Regierungsversagen in der Krise

Interview mit Dr. Rebecka Carpenter

„Der Fisch stinkt vom Kopf.“ 

True Economics: Rebecka, wird es in unserem Gespräch heute schon wieder Bundesrats-Bashing geben?

Rebecka Carpenter: Ja. Leider. So lange wohl, bis die Spitze der Regierung – und das ist nun mal der Bundesrat – konsequent durch die Krise führt und lernt. 

TE: Andere Staaten haben es jedoch auch nicht besser gemacht.

RC: Da muss ich allerdings widersprechen. Deutschland oder Dänemark haben die Fallzahlen ziemlich gut im Griff, ohne das ganze Leben runterzufahren. Über die Beispiele Südkorea oder Taiwan haben wir früher schon gesprochen – die haben das ohne Lockdown hingekriegt. Als eines der reichsten und hochentwickeltsten Länder der Welt könnte man von unserem Bundesrat schon erwarten, dass er zumindest in den letzten Monaten und Wochen gelernt hat. Wir alle haben ja inzwischen ebenso dazugelernt, auch epidemiologisch. Wir wissen heute, dass wir die Krisenherde erfassen müssen – diese sind nämlich ziemlich gut zu orten. Weder komplette Lockdowns sind dazu notwendig, noch Laisser-faire.

TE: In der Tat steht heute die Schweiz weltweit an vierter oder fünfter Stelle mit den Corona-Fallzahlen, seit gestern vielleicht noch weiter oben. Auf Deutschland hochgerechnet, würden das bald 100‘000 Fallzahlen pro Tag bedeuten. Deutschland würde sich wohl in einem kompletten Lockdown befinden in einer solchen Situation.

RC: Unsere Situation ist mehr als peinlich. Wir stehen international ziemlich angezählt da. Proportional zur Bevölkerung haben wir mit unseren Infektionen sämtliche grossen europäischen Länder überholt, die täglichen Infektionen liegen sogar viermal höher als in den USA. Der Bundesrat hat vor allem zugewartet und nichts getan – und das Momentum verpasst. Nun bezahlen wir die Rechnung, indem es wieder zu Lockdown-ähnlichen Massnahmen kommt und wir, unter anderem, als Schweizer unsere Reisefreiheit verlieren. Und die touristische Erholung können wir ebenso vergessen. Im Vordergrund steht nicht einmal ein akutes medizinisches Problem, sondern ein volkswirtschaftliches. Denn die neuen und künftig vielleicht noch härteren Einschränkungen sind teuer. Letztlich beruht die heutige Situation auf einem klaren Regierungsversagen.

TE: Einen Schlussrang unter den entwickelten Ländern belegt die Schweiz gleichzeitig in Sachen Testing. 

RC: Davor haben nicht nur Epidemiologen schon lange gewarnt, die Regierung hat aber bis heute nicht reagiert. Nur hohe Testraten führen zu Übersicht. Auch Random-Testing (also in repräsentativen Stichproben) hätte schon früher helfen können, Hotspots zu erkennen. Risikogebiete und Infizierte werden mit unseren mageren Testmethoden nur mit grosser Verzögerung entdeckt. Seit Monaten hätten wir in genügenden Mengen Testmaterial einkaufen und die Test-Organisation bereitstellen können. Noch heute jedoch gibt es jedoch keine Drive-Throughs, das Testen ist mühsam und teuer, die Labors sind überlastet. Kommt hinzu, dass die Behörden mit dem Tracing an vielen Orten bereits heillos überfordert sind. Es funktioniert eben nicht, wenn man sich als Regierung feige hinter föderalen Systemen versteckt und nichts tut. In einer Krise müsste der Bundesrat die Führung übernehmen – oder, falls er überfordert ist – einen professionellen Krisenstab mit Kompetenzen  einberufen.

TE: Unser Regierungssystem ist also schuld an der Misere?

RC: Nein. Wir haben wohl immer noch eines der besten Regierungssysteme der Welt. Ein starker Staat (wie in Spanien oder in Frankreich) mit ebenso starkem Durchgriffsrecht verhindert offenbar nicht, dass auch ein solches Land die Krise à priori nur mangelhaft managt. Ein schlanker Staatsapparat – wie in der Schweiz – ist organisationsmässig in der Tat etwas schlechter aufgestellt für Krisen. Wir haben eben eine Schönwetter-Regierung, welche uns zwar gute Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche und soziale Leben garantiert. Aber diese Regierung eignet sich offenbar nicht für die Schlechtwetterperiode. Letztlich wäre es allerdings nur eine Managementaufgabe, in einer plötzlichen Krise zumindest zu führen. Oder mangels Fähigkeiten wenigsten die demütige Erkenntnis zu haben, einen Führungsstab einzusetzen. Diese Entscheide lassen sich auch in einem schlanken Staat treffen. Offenbar haben wir nicht die richtigen Leute an der Spitze – der Fisch stinkt eben vom Kopf. 

TE: Unser föderales System eignet sich wohl nicht für Krisen.

RC: Richtig – es ist überfordert. Wie soll Appenzell Innerhoden mit einer Bevölkerungszahl von 16‘000 ein kantonales Corona-Krisenmanagement übernehmen? Schwamendingen hat fast doppelt so viele Einwohner. Sie als Journalist verstehen vielleicht ebenso viel von Covid-19 und Krisenführung wie die Appenzeller Regierung. Das Versagen liegt jedoch nicht in Appenzell, sondern beim Bundesrat, welcher dieses Tun zugelassen hat. Immer unter dem Deckmantel des unabdingbaren Föderalismus. Das Versagen liegt gerade darin, dass nicht erkannt wird, dass eine Pandemie unmöglich auf kantonaler Ebene bekämpft werden kann. Der Bundesrat wird oft entschuldigt, dass er „das nicht darf“. Das ist nicht richtig: Führen darf man immer. Man muss es einfach gut und überzeugt tun.

TE: Sie erwähnten vorhin, dass wir nun vielleicht „das Momentum verpasst haben“.

RC: Wir werden nicht untergehen. Aber wir haben wertvolle Zeit verloren. Die Spitaleintritte nehmen exponentiell zu, die Intensivbetten füllen sich. Letztlich geht es einzig darum, das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Hätten wir früher geeignete Methoden ergriffen, hätten wir heute eine weniger brenzlige Lage. Mit geringsten Einschränkungen hätten wir schon vor Wochen eine maximale Wirkung erzielen können: nämlich mit einer Ausweitung der Maskentragpflicht, mit starken Versammlungsbeschränkungen, Verzicht auf Sportanlässe und andere Events, Schliessung von Clubs, Bars und ähnlichen Etablissements – ganz klar auch mit einer Beschränkung von privaten Feiern. Also mit ähnlichen Vorschriften, die gerade jetzt erlassen werden, wenn auch nicht konsequent. Das wären schon früher Massnahmen mit akzeptablen Verzichten und hinnehmbaren Kosten gewesen. Die heutige Situation erfordert nun härtere Massnahmen. Insofern haben wir das Momentum verpasst und müssen dafür büssen.

