Dann sollten wir jetzt so handeln wie er.
Ja, der Starinvestor Warren Buffett hatte sehr oft recht mit seinen Anlagestrategien. Diese beruhen in der Regel auf Langzeit-Visionen – Visionen, die uns als Hinweis dienen können, was wirtschaftlich auf uns zukommen wird. Sollten wir also weiter von ihm lernen? Nicht nur seine Anlagestrategie kopieren (wir könnten natürlich auch seine Aktie kaufen), sondern sein ganz aktuelles Verhalten richtig interpretieren: nämlich das Nichtstun. Er investiert nicht mehr. Glaubt er also an eine längerfristige Rezession, und befürchtet er doch noch einen grösseren Einbruch an den Aktienbörsen? Uns interessiert seine Grundhaltung – aber auch sein aktuelles, atypisches Investmentverhalten. Die Interpretation von letzterem lässt nämlich tief blicken.
Warren Buffett hat noch nie nichts getan – ausser jetzt
Das „Orakel von Omaha“ ist jetzt 90 geworden. Kaum eine Zeitung, die nicht davon berichtete. Zahlreiche Bücher sind in den letzten Jahren über ihn erschienen. True Economics möchte deshalb keinen weiteren Aufsatz über sein Leben und seine Anlagestrategie sowie den Erfolg seiner Berkshire Hathaway verfassen. Uns interessiert eher sein gegenwärtiges Nichtstun. Es ist atypisch. In seiner ganzen Karriere hatte er nämlich noch nie nichts getan. Dabei hatte Buffet immer schon ein gutes Händchen; seit er 14 ist, handelt und investiert er. Es gibt wohl kaum eine lebende Person, welche damit auf immerhin 76 Jahre Berufserfahrung in der Wirtschaftswelt zurückblicken kann.
83 Milliarden Dollar – und er macht sich nichts draus
Warren Buffett ist mit 83 Milliarden USD der drittreichste Mann der Welt – nach Jeff Bezos und Bill Gates. Aber er verteilt immer ein bisschen etwas, und er unterhält zahlreiche Stiftungen. Die Milliarden hindern ihn auch nicht daran, seit über 60 Jahren im gleichen Haus zu leben (das er 1958 für USD 31‘500 gekauft hatte). Seit Jahren beträgt sein Salär USD 100‘000. Buffett hält immer noch knapp 20% an seiner börsenkotierten amerikanischen Investment-Gesellschaft. Die Aktie von Berkshire Hathaway ist die teuerste Aktie der Welt. Wir haben nachgeschaut: 1969 kostete ein Anteil USD 43, heute deutlich über USD 300‘000. Bei einem solchen Aktienpreis muss man sich zumindest nicht mit unangenehmen Kleinaktionären herumschlagen.
Immer überdurchschnittliche Renditen. Das Geheimnis?
Anstatt das Geheimnis seines Anlage- und Beteiligungserfolges zu ergründen, könnten wir natürlich einfach Aktien von Berkshire Hathaway kaufen. Oder sein Anlagemuster oder gar sein Portfolio kurzerhand kopieren. Zurückblickend lässt sich auf jeden Fall beobachten, dass Buffett nie Index-orientiert handelte. Er pickte Rosinen und hielt sie langfristig. Aktien, Unternehmensanteile, Anleihen. Das Gegenteil eines Daytraders eigentlich. Er verfolgte auch immer den Value-Ansatz, und er kaufte nur, was er verstand. Er liebte immer Low-Tech: Coca Cola, Heinz, Gillette. Unkomplizierte Sachen. Sogar die Aktien der Washington Post waren immer noch selbsterklärend. Dow Chemical dann schon etwas komplizierter – aber transparent. Auch General Re oder General Electric. Heute ist Buffet etwas flexibler, so sind Investitionen in Goldman Sachs hinzugekommen – offenbar traut er der Firma zu, nie Geld zu verlieren – was für die Kunden von Goldman Sachs selbstredend nicht gilt.
Warren Buffetts Denken und erfolgreiches Handeln lässt sich mit den folgenden 11 Punkten erklären:
- Buffett handelt ziemlich konsequent nach dem Prinzip des Value Investing. Wenn der innere Wert einer Beteiligung deutlich unter dem Börsenkurs liegt, deutet er dies als Kaufsignal. Er liebt ganz einfach den reellen Gegenwert. Deshalb hat er auch nie auf die Überflieger der Tech-Branche gesetzt. Die Dotcom-Blase im Jahr 2000 ging an ihm spurlos vorüber – er besass keine einzige Aktie der hochgejubelten Branche. Kurz vor dem Platzen der Blase wurde ihm das noch als Anlagefehler angekreidet – doch er behielt recht.
Im Durchschnitt der letzten 40 Jahre erzielte er eine rekordverdächtige jährliche Rendite von 20%.
Dass Value-Aktien in der Regel hinter den sogenannten „Wachstumsaktien“ hinterherhinken, ist ihm ziemlich egal. Ob er auch hier recht behält? In ein paar Jahren werden wir es wissen.
