Management von grossen Krisen in einer Volkswirtschaft

Teil 3: Der Bundesrat ist nicht mehr zuständig!

13. Februar 2025:

Bundespräsident Parmelin lädt in den Situation Room. Eigentlich war es das übliche Bundesratszimmer, aber gefühlt war es heute ein wichtiger real-time Setup. Der neueste Bericht der WHO wurde nämlich an die getäferte Wand projiziert. Der frisch gebackene WHO Präsident, Hans-Ruedi Gutzwyler, liess offenbar nichts anbrennen: Covid-25 war erst vor 11 Tagen in Myanmar ausgebrochen, ein ca. dreimal so gefährliches Virus wie Covid-19. Übertragung Fledermaus-Wildschwein-Schwein-Mensch. Ein Klassiker. Das Virus verbreitete sich rasend schnell; eine neue Pandemie-Gefahr wurde nun sofort und frühzeitig ausgerufen. Es blieb kurz ruhig im Bundesratszimmer, alle blickten immer noch konsterniert auf den WHO-Bericht.

„Merde, pas de nouveau!“, entfuhr es Parmelin. Als früherer Winzer dachte er sofort an die Weinproduktion in seiner Heimatregion. «J‘éspère qu’il ne faut par fermer les restaurants.“

Sommaruga meinte lakonisch, man könnte die Restaurants ja draussen offen lassen. Sie schaute zum Fenster hinaus: Es schneite. In Gedanken war sie jedoch bereits im Homeoffice am Klavierspielen. Bundesrat Berset richtete sich im Sessel auf und vermeldete staatsmännisch: „Isch werde alle Schweizer zurückolen, aus allen Ländern, je vais m’en occuper“. Seit 2023 führte er das Aussendepartement; Bundesrat Cassis hingegen erhielt von Berset zur gleichen Zeit das Departement des Inneren. Denn 2023, nach allen Corona-Aufräumarbeiten, geriet der einstige Corona-Star Berset unter Druck. Nicht alles war gut gelaufen im BAG. Vorbereitungsmängel, Kommunikationsmängel, Führungsmängel. Deshalb der Switch mit Cassis, zumal sich der Mediziner eh wohler fühlte in der Nähe des BAG. Karin Keller-Suter war nicht an der Sitzung, sie weilte am grossen Hooligan-Prozess in Genf.

Tony Epper, der neue stramme und hemdsärmelige Finanzminister, warf ein: „Das wird wieder sau-teuer“. Und Bundesrätin Viola Amherd, gegen ihren Willen immer noch Verteidigungsministerin, meinte: „Isch güet, iise Truppe si bereit“. „Es ischt nischt an dir zu dezidieren, chère Viola, on a changé de méthode!“, unterbrach sie Parmelin mahnend. Parmelin war nun schon seit mehreren Jahren Bundespräsident und versuchte seither, mit eher mässigem Erfolg, den Lead zu übernehmen. Der jährliche Chef-Wechsel im Bundesrats-Gremium hatte sich während den letzten Krisen nicht bewährt. Aber auch als Bundespräsident war er nun für das kommende Krisenmanagement nicht mehr zuständig. Deshalb blieb die Stimmung an der Bundesratssitzung ganz entspannt. Der Bundesrat konnte das Krisenmanagement nämlich ganz elegant an den neuen integralen Krisenstab abgeben. Den sieben Magistraten oblag nur noch eine Kontrollpflicht. Die Neuerung wurde 2023 beschlossen: Nachdem die Corona-Krise erst im Sommer 2023 gebannt war (dann war endlich genügend Impfstoff vorhanden), musste man leider auf viele Fehlleistungen zurückblicken. Man kam zur Erkenntnis, dass künftig nur ein professioneller Krisenstab eine Katastrophe dieses Ausmasses meistern kann.

Sämtliche bisher für Krisen verantwortliche Behörden, Ämter, Stäbe und Task Forces wurden in der Folge zusammengelegt. Armee, Zivilschutz und Bevölkerungsschutz bildeten nun eine Einheit unter der Führung eines permanenten Krisenstabes.

„J’donne un coup d’fil à Ronny Zumstein, si vous êtes d’accord », meinte Parmelin. Alle nickten. Damit sollte Ronny Zumstein, zurzeit Chef des Krisenstabs, die Führung des umfassenden Katastrophen-Managements übernehmen. Zumstein, Mitte 40, war führungserfahren, mehrsprachig, kommunikationsfest, unpolitisch. Seine jährliche Entschädigung war der eines Bundesrates gleichgestellt. Sein Stab umfasste Mitglieder aus allen möglichen Bereichen und Disziplinen. Natürlich war auch ein Epidemiologe dabei, aber ebenso Wirtschaftsvertreter, Koordinatoren für die Kantone, Gemeinden und Behörden, Armeevertreter, Psychologen, Strategen, Cyberspezialisten. Das Team war eingespielt; in den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche Krisenübungen absolviert, von Hochwasserkatastrophen über Terrorangriffe bis zu neuen Pandemien. Die Leute waren quasi von Berufs wegen Krisenmanager – und Ronny Zumstein führte sie.

Top-down Führung einfach überlegen

Eine gute Portion Armeekultur ins Management zu tragen war nie falsch. Es geht dabei lediglich um die Denke betreffend klaren Ausführungsstrukturen, um „vorbehaltene Entschlüsse“, generell um zielorientiertes Handeln. Und um Effektivität und Geschwindigkeit. Wenn es um politische Führung während einer Schönwetter-Situation geht, mag dieser Ansatz mitunter falsch sein. Er ist jedoch mit Bestimmtheit besser geeignet in einer Krisenlage. Klavierspielerinnen und Rebbauern mögen in gewissen Konstellationen in einer stark konsensorientierten und kompromissverliebten westlichen Regierung einen Platz haben – nicht aber in einem Katastrophen-Umfeld.

Autokratien haben es in Krisen leichter

Wenn Bolsonaro, von seinem Schimmel herunterwinkend, an seinen jubelnden Anhängern vorbeireitet, wiegt er sich – als Autokrat – in Sicherheit. Autokratien sind nun mal effizientere Führungsmodelle zur raschen Krisenbekämpfung als demokratische. Natürlich bergen sie die Gefahr in sich, dass falsch entschieden wird. Also wären „professionelle und gute Autokratien“, zu welchen Brasilien im Moment offensichtlich nicht zählt, besonders gut für Krisen aufgestellt. Natürlich ein etwas gewagter Ansatz… Aber dennoch lässt sich festhalten: Professionell geführte Regierungen mit Machtfülle eignen sich leider besser in Krisenfällen. So etwa in Vietnam: Dank der militärischen Kommandostruktur der Regierung gelang es, das Land ohne einen einzigen Toten durch die Corona-Krise zu manövrieren. Chapeau.

