige. 

Die dritte Statistik: Alle diese drei Länder verfügen über eine Population mit einem erhöhten BMI, alle sind also ziemlich fett.

Die vierte Statistik: Der Grossteil der Corona-Toten war übergewichtig – so eine neue Studie aus Grossbritannien.

Waldmeyer erschrak: Hier zeigte sich plötzlich eine neue Korrelation, die selbst die schlauesten Mediziner noch nicht entdeckt hatten. Die Länder verbindet etwas. Wie sollte das Waldmeyer nun formulieren? Und was bedeutete das für ihn persönlich?

Die fünfte Statistik öffnete Waldmeyer endgültig die Augen: In Deutschland zum Beispiel sind ein Drittel der Leute übergewichtig, bei den über 75-Jährigen sind es jedoch hohe 70%! Also: An Corona sterben vorab Alte, die gleichzeitig übergewichtig sind. Oder: Man stirbt schneller mit Übergewicht, auch schneller, wenn man älter ist. Was – separat betrachtet – keine neue Erkenntnis ist. Aber neu ist die Korrelation Übergewicht/Alter/Coronatod. Fazit: In Deutschland z.B. stirbt man demnach eher an (oder mit) Covid-19, weil dieses Land einen hohen Altersdurchschnitt aufweist (im Median sogar einer der höchsten weltweit), gleichzeitig jedoch auch, weil das betroffene Alterssegment ein signifikant höheres Übergewicht verzeichnet. Oder ist das alles vielleicht doch nur ein gastronomisches Problem?

Letzten Monat starben in der Schweiz – trotz dreimal höherer Inzidenz als in Deutschland – rund dreimal weniger Leute (im Verhältnis zur Population natürlich). Also war das Corona-Sterberisiko in der Schweiz rund neunmal geringer als in Deutschland. Und dies, obwohl die Skiterrassen so lange offen blieben und der hiesige Lockdown im Vergleich zu Deutschland nur ein Lockdownchen war und ist. Haben all die Corona-Massnahmen also kaum einen Einfluss, geht es letztlich etwa nur ums Gewicht der Leute? Wie würde Waldmeyer nun mit dieser Erkenntnis das Land coronamässig managen?

Komisch, aber vielleicht ebenso coronabedingt ist, dass sich neuerdings viele Leute beim Essen filmen. Tatsächlich. Waldmeyer wunderte sich über den neuen Trend: „ASMR“. ASMR ist die Abkürzung für Autonomous Sensory Meridian Response, ein Phänomen, für das es bis jetzt keine sinnvolle deutsche Übersetzung gibt, das in den USA zurzeit jedoch ein grosses Thema im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme ist.

Man filmt sich demnach, wenn man isst und stellt es nachher ins Netz. Tausende schauen zu und lauschen den Schmatz- und Kaugeräuschen. Spannend! Nun, man darf sich fragen, warum das spannend sein soll. Die Manchester Metropolitan University fand immerhin heraus, dass diejenigen, die ASMR Videos anschauten, während den Sitzungen signifikantere Senkungen der Herzfrequenz aufwiesen im Vergleich zu denen, die die Videos nicht gesehen haben. Auch zeigen die Probanden einen deutlichen Anstieg positiver Emotionen, Entspannung und ein Gefühl des „sozialen Eingebundenseins“.

Was ASMR nun mit Corona zu tun hatte? Vordergründig natürlich nichts. Aber Waldmeyer sah darin trotzdem weitere deutliche Zusammenhänge: Je länger die Lockdowns gehen und Homeoffice angesagt ist, desto eher wird sich ASMR ausbreiten. Und dieses Sich-beim-Essen-Filmen wird den BMI natürlich eher hochtreiben! Vor allem in den USA. Wenn die ASMR-Welle nach Deutschland überschwappt, wird es auch hier noch mehr Corona-Tote geben. 

Doch zurück nun zu Waldmeyers Management-Strategie: Als CEO des Bundes, wenn er denn ein solcher wäre (ähnlich seinen Management-Rollen zuvor), würde sich Waldmeyer nun einfach alle übergewichtigen alten Personen über 80 vorknöpfen, ihnen eine Diät verschreiben und verbieten, sich beim Essen zu filmen. Und er würde ihnen ein besonderes Schutzkonzept verpassen, sie unter Beobachtung halten, testen, abschirmen, impfen oder was auch immer. Der Rest des Landes könnte dann ohne Einschränkungsmassnahmen weitermachen. Voilà.