- Buffett investiert nicht in Dinge, die er nicht begreift. So betonte er oft, dass er nichts von Technologie verstehe. Also kaufe er das auch nicht… Erst 2017 investierte er massiv in Apple – als die Firma eigentlich schon fast eine „normale“ Firma war. Strukturierte Produkte, Derivate? Solche Instrumente bezeichnete Buffett schon mal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“.
- Warren Buffett sah sich nie als Aktionär, sondern immer als Teilhaber. So kann er nachhaltiger denken.
- Er investiert nur in Firmen mit erwiesenen Erträgen – nicht erhofften.
- Er investiert nur in Firmen mit kompetentem Management. Er versucht nicht, mittels Führungsaustausch Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu nehmen – eine sonst beliebte Praktik der Investmentfirmen.
- Buffett macht persönlich keine Schulden. Er „leveraget“ seine Beteiligung bei Berkshire Hathaway nicht. Die Regel gilt auch für die Firmen, in die Berkshire investiert – diese müssen immer gesund kapitalisiert sein. Allerdings war er sich in den letzten Jahren gut genug, sich bei Berkshire doch etwas Geld zu borgen (spottbillig natürlich), um gezielte Investitionen zu tätigen.
- Buffett hält immer genügend Cash, um jederzeit investitionsbereit zu sein. Im Moment werden es um die 130 Milliarden USD sein, die bei Berkshire rumliegen.
- Berkshire Hathaway schüttet keine Dividenden aus. So steigt das Eigenkapital konstant an, und damit kann mehr dazugekauft werden. Notfalls kauft Buffet manchmal die eigenen Aktien, wenn diese vorübergehend gestützt werden müssen.
- Buffett hat sein ganzes Vermögen in Berkshire Hathaway investiert. Er ist kein Fonds-Manager, auch kein CEO einer Investmentgesellschaft. Er ist Eigner und seine langfristigen Ziele decken sich deshalb mit denen der Aktionäre.
- Buffett lebt selber einen bescheidenen Lebensstil. Geld an sich ist für ihn kein Antrieb – ein nützlicher Charakterzug für langfristiges Denken. Der Multimilliardär wird nur einen Bruchteil seines Vermögens an seine Kinder vererben; der Grossteil wird an gemeinnützige Institutionen gehen. Ob das Donald Trump auch schon angedacht hat? Buffet jedenfalls denkt nicht vermögensgetrieben – ein weiterer Beweis, dass er die richtigen Voraussetzungen mitbringt für nachhaltige Investments.
- Buffett arbeitet immer noch. Warum er sich das antut? Ganz einfach: Es macht ihm Spass. Vielleicht ist er doch eher ein Unternehmer und kein Investor? Die Freude an der Arbeit ist auf jeden Fall eine gute Voraussetzung, um Erfolg zu haben.
Wie reagiert Buffett in der Coronakrise?
Zu Beginn der Krise, im März 2020, verkaufte Buffett sofort alle Airline-Beteiligungen. Anschliessend machte er folgendes: nichts. Es wird ihm seit Monaten Inaktivität vorgeworfen, und zum ersten Mal kommt sein Alter zur Sprache.
In der Regel kauft Buffett in Krisen immer hinzu. Wir vermuten jedoch, dass er die Airlines nicht nur in einer vorübergehenden Krise sieht, sondern eher eine länger andauernde Agonie befürchtet – was tatsächlich einen konsequenten Ausstieg erforderte. Was bemerkenswert ist: Er tätigte diesen schon früh, gleich zu Beginn der Krise – als noch alle im Nebel stocherten und von einem rezessiven V-Shape fabulierten.
Buffett investierte in den letzten Wochen einzig in japanische Handelshäuser. Offenbar betrachtet er deren Aktivitäten als krisenresistent und ortet Entwicklungspotential.
Buffett griff in der Finanzkrise tüchtig zu
Während der Finanzkrise 2008/2009 hatte Warren Buffett umfassend zugekauft. Er nutzte die Unterbewertung von vielen an sich gesunden Firmen. In der jetzigen Krise sieht er das offenbar anders. Nun, nachdem er während Dezennien recht hatte, liegt die Wahrscheinlichkeit vielleicht hoch, dass er auch diesmal recht hat.
In der Tat sind noch allerlei tiefgreifende wirtschaftliche Verwerfungen möglich – die Krise ist beileibe noch nicht ausgestanden. Eine langanhaltende Rezession oder Depression ist immer noch ein wahrscheinliches Szenario. Das sieht Buffett wohl auch so.
Fazit:
Die Coronakrise wird wohl oder übel als die grösste Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg in die Geschichte eingehen. Dabei geht es nicht eigentlich um die medizinische Bewältigung der Pandemie, sondern um die Bewältigung von deren makro- und mikroökonomischen Folgen. Die Finanzmärkte könnten nochmals richtig durchgeschüttelt werden. Wenn Warren Buffett recht hat, so haben die Börsen einige Talfahrten noch vor sich – sonst hätte er schon lange zugeschlagen. Unsere Interpretation also: Das Nichtstun des alten Starinvestors ist nicht auf sein bald biblisches Alter zurückzuführen. Sondern auf seine Vision, dass die Wirtschaftskrise noch lange nicht ausgestanden ist. Vergessen wir die V- und die U-Shapes. Es wird länger dauern. Also sollten wir vielleicht so handeln wie Warren Buffett: nämlich nichts tun?