Aber auch in Demokratien geht straffe Führung im Krisenmodus

Während der Coronakrise wurden in Israel die Geheimdienste sofort mit Aufgaben betraut: mit Tracing-Aktionen, mit Quarantäne-Überwachungen, generell mit koordinierenden Stabsaufgaben. Der Mossad beschaffte gar im Rekordtempo Masken. Südkorea oder Taiwan, beides einigermassen vorbildliche Demokratien, gelang es, dank guter Vorbereitung und straffer Führung, die Krise relativ rasch mit den richtigen, zielorientierten Massnahmen in den Griff zu bekommen – und zwar ohne flächendeckende Lockdowns. Auch Uruguay, die „Schweiz Südamerikas“ und das demokratischste Land auf dem Halbkontinent, bot der Corona-Gefahr mit raschen und intelligenten Massnahmen und mit klarer Führung vorbildlich die Stirn.

Föderale Strukturen sind ein Hindernis

Diese Beispiele nötigen uns zu einem Vergleich mit unseren eigenen Konsens-Strukturen: Leider waren und sind sie in der Krise unterlegen. Und die Auswirkungen führen zu bedeutend höheren Kosten. Für eine Katastrophenbekämpfung sind insbesondere föderale Strukturen, wie wir sie in der Schweiz haben, ein Hindernis. Logischerweise werden auch militärische Krisen nie direkt von einer ausgeprägt demokratischen Regierung gelöst: Sie übergibt die Verantwortung an die Armeeführung. In einer echten Krise reichen übrigens auch reine Empfehlungen an die Bevölkerung nicht. Nur ein top-down Führungsmodell wird solchen Lagen gerecht – geführt von Leuten, die sich für solche Situationen auszeichnen.

Abschaffung der Demokratie? Nein, kurz aussetzen!

Eine rasche Bewältigung einer (grossen) Krise setzt die Einsicht einer Regierung voraus, die Katastrophenführung abzutreten. Dafür müssen auch gewisse demokratische Strukturen – vorübergehend! – ausgesetzt werden. Dies ist vertretbar, wenn eine Katastrophe so effizienter und mit höherem Tempo bewältigt werden kann. Höhere Effektivität im Handeln führt in der Regel auch zu tieferen Kosten. Dies ist ein zweiter Rechtfertigungsgrund, demokratische Rechte vorübergehend auszusetzen. Wäre es tatsächlich so schlimm gewesen, alle Bürger zu Beginn der Corona-Krise obligatorisch eine App hinunterzuladen zu lassen, um die Nachverfolgung von Infektionen raschmöglichst mit konsequenten Quarantänen zu bekämpfen? Die App – wenn auch nicht perfekt – hat anfangs März 2020 schon bestanden, man hätte sie z.B. von Taiwan, Südkorea oder Israel übernehmen können. Falls sich ein flächendeckender Lockdown mit Milliardenkosten, hohem BIP-Einbruch und Arbeitslosigkeit damit begrenzen liesse: Wäre also eine App nicht zumutbar gewesen? Wäre das Risiko der kurzzeitig reduzierten, persönlichen Datenkontrolle nicht zu rechtfertigen gewesen – zumal Herr Zuckerberg uns eh schon konstant ins Smartphone reinschaut? Wir sehen schon: Die richtige Balance muss gefunden werden. Es geht dabei fast weniger um einen Interessenkonflikt „Medizin versus Wirtschaft“, sondern „Gutes Krisen-Management versus Bürgerrechte“.

In Krisen lechzt die Bevölkerung nach Führung

Demokratien sind bekanntlich die beste von allen schlechten Regierungsformen – nicht aber im Katastrophenfall. Da sind autokratische und militärische Formen überlegen. Das hören vielleicht viele Kreise nicht gerne. Andererseits lechzen gerade die gleichen Bevölkerungsschichten in Krisen oft nach starker Führung.

Die Aussetzung von Bürgerrechten lässt sich jedoch nur in Staaten rechtfertigen, in denen von Grund auf vertrauenswürdige Demokratien bestehen. Nur wenn die Gewissheit herrscht, dass eine Rückkehr zur Normalität nach einer ausgestandenen Katastrophe raschmöglichst und zu 100% erfolgt, funktioniert ein Time-out der demokratischen Ordnung.

Voraussetzung für eine allseits respektierte, delegierte Krisenbekämpfung ist auch die Erkenntnis und das Wissen in der Bevölkerung, mit welchen Krisen wir rechnen müssten. Der Glaube an die grosse militärische Krise und der allfällige Rückzug in den anachronistischen Luftschutzbunker sind dabei nicht hilfreich. Nur wenn realistische Gefahren begriffen werden und eine Regierung und ein Krisenstab zu Beginn einer Katastrophe offen, klar und glaubwürdig kommuniziert, funktioniert die „Führung“ der Bevölkerung.

Krisenstufen für alle – keine politischen Einzelmanöver

Alarmstufe 1, 2, 3, 4, 5: Je nach Grad der Katastrophe – oder je nach Katastrophenverlauf – könnten Massnahmen ausgelöst werden. Im Armee-Jargon wären es wieder die berühmten „vorbehaltenen Entschlüsse“, in der Unternehmungsführung könnten „Contingency Plans“ als Vergleich herangezogen werden.

So wäre es möglich, verschiedene Landesteile oder Regionen jeweils in die zweckmässigen Alarmstufen zu versetzen. Um ein abschreckendes Beispiel zu nennen, wie es nicht gemacht werden darf: Im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung entscheidet zurzeit jeder Kanton separat, welche Massnahmen sinnvoll sind: Freibäder schliessen, Maskenpflicht, Versammlungseinschränkungen, etc. Eine apolitische Ursachenliste der Virusverbreitung würde sicher die Personendichte an die oberste Stelle stellen. Also müssten sich alle Massnahmen diesem Sachverhalt apolitisch und pyramidenförmig unterordnen. Für Alarmstufe 1 könnten z.B. Hygiene- und Abstandsempfehlungen abgegeben werden, für Stufe 2 könnte dies Abstandspflicht, Tracing und Apps, Maskenpflicht und Homeoffice-Empfehlung bedeuten, für Stufe 3 die Schliessung von Bars, Clubs, Kirchen, Kinos und Versammlungseinschränkungen, für Stufe 4 die Schliessung der Gastronomie und Schulen, erst für Stufe 5 käme ein weitergehender Lockdown mit der Schliessung von gewissen Einzelhandelstypen mit hohem Dichterisiko zum Tragen (Coiffeure z.B. oder Kosmetikstudios, nicht aber normale Läden oder Fachmärkte – zumal die Lebensmittelläden eh offen bleiben müssen).

