Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen?

Teil 2 unserer Trilogie: Für die richtige Krisenvorbereitung braucht es eine richtige Krisentruppe!

Wir müssen erkennen: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Aber vielleicht ist die nächste Krise eine ganz andere. Krisenvorbereitung bedeutet in einem ersten Schritt, dass wir die möglichen Katastrophen erst einmal erkennen. Dafür hatten wir uns im 1. Teil unserer Trilogie bereits die 11 fatalsten Gefahren auflisten lassen, welche unsere Volkswirtschaft in die Bredouille bringen könnten. Wir sprechen dabei nicht von normalen wirtschaftlichen Krisen – sondern von Katastrophen-Szenarien. Leider mussten wir erkennen, dass wir für eine militärische Krise vielleicht ganz leidlich vorbereitet sind, nicht aber für die meisten anderen Krisen. Also wäre ein Umdenken mehr als angesagt. Folglich müsste eine breit aufgestellte hybride Krisentruppe geschaffen werden. Sollte dafür gar die Armee abgeschafft werden…?

Warum wir uns schon wieder mit Krisenthemen beschäftigen? Ganz einfach, weil diese die grösste Gefahr für unsere Volkswirtschaft darstellen. Nicht die kleinen ökonomischen Defizite sind es, die uns zu schaffen machen, sondern die grossen, nachhaltigen Verwerfungen. Deshalb lohnt es sich, sich vorzusehen. Es ist ganz einfach günstiger…

Lernen aus der defizitären Krisenbewältigung

Eine globale Rundumsicht führt uns ziemlich dramatisch vor Augen, wie Krisen schlecht gemanagt werden können. Wir möchten jedoch das Brennglas nicht zu sehr auf die USA, Brasilien oder Indien richten, sondern bleiben mal in der Schweiz: Obwohl unsere Regierung allenthalben gelobt wurde, die Pandemiekrise „in Ruhe“ angegangen zu sein, zeigen sich heute offensichtliche Defizite: Es fehlte an professionellen Krisenstäben und zuständige Behörden waren weder materiell noch organisationsmässig genügend vorbereitet. Die Kommunikation verlief zum Teil sehr politisch und unglaubwürdig (im Sinne von: Wenn es keine Masken gibt, dürfen sie auch nichts nützen, und wenn es nicht genügend Testmöglichkeiten gibt, darf es auch keine Dringlichkeit geben, umfassend zu testen, usw.). Der Blick ins Ausland war verstellt, obwohl es hervorragende Beispiele gegeben hätte, um zu lernen (von Taiwan oder Südkorea z.B.). Die Krisen-Organisation wurde quasi in einer Unterabteilung des Bundesamtes für Gesundheit belassen und nach dem Krisen-Peak, rechtzeitig vor den Sommerferien des Bundesrates, elegant an die Kantone abgeschüttelt. Unsere Wertung: So brillant war weder das Krisen-Management, noch – vor allem – die Krisen-Vorbereitung.

Die Armee abschaffen…?

Angesichts der Tatsache, dass eine klassische militärische Gefahr gar nicht mehr als prioritär eingestuft werden muss, ergibt sich die Frage nach dem Sinn – oder zumindest nach dem Stellenwert – einer Armee von selbst. Allerdings sind gewisse terroristische Gefahren nicht ohne Militär abzuwehren oder ein unkontrollierter Flüchtlingsstrom, der über das Land schwappt, ebenso wenig. Und der mit der Armee gekoppelte Zivilschutz ist gleichermassen wichtig, insbesondere im Falle von Naturkatastrophen. Die 11 grossen möglichen Krisen – von einer Strommangellage bis zu Cyberangriffen oder einer Atomkatastrophe – gilt es jedoch zu bewältigen, und dieser „Kampf“ gegen die Krisen erfordert „Truppen“. Aber eine solche Organisation zur Krisenbekämpfung muss ganz anders aussehen als wie sie sich mit den heute zumeist bescheiden dotierten Stellen darstellt. Der militärische Teil innerhalb einer solchen Organisation müsste erhalten bleiben – jedoch wohl in einer modernisierten und verkleinerten, professionelleren Form.