TE: Die Regierung wird offenbar jedoch kaum kritisiert, auch in den Medien nicht.

RC: Das wird noch kommen. Die Medien halten sich in der Tat sehr zurück. Wichtige Sprachrohre (z.B. SRF oder die NZZ) erfüllen damit aber ihre neutrale Informationspflicht nicht. Sie sollten kritischer sein. Letztlich wird die Glaubwürdigkeit der Regierung jedoch schwinden: Wie soll dem Bürger erklärt werden, warum Masken im März nichts genützt haben, diese jetzt aber sogar im Freien getragen werden sollen? Wieso in Museen Maskentragpflicht herrschte, bis vor kurzem aber die Clubs offen waren und man dort nicht einmal Masken tragen musste – man musste sich nur hinsetzen! Jodlerfeste, grosse Hochzeitsfeiern und selbst geriatrische Clubausfahrten waren in einem Kanton erlaubt, im anderen herrschte eine relativ strenge Versammlungsbeschränkung. Dies bei vergleichbaren Fallzahlen – als ob das Virus kantonale Mutationen aufweisen würde. Und heute braucht es plötzlich vorverlegte Polizeistunden, um nicht eine unkontrollierte Lage zu riskieren. Dies aber erst mal nicht sehr streng – im Sinne eines austarierten Kompromisses, der zwischen dem Bundesrat und den Kantonen in tagelangen Sitzungen getroffen wurde.

TE: Rebecka, früher waren Sie gegen den Lockdown, heute für stärkere Einschränkungen. Haben Sie ihre Meinung geändert?

RC: Nein, ganz und gar nicht! Im Frühling war ich gegen einen flächendeckenden Lockdown des ganzen Detailhandels. Weil es nichts bringt, wenn insbesondere niederfrequentierte Läden geschlossen bleiben, hochfrequentierte (wie Supermärkte) jedoch offen sind. Die Erfahrung zeigt uns heute auch, dass man sich in der Boutique oder im Baumarkt kaum ansteckt – nicht einmal im Supermarkt. Maskenschutz, Distanz und Hygiene reichen. Heute vertrete ich alle Einschränkungen, um die Nahkontakte zu reduzieren. Das ist am wirksamsten – und hätte eben schon früher dringend erfolgen sollen. Aber auch heute sieht der getroffene Massnahmen-Kompromiss ziemlich lendenlahm aus – so sind grössere Veranstaltungen immer noch möglich, private Feiern ebenso, wenn auch mit maximal 10 Personen. Das sind alles eben unnötige und wenig mutige Kompromisse, mit reduzierter Effektivität.

TE: Wovor haben Sie Angst, Rebecka?

RC: Einerseits habe ich grossen Respekt vor den wirtschaftlichen Folgen dieses Regierungsversagens – weniger vor den medizinischen Folgen. Diese werden wir wohl einigermassen in den Griff bekommen. Angst habe ich allerdings vor einer richtigen Krise. So zum Beispiel vor einer Strommangel-Lage – bekanntlich das Krisenszenario (laut unserer Regierung) mit der höchsten Eintretens-Wahrscheinlichkeit. Abgesehen davon, dass wir auf eine solche Krise ebenso wenig vorbereitet sind wie wir es auf die Pandemie waren: Man stelle sich vor, unsere Regierung müsste eine solche Krise managen! Unser Bundesrat hat den Beweis erbracht, dass er in einer Krise nicht führen kann. Im Falle einer echten Krise hätte das fatale Folgen. 

TE: Was heisst das für Sie?

RC: Sollten wir es nicht schaffen, künftig fähigere und krisenerprobte Führungspersönlichkeiten im Bundesrat zu haben, müssten wir ihm im Falle einer Krise das Heft sofort aus der Hand nehmen! Natürlich denke ich hier nicht an einen Armeeputsch (RC lacht). Aber die Stäbe der Armee z.B. würden unser Land mit Bestimmtheit besser durch die Krise führen. Wir müssten jedoch schon heute, demokratisch abgesichert, eine solches Führungs-Szenario im Hinblick auf Krisen vorbereiten.

10 Kapitalfehler unserer Regierung im Umgang mit Corona

Die anfängliche Zustimmung von Politik und Bevölkerung zur Regierung in Sachen Corona Krisen-Management ist heute grosser Skepsis gewichen. Berechtigt, denn die Regierung zeigt sich zusehends überfordert. Die Corona Fallzahlen liegen in der Schweiz heute auf dem Level der USA, von Frankreich oder Spanien – proportional auf 100‘000 Einwohner gerechnet. Unsere Zahlen in der Schweiz werden, nebst allfälligen medizinischen Risiken, zu weiteren Beschränkungen in unserem sozialen Leben führen, vor allem auch zu Reisebeschränkungen. Im Rückblick sind 10 Kapitalfehler auszumachen, welche unsere Regierung zum Teil sehenden Auges begangen hat – oder immer noch begeht.

Die steigenden Fallzahlen in der Schweiz bringen unser Land in eine neue Misere: Die zweite Welle wird neue hohe volkswirtschaftliche Kosten auslösen und zu Einschränkungen in unserem täglichen Leben führen. Unser Land wird zurzeit von vielen Staaten als neuer „Krisenherd“ definiert, was unsere Reisefreiheit einschränkt. Dabei geht es selbstredend nicht nur um die Einschränkung von touristischen Reisen – ökonomisch schädlicher sind die ausfallenden Geschäftsreisen. Zoom alleine vermag das nicht zu kompensieren.

Dass viele andere Länder ihr Krisen-Management auch nicht im Griff haben, mag ein Trost sein. Aber von einem der reichsten und höchst-entwickelten Staaten der Welt dürften wir nun mal weniger Fehler bei einer Krisenbewältigung erwarten. Die Bilanz fällt leider ernüchternd aus:  Unsere Regierung hat einige Kapitalfehler begangen.

Kapitalfehler Nummer 1: Die Maskenlüge

Der Fauxpas ist bekannt: Mangels Masken wurden diese zu Beginn der Krise kurzerhand als unwirksam bezeichnet. Die Erfahrung vieler asiatischer Länder zum Beispiel zählte nicht. Viel schlimmer jedoch wiegt, dass der Fehler erst jetzt (nach bald acht Monaten!) durch den Bundesrat halbwegs korrigiert. Die weltweite Erkenntnis, dass Masken die Virusverbreitung eindämmen, ist offenbar erst heute bei der Regierung angekommen. Niemand trägt gerne Masken – klar. Aber wenn sich mit dieser Komforteinbusse grössere volkswirtschaftliche Schäden verhindern lassen, sind sie nützlich. 