„Du bist auch übergewichtig, Max, und du wirst auch irgendwann 80“, meinte Charlotte lakonisch. Das half Waldmeyer indessen nicht viel weiter. Fett sein erhöht einfach das Sterberisiko. Er wusste, dass sein BMI bei 25 liegt – allerdings grosszügig gerechnet, nur morgens, nach der Toilette, ohne Frühstück und rasiert.

„Schatz, kommst du zum Frühstück“, flötete Charlotte aus der Küche. Waldmeyer lavierte zwischen zwei Antworten: A: „Nein, ich esse nichts“, und B: „Ok, aber nur, wenn du die Kamera einschaltest“. Er entschied sich für B. Charlotte wusste noch nicht, was auf sie zukommt.

Waldmeyer überprüft seine Mortalität

Waldmeyer sass in einem weissen Schutzanzug und mit Maske und Handschuhen auf dem Sofa. Er wartete auf seinen Sohn Noa (23). Waldmeyer vertrieb sich die Wartezeit mit allerlei Gedanken betreffend Mortalität. Was war wirklich gefährlich? Wie gestaltete sich seine subjektive Gefährdung? Wie könnte er seine persönliche Mortalität runterbringen? Haushaltsunfälle könnte Waldmeyer schon mal ausklammern. Aber die Sache ist viel komplexer.

Die Corona-Sterblichkeit – die sog. case fatality rate liegt in der Schweiz bei rund 2% – falls man sich denn infizieren sollte. Bei den Jungen liegt sie beinahe bei null, bei den über 80-Jährigen bei rund 16%. Waldmeyer bewegte sich unglücklicherweise schon deutlich über dem Mittelalter, also lag die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, leider wohl nicht mehr bei null. 

Diese Statistik war vergleichbar mit dem Motorradfahren: Mit höherem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall zu sterben – falls man denn Motorrad fahren würde. Bei einem Alter von über 90 zum Beispiel könnte die Wahrscheinlichkeit fast 100% betragen. Überhaupt ist Motorradfahren sau-gefährlich, googelte Waldmeyer weiter: Pro gefahrenen Kilometer rund 20-mal tödlicher als Autofahren. Dafür müsste man nicht mal 90 werden. 

Waldmeyer zog ein vorzeitiges Fazit: Sowohl Covid-19 als auch Motorradfahren weisen eine mit dem Alter exponentiell steigende Mortalität auf. Also sollte man vielleicht beides lassen. Waldmeyer legte diesen Gedankenstrang jedoch wieder zur Seite, denn er schwang sich überhaupt nie auf ein Motorrad; also lag – in seinem spezifischen Fall – die Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen Unfall bei null.

Das Googeln mit den Schutzhandschuhen erforderte einiges an Geschick. Trotzdem gelang es Waldmeyer zu eruieren, dass die Schweiz 2019 genau 187 Verkehrstote zählte (Astra, das zuständige Bundesamt, hat für 2020 noch nicht fertig gezählt, denn dieses Amt verfügt über eine ähnliche Management-Struktur wie das BAG). 1970 waren es noch 1‘773 Tote – also fast 10-mal mehr. Kam dazu: Im gleichen Zeitraum hatte sich der Bestand an Motorfahrzeugen mehr als verdreifacht. Damit hat sich das Risiko, heute in einem Verkehrsunfall zu sterben, um das Dreissigfache verringert. Ob die gefährliche „Verrohung des Verkehrs“ tatsächlich stattfindet, wie das Astra regelmässig meldet? Rein datenbasiert müssten die Autobahnen heute eigentlich „geöffnet“ werden, mit freier Fahrt. Aus Sicherheitsgründen wäre das zu verantworten, denn es würde die Zahl der Verkehrstoten vermutlich nur marginal raufbringen – würde jedoch das raffinierte staatliche Geschäftsmodell mit den drakonischen Geldbussen untergraben.

An Covid-19 starben nun binnen eines Jahres rund 10‘000 Personen („an“ oder „mit“ Covid, wobei merkwürdigerweise niemand weiss, wieviel der „an“- oder der „mit“-Anteil beträgt).