Krisenstufen müssten für jede Krisenart vorbereitet werden, damit sie situationsgerecht ausgelöst werden können. Je nachdem auch regional: Glarus Stufe 2, Süd-Tessin Stufe 4 – und alle wissen sofort, wie’s läuft. Das wäre echtes Krisen-Management – und nicht föderalistischer, wirrer Aktionismus – oder Nichtstun. Ein Krisenstab könnte nach Absprache mit den Kantonen praktisch per Knopfdruck die Region der Stadt Zürich auf Stufe 3 setzen, und am nächsten Tag würden eben die virenfreundlichen Clubs wieder zugehen. Gerade das Beispiel Zürich zeigt, wie erst einmal lange überlegt, dann ebenso lange mit allen geredet wird. Und anschliessend werden nochmals Meinungen eingeholt – damit dann die verantwortlichen und heillos überforderten Stellen in der Folge möglichst nichts tun müssen. Oder es wird eine andere Massnahme ergriffen, welche nicht einmal der Krisenstufe gerecht wird (z.B. ein Freibad schliessen, Clubs aber offen lassen). Unser Urteil: Das ist Missmanagement.

Nationale und internationale Katastrophen müssen ebenso national und international bekämpft werden

Die teilweise Delegation des Covid-19-Managements an die Kantone grenzt mitunter an Absurdität. Führung wäre in einer Krise das A und O, insbesondere wenn diese Krise internationalen Charakter hat. Krisen-Management kann leider nicht on the job erlernt werden. Deshalb kann eine Vorsteherin des Gesundheitsdepartementes eines Kantons nicht plötzlich Krisenmanagement betreiben. Und – um das Bild leider wiederholen zu müssen – auch eine Klavierspielerin, ein Winzer oder eine Juristin eignen sich dafür nicht per se. Führung in einer Krise kommt von oben – jedoch von führungsgewandten und krisentauglichen Köpfen. Die künftigen, wirklich grossen Krisen werden wohl eher internationale Krisen sein. Also kann nur ein permanenter und professioneller Krisenstab die Vernetzung mit nationalen und internationalen Institutionen sicherstellen. Die Aufsicht über den Krisenstab müsste – als demokratische Rückversicherung – beim Bundesrat liegen. Aber bitte nur die Aufsicht – nicht das Management.

Doch zurück zum Bundesratszimmer:

„Messieurs, Ronny Zumstein ne prend pas son Natel », orientierte Parmelin seine Bundesratskollegen, inzwischen beim Kaffee. Die neue Bundeskanzlerin, Swetlana Oberholzer, servierte. Viola Amherd blickte zu Guy Parmelin und schnappte sich ein drittes Croissant: „Lüeg doch mal üf di Television, Guy, iische Ronny hett scho losgeleit“. In der Tat: Der Krisenstabchef sprach bereits live auf allen Kanälen und verlas sein 10-Punkte-Programm, flankiert von seinem gesamten Krisenstab.

Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen?

Teil 2 unserer Trilogie: Für die richtige Krisenvorbereitung braucht es eine richtige Krisentruppe!

Wir müssen erkennen: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Aber vielleicht ist die nächste Krise eine ganz andere. Krisenvorbereitung bedeutet in einem ersten Schritt, dass wir die möglichen Katastrophen erst einmal erkennen. Dafür hatten wir uns im 1. Teil unserer Trilogie bereits die 11 fatalsten Gefahren auflisten lassen, welche unsere Volkswirtschaft in die Bredouille bringen könnten. Wir sprechen dabei nicht von normalen wirtschaftlichen Krisen – sondern von Katastrophen-Szenarien. Leider mussten wir erkennen, dass wir für eine militärische Krise vielleicht ganz leidlich vorbereitet sind, nicht aber für die meisten anderen Krisen. Also wäre ein Umdenken mehr als angesagt. Folglich müsste eine breit aufgestellte hybride Krisentruppe geschaffen werden. Sollte dafür gar die Armee abgeschafft werden…?

Warum wir uns schon wieder mit Krisenthemen beschäftigen? Ganz einfach, weil diese die grösste Gefahr für unsere Volkswirtschaft darstellen. Nicht die kleinen ökonomischen Defizite sind es, die uns zu schaffen machen, sondern die grossen, nachhaltigen Verwerfungen. Deshalb lohnt es sich, sich vorzusehen. Es ist ganz einfach günstiger…

Lernen aus der defizitären Krisenbewältigung

Eine globale Rundumsicht führt uns ziemlich dramatisch vor Augen, wie Krisen schlecht gemanagt werden können. Wir möchten jedoch das Brennglas nicht zu sehr auf die USA, Brasilien oder Indien richten, sondern bleiben mal in der Schweiz: Obwohl unsere Regierung allenthalben gelobt wurde, die Pandemiekrise „in Ruhe“ angegangen zu sein, zeigen sich heute offensichtliche Defizite: Es fehlte an professionellen Krisenstäben und zuständige Behörden waren weder materiell noch organisationsmässig genügend vorbereitet. Die Kommunikation verlief zum Teil sehr politisch und unglaubwürdig (im Sinne von: Wenn es keine Masken gibt, dürfen sie auch nichts nützen, und wenn es nicht genügend Testmöglichkeiten gibt, darf es auch keine Dringlichkeit geben, umfassend zu testen, usw.). Der Blick ins Ausland war verstellt, obwohl es hervorragende Beispiele gegeben hätte, um zu lernen (von Taiwan oder Südkorea z.B.). Die Krisen-Organisation wurde quasi in einer Unterabteilung des Bundesamtes für Gesundheit belassen und nach dem Krisen-Peak, rechtzeitig vor den Sommerferien des Bundesrates, elegant an die Kantone abgeschüttelt. Unsere Wertung: So brillant war weder das Krisen-Management, noch – vor allem – die Krisen-Vorbereitung.

Die Armee abschaffen…?

Angesichts der Tatsache, dass eine klassische militärische Gefahr gar nicht mehr als prioritär eingestuft werden muss, ergibt sich die Frage nach dem Sinn – oder zumindest nach dem Stellenwert – einer Armee von selbst. Allerdings sind gewisse terroristische Gefahren nicht ohne Militär abzuwehren oder ein unkontrollierter Flüchtlingsstrom, der über das Land schwappt, ebenso wenig. Und der mit der Armee gekoppelte Zivilschutz ist gleichermassen wichtig, insbesondere im Falle von Naturkatastrophen. Die 11 grossen möglichen Krisen – von einer Strommangellage bis zu Cyberangriffen oder einer Atomkatastrophe – gilt es jedoch zu bewältigen, und dieser „Kampf“ gegen die Krisen erfordert „Truppen“. Aber eine solche Organisation zur Krisenbekämpfung muss ganz anders aussehen als wie sie sich mit den heute zumeist bescheiden dotierten Stellen darstellt. Der militärische Teil innerhalb einer solchen Organisation müsste erhalten bleiben – jedoch wohl in einer modernisierten und verkleinerten, professionelleren Form.