Kapitalfehler Nummer 2: Ungenügende Vorbereitung der Infrastruktur

Die Eintretens-Wahrscheinlichkeiten für grosse Krisen sind dem Bundesrat seit Jahren bekannt: Die Gefahr heute geht nicht vom Russen aus, welcher den Rhein überschreitet. Krise Nummer 1 stellt eine Strom-Mangellage dar, Nummer 2 eine Pandemie. Trotzdem traf uns die Corona-Pandemie ziemlich unvorbereitet – dies sowohl in Sachen medizinischer Ausrüstung und Infrastruktur als auch führungsmässig. Ein professioneller nationaler Krisenstab glänzt bis heute durch Abwesenheit. 10 Milliarden CHF flossen bisher jährlich in die Armee – für ein Krisenszenario, welches in klassischer Form gar nicht mehr existiert. Ein paar spärliche Millionen nur wurden für andere Krisenvorbereitungen ausgegeben. Ein virtuelles Durchspielen eine Pandemiekrise, Training in Führungsstäben und richtige materielle Vorbereitung hätten nicht alle Welt gekostet. Die verpasste Umsetzung eines ziemlich wahrscheinlichen Krisen-Szenarios stellt  ein Versagen der Regierung dar, und zwar sowohl in politischer, als auch in managementmässiger Hinsicht. 

Lockdowns und andere Massnahmen sind Killer für die Wirtschaft. Eine bessere Pandemie-Vorbereitung hätte wohl zu zielführenderen Entscheidungen geführt.

Kapitalfehler Nummer 3: Unnötiger weitgehender Lockdown

Mit Social Distancing, Maske, Hygiene erreicht man mehr, als mit einem flächenweiten Zusperren von Läden. Das hätte man schon im Frühjahr erkennen können, hätte man beispielsweise nach Taiwan oder Korea geschaut. Und bei der Wiedereröffnung erfolgten gleich die nächsten Fehler: Erst gingen mal die kleinräumigen Tattoo-Studios mit hohem Risiko von direktem Körperkontakt auf, grosse Verkaufsflächen wie die von Ikea z.B. blieben indes geschlossen. Die ganze Lockdown-Übung kostete letztlich Milliarden und verursachte wesentliche soziale Einschränkungen und Verwerfungen.

Kapitalfehler Nummer 4: Kein Krisen-Management

Bis heute besteht kein nationales professionelles Krisen-Management. Keine Taskforce, welche wirklich führt. Dass Juristen, ein Arzt, ein Winzer, ein Buchhalter, eine Dolmetscherin oder eine Konzertpianistin vielleicht ganz leidliche Bundesräte abgeben können, muss zumindest diskussionswürdig bleiben. Was jedoch evident ist: In krisenerprobte Führungs-Cracks können sie sich unsere sieben Protagonisten nicht verwandeln.

Kapitalfehler Nummer 5: Mangelhafte Kommunikation

Wir erinnern uns: Da sprach mal, in ganz jovialer Art, Bundesrat Berset. Oder Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit BAG, mit leicht morbidem Habitus zwar, aber immerhin bedächtig und Ruhe einflössend. Simonetta Sommaruga spricht bis heute immer noch von „Solidarität“ – ganz im Stil einer Neujahrsansprache. Andere Exponenten, so Vertreter des BAG oder einer ziemlich hilf- und bedeutungslosen „Taskforce“, sprechen parallel und heben – ein bisschen warnend – den Finger. Ein Blick nach Holland oder Österreich zeigt, wie richtig kommuniziert wird: Die Herren Rutte oder Kurz sprechen dort einheitlich, eindringlich und klar. Und vor allem nur sie, und nicht ein halbes Dutzend (zum Teil offensichtlich unbegabte) Politiker. 

Kapitalfehler Nummer 6: Kein Eingreifen beim überforderten BAG

Dass das BAG schon zu Beginn der Krise überfordert war, zeigte sich sehr bald. Dass die kantonalen Fallzahlen per Fax täglich eingereicht werden mussten, ist nur ein Beispiel, wie es um die Management-Fähigkeiten dieses Bundesamtes steht. Noch heute ist bei der Einreise in die Schweiz keine verbreitete Infrastruktur für Covid-19-Tests vorhanden (welche schädliche Quarantänen vermeiden könnte). Bundesämter sind zugegebenermassen per se keine Brutstätten für Wirtschaftsführer, weshalb wir vielleicht etwas nachsichtig sein sollten. Was jedoch schlimmer wiegt: Der Bundesrat greift nicht ein. Der zuständige Jurist Alain Berset liess sein Amt immer gewähren – es erfolgte keine Korrektur. Bis heute nicht.

Kapitalfehler Nummer 7: Falsche Zahleninterpretation

Das BAG – und damit der Bundesrat – veröffentlicht seit Monaten willkürliche Länder-Fallzahlen und leitet daraus Quarantäne-Regeln ab. Island oder Luxemburg z.B. beschlossen, die ganze Bevölkerung flächendeckend zu testen. Mit dem Resultat, dass natürlich viele verdeckte Fälle gefunden werden und die Fallzahlen eines Landes so bedeutend höher zu liegen kommen. Serbien, Russland oder gar Afghanistan, regelrechte Corona-Hotspots, testeten kaum oder deren gemeldete Infektionszahlen waren nicht korrekt. Das BAG jedoch schickte Reisende aus Island und Luxemburg in die Quarantäne, Reisende aus Serbien, Russland oder Afghanistan blieben unbehelligt. Amüsanterweise steht heute Guyana, mit nur mittelmässigen Fallzahlen, auf der Liste (obwohl es kaum mögliche Flugverbindungen in die Schweiz gibt), die Einreise aus dem nahen Lyon, einem Covid-19-Herd, bleibt indessen frei. Letztlich handelt es sich um falsche Zahleninterpretationen, welche nicht nur zu medizinischen, sondern auch zu wirtschaftlichen Schäden führen. Die Einreise von Zürich in den Thurgau müsste konsequenterweise eher mit einer Quarantäne belegt werden, als die Einreise aus den USA, den Emiraten oder dem spanischen Andalusien – deren Fallzahlen liegen heute nämlich tiefer als in der Schweiz!

Und was tut der Bundesrat? Er lässt dieses absurde Tun des BAG einfach gewähren.

