Management von grossen Krisen in einer Volkswirtschaft

Teil 3: Der Bundesrat ist nicht mehr zuständig!

13. Februar 2025:

Bundespräsident Parmelin lädt in den Situation Room. Eigentlich war es das übliche Bundesratszimmer, aber gefühlt war es heute ein wichtiger real-time Setup. Der neueste Bericht der WHO wurde nämlich an die getäferte Wand projiziert. Der frisch gebackene WHO Präsident, Hans-Ruedi Gutzwyler, liess offenbar nichts anbrennen: Covid-25 war erst vor 11 Tagen in Myanmar ausgebrochen, ein ca. dreimal so gefährliches Virus wie Covid-19. Übertragung Fledermaus-Wildschwein-Schwein-Mensch. Ein Klassiker. Das Virus verbreitete sich rasend schnell; eine neue Pandemie-Gefahr wurde nun sofort und frühzeitig ausgerufen. Es blieb kurz ruhig im Bundesratszimmer, alle blickten immer noch konsterniert auf den WHO-Bericht.

„Merde, pas de nouveau!“, entfuhr es Parmelin. Als früherer Winzer dachte er sofort an die Weinproduktion in seiner Heimatregion. «J‘éspère qu’il ne faut par fermer les restaurants.“

Sommaruga meinte lakonisch, man könnte die Restaurants ja draussen offen lassen. Sie schaute zum Fenster hinaus: Es schneite. In Gedanken war sie jedoch bereits im Homeoffice am Klavierspielen. Bundesrat Berset richtete sich im Sessel auf und vermeldete staatsmännisch: „Isch werde alle Schweizer zurückolen, aus allen Ländern, je vais m’en occuper“. Seit 2023 führte er das Aussendepartement; Bundesrat Cassis hingegen erhielt von Berset zur gleichen Zeit das Departement des Inneren. Denn 2023, nach allen Corona-Aufräumarbeiten, geriet der einstige Corona-Star Berset unter Druck. Nicht alles war gut gelaufen im BAG. Vorbereitungsmängel, Kommunikationsmängel, Führungsmängel. Deshalb der Switch mit Cassis, zumal sich der Mediziner eh wohler fühlte in der Nähe des BAG. Karin Keller-Suter war nicht an der Sitzung, sie weilte am grossen Hooligan-Prozess in Genf.

Tony Epper, der neue stramme und hemdsärmelige Finanzminister, warf ein: „Das wird wieder sau-teuer“. Und Bundesrätin Viola Amherd, gegen ihren Willen immer noch Verteidigungsministerin, meinte: „Isch güet, iise Truppe si bereit“. „Es ischt nischt an dir zu dezidieren, chère Viola, on a changé de méthode!“, unterbrach sie Parmelin mahnend. Parmelin war nun schon seit mehreren Jahren Bundespräsident und versuchte seither, mit eher mässigem Erfolg, den Lead zu übernehmen. Der jährliche Chef-Wechsel im Bundesrats-Gremium hatte sich während den letzten Krisen nicht bewährt. Aber auch als Bundespräsident war er nun für das kommende Krisenmanagement nicht mehr zuständig. Deshalb blieb die Stimmung an der Bundesratssitzung ganz entspannt. Der Bundesrat konnte das Krisenmanagement nämlich ganz elegant an den neuen integralen Krisenstab abgeben. Den sieben Magistraten oblag nur noch eine Kontrollpflicht. Die Neuerung wurde 2023 beschlossen: Nachdem die Corona-Krise erst im Sommer 2023 gebannt war (dann war endlich genügend Impfstoff vorhanden), musste man leider auf viele Fehlleistungen zurückblicken. Man kam zur Erkenntnis, dass künftig nur ein professioneller Krisenstab eine Katastrophe dieses Ausmasses meistern kann.

Sämtliche bisher für Krisen verantwortliche Behörden, Ämter, Stäbe und Task Forces wurden in der Folge zusammengelegt. Armee, Zivilschutz und Bevölkerungsschutz bildeten nun eine Einheit unter der Führung eines permanenten Krisenstabes.