Die neue hybride Krisentruppe

Für Armee- und Zivilschutz werden jährlich rund 10 Milliarden CHF ausgegeben. Angesichts der definierten 11 Bedrohungslagen müsste dieses Geld wohl differenzierter eingesetzt werden. Es müsste eine hybride Krisentruppe geschaffen werden, welche möglichst alle Szenarien einer Krise abdeckt. Warum nicht eine Stromausfall-Division kreieren? Truppen, die darauf getrimmt werden, solche Katastrophen professionell anzugehen? Eine Cyber-Abteilung sollte ebenso her, eine Pandemie-Truppe, usw. Man könnte sich Flüchtlings-Scouts vorstellen, „Special Forces“ also für jeden Krisentyp.

Armee und Zivilschutz könnten zusammengelegt und neu organisiert werden. Die einzelnen Special Forces könnten sich auf die entsprechenden Katastrophenszenarien spezialisieren. Das heisst jedoch nicht, dass deren Funktionen nicht überlappend sein dürfen und dass ein gewisser Austausch von Teilen der „Truppe“ nicht möglich wäre. Falls Bedarf, könnte ein „Flüchtlingssoldat“ eben auch für den Aufbau eines Drive-in-Centers für Covid-25 zum Einsatz kommen. Der Cyber-Offizier kann bei einer Terrorbekämpfung mithelfen, oder der Flutkatastrophen-Ranger bei einem Atomunfall. Wichtig wäre die sofortige Einsatzbereitschaft dieser Special Forces, welche den Lead in der Katastrophenbekämpfung übernehmen und verwandte Truppenteile zu integrieren vermögen. Die rasche Mobilmachung der Armee hat während der Corona-Krise hervorragend funktioniert; das Konzept ist kopierwürdig.

Mehr Motivation für den Dienst

Jungen Leuten würde eine besser zu vermittelnde Perspektive für einen „Dienst“ gegeben, wenn dieser eben nicht per se ein „Militär-Dienst“ ist. Die Rekrutenschule in einer Katastrophen-Truppe zu absolvieren, wäre für viele sogar sinnstiftend. Der Milizgedanke könnte hier hervorragend einfliessen: Die jungen Nerds werden ihren Dienst dann in der Cybertruppe absolvieren und ihre neuesten Erkenntnisse aus der Tech-Welt einbringen, die Stromausfall-Truppe wird ihre Ranger bei den geeigneten Handwerkern und Ingenieuren holen. Und nebst all den Krisen-Bataillonen braucht es selbstredend auch klassische Armeetruppen.

Zurück zum Requisitionssystem

Zur Krisenvorbereitung gehört auch, jederzeit über die nötigen Mittel und Installationen zu verfügen, welche im Katastrophenfall nötig sind. Die Günstig-Variante ist dabei nicht der immense Aufbau von allen Strukturen und der Unterhalt von Systemen und Material. Wie die Armee es früher umfassend pflegte, kann auch mit dem Mittel der Requisition Krisenvorbereitung garantiert werden: Private können sich bereit erklären, Gebäude, Fahrzeuge, Installationen etc. im Krisenfall sofort zur Verfügung zu stellen. Dafür werden sie entschädigt. Ein gutes Geschäft für alle!

Was ist mit den Arbeitslosen und Kurzarbeitenden?

In fast allen Krisenfällen kommt es zu einer erhöhten Zahl von Erwerbslosen und Kurzarbeitenden. Im April 2020, im Peak der Corona-Krise, waren es in der Schweiz über zwei Millionen (!), rund 40% der Erwerbstätigen waren betroffen. Der Staat bezahlte ihre Löhne, erhielt aber nichts dafür. Viele dieser Nicht-Beschäftigten könnten im Krisenfall eingesetzt werden: zu Koordinations- oder Überwachungszwecken, für soziale Dienste, etc. Ist das zumutbar? Wir meinen ja – im Krisenfall. Warum sollte ein arbeitsloser Callcenter-Mitarbeiter nicht für den Staat beim Tracing von Infizierten mithelfen, wenn er eh vom Staat bezahlt wird? Eine kurzarbeitende Flight Attendant nicht als erste Ansprechperson im genannten Drive-in für Covid-25-Tests? Dieses System des Einbezugs von Nicht-Beschäftigten müsste jedoch vorbereitet werden, Strukturen und Pläne könnten dieses Humanpotenzial kostengünstig und kurzfristig aufnehmen und einsetzen.

Permanenter Krisenstab vonnöten

Statt einer klassischen Armeeführung bedarf es künftig vielleicht eines permanenten Krisenstabes, welcher ein breites Feld von Katastrophen abdecken kann. Im Bedarfsfall – je nach Katastrophe – kann dieser Stab um Spezialisten und Vertreter aus Behörden und Wirtschaft (und einem geeigneten Bundesrat) ergänzt werden. Was entscheidend ist: Der Stab und die Kommunikationswege müssten bereits bestehen und kurzfristig einsatzbereit sein. Es kann nicht sein, dass (wie während der Corona-Krise) untergeordnete Beamte aus einer Behörde plötzlich zu Krisen-Zampanos arrivieren – das funktioniert nicht.

Die derzeitigen Strukturen für Katastrophenbekämpfung sind in unserem Land ungemein komplex aufgebaut. Es gibt unzählige Krisenstäbe auf allen Ebenen und in allen Ämtern und Behörden. In der Betriebswirtschaft wird bekanntlich zwischen Aufbau- und Ablauforganisation unterschieden. Genau so müsste auch eine Struktur für eine Krisenbewältigung aussehen. Heute gleicht diese indessen eher einer politischen Struktur, ist alles andere als top-down ausgerichtet und sieht eher wie eine wirre Matrixorganisation mit endlosen Ebenen aus. Die Organisation wäre ein Gau für jeden Konzernchef. So sind auch die Kompetenzen im Falle von Krisen heute mannigfaltig verteilt: beim Bundesrat, der Armee, dem Zivilschutz, beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, bei weiteren Bundesämtern (wie im Pandemiefall beim Bundesamt für Gesundheit), bei kantonalen Behörden. Und es gibt Koordinationsgremien, Task Forces, Berater… Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine schlagkräftige Krisenvorbereitung, denn zu viele Köche verderben den Brei. Eine effiziente Struktur kann nur so aussehen, dass diese von oben geführt wird, und dann wird allenfalls bottom-up gearbeitet und rapportiert. Das wäre nicht zu verwechseln mit einem zentralistischen Modell (à la Frankreich) – es würde nur das in unserer Privatwirtschaft bestens  funktionierende schweizerische, „partizipative“ Modell reflektieren – wenn auch mit einer starken Führung.