Kapitalfehler Nummer 8: Delegation an die Kantone

Wir erinnern uns: Der Bundesrat delegierte die Führung der Corona-Krise an die Kantone, just vor seinem Abschied in die Sommerferien (welcher übrigens in corpore erfolgte, so wie eben jedes Jahr). Die Misere ist bekannt: Jeder Kanton macht, was er will. Hier Masken in leeren Museen, dort keine Masken in der Diskothek. Hier Clubs offen, dort zu, Events und Partys hier möglich, aber dort nicht. Einzelne Kantone schaffen das Contact Tracing nicht mehr – es fehlt am Willen, Wissen oder an Kapazitäten – dabei gäbe es zuhauf Kurzarbeitende aus geeigneten Berufen, welche sich hervorragend für solche Arbeiten eignen würden. Dass eine solche Krise nur national (abgesehen von den internationalen Anforderungen) gemanagt werden kann, ist eigentlich offensichtlich. Auch in Deutschland verfügen die einzelnen Bundesländer über eine föderale Autonomie – aber Bayern oder Baden-Württemberg sind für sich alleine nun mal grösser als die ganze Schweiz. Unser kleinräumiges Land macht sich das Leben schwer, indem es für seine atomistische Struktur ein Wust an gegenteiligen Regeln aufstellt. Das mag für gewisse andere Belange durchgehen, aber nicht für eine Pandemie. Oder mutiert das Virus vielleicht doch an den Kantonsgrenzen?

Kapitalfehler Nummer 9: Falsche Definition der Ausbruchsherde

Nahezu weltweit ist man sich einig: Brandbeschleuniger für die Virus-Verbreitung sind Clubs, Bars, Chöre, Events, Feiern. Und trotzdem – als einziges Land in Europa – liess es die Regierung zu, dass Clubs und Bars offenblieben, Jodelfeste abgehalten und grosse Feiern erlaubt blieben. 

Allein mit sozialen Einschränkungen, welche diese Virenschleudern betreffen, hätte eine zweite Welle des heutigen Ausmasses vielleicht verhindert werden können. Natürlich hätten einige Clubs oder Kinos später nie mehr öffnen können, deren ökonomisches Ende wäre unter Umständen vorprogrammiert gewesen – bedauerlich. Aber es hätte volkswirtschaftlich bedeutend weniger gekostet als die Auswirkungen und Konsequenzen der heutigen hohen Infektionszahlen. Dem politischen Druck von vielen Branchenverbänden scheint sich der Bundesrat nie entgegenstemmen zu wollen. Das Schreckensbild eines „sozialen und kulturellen Kahlschlags“ wird an die Wand gemalt – und die Regierung bricht jeweils ein.

Kapitalfehler Nummer 10: Alles erfolgt zu langsam

Als sich unsere Infektionszahlen in den letzten Tagen täglich nahezu verdoppelten, bequemte sich unser Bundesrat – wohl nach einer sechsmonatigen Corona-Reflektion – zu der Aussage, dass man sich „in den nächsten Wochen“ der Misere annehmen und Entscheide treffen würde. Die Aussage ist leider symptomatisch. Nichtstun kann zum Teil eine weise politische Taktik sein. Aber in einer Krise zeugen sie nur von Führungsschwäche. Raschheit ist jetzt gefragt. Nur aufgrund erhöhtem politischem Druck sah sich unsere Staatsführung genötigt, in den letzten Tagen doch noch ein paar Massnahmen einzuleiten. Doch die Entscheide waren ziemlich lendenlahm: Events sind nach wie vor möglich, Hochzeitsfeiern bis 99 Personen ebenso ohne besondere Vorsichtsmassnahmen, die Clubs bleiben (wenn auch mit Auflagen) offen. Der Kapitalfehler der mangelnden Reaktionszeit und des mangelnden Mutes zieht sich leider wie ein roter Faden weiter durch die Krise. 

Hysterie wäre nun ein schlechter Krisenbegleiter. Zumal wir inzwischen einiges dazugelernt haben, wie sich eine Epidemie einschränken lässt. Die Corona-Malaise wird uns wohl noch einige Zeit begleiten – Zeit genug also, um einen Paradigmawechsel einzuleiten: Unser Land bräuchte eine schlagkräftige Taskforce, welche uns apolitisch durch die Krise führen kann. Und Entscheide aufgrund bekannter Analysen fällt, mit einem konsequenten, zielgerichteten Eindämmen des Virus dort, wo es sich verbreitet. So könnte ein Grossteil unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens ziemlich unbehelligt weitergehen. Und dann warten wir eben auf die Impfung…

Das bedingungslose Grundeinkommen – ein fataler Irrweg

Oder: Die absurde Weiterentwicklung eines marxistischen Ansatzes

Die Idee ist ja verführerisch: Anstatt komplizierte und viele verschiedene Sozialwerke zu unterhalten, kriegt jeder Bürger ein Grundeinkommen, mit dem er mehr oder weniger leben kann. Negative Steuern sozusagen. Dafür entfallen alle aufwendigen Transfersysteme wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Invalidenversicherung, Kinderzulagen, etc. Ausserdem könnten so auch Menschen einen Lohn erhalten, welche bisher pro bono gearbeitet haben – viele Mütter z.B. Die fortschreitende Digitalisierung wird, so der Ansatz, ohnehin viele Arbeitsplätze obsolet machen – also muss eine Lösung gefunden werden. Normale Erwerbsarbeit wird es künftig einfach zu wenig geben, womit es für den einzelnen nicht mehr zumutbar wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb also ein bedingungsloses Grundeinkommen – ohne dass ein Beweis der Bedürftigkeit erbracht werden muss. Ein hehres und gutgemeintes Modell? Nein, eher ein fataler Irrweg. 

Gleich schon vorab: Die These von der Arbeitsverdrängung durch technologischen Fortschritt wurde durch die Geschichte immer wieder wiederlegt. Zweitens lässt sich das Finanzierungsproblem eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kaum lösen, und drittens macht ein BGE die normale Arbeit unattraktiv. Soweit der gesunde Menschenverstand. Trotz diesen eigentlich logischen Erkenntnissen gibt es immer wieder allerlei Vorstösse und Projekte in Sachen BGE – oder es wurde sogar schon eingeführt. Hier ein paar Beispiele:

Der abgebrochene Test in Finnland

Schon vor einigen Jahren lancierte Finnland einen Test mit 2‘000 Beteiligten, welche in den Genuss eines BGE kamen. Die sorgsam ausgewählten Teilnehmer hätten sich dabei „nicht unglücklich gefühlt“. Immerhin. Bei der Arbeitssuche gab es allerdings keine verbesserten Resultate. Soweit die intellektuell eher bescheidene Ausbeute des Projektergebnisses. Der Versuch wurde nicht erweitert – nur schon wegen der Kosten.