Tatsächlich liegt damit die Wahrscheinlichkeit, an diesem gemeinen Virus zu erliegen offenbar über 50-mal höher, als in einem Verkehrsunfall das Zeitliche zu segnen. Genau das wollte Waldmeyer seinem Sohn Noa vermitteln. Allerdings bestand bei der Erklärung dieses Vergleichs („Verkehr vs. Corona“) die Gefahr, dass Noa künftig die Verkehrsrisiken als noch unerheblicher einschätzt und seinen alten Occasions-BMW noch schneller durchs Knonaueramt prügelt. Waldmeyer legte seine ursprünglich sorgfältig vorbereiteten Argumente also auf die Seite und konzentrierte sich nochmals auf seine eigenen Mortalitäts-Überlegungen. 

Da sind zum Beispiel noch die Haushaltunfälle: Daran sterben in der Schweiz jährlich 2‘400 Personen – also mehr als 10-mal mehr als bei Verkehrsunfällen. Wäre es also angezeigt, Haushalte zu verbieten? Zumindest Haushaltsarbeiten. Insoweit gestaltete sich das Leben Waldmeyers bereits extrem vorsichtig, er mied dieses Sicherheitsrisiko wie der Teufel das Weihwasser.

Beim Sport verhält es sich ähnlich: Die jährlich 135 gemeldeten tödlichen Sportunfälle sind jedoch untertrieben, Sport ist in Tat und Wahrheit viel gefährlicher. In die vorangegangene Statistik mit den 187 Verkehrstoten haben sich nämlich viele Fussgänger und Velofahrer reingeschlichen, welche fairerweise eigentlich nicht den Verkehrs-, sondern den Sportunfällen zugerechnet werden müssten. Sport ist also gefährlicher als Autofahren. Das Risiko eines Sportunfalles betraf Waldmeyer allerdings ebenso nur am Rande, denn er trieb nur äusserst vorsichtig Sport, eigentlich selten, und er betrachtete sich zudem eher als Autofahrer denn als Fussgänger. Waldmeyers subjektive Mortalitätswahrscheinlichkeit (Abteilung Haushalt und Sport) tendierte also gegen null.

Schon grössere Sorgen bereitete ihm eine mögliche Krebs- oder Kreislauferkrankung. Es ging einerseits um die Wahrscheinlichkeit, eine solche Krankheit überhaupt zu kriegen, andererseits um die Sterbewahrscheinlichkeit in einem solchen Fall. In der Schweiz sterben jährlich immerhin fast 40‘000 an Krebs – aber die meisten einfach im hohen Alter, was quasi einer natürlichen Todesursache gleichkommt. An Herzversagen sterben rund 8‘000 p.a. Interessant fand Waldmeyer, dass nur rund 400 p.a. an Leberzirrhose sterben. 

Waldmeyer rauchte nicht, was seine Krebserwartung schon mal deutlich runterdrückte. Und sein BMI von rund 25 (etwas grosszügig ausgelegt) liess das Risiko, vorzeitig an einer Kreislauferkrankung zu sterben, ebenso vernachlässigen. Sein Alkoholkonsum mochte in der Tat, zumindest subjektiv von aussen betrachtet, etwas überdurchschnittlich sein. Aber erstens hatte er gar keine Leberzirrhose eingeplant und zweitens, so reflektierte Waldmeyer, könnte man z.B. an Terre Brune unmöglich sterben.

Fazit: Für Waldmeyer gab es überhaupt keine ausserordentliche Todeschancen, vielleicht würde er einfach 100 werden und dann an Alter sterben?

Und eigentlich gaben alle diese Mortalitäts-Überlegungen gar nicht viel her. Nur etwas beeindruckte Waldmeyer: Wenn die bisher klassischen Mortalitäts-Wahrscheinlichkeiten nun alle fast gegen null tendieren, dann liegt der Risikofaktor von Covid-19 in der Tat um ein Mehrfaches höher. Was Waldmeyer deshalb nun vorhatte mit seinem Sohn Noa: Er wollte ihn in eine Risiko-Besprechung in Sachen Corona einbinden. Der etwas sorglose Umgang der Jugend in Sachen Covid-19 sollte besprochen werden. Und Waldmeyer fand es angemessen, sich für diese Besprechung situationsgerecht zu kleiden. Deshalb der Schutzanzug. Aber Noa hatte offenbar Verspätung.

