Die anfängliche Zustimmung von Politik und Bevölkerung zur Regierung in Sachen Corona Krisen-Management ist heute grosser Skepsis gewichen. Berechtigt, denn die Regierung zeigt sich zusehends überfordert. Die Corona Fallzahlen liegen in der Schweiz heute auf dem Level der USA, von Frankreich oder Spanien – proportional auf 100‘000 Einwohner gerechnet. Unsere Zahlen in der Schweiz werden, nebst allfälligen medizinischen Risiken, zu weiteren Beschränkungen in unserem sozialen Leben führen, vor allem auch zu Reisebeschränkungen. Im Rückblick sind 10 Kapitalfehler auszumachen, welche unsere Regierung zum Teil sehenden Auges begangen hat – oder immer noch begeht.
Die steigenden Fallzahlen in der Schweiz bringen unser Land in eine neue Misere: Die zweite Welle wird neue hohe volkswirtschaftliche Kosten auslösen und zu Einschränkungen in unserem täglichen Leben führen. Unser Land wird zurzeit von vielen Staaten als neuer „Krisenherd“ definiert, was unsere Reisefreiheit einschränkt. Dabei geht es selbstredend nicht nur um die Einschränkung von touristischen Reisen – ökonomisch schädlicher sind die ausfallenden Geschäftsreisen. Zoom alleine vermag das nicht zu kompensieren.
Dass viele andere Länder ihr Krisen-Management auch nicht im Griff haben, mag ein Trost sein. Aber von einem der reichsten und höchst-entwickelten Staaten der Welt dürften wir nun mal weniger Fehler bei einer Krisenbewältigung erwarten. Die Bilanz fällt leider ernüchternd aus: Unsere Regierung hat einige Kapitalfehler begangen.
Kapitalfehler Nummer 1: Die Maskenlüge
Der Fauxpas ist bekannt: Mangels Masken wurden diese zu Beginn der Krise kurzerhand als unwirksam bezeichnet. Die Erfahrung vieler asiatischer Länder zum Beispiel zählte nicht. Viel schlimmer jedoch wiegt, dass der Fehler erst jetzt (nach bald acht Monaten!) durch den Bundesrat halbwegs korrigiert. Die weltweite Erkenntnis, dass Masken die Virusverbreitung eindämmen, ist offenbar erst heute bei der Regierung angekommen. Niemand trägt gerne Masken – klar. Aber wenn sich mit dieser Komforteinbusse grössere volkswirtschaftliche Schäden verhindern lassen, sind sie nützlich.
Kapitalfehler Nummer 2: Ungenügende Vorbereitung der Infrastruktur
Die Eintretens-Wahrscheinlichkeiten für grosse Krisen sind dem Bundesrat seit Jahren bekannt: Die Gefahr heute geht nicht vom Russen aus, welcher den Rhein überschreitet. Krise Nummer 1 stellt eine Strom-Mangellage dar, Nummer 2 eine Pandemie. Trotzdem traf uns die Corona-Pandemie ziemlich unvorbereitet – dies sowohl in Sachen medizinischer Ausrüstung und Infrastruktur als auch führungsmässig. Ein professioneller nationaler Krisenstab glänzt bis heute durch Abwesenheit. 10 Milliarden CHF flossen bisher jährlich in die Armee – für ein Krisenszenario, welches in klassischer Form gar nicht mehr existiert. Ein paar spärliche Millionen nur wurden für andere Krisenvorbereitungen ausgegeben. Ein virtuelles Durchspielen eine Pandemiekrise, Training in Führungsstäben und richtige materielle Vorbereitung hätten nicht alle Welt gekostet. Die verpasste Umsetzung eines ziemlich wahrscheinlichen Krisen-Szenarios stellt ein Versagen der Regierung dar, und zwar sowohl in politischer, als auch in managementmässiger Hinsicht.
Lockdowns und andere Massnahmen sind Killer für die Wirtschaft. Eine bessere Pandemie-Vorbereitung hätte wohl zu zielführenderen Entscheidungen geführt.
Kapitalfehler Nummer 3: Unnötiger weitgehender Lockdown
Mit Social Distancing, Maske, Hygiene erreicht man mehr, als mit einem flächenweiten Zusperren von Läden. Das hätte man schon im Frühjahr erkennen können, hätte man beispielsweise nach Taiwan oder Korea geschaut. Und bei der Wiedereröffnung erfolgten gleich die nächsten Fehler: Erst gingen mal die kleinräumigen Tattoo-Studios mit hohem Risiko von direktem Körperkontakt auf, grosse Verkaufsflächen wie die von Ikea z.B. blieben indes geschlossen. Die ganze Lockdown-Übung kostete letztlich Milliarden und verursachte wesentliche soziale Einschränkungen und Verwerfungen.