Italien hat’s schon

Italien führte 2019 ein BGE in der Höhe von 780 Euro pro Monat an. Damit liessen sich viele Wählerstimmen ködern. Noch ist nicht klar, wie viele Millionen Italiener die Unterstützung in Anspruch nehmen werden. Klarer ist, wie die mehreren Milliarden jährlich finanziert werden: nämlich mit Budgetdefiziten des eh schon klammen Staates.

Einige Italiener werden nun schon bald zwei Jobs haben: einen offiziellen staatlichen, welcher dank Nicht-Arbeit trotzdem Geld abwirft und einen zweiten in der Schattenwirtschaft. Ein gut organisiertes Ehepaar wird damit nicht nur zum Doppelverdiener, sondern zum Quadrupel-Verdiener.

Spanien: per Dekret eingeführt

Spanien führte das BGE eleganterweise gleich per Corona-Dekret im Mai dieses Jahres ein. Die wackelnde sozialistische Regierung unter dem chaotischen Covid-Wirrkopf Sanchez versprach sich von so viel Grosszügigkeit wohl einigen Goodwill bei den Untertanen. Allerdings hapert es seit der Einführung mit der Bearbeitung der Anträge, konnten doch erst zwei Prozent der Anfragen bearbeitet werden. Aber es ist ja auch Corona-Zeit, die Beamten sassen während dem Lockdown zu Hause, und Homeoffice kennen spanische Staatsdiener nicht: „wegen zu geschlossen“. Wenn’s dann später klappt, erhält vermutlich gegen eine Million Haushalte monatliche Zahlungen von bis zu 1‘015 Euro. Pro memoria: Der gesetzliche Mindestlohn liegt in etwa auf gleicher Höhe. Eviva España! Aber wer will denn schon arbeiten an den sonnigen Gestaden des schönen Mittelmeers. Allerdings: Parallel schwarzarbeiten lohnt sich dann schon.

Corona-Kurzarbeit: Ist das nicht ein BGE?

Haben wir das BGE in der Schweiz vielleicht bereits eingeführt, ohne es zu merken? Zu Spitzenzeiten in der Corona-Krise waren über 1.65 Mio Kurzarbeitende und Arbeitslose gemeldet. Diese waren auch von der Pflicht zur Arbeitssuche entbunden. Dieser Zustand entsprach damit einem bedingungslosen Grundeinkommen! Ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung profitierte davon. Bei einer Erwerbsquote von rund 50% bedeutete dies, dass während mehreren Wochen nur rund 30% der Bevölkerung arbeiteten.

Dass dies auf Dauer nicht geht, ergibt sich nur schon aus der Quittung, die uns der Finanzminister am Ende dieses Jahres präsentieren wird: Milliardenverluste in der Bundeskasse, welche unsere Staatsverschuldung emporschnellen lassen und rund zehn Jahre harten Schuldenabbau vernichten. Nicht-Arbeit ist teuer.

Die Emirate kennen schon lange ein BGE

Während wir im Westen ziemlich erfolgslos und verträumt an BGE-Projekten herumlaborieren, haben es die VAE schon lange eingeführt. Hier handelt es sich allerdings nicht um eine neue Interpretation von „Das „Kapital“ von Karl Marx, sondern nur um eine aktualisierte Ausprägung der Feudalsystems. Emiratische Bürger (die übrigens weniger als 10% der Bevölkerung repräsentieren) kommen in den Genuss von grosszügigen Zuwendungen, welche in der Summe sogar mehr als ein bedingungsloses Grundeinkommen ausmachen. Wasser, Strom, medizinische Versorgung, ja ein Studium und ein Haus sind sozusagen gratis, bei Heirat gibt‘s noch extra Cash. Und auch sonst werden laufend Apanagen verteilt, sodass normale Erwerbsarbeit für die privilegierten Nichtarbeitenden zum Treppenwitz verkommt. Ja, einmal mehr gilt: Some are more equal. Die restlichen über 90% der Bevölkerung sind Expats aus allen Herren Ländern, der Grossteil davon „modern slaves“ v.a. aus Indien und Pakistan, welche ein sehr bescheidenes Leben führen.  

Ob dieses System funktioniert? Nein. Die neue Generation der Wüstensöhne ist schlichtweg wenig lebenstüchtig, sie ertränkt ihr Leben in Langeweile und Konsum. Ein BGE sollte zum Ziel haben, irgendwann wieder einmal aus der staatlichen Unterstützung ausbrechen zu können und einer bezahlten oder zumindest sinnstiftenden Arbeit nachzugehen. Die neue BGE-Generation am Golf ist eine verlorene Generation. Sie denkt nicht einmal daran, einer Beschäftigung nachzugehen. Zumindest in den VAE ist das BGE gescheitert. Aber es war ja auch nie ein richtiger BGE-Versuch, sondern ein weiter entwickeltes Nomenklatur-System, welches plötzlich dem Geldsegen verfiel. Trotzdem: Das Ergebnis des Modells des modernen Wüstenstaates ist zumindest ein Fingerzeig betreffend der unrealistischen Umsetzung eines BGE.

Und nun noch der Kanton Zürich!

Wir erinnern uns: Das BGE wurde bereits an einer eidgenössischen Abstimmung 2016 haushoch verworfen. Aber gewisse Kreise lassen nicht locker und verschafften sich im Züricher Kantonsrat 2017 tatsächlich eine Mehrheit, um doch noch ein BGE-Projekt ausarbeiten zu lassen. Handelt es sich bei den Protagonisten dieses Vorstosses nur um Träumer, um „fehlgeleitete Kinder“ mit wirren Gedanken, bestenfalls um gutgläubige Weltverbesserer? Der Vorgang ist allerdings zu ernst, als dass man ihm nur mit müdem Lächeln begegnen kann. Wir sind auf jeden Fall gespannt, welcher Papiertiger hier nun demnächst vorgelegt wird.

Geniales Finanzierungsmodell

Die Modelle aus Italien und Spanien zumindest sind insofern interessant, als dass beide Staaten ihr BGE nur beschränkt selber finanzieren müssen: Die zwei Länder brauchen keine Nachhilfestunden, wie sich das Subventionieren ohne nennenswerte Auflagen bewerkstelligen lässt. Die EU schüttet nämlich genügend Euromanna über diesen Staaten aus und finanziert indirekt alle Defizite. Ziemlich egoistisch von diesen Südstaaten, aber eben auch raffiniert. Wieso rebellieren die nördlichen europäischen Geberländer nur verhalten? „Weil die EU sonst auseinanderbricht“?