Krisenvorbereitung heisst auch Krisenvermeidung

Einzelnen Krisen kann nicht nur mit Krisentruppen begegnet werden. Die Krisenvermeidungwäre an sich die eleganteste Form der Krisenvorbereitung. Der Ausbruch des Vesuvs (mit fatalen Klimafolgen), die Vermeidung eines katastrophalen Sturms oder eines Meteoriteneinschlags lassen sich selbstredend nicht vermeiden. Aber die Wahrscheinlichkeit einer Atomkatastrophe kann beeinflusst werden, ebenso die Risikominimierung einer Strommangellage: Sollten wir beispielsweise bereit sein, unsere Wasserkraftwerke massiv auszubauen, Speicherkraftwerke zu errichten und redundante Gas- und Biogaskraftwerke zu errichten, so machen wir uns unabhängiger und betreiben Krisenvermeidung. Wenn der Staat hier – als Ausnahme nur! – etwas dirigistischer eingreifen würde, wäre das sicher zielführend (es würde den Bürger nur ein paar Rappen pro KWh kosten). Oder: Unsere teure Luxus-Landwirtschaft noch mehr zu subventionieren, wird uns nicht über allfällige kurzfristige Versorgungsengpässe hinweghelfen – ein besser ausgebautes Pflichtlager-System indessen schon. Nochmals: Sind die Krisenszenarien mit ihren Eintretenswahrscheinlichkeiten und der Ereignisschwere einmal apolitisch und realistisch definiert, kann ebenso apolitisch umgesetzt werden. Nun ja: könnte…

Notrecht ist ok

Grosse Krisen können nur bekämpft werden, wenn rasch und kompetent gehandelt wird. In solchen Fällen müssen – vorübergehend – demokratische Strukturen ausgesetzt werden, ebenso politische, föderalistische und andere Bremsklötze entfernt werden. Sollte demokratische Einigkeit herrschen betreffend einer Krisentruppe und eines ausgewogenen Krisenstabes, kann eine moderne und entwickelte Gesellschaft mit Notrecht gut leben. Voraussetzung ist jedoch, dass Krisenszenarien bekannt sind, Krisenpläne bestehen (welche zum Teil auch durchaus transparent sein können) und das Führungs- und Kompetenzmodell bekannt ist. Ein Schweizer Taschenmesser sozusagen: zuverlässig, kompetent, allzeit bereit. Nur so kann dieser neuen Organisation Respekt entgegengebracht und von einer Demokratie getragen werden.

Risiko-Management vonnöten

Parlament und Behörden müssen ein permanentes Risiko-Management betreiben, welches die Krisenszenarien laufend überprüfen und die Krisen-Vorbereitung anpassen. Diese Szenarien und deren Bekämpfungskonzepte müssen wissenschaftlich fundiert und – nochmals – vollkommen apolitisch sein. Katastrophen selber sind ja auch nicht politisch. Wenn also definiert wird, dass eine Strommangellage das schlimmste Katastrophen-Szenario darstellt, muss die Krisenvorbereitung dies auch reflektieren. Regierung und Parlament sind also gefragt, die vorbereitenden Strukturen und Pläne zu schaffen. Und zur Umsetzung gehört auch Übung. Also sind Katastrophenübungen vonnöten, wie wir sie vor Jahren in der Armee hatten (zum Beispiel die Gesamtverteidigungsübungen).

Fazit: Unsere Krisenvorbereitung ist höchst mangelhaft. Unsere Strukturen fokussieren sich seit Dezennien auf militärische Krisen, obwohl die Wahrscheinlichkeit für andere Katastrophen höher liegt. Es gilt nun, neue Strukturen zu schaffen, wie zum Beispiel die einer Krisentruppe, welche möglichst viele Gefahren-Ereignisse abdecken kann. Gleichzeitig müssen permanente Krisenstäbe aufgebaut und trainiert werden, welche im Katastrophenfall professionell die Führung übernehmen. Ob wir das alles finanzieren können? Ja, wir sollten nur unsere aktuellen Budgets für Armee, Zivilschutz und andere Institutionen und Ämter einer Razzia unterziehen und neu zusammensetzen – im Hinblick auf die reellen Krisenszenarien. Insgesamt stehen genügend Milliarden bereits zur Verfügung, wir müssen sie nur neu zuordnen. Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem dritten Beitrag mit dem Krisenmanagement auseinandersetzen. Und wir ahnen es auch hier schon: Wir müssen das künftig besser machen. True Economics wird schonungslos Vorschläge unterbreiten.

Wie bewältigen wir die nächsten grossen Krisen in unserer Volkswirtschaft?

Teil 1 unserer Trilogie: Die 11 wahren grossen Krisen, mit denen wir zu rechnen haben

Noch haben wir die Pandemiekrise nicht hinter uns. Einige Staaten konnten diese mit wenigen Blessuren bewältigen, andere stecken noch mitten drin – oder sind heillos überfordert. Fast alle Staaten waren schlecht vorbereitet und haben im Rahmen der Krisenbekämpfung schwindelerregende Schulden aufgebaut. Die nächste Krise, welche unsere Volkswirtschaft beutelt, könnte ganz anders aussehen. Ein globaler Ausfall des Internets? Ein massiver Meteoriteneinschlag? Eine nicht mehr aufzuhaltende Flüchtlingswelle, welche unkontrolliert ganz Europa überschwemmt? Für eine kommende Krisenbekämpfung wären die nötigen Mittel zum Teil gar nicht verfügbar. Die Krux liegt darin, dass wir Krisen nur schwer vorhersagen können. Sind wir uns überhaupt bewusst, mit welchen ganz grossen Krisen wir zu rechnen haben? In einem ersten Beitrag unserer Trilogie versuchen wir einen Überblick über die 11 fatalsten möglichen Krisen zu erhalten, mit denen unsere Gesellschaft rechnen muss. Schon vorab: Wahre Krisen sind die, bei denen wir die Entscheidungsgewalt zu deren Bewältigung verlieren. Und: Leider sind wir nur unzureichend vorbereitet.