Die neue hybride Krisentruppe

Für Armee- und Zivilschutz werden jährlich rund 10 Milliarden CHF ausgegeben. Angesichts der definierten 11 Bedrohungslagen müsste dieses Geld wohl differenzierter eingesetzt werden. Es müsste eine hybride Krisentruppe geschaffen werden, welche möglichst alle Szenarien einer Krise abdeckt. Warum nicht eine Stromausfall-Division kreieren? Truppen, die darauf getrimmt werden, solche Katastrophen professionell anzugehen? Eine Cyber-Abteilung sollte ebenso her, eine Pandemie-Truppe, usw. Man könnte sich Flüchtlings-Scouts vorstellen, „Special Forces“ also für jeden Krisentyp.

Armee und Zivilschutz könnten zusammengelegt und neu organisiert werden. Die einzelnen Special Forces könnten sich auf die entsprechenden Katastrophenszenarien spezialisieren. Das heisst jedoch nicht, dass deren Funktionen nicht überlappend sein dürfen und dass ein gewisser Austausch von Teilen der „Truppe“ nicht möglich wäre. Falls Bedarf, könnte ein „Flüchtlingssoldat“ eben auch für den Aufbau eines Drive-in-Centers für Covid-25 zum Einsatz kommen. Der Cyber-Offizier kann bei einer Terrorbekämpfung mithelfen, oder der Flutkatastrophen-Ranger bei einem Atomunfall. Wichtig wäre die sofortige Einsatzbereitschaft dieser Special Forces, welche den Lead in der Katastrophenbekämpfung übernehmen und verwandte Truppenteile zu integrieren vermögen. Die rasche Mobilmachung der Armee hat während der Corona-Krise hervorragend funktioniert; das Konzept ist kopierwürdig.

Mehr Motivation für den Dienst

Jungen Leuten würde eine besser zu vermittelnde Perspektive für einen „Dienst“ gegeben, wenn dieser eben nicht per se ein „Militär-Dienst“ ist. Die Rekrutenschule in einer Katastrophen-Truppe zu absolvieren, wäre für viele sogar sinnstiftend. Der Milizgedanke könnte hier hervorragend einfliessen: Die jungen Nerds werden ihren Dienst dann in der Cybertruppe absolvieren und ihre neuesten Erkenntnisse aus der Tech-Welt einbringen, die Stromausfall-Truppe wird ihre Ranger bei den geeigneten Handwerkern und Ingenieuren holen. Und nebst all den Krisen-Bataillonen braucht es selbstredend auch klassische Armeetruppen.

Zurück zum Requisitionssystem

Zur Krisenvorbereitung gehört auch, jederzeit über die nötigen Mittel und Installationen zu verfügen, welche im Katastrophenfall nötig sind. Die Günstig-Variante ist dabei nicht der immense Aufbau von allen Strukturen und der Unterhalt von Systemen und Material. Wie die Armee es früher umfassend pflegte, kann auch mit dem Mittel der Requisition Krisenvorbereitung garantiert werden: Private können sich bereit erklären, Gebäude, Fahrzeuge, Installationen etc. im Krisenfall sofort zur Verfügung zu stellen. Dafür werden sie entschädigt. Ein gutes Geschäft für alle!

Was ist mit den Arbeitslosen und Kurzarbeitenden?