Auch Frankreich profitiert übrigens von den kürzlich verteilten 750 EU-Milliarden, nämlich mit 43 Milliarden. Diese helfen dann mit, das ineffiziente französische System der 35-Stunden-Woche zu unterhalten (wohl eine Vorstufe zum BGE). Macron hat das zusammen mit Merkel  gut eingefädelt.

Damit erkennen wir: Für alle Länder geht BGE nicht. Irgendjemand muss am Schluss für die andern arbeiten.

Zusammenfassend sind sechs Pferdefüsse für das Projekt BGE auszumachen:

  1. Es ist nicht erwiesen, dass es künftig zu wenig Arbeit geben wird. Industrialisierung und Digitalisierung haben bis heute die Arbeitswelt mit Bestimmtheit verändert, aber in der Summe keine Arbeit vernichtet. Wie war das noch mit dem papierlosen Büro? Mit der Verbreitung des Computers prognostizierte man einen Einbruch des Papierkonsums. Das Gegenteil ist eingetreten. Als die Eisenbahn aufkam, malte man bereits das Schreckgespinst der Arbeitserosion an die Wand. Henry Ford schuf trotz industrieller Arbeitsteilung letztlich Arbeitsplätze. Tatsache ist, dass die Entwicklungsschritte der Menschheit bis heute Arbeit nicht vernichtet haben. „Digitalisierung frisst Arbeit“? Das gilt es erst zu beweisen.
  2. Ein BGE ist schwer finanzierbar. Es liegt nämlich ein ganz einfaches statistisches volkswirtschaftliches Problem vor: Wie viele Leute müssen arbeiten, um die nicht Arbeitenden zu unterhalten? Nur schon das demografische Problem der Überalterung stellt viele Staaten vor fast unlösbare Probleme. Die äusserst herausfordernden Finanzierungslücken werden künftig höhere Abgaben für die Rentenbildung und höhere Renteneintrittsalter unabdingbar machen. Ein weiterer Ausbau der staatlichen Unterhaltssysteme mit garantierten Grundeinkommen wäre finanzpolitisch fahrlässig.
  3. Der Ansporn zum Arbeiten entfällt. Ein BGE ist ein falsches Anreizsystem. Insbesondere dann, wenn die Minimallöhne nur wenig über einem BGE liegen. Arbeit muss sich lohnen.
  4. Arbeit bringt nicht nur Einkommen, sondern auch Würde und Stolz. Die Alternative ist die Abhängigkeit vom Staat – für die meisten kein gutes Gefühl. Die Einführung eines BGE würde die Nicht-Arbeit indessen salonfähig machen. Wenn die Berührungsängste mit dem allgegenwärtigen Wohlfühlstaat dahinfallen, gewöhnt man sich an das betreute Wohnen im Staat. Mit der so gewachsenen Anspruchsinflation gibt es nur schwer ein Zurück. Letztlich geht es auch um Werte: Wenn Arbeit nicht mehr positiv gewertet wird – wer im Staat soll sie noch mit Verantwortung verrichten?
  5. Das BGE fördert die Schattenwirtschaft. Der Tatbestand ist offensichtlich.
  6. Die Einführung eines BGE kann zu einer Sogwirkung führen: Werden die sozialen Hängematten zu dicht aufgespannt, erhöht sich die Migration. Das mussten einige westliche Länder bitter erfahren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Sogwirkung für Einwanderer verstärken; es stellt eine klare Einladung dar und verhindert, die Immigration bedarfsgerecht zu steuern – nämlich um Nachfragelücken für gewisse Berufe zu schliessen.

Brave new world

Wie soll denn die moderne Welt von morgen aussehen? Etwa so:

Es arbeitet niemand mehr. Nur noch Roboter sind am Werkeln, die Künstliche Intelligenz (KI) steuert alles von selbst. Sie entwickelt selbstredend auch neue Roboter, repariert und wartet sie. Alle Bürger hocken zuhause und schauen Netflix – dort laufen dann auch lustige Filme, welche die KI selbständig entwickelt hat. Es gibt nichts mehr zu tun.

Selbst wenn die Promotoren des BGE nicht daran glauben, dass es so weit kommt: Sie werden wohl zugeben müssen, dass ein guter Teil der Gesellschaft immer noch arbeiten müsste – ganz autonom wird sich das System wohl kaum aufstellen lassen. Müsste dann dieser arbeitende Teil der Bevölkerung dermassen geschröpft werden, dass es mittels Umverteilung für alle reicht? Welcher Gesellschaftsvertrag würde das wohl zulassen?

Karl Marx würde sich die Augen reiben

Das BGE ist eigentlich die Weiterentwicklung eines sozialistischen oder marxistischen Systems: Bisher ging deren Lehre von einem Recht auf Arbeit aus. Neu könnte es nun auch ein Recht auf Nicht-Arbeit geben.

Gewisse Politiker möchten also am liebsten die Arbeit abschaffen. Erfüllung in der Arbeit selbst wird sekundär. Leider geht dabei vergessen, dass oft die gleichen Politiker von den Meriten eines gewissen Arbeitsethos der andern – eines der Erfolgsrezepte unserer Gesellschaft – profitieren.

Nachdem in den letzten Jahrzehnten fast alle wichtigen sozialen Forderungen erfüllt werden konnten, sehen Neolinke und andere Kreise heute im Menschen wohl ein Subjekt mit automatischem Anspruchsrecht auf ökonomische Zuwendung vom Staat. Den „Staat“ stellen sie sich dabei vielleicht als ein ökonomisches Perpetuum mobile dar, welches Geld schöpft. Sie vergessen leider, dass der „Staat“ die Bevölkerung ist. So hatte es sich Karl Marx nicht ausgedacht – dieser wollte nur eine gerechtere Verteilung von Arbeit und Kapital. Eine ganz lesenswerte Lektüre übrigens.

Berechtigte Forderungen:

Natürlich gibt es zahlreiche Probleme bei den Sozialwerken. Diese sind oft zu kompliziert aufgestellt, ineffizient, und die Mittel kommen nicht immer an den richtigen Orten an. Damit wir uns nicht missverstehen: Das Recht auf Hilfe soll natürlich nicht bestritten werden. Allerdings nicht das Recht auf Hilfe ohne Not.

Das BGE hält in der Tat mit dem Finger auf eine wunde Stelle in unserer Gesellschaft. Das Problem ist aber ein systemisches und muss separat gelöst werden – und nicht mit dem Füllhorn eines BGE.

Es gibt Alternativen

Man kann die Probleme besser lösen: Es müssen Anreizsystem gefördert werden, um der Arbeitslosigkeit zu entrinnen: Umschulungen, Zwischenverdienstmöglichkeiten. Ein berufliches Downgrading muss zumutbar sein, um der Abwärtsspirale zu entrinnen, die sich mit zunehmender Länge der Arbeitslosigkeit auftun kann. Vielleicht hat während der weit verbreiteten Corona-Kurzarbeit da und dort ein Umdenken stattgefunden?