Kapitalfehler Nummer 4: Kein Krisen-Management
Bis heute besteht kein nationales professionelles Krisen-Management. Keine Taskforce, welche wirklich führt. Dass Juristen, ein Arzt, ein Winzer, ein Buchhalter, eine Dolmetscherin oder eine Konzertpianistin vielleicht ganz leidliche Bundesräte abgeben können, muss zumindest diskussionswürdig bleiben. Was jedoch evident ist: In krisenerprobte Führungs-Cracks können sie sich unsere sieben Protagonisten nicht verwandeln.
Kapitalfehler Nummer 5: Mangelhafte Kommunikation
Wir erinnern uns: Da sprach mal, in ganz jovialer Art, Bundesrat Berset. Oder Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit BAG, mit leicht morbidem Habitus zwar, aber immerhin bedächtig und Ruhe einflössend. Simonetta Sommaruga spricht bis heute immer noch von „Solidarität“ – ganz im Stil einer Neujahrsansprache. Andere Exponenten, so Vertreter des BAG oder einer ziemlich hilf- und bedeutungslosen „Taskforce“, sprechen parallel und heben – ein bisschen warnend – den Finger. Ein Blick nach Holland oder Österreich zeigt, wie richtig kommuniziert wird: Die Herren Rutte oder Kurz sprechen dort einheitlich, eindringlich und klar. Und vor allem nur sie, und nicht ein halbes Dutzend (zum Teil offensichtlich unbegabte) Politiker.
Kapitalfehler Nummer 6: Kein Eingreifen beim überforderten BAG
Dass das BAG schon zu Beginn der Krise überfordert war, zeigte sich sehr bald. Dass die kantonalen Fallzahlen per Fax täglich eingereicht werden mussten, ist nur ein Beispiel, wie es um die Management-Fähigkeiten dieses Bundesamtes steht. Noch heute ist bei der Einreise in die Schweiz keine verbreitete Infrastruktur für Covid-19-Tests vorhanden (welche schädliche Quarantänen vermeiden könnte). Bundesämter sind zugegebenermassen per se keine Brutstätten für Wirtschaftsführer, weshalb wir vielleicht etwas nachsichtig sein sollten. Was jedoch schlimmer wiegt: Der Bundesrat greift nicht ein. Der zuständige Jurist Alain Berset liess sein Amt immer gewähren – es erfolgte keine Korrektur. Bis heute nicht.
Kapitalfehler Nummer 7: Falsche Zahleninterpretation
Das BAG – und damit der Bundesrat – veröffentlicht seit Monaten willkürliche Länder-Fallzahlen und leitet daraus Quarantäne-Regeln ab. Island oder Luxemburg z.B. beschlossen, die ganze Bevölkerung flächendeckend zu testen. Mit dem Resultat, dass natürlich viele verdeckte Fälle gefunden werden und die Fallzahlen eines Landes so bedeutend höher zu liegen kommen. Serbien, Russland oder gar Afghanistan, regelrechte Corona-Hotspots, testeten kaum oder deren gemeldete Infektionszahlen waren nicht korrekt. Das BAG jedoch schickte Reisende aus Island und Luxemburg in die Quarantäne, Reisende aus Serbien, Russland oder Afghanistan blieben unbehelligt. Amüsanterweise steht heute Guyana, mit nur mittelmässigen Fallzahlen, auf der Liste (obwohl es kaum mögliche Flugverbindungen in die Schweiz gibt), die Einreise aus dem nahen Lyon, einem Covid-19-Herd, bleibt indessen frei. Letztlich handelt es sich um falsche Zahleninterpretationen, welche nicht nur zu medizinischen, sondern auch zu wirtschaftlichen Schäden führen. Die Einreise von Zürich in den Thurgau müsste konsequenterweise eher mit einer Quarantäne belegt werden, als die Einreise aus den USA, den Emiraten oder dem spanischen Andalusien – deren Fallzahlen liegen heute nämlich tiefer als in der Schweiz!
Und was tut der Bundesrat? Er lässt dieses absurde Tun des BAG einfach gewähren.
