Oder wieviel darf eine Volkswirtschaft für die Krisenbekämpfung ausgeben
Es mag etwas voreilig sein, aber wir können heute schon behaupten: Wir konnten die Pandemie-Krise einigermassen gut bewältigen. Allerdings zu derart hohen volkswirtschaftlichen Kosten, dass wir dafür beten werden, dass ein vergleichbares Ereignis nicht demnächst wieder eintreten wird. Eine grosse Atomkatastrophe, ein Cyberkrieg, nochmals eine böse Pandemie – alles Krisen, die global oder regional ein Desaster darstellen würden. Die meisten Volkswirtschaften könnten nicht nochmals so viel Geld aufwerfen für eine Krisenbekämpfung, wie sie es für Corona taten. Nur schon der Ausbruch des Vesuvs zum Beispiel könnte unser Leben verändern. Sind wir solchen Herausforderungen wirklich gewachsen? Und wieviel darf eine Volkswirtschaft ausgeben, um solchen Krisen entgegenzuwirken?
Ein Warnschuss erfolgte im Jahre 2010
Erinnern Sie sich noch an den Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island? Der Himmel ganzer Erdteile war über Tage und Wochen in Vulkanstaub gehüllt, der Flugverkehr über weite Teile lahmgelegt, das Klima beeinträchtigt, lokal die Gesundheit der Bevölkerung. Es war ein kurzes, glücklicherweise nur vorübergehendes Ereignis.
Im Jahr 1815 war es anders. Der Ausbruch des Tambora-Vulkans in Indonesien hatte schwerwiegende globale Auswirkungen: Amerika und Europa mussten in der Folge nämlich ein „Jahr ohne Sommer“ verzeichnen. Ein grosser Teil der Menschheit litt an Kälteeinbrüchen, Missernten, Überschwemmungen. In der Schweiz brach eine Hungersnot aus. Der russische Zar Alexander I. erbarmte sich und lieferte Getreide und Geld an die Ostschweiz. Ob Präsident Putin uns heute auch helfen würde? Aus Deutschland wanderten aufgrund der grossen Not viele Menschen in den Süden Russlands oder in die USA aus. Und in den USA selbst gab es eine Wanderbewegung vom Osten in den Westen. Das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Ja.
Alle hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch…
Die Wahrscheinlichkeit lehrt uns, dass etwa einmal pro hundert Jahre ein grosser Vulkanausbruch globale Auswirkungen haben könnte. Wir kennen alle die Geschichte vom Aussterben der Dinosaurier. Die Wissenschaft rätselt bis heute, ob es ein grosser Vulkanausbruch oder ein Meteoriteneinschlag war, der aufgrund der reduzierten Sonneneinstrahlung plötzlich einen Klima- und Vegetationswandel auslöste.
Als der Vesuv ca. 79 n. Chr. ausbrach, verschwand Pompeji unter einer 12m hohen Lava- und Ascheschicht. Noch heute gilt der Vesuv als der gefährlichste Vulkan der Welt. Geologen bezeichnen ihn als Zeitbombe.
Der Ausbruch des Vesuvs könnte verheerende Auswirkungen haben
Die Wahrscheinlichkeit für einen richtigen Ausbruch des Vesuvs wird auf 1% geschätzt, dies für den Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Also ein einigermassen überblickbares Szenario. Sollte dieses allerdings eintreffen, wären die Auswirkungen verheerend. Wir würden uns dann nicht nur über eine vorübergehende Beeinträchtigung des Flugverkehrs unterhalten.
Neapel zählt über eine Million Einwohner, der betroffene Grossraum (leider inklusive der schönen Insel Capri) sogar über drei Millionen. Hunderttausende von Todesopfern wären zu beklagen. Die Szenarien sind bekannt, gemacht wird wenig. Analog zu unserer Pandemie-Vorbereitung (Stichwort Masken, Krisenpläne, etc.)… Es gibt zwar seit langem Umsiedlungspläne in der Region, selbst mit Prämien. Praktiziert wird indessen das Gegenteil: In den besonders betroffenen „roten Zonen“ wird nämlich kräftig gebaut. Die heutigen Evakuierungspläne für einen Ausbruch gehen von einer Vorlaufzeit von 14 Tagen aus. Buona Fortuna! Die Evakuierung der Region würde wohl zu einem mehr als italienischen Chaos ausarten, zumal die Fluchtmöglichkeiten beschränkt sind. Elend und Plünderungen wären vorprogrammiert, die Armee müsste eingreifen. Abgesehen von den drastischen ökonomischen Auswirkungen in der ganzen Region wäre der direkte Einfluss auch überregional und würde mit Bestimmtheit auch die Schweiz betreffen. Strom- und Kommunikationsverbindungen können gekappt werden, halb Europa wäre von Hospitalisierungen betroffen. Apocalypse now?