Es gibt in den meisten westlichen Gesellschaften riesige Lücken bei Pflege- und Betreuungsberufen, in Unterhalts- und Dienstleistungsbereichen. Die Frage der „Zumutbarkeit“ für Arbeit und Umschulung muss also vermehrt auf den Tisch kommen. Ansonsten kann die Volkswirtschaft nicht auf Touren kommen. Wenn der Produktionsfaktor Arbeit falsch eingesetzt wird, die Staatskosten steigen und soziale und psychologische Folgekosten aufgrund der Nicht-Beschäftigung ebenso steigen, droht der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Abstieg. Der Mensch möchte ja arbeiten – an sich. Auch wenn Arbeit zugegebenermassen nicht immer und nicht für alle lustig ist. Wenn der Staat dem Bürger allerdings suggeriert, dass er nicht unbedingt arbeiten muss, wird er lernen, nicht zu arbeiten. Frankreich z.B. hat hier hervorragende Vorarbeit geleistet, La Grande Nation war ein verdeckter Vorreiter in Sachen BGE-Ideen und Verdrängung von Arbeitsethos. Italien und Spanien folgen nun mit ihren eigenen BGE-Konstrukten. Und die VAE hatten das BGE de facto schon viel früher erfunden – nur wussten sie es nicht. Ob es nun die intelligenten Zürcher Ratsmitglieder neu erfinden?

Fazit:

Das Thema BGE wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einigen europäischen Staaten immer wieder auf den Tisch kommen. Es steht einfach in der fixen Agenda gewisser sozialpolitischer Irrlichter. Auch in der Schweiz. Deshalb gilt es das Begehren zum Vornherein abzulehnen. Ein BGE ist nicht nur volkswirtschaftlich schädlich, sondern entfaltet auch eine demotivierende Wirkung für jeden Arbeitnehmer. Arbeit muss interessant bleiben. Ein BGE gefährdet zudem die Würde eines einigermassen aufgeklärten Bürgers. Es ist ganz einfach der falsche Weg, um das Problem von allfällig mangelnder Arbeit zu lösen. True Economics hegt jedoch den Verdacht, dass die Idee des BGE von gewissen Protagonisten nicht aus Gründen der besseren Arbeitsverteilung gefördert wird, sondern weil viele Kreise einfach nicht arbeiten wollen. Nicht-Arbeit macht indessen selten glücklicher. Das BGE bleibt letztlich eine absurde Fiktion.

Die Swiss sollte grounden

Die optimistischen Szenarien des Lufthansakonzerns sind nicht eingetreten. Nicht einmal die vorsichtigen Prognosen von True Economics haben sich bestätigt: Die Realität sieht leider noch viel unappetitlicher aus, denn auf absehbare Zeit wird deutlich weniger geflogen – und kaum eine Luftgesellschaft kann ihren Betrieb aus eigener Kraft aufrechterhalten. Betriebswirtschaftlich ist ein Downsizing alleine nicht zu schaffen, also ist man auf Staatshilfe angewiesen. Also lieber schon heute ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende: Die Swiss müsste vernünftigerweise jetzt grounden.

Es wird nicht geflogen

Gemäss neuen Schätzungen der Swiss wird demnächst 60-70 % weniger geflogen als 2019. Bisher lag die Prognose bei 50% – eine immer noch sehr sportliche Annahme.

Zurzeit werden rund 50% der früheren Flugziele angeflogen, allerdings mit ausgedünnter Kadenz und oft leeren Fliegern, zudem kaum auf den lukrativen Langstrecken. Das Passagieraufkommen insgesamt liegt heute schätzungsweise bei minus 85% zum Vorjahr.

Die Kurzarbeit für die Swiss Crew soll gemäss Bund noch bis Ende 2021 verlängert werden. Und dann vielleicht nochmals? Und nochmals? Damit wird die Swiss zwar sehr schön von den Personalkosten entlastet. Aber es ist nur ein Pflaster, denn fast alle anderen Kosten laufen weiter, viele sind zum Teil gar nicht beeinflussbar (wie die Abschreibungen z.B.).

Die vorsichtige Schätzung von True Economics im Frühjahr 2020 war sogar noch zu optimistisch: Damals korrigierten wir die Prognose der Swiss klar nach unten (siehe Chart). Nun müssen wir die Prognose leider nochmals nach unten korrigieren (siehe unterste Linie im Chart).

Unsere Prognose für den Luftverkehr:

Erst 2022 wird wieder richtig geflogen, denn bevor nicht eine mehr oder weniger flächendeckende Corona-Impfung kommt, wird nichts laufen, denn der freie Reiseverkehr bleibt bis dann abgewürgt. Der Tourismus wird sich dannzumal zudem auf einem deutlich tieferen Level einpendeln, 2022 und 2023 auf vielleicht 75%, verglichen mit 2019. Die Anzahl Geschäftsflüge wird indessen noch tiefer liegen – die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten mit allen ihren Lerneffekten werden massiv auf die künftigen Reisepläne durchschlagen. 2022 und 2023 wird das Passagieraufkommen hier vielleicht bei 60% liegen.

Düstere Aussichten für die Swiss

Der Faktor Geschäftsreisen wird ertragsmässig besonders stark ins Gewicht fallen, denn die Swiss verdiente das Geld bislang vor allem mit den Tickets der Business und der First Class. Ein deutliches Downsizing ist also angesagt, für den gesamten Betrieb. Bedeutend weniger Personal kann beschäftigt werden, eine markante Reduktion der Flotte ist angesagt. Leider können die überzähligen Flieger auf dem Weltmarkt kaum verkauft werden; Abschreibungs- und Unterhaltskosten laufen also weiter. Der Frachtverkehr ist von der Misere kaum betroffen. Aber das hilft der Swiss auch nicht weiter, denn in diesem Geschäft war die Airline eh nie besonders stark.

Point of no Return?

Mit der stark reduzierten Auslastung wird also unmöglich rentabel gewirtschaftet werden können, ergo werden sich neue Verluste zu neuen Schuldenbergen auftürmen. Auf dem Kapitalmarkt sind mit derlei düsteren Aussichten keine vernünftigen Finanzierungen zu bewerkstelligen, also müsste der Staat wieder einspringen. Und immer wieder. Und wenn sich der Staat dann mal so richtig reingekniet hat, wird das ganze Drama politisch zu einem Point of no Return – und es wird weiter unterstützt.