Erst die Definition der möglichen Krisen, deren Eintretenswahrscheinlichkeit und deren Ereignisschwere wird uns die Steilvorgabe liefern, wie wir uns vorzubereiten haben. Wir denken dabei nicht an einen Staumauer-Bruch der Grand Dixence, welcher in der Tat nur als ein unglücklicher Unfall zu betrachten wäre. Es geht um die ganz grossen Krisen, welche unsere Volkswirtschaft à fond bedrohen würden. Unsere Behörden hatten 1999 sowie nochmals 2015 klar definiert, dass eine Pandemie das zweitgrösste Krisenrisiko darstellt. Dennoch waren alle Institutionen nur sehr mangelhaft vorbereitet. Seit 1999 bestehende Risikoanalysen verschwanden irgendwo in den Schubladen von verstaubten Bundesämtern. Und wir sehen es heute: Defizitäre Vorbereitung und fehlerhafte Krisenbewältigung führen nicht nur zu grossem menschlichem Leid – es kostet auch viel. Volkswirtschaften können so vorübergehend lahmgelegt werden, es kommt zu BIP-Einbussen, es kann über längere Zeit zu einem Wachstumskiller kommen. Es gehen zudem Arbeitsplätze verloren, es provoziert teure staatliche Hilfeleistungen und führt zu einem erheblichen Schuldenaufbau. Ausgaben für Krisenvorbereitungen wären also intelligente Investitionen.

Black Swans – das Feigenblatt für Krisenvorbereitungen

Der Journalist Nassim Taleb hatte den Begriff des Black Swans definiert: Krisen, die ohne Voranmeldung überraschend über uns herfallen und Katastrophen auslösen können. Krisen als Black Swans zu definieren ist damit das Einfachste, um keine Krisenvorbereitung zu treffen. Ein gewaltiger Meteoriteneinschlag z.B. wäre ein Black Swan, da die Bekämpfung des Ereignisses nur beschränkt, wenn überhaupt, möglich ist. Eine Pandemie allerdings, so auch Talebs Definition, stellte keinen Black Swan dar: Es war nämlich ganz einfach vorauszusehen, dass eine solche Krise demnächst eintritt. 1999 beriet Taleb mit seinem Team Singapur und entwickelte ein Modell zur Krisenbekämpfung. Der Stadtstaat konnte das Papier anfangs dieses Jahres aus der Schublade ziehen und bewältigte die Pandemiekrise mustergültig (mit dem fatalen Wermutstropfen allerdings, dass die Gastarbeiter in den Containersiedlungen vergessen gingen…). Die wenigsten wahrscheinlichen Krisen sind Black Swans. Man kann sich also vorbereiten.

Kollapsologie – das zweite Feigenblatt

Die sogenannten Kollapsologen neigen dazu, Krisen als gegeben zu betrachten. Der Weltuntergang sei eh nicht aufzuhalten. Auch der Klimawandel nicht. Diese fatalistische Haltung teilen nicht nur viele Bürger, sondern auch Politiker. Mit langfristigen Überlegungen für Krisenbekämpfungen sind eben auch keine kurzfristigen Meriten zu holen.

Unsere Krisenaufstellung wird Weltuntergangsszenarien ausschliessen, auch den Klimawandel. Unsere heutige Liste wird sich auf einigermassen wahrscheinliche Szenarien konzentrieren, welche in absehbarer Zeit tatsächlich eintreffen könnten. Die Auflistung erfolgt anhand der Eintretenswahrscheinlichkeit, kombiniert mit der Ereignisschwere – so ergibt sich ein Ranking von 11 grossen Krisen:

Grosse Krise Nummer 1: Ausfall des Stromnetzes

Eine sogenannte „Strommangellage“ (oder auch nur schon der regionale Ausfall des Stromnetzes) müssen wir als ein Ereignis definieren, das mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen kann – und das gleichzeitig als ausserordentlich schwer eingestuft werden muss. Sind wir darauf vorbereitet? Die Netzstabilität in Europa ist heute erwiesenermassen nicht mehr gegeben, das intensive Zusammenwirken der supranationalen Stromnetze hat zu einer grossen Abhängigkeit geführt und könnte zu überregionalen Steuerungsausfällen mit gravierenden Kollateralschäden führen. Wer sich in ein solches Szenario hineindenken möchte, dem sei das Buch „Blackout“ von Marc Elsberg empfohlen. Nichts mehr würde funktionieren: weder Kommunikationsmittel, noch Heizung, noch Kühlung. Alle Wirtschaftsabläufe stünden still, der Verkehr ebenso, die Lieferketten sind unterbrochen, die Lebensmittel vergammeln in den Kühlhäusern, das Gesundheitssystem kollabiert innert Kürze. Die Armee müsste auf den Plan, um die Bevölkerung zu schützen – sofern die Armee sich in einer solchen Situation überhaupt noch organisieren kann. Sind wir vorbereitet auf ein solches Ereignis? Leider kaum. Und dies, obwohl eine solche Krise das schlimmste Szenario darstellen würde!

Grosse Krise Nummer 2: Pandemie

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie: Die Wahrscheinlichkeit einer nächsten globalen Virusattacke bleibt hoch, die Auswirkungen können fatal sein – fataler eventuell als bei Covid-19. Eine professionelle Vorbereitung auf eine solche Krise wäre jedoch durchaus möglich. Aber es braucht dazu Pläne, Strategien, Material, Krisenstäbe in Reserve. Im Vergleich zu unseren Armeekosten (von 8 Mia CHF pro Jahr) oder den Kosten für unsere heimatlich geschützte Landwirtschaft (21 Mia CHF pro Jahr) wären die Investitionen für eine Krisenvorbereitung für eine Pandemie fast vernachlässigbar. Es wäre vor allem intellektuelle Vorbereitung gefragt, vergleichbar wenig nur für Infrastruktur und medizinisches Material. Für Covid-25 – um eine virtuelle Benchmark vorzulegen – sind wir nur schon besser vorbereitet, weil wir aus Covid-19 gelernt haben. Aber es reicht noch nicht, um nicht nochmals erratische und zum Teil sehr wirtschaftsfeindliche Entscheide zu treffen und immense Schuldenberge aufzubauen.

Grosse Krise Nummer 3: Cyberattacke

Cyberattacken sind heute fast alltäglich: Viele Firmen waren davon schon betroffen. Die Lerneffekte dabei sind gross, die Gefahr weiterer Angriffe jedoch nicht gebannt. Eine richtige Gefahr ginge von einer Cyberattacke aus, die eine ganze Branche, die Bundesverwaltung oder andere Institutionen oder komplette Providerschnittstellen betreffen. Die ganze Finanzbranche könnte so zum Beispiel in erpresserische Geiselhaft genommen werden. Das Erpressungsrisiko ist indessen nur eine Seite des Desasters, der mögliche Ausfall der Systeme die andere. Sind wir darauf vorbereitet? Wohl nur marginal. Bei der Armee gibt es ein paar Stellen, die sich um eine solche Krisenvermeidung kümmern, bei gewissen Bundesämtern ebenso. Leider ist  jedoch keine richtige Abwehrtruppe auszumachen – obwohl wir es bei diesem Krisenszenario sowohl mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit als auch mit einer nicht zu unterschätzenden Ereignisschwere zu tun haben.