Kapitalfehler Nummer 8: Delegation an die Kantone
Wir erinnern uns: Der Bundesrat delegierte die Führung der Corona-Krise an die Kantone, just vor seinem Abschied in die Sommerferien (welcher übrigens in corpore erfolgte, so wie eben jedes Jahr). Die Misere ist bekannt: Jeder Kanton macht, was er will. Hier Masken in leeren Museen, dort keine Masken in der Diskothek. Hier Clubs offen, dort zu, Events und Partys hier möglich, aber dort nicht. Einzelne Kantone schaffen das Contact Tracing nicht mehr – es fehlt am Willen, Wissen oder an Kapazitäten – dabei gäbe es zuhauf Kurzarbeitende aus geeigneten Berufen, welche sich hervorragend für solche Arbeiten eignen würden. Dass eine solche Krise nur national (abgesehen von den internationalen Anforderungen) gemanagt werden kann, ist eigentlich offensichtlich. Auch in Deutschland verfügen die einzelnen Bundesländer über eine föderale Autonomie – aber Bayern oder Baden-Württemberg sind für sich alleine nun mal grösser als die ganze Schweiz. Unser kleinräumiges Land macht sich das Leben schwer, indem es für seine atomistische Struktur ein Wust an gegenteiligen Regeln aufstellt. Das mag für gewisse andere Belange durchgehen, aber nicht für eine Pandemie. Oder mutiert das Virus vielleicht doch an den Kantonsgrenzen?
Kapitalfehler Nummer 9: Falsche Definition der Ausbruchsherde
Nahezu weltweit ist man sich einig: Brandbeschleuniger für die Virus-Verbreitung sind Clubs, Bars, Chöre, Events, Feiern. Und trotzdem – als einziges Land in Europa – liess es die Regierung zu, dass Clubs und Bars offenblieben, Jodelfeste abgehalten und grosse Feiern erlaubt blieben.
Allein mit sozialen Einschränkungen, welche diese Virenschleudern betreffen, hätte eine zweite Welle des heutigen Ausmasses vielleicht verhindert werden können. Natürlich hätten einige Clubs oder Kinos später nie mehr öffnen können, deren ökonomisches Ende wäre unter Umständen vorprogrammiert gewesen – bedauerlich. Aber es hätte volkswirtschaftlich bedeutend weniger gekostet als die Auswirkungen und Konsequenzen der heutigen hohen Infektionszahlen. Dem politischen Druck von vielen Branchenverbänden scheint sich der Bundesrat nie entgegenstemmen zu wollen. Das Schreckensbild eines „sozialen und kulturellen Kahlschlags“ wird an die Wand gemalt – und die Regierung bricht jeweils ein.
Kapitalfehler Nummer 10: Alles erfolgt zu langsam
Als sich unsere Infektionszahlen in den letzten Tagen täglich nahezu verdoppelten, bequemte sich unser Bundesrat – wohl nach einer sechsmonatigen Corona-Reflektion – zu der Aussage, dass man sich „in den nächsten Wochen“ der Misere annehmen und Entscheide treffen würde. Die Aussage ist leider symptomatisch. Nichtstun kann zum Teil eine weise politische Taktik sein. Aber in einer Krise zeugen sie nur von Führungsschwäche. Raschheit ist jetzt gefragt. Nur aufgrund erhöhtem politischem Druck sah sich unsere Staatsführung genötigt, in den letzten Tagen doch noch ein paar Massnahmen einzuleiten. Doch die Entscheide waren ziemlich lendenlahm: Events sind nach wie vor möglich, Hochzeitsfeiern bis 99 Personen ebenso ohne besondere Vorsichtsmassnahmen, die Clubs bleiben (wenn auch mit Auflagen) offen. Der Kapitalfehler der mangelnden Reaktionszeit und des mangelnden Mutes zieht sich leider wie ein roter Faden weiter durch die Krise.
Hysterie wäre nun ein schlechter Krisenbegleiter. Zumal wir inzwischen einiges dazugelernt haben, wie sich eine Epidemie einschränken lässt. Die Corona-Malaise wird uns wohl noch einige Zeit begleiten – Zeit genug also, um einen Paradigmawechsel einzuleiten: Unser Land bräuchte eine schlagkräftige Taskforce, welche uns apolitisch durch die Krise führen kann. Und Entscheide aufgrund bekannter Analysen fällt, mit einem konsequenten, zielgerichteten Eindämmen des Virus dort, wo es sich verbreitet. So könnte ein Grossteil unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens ziemlich unbehelligt weitergehen. Und dann warten wir eben auf die Impfung…