Ein Unternehmer würde den Stecker ziehen

Nun, was macht ein Unternehmer, welcher täglich Millionenverluste erzielt und sich einem kurz- und mittelfristigen Budget gegenübersieht, bei dem sich nur Abgründe auftun? Die unangenehme Antwort lautet: Er zieht den Stecker. Das ist auch richtig so. Denn einmal mit der schieren Unmöglichkeit konfrontiert, auf absehbare Zeit je wieder positive Zahlen zu liefern, muss konsequenterweise die Aufgabe der Geschäftstätigkeit anvisiert werden, sofern keine erfolgsversprechende Diversifikationsstrategie besteht, die das Kerngeschäft markant stützen könnte – und es sieht ganz danach aus, als dass eine solche inexistent ist. Genau an diesem Punkt steht die Swiss heute. Die weltweiten Überkapazitäten (viele davon werden mit massiver staatlicher Unterstützung aufrechterhalten) werden zudem noch während Jahren auf die Flugpreise drücken. Quintessenz: Es wird nie mehr so sein wie gestern.

Doch die kognitive Wahrnehmung des Swiss Managements sieht offenbar anders aus: So möchte man, wie in diesen Tagen kommuniziert, „1‘000 Stellen binnen zwei Jahren abbauen“. Das sind 5% pro Jahr. Liegt hier ein kleines Missverständnis vor…? Wird hier jemand vom Teufel geritten, ist naiv – oder versucht einfach nur chancenlose Zuversicht zu verbreiten?

Nicht systemrelevant

Wir hatten früher schon festgehalten: Die Swiss ist nicht systemrelevant. Ab Zürich und Genf wird immer geflogen werden, es wird sich immer eine Airline finden, welche Passagiere und Güter transportiert – die Schweiz wird folglich nicht abgeschnitten sein. Der Umkehrschluss, wenn dem nicht so wäre: Er würde nämlich bedeuten, dass die Swiss bisher (aus „Systemgründen“?) unrentable Flugziele bediente, und zwar vorsätzlich. So viel zur Systemrelevanz.

Auch kein Heimatschutz

Aus Heimatschutzgründen lässt sich ein Aufrechterhalten einer deutlich unrentablen Dienstleistung ebenso wenig rechtfertigen – zumal hinter dem Schweizerkreuz der Swiss der deutsche Kranich hockt, notabene ein teilstaatlicher Betrieb. Es gibt also bereits heute keine „Schweizer“ Airline mehr. Wenn gegroundet würde, könnte schon am nächsten Tag wieder geflogen werden. So war’s auch 2001, und das würde auch 2020 funktionieren. Die neue Firma hiesse  diesmal vielleicht New Swiss. Oder es wäre eben die Lufthansa, welche Zürich und Genf anfliegt. Die würde das gerne machen, und wir würden es überleben. Wir verherrlichen eh seit Jahren unsere „eigene“ Airline, fliegen aber mit anderen Carriers, so mit Easyjet, Ryanair oder Emirates. Wird die „Swiss“ heute etwa vor allem von Nichtfliegern verherrlicht, während die Vielflieger ziemlich schmerzfrei mit irgendeiner Airline fliegen…?

Grounding lieber jetzt

Ausgehend von einem heute sehr realistischen Szenario (mit einem Passagieraufkommen entsprechend unserem Chart) gibt es fast keinen Ausweg, als die Firma aufzugeben.

Nachdem sich nun der deutsche und der Schweizer Staat ins Cockpit gesetzt haben, wird die Sache indessen schwieriger. Ob damit fast ein Point of no Return impliziert wurde? Die de facto nach Berlin geschickte eidgenössische Hilfs-Milliarde wird schon bald verbrannt sein, das Wehklagen nach weiterem Geld liegt bereits in der Luft.

Nach dem kürzlichen Abgang des CEOs wird sich in dieser Situation heute eh kein Top Manager mehr finden lassen, der dieses Himmelfahrtskommando übernimmt. Also wird der Mutterkonzern wohl einen vorübergehenden Troubleshooter aus Deutschland abkommandieren – vielleicht gar als Strafversetzung…?

Mit einem Grounding könnte die für den Staat sehr teure Kurzarbeit aufgelöst werden. Die Swiss selber könnte sich mit einem Schlag von allen Lasten erledigen: Alle Schulden würden sich sublimieren, alle Personalverträge wären aufgelöst. Bedauerlich für alle Einzelfälle – aber die Einzeldramen werden wohl nur vorgezogen.

Wie läuft ein Grounding ab?

Alle Aktiven und Passiven würden bei einem Grounding dem Insolvenzverwalter „gehören“. Auch die Flieger. Intelligenterweise müsste man am Tage X sicherstellen, dass sich diese dann nicht gerade an einem Ort befinden, wo sich noch unbezahlte Rechnungen aufgehäuft haben – ansonsten die schönen Fluggeräte wohl gleich arrestiert würden.

Richtig vorbereitet, starten am nächsten Tag wieder ein paar Flieger, unter einer neuen Firma. Das Personal wird sich sofort finden lassen, kurzfristig selbst mit provisorischen Anstellungsverträgen. Das Prozedere ist nicht einfach, kann jedoch sauber vorbereitet werden – ganz im Gegensatz zu 2001, als Staat, Banken, Personal und Kunden auf dem linken Fuss erwischt wurden. Es ist also nur zu hoffen, dass heute schon ein Plan B für ein Nach-Grounding-Projekt besteht. In diesem kann vorgängig die künftige realistische Grösse der dann arg verkleinerten Firma festgelegt werden, die Flugziele definiert, die nötigen Flieger könnten aus der hübschen Flotte am Boden herausgepickt werden. Die Finanzierung könnte ebenso sauber im Hintergrund geplant werden. Soweit die betriebswirtschaftliche Theorie zum Ablauf des Neustarts. Nur: Jetzt müssten hier eine entscheidungsarme Angela Merkel und ein von der Politik drangsalierter Ueli Maurer, sekundiert von der eh schon arg strapazierten Pianistin Simonetta Sommaruga, mitplanen. Ob das funktioniert, so im Geheimen…?

Fazit: Vernünftigerweise wäre jetzt ein Grounding angesagt. Die Swiss wird auf Jahre hinaus ohne fremde Hilfe nicht überleben können. Es ist zu befürchten, dass die staatliche Unterstützung also noch sehr lange weitergehen müsste. Der Flugbetrieb und die Infrastruktur der Firma würden während dieser ewig andauernden Agonie in homöopathischen Dosen reduziert, das Personal mit Kurzarbeit noch lange durchgefüttert und ein riesiger Schuldenberg aufgebaut, welcher kaum je getilgt werden kann. Der Staat müsste bezahlen – also wir. Das ist unverantwortlich, sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Also lieber ein Grounding sofort, mit einem realistischen Neustart. Oder eben ohne Neustart – wir würden es überleben.