Charlotte kam gerade von ihrer Tennisstunde zurück und entdeckte Waldmeyer in seiner weissen Montur. „Um Himmels Willen, was hast du denn vor? Was ist passiert?“, entfuhr es ihr. Waldmeyer murmelte etwas unverständlich durch seine FFP-2-Maske hindurch: „Schatz, es ist nicht so, wie es aussieht – ich kann dir alles erklären!“

Waldmeyer klagt den Bundesrat ein

Oder warum Waldmeyer suggeriert, dass die sieben Bundesräte vielleicht ins Gefängnis müssen

Vor gut zwei Wochen stand Waldmeyer vor dem Regal im Coop und konnte das Bastelbuch für seinen Neffen Tim nicht kaufen. Gesperrtes Sortiment. Jetzt hatte Waldmeyer endgültig genug. Nicht nur von all den Lockdown-Massnahmen, sondern generell vom Versagen der Regierung. Der Bundesrat befand sich nun wohl auf dem Höhepunkt seiner Strähne an Miss-Management. Ein Versagen, welches inzwischen an Vorsätzlichkeit grenzt. Waldmeyer überlegte nun, ob er nicht den gesamten Bundesrat einklagen sollte. 

Waldmeyer verharrte vor dem gesperrten Gestell und liess sich, sozusagen als „brain-gym“,  sieben mögliche Anklagepunkte durch den Kopf gehen:

Klage Nummer 1 könnte das „Masken-Gate“ betreffen. Hier lautet die Anklage auf Verschleppung des Vorsorgeauftrages und auf grobfahrlässige Fehler bei der Beschaffung. Und es ging auch um bewusste Falschinformation des Volkes betreffend der Wirksamkeit der Masken.

Klage Nummer 2: die Corona-App. Hier lautet die Anklage auf vorsätzliches Missmanagement.

Klage Nummer 3: das Tracing: Hier wollte sich Waldmeyer auf eine Unterlassungsklage konzentrieren. Es wäre auch ein Tatbestand von Betrug zu prüfen, nach StGB Art. 146.

Klage Nummer 4: das Testing. Allen Beteuerungen des Bundesrates betreffend der hohen Notwendigkeit des Testens zum Trotz hatte er die Organisation nicht richtig an die Hand genommen. Seine Aufgabe hatte er vorsätzlich nicht erfüllt: Es handelt sich mithin um eine Irreleitung des Volkes. Der Aufbau eines Lügengebäudes könnte locker nachgewiesen werden, was eine gute Prozesschance ergeben dürfte. Das kürzlich angekündigte Massen-Testing wird zudem an der Erhältlichkeit der Tests scheitern: Vorspiegelung falscher Tatsachen!

Klage Nummer 5: die Impfstoffe. Ein kleines Land wie die Schweiz hätte frühzeitiger eine Beschaffung sicherstellen können. Und zwar mit einer breiteren Risikoverteilung betreffend potentieller Impfstoffe. Bereits im August und später nochmals im Dezember letzten Jahres gingen die Bundesbehörden z.B. auf die russische Anfrage betreffend Interesse an Sputnik V nicht einmal ein – das BAG antwortete einfach nicht. Handelt es sich hier einfach nur um Unvermögen? Führungsmangel? Oder eben doch um vorsätzliche Verschleppung? Nein, Waldmeyer kokettierte mit einem Fall von fahrlässiger Unterlassung und fahrlässiger Körperverletzung.

Klage Nummer 6: die Impforganisation. Andere Länder schaffen es, regionale und effiziente Impfzentren einzurichten. Der Bundesrat überliess jedoch bequemerweise alles den Kantonen. Diese verschickten schon mal an alle Hausärzte 100 Ampullen (so geschehen im Kanton Zürich), unbesehen der tatsächlichen Nachfrage und eines verlässlichen Impfplanes. Können die Regierungen es einfach nicht besser und sind damit entschuldigt? Nein, meint Waldmeyer, es handelt sich auch hier um eine grobfahrlässige Unterlassung mit Schadenfolge. 