„J’donne un coup d’fil à Ronny Zumstein, si vous êtes d’accord », meinte Parmelin. Alle nickten. Damit sollte Ronny Zumstein, zurzeit Chef des Krisenstabs, die Führung des umfassenden Katastrophen-Managements übernehmen. Zumstein, Mitte 40, war führungserfahren, mehrsprachig, kommunikationsfest, unpolitisch. Seine jährliche Entschädigung war der eines Bundesrates gleichgestellt. Sein Stab umfasste Mitglieder aus allen möglichen Bereichen und Disziplinen. Natürlich war auch ein Epidemiologe dabei, aber ebenso Wirtschaftsvertreter, Koordinatoren für die Kantone, Gemeinden und Behörden, Armeevertreter, Psychologen, Strategen, Cyberspezialisten. Das Team war eingespielt; in den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Krisenübungen absolviert, von Hochwasserkatastrophen über Terrorangriffe bis zu neuen Pandemien. Die Leute waren quasi von Berufs wegen Krisenmanager – und Ronny Zumstein führte sie.

Top-down Führung einfach überlegen

Eine gute Portion Armeekultur ins Management zu tragen war nie falsch. Es geht dabei lediglich um die Denke betreffend klaren Ausführungsstrukturen, um „vorbehaltene Entschlüsse“, generell um zielorientiertes Handeln. Und um Effektivität und Geschwindigkeit. Wenn es um politische Führung während einer Schönwetter-Situation geht, mag dieser Ansatz mitunter falsch sein. Er ist jedoch mit Bestimmtheit besser geeignet in einer Krisenlage. Klavierspielerinnen und Rebbauern mögen in gewissen Konstellationen in einer stark konsensorientierten und kompromissverliebten westlichen Regierung einen Platz haben – nicht aber in einem Katastrophen-Umfeld.

Autokratien haben es in Krisen leichter

Wenn Bolsonaro, von seinem Schimmel herunterwinkend, an seinen jubelnden Anhängern vorbeireitet, wiegt er sich – als Autokrat – in Sicherheit. Autokratien sind nun mal effizientere Führungsmodelle zur raschen Krisenbekämpfung als demokratische. Natürlich bergen sie die Gefahr in sich, dass falsch entschieden wird. Also wären „professionelle und gute Autokratien“, zu welchen Brasilien im Moment offensichtlich nicht zählt, besonders gut für Krisen aufgestellt. Natürlich ein etwas gewagter Ansatz… Aber dennoch lässt sich festhalten: Professionell geführte Regierungen mit Machtfülle eignen sich leider besser in Krisenfällen. So etwa in Vietnam: Dank der militärischen Kommandostruktur der Regierung gelang es, das Land ohne einen einzigen Toten durch die Corona-Krise zu manövrieren. Chapeau.

Aber auch in Demokratien geht straffe Führung im Krisenmodus

Während der Coronakrise wurden in Israel die Geheimdienste sofort mit Aufgaben betraut: mit Tracing-Aktionen, mit Quarantäne-Überwachungen, generell mit koordinierenden Stabsaufgaben. Der Mossad beschaffte gar im Rekordtempo Masken. Südkorea oder Taiwan, beides einigermassen vorbildliche Demokratien, gelang es, dank guter Vorbereitung und straffer Führung, die Krise relativ rasch mit den richtigen, zielorientierten Massnahmen in den Griff zu bekommen – und zwar ohne flächendeckende Lockdowns. Auch Uruguay, die „Schweiz Südamerikas“ und das demokratischste Land auf dem Halbkontinent, bot der Corona-Gefahr mit raschen und intelligenten Massnahmen und mit klarer Führung vorbildlich die Stirn.

Föderale Strukturen sind ein Hindernis

Diese Beispiele nötigen uns zu einem Vergleich mit unseren eigenen Konsens-Strukturen: Leider waren und sind sie in der Krise unterlegen. Und die Auswirkungen führen zu bedeutend höheren Kosten. Für eine Katastrophenbekämpfung sind insbesondere föderale Strukturen, wie wir sie in der Schweiz haben, ein Hindernis. Logischerweise werden auch militärische Krisen nie direkt von einer ausgeprägt demokratischen Regierung gelöst: Sie übergibt die Verantwortung an die Armeeführung. In einer echten Krise reichen übrigens auch reine Empfehlungen an die Bevölkerung nicht. Nur ein top-down Führungsmodell wird solchen Lagen gerecht – geführt von Leuten, die sich für solche Situationen auszeichnen.

