Waldmeyer ist ein bekennender News-Junkie. Deshalb ist es ihm nicht entgangen, dass Corona offenbar einen Haustier-Boom ausgelöst hatte. Nebst allerlei Verwerfungen, die die Pandemie in verschiedenen Märkten hervorgerufen hat, war dieser Haustier-Trend besonders spannend – ganz einfach, weil man ihn schlichtweg nicht vorausgesehen hat. Auch Waldmeyer nicht.
Waldmeyer las also in seinem Leibblatt (Anm. der Redaktion: NZZ), dass zurzeit insbesondere „kompakte“ Hunde sehr beliebt sind. Es scheint so, dass gewisse Teile der Bevölkerung geradezu lechzen nach Krisenkompensatoren in Form dieser praktischen (kompakten) Tiere. Allerdings werden diese dann oft ins Tierheim gesteckt, wenn’s in den Urlaub geht. So des Öfteren geschehen im letzten Sommer. Die Tiere werden anschliessend gar nicht mehr abgeholt. Vom Corona-Frust geheilt und mental gestählt aus den Ferien zurückkommend, scheint die Tierwärme plötzlich erkaltet. Das macht jedoch nichts und führt nicht einmal zu einer Marktverzerrung, denn es besteht eine grosse Nachfrage nach Günstig-Tieren aus dem Tierheim. Hier kann gratis auf eine attraktive Auswahl zurückgegriffen werden – was viele Bürger derzeit auch tun. Im Nu leeren sich diese Tierhotels dann wieder. Durch diesen massenweisen Auszug aus der Tier-WG in Individualhaushalte werden alle Marktverwerfungen geglättet: Angebot und Nachfrage scheinen also zu funktionieren; die Liquidität an Hunden und Katzen ist sichergestellt. Waldmeyer glaubte generell schon immer an den Markt, und es war beruhigend, dass in diesem Nano-Abzweiger der Makroökonomie keine Ausnahme gemacht wird.
Auch die Nachfrage nach Katzen steigt. Der Bestand in der Schweiz wird derzeit auf 1.8 Mio geschätzt – und er nimmt stetig zu. Dazu kommen, auch hier in zunehmendem Masse, noch allerlei Hamster, Meerschweinchen, Vögel und Fische. Das Total dieser Haustiere übersteigt vermutlich die Schweizer Bevölkerung von 8.6 Millionen.
Waldmeyer dirigierte seinen Gedankenstrang nun zurück in Richtung Corona-Effekt in Sachen Tierhaltung: Offenbar steigt in Krisenzeiten wie der aktuellen die Lust nach sozialer „Company“. Eine Quarantäne z.B. lässt sich gefühlt wohl verkürzen, wenn ein Büsi zugegen ist. Nur, und hier die Krux: Neu können sich auch Haustiere mit dem Virus infizieren! Wir erinnern uns an den Hund in Hongkong, der bereits im Februar 2020 als infiziert rapportiert wurde, und nun kam noch diese Katze an Weihnachten hinzu. Allerdings ist es medizinisch noch nicht erwiesen, ob auch eine Weitergabe der Infektion an andere Menschen möglich ist. Das Büsi als Superspreader zum Beispiel wurde – glücklicherweise – noch nicht entdeckt.
Doch zurück zur Analyse des Tiermarktes: Jetzt lässt sich auch erklären, warum, zusammen mit den Nahrungsmitteln, während der Coronazeit auch die Tierfutter-Umsätze gestiegen sind. Einerseits also durch den erhöhten Tierbestand, vermutlich aber auch, weil zu verschiedenen Zeiten Einkäufe im grenznahen Ausland nicht möglich waren. Wie wir wissen, konnten Migros, Coop, etc. ihre Umsätze in diesen Zeiten markant erhöhen – das war nicht nur auf die Restaurants-Schliessungen zurückzuführen. Nebst Waschmittel, Nivea, Windeln, Fleisch, etc. ist auch Pet Food nämlich ein beliebtes Einkaufsschnäppchen im deutlich günstigeren Ausland. Covid-befeuert stiegen damit, vorübergehend, die Tierfutter-Umsätze im Inland.