In fast allen Krisenfällen kommt es zu einer erhöhten Zahl von Erwerbslosen und Kurzarbeitenden. Im April 2020, im Peak der Corona-Krise, waren es in der Schweiz über zwei Millionen (!), rund 40% der Erwerbstätigen waren betroffen. Der Staat bezahlte ihre Löhne, erhielt aber nichts dafür. Viele dieser Nicht-Beschäftigten könnten im Krisenfall eingesetzt werden: zu Koordinations- oder Überwachungszwecken, für soziale Dienste, etc. Ist das zumutbar? Wir meinen ja – im Krisenfall. Warum sollte ein arbeitsloser Callcenter-Mitarbeiter nicht für den Staat beim Tracing von Infizierten mithelfen, wenn er eh vom Staat bezahlt wird? Eine kurzarbeitende Flight Attendant nicht als erste Ansprechperson im genannten Drive-in für Covid-25-Tests? Dieses System des Einbezugs von Nicht-Beschäftigten müsste jedoch vorbereitet werden, Strukturen und Pläne könnten dieses Humanpotenzial kostengünstig und kurzfristig aufnehmen und einsetzen.

Permanenter Krisenstab vonnöten

Statt einer klassischen Armeeführung bedarf es künftig vielleicht eines permanenten Krisenstabes, welcher ein breites Feld von Katastrophen abdecken kann. Im Bedarfsfall – je nach Katastrophe – kann dieser Stab um Spezialisten und Vertreter aus Behörden und Wirtschaft (und einem geeigneten Bundesrat) ergänzt werden. Was entscheidend ist: Der Stab und die Kommunikationswege müssten bereits bestehen und kurzfristig einsatzbereit sein. Es kann nicht sein, dass (wie während der Corona-Krise) untergeordnete Beamte aus einer Behörde plötzlich zu Krisen-Zampanos arrivieren – das funktioniert nicht.

Die derzeitigen Strukturen für Katastrophenbekämpfung sind in unserem Land ungemein komplex aufgebaut. Es gibt unzählige Krisenstäbe auf allen Ebenen und in allen Ämtern und Behörden. In der Betriebswirtschaft wird bekanntlich zwischen Aufbau- und Ablauforganisation unterschieden. Genau so müsste auch eine Struktur für eine Krisenbewältigung aussehen. Heute gleicht diese indessen eher einer politischen Struktur, ist alles andere als top-down ausgerichtet und sieht eher wie eine wirre Matrixorganisation mit endlosen Ebenen aus. Die Organisation wäre ein Gau für jeden Konzernchef. So sind auch die Kompetenzen im Falle von Krisen heute mannigfaltig verteilt: beim Bundesrat, der Armee, dem Zivilschutz, beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, bei weiteren Bundesämtern (wie im Pandemiefall beim Bundesamt für Gesundheit), bei kantonalen Behörden. Und es gibt Koordinationsgremien, Task Forces, Berater… Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine schlagkräftige Krisenvorbereitung, denn zu viele Köche verderben den Brei. Eine effiziente Struktur kann nur so aussehen, dass diese von oben geführt wird, und dann wird allenfalls bottom-up gearbeitet und rapportiert. Das wäre nicht zu verwechseln mit einem zentralistischen Modell (à la Frankreich) – es würde nur das in unserer Privatwirtschaft bestens  funktionierende schweizerische, „partizipative“ Modell reflektieren – wenn auch mit einer starken Führung.

Krisenvorbereitung heisst auch Krisenvermeidung

Einzelnen Krisen kann nicht nur mit Krisentruppen begegnet werden. Die Krisenvermeidungwäre an sich die eleganteste Form der Krisenvorbereitung. Der Ausbruch des Vesuvs (mit fatalen Klimafolgen), die Vermeidung eines katastrophalen Sturms oder eines Meteoriteneinschlags lassen sich selbstredend nicht vermeiden. Aber die Wahrscheinlichkeit einer Atomkatastrophe kann beeinflusst werden, ebenso die Risikominimierung einer Strommangellage: Sollten wir beispielsweise bereit sein, unsere Wasserkraftwerke massiv auszubauen, Speicherkraftwerke zu errichten und redundante Gas- und Biogaskraftwerke zu errichten, so machen wir uns unabhängiger und betreiben Krisenvermeidung. Wenn der Staat hier – als Ausnahme nur! – etwas dirigistischer eingreifen würde, wäre das sicher zielführend (es würde den Bürger nur ein paar Rappen pro KWh kosten). Oder: Unsere teure Luxus-Landwirtschaft noch mehr zu subventionieren, wird uns nicht über allfällige kurzfristige Versorgungsengpässe hinweghelfen – ein besser ausgebautes Pflichtlager-System indessen schon. Nochmals: Sind die Krisenszenarien mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten und der Ereignisschwere einmal apolitisch und realistisch definiert, kann ebenso apolitisch umgesetzt werden. Nun ja: könnte…