Grosse Krise Nummer 4: Finanzkrise

Die grosse Finanzkrise 2008/2009 steckt uns noch in den Knochen: Nur knapp sind wir an einer Weltfinanzkrise vorbeigeschrammt. Die USA  (damals noch in einer politischen Leader-Verantwortung) konnten, zusammen mit den grössten Industrienationen, das Schlimmste abwenden. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Krise steigt heute mit der globalen Verschuldung und der ungehemmten Geldschöpfung. Ein Zusammenbruch des Weltfinanzsystems wäre fatal und würde der Tragik eines Weltkrieges in nichts nahestehen. Wäre unser Land darauf vorbereitet? Natürlich nicht. Immerhin tun unsere Regierung und die Notenbank bedeutend mehr als die meisten Staaten, um ein solches Szenario nicht zu fördern. Nur schon der Zusammenbruch der elektronischen Zahlungssysteme wäre äusserst unappetitlich. Vielleicht ginge es bei solche Krisen auch darum, sich persönlich vorzusehen: also Reserven an dringend Notwendigem anlegen, Bargeld halten, etwas Gold bunkern…

Grosse Krise Nummer 5: globaler Ausfall des Internets

Wir werden uns gar nicht erst an eine Schätzung wagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein solches Szenario eintreten könnte. Die Auswirkungen wären auf jeden Fall verheerend: Unser Leben stände binnen Tagen schlichtweg still. Je digitaler unsere Gesellschaft wird, desto katastrophaler wäre ein Ausfall des Internets. Natürlich müssten wir in einem solchen Fall nicht nur auf Netflix verzichten – sondern auf fast alle Kommunikationsmittel. Fast jede wirtschaftliche Aktion wäre blockiert, Lieferketten sofort unterbrochen, die Versorgung mit Produktions- und Lebensmitteln zum grossen Teil unterbunden. Viele Steuerungen fielen aus. Was wir dagegen vorkehren können: fast nichts. Der Aufbau von redundanten Systemen wäre illusorisch. Eigentlich können wir zur Schadensbegrenzung nur auf die klassische Katastrophenhilfe zurückgreifen. Die analogen Systeme des Zivilschutzes und anderer Strukturen müssten vorübergehend Nothilfe leisten. Und dann werden wir darum beten, dass ein solcher Unterbruch nicht allzu lange dauert.

Grosse Krise Nummer 6: grosse Naturkatastrophe

Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hochwasser, Hitzewellen, schwere Stürme, Schädlingskrisen…

Die Eintretenswahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass eine dieser möglichen Krisen in absehbarer Zeit eintritt. Wahrscheinlichkeitstheoretiker neigen dazu, solche Fälle nicht in Kombination zu sehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jedoch anzunehmen, dass irgendeine dieser rund ein Dutzend möglicher Katastrophen mit einer nicht zu vernachlässigbaren Perspektive eintritt.

Das Positive an den meisten Naturkatastrophen ist, dass es im Eintretensfall in den meisten Fällen kaum etwas zu entscheiden gibt und die Schwere des Ereignisses – in der Regel – überblickbar bleibt. Es ginge dann nur vor allem darum, die Auswirkungen der Katastrophe einzudämmen und aufzuräumen – klassische „Katastrophenarbeit“ also. Ein weiterer positiver Aspekt: Naturkatastrophen bleiben oft regional beschränkt. Damit können einzelne betroffene Volkswirtschaften Hilfe von aussen holen. Unsere Behörden und der Zivilschutz sind für solche Krisen relativ gut gewappnet, Krisenstäbe üben derlei Katastrophen.

Grosse Krise Nummer 7: überbordende Flüchtlingswelle

Grössere kriegerische Ereignisse, wirtschaftliche Desaster oder Hungersnöte (inbesondere auf dem afrikanischen Kontinent) könnten zu einer plötzlichen Flüchtlingswelle führen, welche uns keine Zeit mehr lässt, polizeilich oder gar militärisch einzugreifen. Kommt hinzu, dass eine hermetische Abriegelung der Grenzen fast unmöglich ist – zumindest für viele südliche Staaten in Europa. Ein solches Szenario birgt ein mehrfaches Risiko in sich: erstens müsste den Flüchtlingsströmen mit Gewalt Einhalt geboten werden, zweitens müssten viele Menschen notfallmässig versorgt werden und drittens müsste das Problem einer Repatriierung gelöst werden. Die Krisenvorsorge müsste also schon an der Grenze beginnen – trotz allem Flüchtlingsleid. Sind wir darauf vorbereitet? In der Schweiz würden wir das vermutlich hinkriegen. Die Grenzen wären dann aber dicht – was wiederum andere wirtschaftliche Kollateralschäden nach sich ziehen würde. Und darauf wären wir wohl kaum vorbereitet. Welcher eingeübte nationale Krisenstab wäre denn dafür zuständig…? Oder müssten sich  einfach die einzelnen Kantone darum kümmern? Oder ein Grenzbataillon, welches allerdings erst einrücken müsste? Auch dieses Krisenszenario hinterlässt ein ungutes Gefühl.

Grosse Krise Nummer 8: überregionaler Terroranschlag

Das Spektrum an möglichen Terroranschlägen ist breit, wir können unsere Phantasien walten lassen: Sprengstoffanschläge, Kontaminierung der Wasserversorgung, Giftgas-Anschläge, Anschläge mit Biowaffen oder Biogas, eine atomare terroristische Verseuchung, die Geiselnahme des Bundeshauses, Erpressung ganzer Staaten, etc., etc. Hollywood mag zusätzliche Vorlagen liefern – auch innovative Ideen zur Nachahmung. In der Regel bleiben Terroranschläge zumindest lokal begrenzt, die Opferzahlen auch. Vergleichen wir 9/11 mit den heutigen Pandemiezahlen in den USA, so waren die Schäden – rein numerisch – durch den Einsturz der Twin Towers ein Klacks. Nicht aber psychologisch. 9/11 hat das Weltbild der grössten Volkswirtschaft der Welt nachhaltig verändert. Sind wir auf Terroranschläge genügend vorbereitet? Zumindest besser als auf viele andere Krisen. Die Problematik liegt darin, dass es eine Unzahl an bösen Szenarien gibt. Gemäss Murphy’s law wird uns dann vielleicht ein Szenario präsentiert, an das wir gerade nicht gedacht haben.