Waldmeyer fand alle diese Zusammenhänge einigermassen interessant, wusste aber nicht, was er damit anfangen sollte. Normalerweise hatte er gelernt, einen Wissensvorsprung auch zu nutzen. Als früherer CEO und Unternehmer wusste er, dass nebst Organisations- und etwas Führungstalent vor allem eines entscheidend war: eben ein Wissens- oder Informationsvorsprung. Nur so konnte man gewinnen.
Auch an der Börse wird dies genutzt. Leider zeigt sich dabei allerdings nur zu regelmässig, dass all diese intellektuellen persönlichen Vorsprünge nicht richtig umgesetzt werden können – weil die Börse eben nicht das tut, was sie logischerweise tun sollte. Wenn Tesla heute nun auf ein so irrwitziges Niveau steigt, dass Elon Musk unmöglich je überhaupt so viele Autos produzieren könnte, um die derzeitige Börsenbewertung abzubilden, entspricht das dem Gegenteil von Logik. Oder die Bewertung von Bitcoin muss heute einfach so hingenommen werden, als virtuelle Wert-Erscheinung, ohne logische Erklärung.
Waldmeyer überlegte nun trotzdem, wie sich seine Beobachtungen und Erkenntnisse in Sachen Haustieren pekuniär umsetzen liessen: Ein Haustier-Boom musste nun wohl auch einen Boom nicht nur bei Züchtern und anderen Haustier-Produzenten auslösen, sondern, wie er vorhin schon analysiert hatte, eben bei der Tiernahrung. Also sollte man sich Whiskas, Sheba, Pedigree, etc. genauer ansehen und dort investieren? Nicht, indem man den Luftschutzkeller mit diesen Produkten füllt, sondern selbstredend mit cleveren Aktienkäufen. Der neue Haustierhaltungstrend – wohl ein weltweites Phänomen, da auch die Pandemie weltweit organisiert ist – wird die Börsenwerte von den betroffenen Firmen in der Branche künftig mit Bestimmtheit beflügeln. Jetzt also in Mars Incorporation investieren (die US-Firma hält einen grossen Teil an diesen Pet Food-Brands)?
„Charlotte, haben wir noch genügend Whiskas für Felix?“ Charlotte war etwas konsterniert, denn Max hatte sich in all den Ehejahren noch nie um den Futter-Nachschub für ihre Katze gekümmert – weder bei Felix I, II, III, noch jetzt bei Felix IV. „Max, der Keller ist voll mit Whiskas, es gab doch letzten Monat diese Aktion 2 für 1. Die müssen wohl irgendwelche Überbestände abbauen“.
Nun war Waldmeyer konsterniert. Seine Theorie kam ins Wanken. Es passierte wieder einmal genau das Gegenteil. Vielleicht, so schoss es ihm durch den Kopf, nahm die Industrie einen Nachfrage-Einbruch vorweg. Und dieser konnte sich nur dadurch ergeben, dass die Pandemie nun die Haustiere flächendeckend erfasst. Der Markt „eskomptiert“ ja vieles, er nimmt einen Trend vorweg. Wenn die Gefahr nun offenkundig wird, dass vor allem Hunde und Katzen sich mit Covid-19 kontaminieren können, würde der Haustier-Bestand abgebaut, und es würde, zum Beispiel, weniger Whiskas gekauft. Dann kommt erst die Phase „2 für 1“, worauf sinkende Börsenkurse von Mars Inc. folgen könnten. Vielleicht sollte Waldmeyer doch besser einen Put auf diese Mars-Aktien setzen, also à la baisse spekulieren?
Aber vorerst sollte man die Hausaufgaben zu Hause erledigen, d.h. den Whiskas-Bestand schnellstmöglich abbauen. Konsequenterweise auch auf ein Umstellen der Tierart denken, zum Beispiel an Fische. Hier wäre die Covid-19-Übertragung bestimmt vernachlässigbar. „Charlotte, wir sollten künftig auch an Fischfutter denken“, entfuhr es Waldmeyer. Charlotte antwortete wie immer in solchen Situationen: nämlich gar nicht.
Max Waldmeyer streichelte Felix IV und zog sich etwas frustriert zum Apéritif zurück. Die Märkte vollziehen nicht nach, was der Logik entspricht. Zudem kann seine messerscharf analysierte Korrelation pekuniär nicht umgesetzt werden. Und das mit den Fischen war auch wenig befriedigend.