Auch globale Auswirkungen
Ein grosser Vulkanausbruch würde nicht nur einen Aschenregen über die Alpen niedergehen und die Airlines grounden lassen. Der „Flügelschlag des Schmetterlings“ würde Kollateralschäden produzieren, an die wir im ersten Moment kaum denken: Kälteeinbrüche, Ernteausfälle, Flutkatastrophen, Tsunamis. Die Klimaveränderung könnte auch längerfristig anhalten. Lieferketten könnten unterbrochen werden, Versorgungsengpässe wären vorprogrammiert, globale ökonomische Auswirkungen wahrscheinlich. Und das alles nur aufgrund eines Vulkanausbruches? Die Frage müssen wir leider nochmals mit Ja beantworten. Das einzig Positive an dem Szenario: Es ist in der Tat wenig wahrscheinlich.
Wieso unterhalten wir uns so lange über den Vesuv…?
Lohnt es sich überhaupt, sich mit wenig wahrscheinlichen Krisen auseinanderzusetzen? Die Krux liegt jedoch darin, dass sich ein ganzer Reigen an Krisen präsentiert: Strommangellagen, Cyberattacken, Atom-Terrorismus, neue Pandemien, etc. Der Bundesrat hatte schon 1999 und nochmals 2015 definiert, welche Krisenereignisse die wahrscheinlichsten sind. Der Russe, der den Rhein überschreitet, war nicht mehr auf der Liste. Die Pandemie indessen schon, sogar auf Platz 2. Und trotzdem waren wir nur knapp vorbereitet. Wir sind also bereit, den Russen zu empfangen, nicht aber eine Pandemie.
Prognosen sollten Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen beinhalten. Sind die Wahrscheinlichkeiten einigermassen hoch, das Ausmass einer Krise ebenso, lohnt es sich, Vorbereitungen zu treffen. Dafür Geld auszugeben stellt anschliessend eine volkswirtschaftliche Investition dar. Erst kürzlich wurden unsere Behörden für die Bekämpfung von Cyberattacken mit 20 Stellen etwas verstärkt – ein guter Anfang. Was jedoch fehlt: ein umfassendes Management zur Krisenvermeidung und Krisenbekämpfung. Werden wir aus der Corona-Krise tatsächlich lernen?
True Economics wird sich in weiteren Beiträgen den verschiedenen Krisendefinitionen und den volkswirtschaftlichen Konsequenzen widmen. Ein etwas unappetitliches Thema, dem wir jedoch nicht ausweichen wollen. Die Addition aller möglichen Krisenwahrscheinlichkeiten wird nämlich zur Erkenntnis führen, dass die Summe dieser unabhängigen Eintretens-Wahrscheinlichkeiten und deren Auswirkungen plötzlich ein sehr wahrscheinliches Szenario für eine nächste Krise darstellt. Leider wissen wir kaum, welches Szenario zuerst eintreten wird.
Fazit: Unsere Krisenvorbereitung muss dringend verbessert werden
Krisenvermeidungen sind zum Teil unmöglich – siehe Vesuv. Unsere Volkswirtschaft muss indessen trotzdem überlegen, für welche Krisenerkennung und vor allem Krisenbekämpfung wieviel Geld ausgegeben werden soll. Wir müssen also vorab die wahrscheinlichsten grossen Krisen definieren, ihre Eintretens-Wahrscheinlichkeiten schätzen, die Auswirkungen berechnen und die Krisenbekämpfung planen. Das Ranking der Krisen sollte uns das Mass der Investitionen für die Krisenvorbereitung vorgeben. Unsere Armee kostet rund acht Milliarden pro Jahr – vorab für ein Krisenszenario, welches gar nicht mehr oben auf der Liste figuriert. Wir unterhalten zudem einen Zivilschutz, welcher eine kleinere Flutkatastrophe bekämpfen kann, aber vermutlich viele andere Krisen nicht. Und wir verfügen über nur provisorisch vorbereitete Krisenstäbe. Wir geben zurzeit sehr viel Geld für die Corona-Krisenbekämpfung aus – für die Vorbereitung dieser Krise, obwohl ziemlich wahrscheinlich, liessen wir indessen kaum etwas springen. Und so sind wir auch für die nächsten (wahrscheinlichen) Krisen kaum vorbereitet. Wir müssen umdenken.