Abschaffung der Demokratie? Nein, kurz aussetzen!

Eine rasche Bewältigung einer (grossen) Krise setzt die Einsicht einer Regierung voraus, die Katastrophenführung abzutreten. Dafür müssen auch gewisse demokratische Strukturen – vorübergehend! – ausgesetzt werden. Dies ist vertretbar, wenn eine Katastrophe so effizienter und mit höherem Tempo bewältigt werden kann. Höhere Effektivität im Handeln führt in der Regel auch zu tieferen Kosten. Dies ist ein zweiter Rechtfertigungsgrund, demokratische Rechte vorübergehend auszusetzen. Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen, alle Bürger zu Beginn der Corona-Krise obligatorisch eine App hinunterzuladen zu lassen, um die Nachverfolgung von Infektionen raschmöglichst mit konsequenten Quarantänen zu bekämpfen? Die App – wenn auch nicht perfekt – hat anfangs März 2020 schon bestanden, man hätte sie z.B. von Taiwan, Südkorea oder Israel übernehmen können. Falls sich ein flächendeckender Lockdown mit Milliardenkosten, hohem BIP-Einbruch und Arbeitslosigkeit damit begrenzen liesse: Wäre also eine App nicht zumutbar gewesen? Wäre das Risiko der kurzzeitig reduzierten, persönlichen Datenkontrolle nicht zu rechtfertigen gewesen – zumal Herr Zuckerberg uns eh schon konstant ins Smartphone reinschaut? Wir sehen schon: Die richtige Balance muss gefunden werden. Es geht dabei fast weniger um einen Interessenkonflikt „Medizin versus Wirtschaft“, sondern „Gutes Krisen-Management versus Bürgerrechte“.

In Krisen lechzt die Bevölkerung nach Führung

Demokratien sind bekanntlich die beste von allen schlechten Regierungsformen – nicht aber im Katastrophenfall. Da sind autokratische und militärische Formen überlegen. Das hören vielleicht viele Kreise nicht gerne. Andererseits lechzen gerade die gleichen Bevölkerungsschichten in Krisen oft nach starker Führung.

Die Aussetzung von Bürgerrechten lässt sich jedoch nur in Staaten rechtfertigen, in denen von Grund auf vertrauenswürdige Demokratien bestehen. Nur wenn die Gewissheit herrscht, dass eine Rückkehr zur Normalität nach einer ausgestandenen Katastrophe raschmöglichst und zu 100% erfolgt, funktioniert ein Time-out der demokratischen Ordnung.

Voraussetzung für eine allseits respektierte, delegierte Krisenbekämpfung ist auch die Erkenntnis und das Wissen in der Bevölkerung, mit welchen Krisen wir rechnen müssten. Der Glaube an die grosse militärische Krise und der allfällige Rückzug in den anachronistischen Luftschutzbunker sind dabei nicht hilfreich. Nur wenn realistische Gefahren begriffen werden und eine Regierung und ein Krisenstab zu Beginn einer Katastrophe offen, klar und glaubwürdig kommuniziert, funktioniert die „Führung“ der Bevölkerung.

Krisenstufen für alle – keine politischen Einzelmanöver

Alarmstufe 1, 2, 3, 4, 5: Je nach Grad der Katastrophe – oder je nach Katastrophenverlauf – könnten Massnahmen ausgelöst werden. Im Armee-Jargon wären es wieder die berühmten „vorbehaltenen Entschlüsse“, in der Unternehmungsführung könnten „Contingency Plans“ als Vergleich herangezogen werden.