Klage Nummer 7 betraf die Lockdowns und andere Einschränkungen. Waldmeyer ging ein Licht auf: Diese Freiheitsbeschränkungen sind nur das Resultat aus den Einzelvergehen 1 bis 6. Denn viele der Lockdown-Massnahmen wären gar nicht notwendig gewesen, hätte man in den 6 Disziplinen einen guten Job gemacht. Also könnte das Vergehen Nummer 7 nicht einfach eine zufällige Folge der vorangegangenen Einzelvergehen dar, sondern, aufgrund des Kausalzusammenhanges, gar ein minutiös geplantes Kapitalverbrechen darstellen?

Waldmeyer dachte kurz an den Tatbestand einer Geiselnahme (wegen den Lockdowns) sowie die physische und psychische Verletzung von Millionen von Individuen. Nein, ein Vergleich mit Stalin oder Mao zum Beispiel wollte Waldmeyer nicht konstruieren, das wäre doch etwas geschmacklos. Aber mit dem aktuellen China z.B. wäre ein Vergleich angezeigt: China überwacht alle seine Bürger mit wasserdichten digitalen Methoden, erstellt Profile und ein Punktesystem, woraus sich dann die individuell noch erlaubten Freiheitsgrade ergeben – bzw. die Freiheitsbeschränkungen. Die Schweizer Regierung macht das natürlich nicht so raffiniert wie die Chinesen, bei den helvetischen Freiheitsbeschränkungen handelt es sich aufgrund der vielen Einschränkungen im zivilen Leben eher um analoge Quälereien. Zudem gälte es noch, die Schadenersatz-Klagen zu quantifizieren, welche sich aus den zum Teil vermeidbaren Einschränkungen ergeben. Dabei handelt es sich um Milliarden-Schäden, die der Wirtschaft und dem Bund (aufgrund der teuren Hilfsmassnahmen und der erhöhten Schuldenlast) erwachsen sind.

„Weisch, isch gschperrt!“, sagte die serbo-kroatische Coop-Angestellte zu Waldmeyer. Waldmeyer versuchte, immer noch vor Tims Gestell mit den Büchern, sich auf seine Klagestrategie zu konzentrieren. Das Fass zum Überlaufen hatte nun das aktuelle Impf-Management gebracht: Weltweit ist es üblich, dass Covid-19-Geimpfte einen Eintrag in einem Impfpass (künftig wohl vermehrt einem digitalen) oder zumindest eine behördliche und offizielle Impfbescheinigung erhalten. In der Schweiz jedoch werden in den meisten Kantonen die Bürger nach der Impfung einfach mit einem Handzettel nach Hause geschickt, mit dem Versprechen, dass dann später noch eine richtige Impfbestätigung nachgereicht würde.

Dabei wäre es doch ausserordentlich wichtig, eine professionelle Database mit allen Impfdaten aufzubauen! Der Bund hat dies jedoch verpasst. In den einzelnen Kantonen werden im besten Fall nur ein paar Excel-Tabellen nachgeführt. Was nämlich interessant und unabdingbar wäre: zu wissen, welche Art von Leuten wann geimpft wurde, welche Personen später trotzdem infiziert werden, wie (aufgrund der Tests und des Tracings) eine Weitergabe des Virus dennoch stattfindet. Die Beobachtung der Wirkung der Impfstoffe und der Einfluss der Impf-Abfolge müssten doch aufgezeichnet werden! Dafür bräuchte es nur eine einfache elektronische Datenerfassung bei der Impfung. Ein kleines Programm, welches mit Bestimmtheit irgendwo schon existiert und für dessen Beschaffung man nun mindestens ein halbes Jahr Zeit gehabt hätte. Denn nur dann könnten künftige Einschränkungen des öffentlichen Lebens auf diejenigen Massnahmen reduziert werden, welche sich aufgrund der Datenverfolgung als wirkungsvoll und sinnvoll ergeben. Also nochmals eine zusätzliche Unterlassungsklage? Waldmeyer war jetzt schon froh, den Wust an Klageschriften nur virtuell durchgehen zu müssen.

Bei solchen Kapitalfehlern – wie eben mit der Impf-Database – hätte Waldmeyer früher (als CEO noch) einen leitenden Mitarbeiter kurzerhand gefeuert. Es kann doch nicht sein, dass man bei Regierungsmitgliedern solche Fehler nur als Führungsversagen, unglückliche Verschleppung oder schlicht verzeihbares Unvermögen klassifiziert. Nein, hier scheint eine gewisse Vorsätzlichkeit vorzuliegen – was eben eine Klage rechtfertigen würde. 