Grosse Krise Nummer 9: internationale staatliche Erpressung

Nicht nur Schurkenstaaten, auch grosse und wenig freundliche Volkswirtschaften könnten uns in wirtschaftliche Geiselhaft nehmen. Die irrlichternde Administration der USA könnte uns plötzlich mit einer kompletten Importsperre belegen, die invasiv denkende EU uns den Zugang zu ihrem Finanzsystem verweigern, ein immer imperialistisch denkendes China uns mit einem totalen Exportstopp von lebenswichtigen Produkten und Halbfabrikaten belegen. Der Hintergrund für ein solches Handeln könnte politisch oder wirtschaftlich sein. Eine unangenehme Aussicht. Bestehen taktische, diplomatische und politische Krisenstäbe für ein solches Szenario? Leider wohl kaum.

Grosse Krise Nummer 9: Atomunfall

Ein Atomunfall in der Schweiz würde wohl eine der fatalsten Katastrophen darstellen, die Auswirkungen wären kaum vorstellbar. Tschernobyl oder Fukushima geben uns den Vorgeschmack. Die Eintretenswahrscheinlichkeit mag gering sein (weshalb diese Krise nur Platz 9 besetzt), Die Folgen für unser Land wären jedoch existenzbedrohend: So könnte das gesamte Schweizer Mittelland nur noch beschränkt bewohnbar werden, die Wirtschaft komplett zusammenbrechen. Gigantische notfallmässige Umsiedlungen wären notwendig und grosse internationale Hilfe müsste angefordert werden. La Suisse n’existe pas… Aber auch ein grosser grenznaher Atomunfall in Frankreich oder Deutschland könnte ähnliche Auswirkungen haben. Szenarien für eine Atomkatastrophe wurden angedacht, die Bewältigung eines solchen Desasters  würde allerdings unsere Krisenvorbereitung sprengen. Das einzig Positive an einem Atomunfall: Dessen Auswirkung bleibt vermutlich einigermassen regional begrenzt. Dennoch unser Fazit: Wir sind nur sehr beschränkt auf eine solche Krise vorbereitet.

Grosse Krise Nummer 10: militärische Krise

In der Liste unserer Behörden figuriert eine solche Krise gar nicht mehr. Die Eintretenswahrscheinlichkeit mag in der Tat gering sein, der Russe wird demnächst wohl kaum den Rhein überschreiten. Schon eher ist mit hybriden Kriegsführungen oder Attacken durch Schurkenstaaten zu rechnen – was eine militärische Krise vielmehr in Richtung Krise Nummer 8 lenken würde (nämlich eine Attacke mit Terrorcharakter). Unsere Armee verschlingt bekanntlich acht Milliarden pro Jahr und wird gut gepflegt – zumindest in Sachen Mittelallokation sind wir hier gar nicht schlecht aufgestellt. Aber hier liegt gerade das Problem: Wir geben das Geld für eine mögliche Krise mit Ranking 10 von 11 aus, für die anderen 10 Krisen sind wir kaum vorbereitet und geben auch kaum Geld aus.

Grosse Krise Nummer 11: ein Meteoriteneinschlag

Kleinste Meteoriteneinschläge könnten ja ganz niedlich sein, zudem von interessantem wissenschaftlichem Wert. Mittlere (so bis knapp einem Kilometer Durchmesser) wäre im besten Fall z.B. mit Hilfe der NASA und Atomsprengungen zu begegnen. Wir erinnern uns an eines der wahrscheinlichsten Szenarios, welches wohl zum Aussterben der Dinosaurier führte: Riesige Staubwolken nach dem Einschlag führten zu einem Klimakollaps und damit auch zu einer Vegetationsänderung. Eine unschöne Aussicht. Wie wir uns vorbereiten können? Eigentlich gar nicht. Nach einem mittleren Einschlag könnten wir zumindest auf die Hilfe von Armee und Zivilschutz zurückgreifen. Ein sehr grosser Meteoriteneinschlag würde in der Tat mit sofortiger Wirkung das Aus für die Zivilisation und damit bedauerlicherweise auch für unseren Newsletter bedeuten…. Glücklicherweise bleibt die Eintretenswahrscheinlichkeit nahe bei null. 

Der Bund pflegt eine andere Liste

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat sich eine andere Liste zurechtgelegt. Auf dieser figuriert zum Beispiel eine Tierseuche, nicht aber eine grosse Cyberattacke. Dies betrachtet True Economics in zweierlei Hinsicht als grundlegend falsch: Erstens stellt eine Tierseuche nicht eine unüberwindbare fatale Krise dar, da dafür dank internationaler Vernetzung Lösungen gefunden werden können. Die Schwere des Ereignisses ist also überblickbar. Ebenso stellt ein Ereignis „Sturm“ (welches der Bund als die sechst-grösste mögliche Krise betrachtet) ein zwar alles andere als willkommenes Ereignis dar, aber es wäre ebenso regional begrenzt und – selbst unter Einbezug der Schäden – nicht ewig anhaltend. Zweitens klammert der Bund gewisse Krisen einfach aus, weil „deren Eintretenswahrscheinlichkeit nicht vergleichbar berechnet werden kann“.  Deshalb fehlt auf der Liste des Bundes auch ein grosser Terroranschlag. Fazit: Die Krisendefinition des Bundes ist stark defizitär. Wir bleiben damit bei unserer eigenen 11-er Liste.

Fazit: Für die meisten Krisen sind wir ungenügend vorbereitet. True Economics hat nun eine Liste mit den 11 wahrscheinlichsten Krisenszenarien vorgelegt. Nun gilt es, diese zu diskutieren und zu werten, um darauf die Abwehrmassnahmen zu definieren. Die Strukturen zur Krisenbekämpfung sind leider sehr defizitär, die Pläne dafür sind mangelhaft, die Krisenstäbe bestehen oft nur virtuell. Ein schlagkräftiges Krisen-Management könnte damit kaum ausgelöst werden. Die helvetische Krisenbewältigung sah seit Dezennien vor allem militärische Krisen vor, deshalb fliesst das Geld noch heute vorab in die Armee und den Zivilschutz. Somit ist jetzt schleunigst Umdenken angesagt!

Wir werden uns in den nächsten Tagen in einem zweiten Beitrag mit der Krisenvorbereitung auseinandersetzen, etwas später mit dem Krisenmanagement. Und wir ahnen es schon: Auch hier werden wir Defizite ausmachen.