So wäre es möglich, verschiedene Landesteile oder Regionen jeweils in die zweckmässigen Alarmstufen zu versetzen. Um ein abschreckendes Beispiel zu nennen, wie es nicht gemacht werden darf: Im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung entscheidet zurzeit jeder Kanton separat, welche Massnahmen sinnvoll sind: Freibäder schliessen, Maskenpflicht, Versammlungseinschränkungen, etc. Eine apolitische Ursachenliste der Virusverbreitung würde sicher die Personendichte an die oberste Stelle stellen. Also müssten sich alle Massnahmen diesem Sachverhalt apolitisch und pyramidenförmig unterordnen. Für Alarmstufe 1 könnten z.B. Hygiene- und Abstandsempfehlungen abgegeben werden, für Stufe 2 könnte dies Abstandspflicht, Tracing und Apps, Maskenpflicht und Homeoffice-Empfehlung bedeuten, für Stufe 3 die Schliessung von Bars, Clubs, Kirchen, Kinos und Versammlungseinschränkungen, für Stufe 4 die Schliessung der Gastronomie und Schulen, erst für Stufe 5 käme ein weitergehender Lockdown mit der Schliessung von gewissen Einzelhandelstypen mit hohem Dichterisiko zum Tragen (Coiffeure z.B. oder Kosmetikstudios, nicht aber normale Läden oder Fachmärkte – zumal die Lebensmittelläden eh offen bleiben müssen).

Krisenstufen müssten für jede Krisenart vorbereitet werden, damit sie situationsgerecht ausgelöst werden können. Je nachdem auch regional: Glarus Stufe 2, Süd-Tessin Stufe 4 – und alle wissen sofort, wie’s läuft. Das wäre echtes Krisen-Management – und nicht föderalistischer, wirrer Aktionismus – oder Nichtstun. Ein Krisenstab könnte nach Absprache mit den Kantonen praktisch per Knopfdruck die Region der Stadt Zürich auf Stufe 3 setzen, und am nächsten Tag würden eben die virenfreundlichen Clubs wieder zugehen. Gerade das Beispiel Zürich zeigt, wie erst einmal lange überlegt, dann ebenso lange mit allen geredet wird. Und anschliessend werden nochmals Meinungen eingeholt – damit dann die verantwortlichen und heillos überforderten Stellen in der Folge möglichst nichts tun müssen. Oder es wird eine andere Massnahme ergriffen, welche nicht einmal der Krisenstufe gerecht wird (z.B. ein Freibad schliessen, Clubs aber offen lassen). Unser Urteil: Das ist Missmanagement.

Nationale und internationale Katastrophen müssen ebenso national und international bekämpft werden

Die teilweise Delegation des Covid-19-Managements an die Kantone grenzt mitunter an Absurdität. Führung wäre in einer Krise das A und O, insbesondere wenn diese Krise internationalen Charakter hat. Krisen-Management kann leider nicht on the job erlernt werden. Deshalb kann eine Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes eines Kantons nicht plötzlich Krisenmanagement betreiben. Und – um das Bild leider wiederholen zu müssen – auch eine Klavierspielerin, ein Winzer oder eine Juristin eignen sich dafür nicht per se. Führung in einer Krise kommt von oben – jedoch von führungsgewandten und krisentauglichen Köpfen. Die künftigen, wirklich grossen Krisen werden wohl eher internationale Krisen sein. Also kann nur ein permanenter und professioneller Krisenstab die Vernetzung mit nationalen und internationalen Institutionen sicherstellen. Die Aufsicht über den Krisenstab müsste – als demokratische Rückversicherung – beim Bundesrat liegen. Aber bitte nur die Aufsicht – nicht das Management.

Doch zurück zum Bundesratszimmer:

„Messieurs, Ronny Zumstein ne prend pas son Natel », orientierte Parmelin seine Bundesratskollegen, inzwischen beim Kaffee. Die neue Bundeskanzlerin, Swetlana Oberholzer, servierte. Viola Amherd blickte zu Guy Parmelin und schnappte sich ein drittes Croissant: „Lüeg doch mal üf di Television, Guy, iische Ronny hett scho losgeleit“. In der Tat: Der Krisenstabchef sprach bereits live auf allen Kanälen und verlas sein 10-Punkte-Programm, flankiert von seinem gesamten Krisenstab.

Autor: Paul Carpenter

Paul Carpenter ist ein Pseudonym. Der dahinter stehende Kommentator bleibt anonym. Paul Carpenter lebt seit 15 Jahren in Dubai, ist international vernetzt und beobachtet das Wirtschaftsgeschehen sehr kritisch. Er studierte Ökonomie und Publizistik in St. Gallen und betätigte sich lange als CEO und Unternehmer. Seit einigen Jahren ist er Unternehmensberater und schreibt Kolumnen, welche sich auf den Link von Mikro- und Makroökonomie konzentrieren.

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