Waldmeyer überlegte sich noch kurz, ob er nun direkt zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag oder zum Europäischen Gerichtshof in Strassburg gehen könnte. Also ohne den lästigen Umweg über die Schweizer Gerichte und das Bundesgericht – das würde nämlich zu lange dauern. Wohl länger, als bis mit Covid-25 das nächste Regierungsversagen eingeleitet würde.

Waldmeyer stand immer noch vor dem Regal mit den verbotenen Büchern. Er war ziemlich zufrieden mit seiner Klagestrategie. Ein ganzer Strauss an Klagen kam zusammen: Unterlassungsklagen, Beseitigungsklagen, Feststellungsklagen, Schadenersatzforderungen. Und eben das mit der Geiselnahme. Ein Glück, dass Waldmeyer nie in die Politik eingestiegen ist. Wäre er jetzt nämlich Bundesrat, müsste er sich selber verklagen.

Waldmeyer schnappte sich das verbotene Bastelbuch für Tim und verliess den Supermarkt via Self-Scanning.

Waldmeyer und die Permutation

Oder warum die Individualisierung unseres Lebens zu teuer wird

Permutation ist etwas, was eigentlich fast niemanden interessiert. Unter dem mathematischen Begriff versteht man bekanntlich die Anordnung und Kombination von Objekten. Wie viele Varianten können aus x Möglichkeiten kombiniert werden?

Waldmeyer überlegte: Wenn seine Tochter Lara nun einen Serben heiraten würde, dieser wiederum fünf Geschwister und 12 Cousins hätte: An wie vielen Geburtstagen und Hochzeiten in wieviel verschiedenen Gästezusammensetzungen er wohl erscheinen müsste? Korrekterweise müssten allerdings die verfemten Hochzeiten zwischen Cousins und Cousinen vom Total der Kombinationsmöglichkeiten subtrahiert werden. Aber Waldmeyers Permutations-Problem ist viel komplexer. Doch dazu später.

Henry Ford würde sich im Grabe umdrehen

Mehr noch fesselte Waldmeyer nämlich seine nächste Fahrzeugbestellung: Motorenauswahl, Getriebe, Farbe, Innenausstattung, elektronische Gadgets, usw. Eine endlose Konfiguration.

Dank intelligenter Prozess-Steuerung ist produktionsmässig heute fast alles spielend möglich. Armaturenbrett in Kevlar? Oder Walnut? Oder doch Klavierlack? Aber es muss passen zum Leder des Gestühls. Dann kommen noch die komplizierten Fragen betreffend der Varianten von Soundsystemen dazu. Darunter gibt es auch derart starke Ausführungen, welche wattmässig einer SVP-Veranstaltung im Albisgüetli oder der Lautsprecherdurchsage in einer spanischen Flughafenhalle genügen würden.

Die Kombinationsvarianten führen letztlich dazu, dass schliesslich kaum mehr ein Auto dem andern gleicht. Alles ist tailor-made. Das ist eine unglaubliche Errungenschaft der digitalen Industrialisierung. Henry Ford würde sich allerdings im Grabe umdrehen: „You can order any color as long as it‘s black“.

Die Optionenliste reicht bis zum Mond

Waldmeyer reflektierte kurz, ob Henry Fords Satz heute, im Jahr von black lives matter, auch noch durchgehen würde. Seine Gedanken trugen ihn aber sofort zurück zu profanen mikroökonomischen Überlegungen: Warum nur braucht es, der Permutation folgend, mehrere Tausend Fahrzeugvarianten?

Ausgedruckt nimmt die Optionenliste bei der Fahrzeugbestellung gewisser Marken gefühlt wohl den Umfang von Goethes Faust ein, und die Auflistung aller möglichen und unmöglichen Kombinationsmöglichkeiten – eben der Permutation – würde vermutlich bis zum Mond reichen.

Waldmeyers Frau Charlotte meinte dazu nüchtern, dass das doch normal sei, auch Sofa-Kombinationen von angesagten Herstellern seien fast unbeschränkt möglich.