Notrecht ist ok

Grosse Krisen können nur bekämpft werden, wenn rasch und kompetent gehandelt wird. In solchen Fällen müssen – vorübergehend – demokratische Strukturen ausgesetzt werden, ebenso politische, föderalistische und andere Bremsklötze entfernt werden. Sollte demokratische Einigkeit herrschen betreffend einer Krisentruppe und eines ausgewogenen Krisenstabes, kann eine moderne und entwickelte Gesellschaft mit Notrecht gut leben. Voraussetzung ist jedoch, dass Krisenszenarien bekannt sind, Krisenpläne bestehen (welche zum Teil auch durchaus transparent sein können) und das Führungs- und Kompetenzmodell bekannt ist. Ein Schweizer Taschenmesser sozusagen: zuverlässig, kompetent, allzeit bereit. Nur so kann dieser neuen Organisation Respekt entgegengebracht und von einer Demokratie getragen werden.

Risiko-Management vonnöten

Parlament und Behörden müssen ein permanentes Risiko-Management betreiben, welches die Krisenszenarien laufend überprüfen und die Krisen-Vorbereitung anpassen. Diese Szenarien und deren Bekämpfungskonzepte müssen wissenschaftlich fundiert und – nochmals – vollkommen apolitisch sein. Katastrophen selber sind ja auch nicht politisch. Wenn also definiert wird, dass eine Strommangellage das schlimmste Katastrophen-Szenario darstellt, muss die Krisenvorbereitung dies auch reflektieren. Regierung und Parlament sind also gefragt, die vorbereitenden Strukturen und Pläne zu schaffen. Und zur Umsetzung gehört auch Übung. Also sind Katastrophenübungen vonnöten, wie wir sie vor Jahren in der Armee hatten (zum Beispiel die Gesamtverteidigungsübungen).

Fazit: Unsere Krisenvorbereitung ist höchst mangelhaft. Unsere Strukturen fokussieren sich seit Dezennien auf militärische Krisen, obwohl die Wahrscheinlichkeit für andere Katastrophen höher liegt. Es gilt nun, neue Strukturen zu schaffen, wie zum Beispiel die einer Krisentruppe, welche möglichst viele Gefahren-Ereignisse abdecken kann. Gleichzeitig müssen permanente Krisenstäbe aufgebaut und trainiert werden, welche im Katastrophenfall professionell die Führung übernehmen. Ob wir das alles finanzieren können? Ja, wir sollten nur unsere aktuellen Budgets für Armee, Zivilschutz und andere Institutionen und Ämter einer Razzia unterziehen und neu zusammensetzen – im Hinblick auf die reellen Krisenszenarien. Insgesamt stehen genügend Milliarden bereits zur Verfügung, wir müssen sie nur neu zuordnen. Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem dritten Beitrag mit dem Krisenmanagement auseinandersetzen. Und wir ahnen es auch hier schon: Wir müssen das künftig besser machen. True Economics wird schonungslos Vorschläge unterbreiten.

Autor: Paul Carpenter

Paul Carpenter ist ein Pseudonym. Der dahinter stehende Kommentator bleibt anonym. Paul Carpenter lebt seit 15 Jahren in Dubai, ist international vernetzt und beobachtet das Wirtschaftsgeschehen sehr kritisch. Er studierte Ökonomie und Publizistik in St. Gallen und betätigte sich lange als CEO und Unternehmer. Seit einigen Jahren ist er Unternehmensberater und schreibt Kolumnen, welche sich auf den Link von Mikro- und Makroökonomie konzentrieren.

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