In Sachen Konfigurationsgeschmack sind die Briten schmerzfrei

Doch es gibt auch Eingrenzungen: Bei deutschen Fahrzeugherstellern z.B. sind besonders scheussliche Farbkombinationen (Aussenfarbe hellblau, rotes Leder, Kevlar-Armaturenbrett) gesperrt. Die britischen Hersteller sind hier wesentlich schmerzfreier: Auch die grässlichsten Kombinationen lassen sie durchgehen, sie erkennen diese nämlich gar nicht.

Tatsache ist nun mal, dass dank perfekter digitaler Produktionssteuerung zwar fast jede Konfiguration möglich ist, diese individualisierte Herstellung jedoch die ganze Produktion ungemein verteuert. Es entstehen die besonders toxischen „hidden cost“: In den Erfolgsrechnungen explodieren dann zum Beispiel die IT-Kosten. Diese müssen leider auf alle Produkte relativ gleichmässig umgelegt werden, und in der Folge ist einfach alles teurer, auch ein nicht-konfiguriertes Standardprodukt.

Kein Hersteller würde es wagen, die Investitionen in IT in Frage zu stellen, die Analysten würden dies sofort als mangelndes Bekenntnis zu Artificial Intelligence interpretieren. Versteckte Zusatzkosten entstehen auch bei der Beschaffung und Logistik von allerlei Einzelteilen, die es in mannigfaltiger Form zu kombinieren gilt. Alle diese Produktionsverteuerungen werden von der nackten Angst der Hersteller verdrängt, dass ein Wettbewerber noch mehr Modellvarianten anbieten könnte.

Simplify your life

Charlotte wollte ihren neuen Audi Kombi einfach schwarz, innen auch. „Simplify your life.“ Die restlichen Fahrzeug-Attribute waren ihr völlig egal. Sie wünschte sich also ein Standard-Auto – dementsprechend sollte auch der Preis geringer sein.

Aber das klappte nicht: Bei der Bestellung wurde sie zu genau 122 Fragen verdonnert: Dachhimmel dunkel oder in Standardfarbe elfenbein? Rückspiegel abblendbar oder nicht? Spurhaltesystem oder nicht? Ein Wunder, dass sie nicht zu ihrem Sexualleben befragt wurde.

Das Resultat war bedauerlicherweise so, dass ihre Konfiguration trotz der einfachen Optionen sehr teuer ausfiel. Charlotte war entsetzt: „Das heisst, dass wir mit diesem Standard-Kauf quasi die anderen Fahrzeuge subventionieren?“

Vermutlich hatte Henry Ford doch recht

Waldmeyer war weniger schockiert: „Dafür hast du nun die perfekte Individualisierung!“ Aber er wusste schon: Diese ad absurdum getriebene Individualisierung kostet zu viel. Vielleicht hatte Henry Ford doch recht? Zumal Charlotte eh nur schwarz wollte. Vermutlich hatte Waldmeyer damals für seinen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) auch zu viel bezahlt. Was Waldmeyer in der Tat störte: Eine Variantenreduktion könnte die Wettbewerbsfähigkeit vermutlich erhöhen, da preislich günstiger. Und logistisch wäre man eh noch flexibler bei den Auslieferungen.

Man sollte das ändern

„Man“. Also nahm sich Waldmeyer vor, mit einem CEO der Automobilindustrie zu sprechen. Zum Beispiel mit Akio Toyoda, dem Chef von Toyota. Aber wie kommt man an den Kerl ran?

Das Gespräch erübrigte sich, als Waldmeyer versuchte (nur spasseshalber natürlich), einen Toyota Landcruiser zu konfigurieren. Es gab nämlich kaum Varianten! Eigentlich war in allen Fahrzeugen schon alles drin. Er konnte mehr oder weniger nur die Farbe wählen, und der Innenraum war bereits so darauf abgestimmt, dass es eigentlich 99% der Kundschaft gefallen musste. Die Opportunität und Versuchung zur mühsamen Konfiguration erübrigte sich. Also erübrigte sich auch das Gespräch mit Mister Toyoda. Ob die westliche Industrie wohl auf dem Holzweg ist?

Auf jeden Fall beschloss Waldmeyer, sofort Toyota zu kaufen. Aber nicht das Fahrzeug, sondern die Aktien.

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